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AGORA 42 Das philosophische Wirtschaftsmagazin Ausgabe 01/2014 | Deutschland 8,90 EUR Österreich 8,90 EUR | Schweiz 13,90 CHF Alles gleich, nur anders? Revolution oder Restau- ration? Wirtscha neu denken? Kapitalismus – alternativlos? Change-Management: die neue Routine? Veränderung – Ich bin doch nicht blöd! AUSGABE 01/2014 VERÄNDERUNG

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Alles gleich nur anders? Revolution oder Restauration? Wirtschaft neu denken? Kapitalismus – alternativlos? Change-Management: die neue Routine? Veränderung – Ich bin doch nicht blöd!

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Das philosophische Wirtschaftsmagazin

Ausgabe 01/2014 | Deutschland 8,90 EURÖsterreich 8,90 EUR | Schweiz 13,90 CHF

Alles gleich, nur anders? ! Revolution oder Restau-ration? ! Wirtscha" neu denken? ! Kapitalismus – alternativlos? ! Change-Management: die neue Routine? ! Veränderung – Ich bin doch nicht blöd!

AUSGABE 01/2014

VERÄNDERUNG

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T E R R A I N

THier werden Begri! e,

" eorien und Phänomene vorgestellt, die für unser gesellscha# liches

Selbstverständnis grundlegend sind.

— 8DIE AUTOREN

— 9Georg W. F. HegelAn das württem-bergische Volk

— 12Michael HirschDer Kampf um den Primat der Politik

— 15Bernd VillhauerBürokratie und Chaos

— 19Ulrike HerrmannDie Revolution, die keiner bemerkte

— 22Michael HampeJenseits des Umkehrpunktes

— 26Bettina RöderGlaube vs. Markt

— 29Bernd HammMedien

— 33EXTRABLATT

— 34PORTRAITMohandas Karamchand Gandhi (von Andreas Jurowich)

— 42KLEINANZEIGEN

— 3 EDITORIAL

— 4 INHALT

— 96AUS DER REDAKTION

— 98IMPRESSUM

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INHALT

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H O R I Z O N TI N T E R V I E W

HIAuf zu neuen Ufern! Wie lässt sich

eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete

Veränderungen herbeiführen?

— 58Reinhard BlomertWarum gibt es keine Weltzentralbank?

— 66Armin PetrasWozu brauchen wir das?

— 70Wolfram BernhardtJames Bond und das Ende der Geschichte

— 74WEITWINKEL! omas Kilpper

— 80FRISCHLUFTGeld & WachstumszwangWald & GeldKonsum & VerantwortungMensch & Widerstand

— 86LAND IN SICHTStadtistenRegenbogenfabrikWhistleblowers UKRevolutionskinderWir sind Revolution

— 94GEDANKENSPIELEvon Kai Jannek

— 44Die kreative Zerstörung des MeschenbildsInterview mit Peter Spiegel

agora 42 Inhalt

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Hier werden Begri!e, "eorien und Phänomene vorgestellt,

die für unser gesellscha#liches Selbstverständnis grundlegend sind.

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Hier werden Begri!e, "eorien und Phänomene vorgestellt,

die für unser gesellscha#liches Selbstverständnis grundlegend sind.

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MichaelHirsch Dr. Michael Hirsch ist Philo-soph und Politikwissenscha! -ler. Lehrau! räge, Vertretungs-professuren und Gastdozentu-ren an diversen Universitäten und Kunsthochschulen. Lebt als freier Autor und Dozent in München. Zuletzt von ihm erschienen: Warum wir eine andere Gesellscha! brauchen! (LOUISODER Verlag, 2013).— Seite 12

UlrikeHerrmann Ulrike Herrmann ist Wirt-scha! skorrespondentin der „tageszeitung“ (taz). Sie ist aus-gebildete Bankkau" rau und hat Geschichte sowie Philoso-phie studiert. Im September 2013 erschien ihr Buch Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Kri-sen (Westend Verlag).— Seite 19

Georg W. F. HegelGeorg Wilhelm Friedrich Hegel war zuletzt Professor für Philosophie an der Uni-versität von Berlin. Dort lehrte er Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes. Er ist Autor zahlreicher be-kannter und ein# ussreicher Werke und Schri! en wie beispielsweise Phänomenolo-gie des Geistes, Wissenscha! der Logik, oder Wer denkt abstrakt?— Seite 9

BettinaRöderBettina Röder, Journalistin, ist Redakteurin im Hauptstadt-büro der Zeitschri! Publik-Forum und Mitglied der Bun-despressekonferenz.— Seite 26

BerndVillhauerBernd Villhauer, Ausbildung zum Industriekaufmann, Studi-um der Philosophie, Alten Ge-schichte und Kunstgeschichte; Tätigkeit als wissenscha! licher Mitarbeiter/Dozent sowie im Lektorat verschiedener Verlags-unternehmen. Zurzeit Leiter des Lektorats in einer wissenscha! -lichen Verlagsgruppe. Initiator der Reihe „Klüger wirtscha! en“ am Weltethos-Institut Tübingen.— Seite 15

BerndHammBernd Hamm war von 1977 bis 2008 Professor für Soziologie, Stadt- und Regionalforschung und Nachhaltige Entwicklung an der Universität Trier. Letzte Buchpublikationen: Kulturim-perialismus (Kai Homilius Verlag, Berlin 2011); Umweltka-tastrophen (Metropolis Verlag, Marburg 2011).— Seite 29

AndreasJurowichAndreas Jurowich studiert Geschichte und Philosophie in Tübingen und ist Redakteur bei der agora42.— Seite 34

MichaelHampeMichael Hampe ist Professor für Philosophie im Department für Geistes-, Sozial- und Staa-teswissenscha! en an der ETH Zürich. Anfang 2014 erscheint sein neues Buch Die Lehren der Philosophie. Eine Kritik im Suhrkamp Verlag.— Seite 22

An das württembergische

Volk

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DIE AUTOREN

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An das württembergische

Volk

Text: Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Die Menschen sind über den derzeitigen Zustand der Gesell-scha! besorgt. Das Staatsgebäude ist unhaltbar geworden. Der Wunsch nach einem freieren und gerechteren Leben ist groß. Wenn eine Veränderung geschehen soll, so muss aber auch tat-sächlich etwas verändert werden. Es ist also an der Zeit, sich von den alten Verhältnissen zu verabschieden und sich mutig und selbstlos für eine gerechtere Gesellscha! einzusetzen.

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Text: Bernd Villhauer

Bürokratie und Chaos

— Schumpeter über die

„schöpferische Zerstörung“

Wie sehen Ökonomen die Veränderung? Mit welchen Konzepten und Begri!en beschreiben sie den beständigen Wechsel? Unter den großen Wirtscha"sdenkern hat Joseph Alois Schumpeter (1883–1950) sicherlich die Fragen des Neuen und der Innovation am stärksten in den Mittelpunkt seiner Überlegungen gestellt.

