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Alles im Fluss? einfach – wirksam – gerecht 2,50 € • ISSN 1860-9694 Ist Hortung heute noch ein Problem? Interview Steffen Henke: Fließendes Geld für eine gerechtere Welt Aktuelle Entwicklungen bei der Grundsteuerreform Nr. 1 März 2018

Alles im Fluss? - INWO

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Page 1: Alles im Fluss? - INWO

Alles im Fluss?

einfach – wirksam – gerecht

2,50

€ •

ISS

N 1

860-

9694

Ist Hortung heute noch ein Problem?

Interview Steffen Henke: Fließendes Geld für eine gerechtere Welt

Aktuelle Entwicklungen bei der Grundsteuerreform

Nr. 1 März 2018

Page 2: Alles im Fluss? - INWO

2 März 1/2018 INWO

Im Mai 2017 erschien nun aber ein Auf-satz von Neil Ericsson, David Hendry undStedman Hood, der zeigt, dass MiltonFriedman und seine Kollegin AnnaSchwartz die Zahlen so manipuliert ha-ben, dass historische Rückgänge der Geldumlaufgeschwindigkeit extrem kleingerechnet wurden.

Die weltweit weiterhin steigende Ver-schuldung, die entsprechend erdrü cken -de Kapitallast, die potentiellen Bedro-hungen durch sowohl Inflation als auchDeflation, die Gefahr steigender Zinsen…All dies zeigt, dass ein entscheidenderPunkt bisher nicht gelöst worden ist: dieVerstetigung der Umlaufgeschwindigkeitdes Geldes.

Silvio Gesell war der Ökonom, der dieUmlaufgeschwindigkeit zum zentralenThema gemacht hat! Durch eine Geld-gebühr wollte er das Geld zum Fließenbringen und so »die Regelmäßigkeit desGeldumlaufes zur ewig sprudelndenGeldquelle« machen.

Die Zeit ist gekommen, seine Ideen ernstzu nehmen.

Viele Grüße

Die Staumauer auf unserer Titelseitesoll die Problematik der Geldhortung

symbolisieren. Aber ist Hortung heuteüberhaupt noch ein Problem? Hortungbedeutet, dass Geld dem Kreislauf ent-zogen und somit (länger als üblich) nichtmehr nachfragewirksam wird. Andersausgedrückt sinkt die Umlaufgeschwin-digkeit der gesamten herausgegebenenGeldmenge, wodurch auch die Gesamt-Nachfrage sinkt. Dies führt zur Rezes -sion.

Karl Marx sah zwar durchaus, dass ausder »sozialen Macht« Geld eine »priva-te Macht« privater Personen werdenkann, weshalb die Menschen im Alter-tum Geld zurückgewiesen hätten, da esdie ökonomische und ethische Ordnunguntergrabe. Dennoch betrachtete Marxdie Bildung von Horten als funktional:»Die Reserven dienen als Kanäle für denZu- oder Abfluss von Geld in den Umlauf,der dadurch nie über die Ufer tritt.« Dieeigentlichen Probleme verortete er in derkapitalistischen Produktionssphäre.

Auch John Maynard Keynes hat gesehen,dass die Geldhalter manchmal lieber liquide bleiben, und wollte die Nachfra-ge stabilisieren. Seine Nachfolger sahensich jedoch gezwungen, mit den staat -lichen Konjunkturprogrammen unauf-hörlich weiterzumachen, so dass überderen Kreditfinanzierung die weltweiteVerschuldung immer weiter zunahm.

Die Monetaristen um Milton Friedmansetzten dagegen einfach eine konstanteGeldumlaufgeschwindigkeit voraus undmeinten, es wäre ausreichend, durcheine stetige Ausweitung der Geldmengedie Wirtschaft in Schwung zu halten.»Money matters«: Es komme auf dieGeldmenge an, während man die Um-laufgeschwindigkeit vernachlässigenkönne.

Die FAIRCONOMY ist die Zeitschrift der INWO (Initiative für Natürliche

Wirtschaftsordnung e.V.). Mit dieser Zeitschrift machen wir auf unsere

Idee der FAIRCONOMY aufmerksam und informieren unsere Mitglieder.

FAIRCONOMY steht für eine Welt mit Zukunft. Sie schafft die Grund lage

für eine nachhaltige, stabile und gerechte Marktwirtschaft ohne kapita-

listische Auswüchse. Voraussetzung für die FAIRCONOMY ist eine Geld-

und Bodenreform. Sie sorgt dafür, dass die Wirtschaft an den Bedürf-

nissen der Menschen ausgerichtet werden kann. Mit der FAIRCONOMY

gehört die Umverteilung von unten nach oben der Vergangenheit an.

Sie ermöglicht Wohlstand für alle, Chancengleichheit und Frieden.

Impressum

Liebe Leserinnen und Leser,

FAIRCONOMY 14. Jahrgang, Nr. 1 März 2018, ISSN 1860-9694

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte etc. wird keine Haftung übernommen.

Redaktion: B. Bockting (V.i.S.d.P.), M. Gassner E-Mail: [email protected]

Auflage: 1.600 Exemplare

Bildnachweis: Titelseite: © Dr. Stephan Barth / pixelio.de; Autoren- und Produktfotos: privat und Verlage; 3: © Uli Stoll-www.parknplay.de / pixelio.de; 4+6: © Helmut Creutz und Tho-mas Kubo; 7: © CC Wikimedia.org, Dantzig; 12: © boke9a / pixabay.com; 13: © geralt / pixabay.com; 14: © Denise /pixelio.de; 15: © Mediamodifier / pixabay.com; 17: © www.vollgeld-initiative.ch, Foto Binswanger: © privat; 18: © www.neue-bodeninitiative.ch; 19: © Roland Stebler; 20: © Logo: ififfm.de;23: © A. Lindert-Rottke / fotolia.com; 24: © Herm / pixabay.com

Layout: design-angel.de, Christina v. Puttkamer, München

Druck: Mühlbauer Druck, Puchheim (gedruckt auf 100% Recycling papier)

Herausgeberin: INWO Deutschland e.V., Max-Bock-Str. 55, 60320 Frankfurt

Mitglieder- und Abo-Kontakt Deutschland:INWO e.V. Wallstr. 97, 50321 BrühlTelefon: +49 2232 156368 E-Mail: [email protected], www.INWO.de

Kontoverbindung:INWO e.V. bei der GLS Gemeinschaftsbank eG BochumIBAN: DE32 4306 0967 6010 4514 00, BIC: GENODEM1GLS

Mitglieder- und Abo-Kontakt Schweiz: INWO Schweiz, Postfach 3161, 5430 Wettingen 3, Telefon: +41 56 426 60 90, E-Mail: [email protected], www.INWO.ch

Kontoverbindung:Konto 40-963-0 bei der Freien GemeinschaftsbankIBAN: CH20 0839 2000 0040 0679 8PC-Konto 30-1771-2, IBAN: CH83 0900 0000 3000 1771 2

Hinweis: Wir verwenden in unserem Verein und unserer Zeitschrift das solidarische Du.

Kontakt: [email protected]

Inhalt

3 Beate Bockting: Negative Gerechtigkeit

4 Helmut Creutz, Thomas Kubo: Bargeldhortung ist ein Problem

7 Historisches Freigeld-Experiment in Lignières-en-Berry

8 Fließendes Geld – Interview mit Steffen Henke

13 Klaus Willemsen: Negativzinsen vor Gericht

14 IFiF-Diskussion: Von der Grundsteuer zur Bodenwertsteuer

16 Grundsteuerreform – aktuelle Entwicklungen

17 INWO Schweiz

20 INWO Deutschland

22 Mitgliedsantrag INWO-D

23 Buchvorstellungen

24 Silvio Gesell über umlaufgesichertes Geld

Page 3: Alles im Fluss? - INWO

INWO · März 1/2018 3

n der Printausgabe des Economisterschien Anfang Februar unter derÜberschrift »Negative justice« einBeitrag über Silvio Gesells Idee,das Geld wie die Waren »rosten«

zu lassen. Online findet sich die Geschichteunter der Überschrift »Weshalb Zinsen unternull weder ungerecht noch unnatürlich sind –Wenn es an Kreditnehmern mangelt, hilft es,wenn Geld wie Kartoffeln fault«.1

Kurze Ausschnitte aus Silvio Gesells Robin-sonade, die wir im März 2017 noch in FAIR-CONOMY abgedruckt hatten, werden von derauflagenstarken und international verbreite-ten Wochenzeitung nacherzählt. Einleitendwird daran erinnert, dass auch der berühm-te amerikanische Ökonom Irving Fisher 1930in »The Theory of Interest« eine Fassungder Robinsonade brachte, in der er anhandvon trockenem Zwieback, den schiffbrüchigeSeeleute untereinander aufteilten, deutlichmachte, dass Zinsen keinesfalls natürlicher-weise positiv sein müssen. Gesells Versionist allerdings ausgefeilter.

Stamp Scrip Irving Fisher hatte 1933, als Gesell bereitsverstorben war, in seinem Buch »Stamp Scrip«praktische Möglichkeiten einer GesellschenUmlaufsicherung als Ausweg aus der dama-ligen schweren Wirtschaftskrise beschrieben.Fishers Berater war damals der aus Deutsch-land ausgewanderte Gesell-Anhänger HansCohrssen. 1933 war die Arbeitslosigkeit in den USA auf25 Prozent angestiegen. In vielen Kommunenwurde Notgeld ausgegeben, um auch in derDeflation Zahlungsmittel zur Verfügung zu ha-ben. Die umlaufgesicherten Scrips hatten 52Kästchen auf dem Rücken und musstenwöchentlich durch das Aufkleben einer 2-Cent-Marke aktuell gehalten werden. Dadurchwurde der schnelle und vor allem stetigeUmlauf gesichert. Heute könnte das altmo-disch erscheinende Aufkleben von Klebe-marken beispielsweise durch automatischesAbbuchen von anonymen Geldkarten ersetztwerden. Unserer Wirtschaft und Gesellschaftwäre mit einer solchen Maßnahme in jedemFall auch heute wieder gedient.

Rostendes Geld in Japan? Die Bank of Japan scheue solche Bezeich-nungen wie »rostendes Geld«, schreibt derEconomist. »Doch indem sie 2016 einen Ne-gativzins erhob und sich drei Jahre zuvor einInflationsziel setzte, verfolgt sie im Grunde

Gesells Traum eines rottenden und rosten-den Geldes, wenn auch nur um 2% jähr-lich.«Der minimale Negativzins in Japan, der zu-dem durch Freibetragsregelungen (tiering)abgeschwächt wird und nicht auf die Gutha-

ben der Privat- und Geschäftskunden der Ge-schäftsbanken durchwirkt, ist allerdings nochlängst nicht das, was Gesell sich vorstellte.Gesell wollte Kreditnehmer von Zinskostenentlasten und marktgerecht von der zuneh-menden Kapitalfülle profitieren lassen. Statt-dessen sollten diejenigen Marktteilnehmerbelastet werden, die die Zahlungsmittel vomMarkt zurückhalten (horten). Mit seiner Aussage zum Negativzins in Japanhat der Economist zwar tendenziell Recht, mitdem Inflation-Targeting hatte Silvio Gesell dagegen nichts zu tun. Die Doppelstrategieminimaler Negativzinsen bei gleichzeitig angestrebter Inflation, die nicht nur von derBank of Japan, sondern auch von der Euro -päischen Zentralbank verfolgt wird, ist nur dieKonsequenz aus einer bislang unvollendetenZinspolitik. Willem Buiter spricht von einernoch bestehenden »Asymmetrie«, die über-wunden werden muss. Einige Monetärökonomen wie Willem Buiter,Miles Kimball, Kenneth Rogoff und MarvinGoodfriend haben heute wieder eine Ah-nung von der Bedeutung Gesells, wenngleicher bislang noch unzureichend rezipiert wird.Solange das Bargeld nicht in die negative Ver-zinsung einbezogen wird, kann es keine wirk-lich effektiven Negativzinsen geben. z

Beate Bockting

Negative Gerechtigkeit

I

Die britische Wochenzeitung The Economist erklärt, »weshalb Zinsen unter null weder ungerecht

noch unnatürlich sind«, und erzählt dabei Silvio Gesells Robinsonade nach.

1 »Why sub-zero interest rates are neither unfair nor unnatural – When borrowers are scarce, it helps if mo-ney (like potatoes) rots«: www.economist.com/news/finance-and-economics/21736140-when-borrowers-are-scarce-it-helps-if-money-potatoes-rots-why-sub-zero

Robinson lernt vom Fremdling, dass Geld wie Waren rosten muss, damit alle davon profitieren.

Unterstütze

unseren Aufruf

»Eine stabile Währung

durch Haltegebühr

auf Geld«:

www.geldreform.eu

Page 4: Alles im Fluss? - INWO

4 März 1/2018 · INWO

n der Fairconomy vom September2009 gab Helmut Creutz unter derÜberschrift »Die Geldhortung istsichtbar geworden« die Entwick-lung des sogenannten Banknoten-

umlaufs in Deutschland ab 1985 wieder. Erbetonte dabei, dass es sich in Wirklichkeit nurum »den in Umlauf gegebenen« Bestand anBanknoten handelt, von denen der größte Teiljedoch gar nicht am Umlauf beteiligt ist. Dasgalt und gilt ganz besonders für die großenNoten.

Helmut Creutz: »Wie aus der Grafik zu erse-hen, stieg das Wert-Volumen dieser heraus-gegebenen Banknoten von 1985 bis 1996steil von 105 auf 260 Mrd. DM und damitum 148% an, verblieb bis Ende 2000 auf der

erreichten Höhe, um dann im Jahr 2001, also vor dem Umtausch der DM gegen Eu-ro, auf 150 Mrd. DM und damit auf 58% desBestands von Ende 2000 zurückzufallen.

Betrachtet man die Entwicklungen der in derGrafik markierten drei Stückelungsgruppen,dann waren die kleinen und in der End-nachfrage gängigsten Scheine an dem An-stieg bis 1996 nur geringfügig beteiligt. Sienahmen gegenüber dem Ausgangsjahr 1985um 90% zu. Die im mittleren Bereich wie-dergegebenen 100- und 200-DM-Noten stiegen etwas deutlicher an, nämlich um116%. Da das nominale Bruttoinlandproduktvon 1985 bis 1996 um 97% zulegte, lagendie Entwicklungen dieser beiden unterenBanknotengruppen zusammen also relativim Rahmen.

Über den Rahmen hinaus schoss jedoch dieEntwicklung der 500- und 1000-DM-Scheine,die von 1985 bis 1996 mit einem Zuwachsvon 226% auf mehr als das Dreifache der

Ausgangsmenge zunahmen. Damit wuchsensie mehr als doppelt so rasch wie die Wirt-schaftsleistung und ihr Anteil an der Ge-samtgeldmenge stieg von 29% auf 43%!

Bargeldhortung ist kein Problem Das Bargeld veranlasste Helmut Creutz zu seinen Lebzeiten zu verschiedenen Analysen, die er auch

grafisch umgesetzt hat. Besonders nach dem Ausbruch der Finanzkrise beobachtete er die Entwicklung

der Bargeldmenge genau. Im Zuge der Niedrigzinspolitik rückt das Problem der Geldhortung verstärkt

in den Fokus.

