209
Analysis 2 ur Technische Mathematik SS 2015 Michael Kaltenb ¨ ack

Analysis 2funkana/skripten/ANA_II.pdf2 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL = Xn k=1 k −1 n! 2 · 1 n = 1 n3 Xn−1 k=0 k2 = 1 n3 (n−1)n(2n−1)6. La¨sst manin dieserFormeln immergro¨ßerwerden,so

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Analysis 2

fur Technische Mathematik

SS 2015

Michael Kaltenback

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Inhaltsverzeichnis

8 Das Riemannsche Integral 1

8.1 Ober- und Untersummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

8.2 Das Riemann-Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

8.3 Integrale von stetigen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

8.4 Differential und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

8.5 Weitere Eigenschaften des Integrals . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

8.6 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

8.7 Vertauschung von Integralen mit Grenzwerten . . . . . . . . . . . . . 22

8.8 Mittelwertsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

8.9 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

9 Normen und Banachraume 41

9.1 Normierte Raume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

9.2 Lineare Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

9.3 Banachraumwertige Reihen, Funktionen, etc. . . . . . . . . . . . . . 49

9.4 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

10 Ableitungen nach mehreren Variablen 67

10.1 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

10.2 Hohere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

10.3 Extremwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

10.4 Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

11 Wegintegrale 93

11.1 Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

11.2 Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

11.3 Offene Mengen in Rn und Gebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

11.4 Gradientenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

11.5 Lokale Gradientenfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

11.6 Homotopie und einfacher Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . 115

11.7 Komplexe Wegintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

11.8 Holomorphe Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

11.9 Nochmals komplexe Differenzierbarkeit* . . . . . . . . . . . . . . . 130

11.10Harmonische Funktionen* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

11.11Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

i

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ii INHALTSVERZEICHNIS

12 Topologische Grundlagen 139

12.1 Topologische Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

12.2 Abgeschlossene Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

12.3 Stetige Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

12.4 Basis, Subbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

12.5 Initiale Topologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

12.6 Spur- und Produkttopologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

12.7 Finale Topologie* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

12.8 Zusammenhang und Trennungseigenschaft (T1)* . . . . . . . . . . . 164

12.9 Trennungseigenschaften (T3) und (T4) . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

12.10Das Lemma von Urysohn* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

12.11Kompaktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

12.12Filter und Netze* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

12.13Satz von Tychonoff* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182

12.14Kompaktheit in metrischen Raumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

12.15Ubungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189

13 Lemma von Zorn* 195

Literaturverzeichnis 199

Index 200

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INHALTSVERZEICHNIS iii

Die mit * gekennzeichneten Abschnitte, Resultate bzw. Bemerkungen sind uber die

Vorlesung hinausfuhrendes Material, welches aber den Umfang der Vorlesung spren-

gen wurde.

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iv INHALTSVERZEICHNIS

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Kapitel 8

Das Riemannsche Integral

8.1 Ober- und Untersummen

Schon die Mathematik der Antike beschaftigte man sich mit der Problemstellung, die

Flache gewisser Figuren zu berechnen. Bei Polygonen ist dies durch Zerlegung in Drei-

ecke unmittelbar moglich, bei krummlinigen Figuren ist dagegen nicht einmal so klar,

wie Flache uberhaupt zu definieren ist.

8.1.1 Beispiel. Betrachte die Parabel gegeben durch f (x) = x2.

Wir sind an der Flache, die von der x-Achse, der Parabel und der Geraden x = 1

begrenzt wird, interessiert. Dazu konnte man, unserer intuitiven Vorstellung von Flache

folgend, so vorgehen, dass man die Flache in Streifen der Breite △x zerlegt, z.B.

△x = 1n, und die Flache eines Streifens durch das Rechteck mit der Breite △x und

der Hohe min f (x) approximiert, wobei das Minimum uber die im betrachteten Strei-

fen liegenden x-Koordinaten genommen wird. Ist △x sehr klein, so wird man hoffen,

dass die Summe der Flachen aller dieser Rechtecke fast gleich der zu bestimmenden

Flache ist.

0

1

1

n = 4

f (x) = x2

0

1

1

n = 8

f (x) = x2

Abbildung 8.1: Approximation der Flache von unten

In unserem Fall erhalt man auf dieser Art und Weise die folgende Naherung fur die

Gesamtflache A:

An =

n∑

k=1

min{ f (x) : (k − 1)1

n≤ x ≤ k

1

n} · 1

n=

1

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2 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

=

n∑

k=1

(k − 1

n

)2

· 1

n=

1

n3

n−1∑

k=0

k2 =1

n3

(n − 1)n(2n − 1)

6.

Lasst man in dieser Formel n immer großer werden, so erhalt man A = limn→∞ An =13.

Genauso konnte man naturlich die Flache des Streifens durch das Rechteck mit

der Breite △x und der Hohe max f (x) approximieren. Unserer Vorstellung von Flache

folgend sollte bei dieser zweiten Methode zur Flachenbestimmung das selbe heraus-

kommen.

0

1

1

n = 4

f (x) = x2

0

1

1

n = 8

f (x) = x2

Abbildung 8.2: Approximation der Flache von oben

In der Tat gilt

An =

n∑

k=1

max{ f (x) : (k − 1)1

n≤ x ≤ k

1

n} · 1

n=

n∑

k=1

k2

n2

1

n=

=1

n3

n∑

k=1

k2 =1

n3

n(n + 1)(2n + 1)

6,

und fur n→ ∞ erhalt man wieder A = limn→∞ An =13.

Wir wollen den Zugang aus dem letzten Beispiel formalisieren.

8.1.2 Definition. Sei [a, b] ein endliches Intervall in R mit a < b. Wir nennen eine

endliche TeilmengeZ von [a, b] eine Zerlegung des Intervalls [a, b], falls a, b ∈ Z.

Wir bezeichnen mit Z die Menge aller solcher Zerlegungen, versehen diese Menge

mit der Relation ⊆, und erhalten damit eine gerichtete Menge; vgl. Definition 5.3.1.

Wollen wir die Elemente einer Zerlegung Z aufzahlen, so werden wir das immer

so tun, dass n(Z) + 1 die Machtigkeit vonZ bezeichnet, und dass

Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)}, wobei

a = ξ0 < ξ1 < · · · < ξn(Z) = b .

Sei nun f : [a, b] → R eine beschrankte Funktion. Zu einer gegebenen Zerlegung

Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)} ∈ Z bezeichnen wir mit U(Z) die zu Z gehorige Unter-

summe von f , also die Summe der Flachen der Rechtecke unter der Funktion f , die zur

gegebenen Zerlegung gehort:

U(Z) =

n(Z)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) inft∈[ξ j−1 ,ξ j]

f (t) . (8.1)

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8.1. OBER- UND UNTERSUMMEN 3

Entsprechend definieren wir die Obersumme

O(Z) =

n(Z)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) supt∈[ξ j−1 ,ξ j]

f (t) . (8.2)

ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 ξ8 ξ9

f (x)

a = = bZ :

ξ0 ξ1 ξ2 ξ3 ξ4 ξ5 ξ6 ξ7 ξ8 ξ9

f (x)

a = = bZ :

Abbildung 8.3: Veranschaulichung einer Unter- bzw. Obersumme

Da wir f als beschrankt voraussetzen, existieren diese Ober- und Untersummen.

Klarerweise gilt wegen b − a =∑n(Z)

j=1(ξ j − ξ j−1)

(b − a) inft∈[a,b]

f (t) ≤ U(Z) ≤ O(Z) ≤ (b − a) supt∈[a,b]

f (t) .

Wir sehen also, dass alle Ober- und Untersummen gleichmaßig nach oben und nach

unten beschrankt sind. Somit ist folgende Definition sinnvoll.

8.1.3 Definition. Wir setzen

b−∫

a

f dx := infZ∈ZO(Z),

b∫

−a

f dx := supZ∈ZU(Z) ,

und bezeichnen die erste Zahl als das obere- und die zweite als das untere Integral von

f uber [a, b].

Die Funktion f heißt integrierbar auf [a, b], falls das obere mit dem unteren Integral

ubereinstimmt. In diesem Fall bezeichnen ihren gemeinsamen Wert als das Integral1

1Man spricht auch vom Darbouxschen Integral.

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4 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

von f uber [a, b]:b−∫

−a

f dx =

b−∫

a

f dx =

b∫

−a

f dx .

8.1.4 Bemerkung. Da die Menge Z aller Zerlegungen von [a, b] bezuglich ⊆ eine ge-

richtete Menge ist, konnen wir von den Netzen(U(Z)

)Z∈Z und

(O(Z)

)Z∈Z sprechen.

Sei nunZ1 ⊆ Z2, wobeiZ1 = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z1)} sowie

Z2 = {ηk : k = 0, . . . , n(Z2)}. Ist j ∈ {1, . . . , n(Z1)}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j),

sodass

ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 <︸ ︷︷ ︸k( j)−k( j−1)−1 viele

ηk( j) = ξ j .

Wegen (ξ j − ξ j−1) =∑k( j)

k=k( j−1)+1(ηk − ηk−1) folgt

(ξ j − ξ j−1) inft∈[ξ j−1,ξ j]

f (t) =

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) inft∈[ξ j−1, ξ j]︸ ︷︷ ︸

⊇[ηk−1 ,ηk ]

f (t) ≤

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) inft∈[ηk−1,ηk]

f (t) .

Summiert man uber alle j ∈ {1, . . . , n(Z1)} auf, so erhalt man U(Z1) ≤ U(Z2). Wir

sehen also, dass(U(Z)

)Z∈Z ein monoton wachsendes Netz ist. Nach (5.10) gilt daher

limZ∈Z

U(Z) = supZ∈Z

U(Z) =

b∫

−a

f dx .

Entsprechend ist das Netz(O(Z)

)Z∈Z der Obersummen monoton fallend, und

limZ∈Z

O(Z) = infZ∈Z

O(Z) =

b−∫

a

f dx .

Klarerweise ist damit auch das Netz(O(Z) − U(Z)

)Z∈Z monoton fallend, und besteht

aus nicht negativen reellen Zahlen. Also gilt auch (vgl. Nach (5.10))

infZ∈Z

(O(Z) − U(Z)) = limZ∈Z

(O(Z) − U(Z)) , (8.3)

und wegen der Rechenregeln fur R-wertige Netze (siehe Anschnitt 5.3) gleicht dieser

Ausdruck

limZ∈Z

O(Z) − limZ∈Z

U(Z) =

b−∫

a

f dx −b∫

−a

f dx . (8.4)

Also ist die Integrierbarkeit einer Funktion f aquivalent dazu, dass der Ausdruck in

(8.3) verschwindet.

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8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 5

8.2 Das Riemann-Integral

Der oben vorgestellte Zugang zur Definition eines Integrals ist zwar befriedigend um

dem Begriff Flache unter einer Kurve einen Sinn zu geben, um aber etwa komplex-

oder vektorwertige Funktionen integrieren zu konnen, benotigen wir einen alternativen

Ansatz.

8.2.1 Definition. Wir nennen das Paar R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)eine Riemann-Zerlegung

eines reellen Intervalls [a, b] mit a < b, falls n(R) ∈ N und (ξ j)n(R)

j=0∈ Rn(R)+1, (α j)

n(R)

j=1∈

Rn(R), wobei

a = ξ0 < ξ1 < · · · < ξn(R) = b; α j ∈ [ξ j−1, ξ j], j = 1, . . . , n(R) ,

und nennen

|R| := max{(ξ j − ξ j−1) : j = 1, . . . , n(R)}

die Feinheit der Riemann-Zerlegung. Die Punkte ξ j heißen Stutzstellen und die Punkte

α j Zwischenstellen. Weiters sei

R1 � R2 :⇔ |R2| ≤ |R1| .

Ist R die Menge aller solcher Riemann-Zerlegungen, dann ist (R,�) eine gerichtete

Menge2.

Ist f : [a, b] → R (C) eine beschrankte Funktion, so betrachtet man das Netz(S (R)

)R∈R, wobei die Riemannsumme zur Riemann-ZerlegungR durch

S (R) =

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j) .

definiert ist. Konvergiert dieses Netz, so nennen wir die Funktion f Riemann-

integrierbar und bezeichnen

b∫

a

f dx := limR∈R

S (R)

als das Riemann Integral von f uber [a, b].

Fur limR∈R S (R) schreibt man auch lim|R|→0 S (R), um deutlich zu machen, dass R

durch die Feinheit der Riemann-Zerlegung gerichtet wird. Da es zu jedem δ > 0, δ ≤b−a eine Riemann-ZerlegungR gibt mit |R| = δ, ist die Existenz von I = lim|R|→0 S (R)

aquivalent zu

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : |S (R) − I| < ǫ ∀R ∈ R, |R| ≤ δ .

8.2.2 Bemerkung. Ist f : [a, b] → C, so folgt aus Re S ( f ,R) =

S (Re f ,R), Im S ( f ,R) = S (Im f ,R) und der Tatsache, dass ein komplexwertiges

Netz genau dann konvergiert, wenn Real- und Imaginarteil es tun, dass die Riemann-

Integrierbarkeit von f zu der von Re f und Im f aquivalent ist.

2� ist sicher nicht antisymmetrisch und unterscheidet sich wesentlich von der Halbordnung ⊆ auf Z aus

Definition 8.1.2.

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6 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

ξ0

α1

ξ1

α2

ξ2

α3

ξ3

α4

ξ4

α5

ξ5

α6

ξ6

α7

ξ7

α8

ξ8

α9

ξ9

f (x)

a = = bR :

Abbildung 8.4: Veranschaulichung einer Riemannsumme

8.2.3 Bemerkung. Fur ein reell- oder komplexwertiges und beschranktes f definiert

auf [a, b] sei M eine feste, endliche Teilmenge von [a, b] mit m Elementen. Setzt man

fur eine Riemann-ZerlegungR

S M(R) =

n(R)∑

j=1M∩[ξ j−1 ,ξ j]=∅

(ξ j − ξ j−1) f (α j) ,

so hat diese Summe hochstens 2m Summanden weniger als S (R), da jedes Element aus

M in hochstens zwei verschiedenen Intervallen [ξ j−1, ξ j] liegen kann. Somit folgt

∣∣∣S M(R) − S (R)∣∣∣ ≤

n(R)∑

j=1M∩[ξ j−1 ,ξ j],∅

(ξ j − ξ j−1)| f (α j)| ≤ |R| · 2m · ‖ f ‖∞ , (8.5)

wobei ‖ f ‖∞ = sup{| f (t)| : t ∈ [a, b]}, und wir sehen, dass(S M(R)

)R∈R genau dann

konvergiert, wenn(S (R)

)R∈R es tut. In diesem Fall gilt

∫ b

a

f dx = lim|R|→0

S (R) = lim|R|→0

S M(R) .

Als Anwendung dieser Bemerkung sieht man, dass, wenn sich zwei Funktionen f und g

nur auf einer endlichen Menge M unterscheiden, aus der Riemann-Integrierbarkeit von

f auch die von g folgt. In der Tat ist dann S M( f ,R) = S M(g,R), wobei das Argument

f bzw. g andeutet, von welcher Funktion die entsprechende Riemann-Summe gebildet

wird.

Mit Hilfe dieser Bemerkung konnen wir einen ersten Zusammenhang zwischen

Riemann-Summen und Ober- bzw. Untersummen herstellen.

8.2.4 Lemma. Sei f : [a, b] → R eine beschrankte reellwertige Funktion, und sei

Z0 ∈ Z, ǫ > 0. Dann gibt es ein δ > 0, sodass

∀R ∈ R, |R| ≤ δ⇒ U(Z0) − ǫ ≤ S (R) ≤ O(Z0) + ǫ .

Beweis. Wir zeigen zunachst fur ein beschranktes f : [a, b] → R mit f (x) ≥ 0, x ∈[a, b], dass es ein δ > 0 gibt mit

∀R ∈ R, |R| ≤ δ⇒ S (R) ≤ O(Z0) + ǫ . (8.6)

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8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 7

Man schreibeZ0 = {ηk : k = 0, . . . , n(Z0)} ∈ Z, und setze M = Z0. Mit (8.5) erhalten

wir ∣∣∣S M(R) − S (R)∣∣∣ ≤ |R| · 2(n(Z0) + 1) · ‖ f ‖∞ .

Fur R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

) ∈ R, bedeutet M ∩ [ξ j−1, ξ j] = ∅, dass [ξ j−1, ξ j] sicher ganz

in einem gewissen Intervall [ηk( j)−1, ηk( j)] enthalten ist. Mit J := { j ∈ {1, . . . , n(R)} :

M ∩ [ξ j−1, ξ j] = ∅} folgt3

S M(R) =∑

j∈J

(ξ j − ξ j−1) f (α j) =

n(Z0)∑

k=1

j∈J,k( j)=k

(ξ j − ξ j−1) f (α j) ≤

n(Z0)∑

k=1

j∈J,k( j)=k

(ξ j − ξ j−1)

︸ ︷︷ ︸≤ηk−ηk−1

supt∈[ηk−1 ,ηk]

f (t) ≤n(Z0)∑

k=1

(ηk − ηk−1) supt∈[ηk−1,ηk]

f (t) = O(Z0) .

Es folgt

S (R) ≤∣∣∣S M(R) − S (R)

∣∣∣ + O(Z0) ≤ O(Z0) + |R| · 2(n(Z0) + 1) · ‖ f ‖∞ .

Die zu beweisende Ungleichung (8.6) gilt nun fur |R| ≤ δ := ǫ2(n(Z0)+1)·‖ f ‖∞ .

Erfullt nun ein beschranktes f : [a, b] → R nicht notwendigerweise f (x) ≥ 0,

so betrachte f + c fur ein hinreichend großes c ∈ R – etwa c = ‖ f ‖∞ – auf dass

f (x) + c ≥ 0, x ∈ [a, b]. Insbesondere gilt (8.6) fur f + c. Wegen

O( f + c,Z0) = O( f ,Z0) + c(b − a) und S ( f + c,R) = S ( f ,R) + c(b − a)

gilt (8.6) auch fur f fur ein bestimmtes δ > 0. Indem wir das Gezeigte auf− f anwenden

und beachten, dass

O(− f ,Z0) = −U( f ,Z0) und S (− f ,R) = −S ( f ,R) ,

erhalten wir U( f ,Z0) − ǫ ≤ S ( f ,R) ≤ O( f ,Z0) + ǫ fur |R| ≤ δ mit einem hinreichend

kleinen δ > 0.

Wir werden nun zeigen, dass die beiden vorgestellten Zugange zur Integration fur

reellwertige beschrankte Funktionen f aquivalent sind.

8.2.5 Satz. Fur eine beschrankte Funktion f : [a, b] → R sind folgende Aussagen

aquivalent:

(i) Das obere und das untere Integral von f stimmen uberein.

(ii) infZ∈Z(O(Z) − U(Z)) = 0.

(iii) f ist Riemann-integrierbar, d.h. lim|R|→0 S (R) existiert.

(iv) Setzt man fur eine beliebige Riemann-ZerlegungR = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

) ∈ R4

O(R) :=

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) supt∈[ξ j−1 ,ξ j]

f (t), U(R) :=

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) inft∈[ξ j−1,ξ j]

f (t) ,

so gilt lim|R|→0(O(R) − U(R)) = 0.

3Die Voraussetzung f ≥ 0 geht in der letzen Ungleichung ein.4Klarerweise gilt O(R) = O(Z) und U(R) = U(Z), wobei Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(R)} ∈ Z.

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8 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

(v) Es gibt eine Folge (Rn)n∈N von Riemann-Zerlegungen, sodass

limn→∞(O(Rn) − U(Rn)) = 0.

In einem dieser Falle gilt

b−∫

−a

f dx =

∫ b

a

f dx = lim|R|→0

O(R) = lim|R|→0

U(R) =

limn→∞

S (Rn) = limn→∞

O(Rn) = limn→∞

U(Rn) ,

fur jede beliebige Folge (Rn)n∈N von Riemann-Zerlegungen mit limn→∞ |Rn| = 0.

Beweis.

(iii)⇒ (iv) : Setzen wir R := lim|R|→0 S (R), so wollen zeigen, dass R = lim|R|→0 O(R).

Zu jedem ǫ > 0 gibt es wegen der vorausgesetzten Konvergenz ein R0, sodass

|R − S (R)| < ǫ fur alle R � R0.

Sei R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

) � R0 eine feste Riemann-Zerlegung. Wahle nun fur

j = 1, . . . , n(R) und k ∈ N ein αkj∈ [ξ j−1, ξ j], sodass

supt∈[ξ j−1 ,ξ j]

f (t) − 1

k< f (αk

j) ≤ supt∈[ξ j−1 ,ξ j]

f (t) .

Setzt man Rk =((ξ j)

n(R)

j=0; (αk

j)n(R)

j=1

), so folgt

∣∣∣O(R) − S (Rk)∣∣∣ ≤

n(R)∑

j=1

1

k|ξ j − ξ j−1| = (b − a)

1

k.

Aus |Rk | = |R| ≤ |R0| folgt Rk � R0, und somit

|R − O(R)| ≤ |R − S (Rk)| + |S (Rk) − O(R)| < ǫ + b − a

k.

Fur k → ∞ folgt |R − O(R)| ≤ ǫ und zwar fur alle R � R0. Also gilt

lim|R|→0 O(R) = R. Genauso sieht man, dass lim|R|→0 U(R) = R.

Aus den Rechenregeln fur Grenzwerte folgt damit

0 = R − R = lim|R|→0(O(R) − U(R)).

(iv)⇒ (v) : Ist (Rn)n∈N eine Folge von Riemann-Zerlegungen mit limn→∞ |Rn| = 0, so

besagt dieses Grenzverhalten fur die Feinheit gerade, dass(O(Rn) − U(Rn)

)n∈N

eine Teilfolge des Netzes(O(R) − U(R)

)R∈R im Sinne von Definition 5.3.6 ist.

Gemaß Lemma 5.3.7 folgt

limn→∞

(O(Rn) − U(Rn)) = lim|R|→0

(O(R) − U(R)) = 0 .

Schließlich sei noch bemerkt, dass es offensichtlich eine Folge von Riemann-

Zerlegungen mit limn→∞ |Rn| = 0 gibt. Man nehme etwa die Folge (Rn)n∈N, wo

Rn genau n+1 viele aquidistante Stutzstellen hat, und wobei die Zwischenstellen

genau in der Mitte zwischen den angrenzenden Stutzstellen liegt.

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8.2. DAS RIEMANN-INTEGRAL 9

(v)⇒ (ii) : Das ist klar, wenn man beachtet, dass O(R) = O(Z), U(R) = U(Z), wenn

Z = {ξ j : j = 0, . . . , n(R)} ∈ Z die Menge der Stutzstellen einer gegebenen

Riemann-ZerlegungR = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

) ∈ R ist.

(i)⇔ (ii) : Das haben wir schon in Bemerkung 8.1.4 gesehen (vgl. (8.3) und (8.4)).

(i)⇒ (iii) : Nun gelte also I :=

b−∫

a

f dx =b∫−a

f dx. Zu einem beliebigen ǫ > 0 wahleZ0

so, dass

I − ǫ < U(Z0) ≤ O(Z0) < I + ǫ .

Nach Lemma 8.2.4 folgt die Existenz eines δ > 0, sodass

I − 2ǫ < U(Z0) − ǫ ≤ S (R) ≤ O(Z0) + ǫ < I + 2ǫ

fur |R| ≤ δ. Also lim|Z|→0 S (R) = I.

Dass limn→∞ O(Rn) = lim|R|→0 O(R), limn→∞U(Rn) = lim|R|→0 U(R) und

limn→∞ S (Rn) = lim|R|→0 S (R) fur limn→∞ |Rn| = 0 gilt, sieht man genauso, wie im

zweiten Beweisschritt.

8.2.6 Beispiel. Die Folgen An und An aus Beispiel 8.1.1 sind nicht anderes als U(Rn)

bzw. O(Rn), wobei Rn = ((j

n)n

j=0, (

j

n)n

j=1)5. Wegen An − An = O(Rn) − U(Rn) → 0 fur

n→ ∞ folgt aus Satz 8.2.5 die Riemann-Integrierbarkeit von f (x) = x2 auf [0, 1].

Wir konnen uns mit Satz 8.2.5 auch sicher sein, dass die Folgen An und An

tatsachlich gegen das Integral von f uber [0, 1] konvergieren.

Wir werden spater sehen, dass alle stetigen Funktionen integrierbar sind, und wie

man mit Hilfe der Differentialrechnung das Integral konkret ausrechnet. Dass bei wei-

tem nicht alle Funktionen integrierbar sind, sieht man am ubernachsten Beispiel.

8.2.7 Beispiel. Betrachte die konstante Funktion f : [0, 1] → C, d.h. f (t) = c, t ∈[a, b]. Ist R eine Riemann-Zerlegung, so rechnet man

S (R) =

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j) = c

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) = c(b − a) ,

und damit∫ b

ac dx = lim|R|→0 S (R) = c(b − a).

Wegen Bemerkung 8.2.3 sehen wir auch, dass jede Funktion, die konstant gleich c

bis auf eine endliche Menge M ist, integrierbar ist und dass das Integral gleich c(b− a)

ist.

Diese Tatsache lasst sich aber nicht auf den Fall eines abzahlbaren M ausdehnen.

8.2.8 Beispiel. Betrachte die Funktion f : [0, 1]→ R definiert durch

f (x) :=

0, x irrational

1, x rational.

5Die Zwischenstellen sind hier nicht von Bedeutung.

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10 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

Ist nunZ = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)} eine Zerlegung von [0, 1], so enthalt jedes Intervall

[ξ j−1, ξ j] sowohl rationale als auch irrationale Zahlen. Somit folgt

U(Z) = 0,O(Z) = 1 .

Also ist f nicht integrierbar.

Im Folgenden wollen wir einige Eigenschaften von Integralen auflisten, die unmit-

telbar aus der Tatsache folgen, dass wir Integrale als Grenzwerte von Netzen auffassen.

8.2.9 Lemma.

(i) Seien f1, f2 : [a, b]→ R (C) Riemann-integrierbar uber [a, b] und sei c ∈ R (C).

Dann sind auch f1 + f2 und c f1 Riemann-integrierbar, und es gilt

b∫

a

( f1 + f2) dx =

b∫

a

f1 dx +

b∫

a

f2 dx,

b∫

a

(c f1) dx = c

b∫

a

f1 dx .

(ii) Ist f Riemann-integrierbar uber [a, b], so gilt

∣∣∣b∫

a

f dx∣∣∣ ≤

b−∫

a

| f (x)| dx ≤ (b − a) · ‖ f ‖∞ , (8.7)

wobei sogar |S ( f ,R)| ≤ (b − a) · ‖ f ‖∞ fur jede Riemann-Zerlegung R von [a, b].

(iii) Sind g1, g2 reellwertige Riemann-integrierbare Funktionen uber [a, b] mit g1(x) ≤g2(x) fur alle x ∈ [a, b], so gilt

b∫

a

g1 dx ≤b∫

a

g2 dx .

Beweis. Zunachst folgt unmittelbar aus der Definition der Riemannsummen

S ( f1 + f2,R) = S ( f1,R) + S ( f2,R), S (c f1,R) = cS ( f1,R), S (g1,R) ≤ S (g2,R) .

Durch den Grenzubergang |R| → 0 erhalten wir (i) und (iii).

Nun sei ǫ > 0 und Z0 eine Zerlegung von [a, b]. Weiters sei δ > 0, sodass |R| ≤δ⇒ S (| f |,R) ≤ O(| f |,Z0) + ǫ; vgl. Lemma 8.2.4.

Ist R eine Riemann-Zerlegung von [a, b] mit |R| ≤ δ, so folgt leicht aus der Defini-

tion der Riemannsummen und der Obersummen und der Dreiecksungleichung

|S ( f ,R)| ≤ |S (| f |,R)| ≤ O(| f |,Z0) + ǫ ≤ ‖ f ‖∞(b − a) + ǫ .

(8.7) folgt durch die Grenzwertbildung, zuerst |R| → 0 und dann Z0 ∈ Z, sowie der

Tatsache, dass ǫ > 0 beliebig ist.

Schließlich folgt |S ( f ,R)| ≤ (b−a) · ‖ f ‖∞ fur jede Riemann-ZerlegungR von [a, b]

unmittelbar aus der Dreiecksungleichung.

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8.3. INTEGRALE VON STETIGEN FUNKTIONEN 11

8.3 Integrale von stetigen Funktionen

Ehe wir uns konkret dem Problem der Integrierbarkeit einer stetigen Funktion widmen,

sei in Erinnerung gerufen, dass gemaß Definition 5.3.10 ein Netz (xi)i∈I mit Werten

in einem metrischen Raum 〈X, d〉 uber eine gerichtete Menge (I,�) als Cauchy-Netz

bezeichnet wird, falls (5.13), also

∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : d(xi, x j) < ǫ ∀i, j � i0

gilt. Aus Lemma 5.3.11 wissen wir, dass ein Netz in einem vollstandigen metrischen

Raum genau dann konvergiert, wenn es ein Cauchy-Netz ist.

Fur den folgenden Satz 8.3.4 benotigen wir den Begriff der Oszillation einer Funk-

tion f : D → Y, wobei 〈Y, dY〉 ein metrischer Raum und D ⊆ X mit einem weiteren

metrischen Raum 〈X, dX〉 ist.

