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Mobilfunksymposium 26.4.2003 Dipl.-Ing. Bernd Rainer Müller, Bürger und Kommunen im Spannungsfeld der Mobilfunkdebatte 77 Bürger und Kommunen im Spannungsfeld der Mobil- funkdebatte - gibt es Wege aus der Krise? Dipl.-Ing. Bernd Rainer Müller BUND Sprecher Arbeitskreis Immissionsschutz 1. Entwicklungssituation Anfang des Jahres 2003 gibt es allein in Deutschland über 2,5 Millionen fest installierte Sendeanlagen und über 60 Millionen mobile Sendeanlagen. Die meisten davon sind Handys, zusätzlich sind in Fahrzeugen weitere Sendegerä- te montiert. Rationalisierung, Optimierung, das stark steigende betriebliche und betriebliche Sicherheitsbedürfnis werden zu einem weiteren Anstieg der Infor- mationsübertragung führen, die zu einem Teil aus Gründen der Mobilität und aus Kostengründen über die „Luftschnittstelle“ abgewickelt werden sollen. Das Wachstum an festinstallierten Sendeanlagen wird um den Faktor drei bis vier zunehmen, bei mobilen Sendeanlagen wird nur ein geringes Wachstum zu er- warten sein, weil die gesteigerte Informationsmenge durch neue Übertragungs- verfahren (Stichwort UMTS) komfortabler abgewickelt werden kann. Bestehende Standorte werden optimiert und aufgerüstet. Derzeit sind allein für den Mobilfunk in den 14 500 Kommunen ca. 150 000 Sendeanlagen an 40 000 Standorten vorhanden, so dass weitere Standorte (mindestens 50 000) benötigt werden. Die Problematik liegt in der bestehenden Struktur, denn Deutschland ist schon mehrfach versorgt, zum Teil sogar überversorgt. Standorte fehlen vor allem in wohnortnahen Gebieten, weil sich die bisherige Planung an den zah- lungskräftigen (Geschäfts-) Kunden orientierte, die sich weniger in Wohngebie- ten aufhielt.

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Mobilfunksymposium 26.4.2003 Dipl.-Ing. Bernd Rainer Müller, Bürger und Kommunen im Spannungsfeld der Mobilfunkdebatte

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Bürger und Kommunen im Spannungsfeld der Mobil-funkdebatte - gibt es Wege aus der Krise? Dipl.-Ing. Bernd Rainer Müller BUND Sprecher Arbeitskreis Immissionsschutz

1. Entwicklungssituation Anfang des Jahres 2003 gibt es allein in Deutschland über 2,5 Millionen fest installierte Sendeanlagen und über 60 Millionen mobile Sendeanlagen. Die meisten davon sind Handys, zusätzlich sind in Fahrzeugen weitere Sendegerä-te montiert. Rationalisierung, Optimierung, das stark steigende betriebliche und betriebliche Sicherheitsbedürfnis werden zu einem weiteren Anstieg der Infor-mationsübertragung führen, die zu einem Teil aus Gründen der Mobilität und aus Kostengründen über die „Luftschnittstelle“ abgewickelt werden sollen. Das Wachstum an festinstallierten Sendeanlagen wird um den Faktor drei bis vier zunehmen, bei mobilen Sendeanlagen wird nur ein geringes Wachstum zu er-warten sein, weil die gesteigerte Informationsmenge durch neue Übertragungs-verfahren (Stichwort UMTS) komfortabler abgewickelt werden kann. Bestehende Standorte werden optimiert und aufgerüstet. Derzeit sind allein für den Mobilfunk in den 14 500 Kommunen ca. 150 000 Sendeanlagen an 40 000 Standorten vorhanden, so dass weitere Standorte (mindestens 50 000) benötigt werden. Die Problematik liegt in der bestehenden Struktur, denn Deutschland ist schon mehrfach versorgt, zum Teil sogar überversorgt. Standorte fehlen vor allem in wohnortnahen Gebieten, weil sich die bisherige Planung an den zah-lungskräftigen (Geschäfts-) Kunden orientierte, die sich weniger in Wohngebie-ten aufhielt.

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Funktechnisch und auch wirtschaftlich attraktive Standorte in und um Wohnge-bieten werden zunehmend knapper, weil Antennenmasten zwangsläufig auffäl-lige Veränderungen sind, die aus städtebaulichen Gründen schon Schwierigkei-ten bereiten. Zusätzlich zweifeln immer mehr Bürger die Sozial- und Umweltver-träglichkeit der Funktechnologie in unmittelbarer Wohnortnähe an. Zur Vermei-dung von Fehlentwicklungen und schweren sozialen Konflikten muss die ge-samte Planung von der Bundesebene bis auf den einzelnen Standort überprüft und erweitert werden.

2. Gesundheit Welche Hinweise zeigen Wirkungen des Mobilfunks? Aus Sicht der Betreiber kann es gar keine Gefahren geben, weil Grenzwerte immer weit unterschritten werden. Aus Sicht der Nachbarn einer Sendeanlage gibt es nach der Inbetriebnahme von Sendeanlagen wesentliche Veränderun-gen im Lebensablauf, die vorher nicht in dieser massiven Form aufgetreten sind, z. B. Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen usw., die ihre Gesundheit auf Dauer massiv negativ beeinflussen. Mediziner haben in der Vergangenheit wenig zur Information und zur Klärung der Beschwerden beigetragen. Statt dessen sah sich eine Vielzahl von anderen Beteiligten dazu aufgerufen aus ihrer Sicht als Wissenschaftler, Techniker, Vertreter der diversen Interessengruppen usw. eine qualifizierte gesundheitliche Bewertung dieser Aussagen abzugeben und zugleich gar keine oder sehr weit greifende Maßnahmen vorzuschlagen. Der