I

Die legale Wirtschaft

kommt gut ohne

große Scheine und mit

rund einem Viertel

der heutigen

Bargeldmenge aus.

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INWO · März 1/2018 5

Dabei ist bekannt, dass diese Ausweitungender großen Scheine nicht nur in Spekulatio-nen, Hortungen und Steuerhinterziehungs-kassen fließen, sondern vor allem auch in kri-minelle Kanäle, nicht zuletzt in jene desRauschgifthandels. Ähnlich wie die Schwei-zerische Notenbank mit ihren 1000-Franken-Scheinen und im Gegensatz zur Fed, bei derdie 100-Dollar-Note immer noch der größteGeldschein ist, leistet also auch die EZB mitihren großen und für diese Geschäfte be-quemen Noten gewissermaßen Beihilfe zu kriminellem Tun! Dass sie außerdem mitdieser Hortungs-Hilfe ihren eigenen Geld-mengenkontrollen und Stabilitätsbemü -hungen entgegenwirkt, scheint sie nicht zubeachten!«

Neuere EntwicklungenHelmut Creutz selbst hat die meisten seinerGrafiken nur bis 2010 aktualisiert, um damitdie letzte von ihm selbst autorisierte Neu-ausgabe seines Standardwerks zu illustrie-ren: »Das Geld-Syndrom 2012« (VerlagMainz). Dankenswerterweise machte sichThomas Kubo vor einigen Jahren an die Ar-beit, die Creutz-Grafiken nach und nach wei-ter zu aktualisieren. Die Fortschreibung derGrafik 126, in der die Geldhortung proble-matisiert wird, ist vor allem vor dem Hinter-grund der Niedrigzinspolitik der EZB von be-sonderem Interesse. Die aktuelle Verlänge-rung veranschaulicht für die letzten Jahre fol-gende Sachlage:

Thomas Kubo: Der relative Anteil der 500-und 200-Euro-Scheine an der gesamten her-ausgegebenen Bargeldmenge ist seit 2014gesunken, ihr Volumen zusammen ist seit-her sogar in absoluten Beträgen etwas rück-läufig. Seit 2014 hat die Österreichische Na-tionalbank, die im Eurosystem für die 500-Euro-Scheine zuständig ist, keine 500er mehrgedruckt. Der Beschluss der EZB vom Mai2016, ab Ende 2018 keine 500-Euro-Notenmehr auszugeben, war sehr richtig, wenn-gleich bemängelt werden muss, dass die be-reits im Umlauf befindlichen 500er gesetzli-ches Zahlungsmittel bleiben sollen und beiden nationalen Notenbanken zeitlich unbe-grenzt umgetauscht werden können. Dochinsgesamt zeigt die Entscheidung bereits Sig-nalwirkung.

Ausweichen in kleinere StückelungenDem Abbremsen der Hortung in 500-Euro-Scheinen steht jedoch ein gewaltiger An-stieg an herausgegebenen 50- und 100-Eu-ro-Noten gegenüber, der sich seit Einführungder Negativzinsen 2014 nochmals verstärkthat. Der Wert der 100-Euro-Scheine stieg seitEnde 2012 um fast die Hälfte von 42,5 auf61,7 Mrd., während die absolute Steigerung

bei den 50-Euro-Noten (von 80,1 auf 115,4Mrd.) die größte war.Ingesamt hat sich die herausgegebene Bar-geldmenge seit Ende 2012 von 233 auf 283Mrd. Euro erhöht, was einer Steigerung vongut 21% entspricht. Diese Zahlen entspre-chen dem deutschen Euro-Anteil. Die gesamteherausgegebene Bargeldmenge des Euro-Raumes hat sich im selben Zeitraum von 936Mrd. auf 1.199 Mrd. erhöht.

Ein Seitenblick auf die Schweiz ergänzt dasBild (neu Nr. 126a, siehe S.6). Dort ist die her-ausgegebene Bargeldmenge noch stärker, jageradezu exponentiell, angestiegen: Von 51,8Mrd. Schweizer Franken (CHF) im Jahr 2011auf 75,1 Mrd. Franken im Jahr 2016, also umbeinahe 50%, wobei die Steigerung vor al-lem bei den 1.000-Franken-Noten zu ver-zeichnen war. Es ist wichtig, darauf hinzu-weisen, weil sich ja gerade diese Noten be-sonders zum Horten eignen.Helmut Creutz wurde nicht müde, die Pro-

bleme der Geldhortung anzusprechen. Er wieswie oben beschrieben darauf hin, dass bereitsder Begriff ›Bargeldumlauf‹ ungenau ist. Dieherausgegebene Menge an Bargeld ist nie die-selbe Menge, die im Wirtschaftskreislauf ak-tiv ist. Der Begriff ›Umlauf‹ suggeriert jedoch,dass alles Bargeld sich gleichermaßen im Um-lauf befindet, was nicht der Fall ist. Andersausgedrückt: Ein 100-Euro-Schein, der einMal im Jahr umläuft, ist wirtschaftlich nur halbso wirksam wie ein 50-Euro-Schein, der vierMal im Jahr umläuft.

Bargeld und NiedrigzinsDie Niedrigzinspolitik hat gesamtwirtschaft-lich betrachtet bereits segensreiche Auswir-

Anstieg der großen Noten

Dieser übermäßige Anstieg der großen No-ten, z.T. auch der 100- und 200-DM-Werte, istim Wesentlichen mit den Geldhortungen zuerklären. Lange Zeit von der Deutschen Bun-desbank bagatellisiert, ergab eine Anfangder 90er Jahre endlich in Auftrag gegebeneUntersuchung, dass alleine die DM-Hortun-gen im Ausland bei 30 bis 40% der heraus-gegebenen Banknotenwerte lagen!Sowohl der Stopp dieser Hortungsauswei-tungen ab 1996, also nach Bekanntgabedes geplanten Umtauschs gegen Euro, alsauch besonders der radikale Abbau dieserBestände im letzten Jahr vor diesem Um-tausch, bestätigen diese Hortungsannah-me. Denn das Gros der Geld-Überschüssewurde nur vorübergehend in andere Wäh -rungen eingetauscht oder z.T. auf Bankkon-ten eingezahlt. Ebenfalls zeigte sich dieserHortungs-Tatbestand daran, dass die radika-le Reduzierung der großen Noten zu keiner -lei Zahlungsmittel-Knappheiten auf dendeutschen Märkten führte.«

Man könnte es noch drastischer ausdrückenals Helmut Creutz damals: Die legale Wirt-schaft kommt gut ohne große Scheine undmit rund einem Viertel der heutigen Bar-geldmenge aus!

Nach der Euro-Einführung»Betrachtet man jetzt die Bargeldentwicklungnach dem Euro-Umtausch, so wird die gerin-ge Reduzierung bei den kleinen Noten bereitsim ersten Jahr nach dem Umtausch wieder aus-geglichen. Das gilt weitgehend auch für diemittleren Notengrößen. Bei den großen Schei-nen nahm man sich mit dem Ausgleich bzw.dem Rücktausch aus den Dollar- oder Schwei-zer-Franken-Beständen dagegen Zeit. Erst2005 erreichten die Bestände der großen 200-und 500-Euro-Noten wieder die Höhe von1996-2000, um dann weiterhin steil anzu -steigen: Während die gesamte Euromenge von2001 bis Ende 2008 auf das Zweieinhalbfachezunahm, stieg die Menge der großen Notenauf das Fünffache an und beanspruchte mehrals die Hälfte der gesamten Notenwerte!

Dem Abbremsen

der Hortung in

500-Euro-Scheinen

steht ein gewaltiger

Anstieg an

herausgegebenen

50- und 100-Euro-Noten

gegenüber.

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6 März 1/2018 · INWO

kreislauf eingeschleust wird. Dies könnte beianziehender Inflation der Fall sein.

Umlaufsicherungsgebühr wird immer dringlicherDoch das Dilemma ließe sich auflösen: Mit ei-ner Umlaufsicherungsgebühr auf Bargeldkann es bei den Hörnern gepackt werden, oh-ne auf die positiven Effekte niedriger Zinsenverzichten zu müssen!

Helmut Creutz schrieb dazu bereits 2009:»Die fragwürdigen Entwicklungen der Geld-menge lassen noch einmal erkennen, wel-che Beruhigungen in die Volkswirtschaften

kungen gehabt. Die Bank zinserträge deut-scher Kreditinstitute sind von ehemals 441Mrd. im Jahr 2008 auf 182 Mrd. Euro 2016gesunken; eine gewaltige Entlastung! Derdeutsche Staat kommt ohne Neuverschuldungaus. Die durch die Rezession europaweit starkgestiegene Arbeitslosigkeit ist wieder zurück-gegangen.

Durch die Niedrigzinsen ist jedoch nun daseingetreten, was das Bargeld zum Dreh- undAngelpunkt im Geld system macht: Den Geld-haltern entgeht für den Liquiditätsvorteil desGeldes, den sie momentan genießen, keineRendite am Geld- und Kapitalmarkt.

Dies wird zunehmend zum Problem: Bar-geldhortung wird bei niedrigsten Zinsen undgeringer Inflation als nahezu risikoloseGeld»anlage« attraktiv, zumal einige Banken

schon damit begonnen haben, Negativzin-sen auf Guthaben zu erheben. Die Nachfra-ge nach Bargeld steigt daher weiter stark an.Die Notenbank sieht sich genötigt, zur Wah-rung ihres Auftrages noch mehr Bargeld her-auszugeben, und koppelt die Bargeldmengeso von der realen Wirtschaftsleistung ab.

Damit haben sich die Notenbanker ein Di-lemma geschaffen: Auf der einen Seite ent-steht bei einer Verringerung der Umlaufge-schwindigkeit bzw. bei einer abnehmendenwirksam umlaufenden Bargeldmenge De-flationsgefahr. Auf der anderen Seite wächstmit zunehmender Ausgabe frischen Bargeldsein erhebliches verdecktes Inflationspotenzi-al heran, das realisiert wird, sobald die über-schüssige, nun erhöhte Menge an gehorte-tetem Bargeld wieder in den Wirtschafts-

Durch die Niedrigzinsen

ist nun das eingetreten,

was das Bargeld

zum Dreh- und

Angelpunkt im

Geldsystem macht:

Den Geldhaltern entgeht

für den Liquiditätsvorteil

des Geldes, den sie

momentan genießen,

keine Rendite am Geld-

und Kapitalmarkt.

einkehren könnten und wie sehr sich dieGeldmengensteuerung vereinfachen ließe,wenn endlich die herausgegebene Geld-menge mit der tatsächlich am Markt erfor-derlichen nachfragendenGeldmenge in Über -einstimmung gebracht werden würde. Kon-kret: Wenn der von der Bundesbank immerals ›umlaufende Geldmenge‹ bezeichneteBestand auf die tatsächlich erforderlichenachfrageaktive Menge reduziert würde,wie ja von der Geldreformbewegung ange-strebt.« z

Helmut Creutz (†) und Thomas Kubo

Bargeldentwicklung in der Schweiz / 1985–2016Aufgeteilt nach Stückelungsgruppen – Jahresdurchschnitt

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Mrd. CHF

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langfristiger Trend

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100 und 200CHF

5, 10, 20 und 50CHF

Münzen

© Thomas Kubo – Helmut Creutz / Nr. 126aQuelle: Schweizer Nationalbank – Jahresberichte

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INWO · März 1/2018 7

n Frankreich gab es nach dem Zwei-ten Weltkrieg keine Währungsre-form. Wie in allen Ländern des Bret-ton-Woods-Systems kam es auchhier zu einer erheblichen Inflation.

Allein im August 1957 wurde der französi-sche Franc um fast 17 Prozent abgewertet.Wie der kleinen Gemeinde Lignières-en-Berryim Herzen Frankreichs erging es vielen Land-gemeinden: Sie hatte in fünfzig Jahren runddie Hälfte ihrer Einwohner verloren, die Ju-gend zog auf der Suche nach bezahlter Ar-beit in die Städte und Lignières drohte zu über -altern. Der Uhrmacher Pierre Tournadre und der Kino -betreiber Georges Lardeau wollten sich nicht

damit abfinden und gründeten die »Freie Ge-meinde von Lignières-en-Berry«, in der eineVereinigung der Geschäftsleute und Hand-werker ab dem 12. April 1956 die Moder -nisierung der Stadt vorantreiben wollte.Zunächst versuchte man, die örtlichen Märk-te mit einem Rabattmarkensystem zu beleben.

»Freie Gemeinde« mit FreigeldNachdem er einen Zeitungsbericht über Lig-nières gelesen hatte, wandte sich alsbald einJuwelier aus Monte Carlo Namens M. Sorianoan Tournadre und Lardeau. Dieser Soriano warmit den Ideen Silvio Gesells vertraut, denn erwar bereits 1934 an den Bemühungen betei-

ligt gewesen, im Fürstentum Monaco nach demVorbild der österreichischen Gemeinde Wörglein Freigeld einzuführen. Doch dieser »Valor«wurde 1935 von den Behörden verboten. Nunsah der alte Soriano die Chance, in der fran-zösischen »Freien Gemeinde« einen neuenVersuch zu starten. »DAS GELD«, so erklärteSoriano, »ist ein fetzen papier. Es dient ledig-lich als beförderungsmittel zum wohlstand. Einschein, den man hortet, den man in denstrumpf steckt, ist wie ein eisenbahnwagen,der mit seiner gesamten ladung auf einem ab-stellgleis stehen gelassen wird. Er rührt sichnicht vom fleck und ist niemandem nütze. Dieladung aber verdirbt. Ein neues geld mußteher, ein geld, bei dem die trägheit bestraft wür-

de.« Das schreibt Rudolf Spier in seiner 1961erschienenen, liebevoll und aufwändig ge-stalteten zweisprachigen Dokumentation »Unesolution – ein ausweg«.

Umlaufsicherung gewöhnungsbedürftigAn einem Augustsonntag 1956 fand so derers te umlaufgesicherte »Bon d’Achat« (Kauf-gutschein) seinen Weg in den Klingelbeutelder Kirche von Lignières. Auf seiner Rücksei-te waren wie beim Wörgler Freigeld 12 Mo-natsfelder gedruckt, die mit einer Marke von1% des Werts beklebt werden mussten, umdie Gültigkeit des Scheins zu erhalten. Da-

durch wanderten die Scheine schnell durchdie Hände der Bürger von Lignières, die siesich 1:1 gegen Francs besorgten, später 1:1,05(mit 5% Rabatt). Ende August waren bereitsKaufgutscheine im Gegen wert von 26.200Francs im Umlauf, im Dezember 1957 warenes 63.500. Es brauchte jedoch nur mehrereHundert Scheine, die regelmäßig den Besit-zer wechselten.Dennoch zogen insbesondere die Geschäfts-leute es vor, die Scheine gegen 2% Um-tauschgebühr wieder in Francs umzutauschen,statt nur 1% Umlaufsicherungsgebühr zu zah-len – »ein seltsames psychologisches Phäno-men«, wie Spier bemerkte. Damit schädigtensich die Geschäftsleute ja selbst, denn da derErlös aus dem Markenverkauf in neue Kauf-gutscheine verwandelt wurde, galt: Je mehrMarken geklebt wurden, desto mehr Scheineim Umlauf, desto höher der Umsatz.

