9
1980 H. Bock, S. Aygen, P. Rosrnus und B. Solouki 3187 Chem. Ber. 113, 3187-3195 (1980) Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII -3) Selenoketen Hans Bock *, Sitki Aygen3), Pave1 Rosmus und Bahman Solouki Institut fur Anorganische Chemie der Universitat Frankfurt, Niederurseler Hang, D-6000 Frankfurt am Main 50 Eingegangen am 18. Dezember 1979 Die thermische Zersetzung von 1,2,3-Selenadiazol in der Gasphase wurde photoelektronen- und massenspektroskopisch verfolgt. Bei Temperaturen oberhalb 720 K entsteht Selenoketen, dessen PE-Spektrurn anhand von ab initio-SCF-Rechnungen sowie durch Radikalkation-zustands- vergleich mit den iso(va1enz)elektronischen Heterokumulenen H,C = C = 0 und H2C = C = S zu- geordnet werden kann. Das 4-Phenyl-Derivat zerfallt oberhalb 820 K zu Phenylacetylen. Analysis and Optimization of Gasphase Reactions, XVII - 3). - Selenoketene The thermal decomposition of 1,2,3-~elenadiazole in the gaseous phase has been investigated by photoelectron and mass spectroscopy. At temperatures above 720 K selenoketene is formed, the PE spectrum of which can be assigned based on ab initio SCF calculations as well as on radical cation state comparison with the iso(va1ence)electronic heterocumulenes H,C = C = 0 and H2C = C = S. The 4-phenyl derivative decomposes above 820 K forming phenylacetylene. 1,2,3-Selenadiazole sind aus Semicarbazon einstufig in guter Ausbeute zugang- lich'.''; ihre thermische Zersetzung fiihrt zu Acetylenen'~~) und ist insbesondere bei cyclischen Derivaten anderen Synthesewegen uberlegen'). Ungeklart ist, ob und gege- benenfalls welche Zwischenprodukte bei der Thermolyse durchlaufen werden: Das iso(va1enz)-elektronische 1,2,3-Thiadiazol zerfallt bei 900 K quantitativ in N, und Thioketen*). Andererseits liefert die Umsetzung von 1,2,3-SelenadiazoI-Derivaten mit Fe,(CO), zweikernige Carbenkomplexe (OC),Fe - L - Fe(CO)?). Fur die Photolyse bei 8 K in Ar-Matrix werden neben H,C = C = Se auch die Isomeren HC =C - SeH sowie der Dreiring (HC),Se postuliert'"). Photoelektronen-Spektren eignen sich als ,,molekulare Fingerabdriicke" in einem strdmenden System zur Analyse und zur Optimierung vieler Gasphasen-Reaktionen"). Zugleich liefern die ,,Ionisationsmuster" Auskiinfte iiber die Radikalkationen- Zustande M' @ und - zusammen mit SCF-Rechnungen - uber bislang unbekannte Molekule MI2) wie Selenoketen H2C = C = Se. 0 Verlag Chemie, GmbH, D-6940 Weinheim, 1980 0009 - 2940/80/1010 - 3187 $ 02.50/0

Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

1980 H. Bock, S . Aygen, P. Rosrnus und B. Solouki 3187

Chem. Ber. 113, 3187-3195 (1980)

Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII - 3 )

Selenoketen

Hans Bock *, Sitki Aygen3), Pave1 Rosmus und Bahman Solouki

Institut fur Anorganische Chemie der Universitat Frankfurt, Niederurseler Hang, D-6000 Frankfurt am Main 50

Eingegangen am 18. Dezember 1979

Die thermische Zersetzung von 1,2,3-Selenadiazol in der Gasphase wurde photoelektronen- und massenspektroskopisch verfolgt. Bei Temperaturen oberhalb 720 K entsteht Selenoketen, dessen PE-Spektrurn anhand von ab initio-SCF-Rechnungen sowie durch Radikalkation-zustands- vergleich mit den iso(va1enz)elektronischen Heterokumulenen H,C = C = 0 und H2C = C = S zu- geordnet werden kann. Das 4-Phenyl-Derivat zerfallt oberhalb 820 K zu Phenylacetylen.

