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346 347 Ankünfte aus Arabische Welt Europa Andere Staaten Kapitel 5.2 Tourismusentwicklung Die Krise als Chance Die unmittelbaren Auswirkungen der Terror- anschläge des 11. September 2001 auf Beirut als Tourismusdestination waren verheerend: Wie im gesamten Vorderen Orient gingen die Ankunftszahlen dramatisch zurück. Im Oktober 2001 sank die Auslastung der Beiruter Luxus- hotels vielfach auf unter 10 %. Bereits im Jahr 2002 zeigte sich dann allerdings, dass Beirut als Tourismusdestination von den Verschie- bungen in der Tourismusnachfrage profitierte, die durch den 11. September ausgelöst oder zumindest verstärkt wurden. So verwundert es auch nicht, dass die libanesische Tageszeitung Daily Star Anfang 2003 titeln konnte: „Lebanon prospers while world tourism suffers.“ Im Folgenden soll zum einen der Touris- musboom in Beirut differenziert beschrieben und in den historischen Kontext eingeordnet werden, zum anderen werden die Ursachen und Folgen dieses Booms dargestellt. Rückblick: Libanon als wichtigste Tourismus- destination des Nahen Ostens Infolge der Zuwanderung aus dem Libanon- gebirge nach Beirut hatte sich schon im 19. Jahr- hundert die Sommerfrische zunächst vielfach in den Herkunftsdörfern des Libanongebirges entwickelt [Foto 1]. Im 20. Jahrhundert wurden Bergdörfer wie Aley oder Bhamdoun zum be- vorzugten sommerlichen Urlaubsziel wohl- habender Familien aus den arabischen Nachbar- ländern. Darüber hinaus konnte der Libanon auch europäische Touristen anziehen [Abb. 1]. Der Libanon bot in den 1960er und 1970er Jah- ren die besten Hotels und insgesamt die beste Servicequalität der Region – er wurde zur wich- tigsten Destination im Nahen Osten [Abb. 2]. „Lebanon prospers while world tourism suffers“: Auswirkungen des 11. September auf Beirut als Tourismusdestination georg glasze 1951 1953 1955 1957 1959 1961 1963 1965 1967 1969 1971 1973 1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974 1400 1200 1000 800 600 400 200 Ankünfte in Tausend Abb. 1 Ankünfte von Ausländern im Libanon 1951 –1974 Glasze 1999, Quelle: Tourismusministerium Foto 1 Bergdorf im Libanongebirge

„Lebanon prospers while world tourism suffers ... · 346 347 Ankünfte aus Arabische Welt Europa Andere Staaten Kapitel 5.2 Tourismusentwicklung Die Krise als Chance Die unmittelbaren

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346

347

Ankünfte aus

Arabische Welt

Europa

Andere Staaten

Kapitel 5.2 Tourismusentwicklung

Die Krise als ChanceDie unmittelbaren Auswirkungen der Terror-anschläge des 11. September 2001 auf Beirutals Tourismusdestination waren verheerend:Wie im gesamten Vorderen Orient gingen dieAnkunftszahlen dramatisch zurück. Im Oktober2001 sank die Auslastung der Beiruter Luxus-hotels vielfach auf unter 10 %. Bereits im Jahr2002 zeigte sich dann allerdings, dass Beirutals Tourismusdestination von den Verschie-bungen in der Tourismusnachfrage profitierte,die durch den 11. September ausgelöst oderzumindest verstärkt wurden. So verwundert esauch nicht, dass die libanesische TageszeitungDaily Star Anfang 2003 titeln konnte: „Lebanonprospers while world tourism suffers.“

Im Folgenden soll zum einen der Touris-musboom in Beirut differenziert beschrieben und in den historischen Kontext eingeordnetwerden, zum anderen werden die Ursachen und Folgen dieses Booms dargestellt.