8.3.1 Definition. Die Oszillation ist die Abbildung ρ : (0,+∞) → [0,+∞] definiert

durch

ρ(γ) := sup{dY

(f (s), f (t)

): s, t ∈ D, dX(s, t) ≤ γ}, γ ∈ (0,+∞) . (8.8)

Offenbar hangt ρ(γ) monoton wachsend von γ ab.

8.3.2 Bemerkung. Gemaß (6.2) ist f : D→ Y genau dann gleichmaßig stetig, wenn

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : ∀s, t ∈ D, dX(s, t) ≤ δ⇒ dY( f (s), f (t)) ≤ ǫ .

Da ein Supremum die kleinste obere Schranke einer Teilmenge von R ist, ist wegen

(8.8) das aquivalent zu

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : ρ(δ) ≤ ǫ .

Wegen der Monotonie von ρ ist das wiederum dasselbe wie

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : 0 ≤ ρ(t) ≤ ǫ ∀t ∈ (0, δ] .

Insbesondere ist die gleichmaßige Stetigkeit von f aquivalent zu limγ→0+ ρ(γ) = 06.

8.3.3 Lemma. Fur eine beschrankte Abbildung f : [a, b]→ R (C) und zwei Riemann-

Zerlegungen R1 und R2 von [a, b] gilt

∣∣∣S (R1) − S (R2)∣∣∣ ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1|, |R2|)) . (8.9)

Beweis. Um das einzusehen, sei R eine Riemann-Zerlegung, deren Stutzstellen die von

R1 und R2 umfasst. Das bedeutet, dass mit

R1 =((ξ j)

n(R1)

j=0; (α j)

n(R1)

j=1

), R2 =

((ζ j)

n(R2)

j=0; (γ j)

n(R2)

j=1

),

R = ((η j)

n(R)

j=0; (β j)

n(R)

j=1

),

die Beziehung

{ξ j : j = 0, . . . , n(R1)} ∪ {ζ j : j = 0, . . . , n(R2)} ⊆ {η j : j = 0, . . . , n(R)}6Erfullt die Funktion f : D → Y sogar ρ(γ) ≤ Mγ fur alle γ > 0 und ein festes M ≥ 0, so nennet man f

Lipschitz stetig. Man sieht leicht ein, dass das aquivalent zu dY ( f (s), f (t)) ≤ MdX(s, t) fur alle s, t ∈ D ist.

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12 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

gilt. Ist j ∈ {1, . . . , n(R1)}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass

ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 <︸ ︷︷ ︸k( j)−k( j−1)−1 viele

ηk( j) = ξ j.

Wir erhalten wegen (ξ j − ξ j−1) f (α j) =∑k( j)

k=k( j−1)+1(ηk − ηk−1) f (α j)

∣∣∣S (R1) − S (R)∣∣∣ =

∣∣∣∣∣∣∣∣

n(R1)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j) −k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) f (βk)

∣∣∣∣∣∣∣∣=

∣∣∣∣∣∣∣∣

n(R1)∑

j=1

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1)(f (α j) − f (βk)

)∣∣∣∣∣∣∣∣≤

n(R1)∑

j=1

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) · | f (α j) − f (βk)| .

Bemerkt man, dass |α j − βk | ≤ (ξ j − ξ j−1) ≤ |R1|, k ∈ {k( j − 1) + 1, . . . , k( j)}, so folgt

|S (R1) − S (R)| ≤n(R2)∑

k=1

(ηk − ηk−1) · ρ(|R1|) = (b − a) · ρ(|R1|) .

Genauso zeigt man |S (R2) − S (R)| ≤ (b − a) · ρ(|R2|). Aus der Dreiecksungleichung

und der Monotonie von ρ folgt dann (8.9).

8.3.4 Satz. Ist f : [a, b] → R (C) stetig auf dem reellen Intervall [a, b], so ist f

Riemann-integrierbar.

Beweis. Wir bemerken zuerst, dass wegen Proposition 6.1.13 die Funktion f be-

schrankt und wegen Satz 6.3.3 sogar gleichmaßig stetig ist.

Gemaß Lemma 5.3.11 folgt die Konvergenz von(S (R)

)R∈R, wenn wir zeigen

konnen, dass(S (R)

)R∈R ein Cauchy-Netz ist.

Dazu sei ǫ > 0, und sei δ > 0 so, dass ρ(δ) ≤ ǫ3(b−a)

; vgl. Bemerkung 8.3.2. Sind

nun R1 und R2 Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit |R1|, |R2| < δ, so folgt aus (8.9)

sofort

|S (R1) − S (R2)| ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1|, |R2|)) < ǫ

und damit die Tatsache, dass(S (R)

)R∈R ein Cauchy-Netz ist.

8.4 Differential und Integralrechnung

Um das Integral einer Funktion tatsachlich ausrechnen zu konnen, wollen wir einen

wichtigen Zusammenhang zur Differentialrechnung herstellen. Bevor wir das tun, brau-

chen wir folgendes Lemma.

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8.4. DIFFERENTIAL UND INTEGRALRECHNUNG 13

8.4.1 Lemma. Sei f : [a, b] → R (C) ein Funktion auf dem reellen Intervall [a, b],

und sei c < d, [c, d] ⊆ [a, b]. Weiters bezeichne 1[c,d] die Indikatorfunktion (auch

charakteristische Funktion genannt), d.h.

1[c,d](t) =

{1 , falls t ∈ [c, d]

0 , falls t < [c, d].

Dann ist f |[c,d] auf [c, d] genau dann Riemann-integrierbar, wenn es 1[c,d] · f auf [a, b]

ist, wobei ∫ b

a

1[c,d] · f dx =

∫ d

c

f |[c,d] dx .

Das ist sicher der Fall, wenn f auf ganz [a, b] Riemann-integrierbar ist.

Beweis. Wir bezeichnen mit R ∈ R die Riemann-Zerlegungen von [a, b] und mit R′ ∈R′ die Riemann-Zerlegungen von [c, d].

Sei zunachst f uber [a, b] Riemann-integrierbar. Wir zeigen, dass dann(S ( f |[c,d],R′)

)R′∈R′ ein Cauchy-Netz ist. Dazu sei ǫ > 0. Da

(S ( f ,R)

)R∈R konvergent

und daher ein Cauchy-Netz ist, gibt es ein δ > 0, sodass |S ( f ,R1)−S ( f ,R2)| < ǫ, wenn

nur |R1|, |R2| ≤ δ.

Sind nun R′1,R′

2∈ R′ mit |R′

1|, |R′

2| ≤ δ, so wahle eine beliebige Fortsetzung R1

und R2 von R′1

bzw. R′2

zu Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit einer Feinheit kleiner

oder gleich δ und so, dass die Stutz- und Zwischenstellen von R1 und R2 außerhalb von

[c, d] ubereinstimmen.

Die Summanden (ξ j−ξ j−1) f (α j) zu Intervallen [ξ j−1, ξ j] mit [ξ j−1, ξ j] * [c, d] treten

dann bei S ( f ,R1) und bei S ( f ,R2) auf. Also folgt∣∣∣S ( f ,R1) − S ( f ,R2)

∣∣∣ =∣∣∣S ( f |[c,d],R′1) − S ( f |[c,d],R′2)

∣∣∣ < ǫ .

Somit ist(S ( f |[c,d],R′)

)R′∈R′ auch ein Cauchy-Netz und f |[c,d] daher auf [c, d]

Riemann-integrierbar.

Wegen (1[c,d] · f )|[c,d] = f |[c,d] folgt aus dem eben bewiesenen auch aus der

Riemann-Integrierbarkeit von 1[c,d] · f die von f |[c,d].

Wir setzen M = {c, d}, und wissen aus Bemerkung 8.2.3, dass der Beweis vollendet

ist, wenn wir

I = lim|R′ |→0

S M( f |[c,d],R′)⇒ I = lim|R|→0

S M(1[c,d] · f ,R) ,

beweisen konnen. Dazu sei ǫ > 0 gegeben, und δ > 0, sodass aus |R′| ≤ δ die Unglei-

chung |I − S M( f |[c,d],R′)| < ǫ folgt.

Ist nun R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)eine Riemann-Zerlegung von [a, b] mit |R| ≤ δ, so

sei R′ = ((ξ′

j)n(R′)j=0

; (α′j)n(R′)j=1

)die Riemann-Zerlegung von [c, d], fur die

{ξ′1, . . . , ξ′n(R′)−1} = {ξ1, . . . , ξn(R)−1} ∩ (c, d) ,

sowie

{α′2, . . . , α′n(R′)−1} = {α1, . . . , αn(R)} ∩ [ξ′1, ξ′n(R′)−1] .

Es folgt

S M(1[c,d] · f ,R) =

n(R)∑

j=1c,d<[ξ j−1,ξ j]

(ξ j − ξ j−1)1[c,d](α j) f (α j) =

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14 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

n(R)∑

j=1c<ξ j−1,ξ j<d

(ξ j − ξ j−1) f (α j) =

n(R′)−1∑

j=2

(ξ′j − ξ′j−1) f (α′j) = S M( f |[c,d],R′) .

Wegen |R′| ≤ |R| ≤ δ folgt |I − S M(1[c,d] · f ,R)| < ǫ. Daher gilt

I = lim|R|→0 S M(1[c,d] · f ,R).

8.4.2 Bemerkung. Mit Hilfe von Bemerkung 8.2.3 sieht man leicht, dass die Riemann-

Integrierbarkeit von 1[c,d] · f uber [a, b] zu der von 1(c,d) · f bzw. 1(c,d] · f oder auch der

von 1[c,d) · f aquivalent ist. Die entsprechenden Integrale stimmen alle uberein.

8.4.3 Definition. Eine Abbildung f : [a, b]→ R (C) heißt stuckweise stetige Funktion,

falls es eine Zerlegung a = t0 < t1 < · · · < tn = b von [a, b] gibt, sodass sich die

Funktionen f |(t j−1 ,t j) stetig auf [t j−1, t j] fortsetzen lassen.

8.4.4 Bemerkung. Aus Lemma 8.4.1 folgt, dass jede stuckweise stetige Funktion

Riemann-integrierbar ist.

Ist namlich f : [a, b] → R (C) und sind a = t0 < t1 < · · · < tn = b, sodass sich

fur alle j = 1, . . . , n, die Funktion f |(t j−1 ,t j) stetig auf [t j−1, t j] fortsetzen lasst, so sind

alle Funktionen 1(t j−1,t j) · f und daher auch ihre Summe Riemann-integrierbar. Diese

Summe unterscheidet sich aber von f nur an endlich vielen Punkten und ist daher

selbst Riemann-integrierbar.

Sei f auf [a, b] reell- bzw. komplexwertig und Riemann-integrierbar. Fur das Fol-

gende macht es Sinn, fur ein c ∈ [a, b] das Integral von f uber [c, c] als

∫ c

c

f (x) dx := 0

zu definieren. Sind nun a ≤ u ≤ v ≤ w ≤ b, so folgt mit dieser Konvention aus Lemma

8.4.1, Lemma 8.2.9 und Bemerkung 8.4.2

∫ w

u

f (t) dt =

∫ b

a

1[u,w](t) · f (t) dt =

∫ b

a

(1[u,v)(t) + 1[v,w](t)

) · f (t) dt =

∫ b

a

1[u,v)(t) · f (t) dt +

∫ b

a

1[v,w](t) · f (t) dt =

∫ v

u

f (t) dt +

∫ w

v

f (t) dt ,

bzw. ∫ w

u

f (t) dt −∫ v

u

f (t) dt =

∫ w

v

f (t) dt . (8.10)

8.4.5 Satz (Hauptsatz der Diff.-Int.Rechnung). Sei f eine reell- oder komplexwertige

Funktion auf [a, b], die uber [a, b] Riemann-integrierbar ist. Fur x ∈ [a, b] definiere7

F(x) :=

x∫

a

f (t) dt .

7Die Existenz dieses Integrals fur alle x ∈ [a, b] folgt aus Lemma 8.4.1.

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8.4. DIFFERENTIAL UND INTEGRALRECHNUNG 15

Dann ist die Funktion F : [a, b]→ R (C) stetig auf [a, b].

Ist f in einem Punkt x0 stetig, so ist F bei x0 differenzierbar, und es gilt8

F′(x0) = f (x0) .

Beweis. Als erstes sei bemerkt, dass gemaß unser Definition 8.2.1 die Funktion f als

Riemann-integrierbare Funktion auch beschrankt ist. Fur a ≤ x < y ≤ b folgt wegen

(8.10)

|F(y) − F(x)| =

∣∣∣∣∣∣∣∣

y∫

x

f (t) dt

∣∣∣∣∣∣∣∣≤ ‖ f ‖∞ · (y − x) .

Insbesondere ist F stetig9.

Sei nun f stetig bei einem x0 ∈ [a, b). Ist ǫ > 0 gegeben, so existiert δ > 0, sodass

| f (t) − f (x0)| ≤ ǫ fur alle t ∈ [a, b], |t − x0| < δ .

Insbesondere gilt fur x0 < x < min(x0 + δ, b) wegen (8.10) und (8.7) 10

∣∣∣∣∣F(x) − F(x0)

x − x0

− f (x0)

∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣∣∣∣∣

x∫

x0

f (t) − f (x0)

x − x0

dt

∣∣∣∣∣∣∣∣∣≤ sup

t∈[x0,x]

| f (t) − f (x0)| ≤ ǫ .

Also folgt F′(x0)+ = limx→x0+F(x)−F(x0 )

x−x0= f (x0). Entsprechend zeigt man

F′(x0)− = f (x0), wenn x0 ∈ (a, b].

8.4.6 Bemerkung. Mit den Voraussetzungen von Satz 8.4.5 gilt fur

G(x) :=

∫ b

x

f (t) dt = G(x) =

∫ b

a

f (t) dt −∫ x

a

f (t) dt

G′(x) = − f (x). Setzen wir allgemein fur a ≤ u ≤ v ≤ b

∫ u

v

f (t) dt := −∫ v

u

f (t) dt ,

so folgt fur jedes feste c ∈ [a, b]

( ∫ x

c

f (t) dt)′= f (x)

egal, ob x ≥ c oder x ≤ c.

Folgendes Korollar ist die Grundlage, Integrale mit Hilfe der Stammfunktion be-

rechnen zu konnen.

8.4.7 Korollar. Ist f : [a, b] → R (C) stetig, und ist H : [a, b] → R (C) eine Stamm-

funktion von f , d.h. H ist auf [a, b] differenzierbar mit H′(x) = f (x) fur alle x ∈ [a, b],

so gilt ∫ b

a

f (t) dt = H(b) − H(a) .

8Ist x0 gleich a oder b, so meinen wir die links- bzw. rechtsseitige Differenzierbarkeit bzw. Ableitung.9Wir sehen, dass diese Funktion sogar Lipschitz stetig ist, d.h. dass |F(y) − F(x)| ≤ M · |y − x| fur alle

x, y ∈ [a, b] mit einer festen Konstante M ≥ 0 gilt.10Man beachte, dass die Lange das Integrationsintervalles gerade x − x0 ist.

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16 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

Beweis. Nach Satz 8.4.5 ist die Funktion F(x) =∫ x

af (t) dt ebenfalls eine Stamm-

funktion von f auf [a, b]. Somit unterscheiden sich H und F nur um eine Konstante,

F ≡ H + c auf [a, b]; vgl. Bemerkung 7.5.2. Wegen 0 = F(a) = H(a)+ c ist H(a) = −c,

und somit ∫ b

a

f (t) dt = F(b) = H(b) + c = H(b) − H(a) .

8.4.8 Beispiel. Wir wollen das Integral der Funktion ln x uber das Intervall [1, 3] be-

rechnen. Eine Stammfunktion von ln x auf (0,+∞) ist x(ln(x) − 1). Also folgt mit der

Konvention, dass g(x)|ba = g(b) − g(a),

∫ 3

1

ln t dt = x(ln(x) − 1)|31 = 3(ln 3 − 1) − (−1) = 3 ln 3 − 2 .

8.4.9 Beispiel. Um das bestimmte Integral∫ π

0te2it dt zu berechnen, nehmen wir die

Stammfunktion x2i

e2ix − 1(2i)2 e2ix von xe2ix und erhalten

∫ π

0

te2it dt =

(x

2ie2ix − 1

(2i)2e2ix

)∣∣∣∣∣∣π

0

2i.

8.4.10 Bemerkung. Aus dem Hauptsatz sieht man insbesondere, dass fur eine uberall

auf [a, b] stetige Funktion f die Funktion F(x) =x∫

a

f (t) dt eine stetig differenzierbare

Funktion ist, die F′(x) = f (x) und F(a) = 0 erfullt.

Ist umgekehrt F(x) = eine stetig differenzierbare Funktion auf [a, b] mit F(a) = 0,

so ist ihre Ableitung f stetig und wegen Satz 8.3.4 integrierbar. Die Funktion x 7→x∫

a

f (t) dt hat nach dem Hauptsatz die selbe Ableitung wie F. Außerdem verschwinden

sie beide bei a, und daher F(x) =x∫

a

f (t) dt, x ∈ [a, b]; vgl. Korollar 8.4.7.

Also wird C[a, b] durch den Integraloperator bijektiv auf {F ∈ C1[a, b] : F(a) = 0}abgebildet. Die Umkehrabbildung ist dabei das Differenzieren. Man sieht auch leicht,

dass diese beiden Mengen Vektorraume sind, und dass dieser Integraloperator linear

ist.

8.4.11 Korollar. Ist f : [a, b] → R stetig mit f (x) ≥ 0 fur alle x ∈ [a, b], und gilt∫ b

af (x) dx = 0, so verschwindet f identisch auf [a, b].

Beweis. Die Funktion F(x) =x∫

a

f (t) dt, x ∈ [a, b] ist in C1[a, b], erfullt

F(a) = F(b) = 0 und hat fur x ∈ (a, b) die Ableitung F′(x) = f (x) ≥ 0. Also

ist F(x) monoton wachsend, und somit 0 = F(a) ≤ F(x) ≤ F(b) = 0. Mit F

verschwindet auch F′ = f identisch.

Die in Lemma 7.5.4 kennengelernten Regeln zur Auffindung von Stammfunktionen

fuhren auf entsprechende Regeln zur Berechnung von Integralen.

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8.5. WEITERE EIGENSCHAFTEN DES INTEGRALS 17

8.4.12 Lemma (Substitutionsregel). Sei f reell- oder komplexwertig und stetig auf

[a, b], und g ∈ C1[α, β] reellwertig mit g([α, β]) ⊆ [a, b]. Dann gilt

∫ g(β)

g(α)

f (x) dx =

∫ β

α

f (g(t))g′(t) dt .

Beweis. Nach Lemma 7.5.4 ist (∫

f ) ◦ g eine Stammfunktion von f (g(t))g′(t). Aus

Korollar 8.4.7 folgt daher die behauptete Gleichheit.

Ahnlich beweist man folgendes Lemma.

8.4.13 Lemma (Partielle Integration). Seien f , g ∈ C1[a, b]. Dann gilt

b∫

a

f ′g dx = f (b)g(b) − f (a)g(a) −b∫

a

f g′ dx .

Fur f (b)g(b) − f (a)g(a) schreibt man auch f g|ba.

Folgender Satz wird ebenfalls Hauptsatz der Differential-Integralrechnung genannt.

Dieser ist dem Satz 8.4.5 zwar sehr ahnlich, aber auf den zweiten Blick unterscheiden

sie sich doch durch die Voraussetzungen wesentlich.

8.4.14 Satz (*). Sei f : [a, b] → R Riemann-integrierbar uber [a, b], sodass es eine

stetige Funktion F : [a, b] → R gibt, die auf (a, b) differenzierbar ist und die dort

F′(x) = f (x) erfullt. Dann gilt

b∫

a

f (x) dx = F(b) − F(a) .

Beweis. Sei {ξ j : j = 0, . . . , n} eine Zerlegung von [a, b]. Dann existieren nach dem

Mittelwertsatz der Differentialrechnung Satz 7.2.6 Zwischenstellen αi, ξi−1 ≤ αi ≤ ξi,

sodass

F(ξi) − F(ξi−1) = (ξi − ξi−1) f (αi) .

Somit ist R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)eine Riemann-Zerlegung von [a, b]. Es folgt

F(b) − F(a) =

n∑

i=1

(F(ξi) − F(ξi−1)

)=

n∑

i=1

(ξi − ξi−1) f (αi) = S (R) .

Fur |R| → 0 strebt die rechte Seite gegenb∫

a

f (x)dx.

Man beachte, dass Satz 8.4.14 nur auf reellwertige Funktionen anwendbar ist, da

im Beweis der Mittelwertsatz der Differentialrechnung verwendet wird, der ja nur fur

reellwertige Funktionen gilt.

8.5 Weitere Eigenschaften des Integrals

Sind f und g im folgenden Satz stetig, so ist die Aussage des Satzes eine einfache

Konsequenz aus der Tatsache, dass stetige Funktionen integrierbar sind.

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18 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.5.1 Satz (*). Sind f , g reellwertig und uber [a, b] Riemann-integrierbar, so sind es

auch | f |, f 2, f g und

∣∣∣b∫

a

f dx∣∣∣ ≤

b∫

a

| f |dx .

Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Nach Satz 8.2.5 existiert eine Zerlegung

Z = {ξi : i = 0, . . . , n(Z)} von [a, b], sodass

O( f ,Z) − U( f ,Z) < ǫ .

Setze fur i = 0, . . . , n(Z)

Mi = supx∈[ξi−1,ξi]

f (x), mi = infx∈[ξi−1,ξi]

f (x),

M∗i = supx∈[ξi−1 ,ξi]

| f (x)|, m∗i = infx∈[ξi−1 ,ξi]

| f (x)| .

Fur x, y ∈ [ξi−1, ξi] folgt | f (x)| − | f (y)| ≤ | f (x) − f (y)| ≤ Mi − mi, und mit Hilfe von

Lemma 2.9.11

M∗i − m∗i = supx∈[ξi−1 ,ξi]

| f (x)| + supx∈[ξi−1 ,ξi]

(−| f (x)|) = supx,y∈[ξi−1,ξi]

(| f (x)| − | f (y)|) ≤ Mi − mi.

Es folgt

O(| f |,Z) − U(| f |,Z) =

n(Z)∑

i=1

(M∗i − m∗i )(ξi − ξi−1) ≤

≤n(Z)∑

i=1

(Mi − mi)(ξi − ξi−1) = O( f ,Z) − U( f ,Z) < ǫ .

und nach (8.3) ist | f | integrierbar. Die behauptete Ungleichung folgt aus Lemma 8.2.9,

(ii).

Ist Z wie oben, so folgt aus der Tatsache, dass x 7→ x2 monoton wachsend auf

R+ ∪ {0} ist,

supx∈[ξi−1,ξi]

f (x)2 − infx∈[ξi−1 ,ξi]

f (x)2 = (M∗i )2 − (m∗i )2

= (M∗i + m∗i )(M∗i − m∗i ) ≤ 2‖ f ‖∞ · (M∗i − m∗i ) .

Nun sehen wir wegen

O( f 2,Z) − U( f 2,Z) =

n(Z)∑

i=1

supx∈[ξi−1 ,ξi]

f (x)2 − infx∈[ξi−1 ,ξi]

f (x)2

(ξi − ξi−1) ≤

≤ 2‖ f ‖∞n(Z)∑

i=1

(M∗i − m∗i )(ξi − ξi−1) = 2‖ f ‖∞(O(| f |,Z) − U(| f |,Z)

)< 2‖ f ‖∞ · ǫ

wie oben, dass auch f 2 integrierbar ist. Die Behauptung fur f g folgt aus der Beziehung

f g =1

2

(( f + g)2 − f 2 − g2

).

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8.6. UNEIGENTLICHE INTEGRALE 19

8.5.2 Bemerkung (*). Sind die Funktionen in Satz 8.5.1 komplexwertig, so sind mit f , g

auch Re f , Im f ,Re g, Im g Riemannintegrierbar. Da man | f |2,Re f g, Im f g als Summe

von Produkten von Re f , Im f ,Re g, Im g darstellen kann, sind auch | f |2, f g Riemann-

integrierbar.

Man zeigt auch ahnlich wie im Beweis von Satz 8.5.1, dass mit | f |2 auch√| f |2 = | f |

Riemann-integrierbar ist.

8.6 Uneigentliche Integrale

Angenommen, eine Funktion f : [a, b) → R (C) lasst sich zu einer Riemann-

integrierbaren Funktion f : [a, b]→ R (C) fortsetzen, dann folgt aus dem Hauptsatz

limx→b

∫ x

a

f (t) dt =

∫ b

a

f (t) dt . (8.11)

Hat die Funktion f : [a, b) → R (C) nicht die Eigenschaft, dass sie sich auf [a, b]

zu einer Riemann-integrierbaren Funktion fortsetzen lasst, so kann man immer noch

versuchen, fur x ∈ [a, b) das Integral∫ x

af (t) dt zu berechnen, und dann x gegen b

streben zu lassen.

8.6.1 Definition. Sei f : [a, b) → R (C), wobei a < b ≤ +∞, und sei f |[a,x] fur alle

x ∈ [a, b) Riemann-integrierbar. Dann heißt f uneigentlich integrierbar, falls

∫ b

a

f (t) dt := limβ→b−

∫ β

a

f (t)dt

existiert. Dazu sagen wir auch, dass∫ b

af (t) dt konvergiert. Entsprechend definiert man

uneigentliche Integrale fur Funktionen f : (a, b]→ R (C), wenn −∞ ≤ a < b.

Ist f : (a, b)→ R (C), so definiert man mit einem beliebigen c ∈ (a, b)

∫ b

a

f (t) dt := limβ→b−

∫ β

c

f (t)dt + limα→a+

∫ c

α

f (t)dt , (8.12)

falls die Grenzwerte existieren.

Eine reell- bzw. komplexwertige Funktion f heißt absolut uneigentlich integrier-

bar, falls | f | uneigentlich integrierbar ist. Dazu sagt man auch, dass∫ b

af (t) dt absolut

konvergiert.

Man sieht leicht, dass (8.12) nicht von der Wahl von c ∈ (a, b) abhangt.

8.6.2 Beispiel.

(i) Fur a ∈ R rechnet man

∫ +∞

a

e−t dt = limβ→+∞

∫ β

a

e−t dt = limβ→+∞

−(e−β − e−a) = e−a .

(ii) Mit der Regel von de l’Hospital erhalt man fur ein b > 0

∫ b

0

ln t dt = limα→0+

∫ b

α

ln t dt = b(ln(b) − 1) − limα→0+

α(ln(α) − 1) = b(ln(b) − 1) .

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20 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

(iii) Bei der Berechnung von ∫ +∞

1

sin πt

tdt (8.13)

sieht man, dass bei uneigentlichen Integralen ahnliche Phanomene auftreten, wie

bei Reihen. In der Tat gilt

∫ β

1

sin πt

tdt =

∫ [β]

1

sin πt

tdt +

∫ β

[β]

sin πt

tdt =

[β]−1∑

n=1

(−1)n

∫ n+1

n

| sin πt|t

dt +

∫ β

[β]

sin πt

tdt .

Man erkennt unschwer, dass∫ n+1

n

| sin πt|t

dt monoton gegen Null fur n → ∞ kon-

vergiert. Mit Hilfe des Leibnizschen Kriteriums und wegen

∣∣∣∣∣∣

∫ β

[β]

sin πt

tdt

∣∣∣∣∣∣ ≤1

[β]

∫ [β]+1

[β]

| sin πt| dt =2

π[β]

β→+∞−→ 0

sieht man, dass (8.13) konvergiert.

Das Integral ist aber nicht absolut konvergent in dem Sinne, dass auch∫ β

1

∣∣∣ sinπtt

∣∣∣ dt

existiert, da

∫ β

1

∣∣∣∣∣sin t

t

∣∣∣∣∣ dt ≥[β]−1∑

n=1

∫ n+1

n

| sin πt|n + 1

dt =

∫ 1

0

| sin πt| dt ·[β]−1∑

n=1

1

n + 1

fur β→ +∞ divergiert.

Das wohl am meisten verwendete und ahnlich wie bei den Folgen zu beweisende

Kriterium fur die absolute Konvergenz ist das folgende Resultat.

8.6.3 Lemma. Seien f , g : [a, b)→ R (C), wobei a < b ≤ +∞, und sei f |[a,x] und g|[a,x]

sowie der Betrag dieser Funktionen fur alle x ∈ [a, b) Riemann-integrierbar.

Ist∫ b

ag(x) dx absolut konvergent, so ist es auch konvergent. Gilt obendrein die

Ungleichung |g(x)| ≥ | f (x)| fur alle x ∈ [c, b) mit einem c ∈ [a, b), so ist auch∫ b

af (x) dx

absolut konvergent und somit auch konvergent.

Entsprechende Aussagen gelten fur Funktionen, die auf Intervallen der Bauart

(a, b] bzw. (a, b) definiert sind.

