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Von unserem Mitarbeiter Gunter Harzbecher Schwere Flugvorkommnisse wurden in der DDR als „Geheime Verschlusssache“ eingestuft und vor der Öffentlichkeit verschwiegen. Auch am Flugplatz Neubrandenburg/Trollen- hagen kam es in den Jahren von 1960 bis 1990 zu mehreren Abstürzen von Flugzeugen. Leider in einigen Fällen auch mit tödlichem Ausgang für die Besatzungen. Insgesamt 15 Menschen starben. NEUBRANDENBURG. Zweimal hat Dieter Bittkau in seiner Zeit als Militärflieger den Funkspruch: „Mein Trieb- werk steht, ich katapultiere“ abgesetzt. Zweimal konnte er sein Leben mit dem Schleu- dersitz retten. Heute lebt der 69-Jährige mit seiner Frau Mo- nika auf dem Neubranden- burger Datzeberg und ist froh darüber, diese beiden ge- fährlichen Situationen unbe- schadet überstanden zu ha- ben. Er erfreut sich auch jetzt guter Gesundheit und wenn man mit ihm auf das Thema Katapultieren zu sprechen kommt, sagt er recht schnell: „Das war normal und gehör- te zum Berufsrisiko“. Sein erster Rettungsvor- gang ereignete sich am 4. Au- gust 1968, kurz nachdem die neuen Flugzeuge MiG-21 in Trollenhagen stationiert wa- ren. Dieter Bittkau war da- mals gerade 25 Jahre alt. Er er- zählt: „Als ich meinen ersten Ausbildungsflug in der Gipfel- höhe des Flugzeuges beendet hatte und in Richtung Flug- platz einkurvte, stellte ich den Triebwerksausfall fest. Mehrere Anlassversuche wa- ren erfolglos und ich erreich- te recht schnell die Sicher- heitshöhe zum Katapultie- ren. Unter mir lag Altentrep- tow und vor mir Neubranden- burg. Also nach rechts auskur- ven und dann raus. Es gab einen heftigen Schlag, star- ker Wind wehte mir um den Körper und erst am Boden kam ich wieder so richtig zu mir. Die Absturzstelle lag na- he Groß Teetzleben an der Straße von Altentreptow nach Woggersin. An diesem heißen Sommertag waren al- le Feuerwachtürme in der Ge- gend besetzt und die Kamera- den der Freiwilligen Feuer- wehr hatten mich schnell ge- funden. Kurz darauf kam auch mein Staffelkomman- deur an die Absturzstelle. Die Freude war ihm anzumer- ken, als er mich auf eigenen Beinen stehen sah“. Kraftstoffpumpe versagt Das zweite Mal katapultier- te sich Dieter Bittkau im März 1974 bei einer „Platz- runde“ am Flugplatz. Dazu gebe es nicht viel zu erzäh- len, betont er. „Als ich fest- stellte, dass in 500 Metern Hö- he mein Triebwerk ausfiel, gab es für mich nur noch das Kommando: Mein Triebwerk steht, ich katapultiere!“ Die Absturzstelle des Flug- zeuges befand sich in der Nä- he des Landgrabens bei der Ortschaft Ganzkow. Durch das sumpfige Erdreich wurde die Bergung der Flugzeug- trümmer sehr erschwert. Trotzdem konnte aus den vor- gefundenen Teilen die Ursa- che für den Triebwerksaus- fall ermittelt werden. Die Kraftstoffpumpe hatte ver- sagt. Nach diesen beiden Kata- pultiervorgängen hat sich Dieter Bittkau jedes Mal ohne größeren Zeitabstand wieder auf dem Schleudersitz ange- schnallt, um sein Programm der fliegerischen Ausbildung zu erfüllen. Luftfahrtmedi- ziner sprechen hier von einer hohen physischen und psychi- schen Stabilität des Flugzeug- führers, die „beispielhaft“ sei und so nicht immer beobach- tet werde. Noch konstruktive Mängel Leider ereigneten sich am Flugplatz Neubrandenburg/ Trollenhagen in den Jahren von 1960 bis 1990, in denen das Jagdfliegergeschwader 2 hier stationiert war, auch etli- che schwere Flugvorkomm- nisse, die nicht so „glimpf- lich“ abliefen wie die Ret- tungsvorgänge von Dieter Bittkau. Dabei waren nicht nur technische Probleme der Ausgangspunkt, sondern in einigen Fällen führten ganz simple Ursachen wie bei- spielsweise Vogeleinflug