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Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Leber Manfred Thiel und Alexander Chouker Einleitung Typische, klinische Zeichen einer Lebererkrankung sind: (Skleren)ikterus, Foetor hepaticus, apping tremor, bur- ning feet, Bauchglatze, Palmarerythem, Spider nävi, Umge- hungskreisläufe (Caput medusae), Aszites und Muskelatro- phie (Kartoffel auf Stelzen). 1 Anatomie und Physiologie 1.1 Blutversorgung Die Leber ist eines der wenigen Organe, welche sowohl mit venösem als auch mit arteriellem Blut durchströmt werden. Über die V. porta ießt O 2 -armes, an Spaltprodukten der Nahrung reiches Blut zur Leber. Dieses kann auch bakterielle Stoffwechselprodukte enthalten. Die Versorgung mit O 2 -reichem Blut erfolgt über die A. hepatica (Abb. 1). Beide Systeme der Blutversorgung, das venöse Nieder- drucksystem und das arterielle Hochdrucksystem, konuie- ren auf der Ebene der Sinusoide (Abb. 2 und 3). Nach Pas- sage der Sinusoide wird das Blut über die Lebervenen der V. cava inferior und damit dem Systemkreislauf wieder zu- geführt. Der Blutuss über das portalvenöse Niederdrucksystem und das arterielle Hochdrucksystem beträgt insgesamt 1300 300 ml/min (ca. 25 % des Herzzeitvolumens). Ungefähr 2 = 3 davon entfallen auf die Pfortader. Obwohl der arterielle Zustrom nur ca. ein Drittel so groß ist wie der portalvenöse, deckt das arterielle Blut aufgrund seiner hohen O 2 -Sättigung die Hälfte des O 2 -Bedarfs der Leber. Portale und arterielle Durchblutung können sich jedoch bei der Versorgung der Leber mit Sauer- stoff gegenseitig vollständig ersetzen. Im Gegensatz zum Herzen kann die Leber bei einer Stei- gerung ihres O 2 -Bedarfs nicht den gesamten Blutuss erhö- hen. Vielmehr nimmt die O 2 -Extraktion aus dem Blut zu. Bei geringem Blutuss kann die Extraktion fast vollständig sein. Unter physiologischen Bedingungen ist das O 2 -Angebot nicht ausgenutzt, sodass die Leber eine O 2 -Reserve besitzt, die das 2- bis 3-fache des normalen Verbrauchs beträgt. 1.2 Regulation des hepatischen Blutflusses 1.2.1 Pfortaderdurchblutung Der Druck in der Pfortader ist normalerweise 710 mmHg. Durch den im Vergleich zur V. cava inferior höheren Druck kann der Strömungswiderstand der Leber überwunden wer- den. Allerdings ist die Regulation des intrahepatischen Ge- fäßwiderstands für die Größe der portalvenösen Durchblu- tung der Leber weniger entscheidend. Vielmehr wird der venöse Fluss über die Pfortader durch die Summe der arteri- ellen Blutüsse zu Magen, Milz, Pankreas, Dünn- und Dick- darm bestimmt, deren Perfusion hauptsächlich durch den Tonus der Arteriolen in diesen Splanchnikusorganen reguliert wird (Abb. 1). 1.2.2 Arterial Buffer Response Im Gegensatz zur weitgehend druckpassiven portokavalen Durchblutung der Leber wird die arterielle Perfusion der Leber autoreguliert. Das Ziel ist, eine Beeinträchtigung der Pfortaderdurchblutung zu kompensieren. Dieses Phänomen wird auch als arterial buffer responsebezeichnet. Nimmt die Durchblutung der Leber über die Pfortader ab, steigt die Perfusion über die A. hepatica an. Die Autoregulation der arteriellen hepatischen Durchblutung beruht auf bis heute M. Thiel (*) Universitätsklinikum Mannheim, Klinik für Anästhesiologie u. Operative Intensivmedizin, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Chouker Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinik für Anästhesiologie, München, Deutschland E-Mail: [email protected] # Springer-Verlag GmbH Deutschland 2016 R. Rossaint et al. (Hrsg.), Die Anästhesiologie, Springer Reference Medizin, https://doi.org/10.1007/978-3-662-45539-5_8-1 1

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Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Leber

Manfred Thiel und Alexander Chouker

EinleitungTypische, klinische Zeichen einer Lebererkrankung sind:(Skleren)ikterus, Foetor hepaticus, „flapping tremor“, „bur-ning feet“, Bauchglatze, Palmarerythem, Spider nävi, Umge-hungskreisläufe (Caput medusae), Aszites und Muskelatro-phie („Kartoffel auf Stelzen“).

1 Anatomie und Physiologie

1.1 Blutversorgung

Die Leber ist eines der wenigen Organe, welche sowohl mitvenösem als auch mit arteriellem Blut durchströmt werden.Über die V. porta fließt O2-armes, an Spaltprodukten derNahrung reiches Blut zur Leber. Dieses kann auch bakterielleStoffwechselprodukte enthalten.

Die Versorgung mit O2-reichem Blut erfolgt über dieA. hepatica (Abb. 1).

Beide Systeme der Blutversorgung, das venöse Nieder-drucksystem und das arterielle Hochdrucksystem, konfluie-ren auf der Ebene der Sinusoide (Abb. 2 und 3). Nach Pas-sage der Sinusoide wird das Blut über die Lebervenen derV. cava inferior und damit dem Systemkreislauf wieder zu-geführt.

Der Blutfluss über das portalvenöseNiederdrucksystemunddas arterielle Hochdrucksystem beträgt insgesamt 1300 � 300ml/min (ca. 25 % des Herzzeitvolumens). Ungefähr 2=3 davonentfallen auf die Pfortader. Obwohl der arterielle Zustrom nur

ca. ein Drittel so groß ist wie der portalvenöse, deckt dasarterielle Blut aufgrund seiner hohen O2-Sättigung die Hälftedes O2-Bedarfs der Leber. Portale und arterielle Durchblutungkönnen sich jedoch bei der Versorgung der Leber mit Sauer-stoff gegenseitig vollständig ersetzen.

Im Gegensatz zum Herzen kann die Leber bei einer Stei-gerung ihres O2-Bedarfs nicht den gesamten Blutfluss erhö-hen. Vielmehr nimmt die O2-Extraktion aus dem Blut zu. Beigeringem Blutfluss kann die Extraktion fast vollständig sein.Unter physiologischen Bedingungen ist das O2-Angebotnicht ausgenutzt, sodass die Leber eine O2-Reserve besitzt,die das 2- bis 3-fache des normalen Verbrauchs beträgt.

1.2 Regulation des hepatischen Blutflusses

1.2.1 PfortaderdurchblutungDer Druck in der Pfortader ist normalerweise 7–10 mmHg.Durch den im Vergleich zur V. cava inferior höheren Druckkann der Strömungswiderstand der Leber überwunden wer-den. Allerdings ist die Regulation des intrahepatischen Ge-fäßwiderstands für die Größe der portalvenösen Durchblu-tung der Leber weniger entscheidend. Vielmehr wird dervenöse Fluss über die Pfortader durch die Summe der arteri-ellen Blutflüsse zu Magen, Milz, Pankreas, Dünn- und Dick-darm bestimmt, deren Perfusion hauptsächlich durch denTonus der Arteriolen in diesen Splanchnikusorganen reguliertwird (Abb. 1).