Beweis. Wegen den Ungleichungen∣∣∣∣∣∣

∫ x2

x1

g(t) dt

∣∣∣∣∣∣ ≤∫ x2

x1

|g(t)| dt,

∫ x2

x1

| f (t)| dt ≤∫ x2

x1

|g(t)| dt ,

vererbt sich die Eigenschaft, dass(∫ x

a|g(t)| dt

)x≥a

ein Cauchy-Netz ist auch auf(∫ x

ag(t) dt

)x≥a

bzw.(∫ x

a| f (t)| dt

)x≥a

. Die behauptete Konvergenz folgt dann aus Lemma

5.3.11.

8.6.4 Bemerkung. Man kann Lemma 8.6.3 anwenden, um aus der Divergenz eines

uneigentlichen Integrales∫ b

a| f (x)| dx auf die Divergenz von

∫ b

a|g(x)| dx zu schließen,

wenn |g(x)| ≥ | f (x)| fur alle x ∈ (a, b).

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8.6. UNEIGENTLICHE INTEGRALE 21

8.6.5 Beispiel. Man betrachte das uneigentliche Integral

∫ +∞

0

x ln x

(x2 + 1)3dx := lim

α→0+

∫ 1

α

x ln x

(x2 + 1)3dx + lim

β→+∞

∫ β

1

x ln x

(x2 + 1)3dx .

Da die Funktion h(x) := x ln x nur fur x ∈ (0,+∞) definiert ist, ist dieses Integral

uneigentlich an beiden Integrationsgrenzen. Die Funktion h(x) lasst sich aber stetig auf

[0,+∞) durch h(x) = 0 stetig fortsetzen. Somit bleibt nur die Uneigentlichkeit bei der

Stelle +∞; vgl. (8.11).

Fur x ≥ 1 ist der Integrand nicht negativ. Somit ergeben dort die Abschatzungen

∣∣∣∣∣x ln x

(x2 + 1)3

∣∣∣∣∣ =x ln x

(x2 + 1)3≤ x2

(x2 + 1)3≤ x2

(x2)3=

1

x4.

Wegen ∫ ∞

1

1

x4dx = − 1

3x3

∣∣∣∣∞

0=

1

3

folgt aus Lemma 8.6.3 die absolute Konvergenz unseres Integrals.

8.6.6 Beispiel. Man betrachte das uneigentliche Integral

∫ 1

0

ln x

e2x − exdx .

Dieses ist nur uneigentlich bei 0. Fur x ∈ (0, 1] gilt∣∣∣∣∣

ln x

e2x − ex

∣∣∣∣∣ =− ln x

e2x − ex.

Wegen e−x ≥ 1/e fur alle x ∈ [0, 1] folgt

− ln x

e2x − ex= e−x − ln x

ex − 1≥ 1

e

− ln x

ex − 1.

Weiters gilt − ln x ≥ 1 fur alle x ∈ (0, 1/e], d. h.

− ln x

e2x − ex≥ 1(0,1/e](x) · 1

e

1

ex − 1≥ 0, x ∈ (0, 1] .

Dabei ist 1(0,1/e] die Charakteristische Funktion des Intervalls (0, 1/e]. Fur alle ǫ ∈(0, 1/e) erhalten wir mit der Monotonie des Integrals

Iǫ :=

∫ 1

ǫ

∣∣∣∣∣ln x

e2x − ex

∣∣∣∣∣ dx ≥ 1

e

∫ 1/e

ǫ

1

ex − 1dx =

1

e

∫ 1/e

ǫ

e−x

1 − e−xdx .

Nun steht im Zahler die Ableitung des Nenners, d. h. eine Stammfunktion des Integran-

den ist ln(1 − e−x). (Wegen x > 0 ist das Argument des Logarithmus positiv.) Daraus

ergibt sich

Iǫ ≥1

eln(1 − e−x)

∣∣∣∣1/e

ǫ=

1

eln

1 − e−1/e

1 − e−ǫ.

Fur ǫ → 0+ konvergiert die rechte Seite und damit auch die linke Seite gegen +∞.

Insbesondere divergiert das uneigentliche Integral

∫ 1

0

∣∣∣∣∣ln x

e2x − ex

∣∣∣∣∣ dx ,

und damit auch das im Beispiel angegebene.

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22 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.7 Vertauschung von Integralen mit Grenzwerten

Das folgende Lemma ist eine unmittelbare Verallgemeinerung von Lemma 6.6.11.

Auch den Beweis kann man fast wortlich ubernehmen.

8.7.1 Lemma. Seien (I,�I) und (J,�J) zwei gerichtete Mengen, und sei 〈Y, d〉 ein

vollstandig metrischer Raum.

Weiters seien H : I × J → Y und h : I → Y Funktionen, sodass fur alle j ∈ J die

Funktion H j : I → Y, i 7→ H(i, j) beschrankt ist, und sodass

h(i) = limj∈J

H(i, j)

gleichmaßig auf I, d.h.

∀ǫ > 0 ∃ j0 ∈ J : ∀ j � j0, ∀i ∈ I : d(H(i, j), h(i)) ≤ ǫ ,bzw. aquivalent dazu h = lim j∈J H j in 〈B(I, Y), d∞〉11.

Schließlich existiere fur alle j ∈ J der Limes A j := limi∈I H(i, j). Unter diesen

Voraussetzungen ist sowohl (A j) j∈J als auch (h(i))i∈I in Y konvergent, wobei

limj∈J

A j = limi∈I

h(i) ; (8.14)

also gilt

limj∈J

limi∈I

H(i, j) = limi∈I

limj∈J

H(i, j) .

Beweis. Sei ǫ > 0 gegeben. Wegen der vorausgesetzten gleichmaßigen Konvergenz ist(H j

)j∈J in B(I, Y) ein Cauchy-Netz. Es existiert also ein j0 ∈ J, sodass fur j, k � j0 und

alle i ∈ I gilt

dY(H(i, j),H(i, k)) ≤ d∞(H j,Hk) ≤ ǫ .Halt man j und k fest, so folgt dY(A j, Ak) = limi∈I dY (H(i, j),H(i, k)) ≤ ǫ. Damit ist

(A j) j∈J ein Cauchy-Netz, und wegen Lemma 5.3.11 konvergent. Setzen wir lim j∈J A j =:

A, so gilt

dY (h(i), A) ≤ dY (h(i),H(i, j))+ dY (H(i, j), A j) + dY (A j, A) .

Wahle j nach der vorausgesetzten gleichmaßigen Konvergenz so, dass fur alle i ∈ I gilt

dY(h(i),H(i, j)) ≤ d∞(h,H j) < ǫ und so, dass dY (A j, A) < ǫ. Fur dieses j existiert ein

i0 ∈ I, sodass aus i � i0, die Ungleichung dY(H(i, j), A j) < ǫ folgt. Insgesamt erhalten

wir

dY(h(i), A) < 3ǫ fur i ∈ I und i � i0 .

Aus diesem Lemma folgen nun eine Reihe wichtiger Ergebnisse.

8.7.2 Satz. Sei ( fn)n∈N eine Folge von Riemann-integrierbaren Funktionen auf [a, b]

mit Werten in R oder C. Gilt limn→∞ fn = f gleichmaßig auf [a, b], so ist auch f

Riemann-integrierbar, wobei

limn→∞

b∫

a

fn dx =

b∫

a

f dx .

Entsprechendes gilt fur gleichmaßig konvergente Netze von Funktionen.

11Wegen Satz 6.6.15 und Lemma 5.3.11 ist diese Tatsache, dass lim j∈J H j in 〈B(I, Y), d∞〉 existiert aqui-

valent dazu, dass (H j) j∈J in 〈B(I, Y), d∞〉 ein Cauchy-Netz ist.

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8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 23

Beweis. Um das letzte Lemma anwenden zu konnen, sei I = R die Menge aller

Riemann-Zerlegungen von [a, b] versehen mit der durch die Feinheit induzierte Ord-

nung und (J,�J) = (N,≤). Weiters sei Y = R (C), versehen mit der Euklidischen

Metrik, je nachdem, wo die Funktionen hinein abbilden.

Wir setzen H(R, n) := S ( fn,R), h(R) = S ( f ,R). Wegen Lemma 8.2.9, (ii), gilt

|H(R, n) − h(R)| = |S ( fn − f ,R)| ≤ ‖ fn − f ‖∞ · (b − a) = d∞( fn, f ) · (b − a) . (8.15)

Also konvergiert H(., n) gleichmaßig gegen h. Nach Lemma 8.7.1 folgt

limn→∞

b∫

a

fn dx = limn→∞

lim|R|→0

S ( fn,R)

= lim|R|→0

limn→∞

S ( fn,R) = lim|R|→0

S ( f ,R) =

b∫

a

f dx ,

wobei limn→∞ S ( fn,R) = S ( f ,R) fur ein festes R ∈ R aus (8.15) folgt.

Der Beweis fur Netze verlauft fast identisch.

8.7.3 Beispiel. Sei∑∞

n=0 anxn eine Potenzreihe mit positivem Konvergenzradius R.

Dann gilt fur [a, b] ⊆ {x ∈ R : |x| < R}

b∫

a

∞∑

n=0

anxn

dx =

∞∑

n=0

an

∫ b

a

xn dx =

∞∑

n=0

an

n + 1xn+1|bx=a .

Somit haben wir eine weitere Moglichkeit, Stammfunktionen auszurechnen. So ist et-

wa die Stammfunktion von e−x2

nicht als Summe von Produkten von Funktionen wie

Polynome, e hoch Polynomen, oder dergleichen darstellbar. Aber zumindest lasst sich

eine Stammfunktion F(x) als

F(x) =

∫ x

0

e−t2

dt =

∫ x

0

∞∑

j=0

(−1) j

j!t2 j dt =

∞∑

j=0

(−1) j

( j!)(2 j + 1)x2 j+1 ,

anschreiben.

Mit Hilfe des Hauptsatzes konnen wir auch Differentiation und Limes vertauschen.

8.7.4 Korollar. Sei ( fn)n∈N eine Folge von reell- bzw. komplexwertigen und stetig dif-

ferenzierbaren Funktionen definiert auf [a, b].

Existiert ein Punkt x0 ∈ [a, b], sodass ( fn(x0))n∈N konvergiert, und ist die Folge

( f ′n)n∈N gleichmaßig konvergent auf [a, b], so ist auch die Folge ( fn)n∈N gleichmaßig

konvergent auf [a, b], und es gilt

d

dxlimn→∞

fn(x) = limn→∞

d

dxfn(x), x ∈ [a, b] .

Entsprechendes gilt fur Netze von Funktionen.

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24 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

Beweis. Nach Satz 8.4.5 bzw. Bemerkung 8.4.6 gilt fn(x) =∫ x

x0f ′n(t) dt+ fn(x0) fur alle

x ∈ [a, b]. Setzen wir g := limn→∞ f ′n und A := limn→∞ fn(x0), so ist g wegen Korollar

6.6.13 stetig. Außerdem folgt fur x ∈ [a, b] aus Satz 8.7.2

f (x) :=

∫ x

x0

g(t) dt + A = limn→∞

(∫ x

x0

f ′n(t) dt + fn(x0)

)= lim

n→∞fn(x) ,

womit ( fn)n∈N zumindest punktweise gegen f (x) konvergiert. Nach Satz 8.4.5 ist die

linke Seite ableitbar, und daher gilt f ′(x) = g(x) = limn→∞ f ′n(x), x ∈ [a, b].

Die Gleichmaßigkeit der Konvergenz folgt aus

‖ fn − f ‖∞ = supx∈[a,b]

| fn(x) − f (x)| = supx∈[a,b]

∣∣∣∣∣∣

∫ x

x0

( f ′n(t) − g(t)) dt + fn(x0) − A

∣∣∣∣∣∣ ≤

(b − a) · ‖ f ′n − g‖∞ + | fn(x0) − A| n→∞−→ 0 . (8.16)

Der Beweis fur Netze verlauft fast identisch.

Dass aus der gleichmaßigen Konvergenz einer Funktionenfolge im Allgemeinen

nicht die gleichmaßige Konvergenz der Folge der Ableitungen folgt, zeigt

8.7.5 Beispiel. Sei fn(x) = sin nx√n

fur x ∈ R. Offensichtlich gilt

limn→∞

fn(x) = 0 ,

und zwar gleichmaßig auf ganz R. Wegen

f ′n(x) =√

n cos nx

gilt aber etwa limn→∞ f ′n(0) = +∞.

Wenden wir Korollar 8.7.4 auf Potenzreihen an, so erhalten wir folgendes Resultat.

Dieses zeigt insbesondere auch, dass die Taylorreihe zur Grenzfunktion einer Potenz-

reihe mit der gegebenen Potenzreihe ubereinstimmt; vgl. Fakta 7.4.4, 7.

8.7.6 Proposition. Sei∑∞

n=0 anzn eine Potenzreihe mit Konvergenzradius R > 0. Dann

hat die Potenzreihe∑∞

n=0(n + 1)an+1zn denselben Konvergenzradius R.

Die Funktion

f : (−R,R)→ C, f (t) =

∞∑

n=0

antn

ist auf (−R,R) differenzierbar mit der Ableitung

f ′(x) =

∞∑

n=0

(n + 1) an+1xn .

Sie ist sogar beliebig oft differenzierbar mit (l ∈ N)

f (l)(x) =

∞∑

n=0

(n + l) · · · (n + 1) an+lxn , (8.17)

wobei auch diese Potenzreihe Konvergenzradius R hat. Insbesondere gilt

f (l)(0) = l! al .

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8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 25

Beweis. Dass der Konvergenzradius von∑∞

n=0(n + 1)an+1zn auch R ist, pruft man ent-

weder mit Hilfe des Majorantenkriteriums durch einen Vergleich mit∑∞

n=0 |anzn| nach,

oder man zeigt, dass12

1

lim supn→∞n√|(n + 1)an+1|

=1

lim supn→∞n+1√|an+1|

= R ,

vgl. Satz 6.7.7.

Fur jedes feste r ∈ (0,R) konvergiert wegen Satz 6.7.7 die Funktionenfolge

(∑N

n=0 antn)N∈N auf [−r, r] gleichmaßig gegen f . Analog konvergiert die Funktionen-

folge (∑N−1

n=0 (n + 1)an+1tn)N∈N auf [−r, r] gleichmaßig und zwar wegen Korollar 8.7.4

gegen f ′. Da r < R beliebig war, folgt die Behauptung.

Die Verallgemeinerung in (8.17) folgt nun leicht durch vollstandige Induktion.

8.7.7 Beispiel. Fur x ∈ (−1, 1) ist die Funktion x 7→ ln(1 − x) beliebig oft differenzier-

bar. Da ln(1 − x)′ = − 11−x= −∑∞

n=0 xn nach Proposition 8.7.6 mit der Ableitung von

x 7→ −∑∞n=1

xn

n, x ∈ (−1, 1) ubereinstimmt, und da ln(1 − x) und −∑∞

n=1xn

nfur x = 0

beide den Wert Null annehmen, folgt aus Korollar 7.2.9, dass

ln(1 − x) = −∞∑

n=1

xn

nfur alle x ∈ (−1, 1) .

Da diese Reihe auch fur x = −1 (bedingt) konvergiert, folgt aus Satz 6.11.1, dass

−∑∞n=1

(−1)n

n= ln(2).

Als Vorspiel zum nachsten Ergebnis wollen wir uns kurz mit dem Produkt zweier

metrischer Raume beschaftigen.

8.7.8 Fakta.

1. Seien 〈X, dX〉 und 〈Y, dY〉 zwei metrische Raume. Ist X × Y die Menge aller ge-

ordneten Paare, und definiert man

d((a, b), (x, y)

):= max(dX(a, x), dY(b, y)) , (8.18)

so sieht man unmittelbar, dass (X × Y, d) ein metrischer Raum ist, und dass

(xn, yn)→ (x, y) genau dann, wenn xn → x und yn → y.

2. Sind K1 ⊆ X und K2 ⊆ Y jeweils kompakt, so ist es auch K1 × K2, denn ist((xn, yn)

)n∈N eine Folge in K1 × K2, so gibt es eine Teilfolge (xn(k))k∈N, sodass

xn(k) → x ∈ K1 und weiter eine Teilfolge (yn(k( j))) j∈N mit yn(k( j)) → y ∈ K2, also

(xn(k( j)), yn(k( j)))→ (x, y).

3. Die offene Kugel Uǫ(a, b) um ein (a, b) ∈ X × Y ist nichts anderes als Uǫ(a) ×Uǫ(b), da

d((a, b), (x, y)

)= max(dX(a, x), dY(b, y)) < ǫ ⇔ dX(a, x) < ǫ ∧ dY(b, y) < ǫ .

4. Sind O1 ⊆ X, O2 ⊆ Y offen, so auch O1 × O2 ⊆ X × Y, da es zu (a, b) ∈ X × Y

sicherlich ein ǫ > 0 mit Uǫ(a) ⊆ O1 und Uǫ (b) ⊆ O2 gibt, und dann Uǫ(a, b) ⊆O1 × O2.

12Um diese Gleichheit einzusehen, verwendet man am besten die Charakterisierung des Limes Superior

als großter Haufungspunkt; vgl. Proposition 5.2.3.

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26 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

5. Die Definition von d∞ auf Rp passt genau in dieses Bild, denn haben wir p1 +

p2 = p, und sind sowohl Rp1 als auch Rp2 versehen mit d∞, und versieht man

Rp = Rp1 × Rp2 mit der Metrik aus (8.18), so erhalt man genau wieder d∞.

8.7.9 Korollar. Ist f : [a, b] × K → R (C) stetig, wobei K eine kompakte Teilmenge

eines metrischen Raumes (Y, dY) ist, so ist auch die Funktion R : K → R (C) definiert

durch

R(t) =

∫ b

a

f (s, t) ds

stetig. R(t) nennt man Parameterintegral.

Beweis. Es gilt limt→t0 R(t) = limt∈K\{t0} R(t) = R(t0) fur ein beliebiges t0 ∈ K zu zeigen.

Dabei ist K \ {t0} geordnet durch

t1 � t2 ⇔ dY (t0, t1) ≥ dY(t0, t2) .

Wegen der Kompaktheit von [a, b]×K ist die Funktion f sogar gleichmaßig stetig; vgl.

Satz 6.3.3. Zu gegebenem ǫ > 0 gibt es somit ein δ > 0, sodass

d((s, t), (s′, t′)

)< δ⇒ | f (s, t) − f (s′, t′)| < ǫ .

Insbesondere folgt aus dY (t, t0) < δ wegen d((s, t), (s, t0)

)= dY (t, t0) die Ungleichung

| f (s, t) − f (s, t0)| < ǫ fur alle s ∈ [a, b] und somit

‖ f (., t) − f (., t0)‖∞ = sups∈[a,b]

| f (s, t) − f (s, t0)| ≤ ǫ .

Also konvergiert das Netz ( f (., t))t∈K\{t0} gleichmaßig gegen die Funktion f (., t0) :

[a, b]→ R (C). Wegen Satz 8.7.2 gilt dann

limt→t0

R(t) = limt→t0

∫ b

a

f (s, t) ds =

∫ b

a

limt→t0

f (s, t) ds =

∫ b

a

f (s, t0) ds = R(t0) .

Mit unserem Grenzwertvertauschungssatz lasst sich auch die Vertauschbarkeit der

Integrationsreihenfolge zeigen.

8.7.10 Satz (Satz von Fubini). Ist f : [a, b] × [c, d]→ R (C) stetig, so gilt

∫ b

a

(∫ d

c

f (s, t) dt

)ds =

∫ d

c

(∫ b

a

f (s, t) ds

)dt . (8.19)

Beweis. Die Existenz der inneren Integrale wird durch Satz 8.3.4 und der außeren

Integrale durch Korollar 8.7.9 gewahrleistet.

Sei I = R die Menge aller Riemann-Zerlegungen von [a, b] und sei J = P

die Menge aller Riemann-Zerlegungen von [c, d] beide gerichtet mit der durch die

Feinheit induzierten Ordnung. Wir definieren fur R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)und P =

((η j)

n(P)

j=0; (β j)

n(P)

j=1

)

H(R,P) :=

n(R)∑

j=1

n(P)∑

k=1

(ξ j − ξ j−1)(ηk − ηk−1) f (α j, βk) , (8.20)

Page 33: Analysis 2funkana/skripten/ANA_II.pdf2 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL = Xn k=1 k −1 n! 2 · 1 n = 1 n3 Xn−1 k=0 k2 = 1 n3 (n−1)n(2n−1)6. La¨sst manin dieserFormeln immergro¨ßerwerden,so

8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 27

und bemerken, dass

H(R,P) =

n(P)∑

k=1

(ηk − ηk−1)

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j, βk)

︸ ︷︷ ︸

=S ( f1,R)(βk)

= S (S ( f1,R),P) ,

wobei f1 die Funktion f mit festgehaltener zweiter Variablen ist, und S ( f1,R) als

Funktion eben dieser Variable aus [c, d] betrachtet wird. Entsprechend gilt H(R,P) =

S (S ( f2,P),R).

Wegen (8.9) gilt

|H(R,P1) − H(R,P2)| = |S (S ( f1,R),P1) − S (S ( f1,R),P2)| ≤ (8.21)

2(d − c) · sup{ |S ( f1,R)(t) − S ( f1,R)(t′)| : t, t′ ∈ [c, d], |t − t′| ≤ max(|P1|, |P2|) } .

Außerdem ist wegen Lemma 8.2.9, (ii),

|S ( f1,R)(t) − S ( f1,R)(t′)| =∣∣∣∣S

((f (, t) − f (., t′)

),R

)∣∣∣∣ ≤ (b − a) · ‖ f (., t) − f (., t′)‖∞ .

Da unsere Funktion f gleichmaßig stetig ist, gibt es zu gegebenen ǫ > 0 ein δ > 0,

sodass ‖ f (., t) − f (., t′)‖∞ ≤ ǫ fur alle t, t′ ∈ [c, d] mit |t − t′| < δ. Aus (8.21) folgt dann

supR∈R|H(R,P1) − H(R,P2)| ≤ 2(d − c)(b − a)ǫ ,

wenn nur |P1|, |P2| < δ. Somit ist(H(.,P)

)P∈J ein Cauchy-Netz in B(I,C)13 und kon-

vergiert daher wegen Lemma 5.3.11 in B(I,C) bzgl. d∞ – also gleichmaßig – gegen

eine Funktion h : I → C, wobei

h(R) = lim|P|→0

H(R,P) = lim|P|→0

S (S ( f2,P),R) =

S ( lim|P|→0

S ( f2,P),R) = S (

∫ d

c

f (., t) dt,R) .

Daraus folgt

lim|R|→0

lim|P|→0

H(R,P) = lim|R|→0

S (

∫ d

c

f (., t) dt,R) =

∫ b

a

(∫ d

c

f (s, t)dt

)ds .

Aus Symmetriegrunden konvergiert auch(H(R, .))R∈I in B(J,C) gegen eine Funktion

g : J → C, wobei

g(P) = lim|R|→0

H(R,P) = S (

∫ b

a

f (s, .) ds,P) ,

womit

lim|P|→0

lim|R|→0

H(R,P) = lim|P|→0

S (

∫ b

a

f (s, .) ds,P) =

∫ d

c

(∫ b

a

f (s, t)ds

)dt .

13Das ist der vollstandig metrische Raum aller auf I beschrankten C-wertigen Funktionen versehen mit

d∞, vgl. Definition 6.6.3.

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28 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

Weil alle Voraussetzungen von Lemma 8.7.1 erfullt sind, erhalten wir

lim|R|→0

lim|P|→0

H(R,P) = lim|P|→0

lim|R|→0

H(R,P) ,

und damit (8.19).

8.7.11 Bemerkung. Ist eine stetige reell- oder komplexwertige Funktion auf einem

Quader∏p

j=1[a j, b j] = [a1, b1] × · · · × [ap, bp] ⊆ Rp definiert, so ist wegen Korollar

8.7.9 (t j)p−1

j=17→

∫ bp

apf (t1, . . . , tp−1, s) ds stetig auf

∏p−1

j=1[a j, b j] ⊆ Rp−1.

Nun kann man nach der vorletzten Variablen integrieren, dann nach der vorvorletz-

ten, usw. . Schließlich erhalt man∫ b1

a1

. . .

∫ bp

ap

f (t1, . . . , tp) dtp . . . dt1 . (8.22)

Wendet man Satz 8.7.10 mehrere Male an, so sieht man, dass es hier nicht auf die

Integrationsreihenfolge ankommt.

Man kann das als Ausgangspunkt fur die Integrationstheorie fur Funktionen, die auf

einem Rechteck oder allgemeiner uber einem Quader Q =∏p

j=1[a j, b j] ⊆ Rp definiert

sind, nehmen, indem man ∫

Q

f (t) dt

als (8.22) definiert. Dieser Ausdruck hangt zumindest fur stetige f nicht von der Inte-

grationsreihenfolge ab, ist also in einem gewissen Sinne sinnvoll definiert.

Großere Probleme tauchen auf, wenn man etwa das Integral einer stetigen Funk-

tion uber einen Kreis definieren will. Solche Integrale werden wir in der Analysis 3

Vorlesung behandeln.

Als Folgerung erhalt man unmittelbar eine Aussage uber die Differenzierbarkeit

von Parameterintegralen.

8.7.12 Korollar. Sei f : [a, b] × [c, d] → R(C) stetig und so, dass die Ableitung nach

der ersten Variablen fur alle (s, t) ∈ [a, b] × [c, d] existiert, und dass

f1(s, t) =d

dsf (s, t)14 ,

ebenfalls auf [a, b] × [c, d] stetig ist. Dann ist die Funktion s 7→∫ d

cf (s, t) dt fur

s ∈ [a, b] stetig differenzierbar mit der Ableitung

d

ds

∫ d

c

f (s, t) dt =

∫ d

c

f1(s, t) dt . (8.23)

Beweis. Wegen Satz 8.7.10 und dem zweiten Hauptsatz gilt

∫ x

a

∫ d

c

f1(s, t) dt ds =

∫ d

c

∫ x

a

f1(s, t) ds dt =

∫ d

c

( f (x, t) − f (a, t)) dt .

Differenziert man diese Gleichung nach der Variablen x, so erhalt man (8.23). Dass

(8.23) stetig von s ∈ [a, b] abhangt, folgt aus Korollar 8.7.9.

14Dafur werden wir spater ∂∂s

f (s, t) schreiben.

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8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 29

8.7.13 Beispiel. Als Anwendung der Grenzwertvertauschungen wollen wir folgende

besonders in der Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie wichtige Tatsache zeigen:

∫ +∞

−∞e−t2

dt =√π . (8.24)

Dazu betrachte man (x ∈ [0,C] mit C > 0 beliebig)

F(x) =π

4−

∫ 1

0

e−x2(t2+1)

t2 + 1dt . (8.25)

Die Ableitung des Integranden nach x ist −2xe−x2(t2+1). Somit ist diese und offensicht-

lich der Integrand selber auf [0,C] × [0, 1] stetig. Aus Korollar 8.7.12 schließen wir

F′(x) = 2xe−x2

∫ 1

0

e−x2t2

dt .

Außerdem gilt

F(0) =π

4−

∫ 1

0

1

t2 + 1dt =

π

4− arctan |10 = 0 .

Ist andererseits G(x) =(∫ x

0e−t2

dt)2

, so gilt G′(x) = 2e−x2∫ x

0e−t2

dt, und aus der Sub-

stitutionsregel folgt F′(x) = G′(x). Wegen G(0) = 0 = F(0) folgt F(x) = G(x) und

zwar fur alle x ≥ 0, da ja C > 0 beliebig war.

Wegen e−x2 (t2+1)

t2+1≤ e−x2

konvergiert der Integrand in (8.25) fur x→ +∞ gleichmaßig

gegen die Nullfunktion, und mit Satz 8.7.2 erhalt man

limx→+∞

G(x) = limx→+∞

F(x) =π

4.

Aus der Stetigkeit der Wurzelfunktion folgt

limx→+∞

∫ x

0

e−t2

dt =

√π

2,

und damit (8.24).

8.7.14 Beispiel. Wir betrachten die Funktion

F(t) =

∫ +∞

0

sin x

x· e−xt dx := lim

γ→0+

∫ 1

γ

sin x

x· e−xt dx + lim

β→+∞

∫ β

1

sin x

x· e−xt dx .

Diese ist wohldefiniert fur t ∈ [0,+∞), da obiges uneigentliches Integral fur alle t ≥ 0

konvergiert, wobei es aber nur fur t > 0 absolut konvergiert.

Man beachte dabei auch, dass 0 nicht wirklich eine Uneigentlichkeitsstelle obigen

Integrales ist, da sich die Funktion g(x) := sin xx, x ∈ (0,+∞) stetig auf [0,+∞) durch

g(0) := 1 = limx→0+sin x

xfortsetzen lasst. Also gilt nach dem Hauptsatz der Differential-

und Integralrechnung

limδ→0+

∫ 1

δ

sin x

x· e−xt dx =

∫ 1

0

g(x) · e−xt dx .

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30 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

Man betrachte, das Netz (α > 1)

Fα(t) =

∫ α

sin x

x· e−xt dx

von Funktionen auf [0,+∞). Offenbar konvergiert es punktweise gegen F(t).

