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AGILE PERSONEN- ZERTIFIZIERUNGEN: MÖGLICHKEITEN UND VERGLEICHE anderen Verbänden, da diese erst seit 2009 bzw. Ende 2011 auf dem Markt vertreten sind. Die Verbreitung der Prüfungsinhalte erfolgt bei der Scrum Alliance und beim PMI durch die Registered Educational Partner (REPs), also Firmen, die einen Partnerstatus erlangt haben. Scrum.org Die agilen Methoden und hier insbesondere Scrum haben in den letzten Jahren massiv Einzug in Unternehmen gehalten. Obwohl sie sehr einfach zu verstehen sind, bedarf es bei der Einführung und Umsetzung eines gewissen Know-hows. Als Person kann man dieses Know-how nachweisen, indem man sich zertifizieren lässt. Die beiden bekanntesten Zertifikate sind der „ScrumMaster“ und der „Scrum Product Owner“. Jedes Jahr erlangen über 50.000 Personen weltweit eines dieser Zertifikate. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die aktuellen Möglichkeiten der agilen Personen-Zertifizierungen der relevanten Fachverbände. 34 35 bauende Zertifikate an. Ähnlich handhabt es Scrum.org, die insgesamt vier Zertifikate im Programm hat, die jedoch in zwei Fällen geteilt sind. Beim PMI kann man nur ein Zertifikat erwerben. Bei den bislang seit 2002 ausgegeben agi- len Personen-Zertifikaten liegt naturgemäß die Scrum Alliance deutlich vor den beiden Die Fachverbände Mit dem Entstehen des Agilen Manifests im Jahr 2001 etablierte sich die Scrum Alliance (vgl. [Scr]) als Anbieter von Scrum-Trainings und -Zertifikaten. Wäh- rend in den ersten Jahren nur wenige Zerti- fizierungen vorgenommen wurden (in 2002 waren es 6, in 2003 waren es 346 welt- weit), ist die Zahl der Personen-Zerti- fizierungen in den letzten Jahren stark angestiegen: Allein im Jahr 2011 wurden 53.155 neue Zertifikate von der Scrum Alliance erteilt. Zahlen, die sich nur auf Deutschland beziehen, liegen nicht vor, es kann aber von etwa 5.000 Neu-Zertifi- zierten in 2011 ausgegangen werden. Im August 2009 gründete Ken Schwaber, der schon die Scrum Alliance mit Jeff Sutherland in Leben gerufen hatte, Scrum.org (vgl. [ScOrg]). Hintergrund der Neugründung war die – seiner Meinung nach – zu starke Kommerzialisierung der Scrum Alliance. Scrum.org bietet ähnliche Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Personen-Zertifizierung wie die Scrum Alliance. Als weiterer Fachverband trat das Project Management Institute (PMI) (vgl. [PMI12]) Ende 2011 mit einem eigenen agilen Personen-Zertifikat auf dem Markt. Das PMI ist im klassischen Projektmanage- ment mit dem Project Management Pro- fessional (PMP) bereits seit den 90er Jahren erfolgreich, hatte aber bis 2011 im agilen Umfeld wenig zu bieten. Allen drei Verbänden ist gemeinsam, dass ihre Ursprünge in den USA liegen (sie- he Tabelle 1) und dass sie als Non-Profit- Organisationen (NPOs) eingestuft werden. Die Scrum Alliance bietet derzeit sechs ver- schiedene, aber zum Teil aufeinander auf- schwerpunkt Horst Peterjohann ([email protected]) ist selbstständiger Berater und Trainer für Projektmanagement und Requirements- Engineering in München. Seine langjährigen Erfahrungen, speziell in IT-Projekten, helfen ihm und Unternehmen, die individuell passenden Methoden für das jeweilige Projekt zu finden und einzusetzen. der autor Tabelle 1: Vergleich der Fachverbände für agile Personen-Zertifikate.