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„Freiburger Appell“ hat hier zu verstärkten Stellungnahmen aus medizinischer Sicht beigetragen. Wie soll die Gesellschaft oder „ich“ als Person an mögliche Gefahren herange-hen? Die Übergänge zwischen „Unmutsäußerung (als Unwohlsein, Angst) - Anekdote - Verdacht – Hinweis – Nachweis“ sind fließend. Wissenschaftler befassen sich häufig nur mit dem Nachweis, das ist für sie eine verhältnismäßig einfache Auf-gabe. Ergebnisse werden publiziert und selbst auf ihre Bedeutung für die Ge-sellschaft bewertet, ohne mitzuteilen, ob bei ihren Untersuchungen „das bloße Auge, eine Lupe oder ein Mikroskop“ eingesetzt wurde und ob der verwendete Gesundheitsbegriff nur aus dem Duden stammt oder von der Weltgesundheits-organisation übernommen wurde. Vorwiegend emotionale Betrachtungsweisen wie Unschuldsvermutung oder Generalverdacht gegenüber der Technik entstehen, wenn kein Weg aufgezeigt werden kann, wie aus der Vielzahl der vorhandenen Daten die wesentlichen Umweltfaktoren herausgefiltert werden können.

3. Zielsetzungen Schutz durch die Gesellschaft wird gefordert bei Plänen, Technologieprogram-men oder Ereignissen mit Umwelt- und Gesundheitswirkungen, die mit nachtei-ligen Folgen, d.h. mit Schäden oder Gefahren für Umwelt und Gesundheit des Menschen, unmittelbar oder mittelbar verbunden sind. Angebotsorientierung und Wettbewerb bilden gerade bei neuen Technologien keine Grundlagen für einen umfassenden Umwelt- und Gesundheitsschutz. Systematischer Schutz entsteht durch geplante Überlegungen bereits bei der Entwicklung vor dem Technologieneinsatz. Der Ruf nach allgemein akzeptierten Grenzwerten kann nur am Ende der Gestaltung des Schutzkonzeptes stehen und nicht am Anfang. Die Frage wird dann nicht mehr gestellt, ob elektromag-netische Felder als begrenzte oder unbegrenzt zu nutzende Umwelt-Ressource zu bewerten sind. Soll trotz Hinweisen auf bestehende Fehlentwicklungen das Prinzip „Hoffnung – es wird schon nichts Schlimmes passieren“ oder das Minimierungsprinzip wie in allen anderen Gefahrenbereichen gelten und als Grundlage eines Schutz-konzeptes bei dem Einsatz neuer Technologien vor Ort wegen fehlender ande-rer Erfahrungen zum Einsatz kommen? Sachlich ist dieses Vorgehen aus den Erfahrungen der Vergangenheit nicht gerechtfertigt. Politisch ist das ebenfalls gefährlich, weil wieder ein Stück Freiheit dem einzelnen Bürger weggenommen wird, d.h. er kann sich nicht persönlich für oder gegen einzelne Schutzmaß-nahmen in seinem Wohnumfeld entscheiden. Fachfrauen/Fachmänner für Schutz sehen bei solchen unklaren Situationen Handlungsbedarf. Deshalb muss bei diesen Bedingungen der Schwerpunkt auf

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Vorsorgemaßnahmen gelegt wird, weil schärfere Grenzwerte einen weitgehen-den Konsens der Fachleute verlangen. Bei Veränderungen einer Technologie entstehen zwangsläufig Fragen in der Öffentlichkeit. Sie verlangt nach vereinfachter Darstellung äußerst komplexer Zusammenhänge und stellt dabei gleichzeitig den Anspruch auf wahrhaftige Information im Zusammenhang mit ihren Interessen. Beispiel: Die Reichweite einer Sendeanlage wird von Betreibern mit über 30 km angegeben. Warum soll ein Bürger einsehen, dass eine Sendeanlage unbe-dingt in 30 m Abstand von seiner Wohnung aufgebaut wird. Die Betreiber ar-gumentieren mit physikalischen Grenzen, die zu ihrer Planung führen. Sie sind aber selbst bei jeder Weiterentwicklung der Technologie bereit, die bisherigen physikalischen Grenzen zu überschreiten. Der technische Bereich ist zunehmend durch einen schnellen technologischen Wandel geprägt, der lange Vorbereitungszeiten benötigt und erst sehr spät die Bürger in Form von Projekten und Anlagen erreichen. Die Mitgestaltung (mehr Umwelt- und Sozialverträglichkeit) der Technologien kann auch wegen der langen Entwicklungszeiten und damit auch oft gleich lan-gen Veränderungszeiten nur in diesen Entwicklungsstadien effektiv geleistet werden. Hinterher können nur sogenannte Symptomen kuriert werden bzw. die Umwelt-Vertreter haben die Aufgabe Fehler und Schwächen der Technologien für die Hersteller und Betreiber (kostenlos) mit eigenen Ideen zu reparieren. Kritische Anmerkungen zu einer Technologie haben häufig ein negatives Echo, weil sie als Einzelprobleme gesehen werden. Mit emotionalen Aussagen – ständiger Bedenkenträger – werden notwendige Maßnahmen für umfassende Schutzüberlegungen öffentlich abgewehrt. Die damit verbundene Angst-Mut-Einschätzung des einzelnen Bürgers soll von ihm offenbart werden. Da diese Aufgabe nur die wenigsten leisten können und wollen, haben diese Aussagen die Funktion Sachdiskussionen zu unterdrücken und zu vermeiden. Eckpunkte von Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr zeigen sich in der For-derung und bei der Gestaltung eines demokratischen Umweltschutzdesigns