1.2.2 Arterial Buffer ResponseIm Gegensatz zur weitgehend druckpassiven portokavalenDurchblutung der Leber wird die arterielle Perfusion derLeber autoreguliert. Das Ziel ist, eine Beeinträchtigung derPfortaderdurchblutung zu kompensieren. Dieses Phänomenwird auch als „arterial buffer response“ bezeichnet. Nimmtdie Durchblutung der Leber über die Pfortader ab, steigt diePerfusion über die A. hepatica an. Die Autoregulation derarteriellen hepatischen Durchblutung beruht auf bis heute

M. Thiel (*)Universitätsklinikum Mannheim, Klinik für Anästhesiologieu. Operative Intensivmedizin, Mannheim, DeutschlandE-Mail: [email protected]

A. ChoukerLudwig-Maximilians-Universität München, Klinik für Anästhesiologie,München, DeutschlandE-Mail: [email protected]

# Springer-Verlag GmbH Deutschland 2016R. Rossaint et al. (Hrsg.), Die Anästhesiologie, Springer Reference Medizin,https://doi.org/10.1007/978-3-662-45539-5_8-1

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nicht vollständig geklärten myogenen, neurogenen und meta-bolischen Faktoren.

Nach der „Auswaschtheorie“ wird mit konstanter RateAdenosin gebildet, das als potenter Vasodilatator den Tonusder hepatischen Arteriolen reguliert. Bei Abnahme der por-talvenösen Perfusion akkumuliert Adenosin mit der Folgeeiner Dilatation der Arteriolen und der Steigerung der arteri-ellen Leberdurchblutung. Bei Zunahme des portalvenösenFlusses wird der Vasodilatator stärker ausgewaschen unddie Dilatation der arteriellen Gefäße nimmt wieder ab [11].

" Die „arterial buffer response“, die zur Abnahme der Pforta-derperfusion inverse Steigerung der arteriellen Durchblu-tung, trägt zur Aufrechterhaltung der Homöostase derLeber und des gesamten Organismus bei. Ein konstanterGesamtblutfluss durch die Leber sichert zum einen dieO2-Versorgung des Organs und zum anderen die blutfluss-abhängige Elimination von Stoffwechselprodukten.

Voraussetzung für die kompensatorische Steigerung derarteriellen Perfusion der Leber ist jedoch ein ausreichendersystemarterieller Druck.

1.3 Funktion der Leber als Blutreservoir

Der Gehalt der Leber an Blut beträgt normalerweise bis zu500 ml und entspricht damit 10 % des Blutvolumens. Für dieAufnahme und Abgabe von Blut aus der Leber hat das Leber-venenbett eine besondere Bedeutung. So kann bei Herzinsuf-fizienz mit Erhöhung des zentralen Venendrucks bis zu 1 lBlut zusätzlich in der Leber gespeichert werden. Umgekehrtwerden bei Hypovolämie bis zu 350–500 ml Blut aus derLeber in den Kreislauf mobilisiert. Kontrolliert wird dieseReservoirfunktion der Leber durch das sympathische Ner-vensystem im Innervationsbereich von Th3–Th11.

" Damit stellt die Leber ein wichtiges Organ für die Mobili-sation von Blut bei akuter Hypovolämie dar.

Abb. 1 Kreislaufsituation der Leber. Der Bruchwert gibt das Verhältnisder Blutversorgung der Leber über die Arterie und die Pfortader an

Abb. 2 Schema des Periportalfelds mit benachbarten Leberläppchen.In den Sinusoiden konfluieren arterielles und portalvenöses Blut

Abb. 3 Konfluens der Gefäße des Periportalfelds in die Sinusoide derLeberläppchen

2 M. Thiel und A. Chouker

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1.4 Funktionelle und anatomische Einheitender Leber

1.4.1 Periportalfelder

" Die funktionelle Einheit der Leber ist das von den zufüh-renden Gefäßen abhängige Periportalfeld mit den von ihmversorgten umliegenden Leberläppchen (Abb. 2 und 3).

Im Periportalfeld liegen neben den Gallengängen die Aus-läufer der Pfortader sowie der A. hepatica und Lymphgefäße.Die Äste der Pfortader verzweigen sich weiter als septaleVenolen und Einlassvenolen. Die Äste der A. hepatica teilensich zu terminal hepatischen Arteriolen auf. Diese bilden mitden peripheren Abschnitten der septalen Venolen Anastomo-sen, bevor schließlich das portalvenöse und arterielle Blut indie Sinusoide der Leberläppchen gelangt.

1.4.2 Leberläppchen

" Das Leberläppchen (Azinus) stellt die kleinste anatomischeEinheit der Leber dar.

Es enthält die eigentlichen Parenchymzellen, die Hepatozytensowie Blutgefäße (Sinuskapillaren, Zentralvene) und Lymph-gefäße, Zellen des retikuloendothelialen Abwehr- und Spei-chersystems und ableitende Gallenwege. Im Leberläppchenbefinden sich die in Einzel- und Doppelzellschichten ange-ordneten Hepatozyten, die als Platten parallel zum Verlauf derSinusoide und radiär zur Zentralvene in der Mitte des Läpp-chens angeordnet sind.

1.4.3 Dissé-RaumDie beidseits der Hepatozytenplatten befindlichen Sinusoidebzw. Sinuskapillaren werden von Endothelzellen gebildet.Da die Sinusendothelzellen gefenstert sind und keine Basal-membran besitzen, können auch große Moleküle aus demBlutplasma in den spaltförmigen Raum (Dissé-Raum) zwi-schen den Endothelzellen und den Leberzellen eindringenund die Hepatozyten direkt umspülen.

" Der Dissé-Raum ist der Ort des Stoffaustausches zwischenLeberzellen und Blut.

Das in den Dissé-Raum abgegebene Ultrafiltrat hat An-schluss an Lymphgefäße. Aufgrund der makromolekularenDurchlässigkeit der gefensterten Sinusendothelzellen leitendiese eine sehr proteinreiche Lymphe ab. Die tägliche Pro-duktion der Lymphe in der Leber beträgt ungefähr 3 l und machtca. 1=3 der gesamten Lymphproduktion des Organismus aus.

1.4.4 MakrophagenIn den Sinusoiden spannen sich dieKupffer-Sternzellen aus.Sie gehören dem Makrophagen-Phagozyten-System als Teildes retikuloendothelialen Systems an. Als Makrophagen sindsie in der Lage, Makromoleküle, Toxine – insbesondereEndotoxin – sowie Mikroorganismen, die aus dem Darmbei erhöhter Permeabilität z. B. infolge eines Schockzustandsin das portalvenöse Blut transloziert werden, durch Phago-zytose aufzunehmen und abzubauen. Im Dissé-Raum befin-den sich die sog. Ito-Zellen oder auch Stellatumzellen.Ito-Zellen sind mesenchymale Zellen, die Fett und fettlös-liche Vitamine (z. B. Vitamin A) speichern. Ihre langen zyto-plasmatischen Ausläufer sind zur Kontraktion fähig undumgeben die Sinusendothelien. Daher werden Ito-Zellenmit der Regulation des sinusoidalen Gefäßwiderstands inZusammenhang gebracht [8].

1.4.5 GallengängeZwischen 2 einander zugewandten Hepatozyten wird jeweilsdurch die Zytoplasmamembranen eine Gallengangkapillaregebildet, in die Hepatozyten ihre Galle abgeben. Die Gallen-gangkapillaren stehen mit den periportalen Gallengängen inVerbindung, die sich zu größeren intrahepatischen Gallen-gängen vereinigen und die Galle über einen rechten undlinken Hauptgallengang in den Ductus hepaticus ableiten.

Die makroanatomischen Strukturen der Leber und ihreBedeutung für die Planung des chirurgischen Vorgehens wer-den in Kap. ▶ „Anästhesie bei Patienten mit Erkrankungender Leber“ und ▶ „Anästhesie in der Viszeralchirurgie“beschrieben.

1.4.6 Stoffwechselleistungen der LeberDie Leber hat eine zentrale Bedeutung für die Aufrechterhal-tung der metabolischen Homöostase. Zu ihren komplexenAufgaben zählen die Verstoffwechselung, die Synthese, dieSpeicherung, der Abbau und die Sekretion von körpereige-nen und enteral aufgenommenen Stoffen.