Rückblick: Libanon als wichtigste Tourismus-destination des Nahen OstensInfolge der Zuwanderung aus dem Libanon-gebirge nach Beirut hatte sich schon im 19. Jahr-hundert die Sommerfrische zunächst vielfachin den Herkunftsdörfern des Libanongebirgesentwickelt [Foto 1]. Im 20. Jahrhundert wurdenBergdörfer wie Aley oder Bhamdoun zum be-vorzugten sommerlichen Urlaubsziel wohl-habender Familien aus den arabischen Nachbar-ländern. Darüber hinaus konnte der Libanonauch europäische Touristen anziehen [Abb. 1].Der Libanon bot in den 1960er und 1970er Jah-ren die besten Hotels und insgesamt die besteServicequalität der Region – er wurde zur wich-tigsten Destination im Nahen Osten [Abb. 2].

„Lebanon prospers while world tourism suffers“: Auswirkungen

des 11. September auf Beirut als Tourismusdestination georg glasze

1951 1953 1955 1957 1959 1961 1963 1965 1967 1969 1971 1973

1952 1954 1956 1958 1960 1962 1964 1966 1968 1970 1972 1974

1400

1200

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600

400

200

Ankünfte in Tausend

Abb. 1 Ankünfte von Ausländern im Libanon 1951 –1974

Glasze 1999, Quelle: Tourismusministerium

Foto 1 Bergdorf im Libanongebirge

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Ankünfte aus

Arabische Welt(ohne liban. und syr. Staatsbürger)

Europa

Andere Staaten

Während des Bürgerkrieges (1975–1990), in dem der internationale Tourismus in den Liba-non weitgehend zusammengebrochen war,hat sich die touristische Landkarte der Regionvöllig verändert. Neue Destinationen wurdenausgebaut. In erster Linie für einen Massen-Badetourismus aus Europa entstanden bei-spielsweise Ziele am Roten Meer. Gleichzeitigentdeckten die wohlhabenden Araber aus den Nachbarländern die europäische Mittel-meerküste, Florida und London als neueSommerziele.

Stetiges Wachstum in schwierigem Umfeld –die Entwicklung in den 1990er JahrenNach dem Ende des Bürgerkrieges stiegen dieAnkunftszahlen von Ausländern im Libanon seit der Wiederaufnahme ihrer statistischen Erfassung im Jahr 1992 von einem sehr niedri-gen Ausgangsniveau kontinuierlich an. Ähnlichwie vor dem Krieg wird diese Entwicklung inerster Linie getragen durch Besucher aus arabi-schen Staaten. Die relativ hohen Zahlen ausWesteuropa erklären sich zu einem großen Teildurch Libanesen, die während des Krieges aus-gewandert sind und beispielsweise mit einemfranzösischen oder belgischen Pass zumindestfür einige Wochen im Sommer in den Libanonzurückkehren [Abb. 3].

Der Tourismusboom ab 20022002 zeigen die Statistiken einen verstärktenZustrom von Besuchern aus der Arabischen Welt.Aus den beiden wichtigsten Herkunftsländern –Kuwait und Saudi-Arabien – erreichen undübertreffen die Ankunftszahlen das Vorkriegs-niveau. Und diese Gästegruppe ist besonderslukrativ: Wie eine Studie des Lebanese Centrefor Policy Studies gezeigt hat, bleiben Gäste ausden arabischen Golfstaaten überdurchschnitt-lich lange im Land und geben überdurchschnitt-lich viel aus. Der Libanon profitiert davon, dasswohlhabende Touristen aus den arabischenNachbarländern Ziele in Europa und Amerikameiden.

1000

900

800

700

600

500

400

300

200

100

Ankünfte in Tausend

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002

Abb. 3 Ankünfte von Ausländern im Libanon 1992 –2002

Glasze 2004, Quelle: Tourismusministerium

2500

2000

1500

1000

500

Ankünfte in Tausend

Libanon Syrien Ägypten Jordanien

Syrische Staatsbürger

Abb. 2 Ankünfte von Ausländern in Libanon, Syrien,

Ägypten und Jordanien 1972

Glasze 1999 nach Lechleitner 1972; Tournier 1974

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349

Kapitel 5.2 Tourismusentwicklung

Kairo – Pyramiden

Muscat

Kairo – Heliopolis

Hurghada

Jiddah

Kairo – Innenstadt

Amman

Manama

Abu Dhabi

Doha

Sharm el-Sheikh

Damaskus

Riad

Dubai

Kuwait City

Beirut

– 15 % – 10 % – 5 % 0 % 5 % 10 %

Entwicklung der Einnahmen pro Hotelzimmer 2001 bis 2002

Beirut hat außerdem das Glück, dass der Wieder-aufbau eines Teils des alten Stadtzentrumsrechtzeitig abgeschlossen wurde und im Som-mer als neues Restaurant-, Café- und Shopping-Viertel eine wichtige Attraktion bildet [Foto 2].Traditionelle Tourismusziele wie das Libanesi-sche Nationalmuseum in Beirut, die eher vonStudienreisenden aus Europa besucht werden,weisen hingegen stagnierende oder zurück-gehende Besucherzahlen auf.

