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am Wochenende Freitag, 1. November 2013 Die Reportage Menschenwürde gilt über den Tod hinaus Die Kapelle mit rundem Kup- ferdach aus dem frühen 20. Jahr- hundert liegt inmitten des Biele- felder Sennefriedhofs. Ein künst- lich angelegter Teich erlaubt die freie Sicht auf das Gebäude. Ein ruhiger, parkähnlicher Ort. Etwas versteckt liegt das direkt angren- zende Krematorium an der Rück- seite des Gebäudes. Hier fahren Bestatter regelmäßig vor, um Ver- storbene zur Einäscherung zu bringen. Auch Rolf Lohmann aus Gütersloh. „Wir haben einen Einzugsradi- us von 60 Kilometern. Aus Pader- born und Bielefeld werden Ver- storbene gebracht, aber auch aus Rheda-Wiedenbrück und Güters- loh“, sagt Geschäftsführer Ull- rich Richter. Auch wenn die Zahl der Feuerbestattungen in den ver- gangenen Jahren zugenommen hat, gibt es besonders in katholi- schen Gegenden nicht viele Kre- matorien: Die nächsten in der Re- gion befinden sich in Hamm, Os- nabrück und Diemelstadt. Peter Lohmann trägt den Na- men des Verstorbenen in das Ein- äscherungsbuch ein. Ein Mitar- beiter des Krematoriums nimmt den Sarg mit dem Leichnam ent- gegen. Am nächsten Tag wird der Gütersloher wieder nach Biele- feld fahren, um die Urne persön- lich in Empfang zu nehmen. Derweil laufen in Bielefeld die Vorbereitungen für die Einäsche- rung. Dazu gehört die zweite Lei- chenschau: Mitarbeiter des Biele- felder Gesundheitsamts kommen drei Mal in der Woche vorbei. Noch einmal geht es darum, un- natürliche Todesursachen ein- deutig auszuschließen. Eine sechsstellige Nummer be- gleitet den Toten bis zur letzten Ruhe. Sie steht auf dem Ein- äscherungsbeiblatt, auf Doku- menten und im Einäscherungs- buch. Name, Nummer, Datum der Einäscherung sowie Geburts- und Sterbedatum sind auf dem Deckel der Urne eingestanzt. „Hinzu kommt der Schamottstein als beweissicheres Zeugnis“, be- tont Bernd Wüllner, Technischer Leiter des Krematoriums. Er wird bei der Einäscherung auf den Sarg gelegt. Per Knopfdruck öffnet sich die Tür von einem der drei vorhande- nen Öfen. Über eine Schiene fährt der Sarg automatisch in den Eta- genofen ein. Vielleicht zehn Se- kunden ist Feuer zu sehen. Länger nicht. Dann schließt sich die Klappe wieder. „Unsere Mitar- beiter sehen die Verstorbenen nicht“, betont Geschäftsführer Richter. 90 bis 120 Minuten dau- ert eine Verbrennung. Nach vier Stunden kann die Asche entnom- men und in die Urne gefüllt wer- den. Der feuerfeste Schamott- stein mit der Nummer wird mit in die Urne gelegt. Der pietätvolle Umgang mit dem Verstorbenen gehört zu den Richtlinien des Hauses. Ebenso der offene Umgang mit dem The- ma Tod. Regelmäßig gibt es Füh- rungen. „Bei manchen Religionen muss auch ein Familienmitglied bei der Verbrennung zugegen sein. Diese Vorgabe erfüllen wir“, betont Wüllner. Oft sind es Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen, die sich bei der Stadt Gütersloh melden, wenn sie keinen Ange- hörigen ausfindig machen kön- nen oder auch wissen, dass es niemanden gibt. Manchmal sind es Betreuer oder die Polizei. „Wir versuchen dann, doch noch einen Angehörigen ausfindig zu machen“, sagt Thomas Habich vom Fachbereich Ordnung der Stadt Gütersloh. „Dazu fahren wir raus und schauen uns in der Wohnung des Toten um“, erklärt Habich. In den meisten Fällen geht aus Papieren hervor, mit wem der Verstorbene in Kontakt stand. „Manchmal stehen auch irgendwo Telefonnummern von Freunden, die wir kontaktieren und informieren.