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Professur für Rehabilitationswissenschaften Abschlussbericht zum Forschungsprojekt „Kognitive Defizite bei kardiologischen Rehabilitanden: Prävalenz und Auswirkungen auf den Rehabilitationserfolg und die berufliche Wiedereingliederung (CoCaRehab)“ Gefördert durch die Deutsche Rentenversicherung Bund Förderkennzeichen: 0421/40-64-50-39 Laufzeit des Projektes: 01.01.2014 – 31.12.2016 Korrespondenz: Dr. rer. medic. Annett Salzwedel Professur für Rehabilitationswissenschaften Universität Potsdam Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam Telefon: 0331/977-4061 E-Mail: [email protected]

„Kognitive Defizite bei kardiologischen Rehabilitanden ...forschung.deutsche-rentenversicherung.de/ForschPortalWeb/ressource?key=... · Institut für Medizinische Biometrie und

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Professur für Rehabilitationswissenschaften

Abschlussbericht zum Forschungsprojekt

„Kognitive Defizite bei kardiologischen Rehabilitanden:

Prävalenz und Auswirkungen auf den Rehabilitationserfolg

und die berufliche Wiedereingliederung (CoCaRehab)“

Gefördert durch die Deutsche Rentenversicherung Bund

Förderkennzeichen: 0421/40-64-50-39

Laufzeit des Projektes: 01.01.2014 – 31.12.2016

Korrespondenz:

Dr. rer. medic. Annett Salzwedel

Professur für Rehabilitationswissenschaften

Universität Potsdam

Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam

Telefon: 0331/977-4061

E-Mail: [email protected]

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

II

Autoren:

Dr. Annett Salzwedel

Professur für Rehabilitationswissenschaften, Universität Potsdam

Dr. Maria-Dorothea Heidler

Professur für Rehabilitationswissenschaften, Universität Potsdam;

Brandenburg Klinik Bernau

Prof. Dr. Karl Wegscheider

Institut für Medizinische Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Ham-

burg-Eppendorf

Dr. Kathrin Haubold

Professur für Rehabilitationswissenschaften, Universität Potsdam

Projektleitung:

Prof. Dr. Heinz Völler

Professur für Rehabilitationswissenschaften, Universität Potsdam

Klinik am See, Rüdersdorf

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

III

DANKSAGUNG

An erster Stelle möchten wir der Deutschen Rentenversicherung Bund danken, die als Förde-

rer letztlich nicht nur das Projekt, sondern auch die interdisziplinäre Gestaltung der Professur

für Rehabilitationswissenschaften an der Universität Potsdam unterstützt hat.

Wir danken darüber hinaus Frau Dr. Karin Meng, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, da-

für, dass sie uns in erfrischend unkomplizierter Weise das in der Studie verwendete

Wissensquiz zur Verfügung gestellt und somit die Arbeit wesentlich erleichtert hat.

Unser Dank gilt außerdem Herrn Dr. Martin Schikora und Herrn Prof. Michael Jöbges, Bran-

denburg Klinik Bernau, die nicht nur die Antragsstellung, sondern auch die Umsetzung des

Projektes in der Klinik aktiv mitgestaltet haben. Ganz besonders allerdings möchten wir uns

bei Frau Kirsten Stolze und Frau Katarina Külbel bedanken, den beiden Mitarbeiterinnen, die

mit hoher Bereitschaft und Engagement den Patienteneinschluss und damit die Durchführung

des Projektes in der Klinik am See bzw. der Brandenburg Klinik gewährleistet haben.

Ganz explizit danken wir außerdem den Patienten, die bereit waren, an dieser Studie teilzu-

nehmen. Es ist ganz sicher nicht leicht, nach einem kardiologischen Ereignis auch noch mit der

eigenen kognitiven Leistungsfähigkeit konfrontiert zu werden.

Annett Salzwedel

für die Autoren des vorliegenden Berichts

Potsdam im Januar 2017

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

1

INHALTSVERZEICHNIS

1 Zusammenfassung ....................................................................................................... 4

2 Einführung ................................................................................................................... 6

2.1 Ziel des Projekts ........................................................................................................... 6

2.2 Stand der Forschung .................................................................................................... 7

2.3 Fragestellung und Hypothesen .................................................................................... 8

3 Methode ...................................................................................................................... 9

3.1 Studiendesign und Population ..................................................................................... 9

3.2 Rehabilitationsprogramm .......................................................................................... 10

3.3 Datenerhebung .......................................................................................................... 10

3.3.1 Kognitive Leistungsfähigkeit .............................................................................. 10

3.3.2 Patientencharakteristika und Confoundervariablen .......................................... 11

3.3.3 Krankheitsbezogenes Wissen ............................................................................. 11

3.3.4 Berufliche Wiedereingliederung ......................................................................... 12

3.4 Statistik ....................................................................................................................... 12

3.4.1 Stichprobengröße/Powerkalkulation ................................................................. 12

3.4.2 Umgang mit fehlenden Daten ............................................................................ 13

3.4.3 Zusammenhänge zwischen kognitiver Beeinträchtigung und

Patientencharakteristika .................................................................................... 13

3.4.4 Prädiktoren des Schulungserfolges und der beruflichen Wiedereingliederung . 14

3.5 Ethikvotum und Studienregistrierung ........................................................................ 15

4 Ergebnisse .................................................................................................................. 15

4.1 Prävalenz und Charakteristika kognitiver Beeinträchtigungen

in der kardiologischen Rehabilitation ........................................................................ 15

4.2 Fehlende Werte, Nachbefragung und Non-Responder-Analyse ............................... 18

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

2

4.3 Entwicklung des gesundheitsbezogenen Wissens ..................................................... 20

4.4 Einfluss der kognitiven Leistungsfähigkeit auf den Schulungserfolg und die

berufliche Wiedereingliederung ................................................................................ 22

5 Diskussion .................................................................................................................. 25

5.1 Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in der kardiologischen

Anschlussrehabilitation .............................................................................................. 25

5.2 Assoziationen zwischen kognitiver Beeinträchtigung und Patientencharakteristika 26

5.3 Effekte kognitiver Beeinträchtigungen auf den Schulungserfolg und die berufliche

Wiedereingliederung ................................................................................................. 27

5.4 Limitationen ............................................................................................................... 29

5.5 Fazit für die Versorgungspraxis .................................................................................. 30

6 Literatur ..................................................................................................................... 31

7 Anhang: Wissensquiz ................................................................................................. 36

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

3

TABELLENVERZEICHNIS

Tab. 1: Kognitive Leistungsfähigkeit bei Aufnahme und Entlassung aus der Rehabilitation ............. 16

Tab. 2: Patientencharakteristik für die Gesamtpopulation sowie nach kognitiver Leistungsfähigkeit

bei Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation ............................................................... 17

Tab. 3: Exemplarische Gruppenvergleiche zwischen Respondern und Non-Respondern

im 6-Monats-Follow up .......................................................................................................... 19

Tab. 4: Änderung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz)

und Anteil besuchter Schulungstermine in Abhängigkeit kognitiver Beeinträchtigung ........ 21

Tab. 5: Prädiktoren des Wissenszuwachses während der Rehabilitation

bzw. des Wissenserhalts nach der Rehabilitation ................................................................. 23

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1: CONSORT-Flussdiagramm des Patienteneinschlusses ............................................................. 9

Abb. 2: Ausprägung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz) während und

nach der kardiologischen Rehabilitation ............................................................................... 20

Abb. 3: Lebensstiländerung 6 Monate nach der kardiologischen Rehabilitation .............................. 22

Abb. 4: Prädiktoren der beruflichen Wiedereingliederung ................................................................ 25

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

4

1 Zusammenfassung

Einleitung: Patientenschulungen stellen mit dem Ziel, das krankheitsbezogene Wissen der Pa-

tienten zu erhöhen und eine nachhaltige Lebensstilanpassung und Therapieadhärenz zu

erreichen, eine Kernkomponente der kardiologischen Rehabilitation (CR) dar. Bei der prakti-

schen Umsetzung der Schulungen werden dem Patienten normale Lern- und Merkfähigkeit

unterstellt, obgleich kardiovaskuläre Erkrankungen mit kognitiven Beeinträchtigungen assozi-

iert sind. Ziel vorliegender Studie war es daher, die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen

und deren Einfluss auf den Schulungserfolg bei Patienten mit Koronarer Herzerkrankung (KHK)

unter 65 Jahren in der kardiologischen Anschlussrehabilitation zu untersuchen.

Methode: Zwischen 09/2014 und 08/2015 wurden in zwei Rehabilitationskliniken 497 Patien-

ten (54,5 ± 6,2 Jahre, 79,8 % männl., Akuttherapie: 67,5 % perkutane Koronarintervention

[PCI], 28,2 % koronare Bypassoperation [CABG], 4,3 % konservativ) in die prospektive Be-

obachtungsstudie eingeschlossen. Die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten wurde zu

Beginn und vor Entlassung aus der CR mit dem Montreal Cognitive Assessment ermittelt

(MoCA; max. 30 Punkte, Cutoff für kognitive Beeinträchtigung: < 26 Punkte). Der Schulungs-

erfolg wurde über ein Wissensquiz operationalisiert, das bei Aufnahme und Entlassung sowie

6 Monate nach der CR durchgeführt wurde. Es beinhaltete zwei Skalen zu medizinischem Wis-

sen (22 Fragen) bzw. zu gesundem Lebensstil und Verhalten (12 Fragen). Darüber hinaus

wurde eine Vielzahl potenziell einflussnehmender Parameter dokumentiert (z. B. Bildungs-

grad, Medikation, kardiovaskuläre Risikofaktoren, Komorbiditäten, körperliche

Leistungsfähigkeit und Fitness). Der Wissenszuwachs während und die Entwicklung des Wis-

sens nach der Rehabilitation wurden in multivariaten Regressionsmodellen analysiert.