AGILE PERSONEN- ZERTIFIZIERUNGEN: MÖGLICHKEITEN UND · geteilt sind. Beim PMI kann man nur ein Zertifikat erwerben. Bei den bislang seit 2002 ausgegeben agi-len Personen-Zertifikaten

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AGILE PERSONEN-

ZERTIFIZIERUNGEN:

MÖGLICHKEITEN UND

VERGLEICHE

anderen Verbänden, da diese erst seit 2009bzw. Ende 2011 auf dem Markt vertretensind.

Die Verbreitung der Prüfungsinhalteerfolgt bei der Scrum Alliance und beimPMI durch die Registered EducationalPartner (REPs), also Firmen, die einenPart nerstatus erlangt haben. Scrum.org

Die agilen Methoden und hier insbesondere Scrum haben in den letzten Jahren massiv Einzugin Unternehmen gehalten. Obwohl sie sehr einfach zu verstehen sind, bedarf es bei derEinführung und Umsetzung eines gewissen Know-hows. Als Person kann man dieses Know-hownachweisen, indem man sich zertifizieren lässt. Die beiden bekanntesten Zertifikate sind der„ScrumMaster“ und der „Scrum Product Owner“. Jedes Jahr erlangen über 50.000 Personenweltweit eines dieser Zertifikate. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die aktuellenMöglichkeiten der agilen Personen-Zertifizierungen der relevanten Fachverbände.

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bauende Zertifikate an. Ähnlich handhabtes Scrum.org, die insgesamt vier Zertifikateim Programm hat, die jedoch in zwei Fällengeteilt sind. Beim PMI kann man nur einZertifikat erwerben.

Bei den bislang seit 2002 ausgegeben agi-len Personen-Zertifikaten liegt naturgemäßdie Scrum Alliance deutlich vor den beiden

Die FachverbändeMit dem Entstehen des Agilen Manifests imJahr 2001 etablierte sich die ScrumAlliance (vgl. [Scr]) als Anbieter vonScrum-Trainings und -Zertifikaten. Wäh -rend in den ersten Jahren nur wenige Zerti -fizierungen vorgenommen wurden (in 2002waren es 6, in 2003 waren es 346 welt-weit), ist die Zahl der Personen-Zerti -fizierungen in den letzten Jahren starkangestiegen: Allein im Jahr 2011 wurden53.155 neue Zertifikate von der ScrumAlliance erteilt. Zahlen, die sich nur aufDeutschland beziehen, liegen nicht vor, eskann aber von etwa 5.000 Neu-Zertifi -zierten in 2011 ausgegangen werden.

Im August 2009 gründete Ken Schwaber,der schon die Scrum Alliance mit JeffSutherland in Leben gerufen hatte,Scrum.org (vgl. [ScOrg]). Hintergrund derNeugründung war die – seiner Meinungnach – zu starke Kommerzialisierung derScrum Alliance. Scrum.org bietet ähnlicheMöglichkeiten und Rahmenbedingungender Personen-Zertifizierung wie die ScrumAlliance.

Als weiterer Fachverband trat dasProject Management Institute (PMI) (vgl.[PMI12]) Ende 2011 mit einem eigenenagilen Personen-Zertifikat auf dem Markt.Das PMI ist im klassischen Projektmanage -ment mit dem Project Management Pro -fessional (PMP) bereits seit den 90er Jahrenerfolgreich, hatte aber bis 2011 im agilenUmfeld wenig zu bieten.

Allen drei Verbänden ist gemeinsam,dass ihre Ursprünge in den USA liegen (sie-he Tabelle 1) und dass sie als Non-Profit-Organisationen (NPOs) eingestuft werden.Die Scrum Alliance bietet derzeit sechs ver-schiedene, aber zum Teil aufeinander auf-

schwerpunk t

Horst Peterjohann

([email protected])

ist selbstständiger Berater und Trainer für

Projektmanagement und Requirements-

Engineering in München. Seine langjährigen

Erfahrungen, speziell in IT-Projekten, helfen ihm und

Unternehmen, die individuell passenden Methoden

für das jeweilige Projekt zu finden und einzusetzen.

der au tor

Tabelle 1: Vergleich der Fachverbände für agile Personen-Zertifikate.

