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BLOOMSBURY PUBLISHING • LONDON • NEW YORK • BERLIN Alejandro Palomas BIS HIERHER, BIS HEUTE Roman Aus dem Spanischen von Sybille Martin

Alejandro Palomas: Bis hierher, bis heute

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Ein Familientreffen nach langer Zeit. Anlässlich der Beerdigung von Constanza kommen ihr Exmann Rodolfo, ihre Tochter Martina und ihre Enkel im gemeinsamen Haus am Meer erstmals wieder zusammen. Rodolfo ist vor zwanzig Jahren nach Buenos Aires geflüchtet — nach einem schrecklichen Ereignis, über das bis heute geschwiegen wird.

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BLOOMSBURY PUBLISHING • LONDON • NEW YORK • BERLIN

Alejandro Palomas

BIS

HIERHER,BIS

HEUTE

Roman

Aus dem Spanischenvon Sybille Martin

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bei Plaza y Janés© 2008 Ale jan dro Pa lo mas

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Roth fos & Gab ler, Ham burgGe setzt aus der Stem pel Ga ra mond

durch hanseatenSatz-bremen, BremenDruck und Bin dung: CPI – Clau sen & Bosse, Leck

Prin ted in Ger many 2010ISBN 978-3-8270-0872-5

www.ber lin ver lage.de

Finalist des Premio Ciudad de Torrevieja 2008

Die deutsche Übersetzung wurde ermöglicht durch die freundlicheUnterstützung von Dirección General del Libro, Archivos y Bibliotecas

del Ministerio de Cultura de España.

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»Und dir, wie geht’s dir, mei ne Klei ne?« Mei ne Klei ne. Wenn mich Pa pa »mei ne Klei ne« nennt, wer de ich zum Kind, und es kom men Emp fin dun gen hoch, wie es oft ge schieht, seit wir eins wa ren, er und ich, mein Ge wicht auf sei-nen Knien, wenn er mir Ge schich ten er zähl te, die ich nicht ver-stand. Es war egal. Ich spür te die Kno chen sei ner Bei ne unter den mei nen und sei nen Arm um mei ne Tail le, wäh rend mich sei ne Stim me ein hüll te wie Zellophanpapier. Dann war al les gut. Fra gen. Pa pa fragt und ich weiß, dass es von Her zen kommt, ob wohl ich auch weiß, dass zwi schen uns bei den die Ant wor ten ab ge wo gen wer den müs sen, denn wir ha ben noch nicht ge lernt, rich tig da mit um zu ge hen. Es gab eine Zeit, als Fra gen Ant wor-ten be ka men, als das La chen auf rich tig war und al les sei nen na-tür li chen Lauf nahm. Aber das war vor dem Un fall. Al les war vor und nach dem Un fall, wie die bei den Sei ten ei ner in die Luft ge wor fe nen Mün ze, die nie he rab zu fal len scheint und, wenn sie end lich he rab fällt, auf der Kan te lan det. Der Him mel und das Meer. Oben und un ten. Ein Le ben im Po si tiv und das an de re im Ne ga tiv. Fer nan do und ich. Verónica und Lu cas. Pa pa und Ma ma. Nein, seit lan gem kön nen wir nicht mit Ant wor ten um ge-hen. Nicht mit den ehr li chen. »Die Wahr heit?« Er lä chelt. »Na tür lich.« Ich bin er schöpft, das ist eine Wahr heit. Er schöpft von den letz ten Jah ren, in denen ich Ma ma in die sem gro ßen Land haus pfleg te, wir bei de al lein, unter uns mit ihrem Schwei gen, ih-