in das Strahltriebwerk zum Triebwerksausfall und zum Absturz des Flugzeuges. Der Neubrandenburger Gotthard Hahn, heute 79 Jah- re alt, war viele Jahre Leiter des Fliegeringenieurdienstes und an der Untersuchung mehrerer schwerer Flugvor- kommnisse beteiligt. Er erin- nert sich: „Die Strahltriebwer- ke waren in den Anfangsjah- ren noch mit Entwicklungs- problemen behaftet und die Flugzeuge der MiG-17-Genera- tion, mit denen das Geschwa- der zunächst ausgerüstet war, offenbarten auch noch konstruktive Mängel. Bei der Untersuchung von Flugunfällen wurde aber auch klar, dass oftmals sub- jektive Faktoren den Aus- gangspunkt bildeten. So ge- hörten Bedienfehler durch den Flugzeugführer, Unauf- merksamkeit im Flugbetrieb, Routine bei Durchsichten und Kontrollen an den Flug- zeugen und Verletzung von Sicherheitsbestimmungen ge- nauso zu den Ursachengrup- pen wie Ausfälle der Tech- nik“. Die Flugsicherheit zu er- höhen und Flugvorkommnis- se zu vermeiden, sei so im Verlaufe der Jahre zu einem Hauptgegenstand der Arbeit auf dem Flugplatz geworden. Gotthard Hahn betont: „Si- cher fliegen heißt immer, Flugunfälle zu vermeiden und auch wieder sicher zu landen“. Ereignisse, die im be- sonderen Sinne und schwer- wiegend die Flugsicherheit des militärischen Flugbetrie- bes beeinflussten, waren Flug- vorkommnisse. Auch die Ge- schichte des Flugplatzes Neu- brandenburg/Trollenhagen wird in den Jahren 1960 bis 1990 von Flugunfällen und Flugzeugabstürzen mit Perso- nenschäden und Tod von Be- satzungen überschattet. In der DDR streng geheim gehalten, aber in Neubran- denburg doch hinter vorge- haltener Hand genannt, gab es Flugunfälle mit Todesfäl- len und Verletzungen, die bei Familien und Freunden viel Leid und Betroffenheit auslös- ten. In den 30 Jahren der Statio- nierung des Jagdfliegerge- schwaders 2 am Flugplatz Neubrandenburg/Trollen- hagen verunglückten 14 Flug- zeugführer und ein Offizier des Ingenieurtechnischen Personals tödlich, 19 weitere konnten sich mit dem Schleu- dersitz retten oder überleb- ten Havarien bei Not- und Bruchlandungen. 33 Flugzeu- ge wurden bei diesen Flugvor- kommnissen so schwer be- schädigt, dass sie ausgeson- dert oder verschrottet wer- den mussten“. In der unten stehenden Grafik sind ledig- lich die Ereignisse rings um die Stadt Neubrandenburg er- fasst. Absturzreste eines Flugzeuges. Zur Ermittlung der Unfallursache wurden die aufgefundenen Teile wieder geordnet und untersucht. FOTO: BUNDESARCHIV-MILITÄRARCHIV Witwen zuletzt informiert Die Neubrandenburger Ärztin Dr. Regina Beckmann erzählt dazu über ihre Ehe mit einem MiG-Piloten: „Uns Frauen gemeinsam war im- mer die Angst um unsere Männer. Allein aus meinem Bekanntenkreis sind in den Jahren zehn Piloten abge- stürzt, die traumatisierte Fa- milien hinterließen. Diese Verlustangst prägte mein ganzes Leben. Wie oft stand ich nachts am Fenster und wartete. Von unserer Woh- nung aus konnte man die Fluggeräusche in Trollen- hagen sehr gut hören. Wenn ich wusste, dass Flugdienst geplant war, es keinen Wettereinbruch gab, aber plötzlich niemand mehr flog, bedeutete das, dass ir- gendetwas nicht stimmte. Schlimmstenfalls war wieder ein Flugunglück passiert. Es war bekannt, das die Witwen erst nach Auswertung grund- sätzlicher Fakten die Todes- nachricht erhielten und es be- gannen quälende Stunden, bis mein Mann endlich nach Hause kam“. Der langjährige Geschwa- derarzt Dr. Dieter Güttner er- innert sich: „Der Alltag im Jagdfliegergeschwader war vom Fliegen dominiert. Ein hohes Risiko für Leib und Le- ben war somit allgegenwär- tig, das Versagen von Mensch und Technik konnte ja nie gänzlich ausgeschlossen