»Mutigen Herzen ist nichts unmöglich«Der 5%-Rabatt ab April 1957 erregte landes-weit Aufsehen. Verschiedene andere Städtestellten Überlegungen zur Nachahmung an.Das rief die Regierung auf den Plan, die be-reits im Oktober 1956 erfolglos versucht hat-te, mit einem Gesetz die Parallelgeldausgabezu verbieten. Im Juni 1957 wurde die Justiz-polizei nach Lignières geschickt, doch diesekonnte den Organisatoren des Freigelds kei-ne Verfehlungen nachweisen. Sie hatten sichan Paragraph 13 des Finanzgesetzes von 1945gehalten, in dem es sogar ausdrücklich hieß,die Hortung von Banknoten sei zu vermindern.Erst am 24. Dezember 1958 wurde unter DeGaulle ein Passus in Art. 136 des Strafge-setzbuches eingefügt, der Gefängnisstrafenvon 1-5 Jahren und Geldstrafen bis zu 20 Mil-lionen Francs für die Inumlaufsetzung nicht-staatlicher Zahlungsmittel verhängte. Zwar weiß Rudolf Spier noch zu berichten,dass Tournadre und Lardeau trotzdem wei-termachten, gemäß ihrem Motto »MutigenHerzen ist nichts unmöglich«. Da jedoch in derZeit danach die Berichte über Lignières ver-stummen, kann man davon ausgehen, dassdie Teilnehmer an diesem durchaus erfolgrei-chen Experiment durch diese Strafandrohun-gen ausreichend eingeschüchtert wurden. z

Beate Bockting

Historisches Freigeld-Experiment in Lignières-en-Berry

I

Eine drückende Steuerlast und Inflation, Absatzschwierigkeiten, Arbeitslosigkeit und Landflucht –

im Frankreich der 1950er Jahre gab es viele unzufriedene Händler, Handwerker und Arbeiter.

In Lignières-en-Berry erkannte man, woran die Wirtschaft krankte: an mangelhaftem Geldumlauf.

Page 8: Alles im Fluss? - INWO

8 März 1/2018 · INWO

teffen, wollen wir doch gleichmal zur Sache kommen: Wieviel Geld besitzt du gerade?Ich habe meist immer etwas Bar-geld dabei, ich finde Bargeld toll,

schließlich kann man damit anonym bezah-len. Das gefällt mir. (Er lächelt.)

Für dich ist also nur Bargeld richtigesGeld? Und was ist mit dem Geld auf dei-nem Bank konto?Geld sind nur Bargeld und die Beträge, diedie Banken bei den nationalen Notenbankenals Mindest- und Überschussreserven liegenhaben. Denn diese finanziellen Mittel kön-nen jederzeit und ohne Einschränkung alsBargeld von den Geschäftsbanken abgerufenwerden. Die Einlagen auf meinem Girokontosind dagegen nur eine Forderung auf Bargeldbzw. Zentralbankgeld gegenüber dem konto -führenden Institut. Unterstellen wir, es gäbekeine Einlagensicherung und die konto füh -rende Bank wäre pleite, dann ist meine Ein-lage weg. Spätestens jetzt ist der Unterschiedzwischen Geld, das heißt Zentralbankgeld,und einer Forderung auf Geld spürbar.

Du definierst also Geld als Zentralbank-geld?Wenn ich das Wort »Definition« höre, fällt miroft eine Formulierung ein, die ich von DirkLöhr hörte. Es gibt keine falschen oder rich-tigen Definitionen, es gibt nur unzweckmäßigeoder zweckmäßige. Wenn Einlagen und Zen-tralbankgeld zu sogenannten Geldmengenzusammengefasst werden, wie es die Wirt-schaftswissenschaft umsetzt, werden vieleVorgänge schwer verständlich. Ich meine, denNebel können wir nur lichten, wenn wir deut-lich zwischen Zentralbankgeld und Einlagen,die lediglich Forderungen auf Zentralbank-geld sind, unterscheiden.

Die Einlagen bei Geschäftsbanken dürf-ten also streng genommen nicht als»Geld« bezeichnet werden. Würden dieBürger nicht auf die Barrikaden gehen,wenn sie plötzlich kein »Geld« mehr aufdem Konto hätten?Es gibt kein Geldsystem ohne Vertrauen. InGriechenland 2012 hat man das zum Bei-spiel gesehen. Schwindet das Vertrauen, ver-suchen die Menschen, an ihr Bargeld heran -zukommen. Dies funktioniert in solchen Kri-sensituationen nur eingeschränkt. Stößt dasgesamte System an seine Grenzen – was sy-

stembedingt passieren muss –, hilft auchdas nichts. Die Bürger sollten die grundle-genden Mechanismen eines Geldsystems ver-stehen. Ich habe sie in meinem Buch in Formder fünf Hauptsätze der alternativen Wirt-schaftswissenschaft zusammengefasst. Übermeine gemeinnützige Gesellschaft versucheich dem Erkenntnisprozess rund ums Geldwertvolle Impulse zu geben, so wie es dieINWO Deutschland mittlerweile seit mehre-ren Jahrzehnten ebenfalls erfolgreich macht.

Verwenden wir einen Zins größer null Prozentals sogenannte Geldumlaufsicherung, brichtdas System in regelmäßigen Abständen zu-sammen. Dies ist mit viel Leid verbunden. DieBürger sollten also »auf die Barrikaden ge-hen«, um mit deinen Worten zu sprechen,wenn sie die Destruktivität von exponentiel-len Wachstumsprozessen durch den Zinses-zinseffekt verinnerlicht haben, und dann aufder Straße Fließendes Geld fordern, ver-gleichbar mit den Vorgängen 1989 in der DDR.

Das ist eine schöne Vorstellung: Die Bür-gerinnen und Bürger erkennen endlich dieBedeutung des Geldsystems und gehenauf die Straße, um umlaufgesichertes Geldzu fordern! … Aber nochmal zurück zu denGeldmengen: Das Eurosystem stellt beiseiner monetären Analyse die Entwick-lung der Geldmenge M3 in den Mittel-punkt. Für das Wachstum von M3 wurdesogar als Orientierungsgröße ein Refe-renzwert von jährlich 4,5 % festgelegt.Anteile an Geldmarktfonds, Repover-bindlichkeiten, Geldmarktpapiere undBankschuldverschreibungen sind für dichaber gar kein Geld. Befasst sich die EZBalso mit den falschen Größen?Nein, keineswegs. Zentralbanker müssen dieEntwicklung der verschiedenen Aggregate be-obachten. Das steht jedoch nicht im Wider-spruch dazu, dass wir zum besseren Ver-ständnis ordentlich zwischen Geld und For-derung auf Geld unterscheiden müssen. Pro-blematisch finde ich, dass bei M1, M2 und

Fließendes Geld für eine gerechtereWelt – Interview mit Steffen Henke

S

Steffen Henke

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INWO · März 1/2018 9

des Interbankenhandels vom Zentral-bankgeld gelöst haben?Zuerst ein Satz zu den Protagonisten des Voll-geldes. Ungeachtet aller Kritik meinerseitsfühle ich mich mit diesen Menschen verbun-den. Oft sind das Personen, die sich enga-giert für alternative Wege beim Geldsys temeinsetzen, und die werden dringend ge-braucht. Nun bin ich bei meinen Untersuchungen aufandere Ergebnisse gekommen als die Vollgeld-Vertreter. Diese Ergebnisse beschreibe ich inmeinem Buch und suche den Dialog bei wert-schätzender Kommunikation. Das Thema istfür unsere Zukunft viel zu wichtig, als dasshier Eitelkeiten eine Rolle spielen sollten.

Oft wird, wie du selbst auch eben formulierthast, von Freunden des Vollgeldes eine so-genannte Bilanzverlängerung der privaten Ge-schäftsbanken kritisiert. Wenn ich jedoch ineinem Vollgeldsystem mein Vollgeld an eineGeschäftsbank übertrage und das betreffen-de Institut daraufhin das Vollgeld an einenKreditnehmer verleiht, ist die Bilanz eben-falls verlängert. Nicht schlüssig ist, wenn dieEinlage im aktuellen System als Geld be-zeichnet wird, jedoch die Einlage, die durchÜbertragung von Vollgeld an eine Geschäfts-bank entsteht, nicht als Geld bezeichnet wird.

Dieselben Aggregate sollten beim wissen-schaftlichen Ansatz denselben Namen tragen. Bei der Kreditvergabe privater Geschäfts-banken entsteht weder im Vollgeldsystemnoch im aktuellen System Geld. Es handeltsich um Buchungssätze, die ich in meinemBuch darstelle. Entscheidend ist die Frage:Warum wird im Vollgeldsystem Vollgeld an ei-ne Geschäftsbank übertragen oder, bezogenauf das aktuelle System: Warum wandelt einEinleger seine täglich verfügbare Sichteinla-ge in eine Einlage mit vereinbarter Laufzeitum? Wird ein Zins größer null Prozent ver-wendet, bricht das System in regelmäßigenAbständen zusammen.

Du lenkst stattdessen den Fokus auf dieFristigkeiten der Aktiv- und Passivseite vonGeschäftsbanken. Sind die Banken bei derFristentransformation zu weit gegangen?Ich freue mich sehr, dass du das Thema Fri-stentransformation ansprichst, es ist ele-mentar. Schauen wir noch einmal zum Voll-geld. Ich übertrage Vollgeld an eine Ge-schäftsbank für drei Jahre. Für welche Lauf-zeit darf das Kreditinstitut jetzt mein ange-legtes Vollgeld verleihen? Für drei Jahre, da-mit ich sicher mein Vollgeld nach drei Jahrenzurückbekommen kann? Träfe dies zu, hießedas, dass Vollgeld-Anhänger Fristenkongru-enz fordern. Laufzeiten von Einlagen und Kre-diten müssten weitgehend übereinstimmen.Von einer solchen Forderung habe ich je-doch in den Werken der Hauptprotagonistendes Vollgeldes nichts gelesen. Oder darf dieBank mein Vollgeld auch für einen längerenZeitraum als drei Jahre verleihen? In diesemFall stellt sich mir sofort die Frage, woher dieBank das Vollgeld nach drei Jahren nimmt,wenn ich es zurückerhalten möchte und zuwenig frisches Vollgeld zum betreffenden In-stitut geflossen ist? Von der Zentralbank kannes eigentlich nicht kommen, weil die meistenVollgeld-Befürworter erklären, dass zusätzli-ches Vollgeld durch zins- und tilgungsfreieÜbertragung an den Staatshaushalt in denUmlauf gelangt.

M3 von »Geld«mengen gesprochen wird.Ich habe unzählige Artikel gelesen, bei denender jeweilige Autor den Begriff »Geldmen-ge« verwendete, jedoch nicht erklärte, wel-che Aggregate er damit meinte. Das verwirrtnur. Ein Beispiel: M1 vereint das im Umlauf be-findliche Bargeld und täglich fällige Sichtein-lagen unter dem Namen »Geldmenge M1«.Bargeld, welches in Tresoren von Geschäfts-banken liegt, zählt nicht dazu. Wenn Markt-teilnehmer Bargeld am Automaten ziehen, er-höht sich die im Umlauf befindliche Bargeld-menge. Gleichzeitig reduziert sich das Volu-men an täglich fälligen Sichteinlagen um den-selben Betrag; M1 bleibt demnach bei diesemVorgang unverändert. Betrachtet man nun dievon mir definierten Mengen G0 (Zentral-bankgeld im Umlauf) und E1 (täglich fälligeSichteinlagen) werden die Veränderungen derGrößen sofort sichtbar. Dann wird auch sicht-bar, dass sich beim Geld, also dem Zentral-bankgeld, etwas ändert.

In deinem Buch behandelst du auch dieThemen Geldschöpfung und Vollgeld. Da-bei lehnst du den Glauben an eine Geld-schöpfung durch die Geschäftsbanken ab.Manche Vollgeld-Anhänger gehen ja ziem-lich naiv davon aus, Banken könnten beider Kreditvergabe völlig unproblematischeinfach die Bilanz verlängern. Allerdings kommst du selbst zu einem be-merkenswerten Fazit. Ich zitiere: »Wennalso erstens keine spiegelbildlich statt-findenden Kreditvergaben und die zu-gehörigen Überweisungen den Bilanz-ausgleich bewirken (Stichwort: Saldie-rung), zweitens die Kreditinstitute sichuntereinander nicht vertrauen und damitkein Bilanzausgleich über dern Interban-kenhandel erfolgen kann, wird Zentral-bankgeld in voller Kredithöhe gebraucht.«Heißt das nicht im Umkehrschluss, dasssich die Geschäftsbanken durch Saldie-rung gegenseitiger Ansprüche sowiedurch die jahrzehntelange Ausweitung

G0: Banknoten und Münzen, die sich im Umlauf außerhalb desBankensystems bei den Nichtbanken befinden (ohne Kassenbestände der Geschäftsbanken, mit Banknotenumlaufim Ausland)

G1: G0 zuzüglich Zentralbankgeldbestand der Kreditinstitute beider Zentralbank (Mindestreserven + Überschussreserven)

G2: G1 zuzüglich Kassenbestände der Geschäftsbanken

E1: täglich fällige Sichteinlagen der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken

E2: E1 zuzüglich Einlagen mit vereinbarter Laufzeit bis zu zweiJahren und Einlagen mit gesetzlicher Kündigungsfrist bis zu drei Monaten

E3: E2 zuzüglich Anteile an Geldmarktfonds, Repoverbindlich -keiten, Geldmarktpapiere und Bankschuldverschreibungen mit einer Laufzeit bis zu zwei Jahren

Definitionen der Geldmengen (G0, G1 und G2) und Einlagenmengen (E1, E2, E3 und E4) in der überarbeiteten Fassung von Steffen Henke:

Bei Fließendem Geld

wird eine Gebühr in Höhe

von 4-6 % pro Jahr

auf Geld erhoben.

Mindestens acht von zehn

Menschen gewinnen

finanziell durch eine

solche Systemumstellung.

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10 März 1/2018 · INWO

des Geld nimmt der Wirtschaft den Wachs-tumszwang, so wäre ein Umstellen auf einenachhaltige Ökonomie machbar. Deshalbwünsche ich mir, dass sich Umweltschutz-verbände stärker mit dem Geldsystem aus-einandersetzen.

Die Vollgeld-Idee wirkt verlockend, weilihre Anhänger behaupten, durch die Ein-führung von Vollgeld könnte durch dieSeignorage-Gewinne bei der Schöpfungdie Staatsverschuldung stark reduziertwerden. Ist da was dran?

Ich frage mich, warum die Vollgeld-Anhän-ger davon ausgehen, dass immer neues Geldgeschöpft werden muss! Steht nicht viel mehrdie Frage im Raum, wie das bereits aus -gegebene Geld in der Wirtschaft zirkuliert und möglichst krisenfrei dafür sorgt, dass derMarkt mit seinem Waren- und Dienstleis -tungsangebot immer wieder geräumt wird?Bei einer konstanten Geldumlaufgeschwin-digkeit, wie das Fließende Geld sie bewirkenwürde, würde bei unveränderter Wirt schafts -

leistung überhaupt kein zusätzliches Geld ge-braucht!