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rer Hin fäl lig keit und ihren Aus brü chen von an ge stau ter Wut. Er schöpft von Mari anne, die ge kom men war, um mir im Haus und in der Kü che zu hel fen, und die sich all mäh lich in Din ge ein-misch te, die sie nichts an gin gen, und viel zu viel Raum ein nahm. Ich bin er schöpft, ja. Und au ßer dem schmerzt mein Hand ge-lenk. Es macht mir Sor gen, dass es trotz der Wo chen, die be reits ver gan gen sind, nicht gut zu sam men wächst, dass mei ne Hand im mer wie der an schwillt wie der raue Hand schuh, mit dem ich Ma ma ge wa schen ha be. Das ist eine Wahr heit. Es gibt noch an de re. »Mir geht’s gut.« Er zieht eine Au gen braue hoch. »Lüg ne rin.« Wir se hen uns an. Wenn ich läch le, wer de ich emo tio nal, wer de ich die Trä nen nicht zu rück hal ten kön nen. Ich bin zu schwach. »Ich bin er schöpft. Ich ha be seit zwei Ta gen nicht ge schla fen, bin he rum ge wetzt we gen der gan zen For ma li tä ten, vom Kran-ken haus zum Bestatter … Du weißt schon, Bü ro kra tie.« Er sagt nichts, doch sein Arm liegt noch auf mei ner Schul ter. »Und trau-rig. Ich bin auch trau rig. Ich wer de Ma ma ver mis sen.« Er sieht mich an und lä chelt. Es ist nicht das Lä cheln des Künst lers. Nicht das Lä cheln, das Rodolfo Hoffman, seit ich den ken kann, sei nem Pu bli kum schenkt. Es ist das des Va ters. Das ha be ich schon lan ge nicht mehr ge se hen, und es trifft mich un vor be rei tet. »Das spricht sehr für dich.« Ich weiß nicht, was ich sa gen soll. Er schon. Er senkt die Stim me und auch den Blick. »Dei ne Mut ter war kei ne ein fa che Frau.« Das ist wahr, Ma ma war kei ne ein fa che Frau, aber ihr Le ben war es auch nicht. Vor al lem, seit sie Fer nan do ver lo ren hat te und ihre per fek te Welt ei ner per fek ten Mut ter in sich zu sam men-ge stürzt war.

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»Das hat sie auch von dir be haup tet.« Pa pa lacht herz lich auf, was die Ru he des Gar tens zer stört. Das La chen ei nes ge sun den Kin des. An ste ckend. »Schlau es Mäd chen, dei ne Mut ter.« »Nein, Pa pa. Kann sein, dass Ma ma vie les war, aber schlau, was man so schlau nennt …«, er wi de re ich lei cht un mu tig. »Wo zu sol len wir uns was vor ma chen.« »Sag nicht so was.« Sei ne Ant wort über rascht mich, aber ich sa ge es ihm nicht. Es ist nicht nö tig. »Über rascht?« »Ist doch egal.« »Mir nicht.« »Ich mag es nicht, wenn du sie ver tei digst, Pa pa. Du nicht.« »Wa rum?« »Weil ich nicht glau be, dass sie es ge tan hät te, wä re sie an dei ner Stel le. Und sie hat es nie ge tan.« Nein. Ma ma hat nie ein gu tes Wort über Pa pa ver lo ren. An-fangs er wähn te sie ihn noch öf ters, aber nie di rekt. »Dein Va-ter«, sag te sie, oh ne mich an zu bli cken. Und sie sag te es vor-wurfs voll zu mir, weil es sonst nie man den mehr gab, als wä re ich schuld da ran, dass Pa pa ge tan hat te, was er tat. Mit der Zeit ver-än der te sich ihre Aus drucks wei se, der Ton aber nicht, und ei nes Ta ges fand sie, es sei ge nug, dass die ses »dein Va ter« aus ge dient hät te. Dann spann sie fei ner, und aus »Pa pa«, das durch mei ne Schuld ver blie be ne Bin de glied, wur de ein un be stimm tes »die ser Mann«. »Du triffst al so die sen Mann«, seufz te sie mit re si gnier-ter Mie ne, wenn sie sah, wie ich mich für die kur ze Fahrt zu mei-nem jähr li chen Tref fen mit ihm in die Kli nik fertigmachte. »Die-ser Mann ver dient uns nicht. Er hat uns nie ver dient«, schloss sie mür risch. Es kam der Au gen blick, von dem an sie ihn gar nicht mehr er wähn te. Sie ver bann te die Er in ne rung an Pa pa und be grub sie