wer- den. Wenn eine Havarie auf- trat, war die Zeit zwischen der Katapultierung und der Gewissheit, dass der Flug- zeugführer unversehrt mit dem Fallschirm gelandet ist, eine mit Worten nicht zu be- schreibende Situation. Die Nerven lagen bei allen blank“. In seiner Zeit als Geschwa- derarzt in Trollenhagen von 1973 bis 1984 hat Dieter Gütt- ner mehrfach solche Situatio- nen erlebt und begleitet. „ Es herrschte über einen meist längeren Zeitraum völlige Un- gewissheit über das Schicksal des sich katapultierten Pilo- ten, da es in dieser Zeit noch keine Möglichkeiten einer schnellen Kommunikation gab. Kam dann nach einer uns ewig erscheinenden Zeit ein Anruf von außerhalb, dass unweit von Soundso ein Flieger mit einem Fallschirm sicher gelandet sei, lag man sich vor Freude in den Ar- men“. Beim Bergen war der Arzt als Mitglied des Bergungs- und Rettungskommandos im- mer mit am Havarieort. Mit gedämpfter Stimme ergänzt Dieter Güttner: „Es gab aber auch Tage, die man nie hätte erleben wollen. Es waren je- ne, an denen Flugzeugführer oder Angehörige des inge- nieurtechnischen Personals im Dienst ihr Leben verloren. Diese Katastrophen waren die tragischsten Momente, die man als Geschwaderarzt erlebte. Das Alltagsleben war im Geschwader über Tage na- hezu paralysiert. Eine tiefe seelische Erschütterung hat- te alle erfasst“. Unsäglicher Schmerz Auszuschließen waren die- se Katastrophen aber nicht. Dieter Güttner sagt: „Der pe- netrante Kerosingeruch, der sich in der Umgebung und an der Absturzstelle ausbreitete, drang bis unter die Haut. Die im Umkreis verteilt liegen- den Flugzeugtrümmer lie- ßen das Allerschlimmste ah- nen. Als man dann realisier- te, dass der Flugzeugführer nicht überlebt hatte, konnte man zunächst keinen klaren Gedanken fassen. Das weitere Bergen verlangte allen Mit- glieder des Bergungs- und Ret- tungskommandos nahezu Unmögliches ab. Vor dem geistigen Auge lief gemein- sam Erlebtes ab, hatte sich doch über die Jahre des Mit- einanders ein sehr enges Ver- trauensverhältnis herausge- bildet. Bei vielen der gestan- denen Männer flossen Trä- nen“. Nachdenklich bekennt er: „Die schwierigste Aufgabe be- stand wohl darin, der Familie des Verunglückten die Nach- richt vom Tode des Ehe- manns, Vaters oder Sohnes zu überbringen. Die Gegen- wart des Geschwaderarztes war in jedem Falle vorgese- hen. Der sich dabei offenba- rende unsägliche Schmerz der Angehörigen kann nicht in Worte gefasst werden. Ob und wie der tragische Verlust eines geliebten Menschen je- mals verwunden wurde, ist nicht bekannt“. Mit der Qualifizierung des fliegenden und technischen Personals in den achtziger Jahren, durch Modernisie- rung der Flugzeugtechnik in dieser Zeit und durch die Ver- besserung der Rettungssyste- me verringerte sich die Ge- fahr schwerer Flugvorkomm- nisse. Dieter Bittkau hatte nach zweimaliger Rettung mit dem Schleudersitz bis zum Ende seiner Dienstzeit in Trol- lenhagen eine hohe fliegeri- sche Meisterschaft erreicht, über die er gern erzählt. Der Gedanke, dass sicheres Flie- gen damit verbunden ist, Flugunfälle zu vermeiden, steht immer mit im Raum. Kontakt zum Autor [email protected] Wolkenverhangener Himmel am Flugplatz Trollenhagen Mitte der sechziger Jahre. Eine Staffel MiG-17F wartet an der Vorstartlinie auf den Beginn der Flugschicht. FOTO: ARCHIV JG-2 Absturz durch Vogeleinflug in das Strahltriebwerk. Betroffen steht der Leiter Fliegeringenieurdienst Gotthard Hahn (links) vor den Resten des Flugzeuges. FOTO: PRIVAT / HAHN Kurzer Abriss zur Ge- schichte der Militärflieger in Trollenhagen - 1956 Übernahme des Flug- platzes durch die NVA von der Sowjetarmee - 4. Februar 1960 