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Demokratisches Schutzdesign hat das Ziel, ein einprägsames, verständliches Bild von Schutz zu gestalten, Zusammenhänge erkennen zu lassen und da-durch den Menschen eine Orientierung zu geben, die Mitwirkung und Mitbe-stimmung gewährleisten können. Schutzdesign prägt das Verhalten in Situation mit Gefahrenumgebungen, es weist in die Zukunft und schafft neue Leitbilder. Der Austausch von Ideen und Anregungen zwischen Erfahrung, Wissenschaft und praktischer Anwendung, sowie die Kommunikation zwischen Herstellern, Betreibern, Nutzern und Betroffenen einer Technologie stellen Grundlagen und Voraussetzungen für den weitgehenden zeitnahen Schutz von Umwelt und Ge-sundheit dar. Information Freier Zugang zu allen Informationen über die Technologie bzw. Technologie-programmen. Begründung: In der Demokratie haben alle Bürger die gleichen Rechte und Pflichten. Rechte und Pflichten können nur dann verantwortungsvoll wahrgenommen, wenn alle Bürger über den gleichen Zugang zu Informationen verfügen. Transparenz Mitbestimmung und Mitwirkung der Bürger bei der Gestaltung der Technologie. Wie wird der Informationsfluss von den Entwicklern zu den Nutzern und Betrof-fenen und umgekehrt (zur frühzeitigen Erkennung von Problemen). Schutz auch

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für betroffene Minderheiten, z. B. Kinder, bei denen der bestimmungsgemäße Gebrauch und damit die Einhaltung von üblichen Schutzmaßnahmen nicht ge-währleistet werden kann. Trennung der Institutionen zur Beschreibung, Erfassung und Organisation des Gefahrenschutzes. Begründung: Die Bürger sollen ihre Erfahrung und Kreativität zu ungelösten und unbeachteten Schutzproblemen einbringen. Zusätzlich soll damit eine breite Akzeptanz der Mobilfunktechnologie erreicht werden. Konfliktlösungen Da Technologien nur unter engen technisch-wirtschaftlichen Überlegungen entwickelt werden, zeigen sich erst bei der praktischen Umsetzung Mängel und Probleme, die zu verschiedenen Konflikten führen können. Dabei wird immer wieder gefordert, dass die Bürger die Beweise für gesundheitliche Schäden lie-fern. Falls die Bürger dann Zusammenhänge darstellen, werden sie mit Betrei-ber-Experten konfrontiert, die jeden Zusammenhang zurückweisen. Begründung: Die Beweislast muss bei den Betreibern liegen, weil den Betroffe-nen viele Informationen wegen angeblicher Betriebsgeheimnisse, nicht zugäng-lich sind, die oft zusätzlich mit dem falschen Anspruch des Datenschutzes ver-treten werden . Der lange rechtliche Weg mit Wissenschaftlern als Gutachter, die u. U. vorher für die Betreiber die Technologie mit engen Schutzüberlegun-gen entwickelt haben, führt nicht zu sozial- und umweltverträglichen Ergebnis-sen bei gerichtlichen Auseinandersetzungen. Problem Umweltschutz in elektromagnetischen Feldern zeigt sich durch einen weiten Begriff von Gesundheit und der Berücksichtigung aller Gruppen in unserer Ge-sellschaft. Die Beteiligung bei der Gestaltung von Informationstechnologien durch die Bürger und Kommunen wurde bisher unzureichend geregelt. Zwei Vereinbarungen in kurzer Zeit auf Spitzenebene zum Mobilfunk mit kommunaler Bedeutung weisen auf ein politisch eher hastiges Vorgehen hin. Weitere Nach-besserungen werden zusätzlich von einzelnen Länden unternommen. Für die konkrete Planung in der Kommune bieten die Vereinbarungen nach ersten Er-fahrungen nur geringe Hilfen. Zielsetzung Das vorhandene Wissen und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse zur ge-sundheitlichen Bedeutung elektromagnetischer Felder werden für die nächsten Planungszeiträume weiter strittig bleiben. Die bestehende Unsicherheit mit ih-ren daraus entstehenden Ängsten können nur vermindert werden, wenn alle Maßnahmen zum Schutz der Bürger unter Vorsorgeüberlegungen in den kom-munalen Planungs- und Entwicklungsprozess eingebracht werden. Der vorgeschlagene Lösungsansatz stellt bei der Standortfindung durch Kom-munen Umweltaspekte gleichberechtigt neben wirtschaftlichen und funktechni-

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schen Aspekten. Als Voraussetzung muss ein weitgehender Konsens (u.U. mit einer ergänzenden lokalen Vereinbarung) zwischen den Kommunen und den örtlich zuständigen (Mobil-) Funkplanern angestrebt werden. Vorteile Eine nachvollziehbare Organisation des Planungsprozesses als Beitrag zur Transparenz stärkt die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des kommunalen Vor-gehens. Die Prozessorientierung hat Vorrang vor der Festlegung von spezifi-schen Anforderungen. Ein systematisches Vorgehen ermöglicht bei der Vielzahl der zu erwartenden Standortwünsche in den knappen Zeitfenstern relativ schnell die kritischen Flächen zu finden. Die Arbeit kann sich auf die problem-behafteten Standorte konzentrieren. Emotionen und Konflikte sind bei der Standortsuche in urbanen Gebieten nicht zu vermeiden. Zielgerichtete Konfliktlösungsstrategien der Kommune stärken deren Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Negative Folgen für Betroffene, Kom-munen und Senderbetreiber werden begrenzt. Struktur Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Sendeanlagen-betreiber als Voraussetzung von Transparenz und zur Gestaltung von Vorsor-ge kann nur durch eine verbindliche Kommunikationsstruktur erreicht werden. Sie erfasst bei diesem Lösungsansatz vier Bereiche: 1. Festlegung der Ziele der kommunalen Funkplanung 2. Interessen und deren Vermittlung 3. Beteiligung von Bürgern, Bürgervertretung und Verwaltung 4. Konfliktregelungen bei der Planung, der öffentlichen Information und beim Senderbetrieb Die rechtlichen Vorgaben für die Standortfindung in der Kommune sind eng und daher wenig hilfreich, deswegen werden die Ursachen der Auseinandersetzun-gen populär dargestellt, die Fachwissenschaft wird nur kurz gestreift, weil die Planer in Kommunen andere spezifische Qualifikationen aufweisen. Der Schwerpunkt liegt bei methodischen Überlegungen, d.h. der Ablauf des Pla-nungsprozesses steht im Vordergrund. 4. Ansätze zur Standortfindung können auf drei Ebenen erarbeitet werden: 4.1. Populäre Ebene: Die Möglichkeit zu Wort und Widerwort, die Abwägung der einzelnen Interes-sen eines Sachverhaltes durch eine weitgehend von den Bürgern akzeptierte Verwaltung, mit einem mehr oder minder zufrieden stellenden Kompromiss, beschreiben den Ablauf von Konflikten in der Kommune. Die Einhaltung der Gesetze und Vorschriften stellen als Stand der Technik allein die Handlungs-vorgaben zum Schutz der Gesundheit aus Sicht der Kommune dar.

