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Andreas Gebesmair (Wien) Pop-Peripherie Österreich. Zur Bedeutungslosigkeit österreichischer Musik am globalen Musikmarkt Einleitung Das insbesondere von offiziellen Repräsentanten gerne bemühte Klischee des 'Musiklandes Österreich' steht in einem eklatanten Widerspruch zur ökonomischen Bedeutung österreichischer Mu- sikproduktionen. Zwar wird das internationale Orchesterrepertoire nach wie vor, wie der Wiener Musiksoziologe Desmond Mark nachgewiesen hat (Mark 1998), von der so genannten Wiener Klassik dominiert, der Anteil österreichischer Produktionen am globalen Tonträgermarkt, auf dem vor allem Popmusik nachge- fragt wird, ist aber äußerst gering. Der letzte große, von einem Osterreicher produzierte, internationale Hit (der 1986 immerhin drei Wochen lang die US Hitparade anführte) war Falcos Rock Me Amadeus. Allenthalben schaffen ein paar älplerisch angehauch- te Anzüglichkeiten den Sprung in die Hitparade des benachbar- ten Deutschlands (vgl. Weber in diesem Band). Doch selbst im eigenen Land ist den heimischen Produktionen lediglich ein Le- ben an der Pop-Peripherie beschieden, Der Anteil des heimi- schen Repertoires am Gesamtumsatz mit Tonträgern liegt nur et- was über 10%. Die Klagen über den schwindenden Anteil heimischer Musik am Tonträgermarkt und vor allem ihre mangelnde Repräsentanz in den heimischen Medien (eine Tatsache, die gerne als Hauptursa- che für den ökonomischen Misserfolg genannt wird) mögen dem berechtigten Unmut der Künstler und Künstlerinnen über die mangelnde Würdigung und Unterstützung ihrer kreativen Tätigkeit entspringen. Als kulturpolitisch motivierte Kritik laufen sie allerdings Gefahr, ins Fahrwasser chauvinistischer Identitätsdiskurse zu gera- ten. Wie sehr Initiativen zur Förderung heimischer Musik (z.13, im ASPM - Beiträge zur Popularmusikforschung 27/28 205

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Andreas Gebesmair (Wien)

Pop-Peripherie Österreich.Zur Bedeutungslosigkeit österreichischer Musik am globalenMusikmarkt

Einleitung

Das insbesondere von offiziellen Repräsentanten gerne bemühteKlischee des 'Musiklandes Österreich' steht in einem eklatantenWiderspruch zur ökonomischen Bedeutung österreichischer Mu-sikproduktionen. Zwar wird das internationale Orchesterrepertoirenach wie vor, wie der Wiener Musiksoziologe Desmond Marknachgewiesen hat (Mark 1998), von der so genannten WienerKlassik dominiert, der Anteil österreichischer Produktionen amglobalen Tonträgermarkt, auf dem vor allem Popmusik nachge-fragt wird, ist aber äußerst gering. Der letzte große, von einemOsterreicher produzierte, internationale Hit (der 1986 immerhindrei Wochen lang die US Hitparade anführte) war Falcos Rock MeAmadeus. Allenthalben schaffen ein paar älplerisch angehauch-te Anzüglichkeiten den Sprung in die Hitparade des benachbar-ten Deutschlands (vgl. Weber in diesem Band). Doch selbst imeigenen Land ist den heimischen Produktionen lediglich ein Le-ben an der Pop-Peripherie beschieden, Der Anteil des heimi-schen Repertoires am Gesamtumsatz mit Tonträgern liegt nur et-was über 10%.

Die Klagen über den schwindenden Anteil heimischer Musik amTonträgermarkt und vor allem ihre mangelnde Repräsentanz inden heimischen Medien (eine Tatsache, die gerne als Hauptursa-che für den ökonomischen Misserfolg genannt wird) mögen demberechtigten Unmut der Künstler und Künstlerinnen über diemangelnde Würdigung und Unterstützung ihrer kreativen Tätigkeitentspringen. Als kulturpolitisch motivierte Kritik laufen sie allerdingsGefahr, ins Fahrwasser chauvinistischer Identitätsdiskurse zu gera-ten. Wie sehr Initiativen zur Förderung heimischer Musik (z.13, im

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öffentlich-rechtlichen Rundfunk) die Instrumentalisierung für na-tionalistische Anliegen droht, zeigt die Tatsache, dass sich die seitFebruar des Jahres 2000 in Österreich Regierungsverantwortungtragende, rechtspopulistische FREIHEITLICHE PARTEI des Themas - zu-mindest kurzfristig angenommen hat, um damit nationale Res-sentiments gegenüber der Programmpolitik des österreichischenRundfunks zu schüren.<') Andererseits rückt die so genannte Con-tent-Industrie - der ja auch die Produktion von Musik zugerechnetwird - immer stärker ins Zentrum wirtschaffs- und beschäftigungs-politischer Diskussionen (vgl. Fuchs 2000). Gerade im digitalenZeitalter kommt der Herstellung audiovisueller Inhalte immer grö-ßere Bedeutung zu. So werden etwa im Draft Action Plan zur 'In-formation Society' der europäischen Kommission Maßnahmen zurStärkung der europäischen Audiovisions-Industrie in Betracht ge-zogen (vgl. European Commission 2000). Vor diesem Hintergrundgewinnen Analysen der Stärken und Schwächen regionaler Mu-sikproduktionssysteme an Relevanz, Die Frage der Wahrung oderStärkung kultureller Identitäten bleibt hier unberücksichtigt.

Die ohnehin seltenen, über eine Genre- und Szenebeschreibunghinausgehenden Analysen der österreichischen Popularmusik-produktion tendieren zu einer stark individualisierenden und psy-chologisierenden Sichtweise, die den Misserfolg letztlich auf indi-viduelle Defizite der Akteure, insbesondere der Künstler zurück-führt (Leopold 1995, Gröbchen 1995). Dabei wird ein geradezu'romantisches' Künstlerbild bemüht, demzufolge Künstler "wenn essein muss, zehn Jahre lang Fensterkitt fressen" sollten, "um dieChance, Nummer eins zu werden, nicht zu verpassen", wie der inden USA äußerst erfolgreiche österreichische Produzent PeterWolf in einem Interview meinte (nach Leopold 1995, S. 137). DieKünstler seien zu wenig konsequent, zu unehrlich und risikoscheu,ihnen mangele es an Selbstkritik und Ausdauer, so die kritischenAnalysen. Letztlich laufen sie auf jene Behauptung hinaus, dieimmer dann bemüht wird, wenn alle anderen Erklärungen versa-gen: "Qualität hat jede Chance, Erst recht international" (Gröb-chen 1995, S. 209) - wenngleich die Kriterien nach denen Qualitätbestimmt wird, im Dunkeln bleiben: Musik ist eben dann gut, wennsie erfolgreich ist.

Ebenso unzureichend sind die, den genannten Begründungendiametral entgegengesetzten Erklärungsversuche, die den man-gelnden Erfolg auf die Ignoranz der Hörer und Hörerinnen oderdie Unbilden eines wie immer auch gearteten Zeitgeistes zurück-führen. Die Musik würde halt (noch) nicht verstanden, sei zu gut,um kommerziell erfolgreich zu sein.

