Alternative Ernährungsformen:

Risiken für Kinder

Prof. Dr. Mathilde Kersting

Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

www.fke-do.de

Standard-Konzepte für die Ernährung von Säuglingen,

Kindern und Jugendlichen in Deutschland

Optimierte Mischkost

Ernährungsplan für das 1.Lebensjahr

Hilbig et al Monatsschr Kinderheilkd, 2012; Kersting et al, kinder-und jugendarzt, 2012

0

50

100

150

200

250

300

kcal Ca Mg P Fe Zn J A E B1 B2 B6 Fol.

% DACH

Evaluation der Nährstoffzufuhr:

Herkömmliche Lebensmittel und selber kochen

Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr

Optimierte Mischkost

Beweggründe für eine ‚Alternative‘ Ernährung

• Gesundheitliche Erwartungen

• Weltanschauung

• Ethisch-religiöse Überzeugungen

• Ökologische Einstellung

• Kritik gegenüber heutiger Lebensmittelerzeugung

• Nachhaltigkeit

•� pflanzlich ausgerichtete Frischkost-Ernährung

Lebenswirklichkeit: Fertigprodukte von Anfang an

1 Foterek et al, J Pediat Gastroenterol Nutr 20132 mind. 1 Produkt in 3 Tagen (Alexy et al. , 2008; mit Förderung durch das MUNLV NRW)

0

20

40

60

80

100

6 9 12 3-18

% K

on

su

men

ten

Baby/Junior

Menü 1

pikante

Convienence-produkte 2

Monate Monate Monate Jahre

‚Alternative‘ Milch für nicht-gestillte Säuglinge ?

Selbstherstellung der Säuglingsmilch aus Tiermilch

Cave:

� Fehlende Substratadaptierung (Proteine, Fette, KH)

� Fehlende Nährstoffsupplemente (z.B. Eisen, Zink, Jod)

� Hygiene, vor allem bei Rohmilch

� Beschaffungsprobleme

� Hohe gesundheitliche Risiken

Selbstherstellung von Säuglingsmilch

Notfalls geeignet

• Halbmilch + Fett + KH -- > FKE-Rezept (Droese/Stolley)

Nicht geeignet

• ‚Frischkorn‘milch (Bruker u.ä.)

• vegetabile ‚Milch’: Reis’milch‘, Mandel‘milch‘Soja‘drink’ u.ä.

in Bilanzstudien erprobt

Rohmilch, Rohgetreide

Nährstoffdefizite:z.B. Protein, Energie, B12

Wachstumsstörungen, Rachitis, Fe-mangelanämie, neurolog. B12-Mangelsymptome (irreparabel)

Geeignete Alternative:

Säuglings-Formulanahrung auf Basis von Soja

− unterliegt EU RL (DiätVO) für Anfangsnahrung und Folgenahrung

− mögliche Nachteile durch (hohe) Gehalte an

− Phytat, Aluminium und Phytoöstrogenen

− nicht geeignet

− bei Frühgeborenen

− zur Prävention oder Therapie bei (Kuhmilcheiweiß)Allergien

− Einsatz nur bei begründeter Indikation

− angeborene Laktoseintoleranz

− Galaktosämie

− religiöse, ethische Überzeugungen

- grundsätzlich auch für tiermilch-freie Ernährung von Kindern

Ernährungskommission DGKJ, www.dgkj.de

Merkmale vegetarischer Kostformen

Fleisch, Fisch, Eierund Milch

Fleisch, Fisch, Eier, Milch und best. pflanzliche LM

Lakto-vegetarisch

Kostform Ausgeschlossene LM Reduzierte Nährstoffe

Lakto-ovo-vegetarisch

Fleisch, Fisch Fleisch: tier. Protein,Fe, Zn (hoheBioverfügbarkeit), Vit B12; Fisch: Jod, n-3 Fettsrn.

Fleisch, Fisch undEier

Eier: tier. ProteinVit.D, A,

Strengvegetarisch- vegan- makrobiotisch

Milch: tier. Protein, Ca, Jod, Vit. B12, B2, D, A

wie obenzusätzlich: Energie,Fett

Kersting M, in: Rodeck/Zimmer Päd Gastroenterologie, 2013

Vegetarische Ernährung:

Risikonährstoff Eisen

geringmäßigEi

geringgeringMilch

geringhochGetreide

hochgeringFleisch

BioverfügbarkeitAbsoluter

Eisengehalt

LM

Risikogruppen für Eisenmangel:

Säuglinge, Kleinkinder, weibl. Jugendliche

260 mg 260 mg

420 mg

Geburt 4. LM 12. LM

Hb

Ferritin

Myoglobin, Enzyme

70% 76%

12%

12%

24%

6%

76%

12%

12%

Gesamtkörpereisen

nach Dewey (2008)

Eisenhaushalt im 1. Lebensjahr

Eisenreiche Beikost

im Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr

Industriell hergestellte Beikostmahlzeiten (nach

RL 2006/125/EG)