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4.2. Fachwissenschaftliche Ebene: Durch die Darstellung des Standes der Technik wird gezeigt, dass alle Proble-me und Konflikte von Fachleuten gelöst werden können. Die Bürger überneh-men wie in anderen Bereichen weitgehend die Vorschläge (Verkehrsplanung). Hinweise bleiben erwünscht und werden auch von den Fachleuten auf ihre Wir-kung und Umsetzbarkeit überprüft bzw. umgesetzt. Alternative (Kommunikations-) Wege lassen sich von Fachleuten sinnvoll erör-tern, wenn nicht die Notwendigkeit des Sachverhalts in dieser Form – wegen der fehlenden Zuständigkeit - diskutiert werden soll und darf. Der Stand von Wissenschaft und Technik gewährleistet durch die Berücksichtigung noch nicht gesetzlich geregelter Erkenntnisse einen weitergehenden Schutz der Gesund-heit. 4.3. Methodische Ebene: Es werden Methoden bezüglich der Umsetzung von Planungszielen zur Verfü-gung gestellt, die sich an politischen, technischen und rechtlichen Rahmenbe-dingungen orientieren. Der Schutz der Bürger soll aus diesem Grunde im glei-chen Tempo weiterentwickelt werden, wie die Technologien sich verändern, die ihn beeinträchtigen können. Technologien beeinflussen den anonymen, statischen und standardisierten Menschen. Systematischer Schutz der Gesundheit stellt die Individualität des Menschen mit seinen Schwächen und Stärken in den Mittelpunkt der Überle-gungen. Gesundheit aller Bürger stellt eine zentrale Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung dar. Erst dadurch wird eine hohe Lebensqualität mit hohem Beschäftigungsstand und dauerhafter wirtschaftlicher Entwicklung zu erreichen sein. Vorsorge ist dabei ein zentraler Leitgedanke. Die Kommune muss die kurzfristigen und langfristigen Vorteile der schnellen Installation neuer Technologie mit ihren negativen Auswirkungen für ihre Bürger abwägen. 5. Lösungswege 5.1. Populäre Ebene Die Nutzung von Funkanwendungen hat in der Vergangenheit immer wieder zu lokalen Konflikten geführt, weil im Nahbereich der Sendeanlagen Probleme mit anderen elektrotechnischen Geräten und gesundheitliche Beschwerden auftre-ten. Beispiele sind Radio Free Europe, Kurzwellensender Schwarzenburg. Weiterführende systematische Erfassungen und Auswertungen der gesundheit-lichen Folgen fehlen oder sind heftig umstritten. Durch die verstärkte Errichtung von Sendeanlagen, die immer näher an die Wohn- und Lebensbereiche der Menschen heranrücken, hat sich ein großes Konfliktpotenzial in der Bevölkerung aufgebaut, dass durch unprofessionellen

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Umgang von Betreiberseite in der Vergangenheit zusätzlich verstärkt wurde. Zudem entwickelt sich die Technologie sehr schnell weiter. Daher existieren von keiner Seite bewährte und allgemein akzeptierte Lösungen. Folge: Zunehmende stärkere emotionale Auseinandersetzungen vor allem in den Kommunen bei der Standortfestlegung mit unbefriedigenden Ergebnissen. Die bisherigen überwiegend konfliktarmen Lösungen ergeben sich wegen der geringen Information und Beteiligung der betroffenen Bürger in der jeweiligen Kommune (einige 100 00 Sendeanlagen/einigen 1000 Bürgerinitiativen, ca. je-der hunderste Standort schafft Konflikte, jetzt in Bayern fast jeder Standort). Sendeanlagen waren kein Thema von öffentlichen Erörterungen. Durch die Darstellung des Sachverhaltes (einzelner Standort) mit den unterschiedlichen Interessen und den Möglichkeiten des Ausgleichs (Bürgerversammlung, Runder Tisch, Kommunalausschuss usw.) wurde eine große Zahl von Problemfällen abgearbeitet. Die weiter steigende Zahl von neuen Standorten, Schwierigkeiten mit alten Standorten, die geringe Beweglichkeit der Betreiber bei Information und Beteiligung überfordern jetzt immer öfter Bürger, Bürgervertretungen und Verwaltungen. 5.2. Fachwissenschaftliche Ebene Die Fachwissenschaft kann aufgrund der schnellen Entwicklung ebenfalls kei-ne präzisen Antworten geben. Es werden erhebliche Lücken bei einer genauen Betrachtung der Gesundheitsaspekte sichtbar. Die Vielzahl der Forschungser-gebnisse befasst sich nur mit eingeschränkten Untersuchungsmodellen, die das komplexe System Mensch unzureichend abbilden. Herausragende Ergebnisse führen sofort zu heftigen, zum Teil wissenschaftstheoretischen Diskussionen, die keine Hilfen für Planungen geben. Die betrachteten Einzelparameter lassen häufig keine unmittelbaren Schlüsse auf die langfristigen gesundheitlichen Fol-gen für den Menschen zu. Viele Bürger konfrontieren die Wissenschaftler mit ihren negativen Erfahrungen über die neuen Funktechnologien. Die Fachwissenschaft zeigt sich unverstan-den und überfordert. Sie kann derzeit keine zufrieden stellenden Antworten ü-ber die Ursachen der Gesundheitsbeschwerden geben. Wegen der Mängel sind keine allein auf fachwissenschaftlichen Überlegungen sich gründenden Planun-gen vorstellbar, weil bei den emotionalen Auseinandersetzungen vor Ort die aufgezeigten Mängel Gegenstand der öffentlichen Diskussion werden, die zwangsläufig ergebnislos enden.