Unterstellen wir einmal null Prozent Wirt-schaftswachstum. Nehmen wir weiterhin an,dass der Markt durch das in Umlauf befind-liche Geld vollständig geräumt wird, unddies bei möglichst konstanter Umlaufge-schwindigkeit des Geldes. Wenn demnachkein Geld gehortet wird, sondern das vonder Zentralbank ausgegebene Geld nachfra-gewirksam zum Einsatz gelangt, wird kein zu-sätzliches Geld benötigt. Und das ohne jedenWohlstandsverlust – im Gegenteil, der Wohl-stand steigt bei stetiger Konjunktur.

Eine der Kernfragen in jedem Geldsystem istdemnach: Wie wird organisiert, dass dieMarktteilnehmer das Geld nicht horten? Mankann das mit einem Zins größer null Prozentrealisieren, aber daraus ergeben sich de-struktive exponentielle Wachstumsprozes-se. Das traurige Ergebnis können wir heutean vielen Stellen erkennen. Laut McKinseysprechen wir weltweit von einem Schulden-berg von mittlerweile über 200 Billionen US-

Dollar. Allerdings stehen diesen Verpflich-tungen eins zu eins Guthaben gegenüber,eine der größten Blasen, die die Geschichtegesehen hat. Die alternative Umlaufsicherung ist ein Zinskleiner null Prozent, wie sie beim FließendenGeld gedacht ist. Ich spreche absichtlich nichtvon Negativzinsen, da das Wort »negativ« ei-ne ungünstige Konnotation hat. Der BegriffNegativzinsen wird leider oft propagandistischeingesetzt, meist von Freunden des beste-henden Systems.

Einerseits ist die Fristentransformation einewichtige Aufgabe von Banken. Andererseitshaben es Kreditinstitute wegen Gewinnma-ximierung bei der Fristentransformation zuweit getrieben und sind dabei hohe Risikeneingegangen. Doch schon heute stehen dieWerkzeuge zur Verfügung, hier den BankenGrenzen zu setzen, ich verweise zum Beispielauf Paragraf 11 des Kreditwesengesetzes. Al-lerdings befinden wir uns seit Jahren im Kri-senmodus, da wird offensichtlich alles getan,damit noch etwas auf dem Vulkan weiterge-tanzt werden kann.

Die Vollgeld-Anhänger sagen: Vollgeldsoll Zentralbankgeld sein. Einige Zen-tralbanken, wie die von Schweden oderdie Bank of England, erforschen bereitsdie Möglichkeit eines »Zentralbankkon-tos für alle«. Wäre das eine Möglichkeit?Nein, das ist nicht notwendig. Wir befindenuns nicht in der Krise, weil »Nichtbanken«ein Zentralbankkonto fehlt. Die Krise ist ent-standen, weil wir nun seit 70 Jahren diefalschen Geldumlaufsicherungen verwen den:einen Zins größer null Prozent und Inflation.

Dadurch haben sich Guthaben und Ver-pflichtungen (Schulden ist ein unglücklichesWort) exponentiell aufgebläht, jedoch kannnichts auf der Welt zeitlich unbegrenzt ex-ponentiell wachsen. Auch nicht unsere Wirt-schaftsleistung. Den Fehler im Geldsystemmit Wirtschaftswachstum kompensieren zuwollen, ist also ein klarer Irrweg. Einer derHöhepunkte des Wahnsinns ist ein Wirt-schaftswachstumsbeschleunigungsgesetz.Wir leben in einer Welt mit begrenzten Res-sourcen, wir brauchen neue Wege. Fließen-

Die Quantitätstheorie des Geldes ist eine Wirtschaftstheorie, dieunter bestimmten Voraussetzungen eine kausale Abhängigkeit

des Preisniveaus von der Geldmenge annimmt.

HerleitungAusgangspunkt der Darstellung kann eine Verkehrs- oder Quanti -tätsgleichung bilden, die letztlich aussagt, dass die in einem be-stimmten Zeitraum umgesetzte Geldmenge gleich dem geldlich be-werteten Güterhandel einer Volkswirtschaft ist:

M x V = P x Y

Dabei steht M für die Geldmenge, V für die Geldumlaufgeschwin-digkeit, P für das Preisniveau und Y für das Handelsvolumen (vonrealen Gütern), das stark mit dem BIP (Bruttoinlandsprodukt) kor-reliert. Deshalb wird in vielen Darstellungen der Quantitätsglei-chung auch das BIP mit dem Y gleichgesetzt. Diese Darstellung ist

aber strenggenommen falsch, da das Handelsvolumen unter ande-rem durch die Lagerbestandsveränderungen vom BIP abweicht.

Quelle: de.wikipedia.org/wiki/Quantitätstheorie

Die englische Ausgabe der Wikipedia kommt zu dem Schluss:

»Während Marx, Keynes und Friedman also alle die Quantitätstheo-rie akzeptierten, legten sie jeweils eine andere Betonung darauf, wel-che Variable die treibende Kraft von Preisänderungen sei. Marx be-tonte die Produktion, Keynes Einkommen und Nachfrage und Fried-man die Geldmenge.«

Quelle: en.wikipedia.org/wiki/Quantity_theory_of_money

Man könnte ergänzen, dass Silvio Gesell im Unterschied zu diesendrei Ökonomen zuvorderst die Umlaufgeschwindigkeit des Gel-des im Blick hatte. Ihre Verstetigung ist der Schlüssel zur Lösungder heutigen Geldprobleme.

Die Quantitätstheorie des Geldes

Menschen fühlen

sich wohl, wenn das Geld

krisenfrei möglichst

gleichmäßig im

Wirtschaftskreislauf

zirkuliert.

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INWO · März 1/2018 11

Beim »Fließenden Geld« spielt also derGeldumlauf die entscheidende Rolle…Jetzt erscheint mir wichtig, darauf hinzuwei-sen, dass prinzipiell zwei Fragen deutlich un-terschieden werden sollten: 1.) Wie gelangtneues Geld in den Wirtschaftskreislauf? und2.) Wie bleibt das bereits ausgegebene Geldim Wirtschaftskreislauf? Hier noch einmal derHinweis, dass ich, wenn ich von Geld spre-che, immer Zentralbankgeld meine. Übrigens habe ich mir kürzlich den Vortragvon Prof. Dr. Martin Hellwig angehört, den erauf dem Bargeldsymposium der DeutschenBundesbank am 14. Februar 2018 hielt. Erist im Internet zu finden. In seinem Referatbetont Hellwig, er halte es für problematisch,wenn so getan werde, als wäre alles, wofürdas Wort Geld verwendet wird, dasselbe.

Zurück zu deiner Frage. Ja, Menschen fühlensich wohl, wenn das Geld krisenfrei möglichstgleichmäßig im Wirtschaftskreislauf zirkuliert.Dies kann mit einem Zins kleiner null Pro-zent oder anders gesagt mit einer Gebühr aufGeld erreicht werden. Dieser Gebühr kannman leicht entgehen. Entweder gibt man seinGeld aus oder man legt es mittelfristig an.Ziel der Anlage ist dann nicht, mehr zurück-zufordern, als man gegeben hat, sondern daszurückzuerhalten, was man zuvor investierthat. Bei null Prozent Inflation bleibt nun dasGeld wertstabil.

Alle versuchen also, der Gebühr zu ent-gehen?In einer krisenfreien Wirtschaft ist es wich-tig, dass das Geld seine Zahlungsmittelfunk-tion optimal erfüllt. Das Geld sollte mög-lichst gleichmäßig im Wirtschaftskreislauf zir-kulieren, dann fühlen wir Menschen uns wohl.Die Personen, die ihre monatlichen Einnah-men zur Lebensführung vollständig benöti-gen, sind von der Gebühr so gut wie nicht be -

troffen. Diejenigen, die von ihremEinkommen etwas übrig haben, kön-nen es mittel- bis langfristig anle-gen, damit es in dieser Zeit andereMarktteilnehmer nutzen können.Auch dann fallen keine Kosten an.Ich möchte noch einmal betonen,dass mathematisch exakt die sehrgroße Mehrheit beim Umstellen aufFließendes Geld einen nachweisba-ren monetären Vorteil bekommt.

Interessant finde ich, was du in deinemBuch zur Quantitätsgleichung sagst. Dumisst ihr noch immer grundlegende Be-deutung zu, nicht wahr?Ja, auf jeden Fall. Die Quantitätsgleichungverliert dann ihre Aussagekraft, wenn nichtsauber zwischen Geld und Forderung auf Geldunterschieden wird. Darüber hinaus ist es we-sentlich, bei der Geldmenge die nachfrage-wirksame Geldmenge heranzuziehen. Ban-knoten, die in Ländern mit hohen Inflations-raten als Wertspeicher gehortet werden, soll-ten beispielsweise unberücksichtigt bleiben.Ich war vor vielen Jahren in der Türkei imUrlaub. Ein Busfahrer erhielt bei einer Fahrtvon den meisten Gästen ein oder zwei EuroTrinkgeld. Ich stieg als letzter Gast aus sei-nem Fahrzeug. Er bat mich, dass ich ihm dievielen Hartgeldstücke in eine Bank note tau-sche, warum wohl?

Die Quantitätsgleichung geht also vorallem deswegen nicht auf, weil die in Um-lauf gegebene Geldmenge heute nicht dernachfragewirksamen Geldmenge ent-spricht? Anders ausgedrückt bedeutetdas, dass die Umlaufgeschwindigkeit kei-neswegs als konstant angenommen werden kann, sondern im heutigenGeldsys tem sinkt, solange die Inflationnicht deutlich anzieht.

Ja, die ausgegebene Geldmenge weicht vonder nachfragewirksamen Geldmenge im ak-tuellen Geldsystem exorbitant ab. Mit derschrittweisen Einführung von Fließendem Geldwerden diese beiden Größen wieder zusam-mengeführt. Bei einer verstetigten Umlauf-geschwindigkeit wird die gesamte ausgege-bene Geldmenge auch tatsächlich nachfrage -wirksam, da sich das Horten von Geld nichtmehr lohnt.

Die Europäische Zentralbank hat im Juni2014 Negativzinsen eingeführt. Warumreicht diese Maßnahme noch längst nichtaus?Seit dem 16.3.2016 liegt der negative Einla-genzins der EZB bei -0,4 %. Dieser wird denangeschlossenen Geschäftsbanken auf Ein-lagen bei den nationalen Notenbanken aufÜberschussreserven berechnet. Gesetzlichvorgeschriebene Mindestreserven sind davonnicht betroffen. Die EZB will damit erreichen,dass Banken die Mittel als Kredite vergeben,um Wirtschaftswachstum zu generieren. Zudiesem Thema habe ich bereits etwas gesagt. Manche privaten Geschäftsbanken haben da-mit begonnen, diese Kosten an ihre Kundenmit voluminösen Sichteinlagen weiterzuge-ben. Oft werden die Vorgänge in den Leitme -dien falsch dargestellt. Ziel der Geschäfts-banken ist, dass die täglich fälligen Mittel in

Seit über 27 Jahren arbeitet Steffen Henke als selbständiger Finanzkaufmannim Dienstleistungsbereich. 2006 gründete er eine Firma für Personaltrainings.Die Erkenntnis der Wirkungen unseres Geld- und Finanzsystems hat seinemVerständnis für heutige Wirtschaftssysteme zu einer neuen Qualität verholfen.Damit diese Zusammenhänge in der Öffentlichkeit diskutiert werden, setzt ersich dafür ein, dass die entsprechenden Informationen verbreitet werden. Erist Gesellschafter und Geschäftsführer der in Leipzig ansässigen gemeinnützi-gen Gesellschaft »Neues Geld«. Diese diente auch als Träger eines der größ-ten Events: »Lust auf neues Geld?« am 9. Juni 2012 in der Arena in Leipzig.Es kamen über 1.500 Gäste. Im Dezember 2017 veröffentlichte Steffen Hen-ke sein Buch: »Fließendes Geld für eine gerechtere Welt« im Tectum Verlag inder Rubrik Wissenschaft.

Steffen Henke

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12 März 1/2018 · INWO

müss ten ja jährlich alle Werte automatischangepasst werden. Soziale Leistungen, Kin-dergeld, Renten, Zuzahlungen bei Medika-menten, Steuerfreiheit des Existenzmini-mums, usw. Nur, das passiert nicht. Die Po-litik lässt sich feiern, wenn in einem Bereicheine Erhöhung beschlossen wird. Betrachtetman die Erhöhung über mehrere Jahre, kom-pensiert die Mehrleistung regelmäßig nochnicht einmal den Kaufkraftverlust durch In-flation. In meinem Buch liefere ich Beispielehierfür. Bei Fließendem Geld ist das Infla -tionsziel null Prozent. Die Gebühr auf Geldgenügt vollständig als Geldumlaufsicherung.

Welche positiven Folgen erwartest du imGegensatz zur Inflation von einer kon-struktiven Umlaufsicherung bei »Fließen-dem Geld«?Für mich ist Fließendes Geld eine brillante Ba-sis für viele weitere wertvolle Veränderungen.Nehmen wir an, die Darstellungen in meinemBuch zum Wirtschaftswachstumszwang imaktuellen Geldsystem stimmen. Dann würdeFließendes Geld bedeuten, dass wir nur un-ter dieser Voraussetzung zu einer den Pla-neten erhaltenden Produk tionsweise findenkönnen. Was meinst du, das wäre doch schonGrund genug, umzustellen? Weil wir Wachstum im aktuellen System brau-chen, lassen wir es auch in komplett destruk -tiven Bereichen zu, zum Beispiel bei Rüstungs -exporten. Mit diesen Waffen wird dann vielkaputt gemacht. Naomi Klein beschreibt inihrem Buch »Schockstrategie«, wie Wirt-

schaftsaufträge in den USA in Verbindung mitdem Irakkrieg 2003 bereits vergeben wurden,schon bevor das betreffende Objekt zerstörtwar. Von den menschlichen Katastrophen malganz abgesehen. An manchen Tagen fällt esmir schwer, diesen ganzen Wahnsinn zu er-tragen. Fließendes Geld liefert wertvolle Im-pulse für Frieden. Ich gebe hier das StichwortInvestitionsrechnung. Hier darauf einzuge-hen, würde den Rahmen des Interviewssprengen. Ich erlaube mir, auf mein Buch zuverweisen. Schon junge Menschen werden imaktuellen Geldsystem darauf konditioniert,dann zu geben bzw. Geld anzulegen, wennsie mehr zurückerhalten, als zuvor geflossenist. Zum Glück brechen bereits heute viele ausden destruktiven Strukturen aus, jung wie alt,und unterstützen zum Beispiel regionaleTauschsysteme oder andere gemeinwohl -fördernde Projekte.