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in ir gend ei ner Kam mer ihres Ge dächt nis ses, wie sie es mit so vie len an de ren Din gen ge tan hat te. Sie riss ihn sich he raus und leb te oh ne ihn. Bis zu ihrem Tod. »Ich ge be ihr nicht die Schuld«, mur melt Pa pa neben mir. In sei ner wei ßen Ge stalt fan gen sich die Licht strah len, die der Tag am Him mel hin ter las sen hat. Ich se he sein Ge sicht nicht. »Es ist zu spät da für, mein Kind.« Es ist zu spät, sagt er, und ob wohl ich weiß, dass er das auf sich selbst be zieht, hallt sei ne Bot schaft in mir und in mei nem Kopf wi der. Das den ke ich auch schon lan ge. So vie le Jah re hier, an Ma ma ge klam mert wie Efeu an ei nen sta che li gen Baum. So lan ge Zeit auf eine Ver än de rung bei ihr war tend, die mir eine Tür öff nen wür de zu dem, was sie aus ge schlos sen hat te, fi xiert auf ihren Schmerz und da rauf, dass sie ei nes Ta ges auf ste hen wür de und Lust zu ir gend et was hät te, das nicht Wut auf das Le-ben, schlech te Lau ne, schlech tes Ver lie ren war. Nach zwan zig Jah ren des War tens ist es zu spät, geht mir plötz lich durch den Sinn. »Was denkst du?«, fragt er aus der Däm me rung. Ich den ke, dass ich so vie le Jah re mit Ma ma, im Sog ihres Un glücks ge lebt ha be, dass ich jetzt, wo sie nicht mehr da ist, nicht weiß, wie ich die Zeit, die mir zum Le ben bleibt, fül len soll. Dass ich sie nicht ein mal ver mis sen kann, denn wenn ich es tu e, wer de ich al lein sein und bei null an fan gen müs sen. »Dass ich sech zig Jah re alt bin, Pa pa. Und dass ja, dass es für vie les zu spät ist.« Ich hö re ihn die Luft durch die Na se ein zie hen. Sein Baum-woll ja ckett knis tert, und auch der Him mel in der Fer ne knis tert, als ein lei ser Don ner schlag wie fer nes Mur meln aus ihm her vor-bricht. »Heu te Nacht wird es ge wit tern«, sagt er. »Scheint so.« Ge nau in dem Mo ment ge hen die gro ßen La ter nen über der

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Ein gangs tür an, sie ha ben Füh ler für die Dun kel heit und unse re An we sen heit. We ni ge Schrit te vor mir sieht mich Pa pa mit schmerz er füll tem Ge sicht an, das La ter nen licht legt es hin ter häl-tig bloß. Leicht ge krümmt hat er eine Hand in die lin ke Sei te ge stützt. Als er sich da bei er tappt sieht, ver sucht er zu lä cheln, was ihm nur halb wegs ge lingt. Sei ne Hal tung ver setzt mich so-fort auf den Fried hof zu rück, und wie der ver ste he ich ihn. »Al les in Ord nung?« Er streckt den Rü cken durch und zieht eine Schnu te. »Es ist nichts. Die se ver fluch ten Di ver ti kel, die ein fach nicht auf hö ren zu …« – neu er li ches Ver zie hen des Ge sichts – »… ner ven.« »Aber Pa pa, wa rum hast du nichts ge sagt? Seit wann geht das schon?« Das mag er nicht. Er mag mich nicht be sorgt se hen. »Schon, schon … Wie schon? Die se Di ver ti kel sind nichts wei ter, mein Kind. Al ters er schei nun gen. In mei nem Al ter ist es noch das Ge rings te, was man ha ben kann.« Ich weiß nicht, was ich sa gen soll. Er reibt sich wei ter die Sei te. »Sol len wir ei nen Arzt ru fen?« Er schaut mich an, als hät te er ge ra de ein Chor mäd chen falsch sin gen gehö rt. »Du spinnst.« »Papa …« »Es-ist-nichts«, mur melt er in sei ner Stur heit und sei ner Angst vor Ärz ten, die ich gut ken ne und tei le. »Wenn ich mich beim Es sen ge hen las se, ent zün den sie sich manch mal. Ich muss mich nur ein we nig scho nen. Viel Obst es sen, viel Was ser trinken … Die sen Blöd sinn eben, den dir die Ärz te emp feh len, wenn sie nicht wis sen, was sie mit dir ma chen sol len, und das wis sen sie nie.« »Bist du dir si cher?« »Na tür lich. Ich brau che nur ein gu tes Bett. Und Schlaf, vor al-lem Schlaf. Du weißt ja, wie schlecht mir der Jetlag be kommt.«

