Alberti - 1435 - Della pittura

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ber"erste systematische Abhandlung der Neuzeit ber die Malerei" 1435/36 in Florenz

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19. So weit haben wir alles dargelegt, was z u m Sehvermgen und zur Schnittflche gehrt. Da es aber nicht n u r ntzlich ist, Kenntnis von der Man erkennt sehr deutlich den Umschwung, der sich in Albertis Ansichten und Lebensgefhl vollzieht. Die beginnende Schnittflche zu haben, sondern d e r Maler einen Schnitt auch ausfhren Aufwertung der Antike fhrt zunchst dazu, die eigene Zeit als minderwertig einzustufen. Mit der Rckkehr nach Florenz knnen muss. wollen wir nun darber sprechen. Alles andere beiseile lasjedoch und den Eindrcken, die Alberti dort empfngt, beginnt eine gnzlich andere Einschtzung der Gegenwart. send, werde ich hier nur davon sprechen, wie ich selbst b e i m Malen vorSamuel Y. Edgerton versucht eine Beschreibung der Wirkung zu geben, die die neue Architektur, Plastik und Malerei auf den noch jungen Mann machen: "Mit welcher Erregung aber muss dieser Heimkehrer die Stadt selbst betrachtet haben, gehe. als er sie in den ersten paar Tagen erforschte! Die furchteinflende, weitberhmte Hebemaschine, die Brunelleschi A l s Erstes zeichne ich auf der zu bemalenden Hache ein rechtwinkliges erfunden hatte, stand dicht neben dem Dom, wo die groe neue Kuppel emporwuchs. Es gab die Fresken in der Brancacci-Kapelle, die der krzlich verstorbene, aber bereits legendre Masaccio gemalt hatte. Es gab die ausdrucksvollen Viereck v o n beliebiger G r e ; v o n diesem nehme ich an, es sei ein offen Skulpturen von Donatello an Orsanmichele und an Giottos Dom-campanile, die wunderbare neue Sngertribne von stehendes Fensler. durch das ich betrachte, was hier gemalt werden soll; 2 " Luca della Robbia und die bronzenen Baptisteriumstren von Lorenzo Ghiberti. Mit all diesen schpferischen Knstlern und darauf lege ich nach Belieben fest, von welcher Gre ich die M e n sollte Alberti zusammentreffen und ihnen im nchsten Jahr seinen Malereitraktat widmen. An Orten wie der offenen schen in meinen) Gemlde haben m c h t e ; die Lnge dieses Mensehen zerWerkstatt Ghibertis, in der Knstler aus der ganzen Stadt verkehrten, um ihre tglichen Aktivitten zu besprechen, muss er den wunderbaren Aufschwung der florentini-schen Kunst bestaunt haben" (Edgerton, S. 36/38). lege ich in drei Teile, die fr mich p r o p o r t i o n a l sind zu dem Lngenma, Nun hat zwar nicht Alberti selbst, sondern sein Freund Brunelleschi die Regeln der Linear-perspektive entdeckt und i welches ' E l l e ' heifil. Denn missl man einen gewhnlichen Menschen aus, n seinem berhmten Experiment vor dem Baptisterium demons-triert. Aber Alberti hat die Methode der perspektivischen so sieht man, dass seine Liinge fast drei Ellen hetrgt; mit diesen [proporKonstruktion, mit Seh- und Zentral-strahl, dem "'Frst' der Strahlen" (S. 77), der Zentrallinie (dem Horizont) und dem tionalen! EUfi unierteile ich die G r u n d l i n i e des Rechtecks in so viele Flucht-punkt, das erste Mal systematisch in schriftlicher Form fixiert und verffentlicht. Er strebte damit an, der 'handwerklichen' Ttigkeit der Malerei eine wissenschaftliche Grundlage zu geben und drckte hierin indirekt Abschnitte, wie sie fassl; und damit isl im mich diese Linie selbst propor"einen radikalen Wandel im knstlerischen Selbstverstnd-nis und in der Auffassung der knstlerischen Arbeit" (S. 8) tional z u m letzten G r o e n Verhltnis [unterteilt], das zuvor in der Senkaus. Albertis Beschreibung des Velums, das erfunden zu haben er sich in der lateinischen Fassung des Traktats rhmt, rechten festgelegt wurde. D a n n bringe ich innerhalb dieses Rechtecks, wo komp-lettiert das neue Verfahren der perspektivisch richtigen Wiedergabe von rumlich unter-schiedlich weit entfernten es mir richtig scheint, einen Punkt an. der den O r t e i n n i m m t , auf welchen Gegenstnden. Dieses Velum ist "ein lose gewobenes Tuch mit eingelegter Quadrierung, das den senkrechten Schnitt durch die Sehpyramide darstellt und die Vermessung der Projektion auf der Schnittflche erlaubt. Die Messpunkte fr die d e r Zentralstrahl Iriff!, und den ich deshalb " Z e i i l r a l p u n k f nenne. Dieser Gegenstn-de und Figuren kann der Maler vom quadrierten Tuch auf ein entsprechend quadriertes Blatt F u n k t sollte passend erweise nicht hoher ber der G r u n d l i n i e des Rechtbertragen" (S. 16, s. die Abb.). ecks angebracht werden, als es der Gre des Menschen entsprich!, den ich darin zu malen habe, denn auf diese Weise scheinen der Betrachter und die gesehenen gemalten Gegenstnde auf der gleichen Ebene zu stellen. Nachdem also der Z e n t r a l p u n k l nach meiner Anweisung angebracht worden ist. ziehe ich von i h m gerade Linien zu jeder U n t e r t e i l u n g der A b schnitte auf der G r u n d l i n i e des Rechtecks; diese gezogenen Luiien zeigen mir, wie jedes quer verlaufende G r o l l e n ver hll nis aufeinander folgl und sich verhindert, beinahe bis ins Unendliche.