erste Landung durch Herbert Schäbitz, Flugzeugführer des Fliegergeschwaders 2 - 1. Januar 1961 Umbenen- nung des Geschwaders in Jagdfliegergeschwader 2. Am Flugplatz flogen zu die- ser Zeit die Flugzeuge MiG-15UTI und MiG-17F - 1967 Umschulung auf die Flugzeuge einer neuen Ge- neration, auf die MiG-21 - Anfang 1968 Übernahme der ersten Flugzeuge MiG- 21PFM auf dem Flugplatz - 26. Februar 1971 Das Ge- schwader erhält den Ehren- namen „Juri Gagarin“ - 1981 Einführung einer neu- en Struktur mit Eingliede- rung der rückwärtigen Dienste und der Nachrich- ten- und Flugsicherungs- truppen in das Geschwader - Das NVA-Jagdfliegerge- schwader in Trollenhagen umfasste bis zu 900 Mili- tärangehörige, davon etwa 200 Wehrpflichtige und Re- servisten. Hier waren bis zu 46 Flugzeuge stationiert. - am 26. September 1990 letzter Flugdienst im Jagd- fliegergeschwader 2. Seit- dem dient Trollenhagen als Ausweichflugplatz für den Standort Laage. Abstürze gab es seitdem nicht mehr. QUELLE: HARZBECHER 27.09.1961 Katastrophe Bhf. Sponholz 29.04.1964 Katastrophe Flugpl. Trollenhagen 31.07.1964 Katastrophe bei Gr. Daberkow 01.10.1964 Absturz bei Oertzenhof 24.06.1961 Katastrophe bei Woldegk MiG-21 (ab 1967) MiG-17F (1960–1967) Tschechisches Sportflugzeug des ASV 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 19.10.1965 Katastrophe bei Wildberg 16.03.1966 Absturz bei Matzdorf 04.04.1967 Absturz bei Neverin 15.07.1967 Absturz bei Hochkamp 04.08.1968 Absturz bei Gr. Teetzleben 10.12.1968 Katastrophe bei Ballwitz 15.06.1972 Katastrophe bei Penzlin 25.03.1974 Absturz bei Ganzkow 01.08.1975 Absturz bei Brunn 02.10.1976 Katastrophe bei Glienke 27.04.1982 Absturz bei Woggersin 06.05.1988 Katastrophe Flugpl. Trollenhagen GRAFIK-NK: H. Ackermann Quelle: "11-80, katapultieren Sie!": Flugunfälle in der DDR-Militärluftfahrt (Aerolit-Verlag 2004, Thomas Bußmann und Horst Kleest) Havarien & Katastrophen Tollensesee B 96 B 104 B 104 B 192 B 197 A 20 Groß Teetzleben Woggersin Neverin Friedland Friedland Hochkamp Glienke Brunn Ganzkow Oertzenhof Matzdorf Groß Daberkow Woldegk Woldegk Penzlin Penzlin Sponholz Altentreptow Altentreptow Wildberg Ballwitz Neubrandenburg Neubrandenburg 1 2 3 17 4 5 6 7 10 11 12 13 14 15 16 8 9 Flugzeugabstürze in der Region Neubrandenburg (seit 1960) Flugvorkommnisse wur- den in Abhängigkeit von den Folgen für die Besat- zungen und die Flugzeuge in Brüche, Havarien und Katastrophen eingeteilt. Als Bruch wurde die Beschä- digung eines Flugzeuges be- zeichnet, die keine Erneue- rung von Hauptbauteilen (Tragflügel, Fahrwerk, Trieb- werk) notwendig machte und mit eigenen Kräften des Geschwaders bei einem Zeitaufwand von mehr als 50 Stunden bewältigt wer- den konnte. Die Havarie war ein Flugvor- kommnis, in dessen Folge kein Tod von Besatzungen oder von anderen Beteilig- ten zu beklagen war, das Flugzeug aber wegen des Zerstörungsgrades einer Generalreparatur bedurfte oder abgeschrieben werden musste. Als Katastrophe wurde ein Flugvorkommnis bezeich- net, das unmittelbar oder bis zu zehn Tagen nach dem Ereignis den Tod von Besatzungen oder anderen Beteiligten zur Folge hatte oder wenn eine Besatzung nicht vom Flug zurückkehr- te und die Suche ergebnis- los verlief. Quelle: Melde- und Untersu- chungsordnung der NVA „Mein Triebwerk steht, ich katapultiere“ Dieter Bittkau 1978 in Trollenhagen: Er hat hier bereits zwei Rettungsvorgänge mit dem Schleudersitz überlebt. Trollenhagen: Was war wann? Bruch, Havarie & Katastrophe Dieter Bittkau beim Seenotrettungstraining im Tollensesee. Ab 1970 gehörte diese Ausbildungsart ständig zum Sicherheitstraining der Flugzeugführer. FOTO: PRIVAT/HAGENOW