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HOMO OECONOMICUS

In Abwandlung von Homo sapiens (von lateinisch homo = Mensch und sapiens = weise) bezeichnet Homo oeconomicus („Wirtschaftsmensch“) in der Wirtschaftstheorie das Modell eines ausschließlich nach wirtschaftli-chen Gesichtspunkten denkenden und handelnden Menschen. Der Homo oeconomicus handelt rational, ist auf die Maximierung des eigenen Nutzens bedacht und vollständig über das Marktgeschehen informiert.

B erühmt wurde Schumpeter für die Beschreibung des Phänomens der „schöpferischen Zerstörung“,

einem Begri!, der 1942 zum ersten Mal au"aucht und in den ö!entlichen Diskus-sionen unvermindert präsent ist. Damit ist der Prozess der Umwälzung und Neu-schöpfung gemeint, der im kapitalistischen Wirtscha"ssystem dafür sorgt, dass Unter-nehmen untergehen und gleichzeitig die Voraussetzungen für den Aufstieg neuer Unternehmen gescha!en werden. Diese konstruktive Destruktion wurde gleich-sam zum Kennzeichen von Schumpeters Denken, seinem intellektuellen Alleinstel-lungsmerkmal:

„Dabei fällt es nicht schwer, ein schumpe-terianisches Programm zu erkennen, ganz gleich, auf welcher Ebene man danach sucht: der des Unternehmers, des Betriebs, der Branche oder des ganzen Landes. Auf all diesen Ebenen besteht Schumpeters Lackmustest darin, ob die Akteure nach Innovation streben und schöpferische Zer-störung betreiben. Ist das der Fall, dann ist ihr Programm schumpeterianisch, an-dernfalls nicht.“ (#omas K. McGraw: Joseph A. Schumpeter. Eine Biographie. Murmann Verlag, Hamburg 2008, S. 203)

Schumpeter hielt diese „schöpferische Zerstörung“ für eine der Grundlagen des Kapitalismus, der daher nie als stabiles System im Gleichgewicht gedacht wer-den dürfe. Kapitalismus und ständige Revolutionierung der Verhältnisse sind untrennbar miteinander verbunden. Um diese wechselha"e und quecksilbrige Ge-mengelage zu beschreiben, müssen wir die wichtigsten dauerha"en Krä"e und Poten-ziale in einem sich dauernd verändernden geschichtlichen Prozess verstehen. Dieser Prozess folgt keiner klaren Entwicklungs-logik, ist ungeordnet und enthält auch lange Phasen des reinen Chaos. Konstant bleiben aber die kreativen Fähigkeiten des Menschen. Schumpeters besonderes Talent liegt darin, die ökonomischen Verhältnisse immer als historische und zugleich sozio-logische zu lesen und so den Menschen in

einen realen Kontext der Abhängigkeiten zu stellen, anstatt ihn zum abstrakten Homo oeconomicus eines Rechenmodells zu machen. Vielleicht greifen deshalb auch heute immer wieder Leser nach seinem großar-tigen Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie. In ihm wird die Wirtscha"s-geschichte nicht als Abfolge von Wirt-scha"smodellen beschrieben, sondern als Anthropologie und Soziologie des wirt-scha"enden Menschen, der in einer cha-otischen Welt Inseln der Rationalität und Verlässlichkeit scha$. Und dies kann er nur, weil er den Mut zur Veränderung hat.

Kapitalismus – zum Untergang verurteilt

Kreative und mutige Einzelpersönlichkei-ten erkennen in glücklichen Augenblicken die Chancen, die die Marktentwicklung bietet – im Kern der Schumpeterschen Wirtscha"ssoziologie steht die Unterneh-merpersönlichkeit. Ohne sie bleibt von der „schöpferischen Zerstörung“ nur die Zer-störung. Und er beschreibt mit Unbehagen eine Zeit, in der die Kreativität durch die Macht gigantischer Bürokratien begrenzt wird. Aber kann man das verhindern? Tatsächlich sieht Schumpeter den Unter-gang des Kapitalismus als etwas Notwen-diges. Dieser untergräbt nämlich genau die kreativen und produktiven Krä"e, die ihn selbst hervorgebracht und am Leben erhalten haben. Allerdings ist zweifelha", ob etwas Besseres nach ihm kommt – denn Schumpeters Beschreibungen eines alter-nativen Systems (in seiner Zeit als Sozialis-mus beschrieben) klingen nicht sonderlich sympathisch und anstrebenswert. So ist es für Schumpeter ausgemacht, dass sich die sozialistische Weiterentwicklung der kapitalistischen Ökonomie mit der uns bekannten Form der freiheitlichen Demo-kratie nur schlecht verträgt. In den riesi-gen Apparaten und Bürokratien, die der Sozialismus vom Kapitalismus erben soll, herrscht der Technokrat, nicht der mündi-ge Bürger, der an das Gemeinwohl denkt und die Freiheiten der Mitbürger sichert.

agora 42 Bernd Villhauer

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Glaube vs. Markt

— Wo in der Kirche

Widerstand wächst

Text: Bettina Röder

„In der Gesellscha! herrscht die Meinung vor: ‚Es gibt keine Alternative zu Wirtscha!swachstum.’ Als Christen sagen wir: ‚Es gibt keine Alternative zu Alternativen.’“ (Initiativkreis „Anders wachsen“)

agora 42 Bettina Röder

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„Die Sache mit der Reudnitzer Brauerei in Leipzig, das war Wahnsinn und wieder so ein

Erlebnis der besonderen Art“, sagt Chris-tian Führer. „Das war so wie im Herbst 1989.“ Er war in den Nächten der friedli-chen Revolution Pfarrer an der Leipziger Nikolaikirche. Die Friedensgebete vor den Montagsdemonstrationen dort wurden weit über Deutschland hinaus bekannt; sie sind zum Symbol der Friedlichen Re-volution geworden. Doch wurden sie nach 1989 nicht beendet, es gab sie auch nach der Einheit und es gibt sie bis heute. „Wir bekamen wieder Zulauf, als die Menschen merkten, dass das Leben im Westen mehr als nur ein Spaziergang ins Berliner No-belkau!aus KaDeWe ist“, sagt Christian Führer. Das galt auch für die Arbeiter der Reudnitzer Brauerei, die 1997 abwickelt werden sollte. Sie kamen zu Christian Füh-rer und sagten „Leute, ihr habt schon so viel erreicht. Uns steht das Wasser bis zum Hals. Könnt ihr Friedensgebete für uns ab-halten?“ Der Getränkekonzern Brau und Brun-nen in Dortmund, der das Unternehmen von der Treuhand aufgekau" hatte, kam in Schwierigkeiten und wollte die Brauerei schließen – obwohl die Reudnitzer Brau-erei schwarze Zahlen schrieb und die 170 Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Gehäl-ter verzichtet hatten. „Wir nehmen diese Ungerechtigkeit nicht hin. Die Brauerei arbeitet weiter“, hatte Christian Führer in den Friedensgebeten verkündet. Das machte Schlagzeilen. Und war peinlich obendrein. Die Kirche, die sich gegen das DDR-Unrecht aufgelehnt hatte, tat es nun wieder im Hinblick auf den hochgepriese-nen freien Markt. Der Vorstandsvorsitzen-de in Dortmund trat zurück. Nach einem Vierteljahr kam die befreiende Nachricht: Die Brauerei Reudnitz steht nicht mehr zur Disposition. Heute ist sie ein hochmoder-ner Arbeitgeber. Das war nur ein Beispiel für die Kra" der Friedensgebete an Niko-lai. Sie richteten sich auch gegen den Irak-krieg, die unselige Verquickung von Wirt-scha" und Rüstung, den Wachstumswahn.