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kennt diese Struktur nicht – hier wird dasKnow-how über Trainer weitergereicht.Die Anzahl der REPs und Trainer sind beider Scrum Alliance und bei Scrum.org nochüberschaubar (siehe Tabelle 1), währenddas PMI aufgrund der durch die klassi-schen Projektmanagement-Trainings ent-standenen Strukturen auf eine vielfachhöhere Zahl verweisen kann.

MitgliedschaftenFirmenmitgliedschaften sind bei allen dreiFachverbänden nicht möglich. Die ScrumAlliance bietet ebenso wie das PMI persön-liche Mitgliedschaften an: Bei beiden Fach -verbänden ergeben sich aus der Mit -gliedschaft Vorteile bei der Zertifizierungund der notwendigen Rezertifizierung (d. h.einer Zertifikatsverlängerung nach einerbestimmten Anzahl von Jahren). Das PMIkann auf eine sehr hohe Mitgliederzahl ver-weisen, da bei der Mitgliedschaft die klas-sischen Projektmanager mitzählen.

Die beiden „reinen“ Scrum-Verbändehaben ihre Schwerpunkte erkennbar in derSoftwareentwicklung – eine Übertragungauf Nicht-IT-Projekte findet kaum statt.Das PMI kann seine Wurzeln ebenfallsnicht verleugnen und stellt das klassischeProjektmanagement in den Vordergrund.

Die Zertifizierungender Scrum AllianceDie Scrum Alliance kennt sechs Personen-Zertifizierungen, deren Bezeichnungen mitCertified Scrum (CS) beginnen und diedann die eigentliche Beschreibung enthal-ten (siehe Abbildung 1). Am bekanntestenund auch am häufigsten nachgefragt ist dasZertifikat Certified ScrumMaster (CSM),wobei ScrumMaster bewusst zusammengeschrieben wird (CamelCase-Notation).

Der CSM gehört neben dem CertifiedScrum Developer (CSD) und dem CertifiedScrum Product Owner (CSPO) zu denZertifikaten, bei denen keine anderenZertifikate oder Scrum-Erfahrungen vorabverlangt werden, sondern der Besuch einesTrainingskurses als ausreichend für dieErteilung angesehen wird. Diese Trai -ningskurse dauern zwei bis drei Tage – imAnschluss muss man für den CSM eineOnline-Prüfung bestehen, beim CSD undCSPO erhält man das Zertifikat direktohne weiteren Know-how-Nachweis.

Die Scrum Alliance sieht den CertifiedScrum Professional (CSP) als das zentraleZertifikat. Um es zu erlangen, muss einesder drei Einstiegs-Zertifikate (CSD, CSModer CSPO) bereits erworben worden sein.Dann kommen Trainingskurse hinzu, dieinsgesamt sechs Tage umfassen müssen unddie zusammen mit dem Nachweis von2.000 Stunden Scrum-Erfahrung zur On -line-Prüfung berechtigen, mit deren Be -stehen dann das Zertifikat erlangt wird.

Möchte man sich noch weiter in Scrumfortbilden, hilft die Scrum Alliance mit denCertified Scrum Coach (CSC) und demCertified Scrum Trainer (CST) weiter, beidenen aber eine aktive Mitarbeit in denScrum-Com munities vorausgesetzt wird. InAbbildung 1 ist beispielhaft der Ausbildungs -weg vom CSM zum Certified Scrum Trainerhervorgehoben.

Insgesamt wirkt der Aufbau der Zerti -fizierungen der Scrum Alliance uneinheit-lich:

■ Bei zwei Zertifikaten müssen keine Prü -fungen abgelegt werden (CSD undCSPO).

■ Bei zwei Zertifikaten sind Online-Prüfungen notwendig (CSM und CSP).

■ Bei den beiden am höchsten bewertetenZerti fikaten (CSC und CST) werdenpersönliche Bewertungen benötigt.

Ähnlich sieht es mit der Rezertifizierungaus: Während der CSD und der CSPO nichtrezertifiziert werden müssen, sondernlebenslang ihre Gültigkeit behalten, werdenbei den anderen vier Zertifikaten Rezerti -fizierungen nach zwei bis drei Jahren ver-langt, deren Kosten und Aufwand rechtunterschiedlich sind.

