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- 1 - ALG II und Rentenversicherungspflicht Seit 2011 führt der Bezug von ALG II nicht mehr zur Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Zeiten des Bezugs von ALG II sind seitdem keine Beitragszeiten, aus denen sich rentenrechtliche Ansprüche ergeben, sondern nur noch „Anrechnungszeiten“. Anders als Beitragszeiten führen diese nicht zum Erwerb rentenrechtlicher Anwartschaften. Sie können aber sichern, dass bestimmte bereits erworbene Anwartschaften erhalten bleiben. Das betrifft Ansprüche auf eine Rente wegen Erwerbsminderung oder wegen Todes und auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Sie werden auch bei der Gesamtleistungsbewertung von beitragslosen Versicherungszeiten und der Höherbewertung von Geringverdienern berücksichtigt. Für „Aufstocker“, die aus anderen Gründen versicherungspflichtig sind, hat der Wegfall der Versicherungspflicht keine negativen Auswirkungen. Das betrifft insbesondere versicherungspflichtig Beschäftigte oder Selbständige und Bezieher bestimmter Sozialleistungen wie ALG I und Krankengeld. Gibt es für die Betroffenen einen Ausweg? Bezieher von ALG II, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben, sind in dieser in der GRV versicherungsfrei. Sie haben aber die Möglichkeit, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Damit können sie ihre Pflichtversicherung retten und vollwertige Ansprüche in der GRV erwerben. Verzicht auf Versicherungsfreiheit in der GRV Bei geringfügigen Beschäftigungen entrichtet der Arbeitgeber Pauschalbeiträge zur GRV in Höhe von 15 % des Arbeitsentgelts. Das erbringt für den Arbeitnehmer einen kleinen Zuschlag an Rentenentgeltpunkten und trägt in begrenztem Umfang zur Erfüllung der für die Rente erforderlichen Wartezeit bei. Es entsteht damit jedoch kein Versicherungspflichtverhältnis. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VI kann der Arbeitnehmer durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die Rentenversicherungsfreiheit verzichten. Dadurch erlangt er den Status eines versicherungspflichtig Beschäftigten mit allen sich daraus ergebenden rentenrechtlichen Vorteilen. Das arbeitsrechtliche Nachweisgesetz verpflichtet die Arbeitgeber, auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinzuweisen. Übt der Arbeitgeber mehrere geringfügige Tätigkeiten aus, muss er die Erklärung für alle abzugeben. Der Verzicht gilt für die gesamte Dauer der Beschäftigung. Finanzieller Aufwand für den Arbeitnehmer Wenn der Arbeitnehmer auf die Versicherungsfreiheit verzichtet, muss er zusätzlich zum Beitrag des Arbeitgebers aus seinem Arbeitseinkommen Rentenbeiträge entrichten. Damit wird der Beitrag des Arbeitgebers auf den vollen Beitragssatz von 19,6 % aufgefüllt. Bei Arbeitseinkommen ab 155 Euro („Mindestbemessungsgrundlage“ nach § 163 Abs. 8 SGB VI) sind das 4,6 % des Arbeitseinkommens.

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ALG II und Rentenversicherungspflicht

Seit 2011 führt der Bezug von ALG II nicht mehr zur Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV). Zeiten des Bezugs von ALG II sind seitdem keine Beitragszeiten, aus denen sich rentenrechtliche Ansprüche ergeben, sondern nur noch „Anrechnungszeiten“. Anders als Beitragszeiten führen diese nicht zum Erwerb rentenrechtlicher Anwartschaften. Sie können aber sichern, dass bestimmte bereits erworbene Anwartschaften erhalten bleiben. Das betrifft Ansprüche auf eine Rente wegen Erwerbsminderung oder wegen Todes und auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Sie werden auch bei der Gesamtleistungsbewertung von beitragslosen Versicherungszeiten und der Höherbewertung von Geringverdienern berücksichtigt. Für „Aufstocker“, die aus anderen Gründen versicherungspflichtig sind, hat der Wegfall der Versicherungspflicht keine negativen Auswirkungen. Das betrifft insbesondere versicherungspflichtig Beschäftigte oder Selbständige und Bezieher bestimmter Sozialleistungen wie ALG I und Krankengeld.

Gibt es für die Betroffenen einen Ausweg?