De Pictura (ber die Malkunst) 1435/1436, erstee Ziel ist weder eine Geschichte der Malerei noch eine handwerkliche Anleitung in der Art des Cennino Cennini, vielmehr soll die Malerei auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden. Im ersten Buch geht es um die Geometrie des Euklid, die Optik und deren Anwendung in der Malerei. Fr Alberti ist der Krper, in der Antike definiert durch Teilbarkeit nach Lnge, Breite und Tiefe, ein Gegenstand, der unter sichtbaren Oberflchen verborgen ist, oder was von der Oberflche bedeckt ist, an denen unser Sehen an eine Grenze stt. Folgerichtig hat er sich mit dem Problem des Sehens zu beschftigen. Die Beweglichkeit des Sehens ist nur schwer mit der starren Sehpyramide, dem in seiner Zeit blichen optischen Modell fr den Sehvorgang, in Einklang zu bringen. Das fhrt ihn zu einer Neudefinition des Bildes als eines der mglichen Schnittebenen durch die Sehpyramide und dessen Projektion, die er Fenster nennt. Mit seinen berlegungen schafft er die theoretischen Grundlagen perspektivischer Darstellung. Praktische Hilfsmittel fr den Maler sind das Fadengitter oder velum und der Guckkasten, die camera ottica. Eine genaue mathematische Beschreibung perspektivischer Darstellung liefert allerdings erst Piero della Francesca in seinem Buch De Prospettiva Pigendi um 1470.

Menschen erkannt werden. Was ich sage, soll zur Einsicht verhelfen, dass K r p e r auf einem Ge.niillde, wie klein sie auch immer geniall sind, im Vergleich mit einem darin dargcslclllen Menschen gro oder k l e i n erscheinen werden. M i r scheint, unler den anderen allen Malern habe Timanthes : " diese K r a l l des Vergleichs am meisten ausgekostet; er malte aul einer kleinen Tafel mil der Darstellung eines schlafenden riesigen Z y k l o p e n einige gOttliche Satyrn, die ihm den Daumen vermaen, sodass der Liegende im Vergleich /.u diesen Satyrn ungeheuer g r o l i erschien.

J'linius d. A. IW7, pp. 62/63 (Wal bist. 35,74), Variante in !>>- Picfura, / ( A l b e r l i 200. p. 225):" [..,] durch welches der 'Vorgang' betrachtet wird."M

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Die Alten machten Fehler. Daher sahen die Gegenstnde nicht wie echt aus. Auerdem muss ein bestimmter Abstand eingehalten werden (= Relativitt).