Ergebnisse: Bei 182 Patienten (36,7 %) wurde zu Beginn der CR eine kognitive Beeinträchti-

gung festgestellt, während bei Entlassung 163 Patienten (32,9 %; p < 0,001) betroffen waren.

Durchschnittlich wurden im MoCA 26,0 ± 3,1 bzw. 26,4 ± 2,9 Punkte erzielt (p < 0,001). Wäh-

rend der Rehabilitation konnte das krankheitsbezogene Wissen in beiden Skalen signifikant

vermehrt werden. 6 Monate nach Entlassung war jedoch das medizinische Wissen signifikant

reduziert, währenddessen das Wissen zum Lebensstil auf einem stabilen Niveau erhalten

blieb. Der Schulungserfolg zum Ende der CR wurde von der kognitiven Leistung der Patienten

bei Aufnahme in die Rehabilitation beeinflusst (Änderung des medizinischen Wissens pro

Punkt im MoCA: 0,09, 95 % CI 0,01–0,18, p = 0,032; Lebensstil: 0,08, 95 % CI 0,03–0,13,

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

5

p = 0,002). Weitere Einflussfaktoren waren Vorwissen, Bildungsgrad, vorhandene Komorbidi-

tät und Fitness. Der Erhalt des Wissens nach der Rehabilitation hingegen hing wesentlich von

den Ergebnissen im MoCA bei Entlassung aus der CR ab (medizinisches Wissen: 0,28, 95 % CI

0,17–0,38, p < 0,001; Lebensstil: 0,09, 95 % CI 0,03–0,14, p = 0,006). Zusätzlich wurde die

Nachhaltigkeit der Schulung durch das Vorwissen, die Fitness und Depressivität bei Entlassung

aus der CR bedingt.

Schlussfolgerung: Die Patientenschulung in der kardiologischen Rehabilitation führt zu einer

Erhöhung des krankheitsbezogenen Wissens der Patienten, wobei medizinische weniger gut

als praxis- und lebensnahe Inhalte verinnerlicht werden. Der individuelle Schulungserfolg

hängt jedoch wesentlich von der kognitiven Leistungsfähigkeit des Patienten ab. Da ca. ein

Drittel der Rehabilitanden mit KHK von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen ist, sollten

Schulungsinhalte priorisiert und mithilfe geeigneter didaktischer Methoden vermittelt wer-

den.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

6

2 Einführung

Bei in Kürze zu erwartendem höheren Renteneintrittsalter sind bei der sozialmedizinischen

Beurteilung Berufstätiger nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit, sondern auch deren

kognitive Funktionen zu berücksichtigen. In einer im Jahr 2012 erschienenen prospektiven Ko-

hortenstudie konnten bereits im mittleren Lebensalter (45–50 Jahre) kognitive

Einschränkungen nachgewiesen werden [1]. Zudem zeigten zahlreiche Studien [2] deutliche

Zusammenhänge zwischen Herzerkrankungen und kognitiven Beeinträchtigungen mit einer

Prävalenz kognitiver Störungen von 25 bis 74 %. Die Vermutung liegt daher nahe, dass bei

mindestens einem Viertel der Patienten nach akutem kardialen Ereignis oder mit chronischer

Herzerkrankung kognitive Defizite bestehen.

Die multimodale kardiologische Rehabilitation beinhaltet neben Sport- bzw. Physiotherapie

und medizinischer Versorgung vor allem psychoedukative Interventionen [3], für die adäquate

kognitive Funktionen vorausgesetzt werden müssen. Insbesondere Patienten mit koronarer

Herzerkrankung (KHK) erhalten umfangreiche krankheitsbezogene Schulungen während der

Rehabilitation, deren Ziel die Vermittlung von Wissen zur langfristigen Verbesserung der The-

rapieadhärenz und der Handlungskompetenz in Bezug auf die Herzerkrankung ist [4,5]. Dabei

ist davon auszugehen, dass kognitive Störungen den Erfolg dieser Patientenschulungen nega-

tiv beeinflussen.

2.1 Ziel des Projekts

Ausgehend von der Annahme, dass kognitive Einschränkungen den Schulungserfolg bei KHK-

Patienten in der kardiologischen Rehabilitation beeinträchtigen und daher auch die berufliche

Wiedereingliederung gefährden können, war es Ziel des Projektes, die Prävalenz kognitiver

Defizite in einer konsekutiv rekrutierten Stichprobe stationär aufgenommener Rehabilitanden

mit KHK unter 65 Jahren zu ermitteln sowie mögliche negative Effekte kognitiver Beeinträch-

tigungen im Hinblick auf den Schulungserfolg und die berufliche Wiedereingliederung zu

quantifizieren.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

7

2.2 Stand der Forschung

In den letzten drei Dekaden sind zahlreiche Studien veröffentlicht worden, die systematisch

den Zusammenhang zwischen Herzerkrankungen und kognitiven Beeinträchtigungen unter-

sucht haben, wobei der Fokus vor allem auf Gedächtnisleistungen (verbaler und figuraler

Rekognition und Reproduktion), Aufmerksamkeit, Exekutivfunktionen (Problemlösen, Hand-

lungsplanung, Flexibilität) und motorischer Reaktionsgeschwindigkeit lag. In diesen Domänen

zeigten viele kardial erkrankte Patienten Auffälligkeiten [6]. Vogels et al. ermittelten in einem

systematischen Review eine Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen bei kardial erkrankten

Patienten zwischen 25–74 % in Abhängigkeit von der untersuchten Patientenpopulation und

der Sensitivität der verwendeten Testverfahren [2]. Für die zugrundeliegenden pathogenen

Mechanismen müssen populationsabhängig jedoch grundlegende Unterschiede angenom-

men werden. Während für mehr als die Hälfte der Patienten nach koronarer Bypassoperation

eine sogenannte, häufig reversible, postoperative kognitive Dysfunktion (POCD) postuliert

wird [7], leiden ca. 15 % der Patienten mit stabiler KHK an nicht amnestischen kognitiven

Beeinträchtigungen [8], die aufgrund ungünstiger Risikofaktorenkonstellationen (insbeson-

dere arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Nikotinabusus, körperlicher

Inaktivität) simultan zur koronaren Herzerkrankung entwickelt werden können [9].

Die Prävalenzraten kognitiver Beeinträchtigungen in älteren KHK-Populationen werden in der

aktuellen Literatur deutlich höher geschätzt. In einer 2011 veröffentlichten Registerstudie an

772 Patienten über 65 Jahren mit überlebtem Myokardinfarkt wurden bei fast einem Drittel

leichte und zusätzlich bei einem Viertel der Patienten moderate bzw. schwere kognitive Be-

einträchtigungen innerhalb eines Monats nach Infarkt dokumentiert [10]. Bei der Bewertung

solcher Studienergebnisse sollte allerdings die Altersassoziation von (Alzheimer-)Demenzen

Berücksichtigung finden, insbesondere wenn die beeinträchtigten Funktionen nicht näher be-

schrieben werden und nicht auf den Status der kognitiven Leistungsfähigkeit vor dem Ereignis

zurückgegriffen werden kann.

Insgesamt liegt eine Fülle von Literatur zu kognitiven Beeinträchtigungen bei Herzerkrankun-

gen sowohl älteren als auch jüngeren Datums vor. Dennoch ist die Evidenzlage aufgrund der

untersuchten heterogenen Populationen (z. B. Case-Mix, Alter), unterschiedlicher Messzeit-

punkte (z. T. Nachweis von Erholungseffekten im Verlauf), divergierenden Definitionen der

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

8

„kognitiven Beeinträchtigung“ und der Bandbreite verwendeter Screeningtools und Diagno-

seinstrumente bislang als unzureichend zu beurteilen.

Im Hinblick auf die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen und potenzieller negativer Effekte

im Rahmen der kardiologischen Rehabilitation liegen hingegen keine Untersuchungen vor. Ein

möglicher Bedarf an spezifischen Behandlungskonzepten wurde bisher nicht thematisiert.

2.3 Fragestellung und Hypothesen

Folgende Fragestellungen wurden im Projekt CoCaRehab bearbeitet:

• Wie hoch ist die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in einer konsekutiv rekrutier-

ten Stichprobe von Rehabilitanden mit KHK in Kostenträgerschaft der DRV in zwei

Brandenburger Einrichtungen der stationären kardiologischen Rehabilitation in einem

Zeitraum von einem Jahr?

• Haben kognitive Störungen einen negativen Einfluss auf den Schulungserfolg und die

berufliche Wiedereingliederung?

In Bezug auf die Fragestellungen wurden folgende Hypothesen aufgestellt:

• In der anfallenden Stichprobe befinden sich mindestens 25 % kognitiv beeinträchtigte

Patienten.

• Die Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen haben ein schlechteres Outcome in

Bezug auf edukative Maßnahmen als Patienten ohne kognitive Beeinträchtigungen.

• Die Rehabilitanden mit kognitiven Beeinträchtigungen zeigen eine geringere berufli-

che Wiedereingliederungsrate als Patienten ohne kognitive Beeinträchtigungen.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

9

3 Methode

3.1 Studiendesign und Population

In der prospektiven bizentrischen Beobachtungsstudie mit einer postalischen Follow-up-Be-

fragung nach sechs Monaten wurden die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in der

kardiologischen Anschlussrehabilitation (Anschlussrehabilitation; AR) sowie deren Effekt auf

den Rehabilitationserfolg und die berufliche Wiedereingliederung bei Rehabilitanden mit ko-

ronarer Herzerkrankung untersucht.