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Folge: Unzureichende Organisation und Kenntnisse erfordern einen hohen Vor-sorgestandard 5.3. Methodische Ebene Kommunen besitzen funktionierende Planungsabteilungen, die bereits Erfah-rung im Umgang auf verschiedenen Planungsebenen aufweisen. Andere um-weltrelevante Planungsarbeiten, z. B. Ver- und Entsorgung gehören zu den täg-lichen Aufgaben, die gelöst werden müssen. Bewährte methodische Ansätze zur Lösung von Umweltproblemen sind daher bekannt. Diese Qualifikationen, einschließlich der Erfahrungen und die örtlichen Kenntnisse sollen für die Standortfindung von Funkanlagen genutzt werden (durch weiteren Bedarf wer-den noch viele weitere Sendernetze entstehen bzw. werden geplant). 5.3.1. Ziele Welche Ziele verfolgen Kommunen mit der Funkplanung? - Einnahmen für die Kommune (als Eigentümer, indirekt über Unternehmen und

Bürger) - allgemeine Wirtschaftsförderung - Versorgung der Bevölkerung und der Unternehmen als Infrastrukturmaßnah-me - zusätzliche Medienangebote für Information, Unterhaltung, Spaß

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- weite „Notfall“-Information ermöglichen - gesunde Wohnverhältnisse zu gewährleisten (Vorsorge) Die Interessen bei der Funkplanung werden von gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich wahrgenommen, so dass sich daraus zusätzlich parteipolitische Schwerpunkte entwickeln, die Planungen durch wechselnde Anforderungen erschweren können. Der Bedarf nach einer weitgehend parteipolitisch unab-hängigen Arbeitsweise verstärkt die Notwendigkeit und die Bedeutung des Pla-nungsprozesses bei der Einführung von neuen Technologien in der Kommune. Kooperation und Konsens sind Handlungsziele von Politik und Verwaltung. Planung wird deswegen zunehmend zu einem Abstimmungs- und Verhand-lungsprozess, der versucht, Entscheidungen durch Kampfabstimmungen zu vermeiden, um langwierige rechtliche Auseinandersetzungen mit Planungsver-zögerungen zu verhindern. Bürgerproteste entwickeln sich zwar oft aus Befürchtungen über gesundheitli-che Beeinträchtigungen. Sie sind bisher lokal unterschiedlich intensiv, obwohl ein Grundmuster vorhanden ist, welches durch die Mitwirkung von Umweltver-bänden und Bürgerinitiativen geprägt ist. Die Standortauswahl orientiert sich bisher an der Funktechnik bzw. der Über-tragungskapazität und verlangt deshalb große Flexibilität. Kommunale Fachkompetenz wird nur in eingeschränkter Form für die vielen unterschiedlichen Netzanforderungen der Betreiber zur Verfügung stehen. Nach dem bisherigen Vorgehen muss auf Dauer mit erheblichem Zeitaufwand ge-rechnet werden, der zusätzliche Facharbeitskräfte bei der Kommune erfordern würde, die mit hohen Folgekosten verbunden wären. Die Kommune sollte daher grundsätzlich keinen unmittelbaren Funkplanungen übernehmen. Die Planungsinstrumente für die Umsetzung mit den funktechni-schen und betriebswirtschaftlichen Daten existieren nur bei den einzelnen Betreibern. Zudem bestehen teilweise konkurrierende Unternehmensstrate-gien. Daraus resultierende kommunale Planungsfehler würden weitere Konflikte mit Bürgern und Betreibern schaffen. 5.3.2. Interessen Welche Interessen sollen in dem Planungsprozess stärker berücksichtigt wer-den? - von Bürgern und Unternehmen, die diese Kommunikation nutzen wollen - von zum Teil denselben Bürgern und Unternehmen, die aber keinen Sender-

standort in Wohn- oder Aufenthaltsnähe haben wollen - von sensiblen Bürgern, die für sich oder ihre Kinder schwere gesundheitliche

Beeinträchtigungen erwarten Planungen, die diese gegensätzlichen Interessen nicht berücksichtigen, legen bereits die Grundlagen für u. U. schwerwiegende Konflikte innerhalb der Ver-