Weiters wollen wir bemerken, dass∣∣∣ sin x

x

∣∣∣ ≤ 1, x > 0, da die Funktion sin x − x

bei Null verschwindet, und auf [0,+∞) eine Ableitung kleiner gleich Null hat und

somit monoton fallend ist. Also gilt sin x − x ≤ 0, x ∈ [0,+∞) und daher∣∣∣ sin x

x

∣∣∣ ≤ 1

sicher fur x ∈ (0, 1]. Fur x > 1 ist diese Ungleichung klarerweise auch richtig, da

| sin x| ≤ 1, x ∈ R, und fur x < 0 gilt∣∣∣ sin x

x

∣∣∣ =∣∣∣ sin(−x)

−x

∣∣∣.Wir wollen nun limt→+∞ F(t) berechnen. Dazu betrachten wir F(t) fur t ∈ [δ,+∞)

fur ein festes δ > 0, und bemerken, dass fur t ≥ δ

|F(t) − Fα(t)| =∣∣∣∣∣∣∣limγ→0+

∫ 1α

γ

sin x

x· e−xt dx + lim

β→+∞

∫ β

α

sin x

x· e−xt dx

∣∣∣∣∣∣∣≤

limγ→0+

∫ 1α

γ

e−δx dx + limβ→+∞

∫ β

α

e−δx dx =

∫ 1α

0

e−δx dx +

∫ +∞

α

e−δx dx =1 − e−

1α + e−α

δ.

Der Ausdruck rechts konvergiert fur α → +∞ gegen 0 und zwar unabhangig von t ∈[δ,+∞). Also konvergiert Fα gegen F gleichmaßig auf [δ,+∞).

Andererseits gilt nach Satz 8.7.2 fur ein festes α > 1

limt→+∞

Fα(t) = limt→+∞

∫ α

sin x

x· e−xt dx =

∫ α

limt→+∞

sin x

x· e−xt dx =

∫ α

0 dx = 0 ,

da wegen∣∣∣ sin x

x· e−xt

∣∣∣ ≤ e−t 1α das Netz von Funktionen x 7→ sin x

x· e−xt, x ∈ [ 1

α, α] fur

t → +∞ gleichmaßig gegen 0 konvergiert.

Setzen wir also H(t, α) := Fα(t) fur (t, α) ∈ [δ,+∞)×(1,+∞), wobei diese Intervalle

jeweils gegen +∞ gereichtet sind, so folgt aus Lemma 8.7.1

limt→+∞

F(t) = limt→+∞

limα→+∞

Fα(t) = limα→+∞

limt→+∞

Fα(t) = limα→+∞

0 = 0 .

Nun wollen wir F′(t) fur t > 0 berechnen. Dazu halten wir wieder δ > 0 fest und

betrachten t ∈ [δ,+∞). Wir wissen schon, dass Fα → F und zwar gleichmaßig auf

dieser Menge. Betrachten wir nun fur ein festes α > 1 die das Integral

Fα(t) =

∫ α

sin x

x· e−xt dx ,

so ist der Integrand stetig in (x, t) ∈ [ 1α, α] × [δ,+∞), und auch die Ableitung

∂t

sin x

x· e−xt = − sin x · e−xt

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8.7. VERTAUSCHUNG VON INTEGRALEN MIT GRENZWERTEN 31

des Integranden nach t (∈ [δ,+∞)) ist stetig in (x, t) ∈ [ 1α, α] × [δ,+∞). Also gilt nach

Korollar 8.7.12

F′α(t) =

∫ α

− sin x · e−xt dx .

Wegen (t ∈ [δ,+∞))∣∣∣∣∣∣

∫ +∞

0

− sin x · e−xt dx −∫ α

− sin x · e−xt dx

∣∣∣∣∣∣ ≤

∫ 1α

0

e−δx dx +

∫ +∞

α

e−δx dx =1 − e−

1α + e−α

δ

konvergiert F′α(t) fur α→ +∞ unabhangig von t ≥ δ, daher gleichmaßig in t ∈ [δ,+∞),

gegen ∫ +∞

0

− sin x · e−xt dx .

Gemaß Korollar 8.7.4 ist das somit genau F′(t) und zwar fur t ∈ (0,+∞), da ja das feste

δ > 0 beliebig war. Wegen∫ +∞

0

− sin x · e−xt dx =1

1 + t2(t sin x + cos x)e−xt

∣∣∣∣+∞

0= − 1

1 + t2, t > 0 ,

folgt F(t) = C − arctan t, t ∈ (0,+∞) fur ein festes reelles C. Lasst man t gegen +∞streben, so sieht man, dass C = π

2.

Schließlich gilt fur t ≥ 015

F(t) =

∫ 1

0

sin x

x· e−xt dx +

∫ +∞

1

1

x· e−xt sin x dx .

Das erste Integral ist gemaß Korollar 8.7.9 stetig in t ∈ [0,+∞). Fur das zweite stimmt

nach einer partiellen Integration uberein mit

limβ→+∞

[−1

x

t sin x + cos x

1 + t2e−xt

1

− limβ→+∞

∫ β

1

1

x2

t sin x + cos x

1 + t2e−xt dx . (8.26)

Man beachte, dass der erste Grenzwert genau

t sin 1 + cos 1

1 + t2e−t

ist, und somit auch stetig in t ∈ [0,+∞) ist. Wegen∣∣∣ t sin x+cos x

1+t2 e−xt∣∣∣ ≤ 1 gilt fur t ≥ 0

∣∣∣∣∣∣

∫ +∞

1

1

x2

t sin x + cos x

1 + t2e−xt dx −

∫ β

1

1

x2

t sin x + cos x

1 + t2e−xt dx

∣∣∣∣∣∣ ≤∫ +∞

β

1

x2dx .

Also konvergiert das Netz∫ β

1

1

x2

t sin x + cos x

1 + t2e−xt dx

von stetigen (siehe Korollar 8.7.9) Funktion in t ∈ [0,+∞) gleichmaßig gegen den

zweiten Grenzwert aus (8.26). Also ist auch dieser stetig; vgl. Korollar 6.6.13. Damit

haben wir die Stetigkeit von F(t) auf ganz [0,+∞) nachgewiesen.

Da aber F(t) = π2− arctan t fur t > 0 folgt fur t → 0+ die Gleichung

∫ +∞

0

sin x

xdx = F(0) =

π

2.

15Man denke sich wieder sin xx

bei x = 0 stetig fortgesetzt mit dem Wert 1.

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32 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.8 Mittelwertsatz

Folgende Tatsache liegt unmittelbar auf der Hand.

8.8.1 Satz (Mittelwertsatz der Integralrechnung). Seien f und g reelle und Riemann-

integrierbare Funktion auf [a, b], wobei g(t) ≥ 0, t ∈ [a, b]. Dann existiert ein µ ∈[inft∈[a,b] f (t), supt∈[a,b] f (t)] mit

b∫

a

f (t)g(t) dt = µ

b∫

a

g(t) dt . (8.27)

Ist f stetig, so gibt es ein x ∈ [a, b], sodass µ = f (x).

Beweis. Man betrachte die Ungleichung

g(s) inft∈[a,b]

f (t) ≤ g(s) f (s) ≤ g(s) supt∈[a,b]

f (t) ,

und integriere alle Funktionen nach s. Nach Lemma 8.2.9 erfullen die Integrale die

selbe Ungleichungskette. Daraus folgt unmittelbar (8.27). Fur ein stetiges f ist nach

dem Zwischenwertsatz f (x) = µ fur ein x ∈ [a, b].

Fur g(t) = t erhalten wir aus Satz 8.8.1 unmittelbar, dass fur ein Riemann-

integrierbares f : [a, b]→ R

b∫

a

f (t) dt = µ(b − a) , (8.28)

wobei im Falle der Stetigkeit von f gilt, dass µ = f (x) fur ein gewisses x ∈ [a, b].

Als Anwendung konnen wir mit Satz 8.8.1 die Darstellung des Restgliedes im Satz

von Taylor, Satz 7.4.2, unter etwas starkeren Voraussetzungen nochmals ableiten. Dazu

benotigen wir zunachst eine Darstellung dieses Restgliedes in Integralform, die aber

auch fur komplexwertige Funktion gultig ist.

8.8.2 Proposition. Sei I ⊆ R ein Intervall und n ∈ N ∪ {0}. Weiters sei f : I → R oder

f : I → C mit f ∈ Cn+1(I). Fur x, y ∈ I, x , y gilt

f (x) = f (y) +f ′(y)

1!(x − y) +

f ′′(y)

2!(x − y)2 + · · · + f (n)(y)

n!(x − y)n+

+

x∫

y

f (n+1)(t)(x − t)n

n!dt .

Beweis. Um diese Formel einzusehen, starten wir mit

f (x) − f (y) =

x∫

y

f ′(t) dt ,

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8.9. UBUNGSBEISPIELE 33

und integrieren partiell:

f (x) − f (y) = −x∫

y

f ′(t)(−1) dt = f ′(y)(x − y) +

x∫

y

f ′′(t)(x − t) dt =

= f ′(y)(x − y) + f ′′(y)(x − y)2

2+

x∫

y

f ′′′(t)(x − t)2

2dt =

= · · · =n∑

k=1

f (k)(y)(x − y)k

k!+

x∫

y

f (n+1)(t)(x − t)n

n!dt .

8.8.3 Bemerkung. Ist f reellwertig, so folgt aus Satz 8.8.1, dass sich das Restglied in

der Form f (n+1)(ξ)(x−y)n+1

(n+1)!fur ein geeignetes ξ ∈ [min(x, y),max(x, y)] schreiben lasst;

vgl. Satz 7.4.2.

8.9 Ubungsbeispiele

8.1 Man betrachte die Funktion f (x) = x3 + 1 : [0, 1] → [0, 1]. Wahlen Sie n + 1 aquidistante

Stutzstellen, und berechnen Sie zur entsprechenden Zerlegung Zn von [0, 1] die Ober- und

die Untersummen, sowie limn→∞ O(Zn), limn→∞ U(Zn).

Hinweis: 4∑n

k=1 k3 = n2(n + 1)2.

8.2 Berechnen Sie das Integral aus dem vorherigen Beispiel mit Hilfe von Riemannschen Zwi-

schensummen mit n+1 aquidistanten Stutzstellen, und Zwischenstellen an den Intervallmit-

telpunkten.

8.3 Seien a, b ∈ R, a < b und bezeichne R die Menge aller Riemannzerlegungen von [a, b]

gerichtet durch die Feinheit. Zeigen Sie, dass dass fur ein Netz ( f (R))R∈R mit Werten in

einem metrischen Raum folgende Aussagen aquivalent sind:

limR∈R

f (R) = y, dh. ∀ǫ > 0 ∃R0 ∈ R : ∀R � R0 ⇒ d( f (R), y) < ǫ .

∀ǫ > 0 ∃δ > 0 : ∀|R| < δ⇒ d( f (R), y) < ǫ .

∀(Rn)n∈N mit limn→∞|Rn| = 0 gilt lim

n→∞f (Rn) = y

8.4 Seien a, b ∈ R, a < b und f : [a, b] → C stetig. Weiters bezeichne R die Menge aller Rie-

mannzerlegungen von [a, b] gerichtet durch die Feinheit. Zu jedem R = ((ξ j)n(R)

j=0, (α j)

n(R)

j=1) ∈

R sei F(R) die Funktion auf [a, b] definiert durch

F(R)(x) = f (α j) ,

wenn x ∈ [ξ j−1, ξ j), und F(R)(b) = f (αn(R)).

Man zeige, dass dann limR∈R F(R) = f und zwar in B([a, b],C) bezuglich der Metrik d∞,

also gleichmaßig.

8.5 Man berechne folgende Integrale:

e∫

1

ln xdx

x,

∫ 2

1

dx

x3 + x.

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34 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.6 Man berechne folgende Integrale:

∫ 0

−1

x

x2 − 3x + 2dx,

∫ 34

14

x + 1

x4 − xdx .

8.7 Man berechne durch geeignte Substitutionen folgende Integrale:

∫ 1

−4

5ex − 1

ex + 1dx,

∫ 5

1

x −√

x

x +√

xdx .

8.8 Man berechne folgende Integrale:

∫ 9

5

x3

4x − 1dx,

∫ −2

−3

1

x2 − 1dx .

8.9 Man berechne die Integrale:

∫ π2

π8

1

sin xdx,

∫ π4

π8

1

sin2 x cos4 xdx .

8.10 Man berechne ∫ π4

0

2 sin x + tan x

1 + cos xdx .

8.11 Zeigen Sie mit Hilfe der Integralrechnung (Ober-, Unter-, Riemannsummen), dass

limn→∞

1k + 2k + . . . + nk

nk+1=

1

k + 1(k, n ∈ N) .

Hinweis: xk+1

k+1ist eine Stammfunktion von xk und es gilt

∫ b

af (x) dx = F(b) − F(a), wenn F

eine Stammfunktion von f ist.

8.12 Fur m, n ∈ Z berechnen Sie ∫ 2π

0

exp(int) · exp(imt) dt ,

sowie

∫ 2π

0

sin(nt) · sin(mt) dt,

∫ 2π

0

cos(nt) · cos(mt) dt,

∫ 2π

0

sin(nt) · cos(mt) dt .

Hinweis: Es gilt∫ b

af (x) dx = F(b) − F(a), wenn F eine Stammfunktion von f ist. Unter-

scheiden Sie dabei den Fall m = n und m , n. Um Rechenarbeit zu sparen, kann man die

letzten drei Integrale auf das erste zuruck fuhren.

8.13 Man zeige:

Dn(t) :=1

2+

n∑

m=1

cos mt =1

2

n∑

k=−n

eikt =sin(n + 1

2)t

2 sin t2

=1

2(cos nt + cot

t

2· sin nt) ,

sowie∫ π

−π Dn(t) dt = π.

8.14 Sei f (x) eine auf ganz R definierte Funktion. Wir nehmen an, dass f (x) stetig und 1-

periodisch ist, dh. f (x) = f (x + 1) fur alle x ∈ R. Man zeige, dass f (x) auf R beschrankt ist.

Weiters beweise man, dass fur beliebiges α ∈ R folgende Gleichheit gilt:

∫ 1

0

f (x)dx =

∫ α+1

α

f (x)dx .

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8.9. UBUNGSBEISPIELE 35

8.15 Sind folgende uneigentliche Integrale absolut konvergent oder nicht?

∫ π2

0

ln(sin x) dx,

∫ 1

0

ln x

e2x − exdx,

∫ +∞

0

x ln x

(x2 + 1)3dx .

Hinweis zur Divergenz: Wenn ein uneigentliches Integral∫ b

a| f (x)| dx divergiert, und wenn

|g(x)| ≥ | f (x)|, dann divergiert auch∫ b

a|g(x)| dx (Divergente Minorante).

8.16 Man bestimme die Flache unter der Kurve 1

4x2−12x+13, wenn x in [−1, 2] lauft.

8.17 Man berechne mit Hilfe eines Riemannintegrals den Flacheninhalt eines Kreises mit dem

Radius r > 0.

Weiters berechne den Flacheninhalt folgender Teilmenge der Ebene:

{(x, y) ∈ R2 : x2 + y2 ≤ 1, y ≥ x2}.

8.18 Welche folgender Integrale sind eigentliche bzw. uneigentliche Riemann-Integrale? Weiters

berechne man diese (r > 0):

∫ 1

0

1√

9x − 4x2dx,

∫ r

−r

√r2 − x2dx,

∫ 3

1

√x2 + 4x + 5

2 + x +√

x2 + 4x + 5dx .

Hinweis: Zum letzten Integral: Substituieren Sie zuerst so, dass x2 + 4x+ 5 = (x+ 2)2 + 1 =

t2 + 1.

8.19 Fur welche α ∈ R \ {0} existieren die (unbestimmten) Integrale:

∫ 1

0

xα dx,

∫ +∞

1

xα dx,

∫ +∞

0

xα dx .

Im Falle der Existenz berechne man diese! Weiters berechne man (falls existent)

∫ +∞

1

ln t

t2dt .

8.20 Man berechne ∫ +∞

−∞(t2 − 2t + 2) exp(−|t| · (2 + iπ)) dt .

Weiters betrachte man den Betrag f (x) des Integranden als Funktion von R nach R. Man be-

stimme lokal und globale Extrema, limx→+∞ f (x), limx→−∞ f (x). Wo ist f monton wachsend,

fallend, wo konvex und wo konkav?

8.21 Uberprufe, ob folgende Integrale absolut konvergieren:

∫ ∞

0

ln x

1 + x2dx,

∫ π2

0

13√

x sin xdx .

8.22 Man berechne (a > 0, b ∈ R, w = −a + ib):

∫ ∞

0

ewt dt ,

sowie ∫ ∞

0

ewt cos bt dt,

∫ ∞

0

ewt sin bt dt .

8.23 Man berechne das uneigentliche Integral∫ +∞

0(t2 + 2t) exp(wt) sin t dt mit w ∈ C, Re w < 0.

8.24 Man berechne ∫ 1

−1

x

x6 + idx,

∫ 1

0

xm(log x)n dx, n,m ∈ N .

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36 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.25 Sei α ≥ 0, und Iα sei definiert als

Iα =

∫ π2

0

sinα x dx .

Man finde durch partielle Integration eine Relation zwischen Iα und Iα+2. Man zeige mit

Hilfe dieser Rekursionsformel, dass fur k ∈ N folgende zwei Formeln gelten:

I2k =2k − 1

2k· 2k − 3

2k − 2· · · · · 3

4· 1

2· π

2,

I2k+1 =2k

2k + 1· 2k − 2

2k − 1· · · · · 4

5· 2

3.

8.26 Fur x ∈ [0, π2] und k ∈ N zeige man

sin2k+1 x ≤ sin2k x ≤ sin2k−1 x .

Daraus und aus dem vorherigen Beispiel leite man folgende Ungleichungen her:

2 · 4 · · · · · (2k)

3 · 5 · · · · · (2k + 1)≤ 1 · 3 · · · · · (2k − 1) · π

2 · 4 · · · · · (2k) · 2 ≤ 2 · 4 · · · · · (2k − 2)

3 · 5 · · · · · (2k − 1).

Nun forme man diese Ungleichung so um, sodass in der Mitte nur noch π

2steht, und man

leite daraus die Wallische Produktformel her:

π

2= lim

k→∞

22 · 42 · · · · · (2k)2

32 · 52 · · · · · (2k − 1)2· 1

2k.

8.27 Sei f (x) auf [0, n] stetig differenzierbar. Man zeige durch eine Zerlegung von∫ n

0in

∑nj=1

∫ j

j−1

und unter Verwendung der partiellen Integration, dass sich die Differenz von∑n

k=1 f (k) und∫ n

0f (x)dx berechnen lasst durch

n∑

k=1

f (k) −∫ n

0

f (x)dx =

∫ n

0

(x − [x]) f ′(x)dx .

Außerdem zeige man:

n∑

k=0

f (k) =

∫ n

0

f (x)dx +f (0) + f (n)

2+

∫ n

0

(x − [x] − 1

2) f ′(x)dx .

8.28 Man zeige, dass der Limes

γ := limn→∞

n∑

k=1

1

k− ln n

existiert. Die Zahl γ wird Euler-Mascharonische Konstante genannt; ihr ungefahrer Wert ist

0, 577215....

8.29 Sei f (x) auf [0, n] zweimal stetig differenzierbar. Man zeige, dass sich die Differenz von∑nk=1 f (k) und

∫ n

0f (x)dx berechnen lasst durch

n∑

k=1

f (k) −∫ n

0

f (x)dx =f (n) − f (0)

2−

∫ n

0

φ(x) f ′′(x)dx ,

wobei φ(x) =(x−[x])2−(x−[x])

2.

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8.9. UBUNGSBEISPIELE 37

8.30 Man wende voriges Beispiel auf f (x) = ln(x + 1) an, und zeige, dass das uneigentliche

Integral

a := −∫ ∞

0

φ(x) f ′′(x)dx + 1

existiert. Man zeige weiters, dass

a = limn→∞

ln((n + 1)!) − (n +3

2) ln(n + 1) + n + 1 = lim

n→∞ln(n!) − (n +

1

2) ln n + n .

8.31 Man zeige, dass fur den Grenzwert a aus dem vorherigen Beispiel

ea = limn→∞

n!en

nn√

n

gilt. Man setze b := ea, und zeige weiters, dass b =√

2π.

Hinweis: Man zeige mit Hilfe des Wallischen Produkts

limn→∞

b2n

b2n

=1√

2π,

wobei bn =n!en

nn√

n. Man verwende dabei auch die Tatsache, dass

(2k

k

)

22k=

1 · 3 . . . (2k − 1)

2 · 4 . . . (2k).

Anmerkung: Mit diesem Beispiel erhalt man die Stirlingsche Formel

limn→∞

n!en

nn√

2πn= 1 .

Es gilt somit die asymptotische Gleichung n! � nne−n√

2πn.

8.32 Sei Q[a, b] die Menge alle stuckweise stetigen, reellwertigen Funktionen auf [a, b]. Weiters

sei N die Menge aller f : [a, b]→ R, sodass f (t) , 0 fur nur endlich viele t.

Zeigen Sie, dass Q[a, b] (versehen mit punktweiser Addition und Multiplikation) ein Vektor-

raum uber R undN ein Unterraum davon ist. Weiters zeige man, dass (c, f +N) 7→ F, wobei

F(x) = c+∫ x

af (t) dt eine wohldefinierte, lineare und bijektive Abbildung von R×Q[a, b]/N

auf

{F ∈ C[a, b] : F ist einmal differenzierbar auf [a, b] mit F′ ∈ Q[a, b]} .Bestimmen Sie auch die Umkehrfunktion dieser linearen Bijektion!

8.33 Geben Sie eine Riemann-integrierbare aber nicht stuckweise stetige Funktion f an und

fuhren Sie aus, warum f diese Eigenschaft hat!

Hinweis: Betrachten Sie etwa f : [0, 1] → R mit f (t) = 1 auf [ 12, 1], f (t) = 1

2auf [ 1

4, 1

2),

f (t) = 14

auf [ 18, 1

4), usw. . Bauen Sie zu jedem ǫ > 0 eine Zerlegung von [0, 1], sodass die

Differenz von Ober- und Untersumme kleiner als ǫ wird.

8.34 Man berechne

lima→0

∫ 1

0

1

1 + a sin2(x)dx .

8.35 Man berechne

limx→0+

∫ +∞

0

e−xt

1 + t2dt .

Hinweis: Zeigen Sie zunachst, dass limx→0+

∫ R

0.. =

∫ R

0limx→0+ .. fur jedes feste reelle R ≥ 0.

Dann definiere man H : [0,+∞)×(0, 1]→ Rmit H(R, x) :=∫ R

0

e−xt

1+t2dt, wobei [0,+∞) durch

≤ und (0, 1] durch ≥ gerichtet sind. Nun weise man nach, dass sich Lemma 8.7.1 anwenden

lasst.

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38 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

8.36 Man betrachte die Funktionenfolge

S N(x) =

N∑

k=−N

1

x − k.

fur x ∈ R \ Z. Man zeige, dass S N(x) auf jedem kompakten Teilintervall [a, b] ⊆ R \ Zgleichmaßig gegen eine Funktion h(x) konvergiert.

Man berechne h(k + 12) fur k ∈ Z.

Schließlich zeige man h(x) = π cot(πx), x ∈ R \ Z, indem man ihre Ableitungen vergleicht.

Man verwende dazu Beispiel 6.28 und 6.29.

Hinweis: Es gilt S N(x) = 1x+ 2x

∑Nk=1

1

x2−k2 . Begrundung fur Vertauschen von Limes und

Differenzieren!

8.37 Durch Betrachtung der Ableitung leite man die Taylorreihe zur Funktion arctan mit An-

schlussstelle x0 = 0 her.

Anmerkung: Zusammen mit dem Ableschen Grenzwertsatz, Satz 6.11.1, folgt

∞∑

k=0

(−1)k

2k + 1=π

4.

8.38 Durch Betrachtung der Ableitung leite man die Taylorreihe zur Funktion areatanh mit An-

schlussstelle x0 = 0 her.

8.39 Man berechne ∫ 1

0

(∫ 2

1

(∫ 2

1

zx+y dx

)dy

)dz ,

und begrunde alle vorgenommenen Vertauschungen.

8.40 Fur x ∈ (0,+∞) zeige man, dass folgendes uneigentliche Integral absolut konvergiert:

Γ(x) :=

∫ ∞

0

e−ttx−1 dt.

Weiters zeige man, dass Γ(x) stetig von x abhangt.

Hinweis: Sei [a, b] ⊆ (0,+∞) fest. Man zeige, dass fn(x) :=∫ n

1n

e−ttx−1 dt eine Folge stetiger

Funktionen auf [a, b] ist, die auf [a, b] gleichmaßig gegen Γ(x) konvergiert. Dazu zeige

man, dass |e−ttx−1 | ≤ K1ta−1, t ∈ (0, 1] und |e−ttx−1 | ≤ K21

t2, t ∈ [1,+∞) mit irgendwelche

Konstanten K1,K2.

Allgemeiner Tipp, wie man f (t) ≤ Cg(t) mit irgendeinem C > 0 fur nicht negative stetige

Funktionen f , g auf einem Intervall [a, b) mit g(t) , 0 herleitet:

Gilt limt→b−f (t)

g(t)= 0, so gibt es insbesondere zu ǫ = 1 ein t0 ∈ [a, b), sodass t ≥ t0 ⇒ f (t)

g(t)≤ 1.

Da die Funktionf (t)

g(t)auf dem kompakten Intervall [a, t0] stetig ist, ist sie dort beschrankt, d.h.

f (t)

g(t)≤ C fur ein C > 0, das oBdA. auch C ≥ 1 erfullt. Also gilt

f (t)

g(t)≤ C auf ganz [a, b).

8.41 Man zeige, dass fur x > 0, n ∈ N:

Γ(x + 1) = xΓ(x), Γ(n) = (n − 1)!.

8.42 Fur x ∈ (0,+∞) zeige man, dass folgendes uneigentliche Integral absolut konvergiert:

gk(x) :=

∫ ∞

0

e−t(ln t)ktx−1 dt.

Weiters zeige man, dass die gk stetig sind, dass∫ y

1gk(t)dt = gk−1(y)−gk−1(1), und dass daher

gk die k-te Ableitung der Gammafunktion ist.

Hinweis: Sei [a, b] ⊆ (0,+∞) beliebig. Man zeige, dass (α ∈ (1,+∞), x ∈ [a, b]) F(α, x) :=∫ α

e−t(ln t)ktx−1 dt gleichmaßig auf [a, b] konvergiert, wenn α→ +∞. Dazu zeige man, dass

|e−t(ln t)ktx−1 | ≤ K1t34

a−1, t ∈ (0, 1] und |e−t(ln t)ktx−1 | ≤ K21

t2, t ∈ (1,+∞) mit irgendwelchen

Konstanten K1,K2.

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8.9. UBUNGSBEISPIELE 39

8.43 Sei x nun nicht nur in (0,+∞), sondern allgemeiner in {z ∈ C : Re z > 0}. Man zeige, dass

dann Γ(x) ebenfalls konvergiert, und zwar in {z ∈ C : Re z > 0}, dass diese Funktion stetig

auf ganz {z ∈ C : Re z > 0} ist, und dass Γ(z + 1) = zΓ(z) gilt.

Schließlich stelle man Re Γ(z) und Im Γ(z) getrennt dar.

8.44 Man berechne Γ( 12)!

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40 KAPITEL 8. DAS RIEMANNSCHE INTEGRAL

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Kapitel 9

Normen und Banachraume

9.1 Normierte Raume

In diesem Kapitel wollen wir eine spezielle Klasse von metrischen Raumen betrachten.

Diese Raume stellen eine Schnittstelle zwischen Linearer Algebra und Analysis dar.

9.1.1 Definition. Sei X ein Vektorraum uber R (C). Eine Abbildung ‖.‖ : X → [0,∞)

heißt Norm, falls

(i) ‖x + y‖ ≤ ‖x‖ + ‖y‖, fur alle x, y ∈ X Dreiecksungleichung.

(ii) ‖λx‖ = |λ| · ‖x‖, fur alle x ∈ X, λ ∈ R (∈ C).

(iii) ‖x‖ > 0 fur alle x , 0.

Das Paar (X, ‖ · ‖) heißt dann normierten Raum.

Ist X ein normierter Raum, so folgt unmittelbar aus den Eigenschaften einer Norm,

dass

d(x, y) := ‖x − y‖, x, y ∈ X , (9.1)

eine Metrik auf X ist. Diese Metrik hat ganz spezielle Eigenschaften.

9.1.2 Lemma. Sei (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum, und seien (xn)n∈N, (yn)n∈N Folgen in

X, x, y ∈ X, und (λn)n∈N eine Folge bzw. λ ein Element im Skalarkorper von X, also in

R bzw. C. Ist xn → x, yn → y, λn → λ fur n→ ∞, so folgt

limn→∞‖xn‖ = ‖x‖, lim

n→∞xn + yn = x + y, lim

n→∞λn xn = λx .

Entsprechende Aussagen gelten auch fur Netze.

Beweis. Den Beweis fuhrt man genauso, wie fur Folgen von Zahlen. Die erste Glei-

chung folgt aus Lemma 3.2.10 wegen ‖xn‖ = d(xn, 0)→ d(x, 0) = ‖x‖.Wir zeigen nur noch die dritte Grenzwertbeziehung. Die zweite ist noch einfacher

zu verifizieren.