Zweifelsohne müssen die Produktionen gewissen Qualitätskriterienentsprechen, um international reüssieren zu können, und in denHörgewohnheiten der Konsumenten finden sie ihre ästhetischenGrenzen, obgleich sich immer mehr kommerziell nutzbare Ni-schen ausdifferenzieren, in denen andere Maßstäbe gelten. Inso-fern genießen diese beiden populären Erklärungsmodelle eingewisses Maß an Plausibilität (immerhin werden sie auch in aka-demischen Diskussionen häufig vorgebracht), Doch lassen sie vorallem den Umstand unberücksichtigt, dass Produktions- und Dis-tributionssysteme eine eigene Logik entwickeln, die kulturelle Tat-sachen (relativ) unabhängig vom kreativen Potenzial (das - wieanzunehmen ist - das tatsächliche technisch realisierte Repertoireüberschreitet) und (relativ) unabhängig von den gesellschaftli-chen Nachfragekonstellationen schafft (Peterson 1976, Becker1982, Bourdieu 1983). Diese relativ autonomen Milieus vermittelnzwischen kreativem Schaffen und Rezeption und verdienen eineselbständige Betrachtung.

So führt etwa Richard A. Peterson (1990) den Durchbruch desRock'n'Roll Mitte der 1950er-Jahre nicht ausschließlich auf dasmusikalische Potenzial und die demographischen und sozialenBrüche jener Zeit zurück - beides gab es auch zu anderen Zeit-punkten -, sondern vor allem auf die Veränderungen in der indus-triellen Produktionsumwelt, Als Rahmen dienten ihm dabei jenesechs Analyse-Kategorien, die Anfang der 1980er-Jahre unter derBezeichnung 'production-of-culture-pers pective ' aus der verglei-

chenden Analyse von Produktionsmilieus entwickelt wurden (Pe-

terson 1982) und auch in unserem Zusammenhang Verwendungfinden werden, Es handelt sich dabei um die Konzentration undIntegration als Merkmale der Industriestruktur, den organisatori-schen Aufbau der Konzerne, den Wandel der Technologien, dierechtlichen Rahmenbedingungen, um Marketingkonzepte undinstitutionalisierte Berufsrollen.

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Im Folgenden werden also die Defizite der österreichischen Pop-musikproduktion als strukturelle Defizite begriffen - und dies vorallem vor dem Hintergrund einer im hohen Maße transnationalagierenden Phonoindustrie. Erst in diesem globalen Kontext wirddie Situation verstehbar.(2) Bevor aber die strukturellen Gründe derpopmusikalischen Bedeutungslosigkeit Österreichs anhand dersechs Analysekategorien thesenhaft ausgeleuchtet werden, sol-len einige empirische Befunde dem Bild von der Pop-Peripherieeine gewisse Evidenz verleihen.

Einige empirische Befunde zum Stellenwertder österreichischen Phonoindustrie und ihres Repertoires

Die Aufgaben der Labels und ihr Repertoire

Was sind die eigentlichen Aufgaben der Tonträgerproduzenten(Labels)(3), was ist, wie dies in der Sprache der Wirtschaft heißt,ihre Kernkompetenz? Die triviale Antwort auf diese Frage lautet:Tonträger zu produzieren. Doch neben der rein künstlerischen undtechnischen Herstellung von Tonträgern - die zudem meist ausge-lagert ist - kümmern sich Schallplattenfirmen vor allem um dasArtist- & Repertoire-Management und das Marketing. Diese bei-den Aufgaben kennzeichnen sozusagen die Input- und Output-Funktion eines Systems (Hirsch 1972), das einerseits darauf abzielt,immer wieder neue Produkte aus dem Fundus musikalischenSchaffens entsprechend einer konkreten oder Imaginierten Nach-frage auszuwählen oder zu entwickeln (Input), und das sich an-dererseits eines Netzwerks von Vertriebs- und Promotionsmöglich-keiten bedient, um die Produkte möglichst gewinnbringend abzu-setzen (Output).

Der A&R-Manager agiert an der Schnittstelle zwischen Künstlerin-nen und Schallplattenfirma, nicht selten als mehr oder wenigerautonomer Consultant. Er stammt häufig selbst aus einer lokalenMusikszene und verfügt in der Regel über ein dichtes Netz vonKontakten zu lokalen Clubs und Veranstaltern, DJs, Studio Produ-zenten, Technikern, Anbietern von Proberäumen, Journalisten,

Radiostationen, Fanzines und ähnlichem, das ihn über potentielleVertragspartner informiert (Negus 1992). Zuweilen koordiniert undbeobachtet er auch den eigentlichen Produktionsprozess, der inder Regel von einem unabhängigen Produzenten geleitet wird.Gleichzeitig steht der A&R im unmittelbaren Kontakt zu den Mit-arbeiterinnen im Marketing, die an der Output-Seite der Phonoin-dustrie agieren. Diese muss er davon überzeugen, dass es sichlohnt, ein oftmals beträchtliches Marketingbudget in den Künstlerzu investieren, Andererseits stößt der A&R in der Marketingabtei-lung auch auf ein Regulativ, das nach dem Kriterium der Ver-marktbarkeit der Produkte auf den Produktionsprozess Einfluss zunehmen vermag.

Für die Mitarbeiterinnen im Marketing findet sich eine Vielzahl vonBezeichnungen - in der Regel in englischer Schreibweise: Marke-ting Manager, Product Manager, Marketing Research Manager,Strategic Marketing, International Exploitation/Special Interest,Sales Director, Promotion Manager, Advertising, PR-Manager -und das dann häufig noch mit den Beiwörtern 'international' oder'national'. 'Marketing' und 'Product Management' stehen in derRegel für alles, was mit der Entwicklung von (internationalen)Werbelinien (auch 'Images') zu tun hat, die 'Promotion'-Abteilungbedient im Gegensatz dazu die sogenannten 'gatekeeper' (vgl.Hirsch 1969) in Radio, Fernsehen und den Printmedien, die Ver-triebsabteilung ('Sales') kümmert sich schließlich vor allem um dieAuslieferung an die Händler und um alles, was damit zusammen-hängt,

Warum diese Darstellung der Kernkompetenz der Schallplattenin-dustrie, die der Mehrzahl der Leserinnen sicherlich geläufig ist? Siebildet den Rahmen der Bewertung, denn im Ungleichgewichtihrer beiden Kernfunktionen kommt das Defizit der österreichi-schen Schallplattenindustrie zum Ausdruck. Der Schwerpunkt derArbeit der österreichischen Tonträgerfirmen liegt, wie noch zuzeigen sein wird, auf dem Vertrieb und der Vermarktung von in-ternationalem Repertoire, das in der Regel schon 'vor-promotet '

ist. Der Vertreter der Österreich-Dependance eines Major-Labelsbeschreibt die Aufgabe folgendermaßen:

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"Wir haben über einen wechselseitigen Gesamtlizenzvertrag weltweit Zugriffauf praktisch alle Veröffentlichungen des Konzerns und jene, die uns vonSchwestergeselischaften angeboten werden. Diese werden je nach Erfolgsaus-sichten hier veröffentlicht. Damit beginnt die Promotion-Maschinerie zu lau-fen: es wird versucht eine Airplay-Situation zu schaffen, Gesprächsthemen zulancieren, Print-Journalismus zu Rezensionen und ausführlicher Berichterstat-tung zu bringen, etc. [...] Im ECM (European Community Meeting) werdeneinmal im Monat die European Priorities vereinbart und festgelegt" (zit. nachMediacult 2000).

