4

Click here to load reader

Ägyptens Revolution

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Bei all den Unsicherheiten gibt es eine Gewissheit: Die Zeiten, da Ägypten als ein Hort der Stabilität galt – und sei es eine trügerische Stabilität – sind vorbei. Wir können davon ausgehen, dass der politische Flächenbrand in Arabien voranschreiten wird. Die Lehren für den Westen liegen auf der Hand: auf Dauer ist mit Autokraten kein Staat zu machen. Realpolitik sollte heute nicht Diktatoren stützen, sondern Demokraten fördern.

Citation preview

Page 1: Ägyptens Revolution

www.freiheit.org I 1

Bei all den Unsicherheiten gibt es eine Gewissheit: Die Zeiten, da Ägypten als ein Hort der Stabilität galt – und sei es eine trügerische Stabilität – sind vorbei. Wir können davon ausgehen, dass der politische Flächenbrand in Arabien voranschreiten wird. Die Lehren für den Westen liegen auf der Hand: auf Dauer ist mit Autokraten kein Staat zu machen. Realpolitik sollte heute nicht Diktatoren stützen, sondern Demokraten fördern.

Ägyptens Revolution

Kairo, 03.02.2011

Bericht aus aktuellem Anlass N° 09/2011 Dr. Ronald Meinardus

Aktuelle Informationen zur Projektarbeit der Stiftung finden Sie unter www.freiheit.org

Das Ausmaß des ägyptischen Aufstandes hat die meisten Beobachter überrascht. Weit verbreitet war die These, Ungehorsam und offener Aufruhr passen nicht zum Naturel des sanftmütigen Ägypters. Auch im Westen haben viele diesem anthropologischen Unsinn vertraut, während die Regierungen sich mit dem Autokraten Mubarak arrangierten. Im Gegenzug für dessen Zusam-menarbeit in der Nahostpolitik und im Kampf gegen den Terrorismus hat die Welt die Augen verschlossen, wenn es um Menschenrechtsver-letzungen und politische Unterdrückung ging.

Obgleich der Volksaufstand am Nil eine genuin nationale Affäre ist und eine auswärtige Einwir-kung nicht stattfindet, spielt die internationale Politik angesichts der enormen geostrategi-schen Bedeutung Ägyptens eine wichtige Rolle. In diesem Teil der Welt geben die USA den Ton

an, und so vergeht kein Tag, ohne dass entwe-der Präsident Barack Obama höchstpersönlich, seine Außenministerin oder aber der Sprecher des Weißen Hauses sich ausführlich zu den Entwicklungen äußern. Dabei wird immer wieder deutlich, dass die Weltmacht den Ent-wicklungen hinterher rennt. Sprach Frau Clin-ton noch vor gut einer Woche von einem sta-bilen Regime Mubarak, verlangt Washington nun den Wechsel, der „jetzt“ zu beginnen ha-be. Gleichwohl sind die Amerikaner nicht be-reit, sich offen und klar gegen Mubarak zu stellen und dessen sofortigen Rücktritt zu ver-langen, wie dieses die Oppositionsgruppen einklagen. In der hiesigen Öffentlichkeit wird das als taktisches Lavieren ausgelegt, das dem ohnehin lädierten Ansehen Amerikas im Lager der Mubarak-Gegner alles andere als nützlich ist. Derweilen verbittet sich die Regierung

Page 2: Ägyptens Revolution

www.freiheit.org I 2

jedwede Einmischung und sagt, die Probleme seien interner Art und von den Ägyptern ohne externes Zutun beizulegen.

Die Europäer – und mit ihnen die Deutschen – spielen in diesen Tagen politisch eine zweitran-gige Rolle. Ihre Appelle sind weitgehend Dupli-kate der Mahnrufe Washingtons, eigene Akzen-te oder Initiativen sind nicht erkennbar. Die Stunde der Europäer wird nach dem Wechsel in Kairo kommen, wenn es darum geht, Pläne für ein neues, dann hoffentlich demokratisches Ägypten zu schmieden – und diese umzusetzen. Wir können davon ausgehen, dass eine demo-kratische Regierung die einseitige Ausrichtung auf die USA überwinden und eine multidimen-sionale Außenpolitik anstreben wird. Hier sind die Europäer – und gerade auch die hierzulande allgemein beliebten Deutschen – gut positio-niert.