Eine Umlaufsicherung beim Zentralbank-geld wäre wohl auch förderlich für den Er-halt der Demokratie?Ich stimme zu. Zinsbedingt haben sich riesi-ge Kapitalkonzentrationen ergeben. Das Ver-mögen der drei reichsten Menschen entsprichtdem Bruttoinlandsprodukt der 57 Länder mitdem geringsten BIP. Eine Milliarde Euro zufünf Prozent pro Jahr angelegt, bringt demEinleger ca. 137.000 Euro Zinsen am Tag –ein kaum vorstellbarer Umverteilungsmecha-nismus! Dieser wird mit Fließendem Geld gestoppt. Extreme Ungleichgewichte sind zu-tiefst schädlich für demokratische Strukturen.Entscheidend ist jedoch, dass es sich hierum systemische Fehler handelt. Es besteht

die Gefahr, dass nach Schuldigen gesuchtwird, Feindbilder bedient werden, anstattLösungen zu diskutieren. Deshalb kann eseine Aufgabe aller Freundinnen und Freundedes Fließenden Geldes sein, dazu beizutra-gen, dass das Fließende Geld viel stärker aufdie gesellschaftspolitische Diskussionsebenegeschoben wird. Jeder noch so kleine Impulseines jeden Einzelnen hilft. Insofern freueich mich, dass es euch gibt! Bei euch wird jarichtig viel bewegt! z

Die Fragen stellte Beate Bockting.

Einlagen mit Laufzeit transferiert werden. Aufdiese Weise wird die Fristentransformationabgeschmolzen. Banken wollen über diesenWeg ihre Risiken reduzieren.

Bei Fließendem Geld wird eine Gebühr inHöhe von 4-6 % pro Jahr auf Geld erhoben.Sollten jetzt die Leser erschrecken – es gibtkeinen Grund dazu! Es ist vielleicht nicht so-fort offensichtlich und dennoch genial: Min-destens acht von zehn Menschen gewinnenfinanziell durch eine solche Systemumstel-lung. In meinem Buch habe ich das aus-führlich beschrieben. Berücksichtigen wirnoch die Effekte im Sinne des Umwelt-schutzes und der Förderung des Friedens,gewinnen alle Menschen.

In den letzten Jahren wird von einer Rei-he von Ökonomen stattdessen ein höhe-res Inflationsziel als »Umlaufsicherung«befürwortet. Warum lehnst du dies ab?Inflation ist eine gefährliche, destruktive Gel-dumlaufsicherung. Nehmen wir an, dubrauchst dein monatliches Einkommen zu 100Prozent für deine Lebensführung. Wenn jetztdeine Einnahmen nicht mindestens um dieInflationsrate steigen, kommst du schnell inbedrohliche Situationen. Dies ist in allen Län-dern mit hohen Inflationsraten zu beobach-ten. Vermögende dagegen sind in der Lage,sich über Zinsnahme einen Inflationsaus-gleich und darüber hinaus zu beschaffen. Da-mit gerade Menschen mit geringen Mittelnkeine Nachteile durch Infla tion erleiden,

Ziel einer Geldanlage

ist zukünftig nicht,

mehr zurückzufordern,

als man gegeben hat,

sondern das zurück -

zuerhalten, was man

zuvor investierte.

Fließendes Geld würde bedeuten, dass wir ohne Wachstumszwang zu den Planeten erhaltenden Produktionsweisen finden können.

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INWO · März 1/2018 3

as Landgericht Tübingen gab ineinem Urteil vom 26. Januarder Verbraucherzentrale Baden-Württemberg Recht: Die Volks-bank Reutlingen darf nicht

nachträglich von Bestandskunden Negativ-zinsen verlangen. Das Gericht hat untersagt,bei bestehenden Konten Negativzinsen zu be-rechnen, wenn diese nicht schon bei Ver-tragsschluss vorgesehen waren. »Mit einemÜbergang von positiven/neutralen Zinsen zuNegativzinsen bei schon abgeschlossenenVerträgen über Sichteinlagen rechnet derVerbraucher nicht und muss damit auch nichtrechnen«, heißt es im Urteilstext. »Vielmehrhat der Verbraucher den Vertrag in der Vor-stellung abgeschlossen, entweder eine gerin-ge oder im schlechtesten Fall gar keine Ver-

zinsung seiner Einlage zu erhalten. Hingegenist die Heranziehung zu Negativzinsen im Sicht -einlagengeschäft atypisch, weil sie der Pflich-tenlage bei unregelmäßigen Verwahrungs-verträgen (...) widerspricht.«Was aus Sicht der Bankkunden, der Verbrau-cherzentrale und rein rechtlich einleuchtendnach Verbraucherschutz klingt, ist aus öko-nomischer Sicht allerdings keineswegs im Sinne der Verbraucher. Dass eine Rendite so-wohl hoch als auch niedrig oder negativ seinkann, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Aus-

blendung negativer Zinssätze in Theorie undPraxis ist, nüchtern betrachtet, kaum fassbar.Als hätte man den negativen Zahlenbereicherst zur Jahrtausendwende entdeckt. DieBanken haben es schlicht versäumt, diese Mög-lichkeit bei der Formulierung ihrer Verträge vor-zusehen. Daher ist dieses Urteil für bestehendeVereinbarungen nun juristisch zwingend. Damit ist jedoch keineswegs ein grundsätz -liches Verbot von Negativzinsen für Guthabenauf Tagesgeldkonten erteilt worden.

Verfehlte Kritik der VerbaucherzentralenNegativzinsen sind für 99 Prozent der Bank-kunden vorteilhaft, weil sie ihnen Kosten er-sparen. Seit Jahren entstehen den Kredit -instituten durch das Horten von Geld Kosten

in Millionenhöhe. Aus Furcht vor unseriöserPresse geben sie diese Kosten jedoch nichtoder nur teilweise an die Verursacher weiter,sondern verteuern möglichst unauffällig dieKontoführung für alle Kunden. Millionen Bank-kunden zahlen so die Kosten, die wenige, dar-unter viele Spekulanten, mit hohen Summenauf Giro- und Tagesgeldkonten verursachen. Warum ausgerechnet eine Verbraucherzentralevorgibt, jene schützen zu müssen, die ihre Er-sparnisse in 5-, 6- und 7-stellige täglich fälli-ge Einlagen umschichten, ist vollkommen

rätselhaft. Hier geht es um Geldbesitzer, dieihr überschüssiges Geldvermögen bewusstnicht auf drei oder fünf Jahre anlegen oder in-vestieren. Wenn es sich jemand leisten kann,beispielsweise 100.000 Euro täglich verfügbarzu halten, kann er es sich auch leisten, diedafür anfallenden Bankkos ten von 400 Europro Jahr selber zu zahlen. Die beklagte Bank wird diese Kosten nun, willsie nicht Verträge kündigen, wie die meistenanderen Geldinstitute auch an alle Kunden mitGirokonten weitergeben müssen, ungeachtetder Höhe ihrer Giroguthaben. So müssen nunRentner, Alleinerziehende und alle Bankkun-den mit kleinem oder mittlerem Gehalt die Mil-lionenkosten durch ihre steigenden Gebührenaufbringen. Was das mit Verbraucherschutz zutun hat, ist nicht nachvollziehbar.

Gebühr für Geldhortung volkswirtschaftlich richtigLeider versäumt die Presse es, hier aufzu-klären. Die oft irreführende Berichterstat-tung ist überhaupt nur dadurch möglich,dass die Bürger die Absurdität dieser Zusam-menhänge nicht erfassen können. Die Ge-schäftsbanken sitzen tatsächlich auf BillionenEuro Guthaben, die von ihren Besitzern nichtmehr langfristig angelegt werden. Vernünfti-gerweise verlangt die Europäische Zentralbankfür diese Geldhortung von den Geschäftsban -ken einen Einlagenzins. Würden diese Kos tenkomplett an die Verursacher weitergegebenwerden, hätte dies den Abbau der täglich fäl-ligen Bestände durch Umschichtungen in an-dere Anlageformen zur Folge. Dies würde inForm weiter sinkender Kreditkosten der ge-samten Volkswirtschaft und allen Bürgern zu-gute kommen. Irreführende Pressemeldungen, in denen von»Strafzinsen« oder »Sparerenteignung« dieRede ist, verhindern diese absolut sinnvolleWeiterentwicklung unseres Geld- und Ban-kensystems. Verwundert es, dass immermehr Bürger den etablierten Medien ihr Ver-trauen entziehen? Wozu brauche ich eine Tageszeitung, wenn sie mir verquere Lobby politik statt objektiver Informationen bietet? z

Klaus Willemsen

Weitere Kommentare dazu finden sich unter:www.inwo.de/medienkommentare

Negativzinsen vor Gericht

D

Verbraucherschutz für Reiche? Mit ihrer Pilotklage gegen Negativzinsen hat die Verbraucherzentrale

Baden-Württemberg den Nomalverbrauchern einen Bärendienst erwiesen. Nun müssen Altverträge

gekündigt werden.

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14 März 1/2018 · INWO

eit zehn Jahren wächst die Ein-wohnerzahl der Stadt Frankfurtam Main, auf mittlerweile740.000 – und nur der Mangelan Wohnraum verhindert eine

noch stärkere Zunahme. Zwar wurden in denletzten 15 Jahren neben einer kontinuierlichenNachverdichtung zwei große Neubaugebiete,das Europaviertel und der Riedberg, sowiemehrere kleinere Neubaugebiete ausgewie-sen und erschlossen, doch der Druck auf denFrankfurter Wohnungsmarkt hat eher nochzugenommen. Nicht nur dass sich im Zuge derDigitalisierung und Internetwirtschaft die Berufsbilder ständig weiter ausdifferenzierenund für Unternehmen nur noch Städte mit ei-ner gewissen Größe und sehr guter Ver-kehrsanbindung als Standort eignen. Auch vie-

le Menschen wollen heute lieber in der Stadtoder stadtnah wohnen, statt auf dem Land,wo schon ein eigenes Auto benötigt wird, umnur zum nächsten Lebensmittelgeschäft oderArzt zu gelangen. Nun hat die Stadtverordnetenversammlungbeschlossen, einen »politisch gewollten neu-en Stadtteil« im Frankfurter Nordwesten »er-gebnisoffen« zu prüfen. Vorschläge, statt ei-nes extensiven neuen Stadtteils auf der grü-nen Wiese, vor allem stadtnah unzureichendgenutzte Flächen vollständig zu bebauen, wur-den »aus politischen Gründen« abgelehnt. Da-her entsteht nach wie vor das Bild, dass sichdie Stadt und ihre Repräsentanten schwer tun,den knappen Frankfurter Boden effizient zunutzen. Ein hinreichendes Angebot an gutenund günstigen Wohnungen zu fördern, um

den Wohnungsmarkt auch für Mittelschichtund Geringverdiener nennenswert zu entlasten,liegt nicht im Fokus der städtischen Politik.

Die Lage, der Boden und die niedrigen ZinsenDoch auch wenn sich die Stadt zielgerichte-ter um günstiges Bauen kümmern würde: Bau-land in Frankfurt ist knapp und mit Grund-stücken lässt sich erfolgreich spekulieren undhohe Gewinne erzielen. Die hohen Mieten oderKaufpreise speisen sich zwar schon jetzt zumTeil aus den steigenden Herstellungs- und Be-triebskosten, werden aber zurzeit vor allemdurch die hohen Gewinne der Grundstücks -eigentümer und Investoren getrieben. Ent-scheidend neben der allgemeinen Knappheitist – wie nicht anders zu erwarten – die La-ge. Ein Baugrundstück für Bürogebäude imWestend ist ein Vielfaches eines gleich großenGrundstücks in Sindlingen wert. Doch neben der ungebremsten Nachfrage sinddie Grundstückspreise auch aufgrund der nied-rigen Zinsen gestiegen, denn der Wert einesGrundstücks errechnet sich aus den künftigenErträgen, die mittels der (erwarteten künfti-gen) Zinsen auf den heutigen Tag »abdis-kontiert« werden. Sprich: Je niedriger die Zin-sen, desto höher schlagen sich erwartete künf-tige Einnahmen z.B. aus Vermietung oder Ver-pachtung in den Grundstückspreisen heutenieder. Daher ist es allgemein üblich geworden, dieEZB und im speziellen Mario Draghi persön-lich für die niedrigen Zinsen und somit für diehohen Grundstücks- und Wohnungspreise ver-antwortlich zu machen. Doch so richtig undzentral der Aspekt ist, dass niedrige Zinsen dieGrundstücks- und Häuserpreise in die Höhetreiben, so unzureichend bleibt das so ge-zeichnete Gesamtbild.

Zinsanhebungen sind keine LösungDie Gesamtverschuldung aller »Nicht-Finan-ziellen Sektoren« liegt nach wie vor so hoch,dass schon ein EZB-getriebener Zinsanstiegauf drei Prozent direkt in die nächste Finanz-krise führen dürfte. Zwar ist die Gesamtver-schuldung in vielen Staaten der Eurozoneseit dem Start der Niedrigstzinsphase 2014leicht gesunken (gegenteilige Behauptungen

Von der Grundsteuer zur BodenwertsteuerWachsende Städte, steigende Mieten und Bodenpreise… ein Thema, das viele Bürgerinnen und

Bürger bewegt. Zwar ist die Beschäftigungslage gut, aber erreichte Lohnerhöhungen werden

oft von steigenden Wohnkosten aufgefressen.

S

Von der Grundsteuer zur Bodenwertsteuer als neuer Hebel der Boden- und Planungspolitik

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INWO · März 1/2018 15

Von der Grundsteuer zur Bodenwertsteuer … Die steigenden Vermögenspreise hängen nichtnur an den niedrigen Zinsen. Sie können nurentstehen, wenn Boden- und Monopolrentenals sichere leistungslose Einkommen ingroßem Stile überhaupt möglich sind. Werdenz.B. Infrastrukturunternehmen oder städti-scher Grund und Boden erst gar nicht priva-tisiert bzw. zurückgekauft, lassen sich dieseansonsten privat angeeigneten ökonomischenRenten (nicht durch eigene Risikobereitschaftoder Leistung geschaffene Einkommen) fürdie Allgemeinheit wieder nutzbar machen.

Ein Großteil der städtischen Grundstücke lässtsich jedoch nicht zurückkaufen, selbst wennes dafür ein nennenswertes Budget geben soll-te. Eine andere Möglichkeit tut sich aber ge-rade jetzt auf: In den nächsten Jahren mussdie Grundsteuer B überarbeitet werden, da diebisher dieser Steuer zugrundeliegenden Ein-heitswerte veraltet sind. Mit dem Vorschlag der Umstellung der Grund-steuer auf eine reine Bodenwertsteuer, die reinden Bodenwert – unter Berücksichtigung derLage – und nicht länger die darauf stehendeBebauung besteuert, liegt ein zeitgemäßer,sprich dem Umfeld niedriger Zinsen ange-messener Vorschlag auf dem Tisch, der ne-ben einer gerechteren und effizienteren Be-steuerung, den Kommunen wieder mehrHandlungsspielräume bei der Stadtplanunggeben würde. Dieser Vorschlag wird nebender INWO mittlerweile von vielen Verbändenund Bürgermeistern unterstützt (mehr Infor-mationen zur Bodenwertsteuer unter: www.grundsteuerreform.net). Nicht nur in Frank-furt, aber gerade auch dort, könnte sich einesolche Bodenwertsteuer sehr positiv auswir-ken. z

Der Text basiert auf dem Flugblatt der Initiative Finanzplatz Frankfurt zur FrankfurterOB-Wahl: ififfm.de/wp-content/uploads/2017/12/IFIF_OB_Flugblatt.pdf

sind schlicht falsch), dennoch kann die näch-ste Finanzkrise nur wenige Zinserhöhungenvon heute entfernt liegen. Die EZB kann nicht einfach die Zinsen erhöhen,um die Vermögenspreise inklusive der Boden-und Häuserpreise wieder zu senken: In Spa-nien oder den Niederlanden, wo in den letz-ten Jahren massiv Hausbaukredite vergebenwurden, würden die privaten Haushalte enmasse in die Insolvenz getrieben, in Italiender Staat, in Belgien und Frankreich die Un-ternehmen und in Deutschland würden dieForderungen gegenüber dem Ausland, die sichzwangsläufig aus den Exportüberschüssen er-geben, zum zweiten Mal seit 2007 in nen-nenswertem Maße abgeschrieben. Wer hohen Zinsen als Lösung des Problemsder hohen Immobilienpreise das Wort redet,verdrängt absichtlich oder unabsichtlich dieFrage, wer denn die dann wieder wachsen-den Zinslasten der Unternehmen, Staaten undPrivatleute zahlen soll. Nicht ohne Grund dis-kutieren weltweit führende Makroökonomenwie Kenneth Rogoff oder Marvin Goodfriendwas vorbereitend getan werden müsste, da-mit sich in der nächsten Rezession die Zinsendeutlich in den negativen Bereich absenkenließen. Die Problematik der steigenden Grund-stückspreise muss auch bei niedrigem Zins-niveau gelöst werden können und erfordertzeitgemäße bodenpolitische Maßnahmen.