Analysis and Optimization of Gasphase Reactions, XVII - 3). - Selenoketene The thermal decomposition of 1,2,3-~elenadiazole in the gaseous phase has been investigated by photoelectron and mass spectroscopy. At temperatures above 720 K selenoketene is formed, the PE spectrum of which can be assigned based on ab initio SCF calculations as well as on radical cation state comparison with the iso(va1ence)electronic heterocumulenes H,C = C = 0 and H2C = C = S. The 4-phenyl derivative decomposes above 820 K forming phenylacetylene.

1,2,3-Selenadiazole sind aus Semicarbazon einstufig in guter Ausbeute zugang- lich'.''; ihre thermische Zersetzung fiihrt zu Acetylenen'~~) und ist insbesondere bei

cyclischen Derivaten anderen Synthesewegen uberlegen'). Ungeklart ist, ob und gege- benenfalls welche Zwischenprodukte bei der Thermolyse durchlaufen werden: Das iso(va1enz)-elektronische 1,2,3-Thiadiazol zerfallt bei 900 K quantitativ in N, und Thioketen*). Andererseits liefert die Umsetzung von 1,2,3-SelenadiazoI-Derivaten mit Fe,(CO), zweikernige Carbenkomplexe (OC),Fe - L - Fe(CO)?). Fur die Photolyse bei 8 K in Ar-Matrix werden neben H,C = C = Se auch die Isomeren HC =C - SeH sowie der Dreiring (HC),Se postuliert'").

Photoelektronen-Spektren eignen sich als ,,molekulare Fingerabdriicke" in einem strdmenden System zur Analyse und zur Optimierung vieler Gasphasen-Reaktionen"). Zugleich liefern die ,,Ionisationsmuster" Auskiinfte iiber die Radikalkationen- Zustande M' @ und - zusammen mit SCF-Rechnungen - uber bislang unbekannte Molekule MI2) wie Selenoketen H2C = C = Se.

0 Verlag Chemie, GmbH, D-6940 Weinheim, 1980 0009 - 2940/80/1010 - 3187 $ 02.50/0

Page 2: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

3188 H. Bock, S. Aygen, P. Rosmus und B. Solouki Jahrg. 113

A. PE- und massenspektroskopische Nachweise von Selenoketen bei der ther-

Zur PE-spektroskopischen Optimierung thermischer Zersetzungsreaktionen sowie zum Nachweis dabei auftretender und relativ langlebiger (f,,, 2 1 s) Zwischenprodukte hat sich folgende Standardapparatur bewahrt"): Ein etwa 60 cm langes Quarzrohr von 20 mm Innendurchmesser wird zu 2/3 rnit Quarzwolle gefullt und dieser Rohrabschnitt in eine 40 cm lange temperaturregulierbare Heizzone eingebracht, die bis etwa 30 cm vor die PE-Ionisationskammer reicht. Nach Einstellen eines 1,2,3-SelenadiazoI- Gasstroms von 0.1 Torr rnit Hilfe der Hochvakuumpumpe des Spektrometers erhitzt man zunachst in Intervallen von 50 K und bei beginnender Spektrenanderung in 10 K- Schritten. Die thermische Zersetzung des 1,2,3-Selenadiazols beginnt bei 720 K, ange- zeigt durch das Auftreten des unverwechselbaren nadelformigen Ionisationsmusters von elementarem Stickstoff (Abb. 1, B). Bei 740 K Ofentemperatur liegt etwa ein 1 : 1- Gemisch von Edukt und den Thermolyseprodukten vor (Abb. 1, B). Die Optimierung der Zersetzungstemperatur, erkenntlich am Verschwinden des Edukt-PE-Spektrums (Abb. 1, A), ist bei 800 K abgeschlossen (Abb. I , C).