Da die Scrum Alliance mindestens denBesuch eines Trainingskurses zur Erlan -gung eines der Zertifikate voraussetzt,müssen für ein Personen-Zertifikat derzeitin Deutschland mindestens 1.400 Euro aus-gegeben werden.

Die Zertifizierungenvon Scrum.orgDas Zertifizierungsschema von Scrum.orgkennt – ähnlich wie das der Scrum Alliance

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Abb. 1: Die drei Zertifizierungsstufen der Scrum Alliance.

Abb. 2: Die Zertifizierungen von Scrum.org.

Der Vergleich der Standard-ZertifizierungenDie Zertifikate mit dem jeweils höchstenZuspruch (Standard-Zertifikate) der dreiVerbände sind einander in Tabelle 2 gegen-übergestellt.

Voraussetzungslos sind der CSM derScrum Alliance und der PSM von Scrum.orgzu erlangen, allerdings ist beim CSM einSchulungskurs verpflichtend. Das gilt auchfür den PMI-ACP, für den ebenso wie beiden beiden anderen Zertifikaten eine(Online-)Prüfung abgelegt werden muss –jedoch stellen die beim PMI-ACP notwendi-gen Nachweise über die ihm Vorfeld zuerbringenden Stunden „Mitarbeit in Pro -jekten“ eine Hürde dar.

Die Prüfung selbst wird sowohl beimCSM als auch beim PSM am eigenen PCdurchgeführt, während für den PMI-ACPein Testzentrum der Firma Prometric auf-gesucht werden muss, die in Deutschlandin vielen Städten zu finden sind. DieZertifizierungsprüfungen aller drei Verbän -de können derzeit nur in englischer Sprache

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bereits zertifizierte Projektmanager (desPMI) einen vereinfachten Zugang erhalten.Das ist insbesondere für die weltweit etwa500.000 PMPs interessant.

Der Nachweis der Projekterfahrungerfolgt durch die eigene Angabe von ent-sprechenden Projekten. Die Projekte undProjekttätigkeiten müssen bestimmtenKriterien genügen, die dann auch überprüf-bar sind. Das PMI behält sich vor, hierzuRückfragen zu stellen.

Die Inhalte der Zertifizierungsprüfungbasieren auf elf Büchern zur Agilität und zuScrum (unter anderem von Schwaber undCohn). Der dreitägige Vorbereitungskursvermittelt ein breites Spektrum von„Methoden, Wissen und Fähigkeiten“, dasdeutlich über Scrum hinausgeht. ZurPrüfungsvorbereitung sollten neben derAbsolvierung des Kurses noch zusätzlicheStunden für das Selbstlernen veranschlagtwerden.

Für die Erlangung des PMI-ACPs müssenin Deutschland mindesten 2.000 Euro (davon1.600 Euro für den Kurs) angesetzt werden.

– drei Einstiegszertifikate, deren Bezeich -nung mit Professional Scrum beginnen (sie-he Abbildung 2). Es gibt:

■ den Professional ScrumMaster (PSM)■ den Professional Scrum Product Owner

(PSPO) und■ den Professional Scrum Developer

(PSD).

Sowohl das PSM- als auch das PSPO-Zertifikat sind zweigeteilt: So kann man fürden PSM zunächst voraussetzungslos undohne Besuch eines Trainings eine Online-Prüfung (am eigenen PC) ablegen, dieschon zu dem Zertifikat „PSM I“ führt.Möchte man das PSM-II-Zertifikat erhal-ten, wird neben dem Ablegen einer weite-ren Online-Prüfung der Besuch einesTrainings verlangt.

Scrum.org ist stark auf die Software -entwicklung fokussiert. Das zeigt sich ins-besondere beim PSD, der jeweils .NET-oder Java-Entwickler ansprechen soll. DerWeg zur Erlangung des PSD ist ähnlich demzur Erlangung des PSPO.

Zum Einstieg bietet Scrum.org einenzweitägigen Kurs mit der BezeichnungProfessional Scrum Foundations (PSF), derzwar zu keinem Zertifikat führt, aber beider Etablierung von Scrum-Teams helfensoll, da er das Grundverständnis liefert.

