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i J. Orn. 250 [ 114 j. Orn. 114, 1973: s. 250-252 Aus dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Radolfzell Alarmlaute europäischer und nordafrikanischer Tannenmeisen (Parus ater ater, P. ater atlas, P. ater ledouci) und der Schwarzschopfmeise (P. melanolophus) Von Hans Löhrl und Gerhard Thielcke SNOW (1952) wies darauf hin, daß die A]armrufe der nordwestafrikanischen Rassen der Tannenmeisen (atlas, ledouci) sehr verschieden von denen in Europa sind. Unsere Tannenmeisen bringen gegenüber möglichen Nesträubern verschiedenartige langgezogene, klangvolle Rufe (Abb. a). Entsprechende Rufe der Schwarzschopf- meise sind diesen mehr oder weniger ähnlich (Abb. b). Die Atarmrufe afrikanischer Tannenmeisen sind dagegen kurz, geräuschhaft, reichen über einen weiten Tonhöhen- bereich und folgen einander sehr schnell. Diese Rufreihen hören sich wie ein Schnarren an. Sie ähneln am ehesten entsprechenden Rufreihen der Trauermeise (LöHRL 1966), die allerdings wesentlich länger sind. G. RHEmWALD brachte im September 1969 aus Marokko drei Tannenmeisen-Fäng- ]inge mit, die in eine Voliere kamen. In Alarmsituationen verwandten sie die für afrikanische Tannenmeisen typischen Rufreihen (Abb. c). Wenn man diesen Tannen- meisen einen ausgestopften Waldkauz (Strix «Iuco) vorhielt, fingen sie bald an zu schnarren. Beim ersten derartigen Versuch riefen handaufgezogene europäische Tan- nenmeisen, deren erwachsene Junge wie auch Schwarzschopfmeisen in derselben kH; 7 5 3 i~iiillt i i 0.5 1 see ,4 J ater ater Abb. Alarmrufe gegenüber Nesträubern: (a) von drei mitteleuropäischen Tannenmeisen, (b) einer Schwarzschopfmeise (Parus rnelanolophus), (c) einer marokkani~chen Tannenmeise (Parus ater atlas) und (d) einer mitteleuropäischen Tannenmeise, die in derselben Voliere gehalten würde wie marokkanische Tannenmeisen. Die Rufe sind mit den natürlichen Pausen abgebildet. Die kurzen Striche auf der Grundlinie stehen für eine größere Pause oder als Abgrenzung zwischen Rufen verschiedener Individuen.

Alarmlaute europäischer und nordafrikanischer Tannenmeisen(Parus ater ater, P. ater atlas, P. ater ledouci) und der Schwarzschopfmeise(P. melanolophus)

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Page 1: Alarmlaute europäischer und nordafrikanischer Tannenmeisen(Parus ater ater, P. ater atlas, P. ater ledouci) und der Schwarzschopfmeise(P. melanolophus)

i J. Orn. 250 [ 114

j . Orn. 114, 1973: s. 2 5 0 - 2 5 2

Aus dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Radolfzell

Alarmlaute europäischer und nordafrikanischer Tannenmeisen (Parus ater ater, P. ater atlas, P. ater ledouci) und der Schwarzschopfmeise (P. melanolophus)

Von Hans Löhrl und Gerhard Thielcke

SNOW (1952) wies darauf hin, daß die A]armrufe der nordwestafrikanischen Rassen der Tannenmeisen (atlas, ledouci) sehr verschieden von denen in Europa sind. Unsere Tannenmeisen bringen gegenüber möglichen Nesträubern verschiedenartige langgezogene, klangvolle Rufe (Abb. a). Entsprechende Rufe der Schwarzschopf- meise sind diesen mehr oder weniger ähnlich (Abb. b). Die Atarmrufe afrikanischer Tannenmeisen sind dagegen kurz, geräuschhaft, reichen über einen weiten Tonhöhen- bereich und folgen einander sehr schnell. Diese Rufreihen hören sich wie ein Schnarren an. Sie ähneln am ehesten entsprechenden Rufreihen der Trauermeise (LöHRL 1966), die allerdings wesentlich länger sind.