“ Traurig ist, wenn es zwar An- gehörige gibt, diese jedoch nichts von dem Verstorbenen wissen möchten. „Das kommt mittlerweile sehr häufig vor. Es gibt Nachkommen, die standen mit ihren Eltern mehrere Jahre nicht in Kontakt“, sagt Habig. Manchmal kümmern sich statt- dessen Cousins und Cousinen, Tanten und Vettern um das Be- gräbnis – auch wenn sie recht- lich nicht dazu verpflichtet sind. „Viele schließen auch zu Lebzei- ten einen Bestattungs- vorsorgevertrag ab“, ergänzt Pe- ter Lohmann. Dass Menschen, die keine An- gehörigen mehr haben, besonde- re Wünsche zur Bestattung ha- ben, kommt in seltenen Fällen vor. „Wenn es geht, erfüllen wir die“, sagt Thomas Habich. Manchmal kommt es zum Bei- spiel vor, dass der Ehepartner schon vorher gestorben und be- reits eine Grabstelle vorhanden ist. „Dann organisieren wir, dass die Urne ebenfalls auf dem Grab bestattet werden kann“, stellt Habig fest. Mit bis zu 1500 Euro schlägt ein Ordnungsamtsbegräbnis zu Buche – Bestattungs- und Fried- hofskosten eingeschlossen. Kos- ten, die die Stadt häufig noch Monate später zurückfordert, wenn doch noch Angehörige ausfindig gemacht werden kön- nen. „Dann haben wir auch mit Klagen zu tun“, erklärt Habich. Angehörige, die Sozialleistun- gen beziehen, erhalten bei einem Trauerfall einen Zuschuss. Wenn eine Person, wie im ak- tuellen Bestattungsfall, mittel- los ist, kommt die Stadt für die Kosten auf, in der der Verstorbe- ne zuletzt seinen Wohnsitz hat- te. „Auch Obdachlose sind ir- gendwo gemeldet“, betont der Mitarbeiter. (mbo) Hintergrund Personenzahl bekommt man mit, wenn plötzlich jemand nicht mehr auftaucht. Oder es wird jemandem etwas zugetra- gen, wenn es ei- nem Besucher nicht gut geht oder er verstor- ben ist. Um si- cherzugehen, fragen wir nach beim Ord- nungsamt der Stadt, dem Betreuer oder rufen den Bestatter an. Denn niemand soll in Vergessenheit geraten. „Die Glocke“: Gibt es auch eine Trauerfeier? Rehbein: Nach der Beisetzung treffen sich alle Teilnehmer in unserer Einrichtung zu Kaffee und Kuchen, um einen guten Abschluss zu finden. In der kal- ten Jahreszeit gibt es eine Hüh- nersuppe. Außerdem haben wir in unseren Räumlichkeiten ein Kondolenzbuch ausgelegt, das an unsere verstorbenen Gäste erinnert. Auch an Silvester ge- denken wir noch einmal der Ver- storbenen aus unserer Einrich- tung. (mbo) ...Inge Reh- bein, Gründe- rin und Vorsit- zende der Gü- tersloher Sup- penküche, die der Verstorbe- ne regelmäßig besucht hat. „Die Glocke“: Frau Rehbein, Sie setzen sich für eine würde- volle Bestattung der Besucher der Gütersloher Suppenküche ein. Wie läuft diese ab? Inge Rehbein: Die Urnen wer- den zwar auf einem anonymen Gräberfeld bestattet. Die Bestattung läuft aber nicht ano- nym ab. Mitarbeiter, Gäste un- serer Suppenküche und Wegge- fährten geben dem Verstorbenen das letzte Geleit. Auch eine klei- ne Ansprache und Grabschmuck gehören dazu. Für mich hat das Ganze etwas mit Menschenwür- de zu tun. Denn Trauer ist keine Frage von Geld, Trauer trifft je- den. „Die Glocke“: Wie bekommen Sie mit, wenn jemand verstirbt? Rehbein: Jeden Mittwoch ha- ben wir bis zu 200 Gäste in der Suppenküche. Trotz der großen 3 3 Fragen an … Der feuerfeste Schamottstein wird als Be- weisstück mit in die Urne ge- legt. Die Beisetzung: Bestatter Peter Lohmann lässt die Urne herunter. 