Ein weiterer Vorteil der PE-spektroskopischen Analytik stromender Reaktions- systeme (Abb. 1) liegt darin, da13 die Zuordnung eines neuen Ionisationsmusters an- hand von SCF-Rechnungen oder durch Radikalkationzustands-Vergleich rnit che- misch verwandten Molekulen zugleich den Nachweis unbekannter Species ermoglicht. So I a t sich die Bildung von Selenoketen bei der 1,2,3-Selenadiazol-Pyrolyse rnit den ab initio-SCF-Eigenwerten belegen (Abb. 1, D und Tab. l), die rnit einer kontrahierten Gaul3orbitaLBasis ausgehend von Se(lSs, l l p , 3d), C(9s, 5p) und H(4s) fur eine idealisierte H,C = C = Se-Struktur berechnet wurden (vgl. Exp. Teil). Die zusatzlich an- gegebenen Orbitaldiagramme (Abb. 1, D) erlauben, die einzelnen Radikalkation- Zustande wie folgt zu charakterisieren: Der M' @-Grundzustand %(,B,) ist ein nicht- bindender n-Zustand senkrecht zur Molekulebene. Ihm folgen die n-Zustande &,B2) rnit Hauptanteil CSe in der Molekulebene sowie der bindende G('Bl) senkrecht dazu. Die restlichen 3 M'@-Zustande im He(1)-PE-Bereich bis 21.21 eV sind vom o-Typ rnit Hauptanteil O~-~~(~(~A,)), O ~ ~ , ( ~ ( ~ B , ) ) und O ~ ~ ~ , ( E ( ~ A , ) ) . Die PE-Ionisierungs- energien sowie deren Zuordnung anhand der SCF-Eigenwerten lassen sich zusatzlich durch einen Radikalkationzustands-Vergleich rnit H,CCS' @ '9'') und H,CCO' @ *,I6)

stutzen (Tab. 1 und Abb. 2). Der Zustandsvergleich der Heterokumulen-Radikalkationen H,C = C = X' @ (Tab. 1

und Abb. 2) zeigt: Gegenuber dem Austausch Se -+ S, bei dem die Ionisierungsenergien nur um AIE" = 0.2 bis 0.6 eV zunehmen, fuhrt die Substitution S -+ 0 zu erheblich groderen und zugleich starker voneinander abweichenden Verschiebungen AIEn = 0.9 bis 2.9 eV. Von den Gesamtdifferenzen IE,(O) - IE,(Se) her betrachtet werden die mit nab(bl), oHZc (b,) und oHIccx(a1) gekennzeichneten Zustande relativ wenig beeinfludt (Abb. 2): Nach den qualitativen Orbitaldiagrammen ylJQMO andert sich bei ihnen der Heteroatom-Anteil entweder nur geringfiigig (0) oder aber die Anderung AylJQMO ent- spricht keiner groderen Storung (nab). Der Einflufi der effektiven Kernladung des Heteroatoms X = Se > CH, > S s 0 wird insbesondere an der Anhebung des n-Schwerpunktes IE, - 3 (Abb. 2: @ . . . . .) deutlich. Gleichzeitig vergrodert sich in

mischen Zersetzung von 1,2,3-Selenadiazol in der Gasphase

-

Page 3: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

1980 Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII 3189

H 'C--N

g c

Abb. 1. He(1)-PE-Spektren von 1,2,3-Selenadiazol (A), der Pyrolysegemische bei Ofentemperatu- ren von 720 K sowie 740 K (B) und der Zersetzungsprodukte Selenoketen und N , (schraffiert) mit Spuren von HzSe (IE, = 9.88 eV13)) und Acetylen (IE, = 11.40 eV14)) nach Optimierung der Py- rolysetemperatur bei 800 K (C). Die Zuordnung (D) erfolgt mit ab initio SCF-Eigenwerten; die

Orbitaldiagramme charakterisieren die Radikalkation-Zustande

Chemische Berichte Jahrgang 113 21 5

Page 4: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

3190 H. Bock, S . Aygen, P. Rosmus und B. Solouki Jahra. 113

den mit nb(bz), nb(bl) und occx(al) bezeichneten Zustanden M' @ der Heteroatom- Anteil von X = Se zu X = 0 betrachtlich: am hochsten werden mit AIE, = 3.5 eV und mit AIE3 = 3.4 eV die Zustande &'B2) und G('B1) angehoben (Tab. 1). Bei S --* 0- Substitution wird der Zustand 6('A1) relativ zu dem mit oCH2(b2) charakterisierten star- ker verschoben, und es kommt zur einzigen M' @-Zustandsvertauschung innerhalb der Heterokumulen-Reihe (Abb. 2).