G. RHEmWALD brachte im September 1969 aus Marokko drei Tannenmeisen-Fäng- ]inge mit, die in eine Voliere kamen. In Alarmsituationen verwandten sie die für afrikanische Tannenmeisen typischen Rufreihen (Abb. c). Wenn man diesen Tannen- meisen einen ausgestopften Waldkauz (Strix «Iuco) vorhielt, fingen sie bald an zu schnarren. Beim ersten derartigen Versuch riefen handaufgezogene europäische Tan- nenmeisen, deren erwachsene Junge wie auch Schwarzschopfmeisen in derselben

kH;

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i~iiillt i i 0.5 1 see

, 4 J ater ater

Abb. Alarmrufe gegenüber Nesträubern: (a) von drei mitteleuropäischen Tannenmeisen, (b) einer Schwarzschopfmeise (Parus rnelanolophus), (c) einer marokkani~chen Tannenmeise (Parus ater atlas) und (d) einer mitteleuropäischen Tannenmeise, die in derselben Voliere gehalten würde wie marokkanische Tannenmeisen. Die Rufe sind mit den natürlichen Pausen abgebildet. Die kurzen Striche auf der Grundlinie stehen für eine größere Pause oder als Abgrenzung zwischen Rufen verschiedener

Individuen.

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Heft 2 ] Alarmlaute von Tannenmeisen 251 1973 ]

Voliere mit den ihnen gemäßen Lauten. Wenige Minuten später s&narrten jedo& sowohl die europäis&en Tannenmeisen als auch die Schwarzs&opfmeisen ganz ähnli& wie die Marokkaner. In glei&er Weise liefen alle späteren Versu&e ab. Zwei Rufreihen unserer Volieren-Tannenmeisen sind in der Abb. d im Klangspektrogramm dargestellt. Sie unterscheiden sich nur geringfügig von den entsprechenden Rufen der afrikanischen Rasse atlas. Im Prinzip sind sie wie diese und genauso stark vers&ieden von den normalerweise von unseren Tannenmeisen zu hörenden Rufen.

LöHRL hörte ein einziges Mal auch von einer wildlebenden Tannenmeise in Süd- westdeutschland die ,afrikanische" Rufform, als eines ihrer frisch ausgeflogenen Jungen von einem Eichelhäher (GarruIus glandarius) erbeutet wurde, also in einer Situation stärkster Erregung.

Die drei Meisenarten ater, melanolophus und rufonuchalis 1) der Untergattung Periparus unterscheiden sich in ihren Alarmrufen grundsätzlich von allen übrigen Parus-Arten. Die Alarmrufe der nordafrikanis&en Tannenmeise sind dagegen im Prinzip wie die Rufe von major, monticoIus, xanthogenys, caeruleus, cristatus, lugu- bris und palustris aufgebaut (THIELCKE 1968). Die von europäischen Tannenmeisen und von Schwarzschopfmeisen in der Voliere gebrachten Rufe könnten erlernt sein. Wahrs&einlicher ist jedoch, daß auch die europäische Tannenmeise und die Schwarz- schopfmeise über den Ruf von P. a. atlas verfügen. Offenbar haben unsere Tannen- meise und die Schwarzschopfmeise eine höhere Schwelle zu überwinden - - das heißt, sie müssen stärker erregt werden - - bevor sie auf den atlas-Typ ,ums&alten". Unsere Tannenmeisen und die Schwarzschopfmeisen brachten zunächst immer die ihnen gemäßen Alarmrufe, wurden dann aber von den marokkanischen Tannenmeisen um- gestimmt. Unsere einheimischen Tannenmeisen schnarrten auch später beim Anbli& des Waldkauzes nur, wenn eine der Rasse atlas zugegen war und rief. Die Schnarr- Alarmrufe der marokkanischen Tannenmeisen suggerierten den europäischen Tannen- meisen und den Schwarzschopfmeisen wahrscheinli& eine höhere Alarmstufe, worauf- hin sie mit den dieser Situation angemessen Rufen reagierten. Sie waren dabei Opfer eines Mißverständnisses. Lernen kann man auch deshalb ausschließen, weil frei- lebende europäische Tannenmeisen in sehr starker Erregung ebenfalls den Schnarr-Typ verlauten lassen können.