„Mein Triebwerk steht, ich katapultiere“...2013/03/15  · bei Woggersin 06.05.1988 Katastrophe Flugpl. Trollenhagen Quelle: "11-80, katapultieren Sie!": Flugunfälle in der DDR-Militärluftfahrt

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  • Von unserem MitarbeiterGunter Harzbecher

    Schwere Flugvorkommnissewurden in der DDR als„Geheime Verschlusssache“eingestuft und vor derÖffentlichkeit verschwiegen.Auch am FlugplatzNeubrandenburg/Trollen-hagen kam es in den Jahrenvon 1960 bis 1990 zumehreren Abstürzen vonFlugzeugen. Leider ineinigen Fällen auch mittödlichem Ausgang für dieBesatzungen. Insgesamt 15Menschen starben.

    NEUBRANDENBURG. Zweimalhat Dieter Bittkau in seinerZeit als Militärflieger denFunkspruch: „Mein Trieb-werk steht, ich katapultiere“abgesetzt. Zweimal konnte ersein Leben mit dem Schleu-dersitz retten. Heute lebt der69-Jährigemit seiner FrauMo-nika auf dem Neubranden-burger Datzeberg und istfroh darüber, diese beiden ge-fährlichen Situationen unbe-

    schadet überstanden zu ha-ben. Er erfreut sich auch jetztguter Gesundheit und wennman mit ihm auf das ThemaKatapultieren zu sprechenkommt, sagt er recht schnell:„Das war normal und gehör-te zum Berufsrisiko“.Sein erster Rettungsvor-

    gang ereignete sich am 4. Au-gust 1968, kurz nachdem dieneuen Flugzeuge MiG-21 inTrollenhagen stationiert wa-ren. Dieter Bittkau war da-mals gerade 25 Jahre alt. Er er-zählt: „Als ich meinen erstenAusbildungsflug in der Gipfel-höhe des Flugzeuges beendethatte und in Richtung Flug-platz einkurvte, stellte ichden Triebwerksausfall fest.Mehrere Anlassversuche wa-ren erfolglos und ich erreich-te recht schnell die Sicher-heitshöhe zum Katapultie-ren. Unter mir lag Altentrep-tow und vormir Neubranden-burg. Also nach rechts auskur-ven und dann raus. Es gabeinen heftigen Schlag, star-ker Wind wehte mir um den

    Körper und erst am Bodenkam ich wieder so richtig zumir. Die Absturzstelle lag na-he Groß Teetzleben an derStraße von Altentreptownach Woggersin. An diesemheißen Sommertag waren al-le Feuerwachtürme in der Ge-gend besetzt und die Kamera-den der Freiwilligen Feuer-wehr hatten mich schnell ge-funden. Kurz darauf kam

    auch mein Staffelkomman-deur an die Absturzstelle. DieFreude war ihm anzumer-ken, als er mich auf eigenenBeinen stehen sah“.

    Kraftstoffpumpe versagtDas zweite Mal katapultier-

    te sich Dieter Bittkau imMärz 1974 bei einer „Platz-runde“ am Flugplatz. Dazugebe es nicht viel zu erzäh-len, betont er. „Als ich fest-stellte, dass in 500Metern Hö-he mein Triebwerk ausfiel,gab es für mich nur noch dasKommando: Mein Triebwerksteht, ich katapultiere!“Die Absturzstelle des Flug-

    zeuges befand sich in der Nä-he des Landgrabens bei derOrtschaft Ganzkow. Durchdas sumpfige Erdreich wurdedie Bergung der Flugzeug-trümmer sehr erschwert.Trotzdemkonnte aus den vor-gefundenen Teilen die Ursa-che für den Triebwerksaus-fall ermittelt werden. DieKraftstoffpumpe hatte ver-sagt.

    Nach diesen beiden Kata-pultiervorgängen hat sichDieter Bittkau jedes Mal ohnegrößeren Zeitabstand wiederauf dem Schleudersitz ange-schnallt, um sein Programmder fliegerischen Ausbildungzu erfüllen. Luftfahrtmedi-ziner sprechen hier von einerhohen physischen und psychi-schen Stabilität des Flugzeug-führers, die „beispielhaft“ seiund so nicht immer beobach-tet werde.