Strukturelle Hintergründe

Die eskalierende Revolte kommt keinesfalls aus dem Nichts. Kenner der Szene warnen seit lan-gem, dass die arabische Welt im Angesicht von Massenarbeitslosigkeit, Inflation und politischer Unterdrückung einem brodelnden Kessel gleicht. Zunächst zu den sozioökonomischen Determi-nanten, die auch in anderen arabischen Ländern relevant sind. Jedes Jahr strömen etwa 700 000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Trotz anhaltend hoher Wachstumsraten zwischen fünf und sieben Prozent ist die ägyptische Volkswirtschaft nicht in der Lage, diesen Men-schen angemessene Jobs zu geben. Ein Millio-nenheer von perspektivlosen – und hungrigen – Jugendlichen ist die Folge. In Ägypten tickt so-mit seit vielen Jahren eine demographische Zeitbombe.

Ein zweites Problem, das die Stimmung anheizt sind die hohen Preise – vor allem für Lebens-mittel. Während der Preis für das Grundnah-rungsmittel Brot mit Staatssubventionen nied-rig gehalten wird, sind die Preise für die meisten anderen Lebensmittel in die Höhe geschnellt.

Die sozioökonomische Krise hat ein politisches Pendant: die vorsichtig eingeleitete politische Öffnung wurde im letzten Jahr rückgängig gemacht. Die Parlamentswahlen im Herbst degenerierten zu einer Farce, an deren Ende ein de facto-Einparteienparlament ohne Legi-timität stand. Als Folge blieb den Oppositions-gruppen nur mehr der Weg auf die Straße, um ihren Unmut kundzutun.

Zwei strukturelle Entwicklungen trugen dazu bei, dass dieser Kessel nun in die Luft geflogen ist. Zunächst das Erstarken der Zivilgesell-schaft: in vielen arabischen Ländern sind von der Regierung unabhängige Gruppen und Or-ganisationen entstanden, die nun ein Rückrat der Proteste bilden. Die Verbreitung der Inter-net-gestützten Kommunikationsmittel, die das Meinungsmonopol der staatlichen Propaganda gebrochen haben, ist ein weiterer Faktor. Wie in Tunesien haben in Ägypten Internet-Dienste wie Facebook und Twitter dazu beigetragen, den Aufruhr anzufachen. Als die Regierung kurzerhand das Internet abstellte, war es be-reits zu spät. Moderne Medien sind zwar nicht Auslöser von Revolutionen, sie können aber zur massenwirksamen Ausbreitung der revolu-tionären Stimmung beitragen.

Das Regime in der Defensive

Die anhaltenden Proteste haben das Mubarak-Regime in die Defensive gedrängt. Unter dem Druck der Straße – und den zunehmend lauter werdenden Mahnungen des Auslands – ist es zu Zugeständnissen bereit. Gleichwohl will der „letzte Pharao“ – wie Mubarak auch genant wurde – nicht alle Zügel aus der Hand geben: Als Minimalprogramm will er die Modalitäten des Übergangs und seines eigenen Abgangs mitbestimmen. Davon gejagt zu werden wie andere Despoten, ist für ihn keine Option, das hat er in seiner Ansprache an das Volk am Dienstag deutlich gemacht. Er wolle in Ägyp-ten sterben, sagte der Präsident in einem durchaus emotionalen Ton, wie ihn die Ägyp-ter in dieser Form nicht kannten.

Page 3: Ägyptens Revolution

www.freiheit.org I 3

Die Strategie des Regimes hat ein klares Ziel: Die Menschen sollen glauben, dass nur Mubarak Stabilität bringen kann und – im Kehrschluss – alle anderen Wege ins Chaos führen. Die Kurz-formel „Stabilität oder Chaos“ wird dann auch auf allen Wellenlängen der staatlichen Medien kommuniziert.

Die Perfidität der Mubarak-Politik besteht darin, dass das Regime selbst die Hauptverantwortung für die zunehmende Instabilität trägt: zunächst öffnete die Regierung Gefängnisstore, auf dass die entlassenen Straftäter in der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreiten mögen. Sodann zog sich die gesamte Polizei urplötzlich von den Straßen zurück; schließlich begünstigte - um es vorsichtig zu formulieren – der Sicherheits-apparat am Mittwoch dieser Woche die Atta-cken von Mubarak-loyalen Schlägertrupps, die mit großer Brutalität gegen die friedlichen De-monstranten auf dem Tahrir-Platz zu Felde zo-gen: das Ergebnis der bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten, die die Welt auf den Fern-sehschirmen verfolgen konnte, sind hunderte von Verletzten und viele Tote.