Zu ǫ > 0 mit oBdA. ǫ < 1 gibt es ein N ∈ N, sodass |λ − λn|, ‖xn − x‖ < ǫ fur alle

n ≥ N. Es folgt ‖xn‖ ≤ ‖xn − x‖ + ‖x‖ < 1 + ‖x‖ und damit

‖λn xn − λx‖ ≤ ‖λn xn − λxn‖ + ‖λxn − λx‖ =|λn − λ|‖xn‖ + |λ|‖xn − x‖ ≤ (1 + ‖x‖ + |λ|)ǫ .

41

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42 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

Wir sehen also, dass λnxn → λx.

9.1.3 Korollar. Sei (X, ‖ · ‖) ein normierter und 〈Y, d〉 ein metrischer Raum, und seien

f , g : D → X und λ : D → R (C) stetig, wobei D ⊆ Y. Dann sind auch λ f und f + g

stetige Funktionen von D nach X.

Beweis. Aus yn → y in 〈Y, d〉 folgt wegen der Stetigkeit f (yn)→ f (y) und g(yn)→ g(y)

in (X, ‖·‖). Aus Lemma 9.1.2 folgt ( f +g)(yn) = f (yn)+g(yn)→ f (y)+g(y) = ( f +g)(y)

und mit Proposition 6.1.4 die Stetigkeit von f + g. Entsprechend zeigt man die Stetig-

keit von λ f .

Fur die folgende Definition sei daran erinnert, dass ein metrischer Raum vollstandig

heißt, wenn jede Cauchy-Folge konvergiert; vgl. Definition 3.5.5.

9.1.4 Definition. Ist die von (X, ‖·‖) erzeugte Metrik vollstandig, so heißt der normierte

Raum Banachraum.

9.1.5 Beispiel.

(i) Klarerweise ist (R, |.|) ein Banachraum uber R. (C, |.|) ist auch ein Banachraum,

wobei man ihn als Vektorraum uber C und als Vektorraum uber R betrachten

kann.

(ii) Das Paradebeispiel eines normierten Raums uber R ist (Rp, ‖.‖2), wobei ‖x‖2 :=√∑p

j=1|x j|2. Dabei ist1 x = (x1, . . . , xp)T . Die erzeugte Metrik ist die wohlbe-

kannte Euklidische Metrik:

d2(x, y) = ‖x − y‖2 =

√√√ p∑

j=1

|x j − y j|2 .

Wegen Korollar 3.6.3 ist (Rp, ‖.‖2) sogar ein Banachraum.

(iii) Man kann auch den normierten Raum (Cp, ‖.‖2) uber C mit ‖z‖2 :=√∑p

j=1|z j|2

betrachten, wobei z = (z1, . . . , zp)T .

Identifiziert man dabei die j-te Komponente z j mit dem Paar (Re z j, Im z j), so

sieht man leicht, dass sich Cp mit R2p identifizieren lasst. Wegen

√√√ p∑

j=1

|z j|2 =

√√√ p∑

j=1

|Re z j|2 +p∑

j=1

| Im z j|2 ,

bleiben dabei auch die Normen erhalten, und mit (R2p, ‖.‖2) ist auch (Cp, ‖.‖2) ein

Banachraum.

(iv) Man kann Rp auch mit den Normen

‖x‖1 :=

p∑

j=1

|x j|, ‖x‖∞ := maxj=1,...,p

|x j|

1Ab hier wollen wir die Elemente von Rp als stehende Vektoren betrachten.

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9.1. NORMIERTE RAUME 43

versehen. Die dazugehorigen Metriken sind gerade die wohlbekannten Metriken

d1 und d∞. Wegen Korollar 3.6.3 sind (Rp, ‖.‖1) und (Rp, ‖.‖∞) ebenfalls Ba-

nachraume.

Ehe wir uns mehr Beispiele normierter bzw. Banachraume anschauen, brauchen

wir ein kleines Lemma.

9.1.6 Lemma. Ist 〈X, d〉 ein vollstandiger metrischer Raum und ist Y eine abgeschlos-

sene Teilmenge von X, so ist 〈Y, d|Y×Y〉 auch ein vollstandiger metrischer Raum.

Ist umgekehrt 〈Y, d|Y×Y〉 vollstandig, wobei Y Teilmenge eines metrischen Raumes

〈X, d〉 ist, so ist Y abgeschlossen in X.

Beweis. Klarerweise ist Y versehen mit der eingeschrankten Metrik selber ein metri-

scher Raum.

Ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge in Y, so konvergiert diese nach Voraussetzung gegen

ein x ∈ X. Ist nun Y abgeschlossen und enthalt daher alle seine Haufungspunkte, so

folgt x ∈ Y.

Ist (xn)n∈N eine Folge in Y, die gegen ein x ∈ X konvergiert, so ist diese sicherlich

eine Cauchy-Folge bzgl. d und somit auch bzgl. d|Y×Y . Ist Y vollstandig, so konvergiert

(xn)n∈N bzgl. d|Y×Y und somit auch bzgl. d gegen ein y ∈ Y. Da aber Grenzwerte

eindeutig sind, folgt x = y ∈ Y. Also ist Y abgeschlossen.

Folgende Situation tritt bei der Betrachtung konkreter Raume auf. Ist (X, ‖ · ‖) ein

normierter Raum und Y ein linearer Unterraum (Untervektorraum), so kann man ‖.‖ auf

Y einschranken und erhalt offenbar wieder einen Normierten Raum. Ist dabei (X, ‖ · ‖)ein Banachraum und ist Y als Teilmenge von X abgeschlossen, so muss nach Lemma

9.1.6 auch (Y, ‖ · ‖) ein Banachraum sein.

9.1.7 Lemma. Ist (X, ‖ · ‖) ein normierter Raum und Y ein linearer Unterraum, so ist

der Abschluss c(Y) von Y in X ebenfalls ein linearer Unterraum und somit der kleinste

abgeschlossene Teilraum von X, der Y enthalt.

Beweis. Sind x, y ∈ c(Y) und λ, µ ∈ R (C), so gibt es Folgen xn, yn ∈ Y mit

limn→∞ xn = x und limn→∞ yn = y. Wir wissen, dass dann die Folge λxn + µyn ∈ Y

gegen λx + µy konvergiert und somit diese Linearkombination auch in c(Y) liegt.

9.1.8 Beispiel. Wir wollen uns nun weitere Beispiele von normierten Raumen ansehen.

(i) Ist E eine nichtleere Menge und (Y, ‖.‖Y) ein normierter Raum. Wir betrachten den

Raum B(E, Y) aller beschrankten Abbildungen von E nach Y. Diesen Raum ha-

ben wir schon im ersten Semester betrachtet, wobei aber Y allgemeiner ein metri-

scher Raum war; vgl. Definition 6.6.3. In unserem Fall ist mit Y auch B(E, Y) ein

Vektorraum uber dem selben Skalarkorper, wie Y, wobei die Operationen punkt-

weise definiert sind.

Setzen wir fur f ∈ B(E, Y)

‖ f ‖∞ := sup{‖ f (x)‖Y : x ∈ E} ,

so pruft man leicht nach, dass ‖ f ‖∞ eine Norm auf B(E, Y) ist. Die von dieser

Norm erzeugte Metrik ist genau die in Definition 6.6.3 eingefuhrte Metrik

‖ f − g‖∞ = d∞( f , g) = supx∈E‖ f (x) − g(x)‖Y .

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44 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

Im Falle, dass (Y, ‖.‖Y ) ein Banachraum ist, folgt aus Satz 6.6.15, dass

(B(E, Y), d∞) vollstandig und damit (B(E, Y), ‖.‖∞) auch ein Banachraum ist.

Fur Y = R oder Y = C versehen mit |.| haben wir ‖.‖∞ schon in Definition 6.7.1

kennen gelernt.

(ii) Ist E = N und Y = R oder Y = C, so ist B(E, Y) die Menge aller beschrankten

reellen bzw. komplexen Folgen, die man auch als l∞ bzw. l∞(N) bezeichnet. Diese

sind Banachraume, da R und C vollstandig sind.

(iii) Bezeichne c0 bzw. c0(N) den Raum aller reellwertigen bzw. komplexwertigen

Nullfolgen. Offenbar ist c0 ein linearer Teilraum von l∞. Mit Hilfe von Lemma

8.7.1 kann man sogar zeigen, dass c0 als Teilraum von l∞ abgeschlossen ist. Also

ist auch (c0, ‖.‖∞) ein Banachraum.

(iv) Mit der Notation aus (i) setzen wir noch zusatzlich voraus, dass E ⊆ X, wobei

〈X, d〉 ein metrischer Raum ist, und dass (Y, ‖.‖Y ) ein Banachraum ist.

Dann kann man die Menge Cb(E, Y) aller f ∈ B(E, Y) betrachten, die stetig

sind. Diese Menge stellt einen linearen Unterraum von B(E, Y) dar; siehe Ko-

rollar 9.1.3. Somit ist auch (Cb(E, Y), ‖.‖∞) ein normierter Raum. Man beachte,

dass fur kompaktes E alle stetigen Funktionen auf E automatisch beschrankt sind,

womit in diesem Fall Cb(E, Y) = C(E, Y).

Ist nun ( fn)n∈N eine Folge von Funktionen aus Cb(E, Y), die bzgl. d∞ gegen ein

f ∈ B(E, Y) konvergiert, so wissen wir aus Korollar 6.6.13, dass auch f stetig ist,

also f ∈ Cb(E, Y). Somit ist Cb(E, Y) sogar eine abgeschlossene Teilmenge von

B(E, Y).

Daher ist neben B(E, Y) auch Cb(E, Y) ein Banachraum, wenn nur (Y, ‖.‖Y) ein

solcher ist.

(v) Ist Y = R oder Y = C, so schreiben wir fur den Banachraum Cb(E, Y) auch Cb(E).

Ist E etwa [a, b] ⊆ R, so schreiben wir Cb[a, b] oder auch C[a, b] dafur, da [a, b]

ja kompakt ist.

Auf dem Raum C[a, b] konnen wir auch andere Normen betrachten wie beispiels-

weise

‖ f ‖1 :=

∫ b

a

| f (t)| dt . (9.2)

Diese Norm unterscheidet sich von ‖.‖∞ wesentlich, denn es gibt bzgl. ‖.‖1Cauchy-Folgen, die bzgl. ‖.‖∞ keine sind. Daraus kann man herleiten, dass

bezuglich ‖.‖1 der Raum C[a, b] kein Banachraum ist.

(vi) Sind (X, ‖.‖X) und (Y, ‖.‖Y) zwei normierte Raume uber dem selben Korper R oder

C, so auch (X × Y, ‖.‖max), wobei

‖(x, y)‖max = max{‖x‖X , ‖y‖Y } .

In der Tat ist X × Y ein Vektorraum, und die Axiome, die fur eine Norm erfullt

sein mussen, lassen sich auch leicht nachweisen. Die von ‖.‖max erzeugte Metrik

ist genau jene aus (8.18), wenn man dort dX(a, x) = ‖x−a‖X und dX(b, y) = ‖y−b‖Ysetzt.

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9.2. LINEARE ABBILDUNGEN 45

Wie schon in Fakta 8.7.8 festgestellt ist eine Folge((xn, yn)

)n∈N in X × Y konver-

gent gegen (x, y) genau dann, wenn (xn)n∈N gegen x und (yn)n∈N gegen y konver-

giert. Man sieht auch sofort, dass((xn, yn)

)n∈N genau dann eine eine Cauchy-Folge

ist, wenn (xn)n∈N und (yn)n∈N beide Cauchy-Folgen sind.

Somit erhalt man auch, dass (X × Y, ‖.‖max) ein Banachraum ist, wenn X und Y

beide Banachraume sind.

(vii) Ist im vorherigen Beispiel X = Y, so folgt aus Lemma 9.1.2, dass die Abbildung

+ : X × X → X stetig ist.

9.2 Lineare Abbildungen

9.2.1 Definition. Zwei Normen ‖.‖1 und ‖.‖2 auf einem linearen Raum X heißen aqui-

valent, falls es Konstanten α > 0, β > 0 gibt sodass

α‖x‖1 ≤ ‖x‖2 ≤ β‖x‖1 fur alle x ∈ X .

9.2.2 Bemerkung. Man uberzeugt sich auch sofort davon, dass die Relation, aquiva-

lent zu sein, auf der Menge aller Normen auf einem gegebenen Vektorraum X eine

Aquivalenzrelation ist.

Betrachtet man die jeweiligen Definitionen, so sieht man auch, dass aquivalente

Normen die gleichen konvergenten Folgen, die gleichen Cauchy-Folgen, die gleichen

abgeschlossenen bzw. offenen Mengen, etc. haben.

9.2.3 Beispiel.

(i) Sei X = Rp. Die Normen ‖.‖∞, ‖.‖2 und ‖.‖1 sind aquivalent, denn fur

(x1, . . . , xp)T ∈ X = Rp gilt

maxi=1,...,p

|xi| ≤ (

p∑

i=1

|xi|2)12 ≤

p∑

i=1

|xi| ≤ p · maxi=1,...,p

|xi| .

Man kann zeigen, dass auf Rp alle Normen aquivalent sind. Insbesondere ist Rp

mit jeder Norm vollstandig.

(ii) Betrachte auf X = C[0, 1] neben der Supremumsnorm ‖.‖∞ noch die Norm aus

(9.2). Diese beiden Normen sind nicht aquivalent. Es gilt zwar ‖ f ‖1 ≤ ‖ f ‖∞, aber

es gibt kein β > 0, sodass ‖ f ‖∞ ≤ β‖ f ‖1 gleichzeitig fur alle f ∈ C[0, 1]. Um das

einzusehen, betrachte

fn(t) =

{1 − n t , t ∈ [0, 1

n],

0 , t ∈ [ 1n, 1]

.

Dabei ist ‖ fn‖∞ = 1, aber ‖ fn‖1 ≤ 12n

.

Thematisch verwandt mit der Aquivalenz von Normen ist der Begriff der Be-

schranktheit einer linearen Abbildung. Man beachte dabei, dass die Definition der Be-

schranktheit einer linearen Abbildung nicht mit der Definition der Beschranktheit einer

Funktion aus Definition 3.2.11 ubereinstimmt.

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46 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

9.2.4 Definition. Seien (X, ‖.‖X) und (Y, ‖.‖Y) zwei normierte Raume uber demselben

Skalarkorper R oder C. Fur eine lineare Abbildung A : X → Y sei

‖A‖ := sup

{‖Ax‖Y‖x‖X

: x ∈ X \ {0}}

(9.3)

in dem Sinne, dass ‖A‖ = +∞, falls obige Menge nach oben unbeschrankt ist; vgl.

Definition 2.2.4. Wir nennen A beschrankt , falls ‖A‖ < +∞, dh. falls es ein C ≥ 0 gibt,

sodass

C ≥ ‖Ax‖Y‖x‖X

, fur alle x ∈ X \ {0} . (9.4)

Ist A beschrankt, so bezeichnet man das dabei endliche ‖A‖ als die Abbildungsnorm

von A.

9.2.5 Bemerkung. (9.4) ist aquivalent zu

‖Ax‖Y ≤ C‖x‖X , fur alle x ∈ X , (9.5)

da fur x = 0 diese Ungleichung immer gilt. Also ist die Menge aller C ≥ 0, fur die

(9.5) zutrifft, genau die Menge aller oberen Schranken von

{‖Ax‖Y‖x‖X

: x ∈ X \ {0}}.

Somit ist A genau dann beschrankt, wenn es es ein C ≥ 0 gibt, sodass (9.5) zutrifft, und

‖A‖ ist dann eben das kleinste derartige C ≥ 0. Wegen

{‖Ax‖Y‖x‖X

: x ∈ X \ {0}}=

{‖A

(1

‖x‖Xx

)‖Y : x ∈ X \ {0}

}=

{‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X = 1} ⊆ {‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1}

und wegen ‖Ax‖Y ≤ ‖A(

1‖x‖X x

)‖Y fur jedes x ∈ X mit 0 < ‖x‖ < 1 gilt auch

‖A‖ = sup{‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X = 1} = sup{‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1} .

Aus obiger Definition erkennt man unmittelbar, dass zwei Normen ‖.‖1 und ‖.‖2 auf

einem Vektorraum genau dann aquivalent sind, wenn idX sowohl als Abbildung von

(X, ‖.‖1) nach (X, ‖.‖2) als auch als Abbildung von (X, ‖.‖2) nach (X, ‖.‖1) beschrankt ist.

9.2.6 Satz. Eine lineare Abbildung A : X → Y ist genau dann stetig, wenn sie be-

schrankt ist. Ist das der Fall, so ist sie sogar gleichmaßig stetig.

Beweis. Im Fall A = 0 ist A offenbar beschrankt und trivialerweise gleichmaßig stetig.

Gelte also A , 0.

Sei A beschrankt. Ist ǫ > 0 und gilt ‖x − y‖ ≤ ǫ‖A‖ , so folgt

‖Ax − Ay‖ = ‖A(x − y)‖ ≤ ‖A‖ · ‖x − y‖ ≤ ǫ .

Also ist A gleichmaßig stetig und daher insbesondere stetig.

Ist umgekehrt A stetig, so gibt es wegen der Stetigkeit insbesondere bei x = 0

ein δ > 0 zu ǫ = 1, sodass ‖x‖ ≤ δ die Ungleichung ‖Ax‖ ≤ 1 impliziert. Fur jedes

x ∈ X \ {0} folgt∥∥∥∥ δ‖x‖ x

∥∥∥∥ ≤ δ und somit∥∥∥∥A( δ

‖x‖ x)∥∥∥∥ ≤ 1 bzw. ‖Ax‖ ≤ 1

δ· ‖x‖. Fur x = 0

gilt diese Ungleichung trivialerweise auch.

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9.2. LINEARE ABBILDUNGEN 47

9.2.7 Satz. Sind (X, ‖.‖X) und (Y, ‖.‖Y) zwei normierte Raume beide zugleich uber R

oder C, so ist die Menge L(X, Y) aller beschrankten linearen Abbildungen von X nach

Y versehen mit der Abbildungsnorm ‖.‖ selber ein normierter Raum.

Ist (Y, ‖.‖Y) ein Banachraum, so auch (L(X, Y), ‖.‖).

Beweis. Fur A, B ∈ L(X, Y) und fur ein beliebiges x ∈ X gilt

‖(A+B)x‖Y = ‖Ax + Bx‖Y ≤ ‖Ax‖Y + ‖Bx‖Y ≤ ‖A‖ ‖x‖X+‖B‖ ‖x‖X = (‖A‖+‖B‖)‖x‖X .

Gemaß Bemerkung 9.2.5 ist dann die lineare Abbildung A + B beschrankt. Da ‖A + B‖das kleinste C ≥ 0 ist, sodass ‖(A + B)x‖Y ≤ C ‖x‖X fur alle x ∈ X, folgt aus dieser

Rechnung auch ‖A + B‖ ≤ ‖A‖ + ‖B‖. Fur A ∈ L(X, Y) und λ ∈ R (C) ist

{ ‖λAx‖Y : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1 } = |λ| · { ‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1 }

nach oben beschrankt, und ihr Supremum ist genau |λ| · ‖ A‖. Somit ist das lineare λA

beschrankt mit ‖λA‖ = |λ| · ‖ A‖.Dass A , 0 die Ungleichung ‖A‖ > 0 nach sich zieht, folgt sofort aus (9.3). Wir

haben somit nachgewiesen, dass (L(X, Y), ‖.‖) ein normierter Raum ist.

Um die Vollstandigkeit zu zeigen, konnten wir direkt vorgehen. Wir werden uns

aber der schon bekannten Tatsache bedienen, dass Cb(E, Y) versehen mit ‖ f ‖∞ =supt∈E ‖ f (t)‖Y ein Banachraum ist, wenn E Teilmenge eines metrischen Raumes ist;

vgl. Beispiel 9.1.8.

Dazu setze E = {x ∈ X : ‖x‖ ≤ 1}. Fur A ∈ L(X, Y) ist A|E sicherlich eine stetige

und beschrankte Funktion, wobei

‖A|E‖∞ = sup{ ‖Ax‖Y : ‖x‖X ≤ 1 } = ‖A‖ .

Also ist A 7→ A|E eine isometrische und daher injektive Abbildung von L(X, Y) in

Cb(E, Y). Diese Abbildung ist offenbar auch linear. Das Bild dieser Einbettung ist ge-

nau die Menge L aller f ∈ Cb(E, Y), sodass

x ∈ E, λ ∈ R (C), λx ∈ E ⇒ f (λx) = λ f (x) ,

und

x, y, x + y ∈ E ⇒ f (x + y) = f (x) + f (y) .

In der Tat sieht man mit einem solchen f leicht, dass die Abbildung A : X → Y

definiert durch A(0) = 0 und A(x) := ‖x‖X f ( 1‖x‖X x) fur x , 0 die eindeutige beschrankte

und lineare Abbildung ist, sodass A|E = f gilt.

Die Menge L ⊆ Cb(E, Y) ist abgeschlossen, denn aus fn → f mit fn ∈ L und

f ∈ Cb(E, Y) folgt f (x + y) = lim fn(x + y) = lim fn(x) + lim fn(y) = f (x) + f (y), falls

x, y, x + y ∈ E und genauso f (λx) = λ f (x), falls x, λx ∈ E und somit f ∈ L. Wegen

Lemma 9.1.6 ist (L, ‖.‖∞), und daher auch (L(X, Y), ‖.‖), ein Banachraum.

Ahnlich wie im vorhergehenden Beweis erkennt man auch, dass fur A ∈ L(X, Y)

und B ∈ L(Y, Z)

‖BA‖ = sup{ ‖BAx‖Z : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1 } ≤sup{ ‖B‖ · ‖Ax‖Y : x ∈ X, ‖x‖X ≤ 1 } = ‖B‖ · ‖A‖ . (9.6)

Fur die Raume L(X, Y) gilt in Analogie zu Lemma 9.1.2 folgendes Resultat.

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48 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

9.2.8 Lemma. Seien X, Y, Z normierte Raume, und seien (An)n∈N, (Bn)n∈N, (xn)n∈N Fol-

gen in L(X, Y), L(Y, Z) bzw. X. Weiters seien A ∈ L(X, Y), B ∈ L(Y, Z) und x ∈ X. Gilt

An → A, Bn → B und xn → x fur n→ ∞, so folgt

limn→∞

BnAn = BA und limn→∞

Anxn = Ax ,

wobei die erste Folge in L(X, Z) bzgl. der Abbildungsnorm und die zweite in Y bzgl.

der Norm auf Y konvergiert. Entsprechende Aussagen gelten auch fur Netze.

Beweis. Wir zeigen die erste Grenzwerteigenschaft. Zu ǫ > 0 mit oBdA. ǫ < 1 gibt es

ein N ∈ N, sodass ‖An−A‖, ‖Bn−B‖ < ǫ fur alle n ≥ N. Es folgt ‖An‖ ≤ ‖An−A‖+‖A‖ <1 + ‖A‖ und damit

‖BnAn − BA‖ ≤ ‖BnAn − BAn‖ + ‖BAn − BA‖ =‖Bn − B‖ ‖An‖ + ‖B‖ ‖An − A‖ ≤ (1 + ‖A‖ + ‖B‖)ǫ .

Wir sehen also, dass BnAn → BA.

Genauso wie in Korollar 9.1.3 folgt daraus

9.2.9 Korollar. Seien X, Y, Z normierte Raume und 〈M, d〉 ein metrischer Raum und

D ⊆ M. Sind f : D → L(X, Y), g : D → L(Y, Z) und h : D → X stetig, so auch

g f : D → L(X, Z) und f h : D → Y. Dabei sind diese Funktionen definiert durch 2

(g f )(t) := g(t) f (t) sowie 3 ( f h)(t) := f (t)h(t).

9.2.10 Beispiel.

(i) Sei Y ein normierter Raum uber R und y0 ∈ Y. Dann ist die Abbildung λ → λy0

von R nach Y linear und beschrankt durch ‖y0‖. Entsprechendes gilt fur C.

(ii) Sei T : Rp → Y linear, wobei Y ein normierter Raum ist. Ist Rp mit ‖.‖∞ oder

mit einer zu ihr aquivalenten Norm versehen, so ist T beschrankt und somit ste-

tig. Denn ist x = (x1, . . . , xp)T =∑p

j=1x je j ∈ Rp, wobei e j der j-te kanonische

Basisvektor in Rp ist, so folgt

‖T (x)‖ = ‖p∑

j=1

x jT (e j)‖ ≤p∑

j=1

|x j| · ‖T (e j)‖ ≤ ‖x‖∞p∑

j=1

‖T (e j)‖ .

(iii) Sei X = Rp und Y = Rq, beide versehen mit ‖.‖∞. Wegen des vorherigen Beispiels

ist jede lineare Abbildung A : Rp → Rq beschrankt. Also lasst sich L(Rp,Rq) als

Vektorraum mit Rq×p identifizieren.

(iv) Versieht man X = Rp mit ‖.‖∞ und auch Y = Rq mit ‖.‖∞, so hat man mit der

Abbildungsnorm ‖.‖ auf Rq×p� Rpq eine weitere Norm. Auch diese ist zu ‖.‖∞

aquivalent. In der Tat ist fur A = (ai j) ∈ Rq×p und x ∈ Rp

‖Ax‖∞ = maxi=1,...,q

|p∑

j=1

ai jx j| ≤

2Hintereinanderausfuhrung von zuerst f (t) und dann g(t). Im Falle X = Rp, Y = Rq, Z = Rr entspricht

das der Multiplikation der Matrizen g(t) und f (t).3Anwenden von f (t) auf h(t). Im Falle X = Rp, Y = Rq entspricht das der Multiplikation der Matrix f (t)

mit dem Vektor h(t).

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 49

maxi=1,...,q

p maxj=1,...,p

|ai j| · ‖x‖∞ = p maxi=1,...,q; j=1,...,p

|ai j| · ‖x‖∞ .

Also ‖A‖ ≤ p‖A‖∞. Bezeichnet {e j} j=1,...,p die kanonische Basis von Rp, so ist

sicherlich auch ( j = 1, . . . , p)

‖A‖ ≥ ‖Ae j‖∞ = maxi=1,...,q

|ai j| ,

und daher ‖A‖ ≥ ‖A‖∞.

Allgemeiner kann man X = Rp und Y = Rq jeweils mit einer der Normen

‖.‖1, ‖.‖2, ‖.‖∞ versehen, wobei die Norm auf Rp nicht dieselbe wie auf Rq sein

muss. Die daraus resultierenden Abbildungsnormen sind verschieden. Ahnlich

wie oben zeigt man aber, dass sie alle zu ‖.‖∞ auf Rq×p� Rpq und somit auch

untereinander aquivalent sind.

(v) Sei X = Y = R2 mit ‖.‖2 versehen und A ∈ R2×2 von der speziellen Form

A =(

a −bb a

)mit festen a, b ∈ R. Um die Abbildungsnorm von A zu berechnen,

bemerken wir, dass der erste und zweite Eintrag von

(a −b

b a

) (x

y

)=

(xa − yb

xb + ya

)

genau Real- bzw. Imaginarteil von (a + ib) · (x + iy) ist. Wegen ‖ ( cd

) ‖2 = |c + id|gilt ‖A ( x

y

) ‖2 = |(a + ib) · (x + iy)| = |a + ib| · |x + iy| = |a + ib| · ‖ ( xy

) ‖2. Daraus

folgt unmittelbar, dass ‖A‖ = |a + ib| = ‖ ( ab

) ‖2.

(vi) Sei X = Y = C[0, 1], und A : X → Y definiert durch

A( f )(x) :=

∫ x

0

f (t) dt .

Man sieht sofort, dass A linear ist. Außerdem ist mit f ∈ C[0, 1]

‖A( f )‖∞ = supx∈[0,1]

|A( f )(x)| ≤ supx∈[0,1]

(x supt∈[0,x]

| f (t)|) ≤ ‖ f ‖∞ .

Also ‖A‖ ≤ 1.

9.3 Banachraumwertige Reihen, Funktionen, etc.

Zunachst verallgemeinern wir den Begriff von Zahlenreihen auf Reihen mit Summan-

den, die in einem normierten Raum liegen. Die Definition ist genau die gleiche.

9.3.1 Definition. Ist (an)n∈N eine Folge in einem normierten Raum (X, ‖.‖), so heißt die

Reihe∑∞

n=1 an konvergent, falls die Folge (S N)N∈N der Partialsummen

S N :=

N∑

n=1

an

in X, d.h. bzgl. der von ‖.‖ erzeugten Metrik, konvergiert.

Die Reihe∑∞

n=1 an heißt absolut konvergent, falls∑∞

n=1 ‖an‖ in R konvergiert, dh.

falls∑∞

n=1 ‖an‖ < +∞, vgl. Definition 3.9.12.