Tab. 1. Zuordnung der Radikalkationzustande von Selenoketen anhand von ab initio-SCF-Eigenwerten sowie durch Vergleich mit Thioketen und Keten

H2CCSe' @ H,CCS' @ '') H,CCO' @ 16)

Zustand IEX (eV) - (eV) Zustand IEI (eV) Zustand IEI (eV)

%2Bl) 8.7b) 9.3 5b1 W B 1 ) 8.9 ~ ( ' B I ) 9.8 &'B2) 10.7" 11.1 5b2 X('B2) 11.3 .&(2B,) 14.2 fi(2B1) 11.6" 13.6 4b1 W B 1 ) 12.1 &2B1) 15.0 C(2A1) 14.1d) 15.6 13a, C('Ai) 14.5 C(2B2) 16.3 6('B2) (15.3) 11.9 4bz 6('B2) (15.5) d('A1) 16.8 8(2Al) (17.0) 20.0 12a1 8('A1) (17.5) 8('A,) 18.2

@('Al) 24.3e)

a) Details der ab initio-SCF-Rechnungen s. Exp. Teil. - b, Schwingungsfeinstruktur v@ = 1450 cm-'. - ') Hier betragen v@ = 550 bis 580 cm-'. - d, Es werden zwei Schwingungs- feinstrukturen beobachtet v@ = 950 und 450 cm- '. - e, He(II)-MeI3bereichi6).

Abb. 2. Radikalkation-Zustandsvergleich der Heterokumulene H,C = C = X (X = Se, S, 0). Zusatzlich finden sich der Schwerpunkt der donisierungen [El - eingetragen (0 . . . . .) sowie zur Charakterisierung der einzelnen M * @-Zustande qualitative Molekiilorbitale y?"" (vgl. Abb. 1)

Der Radikalkation-Zustandsvergleich H,C = C = X' @, der sich insbesondere auch auf die eindeutige Zuordnung der PE-Spektren von Keten und Thioketen anhand von PN0/CEPA-Re~hnungen'~~'~) stutzen kann, schliel3t zugleich das in Matrix postulierte") Auftreten von Isomeren wie HC =CSeH oder Seleniren (HC),Se bei der Gasphasen-Pyrolyse aus.

__

Page 5: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

1980 Analyse und Optirnierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII 3191

Die Pyrolyse von Selenadiazol wurde auch massenspektroskopisch verfolgt: Hierzu schweifit man an die Schubstange eines Massenspektrometers vorteilhaft ein Pru i - sionsnadelventil an, dessen Eingangsseite mit einem Metallschliff NS 14 versehen ist. Nach Befestigen der auf einem Wagen verschiebbaren PES-Pyrolyseapparatur wird zu- nachst bei Raumtemperatur und anschlienend bei der PE-spektroskopisch ermittelten Zersetzungstemperatur je ein Massenspektrum aufgenommen (Abb. 3).

1. 300 K

) 90 100

j 820K

90 100

,' I' : ! ' '6% 77% 78se 8%. 82%

9.028 7.581 23.52% 49.82% 9.193 I 1 : 0 . 0 : 2.6 : 5.4 : 11

Abb. 3. Massenspektren zwischen m/e = 75 und 140 von 1,2,3-Selenadiazol (300 K) sowie des Pyrolysegernisches (820 K)

Zu dem eindeutigen massenspektroskopischen Befund (Abb. 3) sei im Detail ange- merkt: Der Molekiilpeak, welcher das Se-Isotopenmuster zeigt, verschwindet envar- tungsgema (Abb. 1) bei Pyrolyse vollstandig. Die Fragmentierung verlauft uber N2- Abspaltung; die Intensitat des - hier nicht gezeigten - Peaks m/e = 28 steigt bei Py- rolyse stark an. Das Fragment {H,CCSe} weicht vom Se-Isotopenmuster bei m/e < 105 ab, was durch H-Abspaltung zu {HCCSe} und {CCSe} erklarbar ware. Die Peaks um m/e = 92/93 konnten Bruchstucken wie CSe zuzuordnen sein; CSe, wird nicht gefun- den (kein m/e > 136!). Das bei weiterer Fragmentierung abgespaltene Selenatom zeigt

215'

Page 6: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

3192 H. Bock, S . Aygen, P. Rosrnus und B. Solouki Jahra. 123

wiederum das typische Isotopenmuster; lediglich der Peak m/e = 82 im 820 K- Spektrum weist eine zu hohe und vermutlich auf H,Se zuriickzufuhrende (Abb. 1) In- tensitat auf (Abb. 3).