Revolution – noch einmalChristian Führer aber geht es um mehr. „Der zweite Teil der Friedlichen Revoluti-on steht noch aus“, ist er überzeugt. Das ist auch das Motto der Sti"ung Friedliche Re-volution, die er mitbegründet hat. Sie will die Ereignisse nicht ins Museum stellen, sondern den Geist vom Herbst 1989 für heute fruchtbar machen. Die Forderung nach einer gerechten Wirtscha"sordnung, die Menschen nicht unter die Räder kom-men lässt, gehört dazu. „Wir müssen nach Alternativen zur heutigen Wirtscha"-spraxis Ausschau halten. Weil sonst alles lebensunfähig wird“, sagt der #eologe. „Wir brauchen eine Wirtscha"sform der Zukun", eine solidarische Ökonomie, die die Jesus-Mentalität des Teilens praktiziert: Das Teilen von Bildung, Arbeit, Einkom-men und Wohlstand; eine Ökonomie, in welcher der Mensch als Ebenbild Gottes an erster Stelle steht und nicht Geld und Pro-$t.“ Der Globalkapitalismus treibe uns mit seiner „Wurzelsünde, dem hemmungslo-sen Pro$tstreben und der Anstachlung der Gier“ in den Abgrund. Dem müsse gegen-gesteuert werden. So weit, so gut, aber wie soll das gehen? „Da haben wir im Rücken diese wun-derbare Alternative der friedlichen Revo-lution, wo auch kein Mensch gedacht hat, dass so was möglich ist“, sagt Christian Führer. Schnell ist er bei all jenen, „die heute vom Status quo pro$tieren und so-fort im Chor schreien: Es geht nur so, wie es jetzt geht.“ Wie gut, „dass es schon jetzt Menschen gibt, die in kleinen Gruppen aufstehen.“ Er verweist auf die Initiative „Anders wachsen“, die er als einer der ers-ten mit unterschrieben hat. Einer ihrer Gründer ist Walter Lechner, der als Pfarrer im sächsischen Frauenhain tätig ist. In seiner Gemeinde erlebe er im-mer mehr Menschen, die ausbrennen. Da wäre zum Beispiel die junge Mutter. Sie würde gern die ersten Monate nach der Geburt ihres Kindes daheim bleiben. Doch das geht nicht. „Wir müssen beide arbeiten“, sagt sie, „sonst fallen wir un-ter den Sozialhilfesatz und %iegen aus

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Portrait

Mohandas Karamchand

Gandhi—

King of Change

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Mohandas Karamchand

Gandhi—

King of Change

Text: Andreas Jurowich

Es ist zweifellos unmöglich, Gandhis gesamte Philosophie und sein tatenreiches Leben in einem kurzen Porträt wie diesem darzustellen, da alleine die Sammlung seiner Schri!en 90 dicke Bände füllt. Warum aber überhaupt ein Porträt über den großen indischen Freiheits- und Friedenskämpfer in der agora42 – einem philosophischen Wirtscha!smagazin? Und warum in der Aus-gabe zum "ema Veränderung? Natürlich zum einen, weil er eine Person ist, der für unmöglich gehaltene Veränderungen herbei- geführt hat. Zum anderen, weil Gandhi uns gerade in ökonomi-scher Hinsicht durch die Radikalität seines Vorgehens neue Perspektiven aufzeigen kann.

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»Wahrhaftige Ökonomie verletzt niemals höchste ethische Standards, sowie alle wahrhaftige Ethik, sofern sie diesen Namen verdient, gleichzeitig auch immer eine gute Ökonomik sein muss.«

Die Freiheit von der britischen Kolonialherrscha! erkämp!en sich die Inder durch ihre wilde Entschlossenheit, trotz aller erfahrenen Gewalt friedlich zu bleiben und somit die moralisch Überlegenen in dieser Auseinandersetzung zu bleiben. Letztendlich kapitulier-ten die Briten aber nicht, weil sie die friedlichen Methoden von Gandhi beeindruckten, sondern weil dieser sie mit seinen Aktionen ins Mark traf: in deren pro"tables Geschä! mit der indischen Kolonie. Indirekt geschah dies auch dadurch, dass er mit seinem Vor-gehen die Weltö#entlichkeit gegen die Briten au$rachte und sie fürchten mussten, dass ihnen aus diesem Reputationsverlust auch ökonomische Nachteile entstehen würden. Gleichzeitig skizzierte er eine völlig neue Form der Ökonomie. Der neueste Boom um die Ökonomie des „Sharing“ hätte ihn nicht sonderlich überrascht, propagierte er doch schon vor 100 Jahren eine Ökonomie des Teilens, der Unabhängigkeit und eines Konsums in Maßen. Gandhi ist vielen ausschließlich als Philosoph des Friedens bekannt. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass Gandhi auch als großer Ökonom wahrgenommen wird. Und nicht nur das. Die zeitgenössische Literatur wartet bereits mit Buchtiteln auf wie Gandhi – der CEO, was die Vermutung nahelegt, dass er mittlerweile nicht nur als %eoretiker, sondern auch als Mensch der Praxis mit großen Führungsqualitäten, als „Macher“ entdeckt worden ist. Und in der Tat: Für Gandhi waren %eorie und Praxis untrennbar miteinander verbunden.

Gandhi und die ÖkonomieGandhi vertrat eine Reihe von ökonomischen Ansätzen und Prinzipien, deren Aktualität bemerkenswert ist. Ganz besonders dann, wenn es darum geht, das Wohlergehen aller und nicht nur einiger weniger in den Fokus zu stellen. Zunächst ist da das Prinzip des Swadeshi zu nennen: Heimische Güter sind impor-tierten Gütern prinzipiell vorzuziehen, selbst wenn damit Mehrkosten verbunden sind. „Be Indian, buy Indian“ wurde ein bekannter Slogan. In diesem Zusammenhang ist auch Gandhis Eintreten für eine dör&iche oder kommunale Autarkie sowie für eine dezen-tralisierte Ökonomie zu sehen. Darüber hinaus propagierte er die restriktive Nutzung von Maschinen, die nur dort zum Einsatz kommen sollen, wo die Aufgabe nicht durch menschliche Arbeitskra! erledigt werden kann. Für Letzteres sprach sich Gandhi nicht aus, weil er fortschritts- oder technikfeindlich eingestellt war, sondern weil er befürchte-te, die Eigentümer der Produktionsmittel würden diese allein zu dem Zweck einsetzen, ihren Reichtum zu mehren – was irgendwann unweigerlich Massenarbeitslosigkeit und die Armut eines Großteils der Bevölkerung zur Folge hätte. Als Antwort auf die mit dem Massenkonsum verbundenen Probleme baute er auf eine Beschränkung der Wünsche und Begehrlichkeiten. Jeder solle nur konsumieren, was er auch wirklich brauche. Mit dieser Beschränkung des individuellen Konsums setzte Gandhi eine ganz andere Priorität als der schottische Moralphilosoph und Be-gründer der klassischen Nationalökonomie Adam Smith (1723–1790), demzufolge die Nutzenmaximierung des Einzelnen automatisch auch immer einen Nutzenzuwachs für die Gesellscha! als Ganzes hervorbringt. Gandhi hingegen sah das Problem, dass diese