Wichtige Stoffwechselleistungen der Leber• Kohlenhydratstoffwechsel

– Kontrolle der Glukosekonzentration im Blut– Umwandlung von Fruktose undGalaktose in Glu-

kose– Glukoneogenese, Glykogenolyse

• Fettstoffwechsel– Umwandlung von überschüssigen Kohlenhydra-

ten in Fett– Energiegewinnung durch β-Oxidation von Fett-

säuren– Synthese von Phospholipiden, Cholesterin

(Fortsetzung)

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Leber 3

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• Protein- und Aminosäurenstoffwechsel– Synthese von Plasmaproteinen– Transportproteine (z. B. Albumin)– Proteine der Gerinnung und der Fibrinolyse– Akut-Phase-Proteine (z. B. CRP)– Oxidative Desaminierung von Aminosäuren und

Bildung von NH3

• Speicherung und Sekretion– Fette, fettlösliche Vitamine (z. B. Vitamin A)– Bildung und Sekretion von Galle

1.4.7 GlukosestoffwechselAus der Verdauung und Resorption der Nahrung fallen imWesentlichen Glukose, Fruktose und Galaktose an. Nur dieLeber vermag Galaktose und Fruktose in Glukose umzuwan-deln. Bei erhöhtem Angebot kann Glukose als Glykogen inder Leber gespeichert und bei erhöhtem Bedarf durchGlyko-genolyse wieder in das Blut abgegeben werden. Bei einemÜberangebot an Kohlenhydraten werden diese zu Lipidenumgewandelt und in der Leber gespeichert, sodass es zurVerfettung der Leber kommt. Umgekehrt kann bei erhöhtemGlukosebedarf und Verbrauch der begrenzten Glykogenspei-cher Glukose aus Aminosäuren gebildet werden (Glukoneo-genese).

1.4.8 FettstoffwechselMit der Nahrung aufgenommene Fettsäuren unterliegen inder Leber der β-Oxidation und dienen der Energiegewinnungoder werden zur Synthese von Fetten, Cholesterin und Phos-pholipiden verwendet. Cholesterin ist ein im Organismusubiquitär vorhandener, wichtiger Baustein für Zellmembra-nen, Hormone (Steroidhormone) und für die Synthese vonGallensäuren.

1.4.9 EiweißstoffwechselWichtige Leistungen der Leber im Proteinstoffwechsel sinddie Synthese von Plasmaproteinen, Albumin und Akut-Phase-Proteinen wie dem C-reaktiven Protein. Von herausra-gender Bedeutung für die Hämostase ist die Bildung pro- undantikoagulatorisch wirksamer Faktoren. Darüber hinaus istdie Leber wichtig für die Bildung und Elimination von Akti-vatoren und Inhibitoren der Fibrinolyse. Aminosäuren wer-den durch oxidative Desaminierung abgebaut bzw. für dieGlukoneogenese verwendet. Der dabei entstehende Ammo-niak wird durch Bildung von Harnstoff entgiftet.

1.4.10 HämoglobinstoffwechselDie Synthese der prosthetischen Gruppe des Hämoglobins,des Häms, erfolgt hauptsächlich in der Leber sowie im Kno-

chenmark in den Vorstufen der Erythrozyten. Das geschwin-digkeitsbestimmende Enzym im Syntheseweg ist die δ-Ami-nolävulinsäure-Synthetase, die durch das Endprodukt Hämgehemmt wird. Spezifische Enzymdefekte sind die Auslöserverschiedener Formen von Porphyrie.

Nach Ablauf der Überlebenszeit der Erythrozyten (imMit-tel ca. 120 Tage) freigesetztes Hämoglobin wird in den Zellendes retikuloendothelialen Systems abgebaut. Das aus derHäm-Gruppe gebildete, nur wenig wasserlösliche Bilirubinwird an Albumin gebunden und zur Leber transportiert. Dortwird es carriervermittelt aufgenommen und mit 2 MolekülenGlukuronsäure konjugiert. Das nunmehr wasserlösliche Bili-rubindiglukuronid wird durch aktiven Transport in die Gallesezerniert. Die Kapazität dieses Transportsystems stellt denEngpass im Bilirubinstoffwechsel dar. Im Darm findet dieUmwandlung des Bilirubins unter Mitwirkung von Mikroor-ganismen in Urobilinogen, Sterkobilinogen und schließlichin Urobilin und Sterkobilin statt.

1.5 Biotransformation

Neben anderen Organen (Lunge, Niere, Darm) ist die Leberder Hauptort der Biotransformation.

" Unter Biotransformation (früher auch als Entgiftung be-zeichnet) versteht man die Elimination von Fremdstoffen,die vom Organismus nicht verwendet werden können,aufgrund ihrer lipophilen Eigenschaften jedoch rasch auf-genommen und renal nur schlecht ausgeschieden werden.

Es ist deshalb notwendig, lipophile Substanzen in hydro-phile, nichttoxische und renal leicht ausscheidbare Stoffe umzu-wandeln. Die Biotransformation erfolgt dabei in 2 Schritten:

• Phase I: Im ersten Schritt werden reaktive Gruppen(Hydroxy-, Sulfhydryl- und Amino-Gruppen) in das Mo-lekül eingeführt. Wichtigste Reaktion ist hierbei die Oxi-dation des Moleküls durch die Cytochrom-P450-enthal-tenden mischfunktionellen Oxydasen.

• Phase II: Im zweiten Schritt, der Konjugation, wird derentstandene Metabolit über die eingeführte reaktive Grup-pe mit einer körpereigenen Substanz verknüpft, z. B. mitGlukuronsäure. Dieser Schritt wird durch die Glukuronyl-transferase katalysiert.

Während die Proteinsynthese im rauen plasmatischenRetikulum stattfindet, erfolgen die Teilschritte der Biotrans-formation in den Membranen des glatten plasmatischen Reti-kulums der Hepatozyten.

4 M. Thiel und A. Chouker

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2 Der leberkranke Patient

Die Leber erfüllt komplexe biochemische Aufgaben, derenBeeinträchtigung zur Insuffizienz des Organs führt. Bei Pati-enten mit Leberzirrhose im Endstadium treten neben denZeichen der Leberinsuffizienz auch funktionelle und struktu-relle Veränderungen anderer vitaler Organsysteme auf.

" Cave Patienten mit einer Zirrhose im Stadium Child-C(Tab. 8) sowie akuter Hepatitis sollten chirurgischen Ein-griffen nicht oder nur bei vitaler Indikationsstellung unter-zogen werden.

2.1 Leberinsuffizienz

2.1.1 UrsachenDie Insuffizienz der Leber beruht auf einer Schädigung desParenchyms durch akute oder chronische Erkrankungen(Tab. 1).

Das führende Symptom cholestatischer Erkrankungen istder Ikterus, der in prähepatische, hepatische und cholestati-sche Formen eingeteilt wird (Tab. 2). In der Regel ist dieInsuffizienz der Leber bei Erkrankungen mit extrahepatischerCholestase zunächst weniger stark ausgeprägt.

Bei fortschreitender Insuffizienz der Leber kommt esschließlich zum Zusammenbruch aller Funktionen des Or-gans und zum hepatischen Koma.

" Insbesondere bei akutem Leberversagen z. B. nach Intoxi-kationen muss eine schwere Hypoglykämie als Ursacheder Bewusstseinstrübung ausgeschlossen werden.

2.1.2 Auswirkungen auf den StoffwechselAufgrund der großen hepatischen Funktionsreserven führenErkrankungen der Leber erst spät zu klinisch fassbaren Stö-rungen des Stoffwechsels.

KohlenhydratstoffwechselVeränderungen im Kohlenhydratstoffwechsel können sicheinerseits als hepatogener Diabetes mit Hyperglykämie mani-festieren, andererseits Hypoglykämien verursachen. Ursachefür den hepatogenen Diabetes ist nicht ein Insulinmangel,sondern eine periphere Insulinresistenz. Diese ist z. T. Folgeerhöhter Plasmakonzentrationen von Glukagon, dessen hepa-tische Synthese und Elimination erhöht bzw. erniedrigt sind.Die hepatisch bedingte Hypoglykämie hingegen ist auf eineverminderte Abgabe von Glukose aus der Leber zurückzu-führen.