Konzentration der touristischen Entwicklungauf BeirutNach dem dramatischen Einbruch des Touris-mus unmittelbar nach dem 11. September, habendie gestiegenen Ankunftszahlen 2002 auch zueiner höheren Zimmerauslastung geführt, ins-besondere in den Sommermonaten. Die Hotelsder internationalen Ketten in Beirut waren daherdie großen Gewinner des Jahres 2002, wie eineStudie des britischen Hotelconsultants HVSzeigt: Die Beiruter Hotels konnten dank steigen-der Auslastung und höherer Zimmerpreise ihreEinnahmen pro Hotelzimmer deutlich erhöhen– mehr als alle anderen Standorte im NahenOsten [Abb. 4].

Foto 2 Wieder aufgebautes Stadtzentrum

von Beirut mit Uhrenturm

Abb. 4 Die Beiruter Luxushotels als die Gewinner

der Saison 2002 im regionalen Vergleich

Glasze 2004, Quelle: HVS International Research

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Hotelbetten nach Kategorien

International

vier Sterne

drei Sterne

zwei Sterne

ein Stern

16

14

12

10

8

6

4

2

0

Hotelbetten in Tausend

Hotelkategorie

fünf Sterne

vier Sterne

< vier Sterne

Region

Beirut

Mount Lebanon

Rest des Libanon

1998 2003 1998 2003

800

200

100

25

Aber nicht alle Hotels profitieren von demZustrom von Gästen aus der Arabischen Welt.Die weniger luxuriösen Hotels, wie beispiels-weise die 3-Sterne-Hotels in Beirut sowie Hotelsin der libanesischen Peripherie, zeigen vielfacheine sinkende Auslastung. In der Konsequenzgilt für die Entwicklung des Hotelangebots in Beirut in besonders ausgeprägtem Maße:„Die Sterne machen’s“ und das nicht erst seitdem 11. September 2001. Bereits der Anstieg der Hotelkapazität zwischen Anfang 1998 undAnfang 2003 um mehr als 50 % wurde aus-schließlich durch neu errichtete bzw. in gerin-gem Umfang auch renovierte und dann höhereingestufte 4- und 5-Sterne-Hotels getragen.Dieser Zuwachs an Zimmerkapazitäten im Liba-non beschränkte sich auf Beirut [Foto 3] und denumliegenden Distrikt Libanongebirge [Abb. 5].

Damit hat sich die Konzentration vonHotelkapazitäten auf die Hauptstadt und dasangrenzende Bergland sowie auf den Sektor der Luxushotels weiter verstärkt [Abb. 6]. Undjener Trend wird sich fortsetzen: Bis 2005 sol-len im Libanon elf neue Hotels internationaler Ketten fertig gestellt werden, davon entfallenacht allein auf Beirut.

0 25 km

Abb. 6, rechts Verteilung der Hotelkapazität im Libanon

Entwurf: Glasze 2004, Quelle: Tourismusministerium; bearb. I. Meyer

Abb. 5 Konzentration neuer Hotelkapazitäten auf

die Region Beirut und das Segment der Luxushotels

Glasze 2004, Quelle: Tourismusministerium

Foto 3 Wieder eröffnetes 5-Sterne-Hotel Phoenicia

in Beirut

N

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West

Ost

Beirut

Jounié

Tripoli

Zahlé

syrien

Sour

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Perspektiven der Tourismuswirtschaftin Beirut: islamischer Tourismus?Angesichts der Dominanz von Investoren undGästen aus den Golfstaaten stellt sich dieFrage, ob sich im Libanon Tendenzen in Rich-tung eines „islamischen Tourismus“ feststel-len lassen. Versteht man darunter allein dasintra-regionale Konzept einer Steigerung derAttraktivität für Touristen aus der übrigen isla-mischen Welt, so ist die Frage zweifellos zubejahen.