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waltung, der politischen Gremien, der Bevölkerung bzw. führt im Extremfall zur Frontstellung Bürger gegen Verwaltung und Politik. Die Vertretung der unter-schiedlichen Interessen bei der Funkplanung sollte deshalb transparent erfol-gen. 5.3.3. Kommunikation Welche Kommunikation setzt ein erfolgreicher Planungsprozess voraus? Die Kommunikation über eine Technologie wird erheblich schwieriger, wenn gesellschaftlich über die Auswirkungen große Differenzen bestehen. Die Nutzung der Technologie hat bei Schutzüberlegungen für den eigenen Wohnbereich andere Interessenschwerpunkte, z. B. Schutz von eigenen Kin-dern und kranker Angehörigen. Welcher Bürger will eine Autobahn vor der Haustür, selbst wenn das Auto für ihn ein hohes Statussymbol darstellt? Die üblichen Mittel der Kommune z. B. örtliche Bekanntmachung mit der Abga-be von Stellungnahmen, dem Auslegen von Plänen mit der Gelegenheit zur Äußerung von Anregungen oder durch einen Erörterungstermin wird die Bevöl-kerung überfordern. Die bisherigen Informationsschriften von Behörden und Betreibern führen durch ihre auch für interessierte Normalbürger erkennbare Überbewertung der Vorteile der Technologie und Verharmlosung der gesund-heitlichen Beschwerden eher zur Verschärfung als zu einer Versachlichung der Diskussion. Auch die Informationen von Seiten ablehnender Verbände weisen unterschiedliche Qualität auf, die eine zielführende Diskussion erschweren kön-nen. Bei dieser Betrachtung muss darauf hingewiesen werden, dass bisher weder formelle noch informelle Beteiligungsverfahren von den Betreibern als Bestand-teil eines Kommunikationsprozess für notwendig erachtet wurden und sich dar-aus zwangsläufig erhebliche Kommunikationsdefizite ergeben. Wenn die Vor-aussetzung zum Verstehen der Antwort auf eine Bürgerfrage nur mit einem fachbezogenen Studium gewährleistet werden kann, wird zwangsläufig weit weg vom Bürger gedacht und gehandelt. Bei Sendeanlagen bestehen bisher enge fachliche Schutzkonzepte, die weit hinter sozial angelegten Schutzkon-zepten für andere Umweltbelastungen zurückbleiben. Die öffentlichen Medien berichten in diesem Zusammenhang vielfach in einem "schwarz-weiß"-Schema, die Möglichkeiten einer konstruktiven Teilnahme und Zusammenarbeit an Kommunikationsprozessen eher behindern. 5.3.4. Beteiligung Welche Beteiligung setzt ein erfolgreicher Planungsprozess voraus? In allen öffentlichen Planungsprozessen wirken immer verschiedene Gruppen mit. Funkplanung war bisher in erster Linie Fachplanung der zukünftigen Betreiber, die sich an funktechnischen und betriebswirtschaftlichen Überlegun-gen orientierten, weil die Umweltauflagen ein niedriges Schutzniveau fordern.

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Die bisher meist räumlich fernen Standorte führten nur in wenigen Fällen zu Betroffenheit und Widerstand in der Bevölkerung. Durch den von der Bundespolitik aus volkswirtschaftlichen Überlegungen unter-stützten flächendeckenden Ausbau der Funknetze mit den enormen Kosten (Stichwort UMTS) und den angestrebten hohen Nutzerzahlen blieb der Vorrang der Unternehmensziele erhalten. Zunehmend wurden deshalb von den Betrei-bern im Siedlungsbereich optimale Standorte angestrebt. Die ersten Widerstände wurden nicht als Warnzeichen verstanden, sondern die Verantwortlichen versuchten weiter die Unternehmensziele mit massiven verba-len und rechtlichen Argumenten durchzusetzen. Viel zu spät wurde erkannt, dass diese Vorgehensweise zu unerwünschten und unkontrollierbaren Entwick-lungen führte, die den weiteren Aufbau von Sendeanlagen erschwerten bzw. teilweise verhinderten. Mit technisch nachvollziehbaren Argumenten (der beste Schutz ist unterhalb der Sendeanlage) wurde von den Betreibern selbst ein Schutzszenario mitges-taltet, dass die Bevölkerung wegen fehlender Sachkunde auf Dauer nicht nach-vollziehen konnte. Zeitlich verschoben richteten sich die oberflächlichen Schutzkriterien für die Einzelstandorte gegen die Netzplanung anderer (später auftretender) Betreiber, weil optimale Standorte bereits vergeben waren und zwangsläufig die Alternativstandorte der Argumentation des Erstbetreibers wi-dersprachen. Flächendeckende Planungen betreffen immer die gesamte Bevölkerung, die deshalb wie bei anderen Umweltbeeinträchtigungen zumindest in gleicher Form einzubeziehen wäre. Öffentliche Beteiligung muss alle Flächen (einschließlich angrenzende) der Kommune berücksichtigen. 5.3.5. Planungsfehler Konfliktfälle sollen durch die offensive Netzplanungsstrategie der Kommune zum großen Teil vermieden und vermindert werden. Bei unterschiedlichen Inte-ressen der Beteiligten können Fehleinschätzungen und Zeitdruck zu Planungen führen, die keine breite Akzeptanz erreichen. Konflikte lassen sich auf unter-schiedliche Ursachen zurückführen und können zeitlich versetzt auftreten. Sie sind Bestandteil des Planungsprozesses und werden berücksichtigt. 5.3.6. Zukünftige Kommunikation und Beteiligung „Was will der Bürger heute?“ kann für Planer und die sie beeinflussende Bür-gervertretung nicht der alleinige Maßstab sein. Planung hat die Aufgabe „nach-haltige“ d.h. langfristige gültige Kriterien für die Lösung von abzusehenden Problemen aufzuzeigen. Schwierige Einzelfälle erfordern u.U. mehr Arbeit und größeren Zeitaufwand. Umwelt- und sozialverträgliche Planungen lassen sich nur mit systematischen Vorgehensweisen erreichen, die technische, rechtliche und soziale Vorgaben beachten. Unlösbare Konflikte werden offen gelegt und nicht verdrängt.

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Bei einer Technologie mit hohen Veränderungspotenzialen müssen Schutzprin-zipien eingehalten werden. Planungssicherheit für die Betreiber und das Ver-trauen der Bürger in die Einhaltung der Planungsziele darf nicht unterschiedlich gewichtet werden.

Die rechtlichen Instrumente auf kommunaler Ebene sind stark beschränkt und können nur dann eine konfliktvermindernde Wirkung entfalten, wenn sie im Zu-sammenhang mit freiwilligen Maßnahmen der Betreiber stehen.