Möchte man schließlich ProfessionalScrum Trainer (PST) werden, so muss manPSM oder PSD sein (ein PSPO reicht nicht)und bei den jeweiligen Prüfungen einebesonders hohe Punktzahl erreicht haben.Der Besuch von mindestens einem Trainingbei Ken Schwaber ist verpflichtend.

Da für den PSM I ein Schulungskursnicht notwendigerweise vorausgesetztwird, kann das Zertifikat für 100 US-Dollar erworben werden. Es entstehenauch keine Folgekosten, da bei Scrum.orgkeine Rezertifizierung vorgesehen ist.

Die Zertifizierung des PMIDas PMI bietet mit dem PMI-ACP (AgileCertified Practitioner) nur eine agile Zerti -fizierung an. Zur Erlangung des Zertifikatsmüssen 3.500 Stunden Projekterfahrungnachgewiesen werden, die in den letztenJahren erworben wurden. Diese unterteilensich in 2.000 Stunden Mitarbeit in klassi-schen Projekten innerhalb der letzten fünfJahre und 1.500 Stunden in agilen Pro -jekten innerhalb der letzten drei Jahre. Dasbedeutet, dass reine Scrum-Entwicklernicht zugelassen werden, andererseits

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Tabelle 2: Die Zertifizierungen im Vergleich.

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abgelegt werden, die reinen Prüfungskostenbewegen sich zwischen 100 und 500 US-Dollar.

Die Prüfungsdauer und die Anzahl derFragen variieren leicht, die Fragen werdendurchweg im Multiple-Choice-Verfahrengestellt. Durchfallquoten wurden bislangnicht veröffentlicht, dürften aber bei allendrei Fachverbänden eher niedrig sein.

Bei Scrum.org entstehen nach derZertifikatserteilung keine weiteren Auf -wände oder Kosten – das Zertifikat istunbegrenzt gültig. Das PMI verlangt alledrei Jahre einen Rezertifierungsnachweis.Dieser wird über so genannte ProfessionalDevelopment Units (PDUs) erbracht: Manmuss im Rezertifzierungszeitraum durchden Besuch von Kursen (bei den REPs) oderdurch aktive „Arbeit auf dem Gebiet“ ent-sprechende Punkte sammeln. Die ScrumAlliance plant, ein ähnliches PDU-System2013 einzuführen.

Obwohl die Inhalte und die zu Grundeliegende Literatur weitestgehend gleichsind, können die von den Fachverbändenvergebenen Zertifikate nicht übertragenwerden: Hat man ein Zertifikat einesVerbands erlangt, so wird es von den ande-ren Verbänden nicht anerkannt. Daher soll-te man sich im Vorfeld einer Zertifizierungüberlegen, welches Zertifikat im eigenenKontext am besten geeignet ist.

Welche Zertifizierungpasst für wen?Fängt man gerade an, sich mit Scrum zubeschäftigen, so kann ein Zwei- bis Drei-Tageskurs mit Zertifizierung helfen, dieBegriffe und Prozesse einzuordnen. Dabeibietet sich der ScrumMaster der ScrumAlliance oder von Scrum.org an. Da maninzwischen bei beiden Fachverbänden einePrüfung ablegen muss und die Inhaltesowie Kosten vergleichbar sind, ist derwesentliche Unterschied in der Rezertifi -zierung zu sehen: Ist diese, beispielsweiseaus Kosten- oder Zeitgründen, nicht mög-lich, so ist der PSM der Scrum.org ersteWahl.

Ist man bereits mit agilen Methodenbestens vertraut und setzt diese ein, so brin-gen die Basis-Zertifikate eventuell eineneue Sichtweise auf das eigene Tun. Eineweitere, inhaltliche Auseinandersetzungkann aber erst mit den nachgelagerten, auf-wändigeren Kursen und Zertifikaten erfol-gen. Welche hier auszuwählen sind, hängtdavon ab, welchen Schwerpunkt und wel-che Rolle man aktuell und zukünftig im

eigenen Umfeld hat. Eine generelleEmpfehlung kann daher nicht ausgespro-chen werden.