Die A&R-Arbeit spielt demgegenüber nur eine untergeordneteRolle, wenngleich alle größeren in Österreich tätigen Labels - al-lerdings in unterschiedlichem Ausmaß - österreichische Künstlerund Künstlerinnen unter Vertrag haben (siehe Tabelle 1, S. 211).Sie werden von den heimischen Firmen produziert und mit unter-schiedlichem Erfolg national und international vermarktet.

Ökonomische Bewertung

Aus einer innerösterreichischen Perspektive lässt sich der Stellen-wert der Musikindustrie als Wertschöpfungsbeitrag zum Bruttoin-landsprodukt im Vergleich zu anderen Branchen darstellen (vgl.Scheuch 2000). Die Wertschöpfung ist der Umsatz einer Brancheabzüglich der Vorleistungen, also jener Kosten, die für Leistungenanderer (benachbarter) Betriebe anfallen. So entspricht der Wert-schöpfungsbeitrag der Labels in etwa dem Tonträgerumsatz ab-züglich der Aufwendungen etwa für Tantiemen, Tonstudios oderdie technische Herstellung, sofern diese nicht im eigenen Betrieberfolgt. Der verbleibende Betrag kommt im Wesentlichen denBeschäftigten im jeweiligen Segment zu. 1998 waren lautScheuch (2000) 42.537 Personen in der österreichischen Musikin-dustrie beschäftigt. Die Gesamtwertschöpfung betrug ATS 29.932Milliarden. Das ist immerhin mehr, als die chemische Industrie, dieKunststoff-Industrie oder die Kfz- und Kfz-Teile-Herstellung jeweilserwirtschafteten. Die Phonoindustrie, also die Musikindustrie imengeren Sinne mit den zuvor beschriebenen Kernkompetenzendes A&R-Managements und Marketings, hält in diesem gesamtenKomplex aber nur einen geringen Anteil von ATS 1.031 Milliarden -eine Wertschöpfung, die in etwa jener des Tonträgerhandels, der

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Musikverlage oder der Musikschaffenden im engeren Sinne, alsoder Komponisten, Texter und reproduzierenden Künstlern, ent-spricht.

Volkswirtschaftlich wesentlich relevanter sind etwa die Presswerkemit einem Wertschöpfungsbeitrag von ATS 3.3 Milliarden. Öster-reich verfügt mit der VIENNOLA GmbH (Margarethen am Moos),der SONY DADC AUSTRIA AG (Anif) und KOCH DIGITALDISC AG (Elbi-genalp) über große Presswerke, die Pressaufträge aus ganz Euro-pa übernehmen. Deshalb sagt auch diese Zahl nichts über denökonomischen Stellenwert des österreichischen Musikschaffensaus. Die größten Anteile an der auf den ersten Blick beachtlichenWertschöpfung der Musikindustrie halten aber neben den Mediendie Sektoren 'Veranstaltungen' (rund ATS 5 Milliarden) und 'Ausbil-dung' (rund ATS 6 Milliarden), die allerdings in hohem Maße öf-fentlich subventioniert werden.

Insgesamt zeichnet sich an den Ergebnissen dieser Studie bereitsdas oben angedeutete Ungleichgewicht zwischen Produktionvon (österreichischem) 'Content' und der Distribution (von interna-tionalen Medienprodukten) ab, das im Folgenden noch im Detailquantifiziert wird.

Tabelle 2 (siehe gegenüberliegende Seite) zeigt die Entwicklungdes Tonträgerverkaufs in Österreich seit 1988 entsprechend denoffiziellen Statistiken des Dachverbandes der phonographischenIndustrie, der IFPI Austria. Während der Gesamtumsatz im Tonträ-gerhandel kontinuierlich stieg (seit der Einführung der CD 1983 hater sich sogar mehr als vervierfacht), sank der Anteil des heimi-schen Repertoires(4) (Domestic) und liegt nun etwas über 10%.

Tabelle 2

Tonträgerverkauf in Österreich

Jahr Einzelhandelswert*)in Mio ATS

Pop internat,in %

Domesticin %

Classicin %

1988 1.661 73,0 15,0 12,0

1989 n.v. 75,7 12,9 11,4

1990 n.v. 76,6 12,6 10,8

1991 3.060 76,5 12,4 11,1

1992 3.250 76,8 12,7 10,5

1993 3.756 78,8 12,2 9,0

1994 3.950 78,1 12,8 9,1

1995 4.123 81,3 10,5 8,3

1996 4.266 82,0 9,3 8,7

1997 4.350 80,6 10,7 8,6

1998 4.290 80,5 10,8 8,7

1999 4,170 81,0 10,8 8,2

*) "Current Value", d.h. die Werte wurden nicht um die Inflationsratebereinigt.Quelle: Sound & Media spezial 1999 und 2000, IFPI 1999 und Presse-ausendungen der IFPI Austria.(Die in den Quellen angegebenen Zahlen differieren teilweise beträchtlich.Im Ifpi world report (IFPI 1999) werden etwa für den 'domestic share' 1997und 1998 15% angegeben. Wenn möglich wurden die Zahlen der IFPIAustria verwendet,)

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Die Tabelle repräsentiert recht gut den Stellenwert der beidenHauptaufgaben der Phonoindustrie in Österreich. Im Vordergrundsteht die Leistung an der Outputseite, die Distribution - eben desinternationalen Repertoires. In dieser Hinsicht ist die phonographi-sche Industrie auch im internationalen Vergleich äußerst effizient,Trotz der geringen Einwohnerzahl befindet sich Osterreich um-satzmäßig unter den Top 20 Tonträgermärkten, bezogen auf dieEinwohnerzahl, also beim Pro-Kopf-Verkauf, sogar unter den Top10 (IFPI 1999), Das lokale Repertoire - als Indikator für die A&R-Funktion der Labels - spielt im internationalen Vergleich aber einesehr geringe Rolle. Ein noch geringerer 'domestic share' wird le-diglich für Kanada und die Schweiz ausgewiesen. In den meisteneuropäischen Ländern liegt er über 40%, für so unterschiedlicheLänder wie die USA, die Türkei, Ägypten, Indien, Pakistan, Japanund Brasilien werden Werte über 70% angegeben (IFPI 1999).