6. Planungsumsetzung

6.1. Kommunikation Die Informationen über kommunale Planungen und Beiträge sollten unmittelbar verfügbar sein. Hinweise auf weitere strukturierte Informationen zu den ange-führten Themen sollten nur mittelbar geordnet zur Verfügung stehen, weil der Informationsstand sich rasch ändert. Der Vorwurf bezüglich einseitiger, man-gelnder oder überholter Information durch die Kommune lässt sich dadurch vermeiden. 6.2. Beteiligung bei der Steuerung der Installation von Sendeanlagen Die Kommune erstellt eine (informelle) Rahmenplanung, die diejenigen Gebiete und ihre Schutzbereiche kennzeichnet, die vorrangig von Sendeeinrichtungen freigehalten werden sollen (Wohngebiete, Schulen, Kindergärten, Krankenhäu-ser, Altenheime usw. Vorsorge wird durch Festlegung von Umweltqualitätszie-len erreicht, im konkreten Fall überwiegend durch räumliche Schutzabstände zu Sendeanlagen gewährleistet. Die Netzbetreiber legen eine gemeinsame abgestimmte Grundkonzeption der Sendeanlagenverteilung vor, die eine nach dem Minimierungsprinzip orientierte Versorgung des Gebietes mit (Mobil-) Funk ermöglicht. Voraussetzungen dafür sind Informationen über alle bestehenden und zukünftigen (Mobil-) Sende-anlagen als Kataster (dauerhaft oder zeitweise betriebenen). Um Reserven für weitere Funknetze zu schaffen sind koordinierende Abspra-chen zwischen den verschiedenen Betreibern der zukünftig 10 (Mobil-) Funk-netze und anderer Funknetze, z. B. Sicherheitsdienste, notwendig. Dabei sollen die Vorsorgebereiche und andere zusätzliche elektromagnetische Vorbelas-tungen wie beispielsweise Hochspannungsleitungen in der Nähe von Standor-ten berücksichtigt werden. Kommunen können keine Flächen für (Mobil-)Funkanlagen zur Verfügung zu stellen, oder durch eigene Standortangebote die Schaffung von Schutzberei-chen unterstützen und Einkünfte erhalten. Neutralität durch die Kommune kann dabei unterschiedlich begründet werden. Die einzige Möglichkeit für die Kommunen auf die Standorte der (Mobil-) Funk-sendeanlagen rechtlich begrenzt einzuwirken, kann zur Zeit über die Bauleit-planung erfolgen. Dazu existieren verschiedene Handreichungen.

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6.3. Festlegung der Vorgehensweisen zur Lösung von Konflikten 6.3.1. Planungskonflikte Ein Abgleich der Netzplanungsstrategie von Kommune und Senderbetreiber führt zur Lokalisierung der konfliktträchtigen Bereiche. Bei grundlegenden Inte-ressenunterschieden wird zuerst auf der planerischen Ebene ein Ausgleich ge-sucht, danach auf der politischen Ebene (Bürgervertretung) und als letztes erst auf der Bürgerebene. 6.3.2. Informationskonflikte Wie soll die Bevölkerung über die Errichtung, aber auch die Änderung von Sen-deanlagen informiert werden, allgemein, individuell, politische Vertreter, Bürger-initiative, anerkannte Verbände? Wie erfasst die Kommune (aktiv oder passiv) die Langzeitfolgen und Beschwer-den von unmittelbaren Nachbarn der Senderstandorte? Wer hat Zugriff auf diese Informationen (Verwaltung, Politik, Bürgerinitiativen, Bürger)? 6.3.3. Senderbetriebskonflikte Wie sollen Konflikte nach Betriebsaufnahme über gesundheitliche Folgen ent-schieden werden?

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- Vertragsergänzungen (Musterverträge) und freiwillige Vereinbarungen - Ausschüsse von Betreibern und Kommune (z. B. Runder Tisch) - neutrale Gutachten durch einvernehmliche Benennungen der Sachverständi-gen - gerichtliche Auseinandersetzungen 7. Praxisfragen 7.1. Zentrale/dezentrale Standorte in der Kommune Als entscheidende Frage wird oft von kommunaler Seite das Problem Standort-zahl gesehen. Nur zu Beginn der Netzinstallation stellt die Frage der Standort-zahl eine wichtige Wirtschaftlichkeitsentscheidung dar. Die Betreiber werden bei steigender Nutzerzahl aus Kapazitätsgründen die Anzahl der Stationen vermeh-ren und die Sendeleistungen senken, weil sonst Rückwirkungen durch verstärk-te Störungen bei den eigenen Sendeanlagen entstehen. Wenige zentrale Standorte haben Vorteile. Ein begrenzter Zeitaufwand bei Planung und Umsetzung entsteht, da vorrangig Flächen mit geringer Bewohneranzahl in gewerblich genutzten Gebieten geeig-net sind. Der Verursacher bei auftretenden Beschwerden ist eindeutig zu lokali-sieren, die Beweislast wird einfacher zu erbringen sein. Das angestrebte Vor-gehen schafft größere „freie“ Räume, die die Qualitätsziele einhalten. Indirekt wird durch viele Sendeanlagen an einem Mast die sogenannte Pulsung der e-lektromagnetischen Felder im Umfeld vermindert, die von einigen Wissenschaft-lern als besonderes gesundheitlich bedenklich angesehen wird. Der Nachteil bei einer großen Anzahl von Sendeanlagen an einem Standort liegt in ästhetischen Gründen, zudem können noch funktechnische Gründe in Ballungsräumen auftreten, der stärker belastete Nahbereich weitet sich mit zu-nehmender Senderzahl immer weiter aus, so dass schon von Anfang an mit Zuwachsraten - mindestens über die nächsten 10 Jahre – geplant werden muss. Im Gegensatz zur Pulsung fehlt aus wissenschaftlicher Sicht jegliche Er-fahrung mit der Vielzahl von Sendeanlagen am gleichen Standort. Der gleich-zeitige Betrieb verursacht ein ständiges, sich änderndes Strahlungsspektrum, das bisher ebenfalls noch nicht ausreichend erforscht wurde. Auch bei rein funktechnischen Planungsüberlegungen bleibt die Frage „Wie viele Standorte sind notwendig?“. Die Betreiber richten sich nach örtlich be-dingten und landschaftsbezogenen Voraussetzungen, wenn keine andere Mög-lichkeiten bestehen. Falls ästhetische Gesichtspunkte unkritisch sind, sollte nach wie vor das Zentra-litätsprinzip Vorrang besitzen, wenn die anderen Vorgaben eingehalten werden. Im Außenbereich wird nach dem Naturschutzgesetz ebenfalls eine Minimierung der Umweltbelastungen bei Eingriffen in Natur und Landschaft verlangt, die zwangsläufig zu einer Zentralisierung führt (bezogen auf die Anlagenzahl und Qualität der Beeinträchtigungen). 7.2. Antennen auf Kindergartendächer usw. als beste Schutzmaßnahme?