Die Problematik der

steigenden Grundstücks -

preise muss auch bei

niedrigem Zinsniveau

gelöst werden und

erfordert zeitgemäße

bodenpolitische

Maßnahmen.

Seit 2009 steigen in Deutschland die Mieten. Besonders starke Miet-steigerungen gibt es in westdeutschen Metropolen. So stiegen gemäß dem »Indikatorensystem zum deutschen Woh-nungsmarkt« der Deutschen Bundesbank in den sieben größtenStädten die Neuvermietungsmieten zwischen 2010 und 2016 um30% (Angaben für 2017 liegen noch nicht vor). Im Bundesdurch-schnitt nahmen sie immerhin um 25% zu. Menschen, die berufs-oder familienbedingt umziehen müssen, haben somit besondersstark mit steigenden Wohnkosten zu kämpfen.

Jüngste Auswertungen der Umfragen des DIW Berlin im Rahmendes Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ergaben, dass von 2014bis 2015 der Anteil der Haushalte mit einer kritischen Belastungs-quote (d.h. über 30 Prozent der Gesamtausgaben für Wohnko-sten) im unteren Einkommensbereich sowie bei Alleinerziehendenund Paaren mit Kindern unter 16 Jahren gestiegen ist.

Da das Thema »Bezahlbarer Wohnraum« viele Menschen betrifft,fand anlässlich der Oberbürgermeister-Wahl in Frankfurt am Mainam 29. Januar eine Diskussionsveranstaltung hierzu statt. Die Ver-anstaltung der Initiative Finanzplatz Frankfurt (IFiF, www.ififfm.de)wurde von der INWO unterstützt. Ein Bericht findet sich auf S. 20.

Quellen:

www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/

Statistiken/Unternehmen_Und_Private_Haushalte/Indikatoren

system_Wohnimmobilienmarkt/indikatorensystem_zum_

deutschen_wohnungsmarkt.pdf?__blob=publicationFile

staedtestatistik.de/fileadmin/vdst/Rostock2017/1_Goebel.pdf

Steigende Wohnkosten

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16 März 1/2018 · INWO

achdem das Bundesverfas-sungsgericht im Januar bei ei-ner mündlichen Verhandlung zuKlagen gegen die veralteten Einheitswerte schon andeute-

te, dass es diese nicht mehr für verfas-sungsgemäß hält, fordert nun der DeutscheStädte tag von der Bundesregierung und denLändern eine zügige Reform der Grundsteu-er. Man laufe sonst Gefahr, dass die Gemein-den die Grundsteuer womöglich für gewisseZeit gar nicht mehr erheben dürften, was dieKommunen in eine Finanzkrise stürzen dürf-te, so Städtetags-Vizepräsident Ulrich Maly. Der für den Ländervorschlag (»Kostenwert-Modell«) geschätzte Zeitbedarf von zehnJahren für die Neuberechnung von Haus-und Grundstückswerten dürfte somit un-haltbar sein. Ohnehin bröckelt die Länder-front immer mehr. Laut Nachrichtenmaga-zin Focus wächst der Widerstand im Bun-desrat gegen das im letzten Jahr in den Bun-destag eingebrachte Konzept. Danach sindnach Bayern und Hamburg nun auch Nord-rhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ge-gen diesen Plan, nach dem weiterhin Bo-den und Gebäude besteuert werden sollen,jedoch auf der Basis neuer, komplizierter Be-rechnungen. Damit das Konzept in der neu-en Legislaturperiode im Bundestag beratenwerden könnte, müsste der Bundesrat neudafür abstimmen, was derzeit unwahr-scheinlich ist.

»Südmodell« verhindern!Überraschend ist der Hamburgische Fi-nanzsenator Peter Tschentscher im Januarauf die Linie der Bayern eingeschwenkt undbefürwortet nun eine wertunabhängige Steu-er, die nur die reinen Flächen von Gebäudeund Grundstück berücksichtigt (»Südmo-dell«). Soll diese schlechteste aller Variantenetwa als neuer Vorschlag politisch durchge-setzt werden?Im Koalitonsvertrag von CDU/CSU und SPDist zudem davon die Rede, »den Kommunendurch Schaffung der rechtlichen Grundlagendie Möglichkeit ein(zu)räumen, die Bauland-mobilisierung durch steuerliche Maßnahmenzu verbessern.« Dies soll durch die Einführung

einer zusätzlichen Grundsteuer C ermöglichtwerden.

Baulandsteuer unzureichendDie Initiative »Grundsteuer: Zeitgemäß!«sieht diese Vereinbarung sehr kritisch undschreibt dazu:»Dem Plan von CDU/CSU und SPD, den Ge-meinden mittels Einführung einer Grund-steuer C-Option die Möglichkeit einzuräumen,die Verfügbarmachung von bebaubarenGrundstücken für Wohnbauzwecke zu ver-bessern, erteilt das Bündnis »Grundsteuer:

Zeitgemäß!« eine klare Absage. Eine solcheGrundsteuer C wäre eine völlig unnötige,streitanfällige Verkomplizierung des Grund-steuerrechts und ein Einfallstor für Partikular -interessen. Nur ein Teil der in Frage kom-menden Flächenpotenziale würde damit er-fasst. Für gewerblich nutzbare Grundstücke,teilbebaute Grundstücke mit Ausnutzungs-reserven sowie für Grundstücke mit leer ste-henden oder untergenutzten Gebäuden gä-be es weiterhin keinerlei fiskalischen (Wie-der-)Nutzungsanreiz.

Eine separate Grundsteuer-Kategorie für un-bebaute Wohnbaugrundstücke änderte nichtsan dem grundlegenden Problem, dass dieGrundsteuer B im Kern eine Gebäudesteuerist bzw. bliebe, mit allen damit verbundenenNach teilen. Mit der vom Bündnis »Grund-steuer: Zeitgemäß!« vorgeschlagenen Ver-einfachung der Grundsteuer insgesamt in ei-ne reine Bodensteuer würden unbebaute,aber bebaubare Grundstücke automatischhöher besteuert, und zwar mit weniger stattmehr Bürokratie, ganz ohne Ausnahmen undneue Ungerechtigkeiten.

Mit der reinen Bodensteuer würde le-diglich der Bodenwert der Grundstückebesteuert, der die Bebaubarkeit bereitsmit einpreist. Gleichwertige Grundstückein gleicher Lage mit gleichen Baurech-ten würden somit identisch besteuert –unabhängig von der realisierten Bebau-ung. Dies würde die mit der Gebäu-debesteuerung einhergehenden Fehlan-reize und Marktverzerrungen aussch-ließen: Bauliche Investitionen würdennicht länger durch eine höhere Steuerbestraft. Spekulation und das Brachlie-genlassen von Baugrundstücken würdenicht mehr durch eine niedrigere Grund-steuer belohnt werden.Der Vorschlag der Koalitionäre mag einrichtiges Ziel vor Augen haben, der ge-wählte Weg führte aber in eine Sack-gasse. Schon die Erfahrungen mit derGrundsteuer C in den Jahren 1961/62sollten eine Warnung sein, sie sprechenklar gegen eine Wiederbelebung der-selben. Auf Druck gut organisierter In-teressengruppen wurden in das dama-

lige Gesetz zahlreiche Ausnahmetatbestän-de aufgenommen, was zu zahlreichen Unge-rechtigkeiten führte.Darüber hinaus ist die Grundsteuer C keineAntwort auf die vom Bundesverfassungsge-richt geäußerten Zweifel an der Verfassungs -mäßigkeit der gegenwärtigen Bemessungs-grundlage und ersetzt nicht die dringend not-wendige Reform der Grundsteu er.« z

Mehr Informationen und aktuelle Berichte unter:www.grundsteuerreform.net

Grundsteuerreform – aktuelle EntwicklungenDer Ländervorschlag zur Grundsteuerreform von 2016 scheint vom Tisch zu sein – doch was folgt

danach? Wenn wir Bürger nicht aufpassen, kommt eine wertunabhängige Steuer, plus eine

Baulandsteuer als »Trostpflaster«. Im Sinne der Gerechtigkeit wäre es dagegen wichtig, die

Bodenrenten zu besteuern.

N

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INWO · März 1/2018 17

Zum Tod von Hans Christoph Binswanger

Bitte helft uns beim Schlussspurt!

SCHWEIZ

Mit Hans Christoph Binswanger ist am18. Januar ein grosser Ökonom und

Humanist gestorben. Seine umfassende kul-turelle Bildung ermöglichte ihm einen unor-thodoxen Blick auf sein Fachgebiet. Als sou-veräner Analytiker gehörte er sowohl zu denersten ökonomischen Vertretern der Nach-haltigkeitsbewegung als auch zu den kom-petentesten Kritikern der Wirtschafts- undGeldtheorie. Letzteres war seinerzeit derGrund, warum sich die Initianten der Schwei-zer Vollgeld-Initiative an ihn wandten und inihm einen klar denkenden und unbestechli-chen Berater fanden.Im Juni vergangenen Jahres konnten wir ihnzum letzten Mal im Garten des Altersheimsbesuchen und verbrachten mit ihm zwei an-regende Stunden im Schatten eines Bau-mes. Wir ahnten, dass dies vielleicht das letz-te Treffen sein würde.

Mitte der 80er Jahre erschien seine aufsehen -erregende Arbeit über den Teil II von Goe-thes Faust. Sie und später die Publikationen»Geld und Natur« sowie »Geld und Wachs-tum« zeigten uns deutlich, dass hier ein Den-ker am Werk war, der nicht nur die Lückenund Mängel der gängigen Theorien erkann-te – das Geld, das unbekannte und verkannteWesen –, sondern auch wusste, wie man die»Wachstumsspirale« bändigen kann.

Nach der Finanzkrise war für uns deshalb klar,mit wem wir das Unbehagen über das herr-schende Geldsystem besprechen wollten.2010 trafen wir uns mit Hans Christoph Bins-wanger und einigen Gleichgesinnten zu ei-nem ersten Gedankenaustausch. Daraus er-gaben sich zahlreiche weitere Gespräche, dieletztlich zur Formulierung der Vollgeld-Ini -tiative führten. Dabei lernten wir Binswan-ger als offenen und humorvollen Menschenmit einem unglaublich breiten Wissen ken-nen. Zu Recht wurde er deshalb vom ehe-maligen Rektor der Universität als »ökono-mischer Humanist und humaner Ökonom«bezeichnet. Auch im wissenschaftlichen Bei-rat der Vollgeld-Initiative brachte Hans Chris -toph immer wieder seine wertvollen Erfah-rungen und Einsichten ein. Leider musste er sich dann aufgrund zuneh-mender Altersbeschwerden schrittweisezurückziehen. Dennoch blieben wir in Kon-takt und freuten uns darüber, dass er – trotzkörperlicher Beschwerden – anderweitig amwissenschaftlichen und kulturellen Leben teil-nehmen konnte. In der Geldreformbewegungist Binswanger jedenfalls ein Ehrenplatz sicher. Binswangers Ideen und Arbeiten sind je-doch nicht nur für die Geldtheorie inspirie-rend und der Zeit voraus. Ganz zentral sindauch seine Beiträge zum Thema Ökologie undNachhaltigkeit. Obwohl die Lektüre z.B. sei-

nes Spätwerkes »DieWachstumsspirale« an-spruchsvoll ist, sind sei-ne Schlussfolgerungenin der Regel klar, kon-struktiv und wegwei-send. Das Inhaltsver-zeichnis eines seinerletzten Bücher »Vor-wärts zur Mässigung«liest sich deshalb wie ein umfassendes Wirt-schafts- und Gesellschaftsprogramm für kom-mende Generationen: »Neustrukturierungdes Geldsystems; NachhaltigkeitsorientierteUnternehmensverfassungen; Langfristige Si-cherung der Ernährungsgrundlage; Nach-haltiger Ressourcenhaushalt; Eigentum ver-pflichtet: Patrimonium statt Dominium; Ge-meinschafts dienste als Ergänzung zu Lohn-diensten; Das Subsidiaritätsprinzip im Um-weltschutz; Ein ökologischer Rat als Vertre-ter der Interessen künftiger Generationen.«Kein Zweifel, Hans Christoph BinswangersWerk wird weiterleben und kommende Ge-nerationen werden auf seinen Gedanken auf-bauen können. So wird er uns allen in dank-barer Erinnerung bleiben!

Hansruedi Weber (Co-Präsident INWO / Präsident Verein MoMo)

Reinhold Harringer (Mitinitiant Vollgeld-Initiative)

am 10. Juni 2018Informationen: www.vollgeld-Initiative.ch

Abstimmung über die Vollgeld-Initiative

Wer soll unser Geld herstellen?!

Die nächsten drei Monate verlangen vonuns allen ein besonderes Engagement,

um der Vollgeld-Initiative zum Durchbruch zuverhelfen.• Sprecht die Leute auf die Vollgeld-Initia tivean, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz, woimmer es geht. Diskutiert mit ihnen, weistsie auf unsere Homepage hin!

• Besucht die Treffen der Regionalgruppen!

• Organisiert Referate in euren Vereinen, Parteien, Verbänden, Gemeinden! Referenten vermitteln wir gerne.

• Schreibt Leserbriefe und Blog-Kommen -tare!

• Verteilt unser Werbematerial auf der Stras-se, in Briefkästen, in Läden und Restau-rants. Verschenkt die 20er-Nötli! Tragt im-mer den Vollgeld-Ja-Knopf!

Kostenlose Bestellung: www.vollgeld-initiative.ch/bestellen-sie-infomaterial

• Meldet euch mit Hinweisen, Ideen und Fragen bei: [email protected]

• Unterstützt uns mit einer Zusatz-Spende!

Alle wichtigen Informationen und aktuelle Veranstaltungstermine finden sich im Internet unter: www.vollgeld-initiative.ch

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18 März 1/2018 · INWO

SCHWEIZ

Immer mehr Bodeninitiativen in der Schweiz

Was vor zwei Jahren mit der Annahme einer kanto -nalen Bodeninitiative in Basel und einer kommu-

nalen in Emmen LU begonnen hat, ist jetzt bereits zueiner Siebenerreihe von Initiativen angewachsen. DerSlogan »Boden behalten, Stadt gestalten« fällt auf frucht-baren Boden.