Die Pyrolyse von Selenadiazol lafit sich anhand der PES- und MS-Daten wie folgt diskutieren:

H,C=C=Se - (H,C=C) - Se

(2) 1 H

Die N,-Abspaltung fuhrt im niedrigsten thermischen Zersetzungskanal uberwiegend (>%Yo) zu Selenoketen. Fur ein Entstehen des ringgespannten Selenirens - aus Standard-Bindungslangen schatzt man einen Innenwinkel CSeC = 38" ab - ergeben sich keinerlei Hinweise. Die spektroskopisch beobachteten Nebenprodukte HC =CH und HSeH (vgl. z. B. Abb. 1) konnen auf verschiedenen Wegen, z. B. uber Vinylidencarben "si8), entstehen.

B. Die thermische Zersetzung von 4-Phenyl-l,2,3-~elenadiazol zu Phenylacetylen Ausgehend vom Zersetzungsschema (2) liegt es nahe, die (krypt0)biradikalischen

Zentren von 1,2,3-Selenadiazol mit stabilisierenden Liganden zu substituieren, um so gegebenenfalls einen anderen Reaktionskanal zum thermisch niedrigsten zu machen. Die PE-spektroskopisch analysierte und optimierte Pyrolyse des 4-Phenyl-Derivates lie- fert dementsprechend nicht Phenylselenoketen, sondern Phenylacetylen (Abb. 4).

Die PE-Spektrenzuordnung des Edukts 4-Phenyl-I ,2,3-selenadiazol (Abb. 4) ist we- gen zahlreicher uberlappender Banden sowie auch wegen der starken Mischung von Anteilen der beiden Ringe in den M' @-Zustanden schwierig; insbesondere bei der ver- mutlich vorliegenden planaren Vorzugskonformation. Insgesamt werden fur 54 Valenz- elektronen im He(1)-PES-Bereich etwa 17 Ionisierungen envartet 19), von denen die nied- rigsten in 7c-Radikalkationzustande fuhren sollten, die uberwiegend Anteile des hetero- cyclischen Ringes (IE,(C,H,N,Se) = 8.9 eV, vgl. Abb. 1 und Tab. 1) sowie des Phenyl- substituenten (IE,(C,H,) = 9.25 eV19)) enthalten. Trotz der relativ starken Bandenuber- lappung wird eine eindeutige PES-Analytik vor allem durch das markante Produkt- spektrum ermoglicht (Abb. 4): Phenylacetylen zeigt im niederenergetischen Bereich bis 12 eV vier voneinander abgesetzte nadelartige und schwingungsfeinstrukturierte Ionisa- tionsbanden, die zu vier n-Radikalkationzustanden gehoren - im qualitativen MO-Bild,'): ( P I - 7(cZc) , nas , (7cCEc + 7cYl). Die charakteristi- schen Peaks des bei der Thermolyse entstehenden N, (Abb. 4) erlauben eine genaue Be- stimmung der Zersetzungstemperatur von 770 K, die damit etwa 50 K uber der des un- substituierten Selenadiazols liegt. Bei 850 K lassen sich keine Eduktbanden mehr erkennen.

Die Massenspektren bei 300 K und bei der PES-optimierten Pyrolysetemperatur von 1020 K zeigen folgende Unterschiede: Wie im Falle von 1,2,3-Selenadiazol (Abb. 3) ver- schwindet der Molekulpeak bei m/e = 210, der wiederum vom charakteristischen Se- Isotopenmuster (Abb. 3) umgeben ist. Die Fragmentierung zeigt nach N,-Abspaltung

Benzol horizontal , nCZc

Page 7: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

1980 Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII 3193 ~ ~ ~~

die Se-Isotopen-Peaks um m/e = 182. Die anschlieBende Se-Eliminierung - bei m/e = 210 - 80 = 130 findet sich kein intensives Signal - fiihrt zum Molekiilpeak m/e = 102 von Phenylacetylen, der im 1020 K-Massenspektrum zusammen mit dem von N, die hochste Intensitat aufweist. Hingewiesen sei auch darauf, da13 kein ausge- pragtes Se-Isotopenmuster um m/e = 80 auftritt, dagegen ein starker Peak bei m/e = 284, der einer Reaktion von Phenylacetylen und (Phenylse1eno)acetylen zu 2,s- Diphenylselenophen entsprechen konnte.