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Er lä chelt wie der und schenkt mir ein be ru hi gen des Au gen-zwin kern. Ich be schlie ße, ihm zu glau ben. Plötz lich wird mir be-wusst, dass ich ei nen fünf und acht zig jäh ri gen Va ter ha be, der sich wie ein Zwan zig jäh ri ger durch die Welt be wegt, mit ei ner Ener-gie, die sich nie mand er klä ren kann. Er at met tief ein und pus tet die Luft aus wie ein al ter Lang stre cken läu fer. Dann klopft er sich mit bei den Hän den auf die Brust und macht das Ge sicht ei nes wie derher ge stell ten Man nes. Verónica und Lu cas ge hen Arm in Arm um den Teich he rum. Mei ne Nich te ist so in den Arm ihres Bru ders ge schmiegt, dass ich sie nicht se hen kann. Vor zwei und-zwan zig Jah ren wa ren die Sze ne und die Sze ne rie die sel ben. Wir stan den hier, auf den aus ge tre te nen Stu fen, und die bei den bil de-ten ei nen Block aus gro ßem, iso lier tem Schmerz. Verónica, oh ne eine ein zi ge Trä ne zu ver gie ßen. Er flüs si ger, we ni ger kör per lich. So klein die bei den unter all den Er wach se nen. Plötz lich sind in der Stil le der Nacht Ge räu sche hin ter der Haus tür zu ver neh men, was uns au gen blick lich ins Hier und Jetzt zu rück ver setzt. Pa pa starrt die Tür an, greift sich an die Brust und tritt ei nen Schritt zu rück. Ei nen Au gen blick ist es still, und er starrt wei ter er war tungs voll die Haus tür an, bis die Ge räu-sche wie der ein set zen, dies mal be glei tet von Krat zen und Knur-ren. Kein Lid schlag von Pa pa. Er fasst sich auto ma tisch an die Sei te, wäh rend es hin ter uns wie der don nert, dies mal nä her. »Kind chen«, flüs tert er, oh ne mich an zu se hen. Von mei nem Stand ort aus wirkt er so weiß wie sein An zug, ob wohl das auch vom La ter nen licht kom men kann. Ich bei ße mir auf die Lip pe, da mit er mich nicht grin sen sieht. »Das sind die Mäd chen, Pa pa.« Die Er klä rung hilft ihm nicht wei ter. Jetzt starrt er mich an. Er schluckt, lehnt sich an die Säu le hin ter ihm und ver sucht, dem, was ich ge sagt ha be, ei nen Sinn zu ent neh men. »Die Mäd chen?« Er hat Angst. Pa pa hat Angst, und im La-ter nen licht wirkt er auf mich plötz lich wie ein er schro cke ner

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Greis, ver lo ren in mit ten des Ver kehrs ei ner Stadt, die er nicht wie derer kennt und an de ren Stra ßen er sich nicht er in nert. Er at-met schwer, er kaut die Luft. »Die Mäd chen, Pa pa. Mei ne Mäd chen«, be ei le ich mich zu er-klä ren, wo bei ich die zwei Stu fen er klim me, die mich vom Trep-pen ab satz tren nen, und die Dop pel tür kraft voll auf drü cke. Wie drei klei ne Geis ter, die aus ei ner win zi gen Fla sche be freit wer-den, kom men Fau na, Flo ra und Primavera he raus ge schos sen und hüp fen um mich he rum, stel len sich auf die Hin ter bei ne und sprin gen über ei nan der hin weg, buh len um mei ne Hän de und Strei chel ein hei ten. Ich ge he in die Ho cke und las se sie mich ei nen Au gen blick ab schle cken und zwi cken, Be sitz von mir er-grei fen. Es ist im mer so. An die Säu le ge lehnt, kommt Pa pa wie der zu sich. Kei ne Spur mehr von dem er schro cke nen, stum men Greis, den ich vor we ni gen Se kun den unter der La ter ne ha be ste hen se hen. Er lä-chelt selbst ge fäl lig. »Na so was … Das ist al so die be rühm te Fau na & Com-pa ny«, sagt er mit ei nem plötz li chen Glän zen in den Au gen, das ich gut ken ne. »Ja.« Er kommt nicht nä her. Er be ob ach tet uns vier aus der Dis-tanz. »Aha.« Jetzt hat sich Fau na auf den Rü cken ge wor fen. Sie wird ger ne in den Leis ten ge krault. Flo ra leckt ihr übers Maul, wäh-rend Primavera die Trep pe hi nunter läuft, hin ter den Hor ten sien ver schwin det und auf den Ra sen pin kelt. »Und du sagst, das sei eine Ras se?« »Ja, Pa pa. Fran zö si sche Bull dog gen.« »Fran zö si sche?«, wie der holt er mit ei nem über trie be nen Aus-druck von Ekel. »So, so.« Ich läch le. Jetzt will Flo ra von mir ge krault wer den. Sie hin-ter den Oh ren.