Die Projektleiter und -manager, diebereits eine Zertifizierung im (klassischen)Projektmanagement besitzen, müssen häu-fig einen nicht unerheblichen Aufwandbetreiben, um die Gültigkeit diesesZertifikats aufrecht zu erhalten (vgl. z. B.[Pet12]). Kommen nun agile Themen hin-zu, so sollten diese sich in den bereits vor-handenen Kontext einfügen, denn ein überJahre erworbenes Know-how wird in derRegel nicht einfach ignoriert werden kön-nen. Ist man bereits über das PMI zertifi-ziert, bietet sich die Quali fikation zumPMI-ACP an, da sich die Inhalte in denPMI-Rahmen einfügen und die Rezerti -fizierung dann fast automatisch mit erfolgt.Die Gesellschaft für Projekt management(GPM) wie auch PRINCE2 als weit ver-breiteter PM-Standard haben derzeit keineagilen Zertifizierungs möglichkeiten imAngebot, sodass hier die agile Zertifi -zierung nebenher erfolgen muss.

Zertifizierungen inUnternehmenViele kleinere Unternehmen, gerade in derSoftwareentwicklung, haben ihre Entwick -lungsprozesse auf Scrum und andere agileMethoden umgestellt. Die Mitarbeiter sindoftmals zertifiziert, meistens alsScrumMaster, etwas weniger häufig alsProduct Owner (PO). Vielfach ist einehohe Zertifizierungsquote ein Marketing-Argument für Unternehmen, denn darüberwird (vermeintlich) eine agile Vorgehens -weise nachgewiesen: Dies hilft sowohl beider Kunden- als auch bei der Personal -akquise (vgl. [Glo11]).

Dennoch muss man sich fragen, wasPerso nen-Zertifikate den Firmen nebendem Verkaufsaspekt inhaltlich bringen. DieScrum-Begriffe und -Prinzipien sind rechteindeutig definiert und einfach zu erlernen;Abläufe können in der beruflichen Praxisbesser – gegebenenfalls mit Hilfe vonCoachs – trainiert werden. Letztlich bleibtals Argument das Schaffen einer einheit-lichen Begriffswelt stehen. Ob dies dieFirmen weiterhin dazu bringt, ihreMitarbeiter zu zertifizieren und anschlie-ßend auch zu rezertifizieren, bleibt abzu-warten.

Die großen Unternehmen in Deutschlandagieren eher zögerlich, was breit-gestreuteZertifizierungsprogramme in RichtungScrum und Agilität angeht. Man hört von

einigen Personalentwicklern, dass sie der-zeit eigene, interne agile Qualifizierungs -wege aufbauen, die an keine (externen)Zertifikate gebunden sind. Warum ist dasso? Mehrere Gründe können genannt wer-den: Obwohl vielfach erkannt wird, dassman sich agilen Methoden nicht verschlie-ßen kann, dominieren die klassischen, eta-blierten Vorgehensweisen. Bevor nicht klarist, wie sich diese mit agilen Methoden ver-binden lassen, um darüber Mehrwerte fürdas Unternehmen zu erzielen, wird auchnicht im größeren Maße in dieser Richtungtrainiert und zertifiziert. Ein noch schwer-wiegenderer Punkt ist die Ausrichtung derbeiden Scrum-Fachverbände auf dieSoftwareentwicklung. Unternehmen oderUnternehmensbereiche, die mit Software -ent wicklung weniger zu tun haben, treffenauf Trainer, die im Wesentlichen auf dieSoftwareentwicklung fokussiert sind,sodass Missverständnisse vorprogrammiertsind. Daher wird auf eigenes, angepasstesKnow-how gesetzt und auf externe Zerti -fizierungen verzichtet.