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Nutzenmaximierung des Einzelnen, sofern ihr keine Grenzen aufgezeigt werden, zu einer enormen Verschwendung von Ressourcen führt – was gesamtgesellscha!lich mehr Nach-teile als Vorteile mit sich bringt. Weil es den Produzenten von Gütern primär um ihre Pro"te geht – und eben nicht um das Wohlergehen der gesamten Gesellscha! –, würden sie immer mehr produzieren, als es der Fall wäre, wenn jeder nur das konsumiert, was er auch wirklich braucht. Gleichzeitig entstehen durch die Pro"te der großen Unternehmen riesige Machtasymmetrien in der Wirtscha! – es kommt zu Monopolen und Kartellen, was zur Folge hat, dass sich der gesamtgesellscha!liche Mehrwert auf den Mehrwert für eine kleine Elite reduziert. Insofern ist Gandhis Vorstellung einer sinnvollen Ökonomie am ehesten mit moder-nen wohlfahrtsökonomischen Ansätzen vergleichbar, bei denen dem Staat die P#icht zu-gewiesen wird, mittels ordnungspolitischer Interventionen die größten Ungleichgewichte in der Wirtscha! zu beseitigen. Allerdings ist der Staat für ihn kein Allheilmittel, da die politischen Entscheidungsträger o! durch privatwirtscha!liche Interessen korrumpiert werden. Darüber hinaus wird ihr Handeln häu"g durch pures Selbstinteresse bestimmt, das heißt das Interesse am Erhalt der eigenen Macht. All dies produziert – in einer wohl-fahrtsorientierten Kosten-Nutzen-Analyse – unnütze Ausgaben und Aufwendungen. Daher ergibt für Gandhi eine Wirtscha!spolitik nur dann Sinn, wenn die soziale Per-spektive in den Fokus der Nutzenmaximierung des Individuums gestellt wird. Er nennt dies Savordaya: Das Individuum muss sich an ethischen Prinzipien ausrichten und stän-dig danach streben, den ethischen Ansprüchen in zunehmenden Maße gerecht zu wer-den. In Gandhis Worten: „Alle Ökonomie, die moralische Grundsätze ignoriert, ist nicht wahrha!ig. Wahrha!ige Ökonomie verletzt niemals höchste ethische Standards, sowie alle wahrha!ige Ethik, sofern sie diesen Namen verdient, gleichzeitig auch immer eine gute Ökonomik sein muss.“ Gandhi erkennt an, dass es Unterschiede bei den Eigentumsverhältnissen gibt, doch sieht er – gemäß dem Grundsatz „Eigentum verp#ichtet“ – alle Eigentümer moralisch in der P#icht, dieses nicht nur zur Steigerung ihres persönlichen Nutzens, sondern zum größtmöglichen Nutzen aller einzusetzen. Gandhi nennt dies „Treuhänderscha! des Ei-gentums“. Festzuhalten bleibt Gandhis grundlegende Überzeugung, dass die Menschen bei sich selbst anfangen müssen, wenn sie eine gesellscha!liche Veränderung wollen. Wenn das Individuum sich nicht selbst überwindet, bleibt alle $eorie Utopie.

Leben und PrinzipienGegen Ende des 19. Jahrhunderts war Indien eine britische Kronkolonie und befand sich in einem Zustand ökonomischer Versklavung durch das Empire. Im äußersten Westen Indiens, dem heutigen Westgujarat, wurde am 2. Oktober 1869 Mohandas Karamchand Gandhi als Sohn einer ein#ussreichen und wohlhabenden Familie aus der Kaste der Kau#eute (Vaishya) geboren. Mahatma (große Seele) wurde er erst später von seinen An-

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Die kreative Zerstörung des Menschenbilds

–Interview mit Peter Spiegel

Fotos: Duncan Smith

Peter Spiegel

Peter Spiegel wurde am 8. Juni 1953 in Würzburg geboren. Er studierte von 1974 bis 1980 Soziologie an der Univer-sität Regensburg, absolvierte danach eine Buchhändlerlehre und war neun Jahre beim Verlag C. H. Beck tätig.

Unternehmungen (Auswahl)

1985 gründete Spiegel die Horizonte Ver-lags GmbH (seit 2006: Terra Media Verlag),

für die er bis 2007 als Verleger tätig war. 1994 erfolgte die Gründung der internatio-nalen Nichtregierungsorganisation Terra e.V., deren Ziel die Entdeckung und Förde-rung von Projekten ist, die sich auf beson-ders innovative Weise mit der Lösung von drängenden sozialen und ökologischen Problemen befassen. Im Jahr 2003 war Spiegel Mitgründer des Komitees für eine demokratische UNO (KDUN), das sich für eine Demokratisierung und Stärkung der Vereinten Nationen einsetzt, und ist dort seither Vorstandsmitglied. 2007 rief er den VISION SUMMIT ins Leben, einen inter-nationalen Kongress, auf dem Konzepte für die Lösung drängender gesellschaft-licher Probleme wie Armut, Klimawandel und Ressourcenknappheit ausgewählt und vorgestellt werden. 2008 gründete er das GENISIS Institute for Social Innovati-on, das sich grundlegend mit den Mög-lichkeiten der Übernahme gesellschaftli-cher Verantwortung durch Unternehmen auseinandersetzt. Seit der Gründung ist Spiegel Institutsleiter und Geschäftsfüh-

rer. Zuletzt initiierte er die Gründung von Bildungsstifter e.V., eines Vereins, der sich für die Förderung und Entfaltung mensch-licher Potentiale einsetzt (Mai 2013).

Bücher (Auswahl)

- Faktor Mensch. Ein humanes Weltwirt-schaftswunder ist möglich. Ein Report an die Global Marshall Plan Initiative. Horizonte Verlag, Stuttgart 2005

- Kyoto PLUS. So gelingt die Klimawende. Nachhaltige Energieversorgung plus globale Gerechtigkeit. Verlag C.H. Beck, München 2006

- Eine bessere Welt unternehmen. Wirtschaft im Dienst der Menschheit – Social Impact Business. Herder Verlag, Freiburg 2011

- Schmetterlingseffekte. Meine verrückte Bildungsbiografie. Murmann Verlag, Hamburg 2013

Die kreative Zerstörung des Menschenbilds

–Interview mit Peter Spiegel

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Interview

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Herr Spiegel, Sie entwickeln schon seit vielen Jahren Strategien für einen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft. Hier sehen Sie sich umgeben von zahlreichen Stars aus Rock und Pop – wie wollen Sie die Wirtschaft rocken?