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50 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

9.3.2 Fakta. Nicht nur die Definition lasst sich unmittelbar auf Reihen mit Werten

in normierten Raumen ubertragen, sondern auch viele der im ersten Semester herge-

leiteten Ergebnisse. Im Folgenden seien (X, ‖.‖) und (Y, ‖.‖) normierte Raume. Fur die

Beweise der Verallgemeinerungen muss man in allen Fallen nur an geeigneten Stellen

|.| durch ‖.‖ ersetzen:

1. Rechenregeln (siehe Korollar 3.9.3):

∞∑

n=1

λan = λ

∞∑

n=1

an, und

∞∑

n=1

(an + bn) =

∞∑

n=1

an +

∞∑

n=1

bn ,

wobei λ ∈ R bzw. λ ∈ C je nachdem, was der Skalarkorper von X ist, und

wobei∑∞

n=1 an und∑∞

n=1 bn beide als konvergent vorausgesetzt sind. Die zweite

Rechenregel etwa folgt mit Lemma 9.1.2 aus

limN→∞

N∑

n=1

(an + bn) = limN→∞

N∑

n=1

an +

N∑

n=1

bn

= lim

N→∞

N∑

n=1

an

+ lim

N→∞

N∑

n=1

bn

.

2. Ist T : X → Y linear und stetig, so folgt fur eine konvergente Reihe∑∞

n=1 an

T (

∞∑

n=1

an) = T ( limN→∞

N∑

n=1

an) = limN→∞

T (

N∑

n=1

an) =

∞∑

n=1

T (an) , (9.7)

wobei die Reihe rechts automatisch konvergiert.

Da fur ein festes a ∈ X die Abbildung λ 7→ λa von R bzw. C nach X linear und

beschrankt ist, gilt insbesondere fur jede konvergente R- bzw. C-wertige Reihe∑∞n=1 αn, dass auch

∑∞n=1(αna) in X konvergiert, wobei der Grenzwert letzterer

Reihe mit (∑∞

n=1 αn)a ubereinstimmt.

3. Manipulationsregeln wie in Fakta 3.9.4, (1) und (2), d.h. man darf endlich viele

Summanden umandern, ohne das Konvergenzverhalten zu andern. Der Grenz-

wert andert sich im Allgemeinen. Außerdem kann man in einer Reihe Klammern

setzen.

4. Ist∑∞

n=1 an konvergent, so folgt

limn→∞

an = limn→∞

n∑

j=1

a j

n−1∑

j=1

a j

=∞∑

n=1

an

−∞∑

n=1

an

= 0

in X; vgl. Proposition 3.9.7.

Die Resultate fur reell- bzw. komplexwertige Reihen, die die Vollstandigkeit von

R (C) verwenden, lassen sich auf vollstandige normierte Raume, d.h. Banachraume

verallgemeinern. Ist also (X, ‖.‖) ein Banachraum, dann gelten folgende Verallgemei-

nerungen.

5. Setzt man in die Definition von Cauchy-Folge die Folge der Partialsummen ein,

so erhalt man analog zu Lemma 3.9.11 das Cauchysche Konvergenzkriterium:∑∞n=1 an konvergiert genau dann, wenn

∀ǫ > 0 ∃N ∈ N :

∥∥∥∥∥∥∥∥

m∑

j=n+1

a j

∥∥∥∥∥∥∥∥< ǫ, ∀m > n ≥ N .

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 51

6. Ist eine Reihe∑∞

n=1 an absolut konvergent, so folgt aus dem Cauchyschen Kon-

vergenzkriterium und der Dreiecksungleichung sofort, dass∑∞

n=1 an auch kon-

vergiert, wobei wegen der Stetigkeit von ‖.‖ : X → R∥∥∥∥∥∥∥

∞∑

n=1

an

∥∥∥∥∥∥∥= lim

N→∞

∥∥∥∥∥∥∥

N∑

n=1

an

∥∥∥∥∥∥∥≤∞∑

n=1

‖an‖ .

7. Majorantenkriterium (siehe Lemma 3.9.8): Ist ‖an‖ ≤ αn ∈ R+ ∪ {0} und konver-

giert∑∞

n=1 αn, so konvergiert∑∞

n=1 an absolut, wobei

∥∥∥∥∥∥∥

∞∑

n=1

an

∥∥∥∥∥∥∥≤∞∑

n=1

‖an‖ ≤∞∑

n=1

αn . (9.8)

8. Quotienten- und Wurzelkriterium wie in Satz 3.10.3.

In der Tat folgt ausn√‖an‖ ≤ q, n ≥ N, fur ein q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N – das ist

zu lim supn→∞n√‖an‖ < 1 aquivalent, dass ‖an‖ ≤ qn, n ≥ N. Also hat

∑∞n=N ‖an‖

eine konvergente Majorante, und in Folge konvergiert auch∑∞

n=1 ‖an‖.Ist dagegen n(k)

√‖an(k)‖ ≥ 1, k ∈ N fur eine Teilfolge, so kann (an)n∈N keine

Nullfolge sein, und somit∑∞

n=1 an nicht konvergieren.

Aus an , 0,‖an+1‖‖an‖ ≤ q, n ≥ N, fur ein q ∈ [0, 1) und ein N ∈ N – das ist zu

lim supn→∞‖an+1‖‖an‖ < 1 aquivalent – folgt ‖an‖ ≤ qn−N‖aN‖ fur n ≥ N und somit

lim supn→∞n√‖an‖ < 1.

Ist dagegen an , 0, ‖an+1‖‖an‖ ≥ 1, n ≥ N, fur ein N ∈ N, so kann (an)n∈N wegen 0 <

‖aN‖ ≤ ‖aN+1‖ ≤ . . . keine Nullfolge sein, und somit∑∞

n=1 an nicht konvergieren.

Genauso wie im R-wertige bzw. C-wertigen Fall definieren wir auch hier Sum-

men uber beliebige Indexmengen; vgl. Definition 5.4.2. Fur eine Menge M bezeichne

wieder E = E(M) die Menge aller endlichen Teilmengen. Versehen mit ⊆ wird diese

Menge zu einer gerichteten Menge.

9.3.3 Definition. Sei (X, ‖.‖) ein normierter Raum, M , ∅ eine Menge und a j ∈ X fur

jedes j ∈ M. Falls das Netz (∑

j∈A a j)A∈E in X bzgl. ‖.‖ konvergiert, so sagen wir, dass∑j∈M a j unbedingt konvergiert und setzen4

j∈M

a j = limA∈E

j∈Aa j .

Da Grenzwerte mit dem Addieren und dem skalaren Multiplizieren vertraglich

sind, gilt wie im skalaren Fall, dass (λ, µ ∈ R (C))

j∈M

(λa j + µb j) = λ

j∈M

a j

+ µ∑

j∈M

b j

in dem Sinn, dass die linke Seite unbedingt konvergiert, wenn es die rechte tut.

9.3.4 Fakta. Fur einen Banachraum (X, ‖.‖) gelten folgende Aussagen, die wie Fakta

5.4.3, Korollar 5.4.5, Proposition 5.4.8 und Lemma 5.4.9 zu verifizieren sind.

4Die Summe uber die leere Indexmenge sei dabei per definitionem Null.

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52 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

1. Die Summe∑

j∈M ‖a j‖ konvergiert unbedingt genau dann, wenn

j∈A‖a j‖ ≤ C fur alle A ∈ E ,

fur ein C > 0. In dem Fall konvergiert auch∑

j∈M a j unbedingt.

2. Konvergiert∑

j∈M a j unbedingt, so auch∑

j∈P a j fur jede nichtleere Teilmenge

P ⊆ M.

3. Ist M eine weitere Menge – es kann auch M = M sein – und σ : M → M eine

Bijektion, so konvergiert∑

j∈M a j genau dann unbedingt, wenn∑

j∈M aσ( j) es tut.

4. Im Falle M = N folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈N a j die Konver-

genz von∑∞

n=1 an im Sinne von Definition 9.3.1 gegen den gleichen Grenzwert.

5. Wenn∑∞

n=1 an absolut konvergiert, dh.∑∞

n=1 ‖an‖ < +∞, so konvergieren∑j∈N ‖a j‖ sowie

∑j∈N a j unbedingt.

6. Im Allgemeinen gilt das Banachraumwertige Analogon von Satz 5.4.4 nicht; ins-

besondere zieht die unbedingte Konvergenz von∑

j∈N a j nicht notwendigerweise

die unbedingte Konvergenz von∑

j∈N ‖a j‖ nach sich.

7. Falls die Reihe∑∞

k=1 bk mit Summanden in X absolut konvergiert, so tut das auch∑∞k=1 bσ(k) fur jede Bijektion σ : N→ N mit dem selben Grenzwert in X.

8. Zerlegt man M als M =⋃

i∈I Mi mit nichtleerer Indexmenge I und nichtleeren

Mengen Mi, i ∈ I, so folgt aus der unbedingten Konvergenz von∑

j∈M a j auch

die von∑

i∈I∑

j∈Mia j, wobei

i∈I

j∈Mi

a j =∑

j∈M

a j . (9.9)

Siehe Proposition 5.4.8.

9. Konvergiert∑

i∈I∑

j∈Mi‖a j‖ unbedingt, dh. alle

∑j∈Mi‖a j‖ sowie

∑i∈I

(∑j∈Mi‖a j‖

)konvergieren unbedingt, so konvergiert auch

∑j∈M ‖a j‖

sowie∑

j∈M a j unbedingt, wobei wieder (9.9) gilt; vgl. Lemma 5.4.9.

9.3.5 Beispiel. Sei B ∈ Rp×p (versehen z.B. mit der Abbildungsnorm) mit ‖B‖ < 1, und

definiere5 (B0 = I)

S :=

∞∑

n=0

Bn .

Wegen (9.6) hat man ‖Bn‖ ≤ ‖B‖n, und daher ist∑∞

n=0 ‖B‖n eine konvergente Majorante,

und somit konvergiert S =∑∞

n=0 Bn absolut, wobei mit (9.8)

‖S ‖ ≤∞∑

n=0

‖Bn‖ ≤∞∑

n=0

‖B‖n = 1

1 − ‖B‖ .

5Man spricht von der von Neumannschen Reihe.

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 53

Die Tatsache, dass C 7→ BC eine beschrankte lineare Abbildung von Rp×p nach Rp×p

ist, erlaubt die Anwendung von (9.7), dh.

BS = B limN→∞

N∑

n=0

Bn = limN→∞

N∑

n=0

Bn+1 = limN→∞

(−I +

N+1∑

n=0

Bn) = −I + S .

Also I = (I − B)S . Genauso sieht man I = S (I − B). Also ist I − B invertierbar mit

S = (I − B)−1.

9.3.6 Korollar. Ist T ∈ Rp×p invertierbar, und ist S ∈ Rp×p mit ‖T − S ‖ < 1‖T−1‖ , so ist

auch S invertierbar.

Insbesondere ist die Menge GL(p,R) aller invertierbaren p×p-Matrizen eine offene

Menge, und die Funktion S 7→ S −1 ist stetig auf GL(p,R) ⊆ Rp×p.

Beweis. Nach Voraussetzung ist ‖(T − S )T−1‖ < 1. Gemaß Beispiel 9.3.5 existiert

(I − (T − S )T−1)−1 und

S T−1(I − (T − S )T−1)−1 = (T − (T − S ))T−1(I − (T − S )T−1)−1 =

(I − (T − S )T−1)(I − (T − S )T−1)−1 = I .

Also hat S eine Rechtsinverse. Entsprechend ist (I − T−1(T − S ))−1T−1 eine Linksin-

verse. Aus der Linearen Algebra ist bekannt, dass diese dann ubereinstimmen mussen.

Um die Stetigkeit von S 7→ S −1 einzusehen, sei S n → S , wobei alle Matrizen

invertierbar sind. Es folgt

‖S −1n − S −1‖ = ‖S −1

n (S − S n)S −1‖ ≤ ‖S −1n ‖ · ‖S − S n‖ · ‖S −1‖ (9.10)

und daher ‖S −1n ‖ ≤ ‖S −1‖ + ‖S −1

n − S −1‖ ≤ ‖S −1‖ + ‖S −1‖ · ‖S −1n ‖ · ‖S − S n‖. Fur

hinreichend großes n hat man somit

‖S −1n ‖ ≤

‖S −1‖1 + ‖S −1‖ · ‖S − S n‖

.

Also ist ‖S −1n ‖ beschrankt, und aus (9.10) folgt S −1

n → S −1.

9.3.7 Bemerkung. Im vorangegangenen Beispiel 9.3.5 und Korollar 9.3.6 haben wir

zwar von quadratischen Matrizen gesprochen. Es gilt aber der selbe Sachverhalt, wenn

die auftretenden Objekte allgemeiner beschrankte lineare Abbildungen eines Banach-

raumes X in sich – also Elemente von L(X, X) sind. Die Beweise sind so gewahlt, dass

sie auch in diesem allgemeineren Fall funktionieren.

Man kann auch Funktionen mit Werten in normierten Raumen betrachten. Dabei

heißt eine Folge ( fn)n∈N von beschrankten Funktionen fn : E → X gleichmaßig kon-

vergent gegen f , falls limn→∞ fn = f in dem normierten Raum B(E, X)6.

9.3.8 Fakta. Ist (X, ‖.‖) sogar ein Banachraum, so gelten folgend Aussagen, die fur

X = R (C) schon bekannt sind.

6Dieses Konzept ist schon aus Definition 6.6.5 bekannt, wenn sogar X allgemeiner ein metrischer Raum

ist.

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54 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

1. Mit (X, ‖.‖) ist auch B(E, X) ein Banachraum. Somit ist ( fn)n∈N in B(E, X) genau

dann konvergent, wenn diese Folge bzgl. ‖.‖∞ eine Cauchy-Folge ist.

2. Ist E Teilmenge eines metrischen Raumes, so wissen wir schon, dass Cb(E, X)

abgeschlossen in B(E, X) ist, was zur Folge hat, dass die Grenzfunktion f stetig

ist, wenn alle fn es sind; vgl. Korollar 6.6.13.

3. Weierstraßsches Konvergenzkriterium (siehe Korollar 6.7.4): Ist∑∞

n=1 fn eine

Reihe von X-wertigen beschrankten Funktionen, so folgt aus der absoluten Kon-

vergenz∑∞

n=1 ‖ fn‖∞ < +∞ die gleichmaßige Konvergenz der Reihe∑∞

n=1 fn.

Die absolute Konvergenz gilt insbesondere, wenn es eine konvergente Reihe∑∞n=1 αn von nichtnegativen reellen Zahlen mit ‖ fn‖∞ ≤ αn gibt.

Das Weierstraßsche Konvergenzkriterium ist nichts anderes, als das Majoranten-

kriterium angewandt auf den Banachraum B(E, X); siehe (9.8).

4. Fur Potenzreihen zeigt man fast genauso wie in Satz 6.7.7 folgenden Sachverhalt.

Fur an ∈ X, n ∈ N∪{0}, sei R das Supremum aller |z|, sodass die Reihe∑∞

n=0 znan

konvergiert. Dabei ist je nach Skalarkorper z ∈ R bzw. z ∈ C. Dann konvergiert

die Reihe∑∞

n=0 znan in X absolut, wenn z ∈ R (C), |z| < R. Im Falle |z| > R

divergiert sie.

Fur |z| ≤ r < R konvergiert sie gleichmaßig. Somit ist auf {z ∈ R (C) : |z| ≤ r} die

Funktion z 7→ ∑∞n=0 znan (∈ X) stetig und beschrankt, d.h. sie liegt in C(KCr (0), X).

Auf {z : |z| < R} ist sie stetig.

Fur R gilt auch (lim supn→∞‖an+1‖‖an‖ )−1 ≤ R ≤ (lim infn→∞

‖an+1‖‖an‖ )−1 und

R = (lim supn→∞n√‖an‖)−1.

Auch die Differentialrechnung lasst sich auf Funktionen mit Werten in normierten

Raumen ausdehnen.

9.3.9 Definition. Ist I ein reelles Intervall und f : I → X, so heißt f im Punkt x ∈ I

differenzierbar, wenn der Grenzwert

d

dxf (x) = f ′(x) := lim

t→x

1

t − x( f (t) − f (x))

in X existiert, wobei dieser Grenzwert einseitig zu verstehen ist, wenn x ein Randpunkt

von I ist. Ist f bei allen x ∈ I differenzierbar, so heißt f differenzierbar. Die Funktion

x 7→ f ′(x) (Ableitung von f ) ist dann eine Abbildung von I nach X. Ist diese stetig, so

heißt f stetig differenzierbar. Mit C1(I, X

)wird die Menge aller stetig differenzierbaren

X-wertigen Funktionen auf I bezeichnet.

Analog zum skalaren Fall definiert man auch die hoheren Ableitungen.

9.3.10 Bemerkung. Im Falle X = Rp kann man sich f (I) als Kurve vorstellen. Die

Ableitung f ′(x) ist dann der Anschauung nach nichts anderes, als der Tangentialvektor

an diese Kurve im Punkt f (x).

Wir wollen uns auch ein Beispiel einer Funktion von einem Intervall in einen un-

endlich dimensionalen Banachraum anschauen.

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 55

9.3.11 Beispiel. Sei X = Cb(0, 1) der Banachraum aller reellwertigen, beschrankten

und stetigen Funktionen auf dem Intervall (0, 1) versehen mit der Supremumsnorm

‖.‖∞.

Fur t ∈ R sei f (t) die Funktion(s 7→ et s(1 − s)

). Man uberzeugt sich leicht, dass

f (t) ∈ X = Cb(0, 1). Also

f :

{R → X

t 7→ (s 7→ et s(1 − s)

) .

Fur x, t ∈ R gilt

∥∥∥∥∥1

t − x( f (t) − f (x)) − f (x)

∥∥∥∥∥∞= sup

s∈(0,1)

∣∣∣∣∣1

t − x

(et s(1 − s) − exs(1 − s)

)− exs(1 − s)

∣∣∣∣∣ =

∣∣∣∣∣1

t − x

(et − ex

)− ex

∣∣∣∣∣ · sups∈(0,1)

|s(1 − s)| =∣∣∣∣∣

1

t − x

(et − ex

)− ex

∣∣∣∣∣ ·1

2.

Wegen limt→x1

t−x

(et − ex

)= ex konvergiert somit 1

t−x( f (t) − f (x)) in X fur t → x

gegen f (x). Also gilt f ′(x) = f (x).

9.3.12 Fakta. Ahnlich wie im skalarwertigen Fall zeigt man folgende Regeln.

1. Die Ableitung von konstanten Funktionen ist 0 ∈ X.

2. Wegen f (t) − f (x) = (t − x) · 1t−x

( f (t) − f (x))→ 0 · f ′(x) = 0 fur t→ x, folgt aus

der Ableitbarkeit von f bei x die Stetigkeit von f bei x.

3. ( f + g)′(x) = f ′(x) + g′(x), (λ f )′(x) = λ f ′(x), (α f )′(x) = α′(x) f (x) + α(x) f ′(x),

wobei λ ∈ R (C), f , g : I → X und α : I → R (C). Siehe Satz 7.1.7. Die

Gleichheitszeichen sind dabei so zu interpretieren, dass die linke Seite existiert,

wenn die rechte Seite existiert und dann die Gleichheit gilt.

4. Ahnlich wie bei den Reihen sieht man, dass fur jedes lineare und beschrankte

T : X → Y mit f auch T ◦ f bei einem x ∈ I differenzierbar ist, wobei dann

T ( f ′(x)) = (T f )′(x).

Insbesondere gilt fur eine auf einem Intervall I definierte, R- bzw. C-wertige

und bei x differenzierbare Funktion α und einem a ∈ X, dass auch die Funktion

t 7→ α(t)a von I nach X bei x differenzierbar ist, wobei (α(.)a)′(x) = α′(x)a.

5. Kettenregel (Satz 7.1.9): Sei f : (c, d) → X und α : (a, b) → R mit α((a, b)

) ⊆(c, d). Dann gilt

( f ◦ α)′(x) = α′(x) f ′(α(x)) , (9.11)

falls die Ableitungen rechts existieren.

Kann man Produkte von Funktionen bilden, so gelten jeweils auch Produktregeln.

6. Sei I ein reelles Intervall und f : I → L(X, Y), g : I → L(Y, Z). Fur x ∈ I und

t ∈ I \ {x} gilt

‖ 1

t − x

(g(t) f (t) − g(x) f (x)

) − g′(x) f (x) − g(x) f ′(x)‖ =

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56 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

‖g(t)1

t − x

(f (t) − f (x)

) − g(t) f ′(x) + g(t) f ′(x) − g(x) f ′(x)+

1

t − x

(g(t) − g(x)

)f (x) − g′(x) f (x)‖ ≤

‖g(t)‖ · ‖ 1

t − x

(f (t) − f (x)

) − f ′(x)‖ + ‖g(t) − g(x)‖ · ‖ f ′(x)‖+

‖ 1

t − x

(g(t) − g(x)

) − g′(x)‖ · ‖ f (x)‖ .

Sind f und g bei x differenzierbar, so sind sie dort auch stetig und daher konver-

gieren fur t → x alle Summanden gegen Null. Damit ist auch g f bei x differen-

zierbar, wobei

(g f )′(x) = g′(x) f (x) + g(x) f ′(x) . (9.12)

7. Entsprechend zeigt man ( f h)′(x) = f ′(x)h(x) + f (x)h′(x), wenn f : I → L(X, Y)

und h : I → X, oder auch wenn f : I → R (C) und h : I → X.

8. Sind f , g : I → Rp in einem Punkt x ∈ I differenzierbar, so zeigt man ahnlich

wie oben aber unter Zuhilfenahme der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung, dass

die Funktion7 t 7→ ( f (t), g(t)) von I nach R auch in x differenzierbar ist, wobei

( f , g)′(x) = ( f (x), g′(x)) + ( f ′(x), g(x)).

9.3.13 Beispiel. Sei X = Cb(0, 1) wieder der Banachraum aller reellwertigen, be-

schrankten und stetigen Funktionen auf dem Intervall (0, 1) versehen mit der Supre-

mumsnorm ‖.‖∞.

Fur t ∈ [0, 1] sei f (t) die Funktion(s 7→

√t

s+t

). Man uberzeugt sich leicht, dass

f (t) ∈ X = Cb(0, 1). Also

f :

{[0, 1] → X

t 7→ (s 7→

√t

s+t

) .

Klarerweise ist f (0) die Nullfunktion und somit (t > 0)

‖ f (t) − f (0)‖∞ = sups∈(0,1)

√t

s + t= lim

s→0+

√t

s + t=

1√

t.

Der Grenzwert dieses Ausdruckes fur t → 0 ist aber sicherlich nicht 0. Also ist f bei

t = 0 nicht stetig und daher insbesondere nicht differenzierbar.

Man beachte, dass fur feste s ∈ (0, 1) die Funktion t 7→√

t

s+tbei t = 0 sehr wohl

stetig ist.

Viele Resultate, die sich aus dem Mittelwertsatz, Satz 7.2.6, herleiten haben lassen,

konnen nicht unmittelbar auf Funktionen mit Werten in normierten Raumen verallge-

meinert werden. Manches lasst sich jedoch mit Hilfe des folgenden Lemmas retten.

9.3.14 Lemma. Ist f : [a, b] → X stetig, f |(a,b) differenzierbar und gilt f ′(x) = 0 fur

alle x ∈ (a, b), so ist f konstant.

7(., .) bezeichnet das Skalarprodukt in Rp.

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 57

Beweis. Subtrahieren wir von f (x) immer den Wert f (a), so konnen wir annehmen,

dass o.B.d.A. f (a) = 0.

Seien x, t ∈ (a, b), so folgt aus der Dreiecksungleichung ‖ f (x)‖ ≤ ‖ f (t) − f (x)‖ +‖ f (t)‖ sowie ‖ f (t)‖ ≤ ‖ f (t) − f (x)‖ + ‖ f (x)‖. Also gilt

−‖ f (t) − f (x)‖ ≤ ‖ f (t)‖ − ‖ f (x)‖ ≤ ‖ f (t) − f (x)‖

und daher

−∥∥∥∥∥

1

t − x

(f (t) − f (x)

) ∥∥∥∥∥ ≤‖ f (t)‖ − ‖ f (x)‖

t − x≤

∥∥∥∥∥1

t − x

(f (t) − f (x)

) ∥∥∥∥∥ .

Da ‖.‖ : X → R stetig ist, konvergieren fur t → x die linke und die rechte Seite laut

Voraussetzung gegen 0 und nach dem Einschlusskriterium fur Netze somit auch der

mittlere Ausdruck.

Also ist x 7→ ‖ f (x)‖ auf (a, b) differenzierbar mit ‖ f (x)‖′ = 0 und klarerweise auf

[a, b] stetig. Wegen ‖ f (a)‖ = 0 folgt aus dem Mittelwertsatz angewandt auf ‖ f (x)‖,dass ‖ f (x)‖ = 0, und somit f (x) = 0 fur alle x ∈ [a, b].

Als Folgerung erhalt man z.B. dass zwei ableitbare X-wertige Funktionen uberein-

stimmen, wenn sie es an einer Stelle tun, und wenn ihre Ableitungen gleich sind.

9.3.15 Definition. Sei f : [a, b]→ X eine beschrankte Funktion. Konvergiert das Netz

(S ( f ,R))R∈R in X, wobei8

S ( f ,R) =

n(R)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j) ,

so heißt f Riemann-integrierbar. In diesem Fall schreiben wir

∫ b

a

f (t) dt := lim|R|→0

S ( f ,R) .

Der Zugang zu Integralen mit Ober- und Untersummen funktioniert offensichtlich

hier nicht.

9.3.16 Fakta. Man kann genauso wie im skalaren Fall folgende Tatsachen fur den

normierten Raum wertigen Fall beweisen, indem man in den jeweiligen Beweisen an

den richtigen Stellen |.| durch ‖.‖ ersetzt.

1. Rechenregeln (Lemma 8.2.9):

b∫

a

(λ f + µg) dx = λ

b∫

a

f dx + µ

b∫

a

g dx ,

∥∥∥∥∥∥∥∥∥

b∫

a

f dx

∥∥∥∥∥∥∥∥∥≤

b−∫

a

‖ f (x)‖ dx ≤ ‖ f ‖∞(b − a) . (9.13)

wobei f , g : [a, b]→ X Riemann-integrierbar sind, und λ, µ ∈ R (C) je nachdem,

was der Skalarkorper von X ist. Zur Erinnerung: ‖ f ‖∞ = supx∈[a,b] ‖ f (x)‖.8Vgl. Definition 8.2.1.

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58 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

2. Ist T : X → Y beschrankt und linear, so folgt aus der Stetigkeit von T

T (

∫f (t) dt) = T ( lim

|R|→0S ( f ,R)) = lim

|R|→0S (T f ,R) =

∫T f (t) dt . (9.14)

Insbesondere gilt fur ein Riemann-integrierbares g : [a, b] → R (C) und x ∈ X,

dass∫ b

a(g(t)x) dt = (

∫ b

ag(t) dt)x.

Setzt man noch voraus, dass (X, ‖.‖) ein Banachraum ist, so gelten auch folgende

Aussagen, die ganz ahnlich wie im skalaren Fall zu beweisen sind. Um zu zeigen,

wie wenig sich die Beweise vom skalaren Fall unterscheiden, ist der Beweis von 3

ausgefuhrt.

3. Ist f : [a, b]→ X stetig, so ist f Riemann-integrierbar, vgl. Satz 8.3.4.

Beweis. Genauso wie in Lemma 8.3.3 zeigt man zunachst fur eine beschrankte

Abbildung f : [a, b]→ X und zwei Riemann-ZerlegungenR1 und R2 von [a, b]

∥∥∥S (R1) − S (R2)∥∥∥ ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1|, |R2|)) , (9.15)

wobei

ρ(γ) = sup{ ‖ f (s) − f (t)‖ : s, t ∈ [a, b], |s − t| ≤ γ }, γ > 0 ,

die Oszillation von f bezeichnet. Um das einzusehen, sei R eine Riemann-

Zerlegung, deren Stutzstellen die von R1 und R2 umfasst. Das bedeutet, dass

mit

R1 =((ξ j)

n(R1)

j=0; (α j)

n(R1)

j=1

), R2 =

((ζ j)

n(R2)

j=0; (γ j)

n(R2)

j=1

),

R = ((η j)

n(R)

j=0; (β j)

n(R)

j=1

),

die Beziehung

{ξ j : j = 0, . . . , n(R1)} ∪ {ζ j : j = 0, . . . , n(R2)} ⊆ {η j : j = 0, . . . , n(R)}

gilt. Ist j ∈ {1, . . . , n(R1)}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass

ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 <︸ ︷︷ ︸k( j)−k( j−1)−1 viele

ηk( j) = ξ j .

Wir erhalten wegen (ξ j − ξ j−1) f (α j) =∑k( j)

k=k( j−1)+1(ηk − ηk−1) f (α j)

∥∥∥S (R1) − S (R)∥∥∥ =

∥∥∥∥∥∥∥∥

n(R1)∑

j=1

(ξ j − ξ j−1) f (α j) −k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) f (βk)

∥∥∥∥∥∥∥∥=

∥∥∥∥∥∥∥∥

n(R1)∑

j=1

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1)(f (α j) − f (βk)

)∥∥∥∥∥∥∥∥≤

n(R1)∑

j=1

k( j)∑

k=k( j−1)+1

(ηk − ηk−1) · ‖ f (α j) − f (βk)‖ .

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 59

Bemerkt man, dass |α j − βk | ≤ (ξ j − ξ j−1) ≤ |R1|, k ∈ {k( j − 1) + 1, . . . , k( j)}, so

folgt

‖S (R1) − S (R)‖ ≤n(R2)∑

k=1

(ηk − ηk−1) · ρ(|R1|) = (b − a) · ρ(|R1|) .