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»Und sie le ben im Haus?« »Na tür lich.« »Im mer?« »Ja.« »Aha.« Wir schwei gen ei nen Au gen blick. Lu cas und Verónica ste hen am Teich und re den mit ei nan der, doch ihr Ge spräch dringt nicht zu uns he rü ber. Die drei Hün din nen hecheln auf ge regt, wenn auch schon et was ru hi ger. Fau na liegt noch im mer mit hän gen-der Zun ge auf dem Rü cken. Flo ra lässt sich krau len. »Mein Kind …« Beim Auf schau en se he ich Pa pa steif an der Säu le leh nen und Primavera an star ren, die sich in kur zer Ent fer nung vor ihm auf-ge baut hat und mit ge neig tem Kopf zu ihm hochschaut. Pa pa blin zelt nicht ein mal. »Das ist doch nicht der Gremlin, die ser Psy cho path, der Gift spuckt, oder?« Ich la che. Er nicht. Wenn er sich se hen könn te, wür de er mit-la chen. Wir wer den es ei nes Ta ges tun, wenn die ser Abend eine ge mein sa me Er in ne rung ist. Be stimmt. »Sie tut dir nichts, Pa pa. Die drei sind sehr lieb. Sie will nur, dass du et was zu ihr sagst.« Er starrt noch im mer zu Primavera hi nunter, die sich nicht vom Fleck rührt und ihn mit ihren Glubsch au gen und ein ge-knick ten Oh ren vom Bo den aus mus tert. »Et was?« »Ja.« »Et was Net tes?« »Wenn mög lich.« Er fasst sich ans Kinn und bückt sich, wo bei er mit zu sam-men ge knif fe nen Au gen ein Ge sicht zieht, das kei nem von uns bei den neu ist. »Ich müss te lü gen.«

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Und ich muss mir das La chen ver knei fen und weiß nicht, wie lan ge ich noch durch hal te. Pa pa hockt vor Primavera und streckt vor sich tig die Hand nach ihrem Kopf aus, be rührt ihn nur vor sich tig. Dann krault er sie me cha nisch und sagt: »Sie müs sen gro ße in ne re Schön heit be sit zen, Se ño ri ta.« Wo rauf hin Primavera, die schüch terns te und un zu gäng-lichs te der drei, die ab seits frisst und ab seits schläft, die Au gen schließt und ein Pföt chen hebt, als wol le sie an eine Tür klop fen, die nie mand von uns sieht, wäh rend sich Pa pa auf rich tet und mit ver schränk ten Ar men wie der an die Säu le lehnt. Da springt Primavera auf, sieht zu mir he rü ber und trip pelt lang sam, ganz lang sam noch et was nä her, läuft mit klei nen, leicht fü ßi gen Schrit-ten um ihn he rum und lässt sich schließ lich zu sei nen Fü ßen nie-der. Dann schaut sie nach oben, lässt sich auf die Sei te fal len und legt mit ei nem hei se ren Seuf zen ihren Kopf auf Pa pas Schuh. Pa pa schaut ihr ir ri tiert zu. »Was tut sie?« Zu sei nen Fü ßen die lei se seuf zen de Primavera. »Jetzt ge hörst du ihr.« Pa pa lacht auf und schüt telt den Kopf. »Wa rum muss ich bloß im mer mit der Häss lichs ten tan zen?« Wir la chen, er und ich, Rodolfo und Mar ti na, und zwi schen uns über kreu zen sich jetzt Fra gen, Er in ne run gen und Bruch stü-cke der Ver gan gen heit, die gan ze Ge schich te, die uns ver bin det und unse r bei der Le ben aus macht, die wir bis heu te ge teilt ha-ben: das, was wir hier ge mein sam leb ten, bis Em mas und Fer-nan dos Tod unser Schick sal aus der Bahn warf, und das an de re, das da rauf folg te, als das Boot, in dem wir bis da hin se gel ten, zer-brach und uns auf ver schie de ne Flö ße ver teil te, auf denen je der an sein Ufer trieb, nicht da ran ge wöhnt, dem Was ser so na he zu sein, mit den Hän den über sei ner Tie fe zu ru dern. Seit her ist viel ge sche hen, und ich le se in Pa pas glän zen den Au gen, dass nichts da von mir pas siert ist, dass ich seit Jah ren das Le ben an mir vo rüber zie hen las se, im Schutz der Treue mei-