Der Patienteneinschluss erfolgte zwischen September 2014 und August 2015 in der Klinik am

See, Rüdersdorf, und der Brandenburg Klinik, Bernau. Bei Aufnahme in die Rehabilitation wur-

den alle Patienten hinsichtlich der Einschlusskriterien gescreent (Koronare Herzkrankheit,

Alter unter 65 Jahre, Kostenträgerschaft der Deutschen Rentenversicherung Bund oder Berlin-

Brandenburg). Patienten mit unzureichenden Deutschkenntnissen oder nicht gegebenem Ein-

verständnis wurden ausgeschlossen. Von 648 geeigneten Patienten wurden 521 in die Studie

eingeschlossen, von denen 24 aufgrund einer erneuten Krankenhauseinweisung, Rückzug des

Einverständnisses oder aus organisatorischen Gründen vorzeitig ausgeschieden sind. Ausge-

wertet wurden die Daten von 497 Patienten, die zum Ende der AR Studienteilnehmer waren

(Abb. 1).

Abb. 1: CONSORT-Flussdiagramm des Patienteneinschlusses

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

10

3.2 Rehabilitationsprogramm

Alle Patienten wurden der Anschlussrehabilitation nach akutem koronaren Ereignis (Akutes

Koronarsyndrom oder elektive Koronarintervention bzw. koronare Bypassoperation) bei Vor-

liegen einer koronaren Herzerkrankung (KHK) zugewiesen. Das Rehabilitationsprogramm

entsprach dabei der in Deutschland üblichen standardisierten dreiwöchigen multimodalen In-

tensivrehabilitation [11,12]. Das Programm beinhaltete zusätzlich zur medizinischen

Betreuung vorranging Bewegungstraining, psychologische Betreuung (individuelle Beratung

durch einen Psychologen und/oder Gruppensitzungen zur Krankheitsbewältigung), Ernäh-

rungsberatung sowie Patientenschulungen zur Sekundärprävention.

Die Patientenschulungen waren in beiden teilnehmenden Kliniken am Curriculum Koronare

Herzkrankheit der Deutschen Rentenversicherung Bund orientiert [4,5]. Sie beinhalteten

sechs bis zehn Gruppentermine zu den Themen Kardiovaskuläre Funktionsstörungen und Ri-

sikofaktoren, Behandlung der koronaren Herzkrankheit, Umgang mit einer koronaren

Herzkrankheit im Alltag und notwendige bzw. empfohlene Lebensstiländerungen, die von An-

gehörigen der verschiedenen in der kardiologischen Rehabilitation tätigen Professionen

(Medizin, Ernährungsberatung, Psychologie und Sporttherapie) durchgeführt wurden.

Die Schulungsinhalte sowie die Praktikabilität der bis dahin in den Kliniken üblichen Settings

(Frequenz, Gruppengröße) wurden im Vorfeld der Untersuchung durch eine mehrwöchige Su-

pervision geprüft und im Bedarfsfall aktualisiert bzw. angepasst, so dass von einer

hinreichenden Standardisierung der Schulungen in den teilnehmenden Studienzentren auszu-

gehen ist.

Die Teilnahme an den Schulungen war für die in die Studie eingeschlossenen Patienten obli-

gat; sie wurden bei Studieneinschluss hierüber aufgeklärt.

3.3 Datenerhebung

3.3.1 Kognitive Leistungsfähigkeit

Zur Ermittlung der Punktprävalenz kognitiver Beeinträchtigungen (cognitive impairment; CI)

sowohl zu Beginn als auch zum Ende der AR wurden alle Patienten mittels des Montreal Cog-

nitive Assessment (MoCA) hinsichtlich ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit getestet [13]. Dieses

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

11

zeitökonomische, in ca. 10 Minuten durchführbare Screeninginstrument zeichnet sich durch

seine hohe Sensitivität insbesondere für Leichte Kognitive Beeinträchtigungen (Mild Cognitive

Impairment; MCI) aus, wie sie in der Stichprobe von KHK-Patienten zu erwarten waren. Das

Screening wurde von klinischem Studienpersonal durchgeführt, das zuvor explizit im Umgang

mit dem Test geschult wurde. Eine CI wurde gemäß den Autorenempfehlungen für einen

Cutoff von weniger als 26 Punkten im MoCA bei maximal 30 erreichbaren Punkten postuliert.

Um Lerneffekte innerhalb des MoCA zu umgehen, wurden zwei verschiedene Parallelversio-

nen des Tests bei Aufnahme bzw. Entlassung verwendet (Originalversion, veröffentlicht 2004

bzw. Parallelversion 2a aus dem Jahr 2012) [14,15].

3.3.2 Patientencharakteristika und Confoundervariablen

Neben der kognitiven Leistungsfähigkeit wurden soziodemographische Angaben (z. B. Alter,

Geschlecht, Bildungsniveau), Daten zum Lebensstil vor dem Ereignis (Ernährung, Sport, Rauch-

verhalten, Alkoholkonsum), klinische Parameter (z. B. kardiovaskuläre Risikofaktoren,

Komorbiditäten, NYHA-Klasse, linksventrikuläre Ejektionsfraktion [LVEF], Einnahme psycho-

troper Medikamente) sowie berufsbezogene Parameter wie der Beschäftigungsstatus

oder die Arbeitsschwere vor der Rehabilitation und die Selbsteinschätzung des Patienten be-

züglich der beruflichen Perspektive und der Entlassungsstatus zur Arbeitsfähigkeit erhoben.

Darüber hinaus wurden die körperliche Leistungsfähigkeit (6-Min-Gehtest und max. Belast-

barkeit in der Fahrradergometrie) sowie Depressivität und Ängstlichkeit (Hospital Anxiety and

Depression Scale; HADS) zu Beginn und Ende der AR dokumentiert.

3.3.3 Krankheitsbezogenes Wissen

Der Rehabilitationserfolg der Patienten wurde im Rahmen der Untersuchung über das Lerner-

gebnis auf Grundlage der Patientenschulungen operationalisiert. Hierfür wurde das als

Evaluationsinstrument des Curriculums KHK eingesetzte Wissensquiz [16] verwendet, das zu-

vor auf der Basis eines Pretests an einer der Studienpopulation vergleichbaren Zielgruppe in

wenigen Details angepasst worden war (vgl. Anhang).

Das Quiz bestand aus zehn Multiple-Choice-Fragen mit 34 Items, die den Skalen Krankheits-

bezogenes Wissen (Grundlagen, Symptome, Risikofaktoren, medikamentöse Therapie; max.

22 Punkte) und Lebensstil/Verhaltensempfehlungen (körperliche Aktivität, Ernährung, Stress;

max. 12 Punkte) zuzuordnen waren. Die Patienten beantworteten das Quiz in jeweils ca. 15

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

12

Minuten zu Beginn und Ende der Rehabilitation sowie nach sechs Monaten zur Evaluation des

Wissenszuwachses und dessen Nachhaltigkeit. Im Follow-up waren überdies Fragen zum ak-

tuellen Lebensstil (Rauchen, Alkohol, Ernährung inkl. Softdrinks, Bewegung) enthalten, um

weitere Anhaltspunkte für die Nachhaltigkeit der edukativen Maßnahmen während der AR zu

gewinnen. Für die Auswertung des Quiz wurde durch Summation der richtigen Antworten ein

Score gebildet, wobei fehlende Angaben als falsche Antwort gewertet wurden.

Der Wissenszuwachs während der Rehabilitation bzw. der Erhalt des krankheitsbezogenen

Wissens zwischen Rehabilitationsende und sechs Monaten danach wurden als Differenzen im

Wissensquiz berechnet und als Endpunkte verwendet.

3.3.4 Berufliche Wiedereingliederung

Des Weiteren wurden im Follow-up Angaben zur aktuellen beruflichen Situation (Erwerbstä-

tigkeit, Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, erfolgte Umschulung oder stufenweise

Wiedereingliederung, Antrag auf oder Bezug von Rente) erfragt. Dabei wurde die Angabe „ak-

tuell erwerbstätig“ mit einer erfolgten beruflichen Wiedereingliederung (sekundärer

Endpunkt) gleichgesetzt.

3.4 Statistik

3.4.1 Stichprobengröße/Powerkalkulation

In den beteiligten Kliniken werden in einem Jahr über 800 Patienten rehabilitiert, die die Ein-

schlusskriterien der Studie erfüllen. Es wurde damit gerechnet, dass 400-500 Patienten an der

Studie teilnehmen. Bei einer angenommenen Rate von 25 % Patienten mit kognitiver Beein-

trächtigung wären in der Stichprobe z. B. 100 Patienten kognitiv beeinträchtigt und 300 nicht

kognitiv beeinträchtigt. Die Prävalenz von kognitiven Beeinträchtigungen ließe sich bis auf 2 %

genau (Standardfehler) bestimmen. Mit 80 % Power könnte eine Differenz von einer richtig

gelösten Frage (von 24 Fragen) im allgemeinen Wissenscore und von 0,5 Punkten (von 12) im

Wissen über Lebensstilveränderungen zwischen den Untergruppen mit und ohne kognitive

Beeinträchtigung nachgewiesen werden, ebenso eine Reduktion der Beruflichen Wiederein-

gliederungsrate von 70 % auf 55 %.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

13

3.4.2 Umgang mit fehlenden Daten

Generell ist in einer sozialmedizinischen Studie davon auszugehen, dass der zu erwartende

Loss-to-follow-up nicht zufällig erfolgt, sondern mit der Intervention korreliert. Damit sind die

Voraussetzungen für eine Imputation der Endpunkte nicht erfüllt. Aus grundsätzlichen Über-

legungen heraus wurde in der vorliegenden Studie stattdessen eine Non-Responder-Analyse

durchgeführt, bei der auf der Basis der Unterschiede zwischen Respondern und Non-Respon-

dern eine qualitative Abschätzung und Diskussion möglicher Verfälschungen des

Studienergebnisses vorgenommen wird.