Betrachten wir abschließend den Beitrag Österreichs zum interna-tionalen Repertoire. In den USA und in Großbritannien fanden sichösterreichische Produktion so gut wie nie unter den Top 10. FalcosRock Me Amadeus schaffte es 1986 auf Platz 1 (worauf zu verwei-sen die Österreicher nicht müde werden), Vienna Calling inGroßbritannien immerhin noch auf Platz 10. Opus erreichten einJahr zuvor mit ihrem Hit Live is life Platz 6 in UK und Platz 32 in denUSA, die Bingoboys, ein österreichischer Danceact, waren 1991auf Platz 25 in den BILLBOARD HOT 100. Ansonsten blieben die inter-nationalen Erfolge österreichischer Künstler auf Deutschland be-schränkt. Unter den Top 10 befanden sich - sieht man von denSchlagerstars der 1950er und 1960er Jahre (Peter Alexander,Freddy Quinn, Lolita etc.) und dem Langzeit-Entertainer UdoJürgens einmal ab - in chronologischer Reihenfolge Waterloo &Robinson, Penny McLean (später Silver Convention), Gilla, Super-max, Jenny Hill, Bilgeri, Peter Cornelius, Falco, Andy Borg, DÖF,Opus, Erste Allgemeine Verunsicherung, Reinhard Fendrich, Edel-weiss und jüngst Anton feat. DJ Ötzi, wobei einige von diesen ihreSchallplatten ohnehin in Deutschland und bei deutschen Labelsproduzierten (vgl. Mediacult 2000).

Die gegenwärtigen Bestrebungen, in Österreich Künstler aufzu-bauen, die als internationales Repertoire fungieren könnten, sindzwar teilweise sehr ehrgeizig, aber nur von beschränktem und

doch eher regionalem Erfolg begleitet: Count Basic, Sandra Pires,Unique II, Tim Tim, 2 In One, Whatz Up, Paradise Now! - um nureinige zu nennen - blieben Lokalmatadore, wenngleich sie auchin vielen anderen Ländern veröffentlicht wurden. Immerhin:Unique II berichten auf ihrer Web Site, dass sie mit Break My Stridein Tschechien und Neuseeland einen Number 1 Hit hatten und esin Dänemark, Polen, Irland, Nicaragua und Venezuela unter dieTop 10 schafften. Und von Tim Tim !st zu erfahren, dass sie auf die"Playlist von IRIE FM, DER No. 1 Radiostation auf Jamaika" kamen.Der aktuellste österreichische Shooting-Star Marque hat mit derösterreichischen Phonoindustrie so gut wie nichts zu tun. Er lebt inStuttgart und ist, soweit bekannt !st, bei EDEL in Deutschland unterVertrag. Das kann bereits als ein Hinweis auf strukturelle Problemeder österreichischen Phonoindustrie gewertet werden.

Strukturelle Gründe der popmusikalischen Bedeutungslosigkeit

Ö3 ist schuld I

Die mangelnde Unterstützung durch die Rundfunkstationen undinsbesondere den öffentlich-rechtlichen Popsender Ö3 wird ger-ne als Hauptargument in Debatten über die österreichischePopmisere vorgebracht. Doch soll weiter unten gezeigt werden,dass viele Probleme der österreichischen Phonoindustrie der Dy-namik einer im hohen Maße globalisierten Musikindustrie und denglobalen Strategien der transnationalen Konzerne geschuldetsind. Bevor ich auf diese strukturellen Rahmenbedingungen zusprechen komme, sei die Rolle des ORF kurz erläutert. WelcheSchuld trägt der Österreichische Rundfunk am 'Ende des Austro-Pops'?

In den Jahren 1996 und 1997 wurde infolge der Radioliberalisie-rung auf 03 eine radikale Programmreform durchgeführt, bei derder Sender unter der Anleitung einer deutschen Consultingfirmaauf ein 'Adult Contemporary'/'Middle of the Road'-Format ein-schwenkte. Dieser Reform fiel auch in hohem Maße das österrei-chische Repertoire zum Opfer. Die Sendezeitstatistik (siehe die

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Tabelle 3, auf gegenüberliegender S. 217) der AKM, der österrei-chischen Autoren- und Komponistengesellschaft, weist den Pro-zentsatz der Werke von AKM-Mitgliedern an der Gesamtsendezeitder jeweiligen ORF-Programme aus, wobei zu berücksichtigen ist,dass die für Signations oder Werbungen komponierte Musik derAKM-Komponistlnnen miteingerechnet ist. Der Anteil österreichi-scher Musik auf 63 stieg bis 1996 kontinuierlich an und brachdann abrupt ein. Er liegt nun bei etwas über 15%. Kurzfristig konn-ten die Regionalradios den Rückgang ein wenig abfedern. Letzt-lich zeigt sich aber auch dort ein kontinuierlicher Rückgang, wennsich auch in dieser Hinsicht die Regionalradios in den einzelnenBundesländern beträchtlich unterscheiden, Die Rolle des zweitenöffentlich-rechtlichen Pop-Senders FM4, der bis 1999 lediglich alsFenster in den Abend- und Nachtstunden lief, als Promoter inno-vativer österreichischer Popmusik ist momentan noch nicht abzu-schätzen, Jetzt, wo er als zweisprachiges Vollprograrnm läuft, liegtsein Marktanteil bei 2%. Wenn der Anteil weiter ansteigt, könntehier eine wichtige Plattform für österreichische Popmusik entstehen.

Ö3 spielte seit seiner Gründung im Jahre 1967 eine wichtige Rollebei der Förderung des sogenannten Austro-Pops (vgl. Larkey1993, Ottawa 2000). Mit der Programmreform 1996/97 verlor 63aber seine Bedeutung als Promotion-Plattform für österreichischePopmusik. Der Protest der österreichischen Musikerinnen bliebnicht aus (vgl. Ottawa 2000). Eine, vor allem von der Musikergilde(eine Interessensvertretung der österreichischen Musiker im Be-reich der populären Musik) und der Sektion Musik im KMfB (dieVertretung von Kunst, Medien und freien Berufen im Gewerk-schaftsbund) getragene und von vielen Organisationen (Verwer-tungsgesellschaften, Tonträgerproduzenten, Verlagen etc.) unter-stützte Bewegung forderte die Einführung von gesetzlich vorge-schriebenen Quoten, die den ORF zur Ausstrahlung eines be-stimmten Anteils österreichischer Musik in ihren Programmen ver-pflichten sollten. Dieses unter dem Titel Die österreichische Noteauch neuerdings wieder vorgetragene Anliegen (vgl. INFO, In-formation der Sektion Musik, Nummer 4, September 2000) wird mitdem Verweis auf den zuweilen viel höheren Anteile heimischerMusik in den Radiostationen anderer Länder unterstrichen.