Hier gbe es einige, die eine Linie in einem gleichmaigen Absland zur Grundlinie des Rechtecks quer durchziehen wrden; und diesen Abstand, der nun zwischen diesen zwei Linien bestnde, wrden sie in drei Teile gliedern; nachdem sie zwei Teile davon genommen hallen, wrden sie in solchem Abstand darber eine andere Linie zeichnen, und auf diese Weise wrden sie zu dieser eine weilere hinzufgen, und noch eine weitere, und zwar so gemessen, dass von diesem durch drei geleilten Abstand, der zwischen der ersten und der zweiten Linie bestand, immer ein Teil fehlt im Absland, der zwischen der zweiten und der dritten Linie besieht: und in gleicher Weise wrden sie es so einrichten, dass die Abstnde zum unmittelbar vorangehenden immer, wie die Mathematiker sagen. 'berzwcigeleill"" sind. Jene wrden es vielleicht so machen und nhschon sie behaupteten. sie folgten im Malen dem richtigen Weg, wrden sie meiner Meinung nach in die Irre gehen. Weil sie nilmlich die ersle Linie rein zufllig (esllegen. wissen sie, obwohl die brigen Linien sich in einem Verhiillnis anschlieen. trotzdem nicht, an welcher bestimmten Stelle die Spitze der Sehpyramide zu liegen kommt. Daher unterlaufen Ihnen nicht geringe Dehler auf dem Gemlde. Dem betzufgen ist. wie sehr ihre Regel fehlerhaft sein mUsste. wenn der Zenlralpunkl hoher oder tiefer lge als die LSnge des gemalten Menschen. Sei dir dazu bewussl, dass kein gemalter Gegenstand je wie der echte aussehen wird, wenn nichl ein bestimmter Abstand beim Betrachten eingehalten wird. ber die Grnde aber werden wir sprechen. sohlen wir jemals ber jene Vo]TiHiiungeii schreiben, die wir gemachl haben. und die meine Freunde, nachdem sie diese gesehen und darber gestaunt hatten, als Wunderdinge bezeichneten. Was ich bis hierhin gesagl habe, hfll viel damit ZU Um. Kehren wir also zu unserem Gegenstand zurck.

Er beschreibt das Vorgehen.

20. Ich fand also jenes Vorgehen das beste, bei dem man in allem dem folgt, was ich gesagl habe, nmlich den Zentralpunkt festzulegen und von ihm Linien zu den Markierungen der Abschnitte auf der Grundlinie zu ziehen. Wie aber die quer verlaufenden Grcnverhllnisse aufeinander folgen, erkenne ich wie folgt: Ich nehme eine kleine Hache und ziehe darauf eine gerade Linie: diese Linie unterteile ich in gleich viele Abschnitte, wie ich auf der Grundlinie des Rechlecks angebracht habe. Dann bringe ich ber dieser Linie einen Punkt auf der gleichen Hhe an, auf der im Rechteck der Zentralpunkt ber der Grundlinie gesetzt wurde; von diesem Punkt ziehe ich dann Linien zu jeder Markierung der Abschnitte auf der ersten Linie. Anschlieend bestimme ich. wie gro der Absland zwischen dem Auge und dem Gemlde sein soll; au dieser Stelle bringe ich, wie die "' D. h. in einem Verhltnis zwei zu drei.