    Noch konstruktive MängelLeider ereigneten sich am

    Flugplatz Neubrandenburg/Trollenhagen in den Jahrenvon 1960 bis 1990, in denendas Jagdfliegergeschwader 2hier stationiert war, auch etli-che schwere Flugvorkomm-nisse, die nicht so „glimpf-lich“ abliefen wie die Ret-tungsvorgänge von DieterBittkau. Dabei waren nichtnur technische Probleme derAusgangspunkt, sondern ineinigen Fällen führten ganzsimple Ursachen wie bei-spielsweise Vogeleinflug in

    das Strahltriebwerk zumTriebwerksausfall und zumAbsturz des Flugzeuges.Der Neubrandenburger

    Gotthard Hahn, heute 79 Jah-

    re alt, war viele Jahre Leiterdes Fliegeringenieurdienstesund an der Untersuchungmehrerer schwerer Flugvor-kommnisse beteiligt. Er erin-nert sich: „Die Strahltriebwer-ke waren in den Anfangsjah-ren noch mit Entwicklungs-problemen behaftet und dieFlugzeuge derMiG-17-Genera-tion, mit denen das Geschwa-der zunächst ausgerüstetwar, offenbarten auch nochkonstruktive Mängel.Bei der Untersuchung von

    Flugunfällen wurde aberauch klar, dass oftmals sub-jektive Faktoren den Aus-gangspunkt bildeten. So ge-hörten Bedienfehler durchden Flugzeugführer, Unauf-merksamkeit im Flugbetrieb,Routine bei Durchsichtenund Kontrollen an den Flug-zeugen und Verletzung vonSicherheitsbestimmungen ge-nauso zu den Ursachengrup-pen wie Ausfälle der Tech-nik“. Die Flugsicherheit zu er-höhen und Flugvorkommnis-se zu vermeiden, sei so imVerlaufe der Jahre zu einemHauptgegenstand der Arbeitauf dem Flugplatz geworden.Gotthard Hahn betont: „Si-

    cher fliegen heißt immer,Flugunfälle zu vermeidenund auch wieder sicher zulanden“. Ereignisse, die im be-sonderen Sinne und schwer-wiegend die Flugsicherheitdes militärischen Flugbetrie-bes beeinflussten, waren Flug-vorkommnisse. Auch die Ge-schichte des Flugplatzes Neu-brandenburg/Trollenhagenwird in den Jahren 1960 bis1990 von Flugunfällen undFlugzeugabstürzenmit Perso-nenschäden und Tod von Be-satzungen überschattet.In der DDR streng geheim

    gehalten, aber in Neubran-denburg doch hinter vorge-haltener Hand genannt, gabes Flugunfälle mit Todesfäl-len und Verletzungen, die beiFamilien und Freunden vielLeid und Betroffenheit auslös-ten.In den 30 Jahren der Statio-

    nierung des Jagdfliegerge-schwaders 2 am FlugplatzNeubrandenburg/Trollen-hagen verunglückten 14 Flug-zeugführer und ein Offizierdes IngenieurtechnischenPersonals tödlich, 19 weiterekonnten sichmit dem Schleu-dersitz retten oder überleb-ten Havarien bei Not- und

    Bruchlandungen. 33 Flugzeu-ge wurden bei diesen Flugvor-kommnissen so schwer be-schädigt, dass sie ausgeson-dert oder verschrottet wer-

    den mussten“. In der untenstehenden Grafik sind ledig-lich die Ereignisse rings umdie Stadt Neubrandenburg er-fasst.

    Absturzreste eines Flugzeuges. Zur Ermittlung der Unfallursache wurden die aufgefundenen Teile wieder geordnet und untersucht.

    FOTO: BUNDESARCHIV-MILITÄRARCHIV

    Witwen zuletzt informiertDie Neubrandenburger

    Ärztin Dr. Regina Beckmannerzählt dazu über ihre Ehemit einem MiG-Piloten: „Uns

    Frauen gemeinsam war im-mer die Angst um unsereMänner. Allein aus meinemBekanntenkreis sind in denJahren zehn Piloten abge-

    stürzt, die traumatisierte Fa-milien hinterließen. DieseVerlustangst prägte meinganzes Leben. Wie oft standich nachts am Fenster undwartete. Von unserer Woh-nung aus konnte man dieFluggeräusche in Trollen-hagen sehr gut hören.Wenn ich wusste, dass

    Flugdienst geplant war, eskeinen Wettereinbruch gab,aber plötzlich niemand mehrflog, bedeutete das, dass ir-gendetwas nicht stimmte.Schlimmstenfalls war wiederein Flugunglück passiert. Eswar bekannt, das die Witwenerst nach Auswertung grund-sätzlicher Fakten die Todes-nachricht erhielten und es be-gannen quälende Stunden,bis mein Mann endlich nachHause kam“.Der langjährige Geschwa-

    derarzt Dr. Dieter Güttner er-innert sich: „Der Alltag imJagdfliegergeschwader warvom Fliegen dominiert. Einhohes Risiko für Leib und Le-ben war somit allgegenwär-tig, das Versagen von Menschund Technik konnte ja niegänzlich ausgeschlossen wer-den. Wenn eine Havarie auf-trat, war die Zeit zwischender Katapultierung und derGewissheit, dass der Flug-zeugführer unversehrt mitdem Fallschirm gelandet ist,eine mit Worten nicht zu be-schreibende Situation. DieNerven lagen bei allenblank“.In seiner Zeit als Geschwa-