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Doch gerade dieser Vergleich lässt Zweifel an der Sinnhaffigkeitvon gesetzlich geregelten Quoten aufkommen, Denn der hoheAnteil in den ausländischen Medien kommt - sieht man vonFrankreich ab, wo allerdings die Regelungen nun wieder gelo-ckert werden - ohne gesetzliche Vorschreibungen zustande undberuht wohl vor allem auf einer bei weitem vitaleren und poten-teren Popmusikszene. Damit ist die eigentümliche Symbiose vonPhonoindustrie und Medienindustrie angesprochen und ebenjener kausale Zusammenhang, der in beide Richtungen gedachtwerden kann: der Erfolg von Musik im Radio ist abhängig vomReichtum der Musikszene !m Land und deren Erfolg ist wiederumabhängig vom sogenannten Airplay (vgl. Hirsch 1969). Ein Ver-gleich der Sendezeitstatistik mit der Entwicklung des Anteils desheimischen Repertoires am österreichischen Tonträgermarkt (Ta-belle 3, rechte Spalte) stützt - vorbehaltlich aller methodischerSchwächen dieses Vergleichs - eher die These, dass die Radio-programmierung dem Angebot und der Nachfrage am Tonträ-germarkt folgt. Ein kausaler Effekt der Programmpolitik des ORFsauf den Tonträgerverkauf ist darin nicht zu erkennen - die Einbrü-che im 'domestic share' gehen der Reduktion österreichischerMusik !m Radio zeitlich voraus!

Zweifelsohne trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Bezug aufdie Förderung heimischer Musik eine gewisse Verantwortung. EineStrukturanalyse, die im mangelnden Airplay die Hauptursache fürden mangelnden Erfolg sieht, greift allerdings zu kurz (vgl. Leopold1995, Gröbchen 1995), Die folgenden sechs Thesen nehmen aufjene 'constraints' Bezug, die nach Peterson (1982) den Rahmenkultureller Produktionsprozesse bilden. Es handelt sich hier um einerstes Brainstorming, dessen Annahmen In vieler Hinsicht einergenaueren Prüfung bedürfen.

Sechs Thesen zu den strukturellen Nachteilen der österreichischenPhonoindustrie

Zur Industriestruktur - These 1:

Die gegenwärtige Industriestruktur am Tonträgermarkt mit ihremenormen Ausmaß an globaler Konzentration und Integration und

die daraus resultierende Macht der Major-Labels fördert dieweltweite Vermarktung einiger weniger (hoch homogenisierter)Megahits. Mit diesen Megahits lukrieren die Majors einen immer

größeren Anteil ihres globalen Umsatzes. Acts aus kleinerenLändern haben es schwer, sich gegenüber diesem

'internationalen Repertoire' zu behaupten.

Sicherlich, die Konzentration steigt seit den 1970er-Jahren kontinu-ierlich und hat !n den 1980ern und 1990ern ein monopolartigesAusmaß erreicht (Burnett 1996). 5 Majors teilen sich 80 bis 90% desWeltmarktes. Und tatsächlich beginnen Mitte der 80er-Jahre dieglobal als Trade-Marken verbreiteten Megastars für den Umsatzder Majors an Bedeutung zu gewinnen. Es !st das Jahrzehnt, !ndem Michael Jackson, Prince, Madonna, Whitney Houston, PhilCollins und ein paar andere Mega-Stars als Internationale Mar-kennamen aufgebaut (off auch in Verbindung mit anderen Kon-sumgütern wie z,B. Pepsi Cola) und international vermarktet wur-den, Michael Jackson etwa soll von seinem 1983 erschienenenAlbum Thriller bis Mitte der 90er weltweit 60 Millionen Stück ver-kauft haben und hält damit den Verkaufsrekord. (Das vor Weih-nachten 2000 erschienene Album mit den No.1-Hits der Beatles istallerdings dabei, ihm den Rang abzulaufen.) Unterstützt wurdeder Siegeszug der globalen Mega-Acts durch ein Anfang der1980er Jahre neu entstandenes Medium: das weltweit über Satellitund Kabel verbreitete Musik-TV, auf dem aufwendig produzierteVideoclips, die neuen Images der Stars vermittelten (dazu später).

Auch jüngst wurde wieder von neuen Rekorden junger Megastarsberichtet. Drei vom Independent-Label Jive produzierte Teenie-Acts brachen im letzten Jahr hintereinander die Wochen-Verkaufsrekorde: Die Backstreet Boys verkauften vom AlbumMillennium in einer Woche 1,13 Millionen Exemplare, BritneySpears von Oops!... I Did It Again 1,3 Millionen und *N'Sync von No

strings Attached sogar 2,4 Millionen (BILLBOARD, 3. Juni 2000). Das !st

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nur möglich, weil die Acts mittels einer aufwendigen Marketing-Maschinerie zeitgleich global vermarktet werden.

Musiker und Musikerinnen aus kleineren Ländern haben es inso-fern auch schwer, sich gegen diese Megasellers zu behaupten,da sie in den internationalen Vertrieb erst übernommen werden,wenn sie auf entsprechende Verkaufserfolge am nationalen Ton-trägermarkt verweisen können. Allerdings gilt es diese Behaup-tung zu relativieren: Das bevölkerungsmäßig etwa gleich großeSchweden trägt mit Künstlern und Bands wie Ace of Base, JenniferBrown, The Cardigans, Eagle-Eye-Cherry, Dr Alban, Emilia undRoxette wesentlich zum internationalen Repertoire bei. Abgesehenvom Imagefaktor, der mit diesen schwedischen Aushängeschil-dern innovativer Popmusik verbunden ist, sind sie auch in ökono-mischer Hinsicht nicht unbedeutend. Robert Burnett (2001) er-rechnete im Auftrag schwedischer Musikorganisationen Einnah-men aus dem Export schwedischer Musik in Höhe von rund 2 Milli-arden Kronen (das sind ca. US$ 250 Millionen). Dieser Erfolg hängtunter anderem mit der veränderten globalen Struktur der Majorszusammen. Sie unterhalten globale Verbindungen zu regionalenTochtergesellschaften und über Vertriebsabkommen auch zuIndependents, über deren kreative Ressourcen jederzeit verfügtwerden kann, um flexibel auf Marktveränderungen zu reagieren.Keith Negus (2001) nennt dies Po rtfolio-Management, wobei dasPortfolio aus den regionalen Repertoires oder den Genres zu-sammengestellt ist. Damit sind wir bei der nächsten Analysekate-gorie, der Organisationsstruktur,

Zur Organisationsstruktur - These 2:

Österreichisches Repertoire wird traditionell für den deutsch-sprachigen Markt produziert (und nicht für den englisch-

sprachigen, wie etwa das schwedische). Im Zuge der globalenNeupositionierung der Majors (Eigentümerwechsel, Fusionen, ...)geraten die österreichischen Töchter immer stärker unter den

Einfluss der deutschen Departments, die den gesamtenGermany-Switzerland-Austria (GSA)-Bereich mitbetreuen.