8 9 10 11 12 13 14 15 16 IEleVl -1

Abb. 4. He(1)-PE-Spektren von 4-Phenyl-I ,2,3-selenadiazol bei 300 K sowie seiner Zersetzungs- produkte Phenylacetylen und N, (schraffiert) bei 1020 K (Phenyla~etylen~): IE; = 8.80/9.44/

10.31/10.98/12.0/12.5/14.3/14.5/15.1/15.58/16.9 eV)

Die Untersuchungen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dem Fonds der Che- mischen Zndustrie und dem Land Hessen gefordert. S . Aygen dankt der Max-Buchner-Stifung der DECHEMA fur ein Stipendium.

Page 8: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

3194 H. Bock, S. Aygen, P. Rosmus und B. Solouki Jahrg. 113

Experimenteller Teil 1,2,3-Selenadiazol wurde nach Lit.4) durch Oxidation von Acetaldehyd-semicarbazon mit SeO,

in Eisessig hergestellt. Nach HCC1,-Extraktion, Neutralisation durch Schiitteln mit NaHC0,- Losung und sorgfaltigem Trocknen wird das Losungsmittel abgezogen und mehrfach bei Torr destilliert. Die Reinheit von C,H,N,Se wurde gaschromatographisch sowie instrumentalana- lytisch iiberpriift.

4-Phenyl-l,2,3-selenadiazol gewinnt man vorteilhaft nach Lit6) durch Oxidation von Aceto- phenon-semicarbazon mit SeO, in Eisessig. Nach Erwarmen auf 50°C bis zur Beendigung der Gasentwicklung wird das ausgeschiedene Se abgesaugt und die mit etwas Wasser versetzte Losung mit Chloroform mehrfach ausgeschiittelt. Neutralisation mit NaHCO,, Trocknen iiber MgSO,, Abrotieren von HCC1, sowie mehrfache Sublimation bei 40 ~ / 1 0 - ~ Torr liefern 55% C,H,N,Se (Schmp. 76"C6)).

Photoelektronen-Spektren wurden mit einem Perkin Elmer PS 16 aufgenommen und jeweils mit den Banden 2P3,2(Xe) = 12.13 eV und ,P,,,(Ar) = 15.76 eV kalibriert. Die Pyrolysen wurden in einem mit Quarzwolle gefiillten 60 cm langen Quarzrohr von 0 = 2 cm durchgefiihrt (vgl. Text); die Lange der beheizten Zone betrug 40 cm. Bei den Thermolysen scheidet sich nach einiger Zeit aderhalb der Ofenzone ein dunkelvioletter Beschlag ab.

Massenspektren registrierte ein MAT CH 7; die mit Prazisionsventil versehene Schubstange und ihre Handhabung ist in Lit2') naher beschrieben. An die Schubstange wurde die vorstehend beschriebene PES-Pyrolyseapparatur angeschlossen.

A b initio SCF-Rechnungen wurden mit dem Programm MOLPRO von W. Meyer (Univ. Kai- serslautern) an der Technischen Hochschule in Darmst9dt durchgefuhrt. Die idealisierte Geome- trie enthielt rc=c = 131 pm, rc-se = 171 pm (aus CSe,), rCH = 108 pm sowie den Winkel HCH = 120". DieGaulJorbital-Basis 9s/5p fur C2,), 15s/11p/3d fur Se24 und4s fiir H1) wurde in den Core-Bereichen stark kontrahiert. Sie lieferte eine SCF-Gesamtenergie von 66989.13 eV.

Anmerkung bei der Korrektur (28. 7.1980): Unterdessen haben R. Schulz und A . Schweig in einer Kurzmitteilung (Angew. Chem. 92, 52 (1980); Angew. Chem., Int. Ed. Engl. 19,69 (1980)) eben- falls die Pyrolyse von 1,2,3-Selenadiazol zu Selenoketen beschrieben; unter ihren Zersetzungsbe- dingungen entstehen groRere Anteile HC =CH und H,Se. Auch die restlichen Ergebnisse kon- nen wir aufgrund von unabhangig durchgefiihrten Untersuchungen3) bestatigen.