Die weite Verbreitung des Schnarrtyps bei Meisen spri&t dafür, daß diese Rufe stammesgeschichtlidl älter sind, aIs die in der Untergattung Periparus verwandten Rufe (Abb. a, b). Wenn diese Deutung richtig ist, bieten si& zwei Erklärungen für das Auftreten des Schnarrens in Nordwestafrika an:

1. Das S&narren ist ein Relikt, das sich in den isolierten Populationen Nordafrikas halten konnte. Danach müßte man eine sehr lange Periode der Trennung annehmen. Sie wäre vor der Zeit der Aufspaltung der Periparus-Gruppe in vier Arten anzu- setzen. In Anbetracht der geringen morphologischen Unterschiede zwis&en den Rassen atlas und ater ist diese Deutung wahrscheinlich nicht richtig.

1) Na& MAI~T~NS (1971) sind Parus rufonuchalis und P. rubidiventris zwei Arten. Unsere in Afgha- nistan aufgenommenen gehören demna& zu rufonuchalis und nicht zu rubidiventris. Von rubfdiventris, der vierten Art der Untergattung Periparus, liegen bisher keine Angaben über die Alarmlaute vor.

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2. Die vor relativ kurzer Zeit von den europäischen Populationen isolierten Tan- nenmeisen Nordafrikas erniedrigten die Schwelle für die Auslösung des stammes- geschichtlich alten Schnarrtyps. Damit verloren sie zwangsläufig den stammesgeschicht- lich jungen Ruftyp der Untergattung Periparus. BeispMe für Schwellenverschiebungen fand CtsRro (1961) bei zwei Rassen des Trauerschnäppers (Ficedula hypoIeuca).

Zusammenfassung

Die Alarmlaute europäischer und nordafrikanlscher Tannenmeisen gegen Nesträuber sind sehr verschieden (Abb. a, c). Europäische Tannenmeisen verwenden den nordafrikanischen Typ nur bei größter Erregung (eine Beobachtung an wildlebenden). Europäische Tannenmeisen und Schwarzschopfmeisen, die zusammen mit marokkanischen Tannenmeisen in einer Voliere gehalten wurden, brachten in Alarmsituationen zuerst die ihnen gemäßen Rufe und dann die der nordafrikanischen (Abb. d). Wahrscheinlich ist der afrikanische Alarmruftyp der ursprüng- liche. Der stammesgeschichtlich junge Alarmruftyp der Untergattung Periparus ging den nord- afrikanischen Populationen verloren.

Summary A l a r m c a l l s o f E u r o p e a n a n d N o r t h A f r i c a n C o a l T i t s

( P a r u s a t e r a t e r , P. a t e r a t l a s , P. a t e r l e d o u c i ) a n d V i g o r ' s B ! a c k C r e s t e d T i t (P. m e l a n o l o p h u s )

The alarm call against nestpredators of European and North African Coal Tits are quite different (fig. a, c). European Coal Tits call like African Coal Tits only in situations of drastic excitement (one observation in the field). European Coal Tits and Vigor's Bla& Crested Tits, kept together with Coal Tits from Morocco in an aviary, used in alarm situations first their usual calts and then the calls of the North African subspecles (Abb. d). Apparently the Afri- can form of the alarm call is the older. The North African populations have lost the evolu- tionarity young form of the alarm call of the subgenus Periparus.

Literatur

CuRIo, E. (1961): Zur geographischen Variation von Verhaltensweisen. Vogelwelt 82: 33--48.

LöHRL, H. (1966) : Zur Biologie der Trauermeise (Parus lugubris). (Mit Bemerkungen über die Untergattung Poecile.) J. Orn. 107: 167--186.

MARTrNs, J. (1971): Artstatus von Parus rufonuchatis Blyth. J. Orn. 112: 451--458.

S~ow, D. W. (1952): A contribution to the ornithology of North-west Africa. Ibis 94:473 bis 498.

THIELCKE, G. (1968): Gemeinsames der Gattung Parus. Ein bioakustischer Beitrag zur Syste- matik. Vogelwelt, Beiheft 1: 147--164.

Anschriften der Verfasser: D-7761 Möggingen, Am Schloßberg.