Grundsätzlich anders wurden fehlende Werte in den Ausgangsvariablen (Baseline-Variablen)

behandelt. Hier war vorgesehen, bei fehlenden Werten einer ergebnisrelevanten Größenord-

nung für einzelne Analysen multiple Imputationen vorzunehmen. In allen anderen Fällen

wurden Available-Case-Analysen durchgeführt, die die gesamte verfügbare Information zu je-

der Fragestellung berücksichtigen.

3.4.3 Zusammenhänge zwischen kognitiver Beeinträchtigung und Patientencharakteristika

Zur Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Kognition und Eigenschaften der Patienten

wurde eine Querschnittanalyse der Baseline-Daten durchgeführt.

Im univariaten Teil der Analyse wurden kontinuierliche Variablen als Mittelwerte ± Stan-

dardabweichung und kategoriale Variablen als Häufigkeiten in Prozent ausgedrückt.

Vergleiche zwischen kognitiv beeinträchtigten Patienten und Patienten mit normaler kogniti-

ver Leistungsfähigkeit wurden mittels Chi-Quadrat-Test für kategoriale Variablen bzw. t-Test

für kontinuierliche Variablen durchgeführt.

Um für kognitive Beeinträchtigungen bedeutsame Patientencharakteristika zu identifizieren,

wurde ein exploratives logistisches Regressionsmodell mit schrittweiser Rückwärtseliminie-

rung an die Daten angepasst. Dabei wurden sowohl Variablen berücksichtigt, die nach

aktuellem Forschungsstand in einem Zusammenhang mit der kognitiven Leistungsfähigkeit

stehen [17–19] als auch soziodemografische und klinische Parameter, die in der univariaten

Analyse einen Trend aufwiesen (p ≤ 0,1): Alter, Bildungsniveau, Arbeitsunfähigkeit vor dem

kardialen Ereignis, schwere Arbeitsschwere, Depressivität und Ängstlichkeit, psychologische

Komorbidität, chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD), Anzahl der Komorbiditäten,

Rauchen, Diabetes mellitus, arterielle Hypertonie, Anzahl kardiovaskulärer Risikofaktoren,

Medikation (Tranquilizer, Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Neuroleptika), reduzierte LVEF

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

14

und Therapie des akuten Koronarereignisses (perkutane Koronarintervention [PCI] oder koro-

nare Bypass-Operation [CABG]). Effekte mit einem p-Wert von weniger als 0,05 wurden als

statistisch signifikant bewertet. Die Effektschätzer (Odds Ratios, OR) der unabhängigen Prä-

diktorvariablen wurden für das endgültige Modell mit 95% Konfidenzintervallen und p-Werten

dargestellt.

3.4.4 Prädiktoren des Schulungserfolges und der beruflichen Wiedereingliederung

Im weiteren Verlauf der Analyse wurden die Follow-up-Daten individuell (Längsschnitt) auf

der Basis der Baseline-Variablen und des Reha-Erfolgs mit linearen und logistischen Regressi-

onsmodellen analysiert, um eigenständige Prädiktoren für Schulungserfolg und berufliche

Wiedereingliederung zu ermitteln. Dabei wurde der MoCA-Score stets im Modell behalten,

auch wenn er keinen signifikanten Beitrag zum Prognosemodell leistete, um die Bedeutung

einer Kognitionsbeeinträchtigung abschätzen zu können.

Im univariaten Teil der Analyse erfolgte die Berechnung von Prävalenzraten auf Basis einer

Binomialverteilungsannahme. Exakte 95%-Konfidenzbereiche wurden nach Pearson und Clop-

per berechnet. Gruppenunterschiede in den Wissenscores wurden mit Zwei-Stichproben-t-

Tests getestet (Signifikanzgrenze 0.05).

Folgende mögliche Prädiktoren und aus Sicht des MoCA-Scores potenzielle Confounder wur-

den bei der Modellbildung verwendet:

• Geschlecht, Alter, BMI, Schulbildung, berufliche Situation vor dem kardiologischen Ereignis,

• Einnahme kognitiv wirkender Medikamente (Antidepressiva, Antikonvulsiva, Neurolep-

tika),

• Komorbiditäten,

• körperliche Leistungsfähigkeit (6-Min-Gehtest und Ergometrie),

• Angst- und Depressionswerte (HADS) zu Ende der Rehabilitation (alternativ: Zustand zu An-

fang der Rehabilitation + Veränderung),

• linksventrikuläre Ejektionsfraktion (LVEF),

• berufsbezogene Parameter (Selbsteinschätzung des Patienten bezüglich der beruflichen

Perspektive, Entlassungsstatus zur Arbeitsfähigkeit).

Die Anpassungsgüte der Modelle wurde mit dem erklärten Varianzanteil r2 gemessen, bei der

logistischen Regression mit dem Nagelkerke-R2.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

15

3.5 Ethikvotum und Studienregistrierung

Alle Patienten wurden umfassend über die Studieninhalte informiert und aufgeklärt und ga-

ben vor Studieneinschluss ihr Einverständnis. Die Studie wurde von der Ethikkommission der

Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam genehmigt und beim deutschen

Register für klinische Studien sowie der Internationalen Klinischen Prüfstelle (ICTRP) und der

Weltgesundheitsorganisation (DRKS00005502) registriert.

4 Ergebnisse

4.1 Prävalenz und Charakteristika kognitiver Beeinträchtigungen

in der kardiologischen Rehabilitation

Die Studienpatienten (54,5 ± 6,2 Jahre, 79,8 % männlich) waren der Anschlussrehabilitation

zu 67,5 % nach einer PCI, mit 28,2 % nach erfolgter CABG und zu 4,3 % mit konservativer Akut-

therapie zugewiesen worden. Die überwiegende Mehrheit der Patienten wies ein schulisches

Bildungsniveau von mindestens 10 Jahren auf (84,3 %).

Eine kognitive Beeinträchtigung wurde zu Beginn der AR bei 182 Patienten (36,7 %) festge-

stellt, wobei die Ausprägung in 173 Fällen (95,1 %) einer Leichten Kognitiven Beeinträchtigung

(MCI; MoCA-Werte 1925) entsprach. Die Mittelwerte des MoCA-Tests betrugen in der CI-

Gruppe 22,74 ± 2,32, während die MoCA-Werte in der noCI-Gruppe bei 27,89 ± 1,51 lagen

(Tab. 1). Bei Entlassung aus der Rehabilitation war der Anteil kognitiv beeinträchtigter Patien-

ten signifikant auf 32,9 % reduziert (n = 163; p < 0,001). Die CI-Gruppe erreichte dabei im

Mittel 23,06 ± 2,14 Punkte im MoCA, während 28,08 ± 1,41 Punkte für Patienten ohne kogni-

tive Beeinträchtigung zu verzeichnen waren (Tab. 1). MoCA-Werte unterhalb der normativen

Daten für MCI (< 19) wurden sowohl bei Aufnahme als auch bei Entlassung aus der Rehabili-

tation bei neun Patienten (4,9 %) festgestellt und statistisch als Ausreißer klassifiziert.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

16

Tab. 1: Kognitive Leistungsfähigkeit bei Aufnahme und Entlassung aus der Rehabilitation

Kognitive Beeinträchtigung (MoCA <26)

Normale kognitive Funktion (MoCA ≥ 26) Gesamt

Mittel ± SD Spannweite Mittel ± SD Spannweite Mittel ± SD

Aufnahme n = 182 n = 314 MoCA Werte 22.74 ± 2.32 12–25 27.89 ± 1.51 26–31 26.00 ± 3.10 Entlassung

n = 163

n = 333

MoCA Werte 23.06 ± 2.14 15–25 28.08 ± 1.41 26–31 26.42 ± 2.91 N = 496, MoCA: Montreal Cognitive Assessment; SD: Standardabweichung

Für den Zeitpunkt der Aufnahme in die Anschlussrehabilitation wurden signifikante Gruppen-

unterschiede zwischen CI- und noCI-Gruppe für Raucher (65,9 vs. 56,7 %, p = 0,046), schwere

Arbeit (26,4 vs. 17,8 %, p < 0,001), Arbeitsunfähigkeit länger als einen Monat vor Koronarer-

eignis (28,6 vs. 18,5 %, p = 0,026), die maximale Belastbarkeit im Belastungs-EKG (102,5 vs.

118,8 Watt, p = 0,006) und die 6-min-Gehstrecke (401,7 vs. 421,3 m, p = 0,021) festgestellt. Es

wurden keine Unterschiede für Geschlecht, Lebenssituation, Alkoholkonsum, Komorbiditäten,

kardiovaskuläre Risikofaktoren, psychotrope Medikation, NYHA-Klasse, Therapie des Koronar-

ereignisses (CABG vs. PCI), LVEF oder Depressivität und Ängstlichkeit detektiert (Tab. 2).