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Rein technisch betrachtet erfolgt bei den meisten heute eingesetzten Anten-nensystemen unterhalb der Antennen im Nahbereich eine vergleichsweise nied-rige Abstrahlung, mindestens um den Faktor 100 bis 1000 und mehr unter der horizontalen Hauptstrahlrichtung. Antennenanlagen auf Kindergärten usw. stel-len unter diesem Gesichtspunkt eine effektive Lösung zur Minimierung der Grundstücksbelastung dar (ohne zusätzlichen Aufwand). Diese Bewertung gilt unter Umständen nur für das Haus im engen Sinne und nicht für das angrenzende Grundstück. Ohne genaue Antenneninformation kann keine Einzelfallaussage getroffen werden. Genaue Messungen sind mög-lich und sehr aufwändig, wenn große Aufenthaltsbereiche vorhanden sind, weil Streustrahlungen im Nahbereich auftreten können. Emotionale Rücksichten bezüglich Antennenanlagen auf kommunale Einrich-tungen werden mit folgenden Argumenten begründet: Gemeinschaftshäuser werden von allen Bürgern mitfinanziert und sind in ihrem Sinne ihr Eigentum. Nutzungen für andere Zwecke bedürfen eines breiten Grundkonsenses aller Bürger. Daraus werden für andere Nutzungen erweiterte Mitwirkungsrechte abgeleitet. Eine weitere Funktion von kommunalen Einrichtungen wird in der Aufgabe ge-sehen Bürger zusammen zu führen und das Gemeinschaftsgefühl zu stärken. Anlässe, die an diesen Orten Auseinandersetzungen hervorrufen können, wer-den abgelehnt. Kommunale Häuser repräsentieren auch die sie tragende Institution. Entschei-dungen über die Nutzung durch die Repräsentanten zeigen frühzeitig eindeuti-ge Stellungnahmen zu strittigen Fragen auf, die Neutralität und Glaubwürdigkeit der Institution beschädigen können Viele Einrichtungen werden in erster Linie von bestimmten Risikogruppen ge-nutzt, z. B. Kinder, Alte, Kranke, die allgemein emotional stärker geschützt wer-den, weil sie Gefahren nicht selbst erkennen können und auf Veränderungen in der Umwelt sensibler reagieren. Die Nutzung dieser Einrichtungen erfolgt zwangsweise aufgrund gesellschaftlicher Normen oder unter erschwerten Le-bensbedingungen. Zusätzliche Umweltbelastungen werden deshalb als unzu-mutbar angesehen. Neben emotionalen Rücksichten auf die Nutzer des Gebäudes sind oft zusätz-lich noch Beschäftigte und andere Personen (z. B. bei einer Hausmeisterwoh-nung) in die Überlegungen einzubeziehen. Nach dem bisherigen Stand werden oft keine Probleme mit den Arbeitsschutzbestimmungen auftreten, aber sie können nach Erfahrungen nicht immer ausgeschlossen werden. Grundsätzlich sollte gelten: Eine Standortoption auf sensiblen Gebäuden sollte nur dann genutzt werden, falls sie sich aus der kommunalen (Schutz-) Planung ergibt, sie die Qualitätsziele im Aufenthaltsbereich der Nutzer einhält und keine emotionalen Widerstände unmittelbar durch die Gebäudenutzer bzw. deren Vertreter zu erwarten sind.

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7.3. Störungen elektronischer Geräte In den Verträgen wurde bisher der Umgang mit Störungen von elektronischen Geräten unterschiedlich geregelt. Empfindliche elektronische Geräte, z. B. Messgeräte in Schulen und kommunalen Labors usw., werden bereits unterhalb der Personenschutzgrenzwerte in vielen Fällen gestört. Der Sicherheitsabstand (zwischen 2 bis 10 Meter) kann dabei schnell um das Mehrfache überschritten werden. Die Arbeit mit diesen Geräten wird erschwert oder ganz verhindert. Der Nachweis kann meist relativ einfach erfolgen, die Ursachen für die Probleme müssen allerdings nicht unbedingt beim Anlagenbetreiber liegen, so dass er-hebliche zusätzliche Kosten für die Kommune auftreten können. Vertragsrege-lungen, die Störungsfindung und Beseitigung ausschließen, sollten unter die-sem Gesichtspunkt geprüft werden.

Zu meiner Person:

Seit 1983 arbeite ich ehrenamtlich für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND) und bin seit zehn Jahren im Arbeitskreis Immissionsschutz, der sich auch seit dieser Zeit mit den Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf die Umwelt befasst. Die Arbeit wird unter dem Schwerpunkt Vorsorge bzw. „Zukunftsfähigkeit von neuen/komplexen Technologien“ betrachtet.

Beruflich bin ich als Diplomingenieur im Bereich Arbeitsschutz und Messtechnik selbständig tätig. Die Umweltverbände (nicht nur den BUND) vertrete ich in verschiedenen Gremien, z.B. als Mitarbeiter in der deutschen Normungskommission für die Sicherheit in elektromagnetischen Feldern (Deutsche Elektrotechnische Kommission des DIN/VDE), die auch Mitglied der europä-ischen Normungskommission CENELEC ist .