Baby-/Junior-Menü

Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei

90 - 100 g Gemüse40 - 60 g Kartoffeln15 - 20 g Obstsaft20 - 30 g Fleisch/Fisch

8 - 10 g Rapsöl

Erster Brei

Gläschen, Becher

oder

Milchfertigbrei

Selbstzubereitung

Milch-Getreide- Brei

200 g Milch20 g Getreideflocken20 g Obstsaft, -pürree

Zweiter Brei

Trockenprodukte, Gläschen

Getreide-Obst-Brei

Getreide-Obst-Brei

20 g Getreideflocken90 g Wasser

100 g Obst5 g Rapsöl

Dritter Brei

Gläschen, Trockenprodukte

Hilbig et al Monatsschr Kinderheilkd, 2012

100 g Gemüse

50 g Kartoffeln

10 g Haferflocken30 g Vitamin C-reicher Obstsaft oder - püree

20 g Wasser

8 g Rapsöl

Gemüse-Kartoffel-Getreide-Brei

Selbstzubereitung

oder

Industriell hergestellte Beikostmahlzeit

Gemüse-Kartoffel-Getreide-Brei

Gläschen

Zugabe von Vitamin C-reichem Obstsaft oder -püree erforderlich

Vegetarischer Beikost-Brei

Empfehlungen für die Ernährung von Säuglingen, FKE 2013 www.fke-do.de

Vegetarische Mahlzeiten in der Optimierten

Mischkost für Kinder, Jugendliche und Familien

Reich an Eisen + Vitamin C ( ↑↑↑↑ Bioverfügbarkeit)

• Müsli aus Vollkornflocken + Orangensaft oder Frischobst

• Vollkornbrot + Gemüserohkost

• Vollkornreis- oder Vollkornnudel-Auflauf + Paprika

--> spezielle Lebensmittelkenntnisse erforderlich

Vegane Ernährung bei Kindern

Gestillte Säuglinge vegan ernährter (Vit.B12 verarmter) Mütter(Fallberichte)

• Vit.B12-Mangel mit (reversibler) makrozytärer Anämie und (irreversiblen) neurologischen Ausfallerscheinungen

Vegan ernährte (Klein-)Kinder

• Längen- und Gewichtswachstum im unteren Normbereich• Risikonährstoffe: Vit B12, Ca, Jod, Eisen, Zink, Vit B2, omega-3 FS

� Supplementierung zwingend: Vitamin B12 (Vitamin D)individuell prüfen: Ca, Jod, Eisen, Zink, omega-3 FS

z.B. Guez et al, BMC Pediatrics, 2012; Kersting M, in: Rodeck/Zimmer Päd Gastroenterol, 2013

Spezialfall veganer Ernährung:

Makrobiotik

Makrobiotisch ernährte Kleinkinder (Längsschnittstudie Niederlande):

• Wachstumsverzögerung� Aufholen mit geringen Mengen Fisch(-protein)

• verzögerte psychomotorische Entwicklung• Anzeichen von Rachitis• Funktioneller Vit. B12-Mangel (Vit B12-Analoga in Algen, ferment.

Sojaprod. biologisch nicht aktiv)• Eisenmangelanämie häufiger

Dagnelie; van Dusseldorp et al 1996,

Stellungnahmen Diätassistenten USA

J Am Diet Assoc. 2009;109:1266-1282

Bewertung und Interpretation

• Ernährungsstil verknüpft mit Lebensstil,ernährungs- und gesundheitsbewusste Vegetarier vs Omnivore allgemein

• Übergänge zwischen Kostformen in der Praxis fließend

• Ergebnisse früherer Studien nicht auf heutiges ‘vegetarisches’ und ‘veganes’ Lebensmittelangebot übertragbar

• Epidemiologische und interventionelle Studien bei Kindern inDeutschland fehlen

� individuelle Beratung von Eltern und (älteren) Kindern und Jugendlichen

Alternative Kostformen für Kinder

Schlussfolgerungen

• FKE-Konzepte für eine gemischte, omnivore Kost, die mit der Beikosteingeführt wird, sind Standard der Kinderernährung in Deutschland- durchkalkuliert und sicher

• Rezepte für fleischfreie, lakto-(ovo)-vegetarische Varianten derKonzepte sind verfügbar und machbar

• In Studien in westlichen Ländern ist lakto-vegetarische Kost näher anden Präventionsempfehlungen als übliche omnivore Kost

↓ ges. FS, ↓ Salz, ↑unges. FS, ↑Ballaststoffe ↑Obst/Gemüse/Vollkorn

• Je eingeschränkter die Lebensmittelauswahl, umso größer die Risikenfür Ernährungsdefizite

• Vegane Kost ist risikoreich, sie erfordert Supplementierung und außergewöhnlich gute Lebensmittelkenntnisse der Eltern

Ernährungsberatung

bei alternativ eingestellten Eltern

• Einfühlsame Beratung anstatt Verurteilung

• Appell an Verantwortung der Eltern(größeres Gefährdungspotential für Kinder)

• Ernährungsanamnese (z.B. Ernährungsprotokoll)

• Praktikable Alternativen vorschlagen

• Kompromisse suchen

Perspektive: Checkliste für (kinderärztliche)

Ernährungsanamnese und -beratung

Hinweis zum Ausfüllen::

2 = mind. 1-2 Mal pro Woche

1 = seltener

0 = nie

Milch und Milchprodukte aus

Kuhmilch

Wie oft isst/ trink Ihr Kind …

Joghurt, Kinderquark

Käse (Hart-/ Schnitt/

Frisch-/ Weichkäse)

Summe

Milch, Kakao

0 – 2 Punkte -> Empfehlung 1

3 – 5 Punkte -> Empfehlung 2

> 5 Punkte -> alles ok

Beispiel: Milch

Verbesserungsvorschläge und weitere Ideen an:

kersting@fke-do.de