1878 in Gotha. Auf dem Biele- felder Senne- friedhof wur- den im Jahr 1912 die ersten Einäscherungen vorgenommen. Die Zahl der Feuerbestattun- gen nimmt von Jahr zu Jahr zu. In Bielefeld steigt sie jedes Jahr um etwa 500. „2003 hatten wir 3600. In diesem Jahr werden es um die 8000 sein“, sagt der Technische Leiter Bernd Wüll- ner. Außer der Menschenwürde über den Tod hinaus zählen Transparenz und Umweltschutz zu den Leitlinien des Krema- toriums. (mbo) Quellen: Krematorium Biele- feld, Wikipedia Die Verbrennung von Verstor- benen geht schon auf die Früh- geschichte und Antike zurück. Die Römer und Griechen kann- ten die Feuerbestattung. Im Christentum wurde sie viele Jahre abgelehnt: Grund ist der Glaube an die leibliche Aufer- stehung des Toten. Das führte dazu, dass Karl der Große im Jahr 786 Feuerbestattungen offi- ziell verboten hat. Erst Mitte des 19. Jahrhun- derts dachte man über die Ver- brennung von Leichen nach, da in Zeiten der Industrialisierung die Grabflächen in großen Städ- ten knapp wurden. Das erste Krematorium Europas wurde 1876 in Mailand eröffnet, das erste deutsche Krematorium Feuerbestattung Zahlen & Fakten Auf einem anonymen Gräberfeld des Avenwedder Friedhofs erfol- gen die Ordnungsamtsbestattungen der Stadt Gütersloh. Dass Angehörige die Bestattung organisieren und für die Kosten aufkommen müssen, ist im Be- stattungsgesetz NRW geregelt. „In der nachste- henden Rangfolge (sind) Ehegatten, Lebenspart- ner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Ge- schwister, Großeltern und volljährige Enkelkin- der“ bestattungspflichtig, heißt es in Paragraf 8. Erst wenn diese nicht vorhanden sind, springt das Ordnungsamt ein. (mbo) Beerdigungskosten Stich- wort Was geschieht, wenn ein einsamer Mensch verstirbt – und kein Angehöriger da ist? Dann kümmert sich die Stadt um die Beerdigung. In Güters- loh ist das keine Seltenheit: 50 bis 60 Begräbnisse sind es Jahr für Jahr. Die „Glocke“ hat den Todesfall eines 60-jährigen Mannes begleitet. Einsam, aber nicht allein Häufig kommt der Anruf von der Polizei oder vom Ordnungsamt Kühlräume, Waschräume und Abschiedsräume – alles ist bei ihm vorhanden. An diesem Vormittag hat Loh- mann zwei Bestattungen, die un- terschiedlicher nicht sein könn- ten: „Morgens das Ordnungs- amtsbegräbnis, mittags die Beer- digung eines bekannten Mannes mit Trauerfeier und Chor, der sei- nem Sangesbruder das letzte Ge- leit gibt“, stellt der Gütersloher fest. Wenn es jedoch um die Wür- de des Verstorbenen geht, gibt es für den Bestatter bei der Art der Beisetzung keinen Unterschied. Auch für ein Ordnungsamtsbe- gräbnis sucht er einen passenden Termin, wenn sich Weggefährten verabschieden möchten. In der Regel erfolgt die Beiset- zung in einer Urne. Dafür bringt Peter Lohmann den Sarg mit dem Leichnam zum Krematorium nach Bielefeld. die Ermittler abklopfen. Kommen die Beamten zu der Erkenntnis, dass es sich um einen natürlichen Tod handelt, schreiben sie einen Bericht an die Staatsanwalt- schaft Bielefeld. Sie gibt dann die Leiche frei, der Bestatter kann sie abholen. Koeckstadt: „Sind wir unsicher, wird der Tote obdu- ziert.