Genauso zeigt man ‖S (R2) − S (R)‖ ≤ (b − a) · ρ(|R2|). Aus der Dreiecksunglei-

chung und der Monotonie von ρ folgt dann (9.15).

Ist nun f : [a, b] → X stetig, so ist f wegen Proposition 6.1.13 beschrankt und

wegen Satz 6.3.3 sogar gleichmaßig stetig.

Gemaß Lemma 5.3.11 folgt die Konvergenz von(S (R)

)R∈R in X, wenn wir zei-

gen konnen, dass(S (R)

)R∈R in X ein Cauchy-Netz ist.

Dazu sei ǫ > 0, und sei δ > 0 so, dass ρ(δ) ≤ ǫ3(b−a)

; vgl. Bemerkung 8.3.2. Sind

nun R1 und R2 Riemann-Zerlegungen von [a, b] mit |R1|, |R2| < δ, so folgt aus

(9.15) sofort

‖S (R1) − S (R2)‖ ≤ 2(b − a) · ρ(max(|R1|, |R2|)) < ǫ

und damit die Tatsache, dass(S (R)

)R∈R ein Cauchy-Netz ist.

4. Sei f : [a, b]→ X und c < d, [c, d] ⊆ [a, b]. Dann ist f |[c,d] uber [c, d] Riemann-

integrierbar genau dann, wenn 1[c,d] f es uber [a, b] ist. Das ist insbesondere der

Fall, wenn f uber [a, b] Riemann-integrierbar ist. vgl. Lemma 8.4.1.

5. Der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (Satz 8.4.5) gilt auch fur

Banachraum-wertige Funktionen:

Ist f : [a, b]→ X Riemann-integrierbar, und setzt man fur a ≤ x ≤ b

F(x) :=

x∫

a

f (t) dt ,

so ist F stetig auf [a, b]. Ist f in einem Punkt x0 stetig, so ist F bei x0 differen-

zierbar, und es gilt F′(x0) = f (x0).

6. Ist f : [a, b] → X stetig, und ist G : [a, b] → X stetig und stetig differenzier-

bar auf (a, b), sodass G′(x) = f (x), x ∈ (a, b), so erfullt G(x) −x∫

a

f (t) dt die

Voraussetzung von Lemma 9.3.14. Also ist diese Funktion konstant, woraus

b∫

a

f (t) dt = G(b) −G(a) (9.16)

folgt.

Man erhalt also wie im skalarwertigen Fall, dass der Integrationsoperator f 7→(x 7→

∫ x

af (t) dt) den Vektorraum C([a, b], X) bijektiv auf die Hyperebene aller

bei a verschwindenden Funktionen in C1([a, b], X) abbildet.

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60 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

7. Sei I ⊆ R ein Intervall mit endlicher linker Intervallgrenze a, die in I lie-

ge. Ist f : I → X eine Funktion, dann gilt f ∈ C1(I, X) genau dann, wenn

f ∈ C(I, X), f |I\{a} ∈ C1(I \ {a}, X) und der X-wertige Grenzwert limtցa f ′(t)existiert, vgl. Korollar 7.2.17. Eine entsprechende Aussage gilt fur die rechte

Intervallgrenze von I.

Um das einzusehen, sei f ∈ C(I, X), f |I\{a} ∈ C1(I \ {a}, X) und existiere

limtցa f ′(t). Setzen wir g(t) = f ′(t), t ∈ I \ {a}, und g(a) = limtցa f ′(t), so

gilt klarerweise g ∈ C(I, X), vgl. Bemerkung 6.4.4. Die X-wertige Funktion

F(x) = f (x)−∫ x

ag(t) dt, x ∈ I, ist auf I stetig, hat auf I \ {a} eine verschwinden-

de Ableitung, und ist somit wegen Lemma 9.3.14 auf jedem Intervall der Form

[a, s] mit s ∈ I konstant. Also ist mit x 7→∫ x

ag(t) dt, x ∈ [a, s] auch f (x) auf

[a, s] stetig differenzierbar; vgl. (5). Die Umkehrung gilt offensichtlich auch.

8. Da die Kettenregel (9.11) und auch die Produktregel fur Funktion f : I → R (C)

und h : I → X (vgl. Fakta 9.3.12, 7) gilt, leitet man wie in Lemma 8.4.12 bzw.

Lemma 8.4.13 aus (9.16) die Substitutionsregel

∫ g(β)

g(α)

f (x) dx =

∫ β

α

f (g(t))g′(t) dt .

mit R-wertige und stetig differenzierbarer Funktion g und stetiger, X-wertiger

Funktion f und die Regel der partiellen Integration

b∫

a

f ′g dx = f (b)g(b) − f (a)g(a) −b∫

a

f g′ dx .

fur stetig differenzierbare Funktionen f und g her, wobei f skalarwertig sein

muss, damit das Produkt von zwei Funktion erklart ist.

9. Uneigentliche Riemann-Integrale lassen sich genauso wie im skalaren Fall defi-

nieren, siehe Definition 8.6.1.

Insbesondere zeigt man wie in Lemma 8.6.3, dass aus absoluten Konvergenz

von∫ b

ag(x) dx einer Funktion g : [a, b) → X, dh.

∫ b

a‖g(x)‖ dx < +∞, die

Konvergenz von∫ b

ag(x) dx, dh. von limβրa

∫ β

ag(x) dx in X folgt. Ist obendrein

‖g(x)‖ ≥ ‖ f (x)‖ fur alle x ab einem c ∈ [a, b), so ist auch∫ b

af (x) dx absolut

konvergent, wobei f : [a, b)→ X.

Bei diesem Schluss von absoluter Konvergenz auf die Konvergenz muss man

voraussetzen, dass fur alle β ∈ [a, b) die Funktionen g, f , ‖g(.)‖, ‖ f (.)‖ auf [a, β]

Riemann-integrierbar sind.

10. Wie im skalaren Fall kann man auch Integral und Grenzubergang vertauschen

(siehe Satz 8.7.2)

limn→∞

b∫

a

fn dx =

b∫

a

f dx . (9.17)

11. Genauso wie im skalaren Fall gilt fur stetige Funktionen f : [a, b] × K → X –

dabei ist K kompakte Teilmenge eines metrischen Raumes –, dass R : K → X

definiert durch

R(t) =

∫ b

a

f (s, t) ds (9.18)

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 61

stetig ist; vgl. Korollar 8.7.9.

Ebenfalls kann man fur Banachraum-wertige Funktionen f : [a, b] × [c, d]→ X

die Integrationsreihenfolge vertauschen (siehe Satz 8.7.10)

∫ b

a

(∫ d

c

f (s, t) dt

)ds =

∫ d

c

(∫ b

a

f (s, t) ds

)dt .

Schließlich kann man Integral und Ableitung vertauschen (siehe Korollar

8.7.12):

d

ds

∫ d

c

f (s, t) dt =

∫ d

c

d

dsf (s, t) dt , (9.19)

wenn f (s, t) und dds

f (s, t) beide auf [a, b]×[c, d] stetig sind und Werte in X haben.

12. Man kann nun auch die Rechnung aus Proposition 8.8.2 nochmals fur f : I → X

durchfuhren, um fur eine (n+ 1)-mal stetig differenzierbare Funktion die Taylor-

sche Entwicklung

f (x) =

n∑

k=0

(x − y)k 1

k!f (k)(y) +

x∫

y

(x − t)n

n!f (n+1)(t) dt . (9.20)

zu erhalten. Nur eine Abschatzung des Restgliedes mit Hilfe von f (n+1) ausge-

wertet an einer gewissen Stelle zwischen x und y wie im R-wertigen Fall hat man

nicht, da diese ja den Mittelwertsatz der Differentialrechnung bzw. Integralrech-

nung verwendet.

9.3.17 Bemerkung. Alle oben erwahnten Konzepte (Reihen, gleichmaßig konvergente

Funktionen, Ableitung, Integral) hangen nicht von der Norm auf X ab, solange diese

zur ursprunglich auf X gegenen Norm aquivalent sind, denn Grenzwerte und deren

Existenz in X bleiben unverandert, wenn man zu einer aquivalenten Norm wechselt.

9.3.18 Bemerkung. Ist X = Rd, so wissen wir, dass die Konvergenz eines Netz zur kom-

ponentenweisen Konvergenz aquivalent ist, wobei die Komponenten des Grenzwertes

genau die Grenzwerte der Komponentennetze sind.

Somit erhalten wir

∞∑

n=1

an,1

...

an,d

=

∑∞n=1 an,1

...∑∞n=1 an,d

,

d

dt

f1...

fd

(t) =

ddt

f1(t)...

ddt

fd(t)

,

∫ b

a

f1...

fd

(t) dt =

∫ b

af1(t) dt...∫ b

afd(t) dt

,

in dem Sinne, dass die linken Seiten genau dann existieren, wenn die rechten es tun.

Als Anwendung fur obige eher abstrakt wirkende Konzepte wollen wir die Expo-

nentialfunktion, die einer p × p-Matrix wieder eine p × p-Matrix zuweist, betrachten.

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62 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

9.3.19 Beispiel. Sei A ∈ Rp×p. Man betrachte die Rp×p-wertige Potenzreihe (t ∈ R)

etA :=

∞∑

n=0

tn 1

n!An . (9.21)

Dabei sei Rp×p mit einer Abbildungsnorm versehen. Wegen

‖tn 1

n!An‖ ≤ (|t| ‖A‖)n

n!

folgt nach dem Majorantenkriterium die absolute Konvergenz von etA fur alle t ∈ R, da

ja∞∑

n=0

(|t| ‖A‖)n

n!(= e|t| ‖A‖)

konvergiert. Somit ist der Konvergenzradius R von (9.21) gleich +∞. Als Grenzfunkti-

on einer Potenzreihe ist t 7→ etA eine stetige Funktion von R nach Rp×p.

Wegen der Beschranktheit der Abbildungen B 7→ AB, B 7→ BA als Abbildungen

von Rp×p nach Rp×p gilt wegen (9.7)

AetA = A

∞∑

n=0

tn 1

n!An

=∞∑

n=0

tn 1

n!An+1 = etAA . (9.22)

Sei x ∈ R. Da die Potenzreihe fur auf [−|x|, |x|] gleichmaßig konvergiert, kann man

im Folgenden wegen (9.17) Integration und Grenzwert vertauschen.

∫ x

0

etA dt =

∞∑

n=0

∫ x

0

1

n!tnAn dt =

∞∑

n=0

xn+1

(n + 1)!An .

Wegen (9.14) und (9.7) gilt somit

∫ x

0

AetA dt = A

∫ x

0

etA dt =

∞∑

n=0

xn+1

(n + 1)!An+1 =

∞∑

n=1

1

n!xnAn = exA − I .

Aus dem Hauptsatz der Differential und Integralrechnung folgt daher ddt

etA = AetA =

etAA.

Ubrigens konvergiert etA auch fur alle t ∈ R, wenn man Rp×p mit einer anderen

Norm versieht, da diese alle aquivalent sind. Wir haben oben aber die Tatsache ‖An‖ ≤‖A‖n verwendet, welche i.A. nur von der Abbildungsnorm erfullt wird.

9.3.20 Beispiel. Sei nun R eine weitere beliebige p × p-Matrix. Dann sieht man mit

Hilfe der Produktregel wie in (9.12), dass die Funktion f (t) = etAR eine Losung des

Randwertproblems

f ′(t) = A f (t), f (0) = R (9.23)

ist. Ist umgekehrt f : R → Rp×p eine weitere auf ganz R differenzierbare Losung die-

ses Problems, so folgt aus der Produktregel fur Rp×p� L(Rp,Rp)-wertige Funktionen

(9.12)

d

dt(e−tA f (t)) = −e−tAA f (t) + e−tA f ′(t) = −e−tAA f (t) + e−tAA f (t) = 0 ,

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9.3. BANACHRAUMWERTIGE REIHEN, FUNKTIONEN, ETC. 63

und daher e−tA f (t) = e−0A f (0) = R. Da insbesondere etA eine Losung von (9.23) mit

R = I ist, erhalten wir e−tAetA = I und somit e−tA = (etA)−1.

Fur unsere zunachst beliebige Losung folgt daher auch f (t) = etAR. Also ist etAR

die einzige Losung von (9.23).

Mit dieser Tatsache lasst sich nun auch die Frage behandeln, ob fur die Exponenti-

alfunktion wie im skalaren Fall gilt, dass eA+B = eAeB. Im Allgemeinen ist das namlich

nicht richtig. Sollten aber A und B kommutieren (AB = BA), so gilt wegen (9.7)

etAB =

∞∑

n=0

tn

n!An

B =

∞∑

n=0

tn

n!(AnB) =

∞∑

n=0

tn

n!(BAn) = BetA ,

und daherd

dt(etAetB) = AetAetB + etABetB = (A + B)etAetB .

Somit ist etAetB eine Losung von (9.23) mit A ersetzt durch A + B und R ersetzt durch

I, und wegen der Eindeutigkeit der Losung folgt et(A+B) = etAetB.

Betrachtet man die Abbildung A 7→ eA, so gilt folgende Aussage.

9.3.21 Proposition. Fur jede p × p-Matrix A ∈ Rp×p konvergiert die Reihe (A0 := I)

eA :=

∞∑

n=0

1

n!An .

absolut im Banchraum Rp×p versehen mit der Abbildungsnorm, wobei ‖eA‖ ≤ e‖A‖ und

zwar gleichmaßig auf jeder Menge der Form

Er = {A ∈ Rp×p : ‖A‖ ≤ r}

fur jedes beliebige 0 < r < +∞.

Die Abbildung A 7→ eA als Abbildung von Rp×p nach Rp×p ist stetig.

Beweis. Wegen (9.6) gilt ‖An‖ ≤ ‖A‖n fur alle n ∈ N. Somit ist∑∞

n=0‖A‖n

n!eine konver-

gente Majorante und∑∞

n=01n!

An konvergiert absolut, wobei ‖eA‖ ≤ e‖A‖ (siehe (9.8)).

Wegen der Beschranktheit der Abbildungen B 7→ AB, B 7→ BA als Abbildungen

von Rp×p nach Rp×p gilt wegen (9.7)

AeA = A

∞∑

n=0

1

n!An

=∞∑

n=0

1

n!An+1 = eAA .

Nun betrachte fur ein r > 0 die Teilmenge

Er = {A ∈ Rp×p : ‖A‖ ≤ r}

von Rp×p. Fur A ∈ Er gilt∥∥∥ 1

n!An

∥∥∥ ≤ rn

n!, und daher konnen wir das Weierstraßsche

Konvergenzkriterium anwenden. Insbesondere konvergiert dann(∑N

n=01n!

An)

N∈Nfur

N → ∞ gleichmaßig auf Er gegen die Funktion A 7→ eA.

Nach Korollar 9.2.9 ist A 7→ An stetig auf Er fur alle n ∈ N, und nach Korollar 9.1.3

ist auch A 7→ ∑Nn=0

1n!

An stetig auf Er.

Da die Grenzfunktion von einer Folge stetiger Funktionen bei gleichmaßiger

Konvergenz wieder stetig ist, folgt die Stetigkeit von A 7→ eA auf Er. Weil die

Stetigkeit eine lokale Eigenschaft ist, folgt diese damit auf ganz Rp×p.

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64 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

9.3.22 Bemerkung. Ganz ahnlich wie in Bemerkung 9.3.7 gelten auch Beispiel 9.3.19

und die Aussagen von Proposition 9.3.21 und Beispiel 9.3.20 fur den Fall, dass A ∈L(X, X) mit einem beliebigen Banachraum X. Die Beweise sind im wesentlichen die

selben.

9.4 Ubungsbeispiele

9.1 Man beweise die Holdersche Ungleichung mit Hilfe von Beispiel 7.21:

Sei p ∈ R, p > 1 und sei q =p

p−1. Weiters seien a j, b j ∈ [0,+∞), j = 1, . . . , n. Dann gilt

n∑

j=1

a jb j ≤

n∑

j=1

ap

j

1p

n∑

j=1

bq

j

1q

.

Hinweis: Man beweise Die Ungleichung zuerst unter der zusatzlichen Voraussetzung, dass

b j > 0, j = 1, . . . , n. Dazu wende man das erwahntes Beispiel auf die Funktion xp und

I = [0,+∞) an, und setze µ j = bq

jsowie x j =

a j

bq−1j

.

9.2 Fur p ≥ 1 sei ‖.‖p : Rn → R definiert durch

‖(x j)nj=1‖p := p

√√n∑

j=1

|x j|p .

Man zeige, dass ‖.‖p eine Norm ist.

Hinweis: Es gilt∑

j |x j + y j |p ≤∑

j |x j||x j + y j|p−1 +∑

j |y j ||x j + y j |p−1. Nun wende man die

Holdersche Ungleichung an, .....

9.3 Man zeige, dass alle Normen ‖.‖p, p ∈ [1,∞] auf Rn aquivalent sind. Man zeige insbeson-

dere, dass (1 ≤ p < q < ∞)

‖x‖∞ ≤ ‖x‖q ≤ ‖x‖p ≤ n‖x‖∞

Hinweis: Man verwende, dass aus 0 < p < q und λ ∈ [0, 1] folgt, dass λq ≤ λp.

9.4 Man betrachte den Banachraum ℓ∞(N,C) aller beschrankten, komplexwertigen Folgen ver-

sehen mit der Norm ‖.‖∞; also ‖(zn)n∈N‖∞ = supn∈N |zn|.Zeigen Sie, dass die Menge c0(N,C) aller komplexwertigen Nullfolgen ein abgeschlossener

Unterraum von ℓ∞(N,C) ist.

Weiters bestimme man den Abschluss c(F) von F in dem Banachraum ℓ∞(N,C), wobei

F = {(zn)n∈N ∈ ℓ∞(N,C) : ∃N ∈ N, zn = 0 fur alle n ≥ N} .

Anmerkung: Wegen F , c(F) ist das ein Teilraum eines Banachraumes, der nicht abge-

schlossen ist.

9.5 Seien A1 : R2 → R2, A2 : R3 → R und A3 : R→ R3 in Matrixdarstellung gegeben durch

A1 =

(2 −1

0 1

), A2 =

(−2 0 2

), A3 =

5

0

1

,

wobei die Ausgangsraume der Abbildungen mit ‖.‖∞ und die Zielraume mit ‖.‖1 versehen

sind. Berechnen Sie die Abbildungsnormen von A1, A2, A3

9.6 Sei D = diag(λ1, . . . , λn) eine Diagonalmatrix im Rn×n. Man bereche ‖D‖2, ‖D‖∞, wenn man

D als Element vom Rn2� Rn×n betrachtet.

Weiters berechne man die Abbildungsnorm von D als Element von L(Rn,Rn), wenn man Rn

vorne und hinten mit der ‖.‖2-Norm versieht.

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9.4. UBUNGSBEISPIELE 65

9.7 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel berechne man die Abbildungsnorm von D als

Element von L(Rn,Rn), wenn man Rn vorne und hinten mit der ‖.‖∞-Norm versieht.

9.8 Sei Rn versehen mit ‖.‖1. Man betrachte L(Rn,R) den Raum aller linearen Abbildungen von

Rn nach R, d.h. den Dualraum von Rn, versehen mit der Abbildungsnorm ‖.‖. Bekanntlich

ist L(Rn,R) isomorph zu Rn, indem man ein A ∈ L(Rn,R) in Matrixform (a1, . . . , an) angibt.

Man zeige, dass dann ‖.‖ mit der ‖.‖∞-Norm ubereinstimmt.

9.9 Sei Rn versehen mit ‖.‖∞. Man betrachte L(Rn,R) den Raum aller linearen Abbildungen von

Rn nach R, d.h. den Dualraum von Rn, versehen mit der Abbildungsnorm ‖.‖. Bekanntlich

ist L(Rn,R) isomorph zu Rn, indem man ein A ∈ L(Rn,R) in Matrixform (a1, . . . , an) angibt.

Man zeige, dass dann ‖.‖ mit der ‖.‖1-Norm ubereinstimmt.

9.10 Mit welcher Norm stimmt die Abbildungsnorm auf L(Rn,R) uberein, wenn man Rn mit ‖.‖2versieht. Warum?

9.11 Man betrachte den Banachraum ℓ∞(N,C) aller beschrankten, komplexwertigen Folgen ver-

sehen mit der Norm ‖.‖∞; also ‖(zn)n∈N‖∞ = supn∈N |zn|.c0(N,C) sei der Banachraum aller komplexwertigen Nullfolgen.

Weiters sei A : ℓ∞(N,C)→ c0(N,C) definiert durch

A((zn)n∈N) = (1

nzn)n∈N.

Man zeige, dass A tatsachlich nach c0(N,C) hinein abbildet, und dass A linear, beschrankt,

injektiv, aber nicht surjektiv ist.

9.12 Seien (X, ‖.‖X) und (Y, ‖.‖Y ) ein normierte Raume und (L(X,Y), ‖.‖) der Raum aller be-

schrankten linearen Abbildungen von X nach Y . Weiters sei x ∈ X fest. Zeigen, Sie, dass die

Abbildung A 7→ Ax als Abbildung von L(X,Y) nach Y beschrankt und linear ist.

Ist weiters E eine nichtleere Menge und t ∈ E, so zeige man auch, dass die Abbildung

B(E,Y)→ Y, f 7→ f (t)

beschrankt und linear ist. Bestimmen Sie die Abbildungsnorm dieser Abbildung!

9.13 Sei M eine Menge und B(M,R) der Banachraum aller beschrankten, reellwertigen Funktio-

nen auf M versehen mit der Norm ‖.‖∞.

Seien t1, . . . , tn ∈ I. Man zeige, dass die Abbildung T : B(M,R)→ Rn definiert durch

T ( f ) =

f (t1)

...

f (tn)

linear und beschrankt ist.

9.14 Man betrachte die Menge Cb[a, b] aller stetigen reellwertigen Funktionen auf [a, b] und

versehe diese mit

‖ f ‖1 :=

∫ b

a

| f (t)| dt .

Zeigen Sie, dass ‖.‖1 eine Norm ist, und dass (Cb[a, b], ‖.‖1) kein Banchraum ist, indem Sie

eine Cauchy-Folge angeben, die nicht konvergiert.

Hinweis: OBdA. sei a = −1, b = 1. Approximieren Sie sgn(x) (diese liegt nicht in Cb[a, b])

geeignet durch eine Folge stetiger Funktionen.

9.15 Sei Cb[0, 1] die Menge aller stetigen und komplexwertigen Funktionen auf [0, 1] versehen

mit der Supremumsnorm. Weiters sei h : [−1, 1]→ Cb[0, 1] definiert durch

h(t) = (s 7→ s

s + 2 + t) .

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66 KAPITEL 9. NORMEN UND BANACHRAUME

Zeigen Sie, dass h stetig ist, indem Sie ‖h(t1) − h(t2)‖∞ abschatzen. Berechnen Sie auch

∫ 1

−1

h(t) dt .

Hinweis: Verwenden Sie (9.14) mit Ts : Cb[0, 1]→ C, T ( f ) = f (s) fur jedes feste s ∈ [0, 1].

9.16 Seien T,A ∈ Rn×n, und sei T invertierbar. Man zeige, dass T−1eAT = eT−1AT . Weiters be-

rechne man eA, wenn A eine Diagonalmatrix ist und wenn

A =

(0 1

0 0

).

9.17 Sei F : [1, 2]→ R3 definiert durch

F(t) =

t3 + 5

sin t + t2

t+1

t exp(3t)

.

Berechnen Sie∫ 2

1F(t) dt und F′.

9.18 Fur p ≥ 1 sei ℓp(N,C) die Menge aller komplexwertigen Folgen (zn)n∈N, die∑∞

n=1 |zn|p < +∞erfullen. Man zeige, dass ℓp(N,C) mit der gliedweisen Addition und skalaren Multiplikation

ein Vektorraum ist, und dass ‖(zn)n∈N‖p := p√∑∞

n=1 |zn|p eine Norm auf ℓp(N,C) ist.

Anmerkung: (ℓp(N,C), ‖.‖p) ist sogar ein Banachraum.

Ist namlich ((zkn)n∈N)k∈N eine Cauchy-Folge in ℓp(N,C), so ist fur ein festes j ∈ N wegen

|zkj− zk

j| ≤ ‖(zk

n)n∈N − (zln)n∈N‖p auch jede Komponentenfolgen (zk

j)k∈N Cauchy-Folge und

somit konvergent gegen ein z j ∈ C konvergiert.

Es bleibt (zn)n∈N ∈ ℓp(N,C) und ‖(zkn)n∈N − (zn)n∈N‖p → 0 zu zeigen. Dazu sei ǫ > 0 und

N ∈ N beliebig und k0 so, dass k, l ≥ k0 ⇒ ‖(zkn)n∈N − (zl

n)n∈N‖p ≤ ǫ. Wegen

p

√√N∑

n=1

|zkn − zl

n|p ≤ ‖(zkn)n∈N − (zl

n)n∈N‖p ≤ ǫ

folgt fur l → ∞, dass mit beliebigen N ∈ N,p

√∑Nn=1 |zk

n − zn|p ≤ ǫ und wegen der Dreiecks-

ungleichungp

√∑Nn=1 |zn|p ≤ ǫ + ‖(zk

n)n∈N‖p.

Mit N → ∞ folgt aus letzerer Tatsache, dass (zn)n∈N ∈ lp, und aus der vorletzten Ungleichung

‖(zkn)n∈N − (zn)n∈N‖p ≤ ǫ und zwar fur alle k ≥ k0.

9.19 Man betrachte den normierten Raum (Rp×p, ‖.‖∞), und zeige, dass die Funktionen A 7→spur(A) (=

∑p

i=1aii), A 7→ det(A) stetig auf Rp×p sind, und die Funktion A 7→ A−1 stetig auf

GL(p,R) (⊆ Rp×p) ist.

Weiters sei y ∈ Rp fest und man betrachte die Funktion von GL(p,R) (alle invertierbaren

p × p-Matrizen) nach Rp, die jedem A ∈ GL(p,R) die Losung x der Gleichung Ax = y

zuweist. Man zeige, dass diese Funktion auch stetig ist.

9.20 Sei (wn)n∈N eine komplexe Folge in einem normierten Raum (X, ‖.‖), die fur n → ∞ gegen

einen Grenzwert w ∈ X konvergiert. Man zeige, dass dann auch die Folge

w1 + · · · + wn

n

gegen w konvergiert.

Hinweis: Zeigen Sie das Ergebnis zuerst unter der Annahme, dass wn ∈ R, wn ≥ 0 und w =

0, und fuhren Sie das allgemeine Ergbenis auf diesen Fall zuruck, indem Sie die Trivialitat

w = w+···+wn

verwenden.

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Kapitel 10

Ableitungen nach mehreren

Variablen

10.1 Partielle Ableitungen

Wir wollen in diesem Kapitel die Differentialrechnung fur auf D ⊆ Rn definierte Funk-

tionen entwickeln. Dazu wollen wir im folgenden mit ei den i-ten kanonischen Basis-

vektor ei = (0, . . . , 0, 1, 0, . . . , 0)T mit der 1 an der i-ten Stelle bezeichnen.

10.1.1 Definition. Sei (X, ‖.‖) ein Banachraum1. Sei f : D → X definiert auf einer

offenen Menge D ⊆ Rn. Existiert fur ein x ∈ D der Limes

∂ f

∂xi

(x) := limt→0

1

t

(f (x + tei) − f (x)

), (10.1)

so heißt dieser die partielle Ableitung von f nach der Variablen xi an der Stelle x.

Anstatt∂ f

∂xi(x) schreibt man auch Di f (x) oder fxi

(x).

Ist allgemeiner v = (µ1, . . . , µn)T ∈ Rn ein sogenannter Richtungsvektor, und exis-

tiert fur x ∈ D der Limes

∂ f

∂v(x) := lim

t→0

1

t

(f (x + tv) − f (x)

)

so heißt dieser die Richtungsableitung von f an der Stelle x in Richtung v.

Offensichtlich gilt fur den Richtungsvektor ei

∂ f

∂xi

(x) =∂ f

∂ei

(x) .

10.1.2 Bemerkung. Fur x ∈ D und v ∈ Rn ist die Abbildung t 7→ x + tv von R nach

Rn stetig, wobei 0 auf x abgebildet wird. Da D ⊆ Rn offen ist, gibt es daher ein reelles

Intervall (−δ, δ) mit δ > 0 um die Null, sodass x + tv ∈ D fur alle t ∈ (−δ, δ). Setzt man

g(t) := f (x + tv), t ∈ (−δ, δ) ,

1Man sollte anfangs einfach an R oder Rm denken.

67

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68 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

so bildet g das Intervall (−δ, δ) nach X hinein ab. Wegen

1

t

(f (x + tv) − f (x)

)=

1

t

(g(t) − g(0)

)

ist g genau dann bei Null differenzierbar, wenn∂ f

∂v(x) existiert. In dem Fall gilt dann

g′(0) =∂ f

∂v(x) .