" Bei Einnahme von b-Blockern, Alkoholkonsum oder auchbei Hepatomen kann es durch Hemmung der Glukoneo-genese vermehrt zu Hypoglykämien kommen.

EiweißstoffwechselAufgrund der relativ kurzen Halbwertszeit sind Gerinnungs-faktoren gute Indikatoren für den Beginn und die Intensitäteiner akuten Störung der hepatozellulären Synthesefunktion.So zeigt insbesondere eine reduzierte Aktivität der Gerin-nungsfaktoren die Schwere einer Erkrankung der Leber an(Tab. 3). Eine isolierte Reduktion der Aktivität der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X kannaber auch auf einer Cholestase beruhen, da hierbei dieResorption des fettlöslichen Vitamins beeinträchtigt ist. Nach

Tab. 1 Ursachen der akuten und chronischen Leberinsuffizienz

Ursachen Akut Chronisch

Viren Hepatitis A, B, C, D, E, ca. 65 % Hepatitis B, C, D

Toxine z. B. Paracetamol, Amanita phalloides,Tetrachlorkohlenstoff, ca. 35 %

Alkohol ca. 80 %

Sonstiges z. B. HELLP, Schwangerschaftsfettleber,M. Wilson, Budd-Chiari-Syndrom, ca. 5 %

Autoimmunhepatitis, primär biliäre und sklerosierende Zirrhose (PBC, PSC),Medikamente, Toxine, Hämochromatose, M. Wilson, α1-Antitrypsinmangel,kardiale Zirrhose, Budd-Chiari-Syndrom

PBC primär biliäre Zirrhose; PSC primär sklerosierende Cholangitis

Tab. 2 Prähepatische, hepatische und cholestatische Ursachen des Ikterus

Prähepatisch Hepatisch Cholestatisch

HämolytischeAnämie

Familiäre Hyperbilirubinämien Störung der Gallesekretion in der Leber (intrahepatisch):• Cholestatische Verlaufsform einer Virushepatitis, einesMedikamentenikterus usw.

IneffektiveErythropoese

Akute und chronische Infektionen (Viren,Bakterien, Malaria)

Abflussstörung in den großen Gallengängen (extrahepatisch):• Choledochusstein, Tumor usw.

Toxisch (Alkohol, Medikamente, Chemikalien)

Venöse Stauung (Rechtsherzinsuffizienz, Budd-Chiari-Syndrom)

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parenteraler Substitution von Vitamin K normalisiert sich dieAktivität des Prothrombinkomplexes bei Cholestase, wäh-rend dieser Effekt bei Schädigung der Leberzellen ausbleibt(sog. Koller-Test).

Eine Hypalbuminämie entwickelt sich bei akuten Erkran-kungen der Leber aufgrund der langen Halbwertszeit desProteins relativ spät. Bei chronischen Lebererkrankungenmit Zirrhose beruht die Hypalbuminämie partiell auf einergestörten Verteilung zwischen intra- und extravasalem Raum(Aszites). Das im Aszites befindliche Albumin wird bevor-zugt als proteinhaltige Lymphe über die Leberkapsel in dasAbdomen abgepresst. Wegen der Größe der Poren in dengefensterten Sinusendothelien ist die Proteinkonzentrationin der Lymphe und damit im Aszites oft nur wenig geringerals im Plasma.

Serumenzyme und Transportproteine – wie die Pseu-docholinesterase, Haptoglobin, oder Zäruloplasmin – könnenbei fortgeschrittener Insuffizienz der Leber erniedrigt sein.Hingegen ist bei Cholestase die Synthese der beiden Trans-portproteine und der alkalischen Phosphatase erhöht.

AminosäurenstoffwechselStörungen des Aminosäurestoffwechsels beinhalten eine Zu-nahme aromatischer (Tyrosin, Phenylalanin) und eineAbnahme verzweigtkettiger (Leucin, Isoleucin) Aminosäu-ren. Der bei Leberkranken auftretende Foetor hepaticusberuht z. T. auf der Bildung atypischer Metaboliten vonMethionin. Die Fähigkeit der Leber, bei vermehrter Protein-zufuhr die Harnstoffsynthese zu erhöhen, ist eingeschränkt.Daher steigt bei akuten gastrointestinalen Blutungen dieKonzentration von Ammoniak im Blut an.

2.2 Leberzirrhose

Die Zirrhose der Leber ist Folge einer chronischen Erkran-kung. Im Endstadium führt dies nicht nur zu den Zeichen derLeberinsuffizienz, sondern geht häufig auch mit pathologi-schen Veränderungen des zentralen Nervensystems, im Pfor-tadergebiet, der Nieren, des Herz-Kreislauf-Systems und derLunge einher (Tab. 4).

2.2.1 Hepatische EnzephalopathieDie hepatische Enzephalopathie (HE) ist eine neuropsyschat-rische Komplikation des akuten und chronischen Leberver-sagens. Die klinische Manifestation reicht von Konzentra-tionsstörungen, leichter Verwirrung bis hin zum Koma mitHirnödem und erhöhtem Hirndruck. Die Pathogenese der HEist bis heute nur unvollständig verstanden. Die meisten Theo-rien basieren auf der erhöhten Bildung und Wirkung vonAmmoniak. Von Bakterien als auch von Enterozyten in derDarmmukosa gebildeter Ammoniak gelangt bei unzureichen-der Entgiftung in der Leber in den systemischen Blutkreis-lauf. Die klärende Funktion der Leber wird umgangen, wennportokavale Shunts vorliegen oder diese iatrogen bei derBehandlung des Pfortaderhochdrucks nach Anlage einestrans-/intrahepatischen portosystemischen Shunt (TIPS) ent-stehen.

Bei normalem pH-Wert des Blutes liegen ca. 2 % desAmmoniaks als Gas und 98 % als protoniertes Ammoniumi-on vor. Bei alkalischen Blut pH-Werten steigt der gasförmigeAnteil an, welcher die Blut-Hirn-Schranke gut überwindenkann, sodass bei Alkalosen die Neurotoxizität des Ammo-niaks zunimmt. Im Gehirn wird der Ammoniak durch dasEnzym Glutaminsynthetase unter Verbrauch von Glutamat inGlutamin umgewandelt. Steigende intrazelluläre Konzentra-tionen von Glutamin bewirken eine Schwellung von Astro-zyten (Hirnödem) sowie eine reduzierte Fähigkeit zur Regu-lation der Neurotransmission [3]. Die Auswirkungen vonAmmoniak auf die zelluläre Osmoregulation und Neurotoxi-zität werden verstärkt unter den Bedingungen einer Hypo-natriämie, die oftmals infolge einer erhöhten ADH Sekretionbei vermindertem effektivem zentralem Blutvolumen eintritt.Entgegen der früheren Auffassung, dass endogene Benzodia-zepinrezeptorliganden mit ursächlich für die hepatischenEnzephalopathie seien, wird als neues mechanistisches Kon-zept die Erhöhung des GABAergen Tonus infolge Modula-tion von GABA-A-Rezeptoren durch „Neurosteroide“ dis-kutiert [1]. Hingegen kann der cholinerge Tonus bei erhöhterExpression der neuronalen Acetylchonlinesterase absinken[7]. Klinisch werden 4 Stadien unterschieden (Tab. 5).

Tab. 3 Halbwertszeiten hepatisch synthetisierter Proteine

Protein (Faktor) Halbwertszeit Vitamin-K-abhängige Synthese

Albumin 25 Tage

Pseudocholinesterase 10 Tage

Fibrinogen (I) 4–5 Tage

Prothrombin (II) 2–3 Tage X

Proaccelerin (V) 15–35 h

Proconvertin (VII) 4–6 h X

Christmas-Faktor (IX) 18–30 h X

Steward-Prower-Faktor (X) 40–60 h X

6 M. Thiel und A. Chouker

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2.2.2 Portale HypertensionDas pathologisch-anatomische Korrelat der Leberzirrhose istder Ersatz untergegangener Hepatozyten durch Bindege-webe. In das Bindegewebe eingelagert finden sich Gruppenvon Hepatozyten, die von der Versorgung mit Blut abge-schnürt sind und dadurch nur noch wenig zur Stoffwechsel-leistung der Leber beitragen. Zugleich reduziert der fibroti-

sche Umbau den intrahepatischen Gefäßdurchmesser. Derhepatische Blutfluss wird vermindert und führt zur portalenHypertension.