Bezieher von ALG II, die eine geringfügige Beschäftigung ausüben, sind in dieser in der GRV versicherungsfrei. Sie haben aber die Möglichkeit, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten. Damit können sie ihre Pflichtversicherung retten und vollwertige Ansprüche in der GRV erwerben. Verzicht auf Versicherungsfreiheit in der GRV

Bei geringfügigen Beschäftigungen entrichtet der Arbeitgeber Pauschalbeiträge zur GRV in Höhe von 15 % des Arbeitsentgelts. Das erbringt für den Arbeitnehmer einen kleinen Zuschlag an Rentenentgeltpunkten und trägt in begrenztem Umfang zur Erfüllung der für die Rente erforderlichen Wartezeit bei. Es entsteht damit jedoch kein Versicherungspflichtverhältnis. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VI kann der Arbeitnehmer durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Arbeitgeber auf die Rentenversicherungsfreiheit verzichten. Dadurch erlangt er den Status eines versicherungspflichtig Beschäftigten mit allen sich daraus ergebenden rentenrechtlichen Vorteilen. Das arbeitsrechtliche Nachweisgesetz verpflichtet die Arbeitgeber, auf diese Möglichkeit ausdrücklich hinzuweisen. Übt der Arbeitgeber mehrere geringfügige Tätigkeiten aus, muss er die Erklärung für alle abzugeben. Der Verzicht gilt für die gesamte Dauer der Beschäftigung. Finanzieller Aufwand für den Arbeitnehmer

Wenn der Arbeitnehmer auf die Versicherungsfreiheit verzichtet, muss er zusätzlich zum Beitrag des Arbeitgebers aus seinem Arbeitseinkommen Rentenbeiträge entrichten. Damit wird der Beitrag des Arbeitgebers auf den vollen Beitragssatz von 19,6 % aufgefüllt. Bei Arbeitseinkommen ab 155 Euro („Mindestbemessungsgrundlage“ nach § 163 Abs. 8 SGB VI) sind das 4,6 % des Arbeitseinkommens.

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Bei einem Einkommen unter 155 Euro ist zur Sicherung des gesetzlich geforderten Mindestbeitrags von 30,38 Euro ein höherer Beitrag des Arbeitnehmers erforderlich. Er errechnet sich aus der Differenz zwischen dem Beitrag des Arbeitgebers und dem Mindestbeitrag.

Beispiele:

Arbeitseinkommen: 350,00 Euro

Beitrag des Arbeitgebers: 52,50 Euro (15 %)

Beitrag des Arbeitnehmers: 16,10 Euro (4,6 %)

Arbeitseinkommen: 130,00 Euro

Beitrag des Arbeitsgebers: 19,50 Euro (15 %)

Beitrag des Arbeitnehmers: 10,88 Euro ( 30,38 Euro – 19,50 Euro).

Finanzielle Auswirkungen für Bezieher von ALG II Der Verzicht auf die Versicherungsfreiheit führt zu einer Verringerung des ausgezahlten Arbeitseinkommens. Das wird aber dadurch ausgeglichen, dass der vom Arbeitnehmer gezahlte Beitrag zur GKV bei der Berechnung des ALG II zusätzlich zu den sonstigen Absetzbeträgen vom Einkommen abzusetzen ist. In dieser Höhe erhöht sich damit das ALG II. Beispiel:

Arbeitseinkommen: 350 Euro

Absetzbeträge:

- pauschaler Absetzbetrag (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) 100,00 Euro

- Freibetrag für Erwerbseinkommen (§ 11b Abs. 3 SGB II) 50,00 Euro

- Beitrag zur GRV (§ 11b Abs. 1 Nr. 2 SGB II) 16,10 Euro

Vom Arbeitseinkommen sind 166,10 Euro abzusetzen. Auf das ALG II werden die

verbleibenden 183,90 Euro angerechnet. Ohne Verzicht auf die Versicherungsfreiheit

würden 200 Euro angerechnet. Damit bleibt das Gesamteinkommen aus

Arbeitseinkommen und ALG II trotz des verringerten Arbeitseinkommens gleich.

Erst ab einem Arbeitseinkommen unter 116 Euro wird der Verzicht auf Versicherungsfreiheit für Bezieher von ALG II finanziell zu einem „Zuschussgeschäft“.

Mein Rat

Wenn Sie außer dem ALG II Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung als Arbeitnehmer haben, sollten Sie die Möglichkeit des Verzichts auf Versicherungsfreiheit nutzen. Holen Sie sich bei Unklarheiten sachkundigen Rat! Peter F. Müller