“ Manchmal werden Verstorbene, die zurückgezogen lebten, erst spät entdeckt. „Das kommt aber sehr selten vor. Hier in Gütersloh achten die Menschen noch auf ihr Umfeld“, sagt Lohmann, der den Verstorbenen abgeholt und in sei- nen Räumen aufgebahrt hat. „Der Anblick von Leichen gehört für mich dazu. Aber ich glaube, das kann nicht jeder, da muss man he- reinwachsen“, sagt der Bestatter, der den Betrieb von seinem Vater Gustav übernommen und schon als Kind Verstorbene gesehen hat. Im Schnitt einmal in der Woche klingelt bei Peter Lohmann das Telefon. Dann bekommen er oder seine Söhne von der Polizei oder vom Ordnungsamt die Nachricht, dass sie einen Verstorbenen aus der Wohnung holen müssen. Auch im aktuellen Fall war die Polizei vor Ort. „Wenn für den Arzt die Todesursache ungeklärt ist, muss er die Polizei verständigen“, sagt Hartmut Koeckstadt, Todes- ermittler bei der Polizei in Gü- tersloh. Dann fahren er oder sein Kollege Michael Enk zum Fund- ort. 300 bis 320 Todesermittlungen pro Jahr sind das allein im Kreis Gütersloh. „Dazu gehört immer die Leichenbesichtigung“, sagt der Kriminalpolizist. Deuten Spuren auf eine Gewalteinwir- kung hin? Hat sich jemand Zu- gang zur Wohnung verschafft? Nur zwei von vielen Fragen, die mann. „Wenn es keine Angehöri- gen gibt oder sich niemand darum kümmern will, dann sind es we- nigstens Freunde.“ Bestatter Peter Lohmann und seine Söhne Matthias und Markus organisieren im Auftrag der Stadtverwaltung die anonymen Bestattungen. „Ordnungsamts- begräbnis“, wie es offiziell heißt. Denn die Behörde ist Auftrag- geber der Beerdigung und kommt für die Kosten auf. Sarg, Kissen, Totenhemd, Einäscherung, Schmuckgefäß für die Urne und Bestattung auf einem anonymen Gräberfeld gehören dazu. „Ein Pfarrer ist selten dabei. Wenn je- mand in der Kirche war und sich das wünscht, dann organisieren wir das“, sagt der Bestatter. tersloh ihre letzte Ruhe, die keine Angehörigen mehr haben. Oder Menschen, die auf Wunsch anonym bestattet werden möch- ten. Peter Lohmann zeigt auf ein Grabfeld direkt gegenüber der Kapelle. „Hier sind mehrere Ur- nen begraben“, sagt der Bestatter. Kein Stein, kein Holzkreuz weist auf die Verstorbenen hin. Niedri- ge Hecken umsäumen die Rasen- fläche. Selbst wenn die Grabstätte anonym ist – die Stadt weiß, wer wo begraben ist: Auf detaillierten Plänen ist genau verzeichnet, an welcher Stelle welche Urne liegt. Auch ist fast immer jemand da- bei, wenn es ums Abschiedneh- men geht: „Bei Beerdigungen bin ich ganz selten allein“, sagt Loh- letzter Gruß von Vereinsmitglie- dern der „Suppenküche“ und Freunden. Daneben Schaufel und Sand. Bestatter Peter Lohmann bringt das schwarze Schmuck- gefäß mit der Urne. Gemeinsam mit den Versammelten am Grab betet er das Vaterunser. In einer kurzen Ansprache gedenken die Menschen des Verstorbenen. Viel erfährt man nicht über die Per- son. Nur, dass er ihm zuletzt nicht sehr gut ging. Drei, vielleicht vier Minuten dauert die Zeremonie. Dann lässt Lohmann die Urne hi- nunter und verneigt sich vor dem Toten. Später werden sich die An- wesenden von ihrem Weggefähr- ten verabschieden. Auf dem städtischen Friedhof finden fast alle Menschen aus Gü- Von unserem Redaktionsmitglied MIRCO BORGMANN Zuletzt lebte er zurückgezogen in seiner Wohnung. Und trotzdem war er nicht allein. Den ehren- amtlichen Helfern der Güterslo- her Suppenküche war der mittel- lose Mann durch seine regelmäßi- gen Besuche bekannt – auch wenn diese bis zuletzt immer seltener wurden. Eines Tages kam der 60-Jährige gar nicht mehr: Fried- lich war er Anfang Oktober in sei- ner Wohnung eingeschlafen. Sieben Menschen haben sich an einem herbstlichen Morgen auf dem Friedhof in Gütersloh-Aven- wedde versammelt. Blumenge- steck und Schleife stehen neben dem geöffneten Urnengrab – ein