Entsprechend der Lokalisation des Gefäßwiderstands las-sen sich 3 Formen des portalenWiderstandshochdrucks unter-scheiden.

Tab. 4 Extrahepatische Organmanifestationen chronischer Leberkrankheiten

Organsystem Manifestation

ZNS Enzephalopathie

Hirnödem

Herz und Kreislauf Hyperdyname Zirkulation

Vergrößertes Blutvolumen

Verminderte myokardiale Kontraktilität:

• M. Wilson, Hämochromatose, alkoholische Kardiomyopathie, Chemotherapie mit Anthrazyklinen• Perikarderguss• Verminderte Ansprechbarkeit auf Katecholamine

Lunge Arterielle Hypoxämie

Gestörtes Ventilations-Perfusions-Verhältnis

Vermehrter intrapulmonaler Shunt

Gestörte hypoxisch-pulmonale Vasokonstriktion

Hepatopulmonales Syndrom

Portopulmonales Syndrom

Pleuraergüsse

Gastrointestinaltrakt Verzögerte Magenentleerung

Portale Hypertension

Portosystemische Kollateralkreisläufe: Ösophagusvarizen

Aszites

Ulzera des Magens und Duodenums

Spontan bakterielle Peritonitis

Niere Hepatorenales Syndrom

• Natriumretention• Verminderte freie Wasserclearance• Verminderte tubuläre Konzentrationskapazität

Gerinnungssystem Koagulopathie

• Verminderte Synthese von Gerinnungsfaktoren• Verminderte hepatische Aufnahme aktivierter Faktoren

Thrombozytopenie

Gestörte Thrombozytenfunktion

Hämatopoese Anämie

Säure-Basen- und Elektrolythaushalt Metabolische Alkalose

Metabolische Azidose (bei Leberversagen)

Hyponatriämie

Hypokaliämie

Tab. 5 Stadien der hepatischen Enzephalopathie

Stadium Klinisch neurologisch-psychiatrische Symptomatik

0 Keine klinischen Symptome, psychomotorische Tests pathologisch

I Beginnende Schläfrigkeit, Konzentrationsschwäche, Flapping Tremor

II Stärkere Schläfrigkeit, Apathie, Flapping Tremor

III Ausgeprägte Schläfrigkeit, Flapping Tremor noch vorhanden

IV Koma

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Leber 7

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Formen des portalen Widerstandshochdrucks• Prähepatischer Block (z. B. Thrombose der Pfort-

ader)• Intrahepatischer Block

– Präsinusoidal: z. B. bei Sarkoidose, M. Hodgkin– Postsinusoidal: z. B. äthyltoxische, posthepatiti-

sche, biliäre Zirrhose• Posthepatischer Block (z. B. Budd-Chiari-Syndrom,

Rechtsherzinsuffizienz, Pericarditis constrictiva)

" Cave Eine Langzeitbeatmung mit hohen inspiratorischenDrücken und hohem PEEP kann ebenfalls im Sinne einesposthepatischen Blocks eine Abflussstörung bewirken.

Nach der sog. „backward theory“ ist die Behinderungdes portalen Blutabflusses die Ursache der portalen Hyper-tension. Ein weiterer Pathomechanismus ist die „forwardtheory“: Klinischen und experimentellen Befunden zufolgesteigt durch Vasodilatation und arteriovenöse „Shunts“ derarterielle Blutfluss zu den der Leber vorgeschalteten Organendes Splanchnikusgebiets an und erhöht so den portalvenösenDruck.

Folgen der portalen Hypertension• Umgehungskreisläufe• Stauungsinduration der Milz mit funktionellem Hy-

persplenismus und Thrombozytopenie• Aszites

Die wichtigsten Umgehungskreisläufe werden über gast-roösophageale Venen, Umbilikal- und Bauchwandvenen(Caput medusae) und retroperitoneale Venen gebildet. DurchUmgehung der Leber gelangt portalvenöses Blut ohne Ent-giftung direkt in den Systemkreislauf. Dies führt bei bis zu 1=3

der Patienten zur hepatischen Enzephalopathie.

" Kommt es bei schlechter Gerinnung zu akuten Blutungenaus Ösophagusvarizen, kann die erhöhte intestinale Ei-weißzufuhr die Bildung von Ammoniak und anderen toxi-schen Produkten steigern und ein akutes Leberkoma aus-lösen.

Die Produktion von Aszites beruht auf dem Abtropfen vonproteinreicher Lymphe aus der Leberoberfläche. Normaler-weise beträgt die Lymphproduktion der Leber ca. 3 l täglich.Bei postsinusoidalem Block kann jedoch die Produktionsratebis auf 11 l pro Tag ansteigen, eine Bildungsrate, die dieTransportkapazität der Lymphgefäße der Leber überschreitet.Zudem begünstigt die bei Leberinsuffizienz erniedrigte Syn-

these von Albumin durch Abnahme des kolloidosmotischenDrucks die Bildung von Aszites. Interessanterweise müssenbeide Faktoren, die Erhöhung des hydrostatischen Drucksund die Reduktion des kolloidosmotischen Drucks gleichzei-tig vorliegen, damit Aszites auftritt.

2.2.3 Hepatorenales SyndromDas hepatorenale Syndrom ist definiert als die Entwicklungeiner Niereninsuffizienz bei einer schweren akuten oder auchchronischen Lebererkrankung mit portaler Hypertension. An-dere Ursachen einer renalen Funktionsstörung müssen dabeiausgeschlossen werden. Der pathophysiologisch zugrundeliegende Mechanismus ist eine Minderperfusion der Niereinfolge ausgeprägter renaler Vasokonstriktion.

Morphologisch-strukturell ist die Niere intakt. Im klini-schen Verlauf lassen sich ein rasch progredientes hepatorena-les Syndrom Typ I (HRS I) von einem langsamer verlaufendenhepatorenalen Syndrom Typ II (HRS II) unterscheiden.

• Das HRS I ist durch den Anstieg des Serumkreatinins auf>2,5 mg/dl oder eine 50 %ige Reduktion der Kreatinin-clearance auf <20 ml/min in weniger als 2 Wochen cha-rakterisiert. Die Letalität ist hoch und beträgt bis zu 80 %.

• Das HRS II zeigt einen milderen Verlauf über mehrereMonate mit einer 1-Jahres-Überlebensrate von ca. 20 %.

Abzugrenzen vom HRS ist die akute tubuläre Nekrose(ATN) infolge eines hypovolämischen oder septischenSchocks. Wenngleich die Inzidenz des HRS mit 40 % inner-halb von 5 Jahren bei Patienten mit Leberzirrhose angegebenwird [9], handelt es sich jedoch in der Mehrzahl der Fälle vonakutemNierenversagen infolge eines Leberversagens um eineakute tubuläre Nekrose [16].

Die Pathogenese des hepatorenalen Syndroms ist komplexund bis heute nur unvollständig verstanden [4]. Gemäß derVasodilatationstheorie kommt es zu einer persistierenden ar-teriolären Vasodilatation im Splanchnikusgebiet (z. B. auf-grund gesteigerter LPS-induzierter NO-Produktion). Dasresultierende „blood pooling“ im Splanchnikusgebiet be-wirkt ein anhaltend vermindertes effektives arterielles Blut-volumen mit arterieller Hypotension. Die relative Hypovolä-mie kann zudem durch eine absolute Hypovolämie, z. B.infolge der Bildung von Aszites, in ihren hypotensiven Aus-wirkungen weiter gesteigert werden.