Multivariat konnten nur vier statistisch signifikante Assoziationen zwischen Patientencharak-

teristika und kognitiver Beeinträchtigung bei Rehabilitationsbeginn (MoCA < 26 vs. ≥ 26

Punkte) ermittelt werden: Neben dem Alter (OR 1.054 pro Jahr, 95 % CI 1.02–1.09; p = 0.005)

und dem schulischen Bildungsniveau (≥ 10 Jahre vs. < 10 Jahre oder ohne Abschluss: OR 0,221,

95 % CI 0,123–0,396; p < 0,001) erwiesen sich eine Arbeitsunfähigkeit länger als einen Monat

vor dem Koronarereignis (OR 1,673, 95 % CI 1,07–2,79; p = 0,03) und körperlich schwere Arbeit

(OR 2,18, 95 % CI 1.42–3.36; p < 0.01) als unabhängige Prädiktoren einer kognitiven Beein-

trächtigung. Die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer kognitiven Beeinträchtigung zu

Rehabilitationsbeginn war dabei für Patienten, die länger als einen Monat vor dem Koronar-

ereignis arbeitsunfähig waren, um 67 % erhöht. Körperlich schwere Arbeit erhöhte das Risiko

einer kognitiven Beeinträchtigung gar um mehr als das Doppelte.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

17

Tab. 2: Patientencharakteristik für die Gesamtpopulation sowie nach kognitiver Leistungsfähigkeit bei Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation

Parameter Gesamt n = 497

Normale kognitive Funktion n = 314a

Kognitive Beeinträchtig.

n = 182a p-Wert

Soziodemographische Daten Alter (Jahre) 54,5 ± 6,2 53,9 ± 6,5 55,5 ± 5,5 0,005 Geschlecht (männlich) 397 (79,9) 246 (78,3) 150 (82,4) 0,298 BMI (kg/m²) 28,7 ± 5,1 28,6 ± 5,1 29,0 ± 5,2 0,361 Familiensituation (alleinlebend) 104 (20,9) 59 (18,8) 44 (24,2) 0,169 Schulbildung (< 10 Jahre) 78 (15,7) 24 (7,6) 54 (29,7) <0,001 Berufstätigkeit vor Koronarereignis 406 (81,7) 267 (85,0) 139 (76,4) 0,021 Schwere körperliche Tätigkeit 104 (20,9) 56 (17,8) 48 (26,4) <0,001 Arbeitsunfähigkeit vor Reha (Monate) 1,5 ± 3,1 1,3 ± 2,9 1,8 ± 3,4 0,085

Akuttherapie 0,497 PCI 336 (67,7) 213 (67,8) 122 (67,4) CABG 140 (28,2) 86 (27,4) 54 (29,8) Konservative Behandlung 20 (4,0) 15 (4,8) 5 (2,8)

kardiovaskuläre Risikofaktoren Arterielle Hypertonie 342 (68,8) 219 (69,7) 122 (67,0) 0,547 Diabetes mellitus 110 (22,2) 63 (20,1) 46 (25,3) 0,216 Dyslipidämie 320 (64,4) 194 (61,8) 125 (68,7) 0,145 Raucher/Ex-Raucher (< 12 Monate) 299 (60,2) 178 (56,7) 120 (65,9) 0,046 Anzahl an Risikofaktoren 2,2 ± 0,9 2,1± 0,9 2,3± 0,9 0,039

Komorbiditäten Psychische Erkrankung 55 (11,1) 28 (8,9) 26 (14,3) 0,073 COPD 38 (7,6) 18 (5,7) 19 (10,4) 0,075 Schlaganfall 17 (3,4) 11 (3,5) 6 (3,3) 1,000

Funktionale Parameter LVEF (%) 55,2 ± 7,9 55,5 ± 7,8 54,8 ± 8,0 0,365 reduzierte LVEF (< 45%) 78 (15,7) 45 (14,3) 33 (18,1) 0,306 6-min Gehtest (m) 413,9 ± 89,1 421,3 ± 84,3 401,7 ± 95,2 0,021 Max. Belastbarkeit (Watt)b 108,3 ± 36,3 111,8 ± 34,9 102,5 ± 38,0 0,006

Psychologisches Screening (HADS) Depressivität 5,3 ± 3,9 5,2 ± 4,0 5,6 ± 3,8 0,328 Ängstlichkeit 6,3 ± 4,1 6,4 ±4,0 6,4 ± 4,4 0,686

Ergebnisdarstellung als Mittelwert ± Standardabweichung oder Anzahl an Fällen (Prozent)

a kognitive Beeinträchtigung: MoCA < 26 Punkte; fehlendes kognitives Screening bei Aufnahme bei einem Pati-enten, b im Belastungs-EKG CABG: koronare-Bypassoperation; COPD: chronisch obstruktive Lungenerkrankung; HADS: Hospital Anxiety and Depression Scale LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion; PCI: perkutane Koronarintervention; MoCA: Montreal Cognitive Assessment

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

18

4.2 Fehlende Werte, Nachbefragung und Non-Responder-Analyse

Die Baseline-Variablen waren fast vollständig. Lediglich bei Depressivität und Ängstlichkeit gab

es eine relevante Anzahl fehlender Werte (13,5% bei Entlassung). Nach eingehender Diskus-

sion im Team überwogen die Zweifel an der Missing-at-Random-Annahme. Deshalb wurde auf

eine Imputation verzichtet. Die Variable erwies sich im Folgenden partiell als inhaltlich be-

deutsam. Die entsprechenden Teilanalysen wurden deshalb mit etwas vermindertem

Stichprobenumfang auf der Basis von available cases durchgeführt.

Das Follow-up zur Ermittlung des Status der beruflichen Wiedereingliederung und des mo-

mentanen krankheitsbezogenen Wissensstandes erfolgte im Mittel 211 ± 51 Tage nach der

Entlassung aus der AR. Von den 401 Respondern (80,7 %) waren 258 (64,7 %) zum Zeitpunkt

der Nachbefragung erwerbstätig. 51 Patienten (12,8 %) gaben an, berentet worden zu sein

oder eine Rente beantragt zu haben, während 44 (11,0 %) arbeitslos waren. 73 Patienten

(18,3 %) waren weiterhin arbeitsunfähig. Eine Umschulung war nur in einem Fall (0,3 %), eine

stufenweise Wiedereingliederung bei 56 Patienten (14,0 %) erfolgt. 72 Patienten (18,3 %) hat-

ten an einem Reha-Nachsorgeprogramm (z. B. IRENA) und 131 (32,7 %) an einer Herzgruppe

teilgenommen. Erneute kardiovaskulär bedingte Krankenhausaufenthalte wurden von 50 Pa-

tienten (12,5 %) berichtet.

Die univariate Responder/Non-Responder-Analyse zeigte in Bezug auf die kognitive Leistungs-

fähigkeit weder für die Screeningergebnisse bei Aufnahme noch am Ende der Rehabilitation

Gruppenunterschiede (Tab. 3). Allerdings war bei den Non-Respondern (n = 96) gegenüber

den Respondern (n = 401) häufiger ein ungesunder Lebensstil (Ernährung, Rauchverhalten)

vor der Rehabilitation zu verzeichnen; ihr medizinisches Wissen war sowohl zu Beginn als auch

am Ende der AR geringer ausgeprägt. Der Wissenszuwachs während der Rehabilitation hinge-

gen war in beiden Gruppen vergleichbar. Darüber hinaus waren Non-Responder seltener

erwerbstätig bzw. öfter arbeitslos und schätzten ihre berufliche Prognose bei Reha-Entlassung

häufiger ungünstig ein.

Bezüglich klinischer Variablen zeigten sich lediglich für den Chronifizierungsgrad der korona-

ren Herzerkrankung Auffälligkeiten: die Non-Responder hatten signifikant häufiger ein

Rezidivereignis erlitten.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

19

Tab. 3: Exemplarische Gruppenvergleiche zwischen Respondern und Non-Respondern im 6-Monats-Follow up

Parameter Responder n = 401

Non-Responder n = 96 p-Wert

Soziodemographische und berufsbezogene Daten Alter (Jahre) 54,5 ± 6,3 54,6 ± 5,9 0,816 Geschlecht (männlich) 321 (80,0) 76 (79,2) 0,846 BMI (kg/m²) 28,7 ± 5,1 28,6 ± 5,4 0,854 Familiensituation (alleinlebend) 77 (19,2) 27 (28,1) 0,054 Schulbildung (< 10 Jahre) 56 (14,0) 19 (19,8) 0,152 Berufstätigkeit vor Reha 341 (85,0) 65 (67,7) <0,001 leichte körperliche Tätigkeit 153 (38,2) 23 (24,0) 0,009 Selbsteinschätzung der beruflichen Perspektive in einem halben Jahr

erwerbstätig 331 (82,5) 68 (70,8) 0,010 arbeitsunfähig 28 (7,0) 9 (9,4) 0,422 arbeitslos 22 (5,5) 15 (15,6) 0,001

Arbeitsunfähigkeit vor Reha (Monate) 1,4 ± 3,0 1,7 ± 3,4 0,382 Chronifizierungsgrad der KHK (Rezidiv) 49 (12,3) 21 (21,9) 0,015 Lebensstil/Risikofaktoren

Raucher/Ex-Raucher (<12 Monate) 228 (56,9) 71 (74,0) 0,002 Obst/Gemüse (< einmal täglich) 99 (24,7) 41 (42,7) < 0,001 Softdrinks (täglich) 80 (20,0) 31 (32,3) 0,009 Psychologisches Screening (HADS) Ängstlichkeit 6,6 ± 4,2 (n=372) 5,1 ± 3,7 (n=82) 0,004 Depressivität 5,5 ± 3,9 (n=374) 4,8 ± 3,9 (n=83) 0,134

Funktionale Parameter bei Entlassung Max. Belastbarkeit (Watt)a 128,6 ± 46,6 (n=353) 115,7 ± 33,7 (n=73) 0,025 6-min-Gehstrecke (m) 498,3 ± 91,2 (n=375) 471,1 ± 105,5 (n=88) 0,015

Kognitive Leistungsfähigkeit und gesundheitsbezogenes Wissen Aufnahme

MoCA 26,1 ± 3,0 25,7 ± 3,5 0,238 Kognitive Beeinträchtig. (MoCA<26) 143 (35,7) 39 (41,1) 0,327 Medizinisches Wissen 14,4 ± 3,7 13,2 ± 4,0 0,007 Lebensstilwissen 8,9 ± 2,2 8,4 ± 2,7 0,090 Krankheitsbezog. Wissen gesamt 23,3 ± 5,3 21,7 ± 6,2 0,011