am Wochenende Einsam, aber nicht · PDF fileMitarbeiter. (mbo) Hintergrund Personenzahl bekommt man mit, wenn plötzlich jemand ... tersloher Sup-penküche, die der Verstorbe-ne regelmäßig

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am Wochenende Freitag, 1. November 2013Die Reportage

Menschenwürde gilt über den Tod hinausDie Kapelle mit rundem Kup-

ferdach aus dem frühen 20. Jahr-hundert liegt inmitten des Biele-felder Sennefriedhofs. Ein künst-lich angelegter Teich erlaubt diefreie Sicht auf das Gebäude. Einruhiger, parkähnlicher Ort. Etwasversteckt liegt das direkt angren-zende Krematorium an der Rück-seite des Gebäudes. Hier fahrenBestatter regelmäßig vor, um Ver-storbene zur Einäscherung zubringen. Auch Rolf Lohmann ausGütersloh.

„Wir haben einen Einzugsradi-us von 60 Kilometern. Aus Pader-born und Bielefeld werden Ver-storbene gebracht, aber auch ausRheda-Wiedenbrück und Güters-loh“, sagt Geschäftsführer Ull-rich Richter. Auch wenn die Zahlder Feuerbestattungen in den ver-gangenen Jahren zugenommenhat, gibt es besonders in katholi-schen Gegenden nicht viele Kre-matorien: Die nächsten in der Re-gion befinden sich in Hamm, Os-nabrück und Diemelstadt.

Peter Lohmann trägt den Na-men des Verstorbenen in das Ein-äscherungsbuch ein. Ein Mitar-beiter des Krematoriums nimmt

den Sarg mit dem Leichnam ent-gegen. Am nächsten Tag wird derGütersloher wieder nach Biele-feld fahren, um die Urne persön-lich in Empfang zu nehmen.

Derweil laufen in Bielefeld dieVorbereitungen für die Einäsche-rung. Dazu gehört die zweite Lei-chenschau: Mitarbeiter des Biele-felder Gesundheitsamts kommendrei Mal in der Woche vorbei.Noch einmal geht es darum, un-

natürliche Todesursachen ein-deutig auszuschließen.

Eine sechsstellige Nummer be-gleitet den Toten bis zur letztenRuhe. Sie steht auf dem Ein-äscherungsbeiblatt, auf Doku-menten und im Einäscherungs-buch. Name, Nummer, Datum derEinäscherung sowie Geburts-und Sterbedatum sind auf demDeckel der Urne eingestanzt.„Hinzu kommt der Schamottstein

als beweissicheres Zeugnis“, be-tont Bernd Wüllner, TechnischerLeiter des Krematoriums. Er wirdbei der Einäscherung auf denSarg gelegt.

Per Knopfdruck öffnet sich dieTür von einem der drei vorhande-nen Öfen. Über eine Schiene fährtder Sarg automatisch in den Eta-genofen ein. Vielleicht zehn Se-kunden ist Feuer zu sehen. Längernicht. Dann schließt sich dieKlappe wieder. „Unsere Mitar-beiter sehen die Verstorbenennicht“, betont GeschäftsführerRichter. 90 bis 120 Minuten dau-ert eine Verbrennung. Nach vierStunden kann die Asche entnom-men und in die Urne gefüllt wer-den. Der feuerfeste Schamott-stein mit der Nummer wird mit indie Urne gelegt.

Der pietätvolle Umgang mitdem Verstorbenen gehört zu denRichtlinien des Hauses. Ebensoder offene Umgang mit dem The-ma Tod. Regelmäßig gibt es Füh-rungen. „Bei manchen Religionenmuss auch ein Familienmitgliedbei der Verbrennung zugegensein. Diese Vorgabe erfüllen wir“,betont Wüllner.

Oft sind es Krankenhäuseroder Pflegeeinrichtungen, diesich bei der Stadt Güterslohmelden, wenn sie keinen Ange-hörigen ausfindig machen kön-nen oder auch wissen, dass esniemanden gibt. Manchmal sindes Betreuer oder die Polizei.„Wir versuchen dann, doch nocheinen Angehörigen ausfindig zumachen“, sagt Thomas Habichvom Fachbereich Ordnung derStadt Gütersloh. „Dazu fahrenwir raus und schauen uns in derWohnung des Toten um“, erklärtHabich. In den meisten Fällengeht aus Papieren hervor, mitwem der Verstorbene in Kontaktstand. „Manchmal stehen auchirgendwo Telefonnummern vonFreunden, die wir kontaktierenund informieren.“