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Mathematiker sagen, eine 'senkrechie' Linie an. die alle angebrachten Linien schneidet. 'Senkrecht' heit die gerade Linie, weiche beim Schneiden einer anderen geraden Linie aul beiden Seiten reclile Winkel bildel. Diese senkrechte Linie wird mir an den Stellen, wo sie die anderen schneidet. die Aufeinanderfolge aller quer verlaufenden Gren Verhltnisse aufeeigen, Und auf diese Weise linde ich alle Parallelen eingczcichnel.das heit die Quadrate von einer File des Fubodens auf dem G e m l d e " . Dass diese richtig gezeichnet sind, stelll sieh dann heraus, wenn eine und dieselbe gerade Linie die Durchmesser von mehreren Vierecken auf dem Gemlde weKeiftthrt. Die Mathematiker nennen 'Durchmesser' eines Vierecks jene gerade von einem Winkel zum anderen gezogene Linie, die das Viereck in zwei Teile zerlegt, sodass aus einem Viereck genau zwei Dreiecke entstehen, Ist dies gemacht, zeichne ich im Rechteck des Gemldes von einer Seile zur anderen durch den Zcnlralpunkl eine qucrlaufende gerade Linie, die einen gleichmigen Absland zu den unteren wahr! und das Rechleck teilt, Diese Linie ist fr mich eine Grenze, die keine gesehene Gre,die nicht hoher als das Auge des Betrachters liegt, berragen kann. Und diese |I,inie|,da sie durch den Zcnlralpunkl hindurchgeht, nennt man "Zcnlralnie'. Daher kommt es. dass die gcmallen Menschen, die in das letzte F.llengevicrl des Gemldes gestellt werden, kleiner als die anderen sind. Dass dem so ist, beweist uns die Natur selbst. In Kirchen nehmen wir die Kpfe der Mensehen fast alle auf gleicher Hhe wahr, aber die Fe derer, die am weitesten entfernt sind, hefinden sich clwa auf der Hhe der Knie der Vordersten. 2t. Diese Methode, den Fuboden einzuteilen, hal mit dem Teil zu tan, den wir im gegebenen Zusammenhang 'Komposition' nennen werden. Diese ist von solcher Arl. dass ich befrchte, der Leser werde sie vielleicht nicht ganz verstehen, nicht nur wegen der Neuheit des Stoffes sondern auch wegen der Kilr/e unserer Abhandlung. Und wie schwierig sie ist, sieht mau an den Werken der Alten Bildhauer und Maler. Vielleicht blieb sie ihnen verborgen und unbekannt, weil sie schwer zu erkennen war. Du wirst kaum irgendeinen 'Vorgang' der Allen sehen, der richtig komponiert wre. , ?

Beweis fr die Richtigkeit der Zentralperspektive liegt "in der Natur selbst": Kpfe des Kirchenpublkums bleiben auf gleicher Hhe, Fe scheinen nach oben zu gehen. Er beschreibt, wie er den Fuboden nach Art der Mathematiker einteilt und nennt dies einen Teil der "Komposition", die die Alten nicht beherrschten.

Die Autonomisierung der Kunst und die Entwicklung der perspektivischen Malerei bedingen sich wechselweise (und stehen nicht etwa in einem einfachen Ursache-Wirkungs-Verhltnis). Die bei aller Verschiedenheit tiefe innere Verwandtschaft der religisen und der Struktur des Kunstwerks zeigt sich nun darin, dass dieses sich in seiner Eigengesetzlichkeit gegen den Be-trachter abschliet und ihn zugleich auffordert, in der Intensitt seines Schauens an dem, was in ihm geschieht, teilzuhaben. Die Freisetzung der sthetischen Intention, ineins mit der Nhe zum religisen Gehalt, stiftet eine ungeheure, so noch nie dagewesene Verbindung von Krper und Geist. Der menschliche Krper, die Natur berhaupt (Cima da Conegliano, Mantegna), berlassen sich gleichsam freudig einem sie durchdringenden geistigen Impuls und formen sich zu dessen Zeichen, aber sie verleiblichen ihn so restlos, dass in der Einheit beider ein Bild der erlsten Welt entsteht. Diese Strukturen entfalten sich in einem Autonomie-Gefge der Kunst, das den Bild-Raum ffnet, also perspektivisch gliedert und ihn zugleich numinos aufldt. Maler und Betrachter treten aus einer gleichsam "taktil" (Edgerton) wahrnehmbaren, sie selbst mit umfassenden geschlossenen Ordnung in ein anderes System ein, in dem die bersetzung einer religisen in die sthetische Sphre in actu erfahrbar wird. Das Bild wird zum "Fenster" (Alberti) in eine Welt, die mit der realen durch die Gesetze der Perspektive, die notwendig in beiden gelten, verbunden ist und sich zugleich, wie immer schon jeder kultische Gegenstand, durch eine numinose Kontraktion aus dem profanen Raum heraushebt. Die Renaissanceknstler stiften dergestalt eine neue Kommunikationsweise zwischen dem irdischen und dem transzendenten Bereich. Dieser ist in jenem und durch eine Kluft von ihm geschieden, wie der Geist vom Krper, mit dem er sich zu einer symbolhaft-sthetischen Einheit verbindet.

" Zusatz in De Pictttra, 20 (Aiiwrii 2000, p. 229)! Als 'Parallele' gilt der Raum, der sich zwischen zwei Linien befindet, die einen gleichmigen Abstand wahren (darber wurde lieieiln oben einiges erwhnt)." ,? Ergnzung in De PlOura. 21 (Alberli 2000. p, 231): |wrel: weder einen gemalten noch einen gegossenen noch einen gehauenen."