Entlassung MoCA 26,5 ± 2,9 26,2 ± 3,1 0,390 Kognitive Beeinträchtig. (MoCA<26) 131 (32,8) 32 (34,0) 0,810 Medizinisches Wissen 16,5 ± 3,1 (n=396) 15,6 ± 3,4 (n=95) 0,014 Lebensstilwissen 9,9 ± 1,9 (n=395) 9,6 ± 1,9 (n=95) 0,146 Krankheitsbezog. Wissen gesamt 26,4 ± 4,5 (n=395) 25,1 ± 4,8 (n=95) 0,019

Wissenszuwachs während der Reha Medizinisches Wissen 2,1 ± 3,6 (n=395) 2,3 ± 3,8 (n=94) 0,619 Lebensstilwissen 1,0 ± 2,2 (n=394) 1,2 ± 2,6 (n=94) 0,574 Krankheitsbezog. Wissen gesamt 3.1 ± 5.0 (n=394) 3.5 ± 5.8 (n=94) 0.569

Ergebnisdarstellung als Mittelwert ± Standardabweichung oder Anzahl an Fällen (Prozent); a im Belastungs-EKG BMI: Body Mass Index; HADS: Hospital Anxiety and Depression Scale; MoCA: Montreal Cognitive Assessment

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

20

4.3 Entwicklung des gesundheitsbezogenen Wissens

Während der Rehabilitation konnte das krankheitsbezogene Wissen der Gesamtpopulation in

den beiden Skalen Medizinisches Wissen und Lebensstilwissen signifikant vermehrt werden

(Abb. 2), wobei die Gruppe der zu Rehabilitationsbeginn kognitiv beeinträchtigten Patienten

weniger Wissen aufbaute als Patienten mit normaler kognitiver Funktion (Tab. 4). Sechs Mo-

nate nach Entlassung war das Medizinische Wissen wiederum, insbesondere bei Patienten mit

kognitiver Beeinträchtigung zum Entlassungszeitpunkt, deutlich reduziert. Dabei muss konsta-

tiert werden, dass die Patienten dieser Gruppe weniger Schulungstermine wahrgenommen

hatten als Patienten mit normaler kognitiver Leistungsfähigkeit, obgleich alle Patienten im

Rahmen der Studie explizit auf die Notwendigkeit zur Teilnahme an den Patientenschulungen

hingewiesen worden waren (Tab. 4).

Abb. 2: Ausprägung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz) während und nach der kardiologischen Rehabilitation (n = 393) Maximal zu erreichende Punktzahlen im Wissensquiz: Gesamt – 34 Punkte; Medizinisches Wissen – 22 Punkte, Lebensstilwissen – 12 Punkte

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

21

Das Wissen zum Lebensstil blieb während des Follow-up-Zeitraums unabhängig von der Grup-

penzugehörigkeit auf einem stabilen Niveau erhalten. Darüber hinaus deutete das

patientenseitig in der Follow-up-Befragung berichtete Ernährungs- und Aktivitätsverhalten

darauf hin, dass diesbezügliche Empfehlungen aus der Rehabilitation zumindest teilweise um-

gesetzt werden konnten. So war der Anteil der Patienten, die angaben, mindestens einmal pro

Woche Obst bzw. Fisch zu konsumieren, signifikant höher als zu Beginn der Rehabilitation

(Abb. 3). Außerdem gaben die Patienten an, an deutlich mehr Tagen in der Woche sportlich

aktiv zu sein als vor dem Koronarereignis. Der Anteil der Raucher unter den Nachbefragten

erschien von 21,9 % (n = 87) auf 18,6 % (n = 74) reduziert, wobei dieser Unterschied keine

statistische Signifikanz aufwies (p = 0,072).

Tab. 4: Änderung des krankheitsbezogenen Wissens (Wissensquiz) und Anteil besuchter Schulungstermine in Abhängigkeit kognitiver Beeinträchtigung

Rehabeginn Rehaende

Gesamt

(n = 497) NoCI

(n = 314)

CI (n = 182) p-Wert

NoCI (n = 331)

CI (n = 163) p-Wert

Wissenszuwachs zwischen Rehabeginn und -ende Wissen gesamt 3,2 ± 5,2 3,5 ± 5,4 2,7 ± 4,8 0,005 3,2 ± 5,1 3,1 ± 5,4 0,865 Medizinisches Wissen 2,1 ± 3,6 2,3 ± 3,7 1,8 ± 3,4 0,148 2,1 ± 3,7 2,2 ± 3,6 0,962 Lebensstilwissen 1,0 ± 2,3 1,2 ± 2,3 0,8 ± 2,2 0,135 1,1 ± 2,2 1,0 ± 2,4 0,706

Wissenserhalt zwischen Rehaende und 6 Monaten danach

Wissen gesamt -0,4 ± 5,9 -0,1 ± 4,7 -1,0 ± 5,1 0,111 -0,0 ± 4,5 -1,2 ± 5,5 0,019 Medizinisches Wissen -0,4 ± 3,6 -0,1 ± 3,4 -0,9 ± 3,8 0,048 -0,0 ± 3,2 -1,1 ± 4,2 0,005 Lebensstilwissen -0,0 ± 2,0 -0,0 ± 1,9 -0,1 ± 2,1 0,714 0,0 ± 1,9 -0,1 ± 2,2 0,489

Anteil besuchter Schulungen (%) 88,8 ± 16,1 91,8 ± 13,6 83,7 ± 18,5 < 0,001 91,8 ± 13,8 82,8 ± 18,5 < 0,001

Maximal zu erreichende Punktzahlen im Wissensquiz: Gesamt – 34 Punkte; Medizinisches Wissen – 22 Punkte, Lebensstilwissen – 12 Punkte; CI: Cognitive Impairment (kognitive Beeinträchtigung; MoCA < 26 Punkte), NoCI: normale kognitive Funktion (MoCA ≥ 26 Punkte)

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

22

4.4 Einfluss der kognitiven Leistungsfähigkeit auf den Schulungserfolg und die berufliche

Wiedereingliederung

Der Schulungserfolg, gemessen am Wissenszuwachs während der Rehabilitation, wurde so-

wohl in den beiden Skalen Medizinisches Wissen und Lebensstilwissen als auch insgesamt von

der kognitiven Leistungsfähigkeit der Patienten bei Aufnahme in die Rehabilitation beein-

flusst. So war der Gesamtwissenszuwachs zum Ende der Rehabilitation um 0,16 Punkte im

Wissensquiz pro MoCA-Punktwert bei Aufnahme in die Reha erhöht (95 % CI 0,05–0,28,

p = 0,007; mittlere Differenz im Wissensquiz während der Rehabilitation vgl. Tab. 4). Das Medizinische

Wissen war pro Punkt im MoCA um 0,09 Punkte, das Lebensstilwissen um 0,08 Punkte im Wissensquiz

höher (p = 0,032 bzw. 0,002; Tab. 5, Seite 21).

Weitere Einflussfaktoren stellten das Vorwissen, der schulische Bildungsgrad, eine vorhan-

dene Komorbidität und für das medizinische Wissen die max. Belastbarkeit in der

Fahrradergometrie zu Beginn der AR sowie für das Lebensstilwissen die Erwerbstätigkeit vor

der Rehabilitation dar (Tab. 5).

Abb. 3: Lebensstiländerung 6 Monate nach der kardiologischen Rehabilitation (n= 399)

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

23

Tab. 5: Prädiktoren des Wissenszuwachses während der Rehabilitation bzw. des Wissenserhalts nach der Rehabilitation

Prädiktoren

Änderung im Wissenszuwachs

(Quizpunkte) 95% Konfidenzintervall p-Wert

Wissenszuwachs gesamt T2–T11 Schulabschluss (<10. Klasse) 1,18 0,55–1,82 <0,001 Wissen gesamt T1 -0,66 -0,72–-0,59 <0,001 Max. Belastbarkeit T1 (pro 25 Watt) 0,38 0,13–0,63 0,003 Komorbidität vorhanden 1,09 0,38–1,81 0,003 MoCA Summenscore T1 0,16 0,05–0,28 0,007 Erwerbstätig vor Reha 0,96 0,05–1,87 0,038

Medizinisches Wissen T2–T12 Max. Belastbarkeit T1 (Watt) 0,33 0,15–0,50 <0,001 medizinisches Wissen T1 -0,65 -0,72–-0,58 <0,001 Schulabschluss (< 10. Klasse) 0,81 0,35–1,26 0,001 Komorbidität vorhanden 0,62 0,11–1,13 0,018 MoCA Summenscore T1 0,09 0,01–0,18 0,032

Lebensstil–Wissen T2–T13 Lebensstil–Wissen T1 -0,71 -0,77–-0,64 <0,001 Schulabschluss (< 10. Klasse) 0,47 0,20–0,74 0,001 MoCA Summenscore T1 0,08 0,03–0,13 0,002 Komorbidität vorhanden 0,40 0,10–0,70 0,010 Erwerbstätig vor Reha 0,42 0,05–0,80 0,028

Wissen gesamt T3–T24 Wissen gesamt T1 0,23 0,15–0,32 <0,001 Wissen gesamt T2 -0,72 -0,82–-0,62 <0,001 MoCA Summenscore T2 0,36 0,22–0,50 <0,001 6–min–Gehtest T2 (pro 10 m) 0,61 0,02–0,11 0,007

Medizinisches Wissen T3–T25 Medizinisches Wissen T1 0,25 0,16–0,34 <0,001 Medizinisches Wissen T2 -0,73 -0,84–-0,62 <0,001 MoCA Summenscore T2 0,28 0,17–0,38 <0,001 Depressivität T2 (HADS) -0,11 -0,20–-0,02 0,020 Max. Belastbarkeit T1 (Watt) 0,23 0,01–0,44 0,042

Lebensstil–Wissen T3–T26 Lebensstil–Wissen T1 0,18 0,10–0,26 <0,001 Lebensstil–Wissen T2 -0,67 -0,77–-0,57 <0,001 MoCA Summenscore T2 0,09 0,03–0,14 0,006 6–min–Gehtest T2 (m) 0,03 0,01–0,04 0,010 Orthopädische Komorbidität 0,38 0,03–0,74 0,033

Modellkennzahlen (einbezogene Fälle n und erklärte Varianz nach korrigiertem R²): 1 474, 47 %; 2 475, 45%; 3 486, 49 %; 4 47, 35 %, 5 347, 35 %; 6 368, 32 % MoCA: Montreal Cognitive Assessment; T1: Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation; T2: Entlassung aus der Rehabilitation; T3: Follow up ca. 6 Monate nach Entlassung

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

24

Der Erhalt des Wissens nach der Rehabilitation hingegen hing wesentlich von den Ergebnissen

im MoCA-Test bei Entlassung ab. So fiel die Differenz im Wissensquiz zwischen Entlassung aus

der AR und sechs Monaten danach (im Mittel -0,4 ± 5,9 Punkte, vgl. Tab. 4) pro zusätzlichem

Punkt im MoCA bei Entlassung um 0,36 Punkte höher aus (p < 0,001). Dieser Zusammenhang

war auch für die einzelnen Skalen des Wissensquiz Medizinisches Wissen und Lebensstilwissen

separat nachweisbar: pro MoCA-Punkt bei Entlassung resultierte eine um 0,28 bzw. 0,09

Punkte höhere Differenz der Skalen im Follow-up-Zeitraum (p < 0,001 bzw. p = 0,006; Tab. 5).