Tatsächlich gibt es einige Anzeichen dafür, dass die österreichi-schen Töchter immer stärker in die Abhängigkeit der deutschenGSA-Depa rtments der Majors geraten. Der ehemalige Musikjour-

nalist Walter Gröbchen etwa betreut als A&R-Manager für UNIVER-SAL von Hamburg aus auch Österreich. UNIVERSAL MUSIC ÖSTERREICHwurde in den letzten Jahren nach Aussage ihres Geschäftsführers'abgespeckt' (Sound & Media spezial 2000, 4). Eine ähnliche Rollewie Gröbchen spielt Horst Unterholzner, der zwar seinen Sitz nochin Wien hat, aber als A&R-Consultant sowohl für EMI-AusTRIA alsauch EMI-ELECTROLA GERMANY tätig ist. Acts, die vielversprechendsind, werden in Deutschland weiterbetreut. Der Vorbild- und Pro-fessionalisierungseffekt, den etwa Abba in Schweden hatten, gehtdamit für Österreich verloren. Im Juni des letzten Jahres las man(Sound & Media 11/23. Juni 2000) von der Umstrukturierung derKonzern-Tochter SONY Music ÖSTERREICH. Der langjährige Geschäfts-führer 'verließ' (wie es höflich hieß) die Firma, die Mitarbeiter inÖsterreich sind nun unmittelbar dem SONY-GERMANY-Chef inDeutschland, Jochen Leuschner, unterstellt. Und man darf bereitsspekulieren, was mit den österreichischen Töchtern von EMI undBMG passiert, wenn, wie in einigen Branchenbläffern zu lesen ist,die Konzerne in Zukunft stärker kooperieren werden. Der langjäh-rige Chef der BMG ARIOLA AUSTRIA, Harald Büchel, hat jedenfallsaufgrund des immer enger werdenden Handlungsspielraumesbereits das Handtuch geworfen,

Im Großen und Ganzen läuft die Organisation der Majors auf dieBildung eines großen deutschsprachigen Departments hinaus, indem die Interessen der österreichischen Labels immer wenigerberücksichtigt werden. Allenfalls agieren sie noch als Promotions-abteilungen für den österreichischen Markt, die A&R-Arbeit wirdfast nur noch von Consultants und den wenigen verbleibendenIndependents wahrgenommen.

Zur Technologieentwicklung - These 3:

Das über Satellit und Kabel verbreitete Fernseh-Format 'Musik-fernsehen' (MTV) und das Tonträgerformat 'CD' waren die

wesentlichen Motoren, mit denen die Phonoindustrie bis in die1990er-Jahre das Wachstum antrieb. Damit ging im Vergleich zu

den 'billigen' Produktions- und Distributionstechnologien Vinyl,MusiCassette und Radio eine enorme Re-Zentralisierung einher.

Neue technische Formate gewährleisten in der Regel auch dieKontrolle der Produktions- und Distributionskanäle. Nur wer über

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Lizenzen und ausreichende ökonomische Mittel verfügt, um sichdieser Technologien zu bedienen, kann sein Repertoire globalvermarkten. Während die traditionellen Technologien (vor allemMagnettonband und Radio) auch kleineren Produzenten zu-gänglich waren, entstanden Anfang der 1980er-Jahre mit denneuen Formaten neue Zutrittsbarrieren zum Markt. Ein ähnlicherKonflikt zeichnet sich gegenwärtig bei den digitalen Formaten imInternet ab. Während das Audio-Format MP3 den Markt geöffnethat, zielt die Secure Digital Music Initiative der Majorindustrie aufdie Kontrolle und Zentralisierung der Internet-Distribution ab (vgl.Gebesmair 2001).

Österreich erwuchs aus dem Wechsel des Tonträgerformats vonder Langspielplaffe zur CD allerdings kein Nachteil. Franz Kocherhielt sehr früh eine Lizenz zur CD-Herstellung und begann, in Tirolsein Werk aufzubauen. Später folgten weitere Presswerke, wiejenes von SONY in Anif oder das von VIENNOLA in Margarethen amMoos, wo jeder relativ preiswert CDs herstellen lassen kann - so-fern die urheberrechtlichen Fragen geklärt sind.

Eine Benachteiligung ergibt sich allerdings sehr wohl durch dieEinführung von Musik-TV-Kanälen und deren zunehmende Rele-vanz für die Promotion. Zum einen ist die Herstellung von qualitativhochwertigen Videos relativ teuer. Die Kosten können sich nur beieinem entsprechenden Marktanteil amortisieren. Zum anderengibt es keinen österreichischen Musikfernsehkanal, sieht man voneinzelnen Schienen im ORF-Fernsehen ab. Bei den internationalenKanälen stehen die Chancen für österreichische Produkte nichtbesonders hoch, zumal die relevanten Kontakte zu den 'gate-keepers' fehlen.

Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen - These 4:

Viele der rechtlichen Regelungen dienen den großen trans-nationalen Konzernen und den Megastars. Freihandels-

abkommen und die Absage an staatliche Fördersystemeverschärfen den Wettbewerb, von den Kartell- und Medien-

behörden droht den Majors kaum eine Gefahr und das Copyrightgewährleistet in erster Linie die Einkünfte der großen Verlage -

die sich wiederum in Besitz der Majors befinden.

Diese etwas flapsig formulierte These bedürfte sicherlich einergenaueren Prüfung. Die Verhandlungen über den freien Handelzwischen den USA und Europa und die Entscheidungen der Kar-tellbehörden sind hochkomplex, die Interessenslagen teilweiseschwer zu beurteilen, (Immerhin scheiterte der geplante Zusam-menschluss von WARNER und EMI an den strengen Auflagen dereuropäischen Kartellbehörde.) Die Annahme, dass das Copyrightin erster Linie den Majors dient, wurde aber schon mehrfach be-stätigt. Immerhin verfügen EMI und WARNER zusammen über einenKatalog von 2 Millionen rechtlich geschützter Titel - das ist unge-fähr ein Drittel des Repertoirevolumens aller Verlage. Daran kanndas Ausmaß der Ungleichverteilung im globalen Tantiemenge-schäff bereits ermessen werden.

Der globale Umsatz im weltweiten Copyright-System 1997 wird mitUS$ 6,299 Milliarden angegeben (nmpa 1999). Wer profitiert da-von, wie wird die Summe aufgeteilt? Die Angabe von exaktenZahlen ist hier mit großen Schwierigkeiten verbunden und im glo-balen Maßstab nicht mehr nachzuvollziehen, da die Tantiemenmeistens über mehrere Subverleger weiterverrechnet werden. Fürdie eigentlichen Urheber bleibt da manchmal recht wenig übrig.

In einer von der Monopolies and Mergers Commission, der briti-schen Kartellbehörde, 1996 veröffentlichten Studie wurde dieEinkommensverteilung der Bezugsberechtigten der britischenPerforming Rights Society veröffentlicht. Die Lorenzkurve (der ku-mulierten Anteile) zeigte eine enorme Unglelchverteilung. 10% derBezugsberechtigten bekamen 90% der Tantiemen (Wallis et al.1999). Auch die Angaben der österreichischen Verwertungsge-sellschaften deuten auf eine ähnliche Verteilung hin. Nur 10 der6.511 Urheber und Rechtsnachfolger erhielten 1998 aus der Ver-wertung der mechanischen Rechte mehr als ATS 1 Mio., weitere21 zwischen ATS 0,5 und 1 Mio. Unter den Verlegern sind es 6 von317, die mehr als ATS 10 Mio. verdienten, weitere 17 zwischen ATS1 und 10 Mio. (Jahresbericht 1998 der austro mechana).