Es war eine faustdicke Überraschung, als die Stimmbe-rechtigten der Stadt Basel Ende Februar 2016 die NeueBodeninitiative mit dem Stimmenverhältnis von 2:1 an-nahmen. Und es war geradezu eine Sensation, dass glei-chentags der Souverän der Luzerner VorstadtgemeindeEmmen mit hauchdünner Mehrheit ebenfalls Ja sagtezur kommunalen Bodeninitiative »Boden behalten, Em-men gestalten«. Im Jahr darauf dann bestätigten dieStimmberechtigten ihr Votum deutlich, als es darumging, das neue Bodenreglement der Gemeinde zu ge-nehmigen. Das Emmener Ergebnis war umso erstaun-licher, als lediglich Grüne und SP dafür eintraten, diebürgerlichen Parteien und der Gemeinderat die Initiati-ve jedoch geschlossen ablehnten – ein Zeichen dafür,dass unvoreingenommene Bürgerinnen und Bürgerden Ausverkauf des Tafelsilbers ihrer Gemeinden nichtlänger tatenlos hinnehmen wollen. Ziel der Initiantenwar es in beiden Fällen, den öffentlichen Boden dauer-haft in Händen zu halten und ihn – wo kein Eigenbe-darf der Gemeinschaft besteht – mit langfristigen Bau-rechtsverträgen zur Nutzung zu vergeben.

Kleiner Rückschlag in HochdorfDem Beispiel der beiden Pioniere Basel und Emmen sindmittlerweile auch Initianten in der Stadt Luzern und inHochdorf LU gefolgt. In Luzern führte der Gegenvor-schlag des Stadtrates, dem sich die Initianten aus denReihen von SP und Grünen anschlossen, zum Erfolg. Einen ersten kleinen Rückschlag hat die neue Gemein-gut-Boden-Bewegung im November in Hochdorf erlit-ten. Zwar wurde die Initiative von SP und Grünen mit862 zu 824 Stimmen angenommen. Doch weil auch derGegenvorschlag des Gemeinderates eine knappe Mehr-heit fand (840 zu 836 Stimmen), musste die Stichfrageentscheiden. Und da obsiegte die Variante des Ge-meinderats mit 860 zu 800 Stimmen. Dies ist bedauer-lich, weil die neue Regelung so praktisch wirkungslos

bleibt: Nur gerade in der Zone für öffentliche Zweckeund jener für Sport und Freizeit soll auf Verkäufe ver-zichtet werden, in den ökonomisch ungleich bedeu -tenderen Wohn- und Gewerbezonen jedoch nicht. DieHochdorfer Initianten trösten sich mit dem guten Ab-schneiden ihrer Initiative. Sie fühlen sich dadurch legi-timiert, künftige kommunale Landgeschäfte kritisch zuverfolgen.

Binningen – Sursee – UsterMittlerweile sind in drei weiteren Schweizer GemeindenInitiativkomitees mit dem gleichen Anliegen am Werk.In Binningen BL läuft die Unterschriftensammlung derSP bereits. In Sursee wollen die Grünen ihre Boden -initiative im März starten. Und in der Stadt Uster, derdrittgrössten Gemeinde des Kantons Zürich, sammelndie Grünen seit kurzem für ihre Initiative »Boden be-halten, Uster gestalten« Unterschriften. Für das Zu-standekommen sind 600 gültige Unterschriften nötig.Sie haben dafür ein halbes Jahr Zeit.Der Stiftungsrat der NWO-Stiftung Belcampo hat anseiner letzten Sitzung mit grosser Befriedigung vom gros-sen Interesse an der Bodenpolitik Kenntnis genom-men. Besonders erfreulich ist, dass die Bodeninitiativenjetzt mit Uster auch erstmals im Kanton Zürich ins Ge-spräch kommen. Der Stiftungsrat hat beschlossen, auchdie neu lancierten Initiativen im Rahmen seiner Mög-lichkeiten mit Aufmunterung und einem finanziellenZustupf zu unterstützen.

Argumentationshilfe für BodeninitiantenUnterstützung erhalten die heutigen und künftigen Initianten von den Basler Müttern und Vätern der dorti -gen Bodeninitiative. Sie planen ein Buch, das die BaslerInitiative dokumentiert, sie in einen grösseren politi-schen Zusammenhang stellt und auch auf die weiterenInitiativen verweist. Es kann so zu einem Nachschlage-werk und zu einer Argumentationshilfe für Bodenrechts -aktivisten werden.

Und zuletzt lohnt es sich auch, auf die Aktivitäten desInfonetzwerks Gemeingut Boden hinzuweisen. In die-ser losen Vereinigung sind seit 5 Jahren mittlerweile 9Institutionen zusammengeschlossen, die den öffent -lichen Charakter des Gutes Boden anerkennen und da-nach zu handeln trachten. Das Infonetzwerk erarbeitetgegenwärtig einen Leitfaden zum (Erb-)baurecht. Es solldie Broschüre »Baurecht unter der Lupe« ergänzen.Sie ist im vergangenen Herbst vom Bundesamt für Woh-nungswesen herausgegeben worden und beleuchtet dasBaurecht vorab aus ökonomischer Sicht.

Heinz Girschweiler

Weitere Informationen unter:www.nwo-belcampo.ch, www.gemeingutboden.ch

Link zur Broschüre »Baurecht unter der Lupe«: www.nwo-stiftung.ch/cms/upload/PDF/Baurecht_DE_web.pdf

In Basel begann die erfreuliche Serie der Schweizer Bodeninitiativen: www.neue-bodeninitiative.ch

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INWO · März 1/2018 19

Neue Regiogeld-Gründungen in der Westschweiz

SCHWEIZ

In den letzten Jahren sind vor allem in der Westschweizeinige komplementäre Regionalgelder entstanden.Weitere Initiativen sind in Vorbereitung. Dies ist aus Sichtder INWO Schweiz eine erfreuliche Entwicklung. Es han-delt sich bei vielen Projekten um Initiativen, welche inVereinen oder genossenschaftlich organisiert sind unddeshalb zu recht als alternatives Bürgergeld vermark-tet werden.

Das grösste Regiogeld-Projekt ist der »Léman«, welcherin den Städten Genf und Lausanne und darüber hinausim ganzen Umland des Genfersees (und auch in denfranzösischen Ortschaften am Südufer des Sees) ge-handelt werden kann. Dieses Regiogeld wurde 2015 ein-geführt, der Wert eines »Léman« entspricht einemSchweizer Franken. Heute wird der Léman bereits in 450Unternehmungen und Betrieben als Zahlungsmittel ak-zeptiert. Ein weiteres erfreuliches Projekt ist der Netz-Bon in Basel, der bereits seit 2005 existiert und heuterund 130 Unternehmungen und Betriebe als Zahlstel-len registriert hat. Beide Projekte sind als Notengeld-Währung konzipiert und auch der NetzBon hat einenTauschwert von 1:1 zum Schweizer Franken. Beide Re-giogelder können in Franken eingekauft werden.

Gleich zwei weitere Initiativen zur Einführung eines Regiogeldes sind im Kanton Fribourg lanciert worden.Eine dieser Regionalwährungen soll das Greyerzerlandund die angrenzende Region des oberen Saanetals ab-decken. Die Einführung von Notenscheinen ist im Ja-nuar 2019 geplant. Das zweite Projekt hat die Einführungeines alternativen Notengeldes in der Stadt Fribourg undUmgebung zum Ziel. Das genaue Einführungsdatum istnoch nicht bekannt. Beide Projekte haben den Lémanzum Vorbild genommen und die Scheine sollen mittelseiner Clearingstelle getauscht werden können. Zudemsind sie in der französischsprachigen Schweiz entstan-den, beziehen jedoch auch Gebiete der deutschspra-chigen Schweiz mit ein.

Nach den freiwirtschaftlichen Prinzipien Silvio Gesellssollten die Komplementärwährungen mit einer Umlauf-

sicherung versehen sein, welche zum raschen Eintauschdes Geldes anregen soll. Von den oben genannten Regionalgeldern hat jedoch nur der NetzBon eine indi-rekte Umlaufsicherung. Er kann beim zuständigen Ver-ein zum Vorzugspreis (110 Netzbon für 100 Franken)bezogen werden, sofern der Jahresbeitrag des Vereinsbezahlt wird, und der Rücktausch in Schweizer Frankenist nur mit einer Einbusse möglich. Der Léman jedoch

kennt weder eine Ausgabefrist, ei-nen Wertverfall noch ein sonstigesAnreizsystem zur Umlaufsicherung.Er wird deshalb noch eine Be-währungsprobe bestehen müssen,sollte der Schweizer Franken in ei-ne ernsthafte Finanzkrise geraten.

Vergleichen wir die RegionalgelderNetzBon und Léman miteinanderund nehmen noch die von der IN-WO Schweiz geschaffene Talent-Währung hinzu, so liegt folgenderSchluss nahe: Je einfacher das al-ternative Geldsystem aufgebaut ist,desto mehr Betriebe und Unter-nehmungen werden zum Mitma-chen gewonnen. Es muss hierzu be-merkt werden, dass die Talent-Währung nicht mit Schweizer Fran-ken gedeckt ist. Die fehlende

Deckung in Schweizer Franken und die fehlende Zukauf-und Verkaufsmöglichkeit hindert mög licherweise die Un-ternehmungen, beim Talent einzusteigen.

Die aufkommende Beschäftigung verschiedener Grup-pierungen mit alternativen Komplementärwährungenzeigt auf, dass ein Umdenken auch auf der Ebene derGeld- und Zahlungsmittel stattfindet. Dass sie nicht nachGesells Lösungsansätzen geschaffen worden sind, könn-te sich in der Zukunft allerdings negativ auswirken. Ge-rade deshalb ist das Wissen aus dem freiwirtschaftlichenBereich gefragt, um in einer eintretenden Krisensitua-tion auf alternative Komplementärwährungen setzenzu können.

Roland Stebler

Als Mitglied (CHF 100.- oder nach eige -nem Ermessen) und als Gönner (auf-gerundeter Mitglieder beitrag) bildenSie das finanzielle Fundament der INWO Schweiz und ermöglichen un-ser Engagement für ein nachhaltigesFinanzsystem sowie eine humane undgerechte Gesellschafts- und Wirt-schaftsordnung.

Werden Sie INWO-Mitglied!

INWO SchweizPostfach 31615430 Wettingen 3Tel.: 056 426 60 90E-Mail: [email protected]:Postkonto 30-1771-2IBAN: CH83 0900 0000 3000 1771 2

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20 März 1/2018 · INWO

Am Montag, den 29. Januar veranstaltetedie Initiative Finanzplatz Frankfurt am

Main (IFiF, im Internet unter: ififfm.de) un-ter Mitwirkung der INWO D eine Diskussions -veranstaltung in der boomenden Mainme-tropole. Anlass gab die Frankfurter Oberbürgermeis -ter-Wahl am 25. Februar. Unter dem Titel»Stadt der Zukunft: Brexit, Immobilien,Grundsteuer und die Zinsen – Chancen undHerausforderungen für Frankfurt« stand dasThema »Bezahlbarer Wohnraum« im Mittel-punkt der Podiumsdiskussion mit den Ober-bürgermeister-Kandidaten. Zugesagt hattenDr. Nargess Eskandari-Grünberg (Bündnis90/Die Grünen), Janine Wissler (Die Linke)und Peter Feldmann (SPD). Dr. BernadetteWeyland (CDU) hatte ihre Teilnahme abge-sagt und auch die Kandidatin der Grünenkonnte krankheitsbedingt nicht kommen. Ha-jo Köhn als Vertreter des Bündnisses IFiF mo-derierte die Veranstaltung. Mit etwa 80 Be-suchern war der Saal des Kunstvereins Fa-milie Montez gut gefüllt. Die Podiumsdiskussion wurde durch einenImpulsvortrag des Experten für Bau- und Bo-denrecht Prof. PD Dr. Fabian Thiel von derFrankfurt University of Applied Sciences ein-

geleitet. Sein Impulsvortrag »Boden als Wa-re – zwischen lokaler Flächennutzung undglobalen Investments« machte auf Span-nungsfelder und internationale Herausforde-rungen für die bauliche Kommunalpolitik auf-merksam. Eine Leitschnur lieferte dabei derLeitsatz »Eigentum verpflichtet« aus Art. 14Abs. 2 des Grundgesetzes. Die durch Thielangerissenen Themen Bodenmärkte, Nach-verdichtung von Frankfurt, Grundstücksver-gabe und Bodenpolitik regten zur anschlie -ßenden Diskussion an. Thiel zeigte außerdemauf, dass das internationale Investitionsrechtin Handelsabkommen wie CETA negative Aus-wirkungen auf die kommunale Selbstver-waltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 GG) habenkönnte. In der Podiumsdiskussion positio-nierten sich die OB-Kandidatin und der OB-Kandidat zu den verschiedenen Gesichts-punkten und beleuchteten mögliche Konse-quenzen für Frankfurt.Matthias Klimpel, Vorstandsmitglied der IN-WO und Mitorganisator, resümierte: »Die Ver-anstaltung war meines Erachtens ziemlich ge-lungen. Es ist uns und vor allem Hajo Köhnvon der Initiative Neue Geldordnung gelun-gen, theoretische und praktische Fragen derBodenpolitik in der Podiumsdiskussion zu ver-

binden. Die verschiedenen Ebenen der Bo-denpolitik – von der Kommunalpolitik bis hinzu den internationalen Investitionsabkom-men – wurden angerissen und Fragen zurLandflucht und den Möglichkeiten der Stär-kung des ländlichen Raumes thematisiert. MitBlick auf die Kommunalpolitik ging es es aberauch ganz praktisch darum, welche Hand-lungsoptionen Frankfurt hat. Hier über-raschten Äußerungen von OB Feldmann, derstark darauf drängte, z.B. den Wertzuwachsdes Bodens durch kommunale Planungenweitgehend abzuschöpfen und bei der Stadt-planung wieder das Primat der kommunalenPlanung – vor den Absichten der Investoren– durchzusetzen.« Für die INWO besonderserfreulich: Die Bodenwertsteuer wurde mehr-fach thematisiert. Unter Mitwirkung des Bündnisses »Grund-steuer: Zeitgemäß!«, dem die INWO und dieInitiative Neue Geldordnung angehören, wirdin Frankfurt eine Folgeveranstaltung zumThema Boden orga nisiert. Ziel wird es sein,über die Bodenwertsteuer und weitere Re-formalternativen zu informieren (z.B. Grund-steuer C und Flächensteuer).

Infos dazu demnächst im INWO-Terminkalender:www.inwo.de/terminkalender

Diskussion zum Thema »Bezahlbarer Wohnraum« in Frankfurt

DEUTSCHLAND

Inhaltliches INWO-Treffen

Am 16. Dezember trafen sich einige Vertreter der IN-WO Deutschland in Greven, um über aktuelle in-

haltliche Themen und die Jahresplanung für 2018 zudiskutieren. Thematisiert wurde u.a. die geld- und wirt-schaftspolitische Lage, z.B. die weltweit trotz Zinssen-

kungen zunehmende Verschuldung, die Gründe für dieausbleibende Inflation und die Frage, was wir von demZurückfahren der Anleihekäufe ab 2018 erwarten.Thomas Kubo präsentierte einige von ihm aktualisierteCreutz-Grafiken, was auf sehr positive Resonanz stieß.