Eine gute oder sehr gute kognitive Leistungsfähigkeit zum Ende der Rehabilitation trug also

wesentlich zur Verankerung bzw. zur weiteren Vermehrung des krankheitsbezogenen Wissens

im mittelfristigen Verlauf bei. Zusätzlich wurde die Nachhaltigkeit der Schulung durch das Vor-

wissen der Patienten, die Fitness und den Depressivitätswert im HADS bei Entlassung aus der

AR bedingt.

Der Status der beruflichen Wiedereingliederung ein halbes Jahr nach der Rehabilitation war

hingegen nicht durch die kognitive Leistungsfähigkeit zu erklären. Vielmehr stellte die Er-

werbstätigkeit vor der Rehabilitation mit einer beinahe zehnfachen Wahrscheinlichkeit der

beruflichen Wiedereingliederung sechs Monate nach der AR einen unabhängigen Prädiktor

derselben dar. Des Weiteren bedingten höhere Depressionswerte bei Aufnahme und größere

Zunahme im HADS unter der Rehabilitation die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Wieder-

eingliederung ungünstig (pro +3,9 Punkte Depressivitätswert bei Aufnahme (SD) bzw. +2,7

Punkte Differenz zwischen Rehaentlassung und -aufnahme resultierte eine Reduktion der

Wahrscheinlichkeit der beruflichen Wiedereingliederung um 48 bzw. 45 %). Die körperliche

Belastbarkeit und Arbeitsfähigkeit bei Entlassung sowie die Selbsteinschätzung der berufli-

chen Perspektive durch die Patienten stellten ebenfalls unabhängige Prädiktoren der

beruflichen Wiedereingliederung dar, wobei insbesondere eine vom Patienten prognostizierte

Arbeitsunfähigkeit sechs Monate nach AR mit einer um über 80 % geringeren Wahrscheinlich-

keit der tatsächlichen beruflichen Wiedereingliederung einherging (p = 0,004; Abb. 4). Eine

vom Patienten erwartete bzw. angenommene Arbeitslosigkeit oder Berentung ein halbes Jahr

nach Reha-Entlassung sagte zudem mit über 90 %iger Trefferquote eine nicht realisierte Rück-

kehr in die Erwerbstätigkeit voraus.

CoCaRehab Abschlussbericht Januar 2017

25

5 Diskussion

5.1 Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen in der kardiologischen

Anschlussrehabilitation

Die Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen bei Aufnahme in die kardiologische Rehabilita-

tion nach akutem koronaren Ereignis war in vorliegender Untersuchung mit mehr als 35 %

bemerkenswert hoch. Die Ausprägung der Beeinträchtigungen kann dabei der sogenannten

Leichten Kognitiven Beeinträchtigung (mild cognitive impairment, MCI) zugeordnet werden,

da in der untersuchten Population lediglich für neun Patienten mäßig bis starke Beeinträchti-

gungen festgestellt wurden.

Abb. 4: Prädiktoren der beruflichen Wiedereingliederung

n= 331, erklärte Varianz nach Nagelkerke 47,3 %; bei den kontinuierlichen Skalen wurde als Einheit die jewei-lige Standardabweichung gewählt, um Effektvergleiche zu ermöglichen. T1: Aufnahme in die kardiologische Rehabilitation; T2: Entlassung aus der Rehabilitation; MoCA: Montreal Cog-nitive Assessment

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Wie schon im Abschnitt 2.2 beschrieben, ist die Beurteilung von Studienergebnissen zur kog-

nitiven Leistungsfähigkeit populationsabhängig. So zeigten andere Studien vergleichbare oder

höhere Prävalenzen des MCI bei kardiologischen Patienten [7,8,10], wobei die in diese Studien

eingeschlossenen Patienten in der Regel älter waren als die aktuell untersuchte Gruppe unter

65-jähriger KHK-Patienten. In der allgemeinen kaukasischen Bevölkerung in der Altersgruppe

von 60–65 Jahren wird die Prävalenz des MCI auf 11–17 % geschätzt [20]. Des Weiteren wer-

den ermittelte Prävalenzen wesentlich durch die verwendeten Assessmentverfahren

bestimmt [21], wobei standardisierte neuropsychologische Testbatterien wahrscheinlich zu

höheren Prävalenzraten und präziseren Ergebnissen führen würden als das hier verwendete

Screeninginstrument [22]. Aufgrund der reduzierten Vergleichbarkeit sollten die vorliegenden

Studienergebnisse zur Prävalenz kognitiver Defizite in der kardiologischen AR daher umsichtig

interpretiert werden.

Zum Ende der Rehabilitation zeigte sich die Punktprävalenz des MCI signifikant auf knapp 33 %

verringert. Dieser Befund kann zum einen auf die Wirkung der Rehabilitationsmaßnahme

selbst und hier vor allem auf den Einfluss von körperlicher Aktivität und der medikamentösen

Therapie der KHK zurückgeführt werden [23–26]. Zum anderen sind kognitive Beeinträchti-

gungen nach einem akuten Ereignis und insbesondere nach erfolgter koronarer

Bypassoperation häufig transient und innerhalb von 3–12 Wochen reversibel [27].

5.2 Assoziationen zwischen kognitiver Beeinträchtigung und Patientencharakteristika

In der vorliegenden Untersuchung wurden neben dem Alter und dem Bildungsniveau eine

mehr als einen Monat andauernde Arbeitsunfähigkeit vor dem Koronarereignis sowie eine

hohe körperliche Arbeitsschwere als unabhängige Prädiktoren der kognitiven Beeinträchti-

gung bei Aufnahme in die AR identifiziert. Ein Zusammenhang zwischen kognitiver

Beeinträchtigung und der linksventrikulären Ejektionsfraktion, wie mehrfach in der Literatur

beschrieben, konnten hingegen nicht bestätigt werden [19,28,29,30–32]. In der aktuell unter-

suchten Stichprobe wiesen allerdings – im Gegensatz zu den zitierten Studien – lediglich 38

Patienten (7,6 %) eine reduzierte LVEF von weniger als 40 % auf. Zudem scheint die Nachweis-

barkeit der Assoziation zwischen der LVEF oder anderen klinischen Faktoren und einer

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27

kognitiven Beeinträchtigung nicht nur von der untersuchten Population, sondern auch von

den verwendeten Test- oder Sreeningverfahren abhängig zu sein [19,33].

Dabei bleibt zu beachten, dass anhand des eingesetzten Screeningverfahrens zwar mit hoher

Sensitivität kognitive Beeinträchtigungen detektiert werden können. Eine (Differential-) Diag-

nostik und Typisierung der kognitiven Beeinträchtigung ist hierdurch jedoch nicht zu ersetzen.

Folglich kann in der Studienpopulation weder zwischen vorbestehenden und entwickelten

oder postoperativen kognitiven Beeinträchtigungen unterschieden, noch zwischen der am-

nestischen1 und der nicht-amnestischen Form des MCI differenziert werden.

Die Ätiologie der verschiedenen kognitiven Beeinträchtigungen divergiert dabei vermutlich

erheblich und ist bislang nicht hinreichend geklärt. Grundsätzlich ist die Entwicklung kognitiver

Beeinträchtigungen altersassoziiert und kann durch eine ungesunde Lebensweise (bspw. Rau-

chen, Alkoholmissbrauch, Bewegungsmangel oder ungesunde Ernährung) begünstigt werden

[34,35]. Darüber hinaus sind die arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus und Hyperlipidämie

als Risikofaktoren eines MCI wie auch einer koronaren Herzerkrankung nachgewiesen [9], was

die simultane Entwicklung beider Entitäten vermuten lässt [36]. Gleichzeitig scheinen vorbe-

stehende kognitive Defizite die Entwicklung einer KHK zu bedingen [37]. Demgegenüber

konnten Studien durch bildgebende Verfahren eindrucksvoll regionale zerebrale Veränderun-

gen nach akuten kardialen Ereignissen nachweisen [38,39], die wiederum kognitive

Beeinträchtigungen zur Folge haben.

Spezifische und belastbare Prädiktoren der kognitiven Beeinträchtigung bei Aufnahme in die

kardiologische Rehabilitation waren daher in der berichteten Studie nicht zu ermitteln. Nichts-

destotrotz können die identifizierten Assoziationen als Indizien für das Vorliegen einer

kognitiven Beeinträchtigung in der Reha verstanden werden.