    derarzt in Trollenhagen von1973 bis 1984 hat Dieter Gütt-ner mehrfach solche Situatio-nen erlebt und begleitet. „ Esherrschte über einen meistlängeren Zeitraum völlige Un-gewissheit über das Schicksaldes sich katapultierten Pilo-ten, da es in dieser Zeit nochkeine Möglichkeiten einerschnellen Kommunikationgab. Kam dann nach eineruns ewig erscheinenden Zeitein Anruf von außerhalb,dass unweit von Soundso einFlieger mit einem Fallschirmsicher gelandet sei, lag mansich vor Freude in den Ar-men“.Beim Bergen war der Arzt

    als Mitglied des Bergungs-und Rettungskommandos im-mer mit am Havarieort. Mitgedämpfter Stimme ergänztDieter Güttner: „Es gab aberauch Tage, die man nie hätte

    erleben wollen. Es waren je-ne, an denen Flugzeugführeroder Angehörige des inge-nieurtechnischen Personalsim Dienst ihr Leben verloren.Diese Katastrophen warendie tragischsten Momente,die man als Geschwaderarzterlebte. Das Alltagsleben warim Geschwader über Tage na-hezu paralysiert. Eine tiefeseelische Erschütterung hat-te alle erfasst“.

    Unsäglicher SchmerzAuszuschließen waren die-

    se Katastrophen aber nicht.Dieter Güttner sagt: „Der pe-netrante Kerosingeruch, dersich in der Umgebung und ander Absturzstelle ausbreitete,drang bis unter die Haut. Dieim Umkreis verteilt liegen-den Flugzeugtrümmer lie-ßen das Allerschlimmste ah-nen. Als man dann realisier-te, dass der Flugzeugführernicht überlebt hatte, konnteman zunächst keinen klarenGedanken fassen. Das weitereBergen verlangte allen Mit-glieder des Bergungs- und Ret-tungskommandos nahezuUnmögliches ab. Vor demgeistigen Auge lief gemein-sam Erlebtes ab, hatte sichdoch über die Jahre des Mit-einanders ein sehr enges Ver-trauensverhältnis herausge-bildet. Bei vielen der gestan-denen Männer flossen Trä-nen“.Nachdenklich bekennt er:

    „Die schwierigste Aufgabe be-stand wohl darin, der Familiedes Verunglückten die Nach-richt vom Tode des Ehe-manns, Vaters oder Sohneszu überbringen. Die Gegen-

    wart des Geschwaderarzteswar in jedem Falle vorgese-hen. Der sich dabei offenba-rende unsägliche Schmerzder Angehörigen kann nichtin Worte gefasst werden. Obund wie der tragische Verlusteines geliebten Menschen je-mals verwunden wurde, istnicht bekannt“.Mit der Qualifizierung des

    fliegenden und technischenPersonals in den achtzigerJahren, durch Modernisie-rung der Flugzeugtechnik indieser Zeit und durch die Ver-besserung der Rettungssyste-

    me verringerte sich die Ge-fahr schwerer Flugvorkomm-nisse.Dieter Bittkau hatte nach

    zweimaliger Rettung mitdem Schleudersitz bis zumEnde seiner Dienstzeit in Trol-lenhagen eine hohe fliegeri-sche Meisterschaft erreicht,über die er gern erzählt. DerGedanke, dass sicheres Flie-gen damit verbunden ist,Flugunfälle zu vermeiden,steht immer mit im Raum.

    Kontakt zum [email protected]

    Wolkenverhangener Himmel am Flugplatz Trollenhagen Mitte der sechziger Jahre. Eine StaffelMiG-17F wartet an der Vorstartlinie auf den Beginn der Flugschicht. FOTO: ARCHIV JG-2

    Absturz durch Vogeleinflug in das Strahltriebwerk. Betroffen steht der Leiter Fliegeringenieurdienst Gotthard Hahn (links) vor denResten des Flugzeuges. FOTO: PRIVAT / HAHN

    Kurzer Abriss zur Ge-schichte der Militärfliegerin Trollenhagen

    - 1956 Übernahme des Flug-platzes durch die NVA vonder Sowjetarmee

    - 4. Februar 1960 ersteLandung durch HerbertSchäbitz, Flugzeugführerdes Fliegergeschwaders 2