Dies gilt jedoch nicht für das kulturelle und religiös-konservative Konzept des „islami-schen Tourismus“. Hier fällt die Antwort zu-mindest vorerst eindeutig negativ aus: Dieinterviewten Hotelmanager waren ausnahms-los der Meinung, dass gerade der „europäischeCharakter“ von Beirut, seinen Hotels und Stränden [Foto 4] die Attraktivität für ein ara-bisches Klientel ausmachen. Da sie zum inter-nationalen Flair der Hotels beitragen, sindReisegruppen aus Europa hoch willkommen.Wie beispielsweise die Ankunftszahlen für dasJahr 2001 zeigen, können die Ankünfte von Stu-dienreisenden aus Europa mit ihrem Hoch zurOsterzeit zudem sehr gut die extreme Saisona-lität des arabischen Sommertourismus aus-gleichen.

Diese Entwicklung führt dazu, dass die Bau-tätigkeit in dem von dem PrivatunternehmenSolidere entwickelten Stadtzentrum nach Jah-ren der Stagnation wieder zunimmt. So sindAnfang 2004 an der „New Waterfront“ östlichder Hotels Phoenicia und St. Georges bereitszwei luxuriöse Apartmenthäuser fertiggestelltworden [Abb. 7]. Mit den Marina Towers ist dasangeblich größte Wohnprojekt des Mittelmeer-raums im Bau – der Komplex mit einem 150 mhohen Gebäude sowie einem zweiten neun-stöckigen Hochhaus bietet luxuriöse Apart-ments, die durch einen Tunnel mit der neuenBeiruter Marina verbunden werden. 65 % desKapitals stammt von saudischen Investoren.Unmittelbar benachbart entsteht bis 2005 dasneue „Flaggschiff“ der Beiruter Hotels: ein FourSeasons. Eigentümer ist hier ein libanesisch-kuwaitisch-saudisches Konsortium, in welchemdie beiden libanesischen Investoren allerdingsnur einer Minderheitsbeteiligung halten. Nebendem Four Seasons haben die Arbeiten an demBeirut Towers begonnen – ebenfalls ein Hoch-haus mit Apartments für Touristen aus der Ara-bischen Welt sowie Exillibanesen. Ein weitererApartmentturm ist zwischen dem Beirut Towersund dem 2002 fertig gestellten 4-Sterne-HotelMonroe geplant.

St. Georges (Wiedereröff.2005)

Phoenicia; 2000

(Wiedereröff.) Monroe;2002

PlatinumTower;2006

BeirutTowers;2006

Four Seasons;2006Marina

Towers;2005

Park View;2004

Karagula;2004

geplanter Park

Quelle: Solidere, eigene Erhebungen, Stand 04/2004Entwurf: Solidere, verändert G. Glasze, bearb. I. Meyer0 500 m

N

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Kapitel 5.2 Tourismusentwicklung

Fazit – der intra-regionale Tourismus als Chance für den LibanonWie kein zweites Land in der Region profitiertder Libanon vom Anwachsen des intra-regionalenTourismus im Nahen Osten. Innerhalb des Landes konzentriert sich dieser Boom in hohemMaße auf Beirut und den Distrikt Libanon-gebirge. Die Kapazitäten von Hotels internatio-naler Ketten werden bis 2005 in Beirut voraus-sichtlich schneller wachsen als an irgendeinemanderen Standort in der Levante-Region. DerLibanon wird dann wieder mehr solcher Hotelsbieten als die deutlich größeren Länder Syrienund Jordanien. Demzufolge sind die Aussichtendes internationalen Tourismus im Libanon sehrgut vorausgesetzt, die Sicherheitslage innerhalbdes Landes bleibt stabil.

Foto 4 Strandleben im Libanon

Abb. 7 Die „New Waterfront“ in Beirut

Jeweils mit Jahr der Fertigstellung,bzw. geplanten Fertigstellung:

Hotel

Apartmentkomplex

keine konkreten Planungen

Westgrenze des Solidere-Gebietes

ehemalige Küstenlinie