5.3 Effekte kognitiver Beeinträchtigungen auf den Schulungserfolg und die berufliche Wie-

dereingliederung

Krankheitsbezogene Patientenschulungen stellen neben der medizinischen Versorgung,

Sport- und Physiotherapie sowie psychologischer und sozialer Beratung eine Kernkomponente

1 Die amnestische LKB, bei der vorrangig die Gedächtnisfunktion beeinträchtigt ist, gilt als Vorstadium eines De-menz-Syndroms vom Alzheimer-Typ.

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der kardiologischen Rehabilitation dar [3]. Im Rahmen der AR nach akutem koronaren Ereignis

dienen sie in erster Linie der konsequenten Sekundärprävention rezidivierender Ereignisse.

Der Erfolg dieser Schulungen, gemessen am Wissenszuwachs während und nach der Rehabi-

litation, wird jedoch essentiell von der kognitiven Leistungsfähigkeit der Patienten beeinflusst.

Werden aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen die Schulungsinhalte nicht verinnerlicht bzw.

die Bedeutung des vermittelten Wissens nicht erkannt, könnten eine verminderte Adhärenz

insbesondere in Bezug auf die medikamentöse Therapie, eine Fehlinterpretation ereignisspe-

zifischer Symptomatiken, Schwierigkeiten beim Lernen und Ausführen von

Überwachungsfunktionen wie z. B. selbständigen Blutdruckmessungen oder bei der Umset-

zung von gesundheitsfördernden Lebensstilmodifikationen resultieren.

In der aktuell untersuchten Population konnten im Mittel deutliche Verbesserungen hinsicht-

lich der sportlichen Aktivität und gesunder Ernährung zwischen Reha-Beginn und sechs

Monaten nach Entlassung verzeichnet werden. Korrespondierend blieb das Wissen zum Le-

bensstil auf einem stabilen Niveau erhalten, während das medizinische Wissen ein halbes Jahr

nach der AR signifikant vermindert war. Dieses Ergebnis mag u. a. auf der hohen Frequenz von

Wiederholungen der Lehrinhalte beruhen, die sich aus der Kombination von Schulungen durch

Sporttherapeuten und Ernährungsberatern wie auch der haptischen Erlebbarkeit der Schu-

lungsinhalte durch Lehrküche oder Trainingstherapie ergeben.

Medizinisches Wissen zu den Grundlagen und Auswirkungen einer KHK bzw. den Symptomen

eines akuten Koronarsyndroms wird hingegen hauptsächlich durch ärztliche Vorträge einmalig

vermittelt. Die sehr hohe Prävalenz kognitiver Beeinträchtigungen und deren deutlich limitie-

render Effekt auf den Schulungserfolg von kardiologischen Patienten unter 65 Jahren

sprechen jedoch dafür, die wesentlichen medizinisches Schulungsinhalte innerhalb der Reha-

bilitation in didaktisch angemessener Form zu vermitteln. Hierbei sollten insbesondere

spezifische gerontagogische Maßnahmen wie eine Reduktion des Komplexitätsgrades oder

ein vermehrtes Repetieren Beachtung finden.

Darüber hinaus spiegelt der Umstand, dass medizinisches Wissen von den Patienten weniger

gut verinnerlicht wird, möglicher Weise eine mangelnde Relevanz einzelner Schulungsinhalte

wider. Sie sollten daher kritisch hinterfragt und nach konkret handlungsweisenden Informati-

onen für den Patienten priorisiert werden.

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Auf den Status der beruflichen Wiedereingliederung ein halbes Jahr nach der kardiologischen

Rehabilitation hatte die kognitive Leistungsfähigkeit der Patienten hingegen keinen Einfluss.

Der Status der Erwerbstätigkeit vor der Rehabilitation, die körperliche Belastbarkeit und Ar-

beitsfähigkeit bei Entlassung, höhere Depressivitätswerte im HADS sowie die

Selbsteinschätzung der beruflichen Perspektive konnten jedoch als unabhängige Prädiktoren

der beruflichen Wiedereingliederung bestätigt werden.

Der negative Einfluss einer Depression auf verschiedene psychosoziale wie auch klinische Pa-

rameter wurde in den letzten Jahren gut untersucht: Depressive Patienten lassen sich

schwerer zu lebensstilverändernden Maßnahmen motivieren, zudem behindern Antriebsmin-

derung und negative Weltsicht die Medikamentenadhärenz, positive Selbsteinschätzungen

(bspw. hinsichtlich der beruflichen Perspektive) und körperliche Aktivität [40,41]. Im berich-

teten Projekt führte eine depressive Symptomatik zudem zu einer Reduktion des

medizinischen Wissens in den Folgemonaten der Rehabilitation.

5.4 Limitationen

Die Ergebnisse vorliegender Untersuchung sind methodisch limitiert und folglich umsichtig zu

interpretieren. Zur Detektion einer kognitiven Beeinträchtigung wurde der MoCA als Scree-

ninginstrument verwendet. Differenzierte Ergebnisse insbesondere zur Art der kognitiven

Beeinträchtigung wie z. B. bei Anwendung einer neuropsychologischen Test-Batterie waren

daher nicht zu erwarten. Des Weiteren sah das Studiendesign keine Kontrollgruppe ohne kar-

diologische Erkrankung vor, weshalb die Beurteilung der ermittelten Prävalenzraten anhand

von aktueller Vergleichsliteratur vorgenommen wurde [13,20,42–44]. Vorbestehende kogni-

tive Beeinträchtigungen konnten darüber hinaus aufgrund des Studiendesigns keine

Berücksichtigung finden, wobei entsprechende Defizite mit postoperativen kognitiven Beein-

trächtigungen korrelieren [45].

In Bezug auf die Nachbeobachtung sechs Monate nach Entlassung aus der AR stellten die Res-

ponder bezüglich Lebensstil und Wissen eine Positivauslese dar. Dadurch wurden in der

Stichprobe im Vergleich zum Gesamtkollektiv vermutlich zu „gute“ und zu homogene Werte

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gemessen. Im Ergebnis werden die Prognosen zu optimistisch ausgefallen sein und die Ein-

flussgrößen möglicherweise zu skeptisch bewertet. Eine formale Korrektur ist nicht möglich,

bei entsprechend vorsichtiger Interpretation aber wohl auch nicht erforderlich.

5.5 Fazit für die Versorgungspraxis

Die Patientenschulung in der kardiologischen Rehabilitation führt zu einer Erhöhung des

krankheitsbezogenen Wissens der Patienten, wobei medizinische weniger gut als praxis- und

lebensnahe Inhalte verinnerlicht werden. Der individuelle Schulungserfolg, insbesondere hin-

sichtlich des Wissenserhalts nach der Rehabilitation, hängt jedoch wesentlich von der

kognitiven Leistungsfähigkeit des Patienten ab, wobei ca. ein Drittel der Rehabilitanden mit

KHK von kognitiven Beeinträchtigungen betroffen ist.

Vor diesem Hintergrund sollten Patientenschulungen grundsätzlich überdacht werden. Es gilt,

die zu vermittelnden (medizinischen) Inhalte zu priorisieren und anhand geeigneter didakti-

scher Methoden möglichst praxisnah zu transferieren. Dabei sollte ein Gesamtkonzept

Anwendung finden, dass auch die häufige Wiederholung der Inhalte in unterschiedlichem

Kontext (z. B. während der Trainingstherapie) einbezieht. Die Konzeptualisierung krank-

heitsspezifischer Patientenschulungen sollte dabei zentral von einem Schulungsleiter

gesteuert werden, der im Idealfall über Kenntnisse in der Erwachsenenpädagogik verfügt und

dem darüber hinaus spezifische Fortbildungsangebote, wie sie z. B. das Zentrum Patienten-

schulung e. V., Würzburg, anbietet, von der jeweiligen Klinikleitung offeriert werden.

Um den heterogenen Voraussetzungen der zu betreuenden Patienten in der kardiologischen

Rehabilitation Rechnung zu tragen, ist zudem ein modularer Aufbau von Patientenschulungen

in Betracht zu ziehen. Dadurch könnten die Vermittlung von zwingend notwendigem Basiswis-

sen und vertiefenden medizinischen Hintergrundinformationen strukturell voneinander

abgegrenzt werden. In der vorliegenden Studie war für Patienten mit kognitiver Beeinträchti-

gung eine reduzierte Rate besuchter Schulungstermine zu verzeichnen, obgleich die

Studienteilnehmer hinsichtlich der entsprechenden Notwendigkeit instruiert waren. Diese In-

konsequenz kann als Indiz der Überforderung und Überfrachtung im Rahmen der

kardiologischen AR gewertet werden, die es in Zukunft zu vermeiden gilt.

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Separate Schulungen für kognitiv Beeinträchtigte sind indes in keiner Weise zu empfehlen.

Hierfür wäre ein allumfassendes Screening aller anreisenden Patienten notwendig, das bei

positivem Befund eine hinreichende neuropsychologische Diagnostik und Differentialdiagnos-

tik erfordern würde. Bei mangelhafter Evidenzlage scheint vor dem Hintergrund der unklaren

Ätiologie kognitiver Beeinträchtigungen bei kardiologischen Patienten eine Intervenierbar-

keit, die über die ohnehin in der kardiologischen Rehabilitation beinhaltete

Lebensstilmodifikation hinausgeht, nicht gegeben.

Zum anderen könnte ein solches Konzept eine Stigmatisierung und damit eine zusätzliche psy-

chische Belastung betroffener Patienten zur Folge haben, die ethisch nicht vertretbar und für

das Erreichen der Rehabilitationsziele als kontraproduktiv zu bewerten wären. Unabhängig

davon war der Schulungserfolg in vorliegender Untersuchung von weiteren Faktoren wie

bspw. der Schulbildung abhängig, die in adäquaten Schulungsprogrammen ebenfalls Berück-

sichtigung finden sollten.

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