Andererseits tragen manche großen Nutznießer zum globalenTantiemenaufkommen verhältnismäßig wenig bei (vgl. nmpa1999). Wenn man z.B. die USA mit den anderen Ländern ver-gleicht, tritt ein seltsames Missverhältnis zu Tage. Denn obwohl die

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USA etwa 3,3 mal so viele Einwohner hat als Deutschland undeinen 4,4 mal höheren Umsatz am Tonträgermarkt, sind die Copy-righteinnahmen nicht einmal doppelt so hoch. Insgesamt sind dieeuropäischen Urheberrechtsregelungen und vor allem die Ver-wertungsgesellschaften, die für die Urheber das Inkasso durchfüh-ren, relativ effizient. Zudem konnten bislang auch Umverteilungs-bemühungen von den Etablierten zum Nachwuchs wie z.B. imRahmen der sozialen und kulturellen Einrichtungen wahrgenom-men werden. Gerade in Österreich ist der von der Verwertungs-gesellschaft eingerichtete sogenannte SKE-Fonds eines der weni-gen Förderinstrumente im Bereich der Popularmusik. Die Verwer-tungsgesellschaften kommen durch den wachsenden Einfluss derMajors über ihre Verlage aber zunehmend unter Druck, zumal siein erster Linie danach trachten, ihr Repertoire urheberrechtlichglobal auszuwerten - ohne Rücksicht auf die Interessen der weni-ger etablierten Urheber (Wallis et al. 1999).

Am deutlichsten wird die Instrumentalisierung der rechtlichenRahmenbedingungen zugunsten der Majors in der gegenwärti-gen Debatte zum urheberrechtlichen Schutz von Musik im Inter-net (vgl. Gebesmair 2001). Ohne die Dimensionen dieser äußerstkomplexen und die Musikindustrie revolutionierenden Entwicklunghier näher erläutern zu können, laufen die Bestrebungen der gro-ßen Konzerne unzweifelhaft auf die Einschränkung der individuel-len und dezentralen Nutzung der neuen technischen Formatehinaus.

Zu den Marketingstrategien - These 5:

Die österreichischen Labels haben zulange auf Altbewährtes(Austro-Pop) gesetzt, ohne neue Marktsegmente wahrzunehmen.

Dazu ein Ausschnitt aus einem Interview mit einem A&R-Managereines Majorlabels, der nach einem langen Lamento über denZustand des Musikjournalismus, der Musikpädagogik und der Mu-sikpolitik in diesem Land auf die Frage nach der Schuld der Pho-noindustrie eingestand:

"Die Phonoindustrie, glaube ich, hat folgenden Fehler gemacht - das ist meinepersönliche Meinung: Man hat bis Mitte/Ende der 80er Jahre ganz gut vom sogenannten Austro-Pop gelebt, von Leuten wie Danzer, Fendrich, Ambros etc.

und hat dabei vergessen, rechtzeitig junge frische Talente aufzubauen. Alsdann 03 diese sehr brutale Senderreform Mitte der 90er durchgezogen hat unddem klassischen Austro-Pop von einem Tag auf den anderen die Lebensfähig-keit entzogen hat, stand die ganze Branche plötzlich vor einem Vakuum. Undzwar vor einem schlimmen Vakuum. Das lässt sich nicht innerhalb von ein,zwei Jahren füllen. Die Schuld der Record-Companies, da muss man selbstkri-tisch sein, war es wahrscheinlich, sich in den 80er Jahren zu lange auf den ei-genen Lorbeeren auszuruhen" (zit. n. Mediacult 2000).

Peterson (1990) interessiert unter der Analysekategorie 'market'nicht so sehr die Frage, wie sich die Nachfrage oder der Ge-schmack tatsächlich ändern, sondern wie die Phonoindustrie dieNachfrage wahrnimmt. Dieses 'Wahrnehmen' einer spezifischenNachfrage durch die Phonoindustrie ist ein Konstruktionsakt, deraus der Vielfalt von musikalischen Vorlieben diskrete Genrekate-gorien macht, mit denen sowohl die Märkte organisiert werdenals auch die Produktionseinheiten in der Organisation eines Ma-jors.

"What is most important in shaping the decisions of those in the culture in-dustry is not the preferences of the population of actual or potential consumers,but rather their preferences as these are understood by decision-makers in theculture industry " (Peterson 1990, S. 111; im Original kursiv).

Diesbezüglich zeigt sich, dass gerade die neueren Genres imDance-Bereich, elektronische Musik, aber vor allem Hip-Hop beiden österreichischen Majors lange Zeit keine Marktkategorienwaren. Sie zielten lediglich auf das mehr odor weniger imaginierteAustro-Pop-Publikum ab, zumal sich auch damit, wie die Produk-tion von Back-Katalog-Samplern zeigt, nach wie vor beachtlicheUmsätze machen lassen. Die Nachfrage nach neuen musikali-schen Genres wurde stattdessen von internationalen Produzentenund neu gegründeten Independent-Labels befriedigt.

Zu den institutionalisierten Berufsrollen - These 6:

Das berufliche Selbstverständnis der Akteure in Österreich ist zuwenig an die Anforderungen eines professionellen Musikbusiness

angepasst. Dabei geht es nicht sosehr um die Einstellung derMusikerinnen, sondern um ein ausdifferenziertes Umfeld von

Dienstleistern wie z.B. Managern und Produzenten.

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In den Gesprächen mit Repräsentanten der österreichischen Mu-sikszene stößt man immer wieder auf Klagen über den Mangel anausreichend professionellen und vor allem international orientier-ten Akteuren im Umfeld der Musikindustrie. Dies trifft nicht nur aufso manche Künstler zu, denen vorgeworfen wird, den Anforde-rungen einer internationalen Karriere nicht gewachsen zu sein,sondern auch auf das Management. Einer der Interviewten mein-te, dass es in Österreich kein einziges international tätiges Musik-Management gäbe. Ähnliches gilt auch für die Produktion, Inter-national erfolgreiche Produzenten wie z.B. Peter Wolf oder PeterRauhofer verlegen ihre Tätigkeit ins Ausland. Österreichische Pro-duzenten hingegen sind oft mehr den Ansprüchen des deutsch-sprachigen (volkstümlichen) Marktes verpflichtet. Auch hier lohntsich ein Vergleich mit Schweden, das mit Dennis Pop, Max Martin,Douglas Carr, Tore Johansson über eine Reihe ausgezeichneter'music producer' verfügt (bzw. verfügte) (vgl, Burnett 2001),

Den Grund für diese Defizite sowohl in der künstlerischen Produk-tion als auch im Management sehen viele in der unzureichendenAusbildung (Fuchs 2000, Scheuch 2000). Doch soll die Bedeutungder Ausbildungsinstitutionen im Popmusikbereich nicht über-schätzt werden, da die notwendigen Fähigkeiten im Umgang mitInstrumenten und Technologien in viel höherem Maße außer-institutionell entwickelt werden. Rockmusik und elektronische Mu-sik beruhen größten Teils auf Formen der Selbstorganisation undSelbstprofessionalisierung. Von viel größerer Bedeutung scheint indiesem Zusammenhang die Gewährleistung eines entsprechen-den Rahmens: die Schaffung und Förderung von Kulturinitiativen,Veranstaltungsorten und Proberäumen, die Bereitstellung vontechnischem Equipment in Schulen oder anderen Einrichtungen,die Entbürokratisierung im Veranstaltungsbereich etc. etc.