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ner ver wais ten Nich te und mei nes ver wais ten Nef fen und der kur zen Ket te, die ich mir von Ma ma ha be an le gen las sen. Es wa-ren so vie le Jah re al lein in die sem Haus mit ihr, dass ich plötz-lich bei Pa pas An blick an die ser Holz säu le und Primavera zu sei nen Fü ßen ver ste he, dass dies die Wirk lich keit ist, dass seit sei nem Weg gang zwan zig Jah re ver gan gen sind, dass er zu rück-ge kehrt ist, dass er zu Hau se an ge kom men ist. Und es fällt mir schwer zu at men, weil ich be grei fe, dass ich nach all dem nur im-mer wie der schlu cken kann, um nicht die Lei nen zu lö sen und ihn wie der in der Nä he ha ben zu wol len, zu Hau se, um ihn nicht wei ter zu ver mis sen und noch mehr Jah re mit Sehn sucht zu ver schwen den. Pa pa sieht mich an, und ich möch te ihm sa gen, dass es mir nicht guttut, ihn hier zu ha ben, so nah, weil ich weiß, dass er in we ni gen Stun den wie der ab reist und mich zu rück lässt mit dem, was meins ist, und das ist nichts. Und ich möch te ihm auch sa-gen, dass er jetzt ge hen soll, dass er es nicht hi naus schie ben soll, so nicht. Nein, so nicht. »Wa rum bist du ge kom men, Pa pa?« Ich bin über rascht von mei ner Stim me und dem, was ich aus ihr he raus hö re. Es ist kei ne Wut und auch kein Vor wurf. Es ist eine auto ma tisch da hin ge sag te Fra ge, mit der ich die über tün-che, die ich nicht zu stel len wa ge, weil ich Angst ha be, das zu hö-ren, was ich schon weiß. Ich fra ge »Wa rum bist du ge kom men« und ver schwei ge ein »Wa rum bleibst du nicht«, das nicht an ge-bracht scheint, weil es wie für vie les an de re schon zu spät ist. Es ist zu spät für uns. Er lä chelt mich von der Säu le aus an. Mit dem Mund, nicht mit den Au gen. »Ich woll te dei ne Mäd chen ken nen ler nen, be vor die Di ver ti-kel ih nen den Groß va ter nehmen.« Es funk tio niert nicht. Sei ne Ant wort funk tio niert nicht. Wei-ter un ten, auf fes tem Bo den, kom men Lu cas und Verónica jetzt

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schwei gend nä her, sie in den Arm ihres Bru ders ge schmiegt. Pa pa sieht zu ih nen hi nü ber. Dann löst er sich von der Säu le, zieht sei nen Fuß unter Primavera her vor und kommt lang sam auf mich zu. »Weil ich Angst hat te, dass ich zu spät kom me«, sagt er. Da wird es Nacht über uns, und ich spü re Pa pas kno chi gen Arm um mei ne Tail le und wie er mich an sich zieht. Und ich spü re, dass mich schon viel zu lan ge nie mand mehr um armt hat. Es tut mir gut. Sei ne Wär me tut mir gut. Und sei ne al te, kno chi ge Hand auf mei ner Hüf te be glei tet mich jetzt zur Tür, wir bei de ge mein sam an der Schwel le der Dun kel heit die ser Nacht und der rie si gen Ein gangs hal le, de ren Lich ter aus ge schal tet sind. Er ist wie der zu Hau se, und sei ne Wär me durch strömt mich wie ein lan ger, war mer Mee res arm.

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