Durch die arterielle Hypotension werden barorezeptorre-flexgetriggert Kompensationsmechanismen aktiviert, derenZiel die Wiederherstellung eines adäquaten intravasalen Volu-mens und des arteriellen Blutdrucks ist. Dazu zählt die Stei-gerung des Sympathikotonus mit peripherer und auch renalerVasokonstriktion.

Der erhöhte Sympathikotonus verstärkt aber nicht nur diehypovolämiebedingte Minderdurchblutung der Nieren wei-ter, sondern trägt auch zu einer Stimulation des Renin-Angio-

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tensin-Aldosteron-Systems (RAAS) bei. Letztlich führt nachder Vasodilatatorentheorie die persistierende arterielle Vaso-dilatation im Splanchnikusgebiet zu einer kompensatorischenAktivierung von vasokonstriktiv wirksamen Systemen, dieaufgrund des Überwiegens von lokalen Vasodilatatoren imDarm die Durchblutung nicht reduzieren, die Perfusion derNiere hingegen stark vermindern.

Die Reduktion der renalen Durchblutung und die Aktivie-rung des RAAS begünstigen dabei die Retention von Natri-um, sodass insbesondere Patienten mit Aszites häufig einennatriumarmen Urin ausscheiden. Der Gesamtnatriumbestanddes Körpers wird erhöht.

" Trotz gesteigerten Gesamtnatriumbestands besteht häufigjedoch eine Hyponatriämie infolge einer erhöhten Sekre-tion von antidiuretischem Hormon.

Patienten, die zudem aufgrund von Pleuraergüssen und/-oder Aszites mit Diuretika behandelt werden, können nichtnur eine ausgeprägtere Hyponatriämie, sondern auch ein zuniedriges Plasmavolumen entwickeln. Eine zu großzügigeTherapie mit Diuretika kann hier die Durchblutung der Nie-ren weiter vermindern und so zur Entwicklung eines hepato-renalen Syndroms beitragen. Weitere auslösende Kofaktorenfür ein hepatorenales Syndrom sind Volumenverluste durchBlutung, Abpunktion von Aszites, Therapie mit nichtstero-idalen Antiphlogistika und eine Verschlechterung der Leber-funktion.

" Wenngleich eine zu forcierte Therapie mit Diuretika oderandere o. g. Ursachen für eine absolute Hypovolämie einHRS verursachen können, kann die Symptomatik durchMaßnahmen, die auf eine Erhöhung des zirkuklierendenBlutvolumens zielen, nicht gebessert werden.

So wird das klinische Bild sich weder durch Absetzen vonDiuretika noch durch eine kurzfristige Volumenzufuhr vonz. B. 1,5 l NaCl 0,9 % besseren lassen, denn das hepatorenaleSyndrom ist rein funktionell bedingt und somit nur mit Ver-besserung der Leberfunktion reversibel (z. B. nach erfolg-reicher Lebertransplantation oder nach Transplantation derNiere in einen Empfänger mit normaler Leberfunktion).

" Das hepatorenale Syndrom ist deshalb grundsätzlich eineAusschlussdiagnose.

Dies bedeutet, dass vor Erkrankung der Leber kein Hinweisfür eine Störung der Nierenfunktion vorlag. Zudem sindandere Ursachen einer Niereninsuffizienz auszuschließen.Bei prärenalem Nierenversagen gleichen die Urinbefundeden Veränderungen beim hepatorenalen Syndrom, da dierenale Perfusion in beiden Situationen vermindert ist. Beiakuter tubulärer Nekrose ist hingegen die Natriumkonzentra-tion im Urin wegen der gestörten Rückresorption erhöht(Tab. 6).

2.2.4 Veränderungen des Herz-Kreislauf-Systems

Bei Patienten mit Erkrankung der Leber im Endstadium liegthäufig eine hyperdyname Kreislaufsituation vor. Ursacheist ein erniedrigter peripherer Gefäßwiderstand durch endo-gen gebildete vasodilatierende Substanzen. Hierzu tragenmöglicherweise bakterielle Toxine bei, die insbesondere beiVorliegen portosystemischer Umgehungskreisläufe von derLeber unzureichend eliminiert werden. Weitere, vermehrtgebildete Substanzenmit vasodilatierenden Eigenschaften sindGlukagon, Ferritin, vasoaktives intestinales Peptid (VIP)-,Endocannabinoide, Tumornekrosefaktor (TNF) und NO[12]. Zusätzlich kann eine verminderte Ansprechbarkeit arte-riolärer Widerstandsgefäße gegenüber Vasokonstriktoren wieNoradrenalin oder Angiotensin II auftreten.

Bei erniedrigtem systemvaskulärem Widerstand ist zurAufrechterhaltung normaler arterieller Blutdruckwerte einkompensatorischer Anstieg des Herzzeitvolumens notwendig(Abb. 4). Erreicht wird dies durch eine Zunahme des Sym-pathikotonus, eine Aktivierung des RAAS und durch einegesteigerte Sekretion von antidiuretischem Hormon. DieseVeränderungen bewirken über eine Expansion des Blutvolu-mens eine Erhöhung der myokardialen Vorlast und nichtzuletzt auch infolge der erniedrigten Nachlast eine Steigerungdes Schlagvolumens. Bei gleichzeitigem Anstieg der Herz-frequenz kann das Herzzeitvolumen bei Patienten mit termi-naler Lebererkrankung sogar unter Ruhebedingungen bis aufdas Doppelte des Normalen erhöht sein.

Tab. 6 Differenzialdiagnose der Niereninsuffizienz bei Patienten mit Erkrankung der Leber

Urinbefund Prärenale Azotämie Hepatorenales SyndromAkute tubuläreNekrose

Urinnatrium <10 mmol/l <10 mmol/l >30 mmol/l

Verhältnis Urin:Plasmakreatinin

>30:1 >30:1 <20:1

Urinosmolalität Mindestens >100 mosmol/kg höher alsOsmolalität im Plasma

Mindestens >100 mosmol/kg höher alsOsmolalität im Plasma

NahezuPlasmaosmolalität

Urinsediment Normal Normal Zelldebris

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2.2.5 Hepatopulmonales undportopulmonalesSyndrom

Tritt die Vasodilatation nicht nur im großen Kreislauf, son-dern auch im pulmonalen Gefäßbett ein, dann erhöht dies diepulmonale Shuntdurchblutung und beeinträchtigt den Gas-austausch [10].

" Die Trias einer verminderten arteriellen Oxygenierung,einer Leberdysfunktion und der Dilatation von Lungenge-fäßen wurde als hepatopulmonales Syndrom beschrieben.

Angiographisch werden nach Krowka 2 Arten des hepa-topulmonalen Syndroms unterschieden:

• Typ 1: Dilatierte Lungengefäße sind als feine retikuläreNetze erkennbar.

• Typ 2: Es gibt vereinzelt größere arteriovenöse Verbin-dungen, die anatomische „Shunts“ darstellen.

Häufiger jedoch beruhen Störungen des pulmonalen Gas-austauschs bei Patienten mit Lebererkrankung im Endsta-dium auf der Ausbildung von Kompressionsatelektasen.Deren Entstehung wird durch Pleuraergüsse oder durch Hö-hertreten des Zwerchfells bei Aszites und allgemeiner Mus-kelschwäche insbesondere der Atemmuskulatur infolge Man-gelernährung begünstigt.