Die Fortführung der Analysen des im Ok-tober 2017 verstorbenen Helmut Creutzbetrachten wir als äußerst wichtig.Gesprächsthema waren auch konkreteEntwicklungen, die die Geldpolitik be-treffen, wie die Ausbreitung digitaler(Krypto-)»Währungen« und die Pilot-klage der Verbraucherverbände in Ba-den-Württemberg gegen die Negativ-zinsen der Volksbank Reutlingen.Bezüglich der Bodenreform haben wirüber weitere Aktionen zur Unterstützungvon »Grundsteuer: Zeitgemäß!« nach-gedacht.

Vlado Plaga

Gruppenfoto beim Spaziergangin Greven an der Ems … Auf dem Bild fehlen FelixFuders und Vlado Plaga.

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INWO · März 1/2018 21

Grundsteuerreform: neue FR-Kolumne

In der Gastwirtschaft-Kolumne der Frankfurter Rund-schau forderte die stellv. INWO-Vorsitzende BeateBockting am 17. Januar »Spekulation erschweren!« »Nehmen die angehenden Koalitionäre ihren Wunschder Baulandmobilisierung ernst, sollte die Grundsteueralsbald in eine reine Bodenwertsteuer umgewandelt werden«, so Bockting. Bei einer solchen Steuer bleibendie aufstehenden Gebäude unberücksichtigt, was sieeinfacher und unbürokratischer macht. Sie belastet un-bebaute Grundstücke – oftmals Sahnestücke, die spe-kulativ gehortet werden – sehr viel stärker als heute.Modellrechnungen von Professor Dirk Löhr vom Bünd-nis »Grundsteuer: Zeitgemäß!« bestätigen die positi-

ven Effekte einer reinen Bodenwertsteuer: Die Grund-steuer auf unbebaute, aber bebaubare Grundstücke wür-de in den untersuchten Gemeinden im Durchschnitt umdas Vier- bis Fünffache ansteigen. Es entsteht dadurchein steuerlicher Anreiz, Baulücken zu schließen. DerGrundstücksspekulation wird ein Riegel vorgeschoben.Auch auf Villengrundstücke in teuren Lagen kämen spür-bare Erhöhungen zu, während Nutzer von Mehrfami -lienhäusern – mehrheitlich Mieterhaushalte – mit einerdeutlichen Entlastung rechnen dürften.

Siehe auch: www.grundsteuerreform.net

Wir bitten unsere Mitglieder weiterhin,die Initiative »Grundsteuer: Zeitge -

mäß!« durch eigene Aktivitäten zu unter-stützen. Wir wollen deutlich machen, dass eine Bodenwertsteuer in der Bevölkerung viele Befürworter hat.

Sprich mit Freunden und Bekannten über dasThema. Wende Dich per E-Mail oder Brief anDeinen Bürgermeister, die Kreisverbände derParteien oder örtliche Bundestags- und Land-tagsabgeordnete.

Deine Volksvertreter findest Du im Internetunter: www.bundestag.de/abgeordnete/

Eine Briefvorlage kann per E-Mail bei unsangefordert werden: [email protected]

Grundsteuerreform: INWO-Brief an SPD-Abgeordnete

Zu unserer positiven Stellungnahme zurBodenwertsteuer an Fachpolitiker fast al-

ler Parteien haben wir mittlerweile einige Ein-gangsbestätigungen erhalten, was zeigt, dassunser Schreiben wahrgenommen wird. An-fang Februar haben wir zudem alle SPD-Bun-destagsabgeordneten angeschrieben und siedazu aufgerufen, sich für eine reine Boden-wertsteuer einzusetzen. Kurz zuvor hatte Bun-desbauministerin Barbara Hendricks sich ineinem Interview im SPIEGEL 4/2018 klar für

eine Bodenwertsteuer ausgesprochen. »Bau-ministerin Hendricks will Bodenspekulantenausbremsen«, hieß es auch auf Spiegel.de.Solche Stimmen in der SPD wollen wir ge-genüber anderen Kräften stärken, die neu-erdings auf die schlimmste aller Varianten,das sogenannte »Südmodell«, einschwen-ken, wie etwa der Hamburgische Finanzse-nator Peter Tschentscher. Das Südmodellsieht eine völlig wertunabhängige Besteue-rung vor, die sich nur an Quadratmetern ori-

entiert. So können natürlich keine Boden-renten weggesteuert werden. LeistungsloseEinkommen aus Bodeneigentum sowie Bo-denspekulation würden bestehen bleiben.In unserem Schreiben machen wir dagegendeutlich: »Eine reine Bodenwertsteuer ist ne-ben einem vermehrten Bodenrückkauf durchdie öffentliche Hand und einer Ausweitungdes Erbbaurechts sowie genossenschaftlicherWohnraumfinanzierung eine wirkungsvolleund zeitgemäße Maßnahme.«

DEUTSCHLAND

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INWO · März 1/2018 23

Senft erinnert in seiner Einleitung daran, dassmoderne, infolge der Finanzkrise aufblühen-de Erscheinungen wie Bitcoin, den Senft lei-der zu unkritisch sieht, oder Überlegungen zueiner Parallelwährung im notleidenden Grie-chenland historische Vorläufer haben. Im Band enthalten sind u.a. Texte von Jo-siah Warren, Stephen Pearl Andrews, Wil-liam B. Greene, Lysander Spooner, Ezra Hey -wood und Benjamin Tucker, die der Free-Ban-king-Debatte in den USA des 19. Jahrhun-derts wesentliche Impulse gegeben haben.

Der Titel des Büchleins istpro vokant. Als »wildcatbank« wird landläufig ei-ne betrügerische Bank be-zeichnet. Der Begriff wur-de auch benutzt, um dieTradition des Free Bankingzu diskreditieren. »Es istschon auffällig, wie raschdie Einwände gegenübereiner dezentralen Gelde-mission auf dem Tisch lan-den, während die Kritik ander Rolle der Zentralban-ken stets verhalten geübtwird.« (S.8) Man mussSenft leider Recht geben,wenn er schreibt: »Nichtselten waren Zentralban-ken federführend an der Entstehung von Fi-nanz- und Wirtschaftskrisen beteiligt.« (S. 9)Daher ist es legitim, sich Gedanken darüberzu machen, ob autonome und dezentrale Geld-schöpfung unsere Gesellschaften nicht resili-enter machen würde.

Gerhard Senft führt zahlreiche Vorteile freierGeldemission ins Feld, wie die Schaffung ei-nes wirtschaftsfreundlichen, innovationsför-dernden Klimas, indem durch niedrige Zins-margen auch Investitionen ermöglicht wür-den, die sich sonst nicht rechnen, währendstaatliche Vereinnahmung und Rüstungsfi-nanzierung erschwert würden. Als positivesBeispiel dient auch das »neue ökonomischeMekka« Wörgl, das in einem Beitrag von Clau-de Bourdet behandelt wird, der 1933 bei ei-nem Besuch vor Ort zu dem Urteil kam: »Esscheint,dass man in Übereinstimmung mitdem Bürgermeister anerkennen muss, dassdas neue Geld seine Rolle besser ausfüllt alsdas alte.« Letzten Endes kommt es eben aufdie gute und zweckmäßige Konstruktion desGeldsystems an. Wenn die heutigen Zentral-banken auf bestehendes Wissen zurückgrei-fen würden, gäbe es vermutlich keinen Wild-wuchs wie Bitcoin und Co.

Beate Bockting

tisch sinkt und die Löhne entsprechend stei-gen, kann allein das Freigeld für die Räte -republik in Betracht kommen.« Geradezukomödiantisch scheint der Telegrafen-Dialogzwischen Gesell und dem damaligenReichsbank präsidenten Havenstein, einemJuristen, unter dessen Präsidentschaft spä-ter die Hyperinflation von 1923 stattfand. Ge-sell telegrafierte: »Ich will mit durchgreifen-den Mitteln die Währung sanieren, verlassedie Wege der systemlosen Papiergeldwirt-schaft, gehe zur absoluten Währung über undbitte um Bekanntgabe Ihrer Stellungnahme.«Für die Antwort habe der Reichsbankpräsi-dent nur vier Worte gebraucht: »Ich warnevor Experimenten!« (S. 175). Gustav Lan-dauer war Bil dungsminister, bis schließlich or-ganisierte und von Russland unterstützteKommunisten sich doch an der Regierung be-teiligen, was zwar die Streitkraft gegen Geg-ner der Räterepublik zunächst erhöht, vomPazifisten Landauer aber zutiefst beklagt wird:»Der Sozialismus, der sich verwirklicht, machtsofort alle schöpferischen Kräfte lebendig: inIhrem Werke aber sehe ich, daß Sie auf wirt-schaftlichem und geistigem Gebiete, ich be-klage, es sehen zu müssen, sich nicht daraufverstehen. Es liegt mir fern, das schwere Werkder Verteidigung, das Sie führen, im gering-sten zu stören. Aber ich beklage aufs schmerz-lichste, daß es nur noch zum geringen Teilmein Werk, das Werk der Wärme und desAufschwungs, der Kultur und der Wiederge-burt ist, das jetzt verbreitet wird.« (S. 209)

Das Buch Weidermanns kann man als leben -dige Geschichtsstunde lesen, man kann esals Anlass zum Selber-Träumen nehmen undals Anregung zu weiterer Beschäftigung.Obwohl der Ausgang der geschilderten Er-eignisse eher deprimiert, kann das Buch dochauch ermutigen, eine Chance, die sich bie-tet, einfach zu nutzen, um große Verände-rungen hin zu einer friedlicheren und freudi-geren Gesellschaft umzusetzen.

Vlado Plaga

Benjamin Tucker u.a.: »Wildcat Ban-king«. Materialien zur monetären Ge -stal tungsfreiheit, hrsg. von GerhardSenft. Verlag Max Stirner Archiv Leipzig2017. ISBN: 978-3-933287-99-1In diesem Büchlein stellt der Volkswirt Ger-hard Senft, Professor an der Wirtschaftsuni-versität Wien mit Arbeitsschwerpunkten u.a.in der Problemgeschichte und Theorieent-wicklung der Ökonomie und der Geschichteder sozialen Bewegungen, zentrale Texte vonVertretern des sogenannten »Free Banking«vor. Darunter wird ein freier Währungswett-bewerb mit autonomer, dezentraler Geld- undKreditschöpfung verstanden.

Volker Weidermann: Träumer – Als dieDichter die Macht übernahmen. Kie-penheuer & Witsch, Köln 2017, 288 S.,18.99 €, ISBN: 978-3-462-04714-1Mit »Träumer – Als die Dichter die Macht über-nahmen« lässt Volker Weidermann im Vor-feld des 100-jährigen Jubiläums der Münch-ner Räterepublik den heutigen Leser diesenbesonderen Moment der deutschen Ge-schichte nachempfinden. In Romanform er-zählt er die Ereignisse nach und stellt die Pro-tagonisten der Revolution vor. Es ist je nachVorbildung nicht ganz einfach, den Überblickzu behalten, denn die Protagonisten sind zahl-reich und als gestalterisches Mittel weichtWeidermann schon gleich zu Beginn von ei-ner rein linearen Erzählweise ab: »Natürlichwar es ein Märchen gewesen, nichts als einMärchen«, lässt er Kurt Eisner denken, of-fenbar nach der verlorenen Wahl und bevorer seinen Rücktritt als Ministerpräsident be-

kanntgeben wollte. Danngeht es erstmal weiterzurück, zu den letzten Ta-gen des Bayrischen Köni-greichs, im November1918: »Den König hatteman am Vormittag nochdurch den Englischen Gar-ten spazieren sehen. Ja,wie lange wollte der dennnoch spazieren? Wie lan-ge noch regieren?« DasBuch lässt diese ferne,aber doch nicht unendlichweit zurückliegende Zeitlebendig werden.

Nahe beieinander sind für mich die Freudedarüber, dass radikale gesellschaftliche Ver-änderungen ganz plötzlich möglich waren, so-wie die Enttäuschung darüber, dass es amEnde in München doch zu hunderten von To-ten kam… quasi als Vorbote von noch sehrviel mehr Blutvergießen gerade mal 20 Jah-re später. Der bekannteste Kopf dieser dü-steren Zeit, Adolf Hitler, taucht auch in Wei-dermanns München von 1918/1919 gele-gentlich auf, als bekannter Nebendarsteller.

Silvio Gesell und Gustav Landauer sind zwarauch eher Nebenfiguren in der Erzählung,werden aber als auf ihre Regierungsverant-wortlichkeit sehr gut vorbereitete Männer vor-gestellt. So habe der Finanzminister Gesell»die Grundsätze seiner Amtsführung und seinzentrales Projekt« wie folgt formuliert: »Dadie absolute Währung nur mit Freigeld dau-ernd durchzuführen ist, da außerdem das Frei-geld die ganze Volkswirtschaft auf das kräf-tigste belebt, da endlich unter der dauerndenWirkung des Freigelds der Zinsfuß automa-

Buchvorstellungen

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Was bedeutet umlaufgesichertes Geld?

E s bedeutet, daß wir nun Herr der sogenannten Konjunkturen sind, daß der Staat durch Ausgabe und

Einziehung von Geld die Nachfrage ganz nach den Bedürfnissen des Marktes abstimmen kann, daß nicht

mehr die Geldinhaber, die ängstlichen Spießbürger, die Spekulanten, die Börsenstimmung, die Laune usw. die

Nachfrage hervorbringen, sondern daß der Staat absolut darüber zu bestimmen hat, wie groß die Nachfrage

sein soll … und das bedeutet wieder nichts weniger, als daß der Staat nun auch Herr der Wirtschaftskrisen, Herr

der Arbeitslosigkeit ist …

Es bedeutet, daß jetzt immer nur genau so viel Tauschmittel im Besitze der Bürger sein werden, als wie der

Handel unmittelbar beansprucht, und zwar so bemessen, daß die Preise wegen zu großer oder zu geringer

Geldfülle keine Schwankungen mehr durchmachen können. Es bedeutet, daß niemand mehr dem Staate bei der

Verwaltung des Geldes ins »Handwerk pfuschen« kann. Es bedeutet, daß aus Privatreserven dem Markt kein

Geld mehr zufließen kann, wenn der Staat eine Drainage des Geldmarkts für nötig hält, und daß kein Geld mehr

in die Privatreserven fließen kann, wenn der Staat eine Berieselung des Geldmarkts vornehmen will. Es bedeutet,

daß darum auch der Staat nur ganz geringe Geldbeträge einzuziehen oder auszugeben braucht, um das Ziel

seiner Währungspolitik zu erreichen.

Es bedeutet aber auch, daß niemand mehr Privatreserven anzulegen braucht, weil die Regelmäßigkeit, mit

der das Geld jetzt umläuft, die Reserven überflüssig macht. War die Reserve eine Zisterne, so wird die

Regelmäßigkeit des Geldumlaufes zur ewig sprudelnden Geldquelle.

Silvio Gesell im Kapitel »Das Gesetzmäßige im Umlauf des neuen Geldes«

in: Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Les Hauts-Geneveys 1916.