Ich mache mir seit meiner Jugend Gedanken darüber, wie die Gesellscha! sozialer gestaltet werden kann. Irgendwann kam ich darauf, dass man dabei eine Beziehung zur Wirtscha! au"auen muss. Denn die Wirtscha! hat den Raum, den ihr Politik und Zivilgesellscha! überlassen haben, nur zu gerne ausgefüllt und ist somit zu einer gesellscha!lichen Instanz geworden, die man nicht ignorieren kann, wenn man ernstha! etwas verändern will. Je mehr ich mich mit der Wirtscha! beschä!igte, desto klarer wurde mir, dass es so etwas wie die Wirtscha! gar nicht gibt. Zwar gibt es so etwas wie ökonomische Prinzipien, aber letzt-lich sind es immer Menschen, die ökonomische Prinzipien annehmen oder verändern und die die daraus abgeleiteten wirtscha!lichen Prozesse ausführen. Es sind Menschen, welche die Prinzipien aufstellen und ihnen dadurch Gültigkeit verleihen, dass sie nach ihnen han-deln. Insofern besteht für mich der Königsweg darin, Menschen davon zu überzeugen, dass eine andere Haltung in Bezug auf die Art und Weise, wie wir wirtscha!en, sinnvoll wäre.

Sie sind Leiter des Genisis Instituts, welches das Ziel verfolgt, eine neue soziale Kultur zu etablieren. Dabei spielt das Konzept des Social Busi-ness eine große Rolle. Was kann man sich darunter konkret vorstellen?

Als Paradebeispiel kann man die von Muhammad Yunus in Bangladesch gegründete Grameen Bank anführen, deren Konzept sich grundsätzlich von anderen Banken unter-scheidet und für das er 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Folgende Überlegung ging der Gründung dieser Bank voraus: In der Regel ist es so, dass gerade die-jenigen keinen Kredit für eine unternehmerische Tätigkeit bekommen, die ihn am drin-gendsten benötigen – das heißt jene Personen, die keine Sicherheiten vorweisen können. Der riesige Verdienst von Yunus besteht nun darin, dass er diese scheinbare Wahrheit – „Man braucht eine Sicherheit, um als kreditwürdig betrachtet zu werden“ – einfach igno-riert und Kredite an Personen vergeben hat, die keinerlei Sicherheiten anbieten konnten. Nach vielen Jahren der Konzepterprobung hat er schließlich ein Modell entwickelt, bei dem die Rückzahlungsquote der nicht besicherten Kredite sogar besser ist als bei Kredi-ten, für die Sicherheiten hinterlegt wurden. Social Business bedeutet, unternehmerisches Handeln als gesellscha!lichen Au!rag zu verstehen – und nicht auf die maximale Renditesteigerung zu reduzieren. Wirtscha! im Dienst des Menschen statt umgekehrt. Wenn man unternehmerisches Handeln so versteht, dann erö#nen sich plötzlich auch Lösungsansätze für Probleme, die bislang als unlösbar galten. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne ein weiteres Beispiel anführen, das im Zusammenhang mit der Grameen Bank steht: Ausgerechnet die Ärmsten der Armen zahlen o! die höchsten Preise für Energie – sofern sie überhaupt Zugang zu Energie haben. Diese Missstände wurden lange ignoriert oder bestenfalls im Rahmen vereinzelter Projekte karitativer Organisationen oder der Entwicklungshilfe an-gegangen. Indem man nun in Bangladesch den Ärmsten der Armen günstige und speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Solaranlagen zur Verfügung gestellt sowie den Kauf über einen Kredit $nanziert hat, wurde erreicht, dass sich Solaranlagen dort so schnell wie in keinem anderen Land der Welt verbreiten – über zwei Millionen Haushalte versor-gen sich bereits mit Solarenergie, zu letztlich erheblich geringeren Kosten als bei jenen Energieformen, zu denen sie zuvor Zugang hatten.

In Bangladesch herrscht große Armut, von einem Sozialsystem wie in Deutschland kann keine Rede sein. Inwiefern ist es möglich, das Kon-zept des Social Business auf ein Land wie Deutschland zu übertragen?

Social Business in seiner ursprünglichen Bedeutung ist tatsächlich schwer auf hiesige Verhältnisse übertragbar. Natürlich gibt es auch hier Bereiche, wo man es anwenden kann, diese sind jedoch überschaubar. Wenn man aber eine Ebene tiefer geht und sich die Frage stellt, was der Impuls war, das Konzept des Social Business zu entwickeln, ö#net

Das Interview wurde geführt in der LON Rockstar Photo Gallery (www.longdensmith.com).

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Peter Spiegel

Auf zu neuen Ufern! Wie lässt sich eine andere gesellschaftliche

Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen

herbeiführen?

Auf zu neuen Ufern! Wie lässt sich eine andere gesellschaftliche

Wirklichkeit denken, wie lassen sich konkrete Veränderungen

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Im Frühjahr 1932 gründete der Arzt, Schriftsteller und Linksintellektuelle Friedrich Wolf in Stuttgart den „Spiel-trupp Südwest“. Die Agitprop-Thea-tertruppe bestand aus schwäbischen Laiendarstellern und hatte sich zum Ziel gesetzt, im Industriezentrum Würt-temberg gegen den aufkommenden Faschismus zu agitieren. Für Friedrich Wolf, der bald darauf als kommunis-tischer Jude aus Deutschland fliehen musste, war Theater ein Mittel unmit-telbarer gesellschaftlicher Verände-rung. „Kunst als Waffe“ heißt einer seiner berühmten Vorträge vor dem Arbeiter-Theaterbund.

Die Idee, mit dem Medium des Theaters den Lauf der Geschichte zu verändern, erscheint uns heute merkwürdig und fremd; die Texte dieser Generation von Theatermachern sind Lichtjahre von uns entfernt. Trotzdem sind die Fragen ge-blieben: Was ist Kunst? Was ist überhaupt Theater und wozu brauchen wir Kunst?

Text: Armin Petras

Wozu brauchen wir das?

Jeder Mensch ist ein Künstler, sagte Beuys, und mein ewiger Lieblingskünst-ler Martin Kippenberger antwortet zehn Jahre später darauf in seiner ironischen, U-Bahneingänge auf der ganzen Welt installierenden Art, jeder Künstler ist ein Mensch – und verweist damit auf das Ende des in seinem Elfenbeinturm sitzen-den Künstlerideals, der aus seinem Geni-us heraus für sich selbst und die anderen ewige Wahrheiten produziert. Mein derzeitiger Lieblingskünstler San-tiago Sierra bezahlt Drogenabhängige dafür, dass sie sich eine Linie auf den Rücken tätowieren lassen und so neben-einander gestellt eine quasi Life-Mauer-zaun-Performance des Ausgeschlossen-seins aus dieser Gesellschaft darstellen. Kunst ist erst einmal nichts außer Refle-xion über die Gesellschaft, über unser Le-ben, deren Abbild in konzentrierter Form.