NebenVasodilation kann es aber auch zur Vasokonstriktionin der Lungenstrombahn kommen (Abb. 5), insbesondere bei

portaler Hypertension mit Umgehungskreisläufen. Es wirddiskutiert, ob Vasokonstriktoren, die im Splanchnikusgebietgebildet werden (z. B. Endothelin), durch portosystemische„Shunts“ in den systemischen Kreislauf gelangen und in derLunge zur Vasokonstriktion führen. Eine weitere Ursache fürdie Ausbildung einer pulmonalen Hypertension sind Umbau-prozesse, die im Rahmen einer initialen pulmonalen Vasodi-latation ausgelöst werden. Kommt es zur Entwicklung eineshepatopulmonalen Syndroms dann führt die extreme pulmo-nale Vasodilatation zu einer erheblichen Verkürzung derTransitzeit des Blutstroms durch die Lunge. Dies verstärktnicht nur eine Hypoxämie durch Reduktion der Zeit, diefür die Aufnahme von Sauerstoff in die Erythrozyten zurVerfügung steht, sondern es nehmen auch die Scherkräfte amLungengefäßendothel zu. Der damit verbundene mechanischeStress führt zu einer gesteigerten Freisetzung vonWachstums-faktoren und Zytokinen, die die Proliferation von glattenMus-kelzellen und Fibroblasten in der Gefäßwand langfristigstimulieren. Letztlich resultiert eine Zunahme des pulmonalenGefäßwiderstands. Dies könnte auch die Entwicklung eineshepatopulmonalen und portopulmonalen Syndroms beim glei-chen Patienten erklären [18].

" Mit länger andauernder pulmonaler Hypertension ist einfortschreitender Umbau der Gefäße und damit die anato-mische Fixierung des erhöhten Gefäßwiderstands anzu-nehmen.

3 Diagnostik

Im Rahmen der Anamneseerhebung muss gezielt nach mögli-chen Ursachen einer Erkrankung der Leber und deren Symp-tomen gefragt werden.

Abb. 4 Hyperdyname Kreislaufsituation bei fortgeschrittener Erkran-kung der Leber

Abb. 5 Hepatopulmonales und portopulmonales Syndrom

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Präoperative Anamneseerhebung bei Verdacht aufLebererkrankungen• Wurde der Patient schon einmal operiert?• Gab es besondere Ereignisse nach einer Anästhesie?• Erhielt der Patient schon einmal Blutprodukte?• Bestand eine Gelbsucht?• Wie viel Alkohol wird konsumiert?• Welche Medikamente werden eingenommen?• Besteht eine berufliche Exposition mit leberschädi-

genden Stoffen?• Berichtet der Patient über rasche Ermüdung?• Wirkt er verlangsamt?

Bei der Inspektion und körperlichen Untersuchung sollteauf die klinischen Zeichen einer Lebererkrankung geachtetwerden (s. oben).

Aufgrund des breiten Spektrums von Ursachen einerLebererkrankung und der vielfältigen Funktionen des Organsgibt es keinen einzelnen Test, der über die Gesamtfunktionder Leber umfassend Auskunft gäbe. Daher erscheint es sinn-voll, die zur Klärung eines vorliegenden klinischen Problemsam besten geeigneten Tests auszuwählen. Die Untersuchun-gen sollten dabei verschiedene Aspekte der Leberfunktionerfassen und wiederholbar sein, um eine Beurteilung desVerlaufs der Erkrankung zu ermöglichen. Die Interpretationinsbesondere von laborchemischen Untersuchungen solltestets in Zusammenhang mit dem klinischen Krankheitsbilddes Patienten erfolgen.

3.1 Routineparameter

Mit Hilfe eines überschaubaren Spektrums laborchemischerRoutineuntersuchungen erhält man Informationen über dasVorliegen von Erkrankungen, die mehr zu einer Cholestaseoder zu einem Parenchymschaden führen (Tab. 7).

3.1.1 BilirubinErhöhte Bilirubinkonzentrationen im Serum zeigen die Anwe-senheit und Schwere eines Ikterus an.

Eine Zunahme des indirekten Bilirubins beruht auf einerrelativen (z. B. Hämolyse) oder absoluten (z. B. Gilbert-Syndrom) Verminderung der Konjugation mit Glukuronsäure.

Eine Erhöhung des direkten Bilirubins spricht für eineverminderte biliäre Sekretion infolge funktionell-hepatozel-luärer oder mechanischer Ursachen.

Zumeist führen Erkrankungen der Leber mit Ikterus zueiner Steigerung beider Bilirubinarten, sodass eine Differen-zierung der Hyperbilirubinämie oftmals keinen Rückschlussauf eine mehr das Leberparenchym oder die Gallenwegebetreffenden Erkrankung zulässt. Neben einer Erhöhung desBilirubins werden beiCholestase, sei sie intrahepatisch funk-tionell bedingt oder extrahepatisch mechanisch durchKompression der Gallenwege hervorgerufen, v. a. auch eineSteigerung der γ-Glutamyltranspeptidase, der alkalischenPhosphatase und der 5’-Nukleotidase beobachtet. Die 5’--Nukleotidaseaktivität ist für die Diagnose einer Cholestasespezifischer als die Aktivität der alkalischen Phosphatase, daletztere auch bei Erkrankungen des Skelettsystems erhöhtsein kann.

3.1.2 TransaminasenAls Indikatoren eines hepatozellulären Schadens gelteneine Zunahme der Aktivitäten der Serumtransaminasen, derGlutamat-Oxalat-Transaminasen (SGOT) sowie derGluta-mat-Pyruvat-Transaminasen (SGPT). Während die SGPTnur im Zytosol der Hepatozyten vorkommt, findet sich dieSGOTsowohl im Zytosol als auch in denMitochondrien nichtnur vonHepatozyten, sondern auch von anderen Organen, wiedem Herzen oder dem Skelettmuskel. Erkrankungen dieserOrgane lassen sich jedoch häufig klinisch gut von Erkrankun-gen der Leber abgrenzen.

Als ein weiterer empfindlicher „Frühindikator“ eines Leber-zellschadens könnte die Quantifizierung der α-Glutathion-S-Transferase (α-GST) dienen, die z. B. bei Intoxikationen mitParacetamol, Hepatitiden oder Ischämieschäden [5] bzw.auch bei der Transplantatabstoßung nach Lebertransplanta-tion ansteigt. Durch ihr niedriges molekulares Gewicht(50 kDa) wird die α-GSTschnell nach Schädigung des Leber-gewebes freigesetzt und ist so früh im Plasma messbar. Dadie α-GST im Vergleich zur SGPT und SGOT sehr homogenin der gesamten Leber verteilt ist, kann die Messung der

Tab. 7 Laborchemische Parameter zur Identifikation und Differenzierung einer Leberdysfunktion

Parameter Prähepatischer Ikterus Parenchymale Dysfunktion Cholestase

Bilirubin Unkonjugiertes Bilirubin↑

Konjugiertes Bilirubin ↑ Konjugiertes Bilirubin ↑

Aminotransferasen Normal ↑; bei fortgeschrittener Erkrankung: normalbis ↓

Normal; bei fortgeschrittenerErkrankung: ↑

AlkalischePhosphatase

Normal Normal ↑

Quick-Wert bzw. INR Normal ↓ bzw. ↑ Bei fortgeschrittener Erkrankung: ↓ bzw.↑

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α-GST Serumkonzentration auch Schäden im zentrilobulärenBereich der Leber erfassen.

3.1.3 Parameter der SyntheseleistungAls Parameter der Syntheseleistung der Leber gelten dieSerumkonzentrationen von Albumin, die Aktivität vonGerinnungsfaktoren sowie der Pseudocholinesterase. Beider Bewertung sind im Rahmen akuter Lebererkrankungendie unterschiedlichen Halbwertszeiten der Proteine zu be-rücksichtigen (Tab. 3). Zudem besitzt die Leber z. B. fürdie Synthese von Albumin eine enorme Reserve, sodass dasAlbumin im Serum erst bei erheblicher Einschränkung derLeberfunktion abfällt. Ein globales Maß für eine Einschrän-kung der Synthese von Gerinnungsfaktoren ist die Abnahmedes Quick-Werts, der aufgrund seiner Abhängigkeit vonFaktor VII bei akuten Erkrankungen der Leber relativ schnellabsinkt.

3.1.4 Ammoniak

" Das Serumammoniak steigt häufig bereits 24–48 h vorEntwicklung eines hepatischen Komas an.