Obwohl die Inhalte von Agilität undScrum weitestgehend bekannt und definiertsind, gibt es derzeit keine Norm oderStandards, die als Basis für den Einsatz unddie interne Qualifikation in Unternehmenherangezogen werden können. Stattdessenwird eine Reihe von Themen und Inhaltengenannt, die in vielen Büchern vertiefendbehandelt werden – reine Lehrbücher exis -tieren jedoch nicht. Obwohl das für einejunge Disziplin wie Scrum nicht unge-wöhnlich ist, erschwert dieser Umstand dieUmsetzung in Unternehmen, die gerne aufBewährtes und Etabliertes zurückgreifen.Betrachtet man die Einführung von klassi-schem Projektmanagement in den großenUnternehmen in den letzten 20 Jahren, sosind Parallelen zum derzeitigen Stand beiden agilen Methoden zu erkennen. Dasmittlere Management und die etabliertenProjektleiter und -manager haben in denletzten Jahren das Projektmanagement inden Unternehmen getragen und vorange-trieben, werden aber vielfach als Blockiererbei der Einführung von Scrum und anderenagilen Methoden gesehen. Um die dort vor-handene Skepsis zu beseitigen und denÜbergang von klassischen, etablierten zuagilen Ansätzen zu ermöglichen, müssenauch Karrierepfade aufgebaut werden, dieden bisherigen nicht widersprechen.

Eine mögliche neue Rollenzuteilung –beim Wechsel von klassischer zu agilerSichtweise – mit entsprechenden Zertifika -

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ten ist in Tabelle 3 dargestellt. DerScrumMaster als Einstiegszertifikat kannvon allen Mitarbeitern erworben werden,reicht aber für diejenigen, die an derSchnittstelle zwischen Produkt und Projektarbeiten, eventuell nicht aus: Hier greiftdann die Rolle des PO mit der entsprechen-den Zertifizierung.

Fazit und AusblickZurzeit gibt es eine große Anzahl von agi-len Personen-Zertifikaten, die von dreiFachverbänden herausgegeben werden.Sicherlich kann man die Frage stellen, obagile Zertifizierungen generell sinnvoll sind– das gilt aber genauso für andere, weit ver-breitete Zertifizierungen im Projektumfeld(wie Projektmanager oder Tester) und soll

an dieser Stelle nicht bewertet werden.Möchte oder muss man sich zertifizieren,so gilt es festzustellen, welches Zertifikatdas geeignetste ist. Um dies zu beantwor-

ten, müssen das Unternehmensumfeld unddie Planung der persönlichen Weiterent -wick lung mit betrachtet werden – eine ein-fache Empfehlung gibt es in der Regelweder für Personen noch für Unternehmen.

Die agilen Fachverbände befinden sichderzeit im Umbruch, sodass man nichtgenau abschätzen kann, welchen Aufwandman betreiben muss, um zukünftig eineQualifizierung und Zertifizierung zu erlan-gen und zu erhalten – einen Masterpfadgibt es auch hier nicht. Andererseits sinddie fachlichen und finanziellen Hürdenbeim Einstiegszertifikat „ScrumMaster“nicht sonderlich hoch, sodass man hieransetzen kann, ohne zu riskieren, vielfalsch gemacht zu haben.

Dennoch gilt: Eine agile Personen-Zertifizierung ist kein Selbstzweck, auchwenn sie einfach zu erwerben ist: Die geleb-te Praxis ist im Zweifel wichtiger als ein(nett anzuschauendes) Zertifikat. ■

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Literatur & Links

[Glo11] B. Gloger, A. Häusling, Erfolgreich mit Scrum – Einflussfaktor Personalmanagement:

Finden und Binden von Mitarbeitern in agilen Unternehmen, Hanser 2011

[Pet12] H. Peterjohann, Übersicht Projektmanagement-Zertifizierungen, 2012, siehe: peterjohann-

consulting.de/_pdf/peco-pm-zertifizierungen.pdf

[PMI12] Project Management Institute (PMI), PMI Agile Certified Practitioner (PMI-ACP), 2012,

siehe: pmi.org/en/Certification/New-PMI-Agile-Certification.aspx

[Sc.org] Scrum.org, Professional Scrum Programs by Scrum.org, siehe: scrum.org/programoverview

[Scr] Scrum Alliance, Learn Scrum Basics, siehe: scrumalliance.org/pages/scrum_certification

Tabelle 3: Etablierte und mögliche neue Rollen.