Aber wozu brauchen wir das? Zuerst einmal würde ich sagen, brauchen wir das gar nicht. Wir brauchen Essen,

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Wozu brauchen wir das?

einen anderen Menschen, einen Ort zum Schlafen, ein paar Sachen zum Anzie-hen, eine Tätigkeit, eine soziale Struktur, vielleicht das Gefühl, in einer Gruppe zu sein, gewollt zu werden. Vielleicht je-manden, der einem die Hand hält, wenn man stirbt. Das ist schon einmal sehr viel mehr, als viele Menschen auf dieser Erde jemals bekommen. Dann aber geht es sehr schnell, dass einer eine Blume malt oder einer anfängt zu tanzen. Es geht sehr schnell, dass jemand sein Unglück beschreibt oder jemand versucht, aus ei-nem Schrei ein Lied zu machen.

Aber wozu können wir das gebrauchen? Um dem Alltag zu entfliehen? Um gese-hen zu werden? Um uns zu verständigen, über unsere Ängste, die Visionen? Um uns jeden Tag wieder neu klar zu ma-chen, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen kann?

Das erste Theater der Welt fand sicher in einer Höhle statt. Männer hatten Drogen

genommen und tanzten um ein Feuer herum, um sich Mut zu machen, Mut für die Jagd auf riesige Tiere oder den Nachbarstamm am darauffolgenden Tag. Ihre Schatten tanzten an der Wand der Höhle und jemand fing an, die Büf-fel oder Säbelzahntiger an die Wand zu malen. Vielleicht waren die Tiere aber gar keine Tiere, sondern ihre Götter, die nicht menschlich dargestellt werden durften. Vielleicht waren die ersten Thea-terzuschauer ihre Frauen oder die gefes-selten Gegner, die hinter dem Feuer im Zuschauerraum saßen. Vielleicht wurden sie nach dem Theaterstück zerrissen, ge-braten und gegessen oder sie gingen am nächsten Morgen mit auf die Jagd und wurden so Teil der Gruppe. In jedem Fall aber ging es den Spielenden darum, sich selber ein Bild von der Welt zu machen, etwas auszuprobieren, ein Labor sozialer Fantasie zu entwickeln. Und das ist es, so denke ich, was Kunst heute noch kann: die Regenerationsfähigkeit von Gesell-schaften verbessern.

agora 42Wozu brauchen wir das?

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James Bond und das Ende

der Geschichte—

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Text: Wolfram Bernhardt

Es muss sich etwas ändern. Darin stimmen alle überein, ob Wirt-schaftsbosse, Politelite, linke Intellektuelle, Konservative, die Stammtischparolenschwinger. Allein, man weiß nicht, was – und auch nicht, wie das gehen sollte. Natürlich kann man an dieser Stelle den ewigen Klassiker Grundlegung zur Metaphysik der Sit-ten von Immanuel Kant zur Hand nehmen, beantwortet er darin doch die Frage „Was soll man tun?“. Wem Kant zu kompliziert ist, der kann sich auch an Karl Stromberg oder Hugo Drax halten.

Denn Karl Stromberg oder Hugo Drax sind Männer, die kurzerhand das Ruder selbst in die Hand nehmen. Man könnte meinen, dass bei-de von der Studie Die Grenzen des Wachstums (1972) des Club of Rome inspiriert wurden, stimmten beide doch dahingehend mit der Studie überein, dass es so nicht weitergehen könne. Mit „so“ meinen beide den fatalen Umgang der Menschen mit dem Planeten Erde. Zu viele Menschen, zu viel Zerstörung, zu viel Raubbau, zu viel Feind-schaft. Die Hoffnungen, die die Humanisten und die Befürworter der Aufklärung hatten, dass die Menschheit sich weiterentwickeln könne, dass ein verantwortlicher Umgang mit der Natur und ein friedliches Miteinander der Völker möglich sind, schienen sich 1977 in Luft auf-gelöst zu haben. Denn zu dieser Zeit überlegte sich Karl Stromberg, die Menschheit durch ein paar Atombomben von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen und auf dem Meeresboden eine neue Zivi-lisation zu schaffen: Atlantis. Nicht nach unten, sondern nach oben zog es 1979 Hugo Drax, einen Milliardär aus Kalifornien, der einige auserwählte Menschen mit Spaceshuttles ins All beförderte, während er durch spezielle Bomben die Erdbevölkerung ausrotten wollte. Der Clou: Die Bomben waren gefüllt mit dem Gift einer seltenen Or-chidee, das zwar die Menschen tötet, Flora und Fauna hingegen keinen Schaden zufügt und so das natürliche Gleichgewicht wie-derherstellen soll. Allerdings haben weder Karl Stromberg noch Hugo Drax ihre Vorhaben verwirklichen können. Beide Male vereitelte ein sturer bri-tischer Geheimagent die Durchführung des Planes und sorgte so-mit dafür, dass die Menschheit weiter den Planeten zerstören kann, dass noch spektakulärerer und noch sinnloserer technischer Schnick-schnack erfunden werden und sich das Rad des Kapitalismus immer schneller weiterdrehen konnte. Der Name des Agenten: James Bond. Sein Status: Ausdruck unserer Ideale, Bild des modernen Helden, der kompromisslos für das Gute kämpft. James Bond war großartiges En-tertainment, war Ausdruck einer Gesellschaft, die auf schnelle Autos

Zu viele Menschen, zu viel Zerstörung, zu viel Raubbau, zu viel Feindschaft.

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Der KünstlerThomas Kilpper wurde 1956 in Stuttgart geboren. Er studierte Malerei und Bildhauerei an den Staat-lichen Kunstakademien Nürnberg, Düsseldorf (Professor Alfonso Hüppi) und der Städelschule in Frankfurt am Main, wo er 1998 Meisterschüler von Professor Georg Herold (Bildhauerei) war. Als roter Faden zieht sich die kritische Analy-se der Gesellschaft und der gesellschaftlichen Machtverhältnisse durch sein Werk, wobei die letzteren auch unverblümt angesprochen werden – wie beispielsweise im Rahmen der Ausstellung „wer das geld hat, hat die macht!“ im Forum der Sparkasse 1822 (Frankfurt/Main), die dann von der Sparkasse 1822 kurzfristig noch abgesagt

wurde. Andere Ausstellungstitel sprechen für sich: „Learning from Maghreb. How to get rid of unloved presidents?“ (Museo Marino Marini, Flo-renz, 2011). Seit 2008 setzt sich Thomas Kilpper für die Er-richtung eines Leuchtturms in Lampedusa ein. Dieser Leuchtturm soll mit einem starken Leucht-feuer ausgestattet werden und dabei helfen, die Schiffsunglücke vor der Küste zu reduzieren. Gleichzeitig soll er den Migranten signalisieren: „Hier sind wir. Wir verstecken uns nicht“. Aber nicht nur den Flüchtlingen soll der Leuchtturm zu-gute kommen, sondern auch den Bewohnern der Insel will Kilpper einen Raum für Ausstellungen,

Konzerte und Konferenzen geben. Die folgenden Abbildungen sind im Rahmen dieses Projekts entstanden. Begleitend wird hier eine leicht ge-kürzte Fassung des Tagebuchs der ersten Reise des Künstlers nach Lampedusa abgedruckt (er-ster Teil des Tagebuchs). Zum Zeitpunkt, als diese Ausgabe der agora42 in den Druck gegangen ist, war Thomas Kilpper in Lampedusa, um die Mög-lichkeiten für die Ausschreibung eines interna-tionalen Architekturwettbewerbs bezüglich des Leuchtturms auszuloten.

www.kilpper-projects.net/blog/

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WEITWINKEL

Hier wird das Fernrohr gegen das Kaleidoskop getauscht und gezeigt, dass die Wirklichkeit viele Facetten hat.