3.1.5 Klassifikation nach Child-Turcotte PughDie Synopsis von Parameter der Sekretion (Bilirubin), derSyntheseleistung (Albumin, Quick-Wert) und von extrahepa-tischen klinischen Manifestationen (Aszites, Enzephalopa-thie) bildet die Grundlage der Klassifikation des Schwere-grads der Leberzirrhose nach Child-Turcotte Pugh (Tab. 8).

Diese Klassifikation hat sich als besonders hilfreich für dieIndikationsstellung zur Lebertransplantation erwiesen. GeeigneteKandidaten sind Patienten mit Leberzirrhose im Stadium Bund C. Klinisch wichtig ist zudem, dass die Letalität nicht-hepatischer Eingriffe bei Patienten mit Leberzirrhose mit demSchweregrad nach Child-Turcotte-Pugh korreliert (Child-A15 %, Child-B 40 %, Child-C 65 % Letalität; [13]).

3.1.6 Model for End-Stage Liver Disease(MELD)Das „model for end-stage liver disease“ wird seit Dezember2006 von Eurotransplant für die Erfassung der Schwere der

Erkrankung der Leber von Patienten auf der Warteliste für dieTransplantation verwendet. Der, individuell zu berechnende,MELD-Score variiert zwischen Werten von 6–40 und ist fürein Alter über 12 Jahren anwendbar. Der Score gibt Auskunftdarüber, wie dringlich eine Lebertransplantation innerhalbder nächsten 3 Monate ist. In die Berechnung gehen 3 Routi-nelaborparameter ein:

• Bilirubin (Parameter der Sekretionsleistung),• INR (Parameter der Syntheseleistung) und• Kreatinin (Parameter der Nierenfunktion).

Neben der einfachen Erhebung ist die objektive Prüfbarkeitein weiterer Vorteil dieser Parameter. Erste Studien sprechendafür, dass eine Organallokation gemäß dem MELD-Score-System zu einer Verbesserung des Outcome der Patienten aufder Warteliste geführt hat [14]. Darüber hinaus scheint diepräoperative Abschätzung der Organfunktionsreserve anhanddes MELD-Scores gut geeignet, die postoperative Morbiditätund Mortalität von Patienten mit Leberzirrhose vorherzusa-gen, die sich einer Resektion, z. B. eines hepatozellulärenKarzinoms, unterziehen müssen [6]. Schließlich erscheint auchder MELD-Score ein Prädiktor für die postoperative Morbidi-tät und Mortalität bei Patienten mit Leberzirrhose und intraab-dominellen nichthepatischen Eingriffen zu sein [2]. Ein hohesRisiko besteht bei einem MELD-Score oberhalb von 9 bzw.14 Punkten bei die Leber teilresezierenden bzw. nicht dieLeber betreffenden abdominalchirurgischen Eingriffen.

3.1.7 Spezielle FunktionstestsEs gibt keinen quantitativen Test, der die Funktionsreserveder Leber exakt erfasst. Selbst bei Wahl geeigneter Substratekönnen lediglich einzelne Aspekte der Leberfunktion nurabgeschätzt werden. Prinzipiell berechnet sich die Entfer-nung eines Stoffes aus der Blutbahn pro Zeiteinheit durchdie Leber (hepatische Clearance, ClH) aus dem Produkt derExtraktion aus dem Blut (E) und der Größe der Leberdurch-blutung (Q):

Tab. 8 Schweregrade der Leberzirrhose nach Child-Turcotte-Pugh

Parameter Punkte

1 2 3

Albumin (g/dl) >3,5 2,8–3,5 <2,8

Bilirubin (mg/dl) <2,0 2,0–3,0 >3,0

Quick-Wert >70 % 40–70 % <40 %

INR <1,7 1,7–2,3 >2,3

Aszites 0 +/++ +++

Enzephalopathieschweregrad 0 I–II III–IV

Punkte gesamt

5–6 7–9 9–15

Child-A Child-B Child-C

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ClH ¼ E� Q

" Substanzen, die eine hohe Extraktion aufweisen (E >0,7,z. B. Indocyaningrün, Propofol), zeigen eine „Clearance“,die nahezu direkt proportional von der Leberdurchblutungabhängt. Solche Substanzen sind in ihrem Metabolismusflusslimitiert.

Sie eignen sich, um Aussagen über die Durchblutung derLeber zu treffen.

" Substanzen, die nur eine geringe Extraktion aus dem Blutaufweisen (E <0,3, z. B. Aminopyrin, Thiopental), sind übereinen breiten Bereich unabhängig von der Leberperfusion.Ihr Metabolismus zeigt mehr die funktionelle Masse bzw.die Aktivität der Enzyme im Leberparenchym an. Manbezeichnet ihre „Clearance“ auch als kapazitätslimitiert.

Substanzen mit geringer Extraktion und deshalb vorwie-gend kapazitätslimitierter Clearance können weiter unter-schieden werden in solche, für deren Aufnahme in die Hepa-tozyten die Größe der Bindung an Plasmaproteine bzw. derfreie, ungebundene Anteil im Plasma eine Rolle spielt. Diekapazitätslimitierte Clearance wird dann als bindungssensi-tiv oder als bindungsinsensitiv bezeichnet. Bei Substanzenmit mittlerer Extraktion und Bindung sind der hepatischeBlutfluss, die Kapazität des Leberparenchyms zu meta-bolisieren, und die Proteinbindung die wesentlichen Deter-minanten für die hepatische Clearance.

Eine diagnostisch eingesetzte Substanz mit hoher hepati-scher Extraktion ist z. B. Indocyaningrün (ICG). ICG wirdausschließlich von der Leber aufgenommen und unverändertin die Galle sezerniert.

" Die ICG-Clearance wird vorwiegend zur Bestimmung deshepatischen Blutflusses berechnet.

Eine erniedrigte Elimination von ICG hat prognostischeBedeutung für die postoperative Letalität von Patienten, diesich einem resezierenden Eingriff an der Leber unterziehen.In diesen Fällen ist die Mortalität erhöht, wenn die ICG-Re-tentionsrate, bestimmt 15 min nach i.v.-Injektion, über 14 %ansteigt [17]. Neben der invasiven Messung der ICG-Cle-arance durch wiederholte Blutentnahmen kann alternativ dieVerschwinderate von ICG („plasma disappearance rate“ vonICG; PDRICG) nichtinvasiv mit Hilfe der Pulsdensitometrietranskutan bestimmt werden. Der Normwert beträgt18–25 %/min. Gegenüber der ICG-Clearance (Normwert>700 ml/min/m2 KOF) ist die PDRICG weitgehend unab-hängig vom Verteilungsvolumen und der injizierten Dosis.Da eine gute Korrelation zwischen der ICG-Clearance undder PDRICG aufgezeigt wurde, kann die PDRICG als nicht-

invasiver Surrogatmarker für die Beurteilung der Leberfunk-tion verwendet werden [15].

Weitere (semi)quantitative funktionelle Test der Leber-funktion sind z. B. der Monoethylglyzinexylid (MEGX)-Test,der Aminopyrinatemtest, der Koffein-Clearance-Test, derBromosulphthaleintest, der Galaktoseeliminationstest usw.

Limitationen dieser Tests sind der teilweise hohe Aufwandfür ihre Durchführung, die Strahlenbelastung beim Amino-pyrinatemtest, die hohe interindividuelle Variabilität, der Ein-fluss von Geschlecht und Alter, von Begleiterkrankungen(verminderte Lidocainclearance bei Herzinsuffizienz) undvon konkurrierenden Medikamenten.

Wünschenswert sind jedoch Leberfunktionstests in derAnästhesie und Intensivmedizin, die einfach durchführbarsind und einen hohen prädiktiven Wert für die Entwicklungeiner Leberdysfunktion beim Risikopatienten mit einge-schränkter Funktionsreserve haben. Dies ist auf der Grund-lage der genannten Leberfunktionstests nur sehr bedingtmöglich.

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