Gleichwohl wäre es eine Vereinfachung – und eine Fehlinterpretation der Machtverhältnisse – anzunehmen, Mubarak könne sich allein auf bezahlte Schlägerbanden und Hooligans stüt-zen. Über drei Jahrzehnte der Diktatur ist ein Millionenheer von politisch Begünstigten an-gewachsen, die von der staatlichen Patronage und dem Klientelismus der Regierungspartei NDP (National Democratic Party) profitiert. Die-se Partei zählt allein über zwei Millionen Mit-glieder; es ist davon auszugehen, dass viele dieser Menschen höchst ungern auf ihre Pfrün-de verzichten.

Die Schlüsselrolle des Militärs

Die zentrale Frage dieser Tage bezieht sich auf die Rolle des Militärs – sie werden allgemein als die Königsmacher tituliert. Noch halten die Ge-neräle zu Mubarak – so zumindest der äußere Schein. Das politische Gewicht der Streitkräfte

ist mit der Regierungsumbildung und der Er-nennung von General Omar Suleiman zum Vizepräsidenten gewachsen. Man könnte von einer schleichenden Militarisierung des Re-gimes sprechen. Hatte das Militär zunächst Anfang der Woche die Anliegen der Demonst-ranten als legitim bezeichnet und erklärt, es werde nicht auf die Protestler schießen, hat sich die Tonlage Mitte der Woche deutlich verändert, als der Armeesprecher die De-monstranten aufforderte, den Tahrir-Platz zu verlassen, nun da ihre Forderungen allgemein bekannt seien. Und als die Kämpfe in der In-nenstadt dann am Mittwoch eskalierten, zo-gen sich die vollends überforderten Truppen zurück und überließen die Innenstadt den sich bekämpfenden Demonstranten und Gegende-monstranten.

Was kommt nach Mubarak?

Die Frage, was nach Mubarak kommt, drängt derweil in den Vordergrund. Nach einem hal-ben Jahrhundert autoritärer Herrschaft fehlen in Ägypten die Grundlagen für eine demokrati-sche Gesellschaft. Die Oppositionsparteien sind schwach. Die Demonstranten eint der Schlachtruf, Mubarak muss weg; doch eine gemeinsame Vision, wie ein demokratisches Ägypten aussehen soll, sucht man vergebens. Unterdessen hat sich ein „Komitee der Zehn“ konstituiert, dem Vertreter mehr oder weniger aller oppositioneller Gruppen und Parteien angehören – darunter auch die liberalen Par-teiführer Dr. Ayman Nour (Al Ghad) und Dr. Osama Ghazali Hard (Democratic Front Party). Dem Komitee gehören ferner ein Vertreter der eher liberalen und traditionsreichen Wafd-Partei sowie Sprecher der Jugendgruppen an. Gleichsam als Dachorganisation eines Groß-teils der demokratischen Opposition fungiert die im letzten Jahr von Mohamed Al Baradei ins Leben gerufene „National Association for Change“. Die in diesen Tagen verstärkt ins Rampenlicht gerückten Muslimbrüder sind sowohl im Zehnerrat wie im NAC vertreten. Diese Gruppen haben Mohamed Al Baradei zu

Page 4: Ägyptens Revolution

www.freiheit.org I 4

ihrem Sprecher berufen. Zunächst gab es auch ein zweites Oppositionsbündnis aus Al Wafd, sozialistscher Tagammu-Partei und Nasseristen – alle diese Parteien gehören zur „offiziellen“ Opposition und hatten – nicht ganz überra-schend – das Angebot zum Dialog mit dem Re-gime anfänglich angenommen. Es gibt Informa-tionen, dass diese Parteien nach den Straßen-schlachten am Mittwoch nicht länger bereit sind, mit der Regierung zu sprechen, solange Mubarak im Amt ist. In diesen Stunden ist vie-les im Fluss – doch der politische Trend weist in Richtung Verhärtung: Auch die Regierung hat ihre Position revidiert und sagt jetzt, sie werde erst mit den Oppositionsgruppierungen spre-chen, nachdem die Demonstrationen aufgehört haben. Damit ist nicht zu rechen: Für Freitag haben die Organisatoren neue Massenproteste angekündigt.

Ende der Stabilität

Bei all den Unsicherheiten gibt es eine Gewiss-heit: Die Zeiten, da Ägypten als ein Hort der Stabilität galt – und sei es eine trügerische Stabilität – sind vorbei. Wir können davon aus-gehen, dass der politische Flächenbrand in Ara-bien voranschreiten wird. Die Lehren für den Westen liegen auf der Hand: auf Dauer ist mit Autokraten kein Staat zu machen. Realpolitik sollte heute nicht Diktatoren stützen, sondern Demokraten fördern.

Impressum Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Bereich Internationale Politik Referat für Querschnittsaufgaben Karl-Marx-Straße 2 D-14482 Potsdam