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Thomas Kilpper, A Lighthouse for Lampedusa, 2009, Zeichnung, mixed media 330x150cm, Fotografie: Ludger Paffrath, Copyright: Galerie Nagel Draxler, Berlin

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WA R U M W I R N I C H T W E N I G E R H A B E N W O L L E N

D Ü R F E N

—Vor bald 15 Jahren gab Greenpeace die Klärung der Frage in Auftrag, ob auf Wirtschaftswachstum mit seinen ökologischen Folgen verzichtet wer-den kann und inwieweit soziale Proble-me anders als durch Wachstum gelöst werden können. Der dafür vom Deut-schen Institut für Wirtschaftsforschung organisierte Workshop „Zukunftsge-staltung ohne Wirtschaftswachstum?“ kam zu dem Schluss, dass eine Begren-zung des Wachstums zugunsten ökolo-gischer Nachhaltigkeit nur auf Kosten sozialer Stabilität erreichbar ist. Dass nicht nur die soziale Stabilität in Gefahr ist, wenn es zu keinem relevanten Wachstum mehr kommt, sondern die gesamte Geldwirtschaft von Wirt-schaftswachstum abhängig ist, zeigt die im Jahr 2011 gegründete „Wis-senschaftliche Arbeitsgruppe nachhal-tiges Geld“ in ihrem 2012 veröffent-lichten Zwischenbericht „Wachstums-zwänge in der Geldwirtschaft“. Zwei der darin angestellten Überlegungen seinen hier skizziert.Eine der Ursachen für den Zwang zum Wachstum liegt demnach im Sparen. So erweist sich als problematisch, dass mit steigendem Einkommen auch mehr

gespart, also ein immer größerer Anteil der Einkommen nicht für den Konsum verwendet wird. Es zeigt sich, dass genau daraus erst ein Zwang zu expo-nentiellem Wachstum resultiert: Denn Unternehmen sind auf Konsumeinnah-men angewiesen, um die für die Produk-tion in Anspruch genommenen Kredite mitsamt Zinsforderungen tilgen zu kön-nen – andernfalls drohen Insolvenzen und wirtschaftliche Stagnation. Um dies zu vermeiden, müssen an anderer Stelle zwangsläufi g zusätzliche Kredite aufge-nommen werden, zu deren Tilgung wie-derum zusätzlicher Konsum, also zusätz-liches Wachstum nötig ist. Dabei ist anzumerken, dass es die Unternehmen in einem solchen Szenario grundsätzlich schwerer haben, zusätzliche Kredite zu erhalten. Eine Ausweitung der Staatsver-schuldung ist dann ein möglicher Weg, den Wachstumsmotor am Laufen zu hal-ten – auch dies bringt allerdings weitere Wachstumsnotwendigkeiten mit sich. Das stellt die Konsumkritik der Nach-haltigkeits-Bewegten in ein neues Licht: Konsum schürt Wachstum und Wachs-tumserwartungen; der Nicht-Konsum bietet aber auch keinen Ausweg, führt er in der gegebenen Geld- und Finanzar-chitektur doch ebenfalls zu Wachstums-zwängen. Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass auch die Zentralbanken auf ein Mindestwachstum angewiesen sind, weil sie bei dauerhaft niedrigen Wachstums-raten eine ihrer wichtigsten Steuerungs-funktionen verlieren. Denn eigentlich sollte die Zentralbank aufgrund beschäf-tigungspolitischer Überlegungen in

Zeiten der Rezession den Leitzins sen-ken, um Wachstum zu stimulieren. Das kann sie nicht unbegrenzt: Je näher sie der Nullzinsgrenze kommt, desto mehr riskiert sie, dass – wie unter anderem im Fall Japans – die wirtschaftliche Stagna-tion trotz eines Leitzinssatzes nahe Null nicht abgewendet werden kann, sondern durch das „billige Geld“ lediglich Ver-mögenspreisblasen und Infl ationsrisiken entstehen. Um dies zu vermeiden, muss die Zentralbank die Zinsrate künstlich höher halten als es die niedrige Wachs-tumsrate eigentlich erfordert, und dabei in Kauf nehmen, dass sie das zur Erho-lung der Konjunktur notwendige Wachs-tum dadurch selbst ausbremst.

Die 2011 gegründete „Wissenschaftliche Arbeits-gruppe nachhaltiges Geld“ forscht zu Geld und Nachhaltigkeit aus ökonomischen, naturwissen-schaftlichen und soziologischen Perspektiven.Mehr Informationen unter: http://www.geld-und-

nachhaltigkeit.de

Kontakt: Ludwig Schuster (info@geld-und-nachhaltig-

keit.de)

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FRISCHLUFT

Sie befassen sich im Rahmen Ihrer Forschungstätigkeit mit Themen an der Schnittstelle von Ökonomie und Gesellschaft/Politik und loten neue Denkräume aus.

Stellen Sie Ihre Arbeit bei uns vor: [email protected]

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lösung für die immer größer werdenden globalen Umweltprobleme. Solange kein Umdenken stattfi ndet, sondern ein profi torientiertes Denken immer weiter in die verschiedensten gesellschaftlichen Sphären vorrückt, so lange kann und wird sich nicht viel ändern.

Torsten KrauseTorsten Krause promovierte an der Universität Lund (Schweden) zum Thema „Buying Conserva-tion – Financial Incentives for Tropical Forest Conservation in the Ecuadorian Amazon“.Kontakt: [email protected]