Traurig ist, wenn es zwar An-gehörige gibt, diese jedochnichts von dem Verstorbenenwissen möchten. „Das kommtmittlerweile sehr häufig vor. Esgibt Nachkommen, die standenmit ihren Eltern mehrere Jahrenicht in Kontakt“, sagt Habig.Manchmal kümmern sich statt-dessen Cousins und Cousinen,Tanten und Vettern um das Be-gräbnis – auch wenn sie recht-lich nicht dazu verpflichtet sind.„Viele schließen auch zu Lebzei-ten einen Bestattungs-

vorsorgevertrag ab“, ergänzt Pe-ter Lohmann.

Dass Menschen, die keine An-gehörigen mehr haben, besonde-re Wünsche zur Bestattung ha-ben, kommt in seltenen Fällenvor. „Wenn es geht, erfüllen wirdie“, sagt Thomas Habich.Manchmal kommt es zum Bei-spiel vor, dass der Ehepartnerschon vorher gestorben und be-reits eine Grabstelle vorhandenist. „Dann organisieren wir, dassdie Urne ebenfalls auf dem Grabbestattet werden kann“, stelltHabig fest.

Mit bis zu 1500 Euro schlägtein Ordnungsamtsbegräbnis zuBuche – Bestattungs- und Fried-hofskosten eingeschlossen. Kos-ten, die die Stadt häufig nochMonate später zurückfordert,wenn doch noch Angehörigeausfindig gemacht werden kön-nen. „Dann haben wir auch mitKlagen zu tun“, erklärt Habich.Angehörige, die Sozialleistun-gen beziehen, erhalten bei einemTrauerfall einen Zuschuss.

Wenn eine Person, wie im ak-tuellen Bestattungsfall, mittel-los ist, kommt die Stadt für dieKosten auf, in der der Verstorbe-ne zuletzt seinen Wohnsitz hat-te. „Auch Obdachlose sind ir-gendwo gemeldet“, betont derMitarbeiter. (mbo)

Hintergrund

Personenzahl bekommt manmit, wenn plötzlich jemandnicht mehr auftaucht. Oder eswird jemandemetwas zugetra-gen, wenn es ei-nem Besuchernicht gut gehtoder er verstor-ben ist. Um si-cherzugehen,fragen wir nachbeim Ord-nungsamt derStadt, dem Betreuer oder rufenden Bestatter an. Denn niemandsoll in Vergessenheit geraten.

„Die Glocke“: Gibt es aucheine Trauerfeier?

Rehbein: Nach der Beisetzungtreffen sich alle Teilnehmer inunserer Einrichtung zu Kaffeeund Kuchen, um einen gutenAbschluss zu finden. In der kal-ten Jahreszeit gibt es eine Hüh-nersuppe. Außerdem haben wirin unseren Räumlichkeiten einKondolenzbuch ausgelegt, dasan unsere verstorbenen Gästeerinnert. Auch an Silvester ge-denken wir noch einmal der Ver-storbenen aus unserer Einrich-tung. (mbo)

...Inge Reh-bein, Gründe-rin und Vorsit-zende der Gü-tersloher Sup-penküche, dieder Verstorbe-ne regelmäßig

besucht hat.„Die Glocke“: Frau Rehbein,

Sie setzen sich für eine würde-volle Bestattung der Besucherder Gütersloher Suppenkücheein. Wie läuft diese ab?

Inge Rehbein: Die Urnen wer-den zwar auf einem anonymenGräberfeld bestattet. DieBestattung läuft aber nicht ano-nym ab. Mitarbeiter, Gäste un-serer Suppenküche und Wegge-fährten geben dem Verstorbenendas letzte Geleit. Auch eine klei-ne Ansprache und Grabschmuckgehören dazu. Für mich hat dasGanze etwas mit Menschenwür-de zu tun. Denn Trauer ist keineFrage von Geld, Trauer trifft je-den.

„Die Glocke“: Wie bekommenSie mit, wenn jemand verstirbt?

Rehbein: Jeden Mittwoch ha-ben wir bis zu 200 Gäste in derSuppenküche. Trotz der großen

33 Fragenan …

Der feuerfesteSchamottsteinwird als Be-weisstück mitin die Urne ge-legt.

Die Beisetzung: Bestatter PeterLohmann lässt die Urne herunter.