Doch gibt es auch Anzeichen einer Veränderung. Aus der Fülleder heimischen Musikproduktion möchte ich abschließend einenBereich herausgreifen, der vor allem im Hinblick auf das berufli-che Selbstverständnis der in ihm Agierenden von besonderemInteresse ist (vgl. Gebesmair 1999, Mediacult 1999, 2001).

In den letzten Jahren entstand im Umfeld zahlreicher'locations', indenen sich verschiedenste Formen der DJ-Culture und elektroni-

schen Musik institutionalisierten, eine Musikszene, die nicht nureine Reihe von innovativen Musikproduktionen hervorbrachte,sondern auch international große Beachtung fand. Die Produk-tionen von Kruder & Dorfmeister, Patrick Pulsinger & Erdem Tuna-kan, Waldeck, Bask, die Sofa Surfers, Robert Jelinek, Franz Po-massl, Christian Fennesz, Christof Kurzmann und vielen anderenwaren Gegenstand internationaler Berichte und zuweilen hymni-scher Rezensionen in einschlägigen Zeitschriften. Unter demAspekt der 'institutionalisierten Berufsrollen' ist diese Musikszeneinsofern interessant, als sie verschiedenste Rollen kreativ in einneues musikalisches Selbstverständnis integriert. Sie agieren nichtnur als Musiker im herkömmlichen Sinn, sondern auch als Produ-zenten, Tontechniker, Labelbetreiber, DJs, Veranstalter - und dasauf einem sehr hohen Niveau an Professionalität und Selbstorga-nisation. Vor allem im Umgang mit den neuen Produktions- undStudiotechnologien entwickelten einige von ihnen eine Expertise,die auch international nachgefragt wird. So produzierten etwaKruder & Dorfmeister als auch Peter Rauhofer für Madonna Re-mixes eines Songs des Albums Ray of Light. Abgesehen von dieserdezidiert internationalen Orientierung und globalen Vernetzungscheint sich in dieser Szene auch der Gegensatz von U und E,Kunst und Kommerz, ästhetischem Anspruch und ökonomischenErfolg aufzulösen, da viele von ihnen in unterschiedlichsten Fel-dern agieren: sei es im Kunst- und Avantgarde-Kontext, als DJoder Veranstalter, oder eben auch als Produzent mit Star-Ambitionen. Wenn auch die Erträge aus diesen Produktionen beiweitem nicht an die ökonomischen Erfolge internationaler Actsheranreichen, so könnte sich doch ein Netzwerk musikalischerProduktion jenseits des 'historischen' Austro-Pop eines WolfgangAmbros oder Rainhard Fendrich und jenseits der Majorindustrieetablieren, auf dessen Basis neue Perspektiven der globalenVerbreitung österreichischer Musik entstehen.

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Anmerkungen

Literatur

(1) Die jüngere österreichische Geschichte bietet ausreichend Anschauungs-material für die Funktionsweise von nationalistischen Identitätsdiskursen.Die Konstruktion eines homogenen nationalen Interesses und diekollektive Kultivierung eines vermeintlichen Bedrohungsszenarios (dieSanktionen der EU-14, 'Überfremdung', ...) dienen nicht nur dazu, über dierealen Bedrohungen durch Neoliberalismus und Demokratiefeindlichkeithinwegzutäuschen, sondern auch die Abweichungen und oppositionellenEntwürfe zu delegitimieren. Insofern erscheint die Instrumentalisierung derPopmusik für nationale Anliegen absurd, da diese - wenn sie auch häufigim Rahmen kommerzieller Verwertungsinteressen steht - immer auchAngebote für (subversive) Gegen-Identitäten bereit hielt und hält.Insgesamt scheint die Diskussion um den Beitrag einer nationalen Pop-musik zur Ausbildung von nationalen Identitäten fragwürdig, da alleavancierteren Identitätstheorien von der Notwendigkeit der Integrationglobaler und lokaler, zuweilen eben auch divergenter Identifikations-angebote ausgehen. Die Gefahr gesellschaftlicher Desintegration drohtdemzufolge eher von einem Zuviel an nationaler Identität auf Kostenkultureller Vielfalt als von einem Mangel an Identifikation mit heimischemKulturschaffen. Diese hier nur angedeuteten Fragen bedürften einereingehenderen Beschäftigung, die im Kontext des vorliegenden Artikelsnicht erfolgen kann. (Zur Funktion des Austro-Pop bei der Ausbildungnationaler und alternativer Identitäten siehe Larkey 1993, Jauk 1995,Smudits 1996, Pfeiler 1996.)

(2) Der jüngste Forschungsbericht des Instituts Mediacult ist diesen globalenZusammenhängen gewidmet (Mediacult 2000). Die nur bruchstückhaftenAusführungen im vorliegenden Artikel werden darin umfassender behandelt.Die Bezeichnungen 'Tonträgerproduzenten', 'Schallplattenindustrie' und'Labels' werden hier der Einfachheit halber synonym verwendet. DerBegriff 'Label' ist leider sehr unpräzise und wird in der Branche sowohl fürdie Bezeichnung eines Geschäftsbereichs eines Konzerns ("ein Label vonBMG..."), der Vertriebsfirma ("erscheint unter dem Label von ...") als auchdes Konzerns selbst ('Major-Label') herangezogen. Mit dem Begriff 'Major-Label' werden in der Regel die fünf transnationalen Konzerne BMG, EMI,SONY, WARNER und UNIVERSAL bezeichnet. Für die, von den 'Majors' mehroder weniger unabhängigen 'Labels' findet sich häufig der etwas miss-verständliche Begriff 'Independent'.

(4) Allerdings sind die Kriterien der Zuordnung der einzelnen Acts zu dieserKategorie nicht nachvollziehbar. Unklar ist zum Beispiel die Frage, wie mitin Deutschland produzierten österreichischen Acts verfahren wird. 'Falco'findet sich etwa als 'heimischer' Act auch in einer Aufstellung desDeutschen Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft (vgl. dazudie detaillierten Ausführungen in Mediacult 2000).

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Abstract

The limited economic success of musical productions from Austriacontradicts the picture of 'a nation of music' which is often usedby official representatives to characterize Austria's specificfeature. Falco's "Rock Me Amadeus" was the only Hit whichreached the Top 10 of the US-single-charts. Yet even in their owncountry the domestic productions live on the periphery of themarket.In this article some empirical findings concerning the littleeconomic importance of popular music in Austria will bepresented, Furthermore the structural constraints of musicproduction will be discussed which is increasingly shaped by theinterests of the transnational music industry.

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