Literatur 1) XVI. Mitteil.: H. Bock, J. Mintzer, G. Wittmann und J. Russow, Angew. Chem. 92, 136

(1980); Angew. Chem., Int. Ed. Engl. 19, 147 (1980). 2 ) Zugleich 93. Mitteil. uber Photoelektronenspektren und Molekiileigenschaften. - 92.

Mitteil.: B. Solouki, P. Rosmus, H. Bock und G. Maier, Angew. Chem. 92, 56 (1980); An- gew. Chem., Int. Ed. Engl. 19, 51 (1980).

3) Teil der Doktorarbeit S. Aygen, Univ. Frankfurt. 4) I. Lalezari, A . Shafe und M. Yalpani, Tetrahedron Lett. 1969, 5105, und J. Org. Chem. 36,

2836 (1971); vgl. auch 38, 338 (1973), sowie 39, 3906 (1974). 5 ) Vgl. hierzu die Zusammenfassung von D. L . J. Cliue, Modern Organoselenium Chemistry, Te-

trahedron 34, 1049 (1978). 6) I . Lalezari, A . Shadieund Y. Yalpani, Angew. Chem. 82,484 (1970); Angew. Chem., Int. Ed.

Engl. 9, 464 (1970). 7, H. Meier und I. Menzel, J . Chem. SOC. D 1971, 1059; vgl. auch H. Meier und E. Voigt, Tetra-

hedron 28, 187 (1972), oder H. Meier, M. Layer, W. Combrinck und s. Schiepp, Chem. Ber. 109, 1650 (1976).

8) H. Bock, B. Solouki, G. Bert und P. Rosmus, J. Am. Chem. SOC. 99, 1663 (1977).

Page 9: Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII. Selenoketen

1980 Analyse und Optimierung von Gasphasen-Reaktionen, XVII 3195

9, T. L. Gilchrist, P. G. Mente und C. W. Rees, J. Chem. SOC., Perkin Trans. 1 1972, 2165. lo) A. Krantz und J . Laureni, J. Am. Chem. SOC. 99, 4843 (1977), und 98, 7872 (1976). 11) Vgl. die Zusammenfassung von H. Bock, B. Solouki, G. Bert, T. Hirabayshi, S. Mohrnand

12) Vgi. z. B. H. Bock, Angew. Chem. 89, 631 (1977); Angew. Chem., Int. Ed. Engl. 16, 613

13) A. W. Potts und W. C. Price, Proc. Roy. SOC. London, Sect. A 326, 181 (1972). 14) D. W. Turner, C. Baker, A . D. Baker und C. R . Brundle, Molecular Photoelectron Spectro-

scopy, S . 170, Wiley-Interscience, London 1970. 15) P. Rosmus, B. Solouki und H. Bock, Chem. Phys. 22, 453 (1977). 16) D. Hall, J. P. Maier und P. Rosrnus, Chem. Phys. 24, 373 (1977). 17) E. Haselbach, Chem. Phys. Lett. 7, 428 (1970). 18) Vgl. hierzu C. E. Dykstra und H. F. Schaefer ZZZ, J. Am. Chem. SOC. 100, 1378 (1978), sowie

19) Vgl. H. Bock und B. G. Ramsey, Angew. Chem. 85, 773 (1973); Angew. Chem., Int. Ed.

20) H. Bock und H. Alf, Chem. Ber. 103, 1784 (1970). 21) Dissertation S. Mohmand, Univ. Frankfurt 1980. 22) S. Huzinaga, Approximate Atomic Functions, Technical Report, Div. of Theor. Chem., Uni-

23) Vgl. E. A . Reinsch und W. Meyer, Phys. Rev. Sect. A 14, 915 (1976).

und P. Rosrnus, Nachr. Chem. Techn. Lab. 26, 634 (1978).

(1 977).

P. Rosmus, unverdffentlichte Ergebnisse, Habilitationsschrift, Univ. Frankfurt 1980.

Engl. 12, 734 (1973).

versity of Alberta, Canada.

[428/79]