1878 in Gotha.Auf dem Biele-felder Senne-friedhof wur-den im Jahr1912 die erstenEinäscherungen vorgenommen.

Die Zahl der Feuerbestattun-gen nimmt von Jahr zu Jahr zu.In Bielefeld steigt sie jedes Jahrum etwa 500. „2003 hatten wir3600. In diesem Jahr werden esum die 8000 sein“, sagt derTechnische Leiter Bernd Wüll-ner. Außer der Menschenwürdeüber den Tod hinaus zählenTransparenz und Umweltschutzzu den Leitlinien des Krema-toriums. (mbo)

Quellen: Krematorium Biele-feld, Wikipedia

Die Verbrennung von Verstor-benen geht schon auf die Früh-geschichte und Antike zurück.Die Römer und Griechen kann-ten die Feuerbestattung. ImChristentum wurde sie vieleJahre abgelehnt: Grund ist derGlaube an die leibliche Aufer-stehung des Toten. Das führtedazu, dass Karl der Große imJahr 786 Feuerbestattungen offi-ziell verboten hat.

Erst Mitte des 19. Jahrhun-derts dachte man über die Ver-brennung von Leichen nach, dain Zeiten der Industrialisierungdie Grabflächen in großen Städ-ten knapp wurden. Das ersteKrematorium Europas wurde1876 in Mailand eröffnet, daserste deutsche Krematorium

Feuerbestattung Zahlen&Fakten

Auf einem anonymen Gräberfeld des Avenwedder Friedhofs erfol-gen die Ordnungsamtsbestattungen der Stadt Gütersloh.

Dass Angehörige die Bestattung organisierenund für die Kosten aufkommen müssen, ist im Be-stattungsgesetz NRW geregelt. „In der nachste-henden Rangfolge (sind) Ehegatten, Lebenspart-ner, volljährige Kinder, Eltern, volljährige Ge-schwister, Großeltern und volljährige Enkelkin-

der“ bestattungspflichtig, heißt es in Paragraf 8. Erst wenn diesenicht vorhanden sind, springt das Ordnungsamt ein. (mbo)

BeerdigungskostenStich-wort

Was geschieht, wenn eineinsamer Mensch verstirbt –und kein Angehöriger da ist?Dann kümmert sich die Stadtum die Beerdigung. In Güters-loh ist das keine Seltenheit:50 bis 60 Begräbnisse sind esJahr für Jahr. Die „Glocke“hat den Todesfall eines60-jährigen Mannes begleitet.

Einsam, abernicht allein

Häufig kommt der Anruf von derPolizei oder vom Ordnungsamt

Kühlräume, Waschräume undAbschiedsräume – alles ist beiihm vorhanden.

An diesem Vormittag hat Loh-mann zwei Bestattungen, die un-terschiedlicher nicht sein könn-ten: „Morgens das Ordnungs-amtsbegräbnis, mittags die Beer-digung eines bekannten Mannesmit Trauerfeier und Chor, der sei-nem Sangesbruder das letzte Ge-leit gibt“, stellt der Gütersloherfest. Wenn es jedoch um die Wür-de des Verstorbenen geht, gibt esfür den Bestatter bei der Art derBeisetzung keinen Unterschied.Auch für ein Ordnungsamtsbe-gräbnis sucht er einen passendenTermin, wenn sich Weggefährtenverabschieden möchten.

In der Regel erfolgt die Beiset-zung in einer Urne. Dafür bringtPeter Lohmann den Sarg mit demLeichnam zum Krematoriumnach Bielefeld.

die Ermittler abklopfen. Kommendie Beamten zu der Erkenntnis,dass es sich um einen natürlichenTod handelt, schreiben sie einenBericht an die Staatsanwalt-schaft Bielefeld. Sie gibt dann dieLeiche frei, der Bestatter kann sieabholen. Koeckstadt: „Sind wirunsicher, wird der Tote obdu-ziert.“

Manchmal werden Verstorbene,die zurückgezogen lebten, erstspät entdeckt. „Das kommt abersehr selten vor. Hier in Güterslohachten die Menschen noch auf ihrUmfeld“, sagt Lohmann, der denVerstorbenen abgeholt und in sei-nen Räumen aufgebahrt hat. „DerAnblick von Leichen gehört fürmich dazu. Aber ich glaube, daskann nicht jeder, da muss man he-reinwachsen“, sagt der Bestatter,der den Betrieb von seinem VaterGustav übernommen und schonals Kind Verstorbene gesehen hat.