Dass dies jedoch nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen führt, zeigt Krause in seiner Forschungsarbeit. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Diskussion um die Erdölfelder in einem unberührten Teilgebiet des Yasuni Natio-nalparks in Ecuador. Die Förderung dieses Öls würde bedeuten, dass nicht nur viel Wald verschwindet, sondern gleichzeitig die Biodiversität in der Regi-on stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Was tun? Den Spieß umdrehend, schlug die ecuadorianische Regierung den Industrienationen vor, dass sie von der Förderung des Öls absieht, wenn sie dafür Ausgleichszahlungen erhält. Als die von der ecuadorianischen Regie-rung gesetzte Frist verstrichen war und klar wurde, dass nur ein Bruchteil der geforderten Summe realisiert werden würde, genehmigte das Parlament die Förderung des Öls. Es scheint also, dass die Idee, marktbasierte Instrumen-te einzusetzen, zwar vielversprechend ist, aber die nötige Vernunft nicht immer vorausgesetzt werden kann (übrigens war auch die ecuadorianische Regierung nicht ganz schuldlos am Scheitern des Vorhabens). Ein weniger bekanntes Bei-spiel für die Anwendung marktbasierter Instrumente in Ecuador ist das „Socio Bosque“-Programm (deutsch: „Partner Wald“-Programm). Bei diesem Programm bekommen Landbesitzer, vor allem aber indigene Gemeinschaften, Geld vom Staat, wenn sie sich verpfl ichten, Waldgebiete, die ihnen gehören, nicht abzuholzen. So gut das Programm bis-her angelaufen ist, so schwierig wird es jedoch sein, es durchzuhalten. Denn durch die weltweit steigende Nachfrage nach Holz und landwirtschaftlichen An-baufl ächen, welche die Hauptursachen für die Abholzung der Regenwälder dar-stellen, führen solche Programme zwar im besten Falle zu einem bewussteren Umgang mit dem Wald, oft jedoch ledig-lich dazu, dass die Abholzung dorthin verlagert wird, wo es keine derartigen Programme gibt. Insofern wäre eine funktionierende internationale Zusam-menarbeit nötig, um langfristige Erfolge zu erzielen. Des Weiteren stehen mark-basierte Instrumente nicht für ein gene-relles Umdenken in Bezug auf unseren Umgang mit natürlichen Ressourcen, sondern sie repräsentieren eine Schein-

V E R N U N F T I M U R WA L D ,

U N V E R N U N F T I N D E R

Z I V I L I S AT I O N

—Nicht mit Veränderung, sondern mit dem Erhalt des Status quo beschäf-tigte sich Torsten Krause in seiner Forschungsarbeit. Allerdings ging es ihm weniger um den Erhalt des wirtschaftlichen und politischen Sta-tus quo, sondern um den Erhalt der Ökosphäre, genauer: des Regenwalds in Ecuador. Das ist zunächst einmal nichts Neues und die Tatsache, dass man inzwischen auch den Regenwald retten kann, indem man Bier trinkt – wie sich das der deutsche Bierher-steller Krombacher ausgedacht hat – belegt, dass das Thema die breite Öffentlichkeit erreicht hat.Eines der grundsätzlichen Probleme, die mit dem Schutz der globalen Öko-sphäre verbunden sind, besteht darin, dass viele der intakten Flächen, die es zu erhalten gilt, in Ländern liegen, die als unterentwickelt gelten; in Ländern also, wo die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nahe liegt, wenn es darum geht, die schlimmste Armut zu lindern. So stoßen diese Länder regelmäßig auf lautstarke Kritik von internationalen Umweltschützern und Regierungen, da der Verlust wertvoller Ökosysteme be-fürchtet wird. Um den unterentwickelten Regionen Anreize zu bieten, wertvolle Ökosysteme – beispielsweise unberührte Wälder als CO2-Speicher – nicht zu zerstören beziehungsweise andere Öko-systeme nicht durch den Abbau von Bodenschätzen zu gefährden, wurden in den letzten Jahren eine Reihe von marktbasierten Instrumenten entwickelt. Darunter versteht man Vereinbarungen, die alle gemein haben, dass sie einen rational handelnden und Nutzen maxi-mierenden Menschen voraussetzen, der mittels fi nanzieller Anreize zu einem nachhaltigeren Verhalten animiert wer-den kann.

Quelle: http://sociobosque.ambiente.gob.ec/

ERFOLGSZAHLEN VON SOCIO BOSQUE (JUNI 2013)

Jahr

Anzahl  an  Vertr gen  (Privat  und  Kollektiv,  

i.e.,  Indigene  Dorfgemeinschaften)

Hektar

2008 61 168,872.64

2009 346 200,002.60

2010 545 181,444.85

2011 570 223,236.90

2012 464 277,855.84

2013 209 71,998.11

Total 2,185 1,123,410.96

Auszahlungen  in  2013  in  US$:  8,267,119

Auszahlungen  seit  2008  in  US$:  22,922,602

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LAND IN SICHT

D I E S TA d T I S T E N—

Wem gehört die Stadt?

Können Politiker heute noch etwas verändern? Spätestens seitdem der US-amerikani-sche Präsident Barack Obama unter dem Motto „Change“ angetreten ist und die groß angekündigten Veränderungen bislang ausblieben, haben weltweit viele Men- schen den Glauben daran verloren. In Deutschland lebte die Hoffnung, einem Change beiwohnen zu dürfen, im Jahr 2011 wieder auf, als bei den Landtagswahlen in Baden- Württemberg die 58-jährige Regierungszeit der CDU durch Grün-Rot beendet wurde. Doch auch hier hat man nicht das Gefühl, dass sich die grundsätzliche Ausrichtung der Politik geändert hat. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob gesell-schaftliche Veränderungen überhaupt noch von der Politik ausgehen können. Wozu also noch Politik, wenn man sie als „Fähigkeit zur alternativen Gestaltung gesellschaft- licher Zukünfte“ (Elmar Altvater) sieht? „Politik, wie wir sie verstehen, bedeutet: gemeinsam Lösungen finden für die Fragen und Probleme, die die Stadt und das Gemeinwesen betreffen.“ So lautet der erste Satz des stadtistischen Manifests, einer Wählervereinigung, die 2014 bei den Gemeinderatswahlen in Stuttgart antreten wird. Weiter heißt es: „Viele Men- schen setzen sich für Stuttgart auf unterschiedliche Weise ein, begreifen ihr Engage-ment aber nicht als politisches Handeln. Sie überlassen das Feld den ‚Berufspolitikern’, von denen sie sich nicht vertreten fühlen. Die Verdrossenheit gegenüber einer Politik, die sich an parteipolitischen Grundsätzen orientiert, nimmt zu. Diesem Unbehagen möchten wir eine konkrete Alternative entgegensetzen.“ Der Gedanke, der dabei mitschwingt, verbindet die Stadtisten mit dem oben genannten Präsidenten, der im Rahmen seines ersten Präsidentschaftswahlkampf mit folgendem Satz in eine ähnliche Richtung zielte: „Change will not come, if we wait for some other person or some other time. We are the ones we’ve been waiting for. We are the change that we seek.“ Allerdings scheint auch Obamas Change auf eine andere Zeit zu warten. Aber vielleicht haben die Stadtisten Obama gegenüber einen entscheidenden Vorteil, denn: „Wir Stadtisten konzentrieren unsere Kraft auf die Stadt und auf das, was kommunal machbar ist.“ Vielleicht beginnt der nächste große Wurf ja im Kleinen. Und wer weiß, was passiert, wenn sich wieder viel mehr Menschen als das begreifen, was sie ja als Bürger einer Stadt (und/oder eines Staates) ohnehin immer sind: politisch. Vielleicht sind es am Ende gerade diese Politiker, die heute noch etwas verändern können.

Mehr zu den Stadtisten unter: www.die-stadtisten.de

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Sie haben das Ruder in die Hand genommen und wollen mit Ihrem Unternehmen oder zivilgesellschaft-lichen Projekt ökonomisches und gesellschaftliches Neuland betreten.

Stellen Sie Ihr Unternehmen/Projekt bei uns vor: [email protected]

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»Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll. «Georg Christoph Lichtenberg

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