    - 1. Januar 1961 Umbenen-nung des Geschwaders inJagdfliegergeschwader 2.Am Flugplatz flogen zu die-ser Zeit die FlugzeugeMiG-15UTI und MiG-17F

    - 1967 Umschulung auf dieFlugzeuge einer neuen Ge-neration, auf die MiG-21

    - Anfang 1968 Übernahmeder ersten Flugzeuge MiG-21PFM auf dem Flugplatz

    - 26. Februar 1971 Das Ge-schwader erhält den Ehren-namen „Juri Gagarin“

    - 1981 Einführung einer neu-en Struktur mit Eingliede-rung der rückwärtigenDienste und der Nachrich-ten- und Flugsicherungs-truppen in das Geschwader

    - Das NVA-Jagdfliegerge-schwader in Trollenhagenumfasste bis zu 900 Mili-tärangehörige, davon etwa200 Wehrpflichtige und Re-servisten. Hier waren bis zu46 Flugzeuge stationiert.

    - am 26. September 1990letzter Flugdienst im Jagd-fliegergeschwader 2. Seit-dem dient Trollenhagen alsAusweichflugplatz für denStandort Laage. Abstürzegab es seitdem nicht mehr. QUELLE: HARZBECHER

    27.09.1961KatastropheBhf. Sponholz

    29.04.1964KatastropheFlugpl. Trollenhagen

    31.07.1964Katastrophebei Gr. Daberkow

    01.10.1964Absturzbei Oertzenhof

    24.06.1961Katastrophebei Woldegk

    MiG-21(ab 1967)

    MiG-17F(1960–1967)

    Tschechisches Sportflugzeug des ASV

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    04.08.1968Absturz bei Gr. Teetzleben

    10.12.1968Katastrophebei Ballwitz

    15.06.1972Katastrophebei Penzlin

    25.03.1974Absturzbei Ganzkow

    01.08.1975Absturzbei Brunn

    02.10.1976Katastrophebei Glienke

    27.04.1982Absturz bei Woggersin

    06.05.1988KatastropheFlugpl. Trollenhagen

    GRAFIK-NK: H. AckermannQuelle: "11-80, katapultieren Sie!": Flugunfälle in der DDR-Militärluftfahrt (Aerolit-Verlag 2004, Thomas Bußmann und Horst Kleest)

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    A 20

    GroßTeetzleben

    WoggersinNeverin

    FriedlandFriedland

    Hochkamp

    Glienke

    Brunn

    Ganzkow

    Oertzenhof

    Matzdorf

    Groß Daberkow

    WoldegkWoldegk

    PenzlinPenzlin

    Sponholz

    AltentreptowAltentreptow

    Wildberg

    Ballwitz

    NeubrandenburgNeubrandenburg

    1

    2

    3

    17

    4

    5

    6

    7

    10

    1112

    1314

    1516

    8

    9

    Flugzeugabstürze in der Region Neubrandenburg (seit 1960)

    Flugvorkommnisse wur-den in Abhängigkeit vonden Folgen für die Besat-zungen und die Flugzeugein Brüche, Havarien undKatastrophen eingeteilt.

    Als Bruch wurde die Beschä-digung eines Flugzeuges be-zeichnet, die keine Erneue-rung von Hauptbauteilen(Tragflügel, Fahrwerk, Trieb-werk) notwendig machteund mit eigenen Kräftendes Geschwaders bei einemZeitaufwand von mehr als50 Stunden bewältigt wer-den konnte.Die Havarie war ein Flugvor-kommnis, in dessen Folgekein Tod von Besatzungen

    oder von anderen Beteilig-ten zu beklagen war, dasFlugzeug aber wegen desZerstörungsgrades einerGeneralreparatur bedurfteoder abgeschrieben werdenmusste.Als Katastrophe wurde einFlugvorkommnis bezeich-net, das unmittelbar oderbis zu zehn Tagen nachdem Ereignis den Tod vonBesatzungen oder anderenBeteiligten zur Folge hatteoder wenn eine Besatzungnicht vom Flug zurückkehr-te und die Suche ergebnis-los verlief.

    Quelle: Melde- und Untersu-chungsordnung der NVA

    „Mein Triebwerk steht,ich katapultiere“

    Dieter Bittkau 1978 inTrollenhagen: Er hat hierbereits zweiRettungsvorgänge mit demSchleudersitz überlebt.

    Trollenhagen: Was war wann?

    Bruch, Havarie & Katastrophe

    Dieter Bittkau beim Seenotrettungstraining im Tollensesee. Ab 1970 gehörte diese Ausbildungsartständig zum Sicherheitstraining der Flugzeugführer. FOTO: PRIVAT/HAGENOW