Im Schnitt einmal in der Wocheklingelt bei Peter Lohmann dasTelefon. Dann bekommen er oderseine Söhne von der Polizei odervom Ordnungsamt die Nachricht,dass sie einen Verstorbenen ausder Wohnung holen müssen. Auchim aktuellen Fall war die Polizeivor Ort. „Wenn für den Arzt dieTodesursache ungeklärt ist, musser die Polizei verständigen“, sagtHartmut Koeckstadt, Todes-ermittler bei der Polizei in Gü-tersloh. Dann fahren er oder seinKollege Michael Enk zum Fund-ort.

300 bis 320 Todesermittlungenpro Jahr sind das allein im KreisGütersloh. „Dazu gehört immerdie Leichenbesichtigung“, sagtder Kriminalpolizist. DeutenSpuren auf eine Gewalteinwir-kung hin? Hat sich jemand Zu-gang zur Wohnung verschafft?Nur zwei von vielen Fragen, die

mann. „Wenn es keine Angehöri-gen gibt oder sich niemand darumkümmern will, dann sind es we-nigstens Freunde.“

Bestatter Peter Lohmann undseine Söhne Matthias und Markusorganisieren im Auftrag derStadtverwaltung die anonymenBestattungen. „Ordnungsamts-begräbnis“, wie es offiziell heißt.Denn die Behörde ist Auftrag-geber der Beerdigung und kommtfür die Kosten auf. Sarg, Kissen,Totenhemd, Einäscherung,Schmuckgefäß für die Urne undBestattung auf einem anonymenGräberfeld gehören dazu. „EinPfarrer ist selten dabei. Wenn je-mand in der Kirche war und sichdas wünscht, dann organisierenwir das“, sagt der Bestatter.

tersloh ihre letzte Ruhe, die keineAngehörigen mehr haben. OderMenschen, die auf Wunschanonym bestattet werden möch-ten. Peter Lohmann zeigt auf einGrabfeld direkt gegenüber derKapelle. „Hier sind mehrere Ur-nen begraben“, sagt der Bestatter.Kein Stein, kein Holzkreuz weistauf die Verstorbenen hin. Niedri-ge Hecken umsäumen die Rasen-fläche.

Selbst wenn die Grabstätteanonym ist – die Stadt weiß, werwo begraben ist: Auf detailliertenPlänen ist genau verzeichnet, anwelcher Stelle welche Urne liegt.Auch ist fast immer jemand da-bei, wenn es ums Abschiedneh-men geht: „Bei Beerdigungen binich ganz selten allein“, sagt Loh-

letzter Gruß von Vereinsmitglie-dern der „Suppenküche“ undFreunden. Daneben Schaufel undSand. Bestatter Peter Lohmannbringt das schwarze Schmuck-gefäß mit der Urne. Gemeinsammit den Versammelten am Grabbetet er das Vaterunser. In einerkurzen Ansprache gedenken dieMenschen des Verstorbenen. Vielerfährt man nicht über die Per-son. Nur, dass er ihm zuletzt nichtsehr gut ging. Drei, vielleicht vierMinuten dauert die Zeremonie.Dann lässt Lohmann die Urne hi-nunter und verneigt sich vor demToten. Später werden sich die An-wesenden von ihrem Weggefähr-ten verabschieden.

Auf dem städtischen Friedhoffinden fast alle Menschen aus Gü-

Von unserem RedaktionsmitgliedMIRCO BORGMANN

Zuletzt lebte er zurückgezogenin seiner Wohnung. Und trotzdemwar er nicht allein. Den ehren-amtlichen Helfern der Güterslo-her Suppenküche war der mittel-lose Mann durch seine regelmäßi-gen Besuche bekannt – auch wenndiese bis zuletzt immer seltenerwurden. Eines Tages kam der60-Jährige gar nicht mehr: Fried-lich war er Anfang Oktober in sei-ner Wohnung eingeschlafen.

Sieben Menschen haben sich aneinem herbstlichen Morgen aufdem Friedhof in Gütersloh-Aven-wedde versammelt. Blumenge-steck und Schleife stehen nebendem geöffneten Urnengrab – ein