Richtungsableitungen sind ihrer Natur nach also “eindimensional“. Denn man betrach-

tet ja f eingeschrankt auf die Strecke x + tv, t ∈ (−δ, δ). Insbesondere variiert bei

der Bildung der partiellen Ableitung nach xi wie in (10.1) beim Differenzenquotientenf (x+tei)− f (x)

tim Vektor x + tei, t ∈ (−δ, δ) nur die i-te Koordinate.

e1

e2

xx + te1

e1

e2v

x

x + tv

Abbildung 10.1: Ableitung in Richtung der Koordinate x1 bzw. des Vektors v

10.1.3 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X definiert auf der offenen Menge D. Existieren

alle partiellen Ableitungen∂ f

∂x1(x), . . . ,

∂ f

∂xn(x), x ∈ D, so heißt f partiell differenzierbar

auf D.

Sind alle X-wertigen Funktionen x 7→ ∂ f

∂x j(x), j = 1, . . . , n, daruber hinaus stetig

auf D, so heißt f stetig partiell differenzierbar. Wir schreiben dafur f ∈ C1 bzw. f ∈C1(D).

10.1.4 Bemerkung. Teilmengen A von Vektorraumen Y (uber R oder C) heißen konvex,

falls fur alle x, y ∈ A folgt, dass auch alle Punkte auf ihrer Verbindungsgeraden in D

liegen, also tx + (1 − t)y ∈ D, t ∈ [0, 1].

Ist Y sogar mit einer Norm ‖.‖ versehen und ist A = Uǫ(z) oder A = Kǫ (z) die

offene bzw. abgeschlossene Kugel vom Radius ǫ, so ist A konvex, denn aus den aus

den Ungleichungen ‖z − x‖, ‖z − y‖ < (≤)ǫ folgt

‖z − (tx + (1 − t)y)‖ = ‖t(z − x) + (1 − t)(z − y)‖ ≤t‖z − x‖ + (1 − t)‖z − y‖ < (≤) tǫ + (1 − t)ǫ = ǫ .

10.1.5 Lemma. Sei f : D ⊆ Rn → X, v = (µ1, . . . , µn)T ∈ Rn ein Richtungsvektor und

sei x ∈ D. Wahle δ > 0 so, dass x + tv ∈ D fur t ∈ (−δ, δ). Falls f ∈ C1(D), so ist die

Funktion g : (−δ, δ)→ X definiert durch

g(t) := f (x + tv), t ∈ (−δ, δ) ,

stetig differenzierbar auf (−δ, δ), dh. g ∈ C1(−δ, δ), wobei

g′(t) =n∑

i=1

µi

∂ f

∂xi

(x + tv) , t ∈ (−δ, δ) .

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10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 69

Beweis. Sei t ∈ (−δ, δ), setze y = x+ tv, und wahle ρ > 0 so klein, dass2 Uρ·‖v‖∞(y) ⊆ D.

Betrachte die Vektoren

v0 := 0, vi := µ1e1 + . . . + µiei, i = 1, . . . , n .

Offensichtlich gilt vn = v sowie vi = vi−1 +µiei fur i = 1, . . . , n. Da die ganze Kugel mit

Radius ρ · ‖v‖∞ und Mittelpunkt y in D liegt, sind alle Punkte y + svi in D fur |s| < ρ,

und damit auch alle Verbindungsstrecken zwischen ihnen (Kugeln sind konvex, vgl.

Bemerkung 10.1.4).

Nun lasst sich g(t + s) − g(t) fur |s| < ρ als Teleskopsumme

g(t + s) − g(t) = f (y + sv) − f (y) =

n∑

i=1

[f (y + svi) − f (y + svi−1)

]

darstellen. Da τ 7→ ∂ f

∂xi(y + svi−1 + τei) genau die Ableitung von τ 7→ f (y + svi−1 + τei)

ist, stimmt diese Teleskopsumme nach dem Hauptsatz der Differential- und Integral-

rechnung (vgl. (9.16)) uberein mit

n∑

i=1

∫ sµi

0

∂ f

∂xi

(y + svi−1 + τei) dτ .

Wir erhalten

g(t + s) − g(t)

s−

n∑

i=1

µi

∂ f

∂xi

(y) = (10.2)

n∑

i=1

1

s

∫ sµi

0

(∂ f

∂xi

(y + svi−1 + τei) −∂ f

∂xi

(y)

)dτ .

Wegen (9.13) ist die Norm dieses Ausdruckes kleiner oder gleich

n∑

i=1

|µi| supτ∈[−|sµi|,|sµi|]

∥∥∥∥∥∂ f

∂xi

(y + svi−1 + τei) −∂ f

∂xi

(y)

∥∥∥∥∥ .

Wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen in y konvergiert dieser Ausdruck

gegen 0, wenn s→ 0.

Zusammen mit Bemerkung 10.1.2 erhalten wir unmittelbar aus Lemma 10.1.5

10.1.6 Korollar. Fur eine Funktion f : D ⊆ Rn → X mit f ∈ C1(D) existieren alle

Richtungsableitungen∂ f

∂v(x) fur x ∈ D und v ∈ Rn. Fur v = (µ1, . . . , µn)T gilt dabei

∂ f

∂v(x) =

n∑

i=1

µi

∂ f

∂xi

(x) . (10.3)

Insbesondere ist auch x 7→ ∂ f

∂v(x) eine stetige Funktion von D nach X.

2Wir versehen hier praktischerweise Rn mit ‖.‖∞.

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70 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

10.1.7 Bemerkung. Wir haben im Beweis von Lemma 10.1.5 die Stetigkeit der parti-

ellen Ableitungen (in allen Variablen gleichzeitig) benutzt, um zu zeigen, dass (10.2)

gegen Null strebt, wenn s→ 0.

Beachte, dass z.B. die Funktion

f

η

)=

ξη

ξ2+η2 , (ξ, η)T, (0, 0)T

0 , (ξ, η)T = (0, 0)T

aus Beispiel 6.1.11 stets Richtungsableitungen in Richtung der Koordinatenachsen be-

sitzt, die Richtungsableitung in Richtung v = e1 + e2 jedoch bei 0 nicht existiert. Man

kann also in Lemma 10.1.5 die Voraussetzung der Stetigkeit der∂ f

∂xinicht weglassen.

Die Tatsache, dass fur festes x die Richtungsableitung∂ f

∂v(x) in (10.3) linear von v

abhangt, legt folgende Begriffsbildung nahe.

10.1.8 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X stetig partiell differenzierbar, und x ∈ D. Dann

bezeichne d f (x) ∈ L(Rn, X) die lineare Abbildung

µ1

...

µn

7→

n∑

i=1

µi

∂ f

∂xi

(x) .

Sie heißt die Ableitung von f im Punkt x.

Nach Korollar 10.1.6 ist d f (x)v gerade∂ f

∂v(x), also die Richtungsableitung von f in

x in Richtung v. Insbesondere gilt d f (x)ei =∂ f

∂xi(x).

10.1.9 Fakta.

1. Ist D ⊆ R, dh. n = 1, so ist d f (x) gerade jene lineare Abbildung R → X, die 1

auf f ′(x) abbildet.

2. Wir wissen, dass Netze in Rm genau dann konvergieren, wenn sie komponenten-

weise konvergieren. Fur X = Rm (versehen mit zB. ‖.‖∞) ist somit die Tatsache,

dass eine Funktion f : D ⊆ Rn → Rm, f = ( f1, . . . , fm)T , (stetig) partiell diffe-

renzierbar ist, aquivalent dazu, dass jede ihrer Komponenten fk (stetig) partiell

differenzierbar ist.

3. Ist f : D ⊆ Rn → Rm stetig partiell differenzierbar, und x ∈ D, und zerle-

gen wir f (x) in seine Komponenten, f (x) = ( f1(x), . . . , fm(x))T , so hat d f (x) ∈L(Rn,Rm) � Rm×n als Matrix die Darstellung

d f (x) =

(∂ fi

∂x j

(x)

)

i=1,...,mj=1,...,n

.

Ist dabei m = 1, d.h. f ist R-wertig, so nennt man den Vektor d f (x)T auch den

Gradienten und schreibt auch grad f (x) dafur.

4. Ist f : D ⊆ Rn → X eine affine Abbildung, also von der Form x 7→ x0 + Ax mit

x0 ∈ X und einer linearen Abbildung A : Rn → X, so hat man

d f (x)ei = limt→0

x0 + A(x + tei) −(x0 + A(x)

)

t= lim

t→0

A(tei)

t= A(ei) ,

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10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 71

und damit d f (x) = A fur alle x ∈ D. Das ist eine Verallgemeinerung der Tatsache,

dass im eindimensionalen die Ableitung einer linearen Funktion kx + d konstant

gleich der Steigung k ist.

10.1.10 Beispiel. Sei D = R+ × R ⊆ R2 und T : D→ R2 definiert durch

T

(r

t

)=

(r cos t

r sin t

).

Diese Polarkoordinatenfunktion kennen wir schon aus dem ersten Semester; siehe De-

finition 6.8.12 und Bemerkung 6.8.13. Nun gilt offensichtlich

∂T

∂r

(r

t

)=

(cos t

sin t

)und

∂T

∂t

(r

t

)=

(−r sin t

r cos t

).

Also sind ∂T∂r

und ∂T∂t

stetig, und damit T stetig partiell differenzierbar. Die Ableitung

dT((r, t)T

) ∈ L(R2,R2) ist damit

dT

(r

t

)=

(cos t −r sin t

sin t r cos t

), (10.4)

und die Richtungsableitung von T im Punkt (r, t)T in Richtung v = (µ1, µ2)T ist nach

Korollar 10.1.6

∂T

∂v

(r

t

)= dT

(r

t

) (µ1

µ2

)=

(µ1 cos t − µ2 r sin t

µ1 sin t + µ2 r cos t

).

Berechnen wir diese Richtungsableitung gemaß Bemerkung 10.1.2 direkt dadurch,

dass wir g′(0) mit g(s) = T((r, t)T + s(µ1, µ2)T

)bestimmen, so erhalten wir auch

g′(0) =

(dds

((r + sµ1) cos(t + sµ2)

)|s=0dds

((r + sµ1) sin(t + sµ2)

)|s=0

)=

((µ1 cos(t + sµ2) − (r + sµ1)µ2 sin(t + sµ2)

)|s=0(µ1 sin(t + sµ2) + (r + sµ1)µ2 cos(t + sµ2)

)|s=0

)=

(µ1 cos t − µ2 r sin t

µ1 sin t + µ2 r cos t

).

10.1.11 Proposition. Sei f : D ⊆ Rn → X mit f ∈ C1(D).

Versieht man L(Rn, X) mit der Abbildungsnorm (Rn versehen mit ‖.‖∞ und X mit

der darauf gegebenen Norm ‖.‖)3, so ist die Abbildung

d f : D ⊆ Rn → L(Rn, X), x 7→ d f (x)

stetig.

Fur festes x ∈ D gilt

f (x + z) = f (x) + d f (x)z + ‖z‖∞ǫ(z) , (10.5)

wenn x + z ∈ D \ {x}, mit einer Funktion4 ǫ : (D \ {x} − x)→ X, sodass

limz→0 ǫ(z) = 0.

3Versieht man Rn dagegen mit ‖.‖1, ‖.‖2 oder einer anderen aquivalenten Norm, so ist die resultierende

Abbildungsnorm auf L(Rn, X) zwar eine andere aber zur eingangs definierten Abbildungsnorm auf L(Rn, X)

aquivalent.4Man beachte, dass D \ {x} − x eine Menge der Bauart Uδ(0) \ {0} enthalt.

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72 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

Beweis.

Fur x, y ∈ D gilt

‖ d f (x) − d f (y) ‖ = sup‖v‖∞≤1

‖ d f (x)v − d f (y)v ‖ =

sup|µ1 |,...,|µn|≤1

∥∥∥∥∥∥∥∥

n∑

j=1

µ j

(d f (x)e j − d f (y)e j

)∥∥∥∥∥∥∥∥≤

n∑

j=1

∥∥∥∥∥∥∂ f

∂x j

(x) − ∂ f

∂x j

(y)

∥∥∥∥∥∥ .

Wegen der vorausgesetzten Stetigkeit der partiellen Ableitungen folgt

d f (y)→ d f (x) fur y→ x.

Wir setzen (x ∈ D und z , 0, sodass x + z ∈ D)

ǫ(z) :=1

‖z‖∞( f (x + z) − f (x) − d f (x)z ) .

Ist ρ > 0, sodass Uρ(x) = x + Uρ(0) ⊆ D und 0 < ‖z‖ < ρ, so ist ǫ(z) definiert,

und wir haben wegen (10.2) mit t = 0, s = ‖z‖∞, v = (µ1, . . . , µn)T := z‖z‖∞ , wobei

offensichtlich max j=1,...,n |µ j| = ‖v‖∞ = 1,

‖ ǫ(z) ‖ =∥∥∥∥∥∥∥

n∑

i=1

1

s

∫ sµi

0

(∂ f

∂xi

(x + svi−1 + τei) −∂ f

∂xi

(x)

)dτ

∥∥∥∥∥∥∥≤

n∑

i=1

|µi| supτ∈[−|sµi|,|sµi|]

∥∥∥∥∥∂ f

∂xi

(x + svi−1 + τei) −∂ f

∂xi

(x)

∥∥∥∥∥ ≤

n∑

i=1

sup‖y‖∞≤‖z‖∞

∥∥∥∥∥∂ f

∂xi

(x + y) − ∂ f

∂xi

(x)

∥∥∥∥∥ .

Dieser Ausdruck konvergiert wegen der Stetigkeit der partiellen Ableitungen fur

z→ 0 gegen 0.

10.1.12 Bemerkung. Wir sehen also, dass sich f lokal bei x durch die affine Abbildung

x + z 7→ f (x) + d f (x)z approximieren lasst, wobei der Fehler mit ‖z‖∞ǫ(z) verhalt-

nismaßig klein ist.

Ist X = Rm und stellt man sich f (D) als n-dimensionale Flache im Rm vor, so ist

deshalb der affine Teilraum

{ f (x) + d f (x)z : z ∈ Rn}

der Anschauung nach gerade die Tangentialebene an f (D) im Punkt f (x).

Man kann auch umgekehrt starten.

10.1.13 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X und x ∈ D. Gibt es ein d f (x) ∈ L(Rn, X),

sodass (10.5) mit einer X-wertigen Funktion ǫ definiert auf Uρ(0) \ {0} fur ein gewis-

ses ρ > 0, mit x + Uρ(0) ⊆ D, sodass limz→0 ǫ(z) = 0 erfullt ist, so heißt f bei x

differenzierbar.

f heißt stetig differenzierbar, wenn f bei allen x ∈ D differenzierbar und die Ab-

bildung x 7→ d f (x) stetig auf D ist.

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10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 73

Aus (10.5) folgt unmittelbar

10.1.14 Korollar. Ist f : D→ X bei x ∈ D differenzierbar, so ist f dort auch stetig.

10.1.15 Fakta.

1. Wir haben oben gesehen, dass jede stetig partiell differenzierbare Funktion stetig

differenzierbar ist.

2. Ist f bei x differenzierbar, so existieren wegen (0 , v ∈ Rn, s ∈ R, sv ∈ Uρ(0))

f (x + sv) − f (x)

s= d f (x)v + sgn(s) ‖v‖∞ ǫ(sv)

s→0−→ d f (x)v ,

auch alle Richtungsableitungen, insbesondere alle partiellen Ableitungen, wobei∂ f

∂v(x) = d f (x)v.

Man sieht damit auch, dass d f (x) eindeutig durch f bestimmt ist, es also kein

weiteres d f (x) ∈ L(Rn, X) mit d f (x) , d f (x) geben kann, das auch (10.5) erfullt.

3. Ist f stetig differenzierbar, so sind auch die partiellen Ableitungen stetig, da ja

∥∥∥∥∥∂ f

∂xi

(x) − ∂ f

∂xi

(y)

∥∥∥∥∥ = ‖ d f (x)ei − d f (y)ei ‖ ≤ ‖ d f (x) − d f (y) ‖ · ‖ei‖∞ .

Somit folgt aus stetig differenzierbar die Eigenschaft stetig partiell differenzier-

bar.

Wir haben somit folgenden Satz bewiesen.

10.1.16 Satz. Eine Funktion f : D ⊆ Rn → X ist genau dann stetig differenzierbar,

wenn sie stetig partiell differenzierbar ist.

10.1.17 Bemerkung. Wenn X mit einer zweiten, zu ‖.‖ aquivalenten Norm versehen ist,

bleiben die partiellen Ableitungen und die Ableitung unverandert, da fur aquivalente

Normen Netze genau denn bezuglich der einen Norm konvergieren, wenn sie bezuglich

der anderen konvergieren, und in dem Fall auch die Grenzwerte ubereinstimmen.

10.1.18 Proposition. Sei D ⊆ Rn offen. Sind f , g : D → X zwei stetig differenzierbare

Funktionen und λ, µ ∈ R, so ist es auch λ f + µg und es gilt fur alle x ∈ D

d(λ f + µg)(x) = λd( f )(x) + µdg(x) .

Beweis. Der Beweis folgt unmittelbar durch eine entsprechende Linearkombination

der Gleichungen

f (x + z) = f (x) + d f (x)z + ‖z‖∞ǫ(z)

und

g(x + z) = g(x) + dg(x)z + ‖z‖∞ǫ(z) .

Wie im Eindimensionalen lassen sich auch im Mehrdimensionalen viele Funktio-

nen als Zusammensetzung von einfacheren Funktionen schreiben. Zur Berechnung der

Ableitung dient dann folgender Satz, der die bekannte Kettenregel verallgemeinert.

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74 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

10.1.19 Proposition (Kettenregel). Seien f : D ⊆ Rm → X, und g : D ⊆ Rn → Rm

beide stetig differenzierbar, wobei g(D) ⊆ D.

Dann ist auch f ◦ g : D ⊆ Rn → X stetig differenzierbar, und es gilt fur x ∈ D5

d( f ◦ g)(x) = d f(g(x)

)dg(x) ,

wobei die rechte Seite die Hintereinanderausfuhrung von zuerst dg(x) und dann

d f(g(x)

)ist.

Beweis. Laut Voraussetzung haben wir fur a, a + b ∈ D, b , 0 gemaß (10.5)

f (a + b) = f (a) + d f (a)b + ‖b‖∞ǫ(b) ,

und falls x, x + z ∈ D, z , 0

g(x + z) = g(x) + dg(x)z + ‖z‖∞ǫ(z) .

Wegen limb→0 ǫ(b) = 0 und limz→0 ǫ(z) = 0 konnen wir durch ǫ(0) = 0 und ǫ(0) = 0

diese beiden Funktion so fortsetzen, dass sie bei z = 0 bzw. b = 0 stetig sind.

Ist nun a = g(x) und b so, dass a + b = g(x + z), so folgt aus der ersten Gleichung

und durch Einsetzen der zweiten

f(g(x + z)

)=

f(g(x)

)+ d f

(g(x)

) (g(x + z) − g(x)

)+ ‖ g(x + z) − g(x) ‖∞ ǫ

(g(x + z) − g(x)

)=

f(g(x)

)+ d f

(g(x)

) (dg(x)z + ‖z‖∞ ǫ(z)

)+∥∥∥ dg(x)z + ‖z‖∞ǫ(z)

∥∥∥∞ ǫ(g(x + z) − g(x)

)=

f(g(x)

)+ d f

(g(x)

)dg(x) z + ‖z‖∞ γ(z) ,

wobei

γ(z) = d f(g(x)

)(ǫ(z)) + ‖ dg(x)(

1

‖z‖∞z) + ǫ(z) ‖∞ ǫ

(g(x + z) − g(x)

).

Wir haben

‖γ(z)‖ ≤ ‖d f (g(x))‖ · ‖ǫ(z)‖∞ + (‖dg(x)‖ + ‖ǫ(z)‖∞) ‖ǫ(g(x + z) − g(x))‖ .

Wegen ǫ(0) = 0 und der Stetigkeit von ǫ bei 0 folgt aus limz→0

(g(x+z)−g(x)

)= 0, dass

limz→0 ǫ(g(x+ z)− g(x)

)= 0 (vgl. Proposition 6.1.4), und somit auch γ(z)→ 0, z→ 0.

Wir haben also d( f ◦ g)(x) = d f (g(x)) dg(x) gezeigt. Um mit Hilfe von Satz

10.1.16 sicher zu gehen, dass f ◦ g ∈ C1, brauchen wir noch die Stetigkeit von

x 7→ d f (g(x)) dg(x). Diese folgt aber aus Korollar 9.2.9.

5Man beachte, dass wegen dg(x) ∈ L(Rn,Rm) und d f(g(x)

) ∈ L(Rm, X) diese Hintereinanderausfuhrung

linearer Abbildungen Sinn macht.

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10.1. PARTIELLE ABLEITUNGEN 75

10.1.20 Bemerkung. Ist v ∈ Rn, so folgt unmittelbar aus Proposition 10.1.19 zusammen

mit Korollar 10.1.6 und Definition 10.1.8, dass

∂vf ◦ g(x) = d f

(g(x)

) ∂

∂vg(x) ,

wobei rechts die Anwendung der linearen Abbildung d f(g(x)

) ∈ L(Rm, X) auf den

Vektor ∂∂v

g(x) ∈ Rm steht. Man beachte, dass die rechte Seite nicht dasselbe ist wie∂∂v

f(g(x)

) ∂∂v

g(x). Letzterer Ausdruck mach nicht einmal Sinn.

10.1.21 Bemerkung. Hat man n = 1 in Proposition 10.1.19, dh. D ⊆ R, so gilt dg(t) =

g′(t), wenn man g′(t) mit der linearen Abbildung ξ 7→ ξ ·g′(t) aus L(R,Rm) identifiziert,

siehe Fakta 10.1.9, 1. Entsprechendes gilt fur ( f ◦ g)′(t). Also liest sich die Kettenregel

in dem Fall als

( f ◦ g)′(t) = d f(g(t)

)g′(t), t ∈ D , (10.6)

wobei rechts die Anwendung der linearen Abbildung d f(g(t)

)auf den Vektor g′(t)

steht.

10.1.22 Bemerkung (*). Wir nehmen im Fall n = 1 nun sogar an, dass g ∈ C1(I) fur

irgendein, nicht notwendigerweise offenes Intervall I ⊆ R mit g(I) ⊆ D. Dann gilt

(10.6) sogar fur in I enthaltene Randpunkte t von I.

Dazu setze man g auf ein etwas großeres Intervall J := I ∪ (t − ǫ, t + ǫ) durch

g(s) := (s − t)g′(t) + g(t) fur s ∈ J \ I fort. Man uberpruft unmittelbar, dass g ∈ C1(J),

und dass fur eine hinreichend kleine Wahl von ǫ > 0 auch g(J) ⊆ D. Die Kettenregel

angewandt auf g|(t−ǫ,t+ǫ) ergibt dann (10.6).

10.1.23 Beispiel. Als Beispiel wollen wir sogenannte Parameterintegrale betrachten.

Sei h : (a, b) × (c, d) → R stetig und so, dass die Ableitung nach der ersten Variablen

fur alle (s, t) ∈ (a, b) × (c, d) existiert, und dass

h1(s, t) =∂

∂sh(s, t) ,

ebenfalls stetig ist. Weiters seien α, β : (a, b) → (c, d) zwei stetig differenzierbare

Funktionen. Wir wollen die Ableitung der Funktion

I(s) :=

∫ β(s)

α(s)

h(s, t) dt

berechnen. Dazu wenden wir die eben gewonnene Kettenregel auf

f : (c, d) × (c, d) × (a, b) ⊆ R3 → R, (ξ, η, ζ)T 7→∫ η

ξ

h(ζ, t) dt

und

g : (a, b) ⊆ R→ R3, s 7→ (α(s), β(s), s)T

an. Die partiellen Ableitungen von f sind nach dem Hauptsatz und nach Korollar 8.7.12

stetig, und die Matrixdarstellung von d f (x) ist (x = (ξ, η, ζ)T )

d f (x) =(∂ f

∂ξ(x),

∂ f

∂η(x),

∂ f

∂ζ(x)

)= (−h(ζ, ξ), h(ζ, η),

∫ η

ξ

∂h

∂ζ(ζ, t) dt) .

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76 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

Auch dg(s) = (α′(s), β′(s), 1)T ist stetig, und die Kettenregel ergibt

(I′(s)

)= d( f ◦ g)(s) = d f (g(s))dg(s) =

(−h(s, α(s)) h(s, β(s))

∫ β(s)

α(s)

∂h∂s

(s, t) dt

)α′(s)

β′(s)

1

=

(h(s, β(s))β′(s) − h(s, α(s))α′(s) +

∫ β(s)

α(s)

∂h

∂s(s, t) dt

).

Siehe Fakta 10.1.9, 1.

10.1.24 Lemma. Sei D ⊆ Rn offen und f : D → X stetig differenzierbar. Sind mit x, y

auch alle Punkte auf ihrer Verbindungsgeraden in D, also tx + (1 − t)y ∈ D, t ∈ [0, 1],

so folgt

‖ f (x) − f (y)‖ ≤ maxt∈[0,1]

‖ d f(tx + (1 − t)y

) ‖ · ‖x − y‖∞ .

Beweis. Wegen der Stetigkeit von t 7→ tx + (1 − t)y ist das Bild der kompakten Men-

ge [0, 1] ebenfalls kompakt. Somit hat die stetige Funktion z 7→ ‖d f (z)‖ darauf ein

Maximum.

Die Funktion g(t) := f(x + t(y − x)

)ist nach Lemma 10.1.5 stetig differenzierbar

mit g′(t) = d f(x + t(y − x)

)(y − x). Nach dem Hauptsatz (9.16) gilt

‖ f (y) − f (x)‖ = ‖g(1) − g(0)‖ =∥∥∥∥∥∥

∫ 1

0

d f(x + t(y − x)

)(y − x) dt

∥∥∥∥∥∥ ≤

supt∈[0,1]

‖ d f(x + t(y − x)

)(y − x) ‖ ≤ max

t∈[0,1]‖ d f

(x + t(y − x)

) ‖ · ‖y − x‖∞ .

Aus Lemma 10.1.24 folgt unmittelbar

10.1.25 Korollar. Gilt mit der Notation aus Lemma 10.1.24 die Ungleichung

‖d f (x)‖ ≤ C fur alle x ∈ M, wobei M ⊆ D konvex ist, so gilt

‖ f (x) − f (y)‖ ≤ C‖x − y‖∞, x, y ∈ M .

Insbesondere ist dann f auf M gleichmaßig stetig.

10.1.26 Bemerkung. Man kann auch Funktionen f : D → X betrachten, wo D offene

Teilmenge eines allgemeinen Banachraumes Y ist, und sich fragen, ob und in welcher

Hinsicht f differenzierbar ist.

Es stellt sich heraus, dass der Zugang aus Definition 10.1.13 der zweckmaßigste

ist. Man spricht dann von der sogenannten Frechet-Differenzierbarkeit. Mit fast den

selben Beweisen wie hier angegeben bleiben alle Behauptungen ab Definition 10.1.13

bis zum Ende dieses Abschnitt richtig.

Eine Ausnahme stellt Satz 10.1.16 dar. Es gilt nur, dass aus der Differenzierbarkeit

folgt, dass alle Richtungsableitungen existieren. Die Umkehrung gilt nicht, da es in

dieser allgemeinen Situation kein Analogon zu Lemma 10.1.5 gibt.

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10.2. HOHERE ABLEITUNGEN 77

10.2 Hohere Ableitungen

Sei f definiert auf einer offenen Menge D ⊆ Rn mit Werten in einem Banachraum X

– man stelle sich fur X z.B. wieder R vor –, und existiere fur alle x ∈ D die partielle

Ableitung∂ f

∂xi(x). Dann ist

∂ f

∂xiselbst eine Funktion

∂ f

∂xi

: D → X .

Also macht es Sinn, von der Differenzierbarkeit dieser Funktion zu sprechen. Existiert

an einer Stelle x ∈ X die Ableitung

∂x j

(∂ f

∂xi

)(x) ,

so spricht man von einer zweiten Ableitung von f oder von der Ableitung zweiter

Ordnung und schreibt kurzer∂2 f

∂x j∂xi, d.h. f wird zuerst nach xi differenziert und dann

nach x j. Hohere partielle Ableitungen definiert man induktiv fortfahrend:

Ist schon definiert, was partielle Ableitungen k-ter Ordnung sind, und ist

(i1, i2, . . . , ik+1) ein (k + 1)-Tupel von Indizes il ∈ {1, . . . , n}, so setzt man

∂k+1 f

∂xik+1∂xik · · · ∂xi1

(x) :=∂

∂xik+1

(∂k f

∂xik · · · ∂xi1

)(x) ,

falls diese Ableitungen existieren und sprechen von Ableitungen (k + 1)-ter Ordnung.

10.2.1 Definition. Sei f : D ⊆ Rn → X definiert auf der offenen Menge D und sei

k ∈ N. Wir sagen, f ist k-mal stetig differenzierbar auf D, und schreiben f ∈ Ck oder

f ∈ Ck(D), falls alle partiellen Ableitungen k-ter Ordnung von f auf ganz D existieren

und stetig sind.

Falls f ∈ Ck(D) fur alle k ∈ N, so schreibt man f ∈ C∞ oder f ∈ C∞(D) fur diesen

Sachverhalt.

10.2.2 Bemerkung. Bezeichnet man mit C(D) die Menge aller stetigen Funktionen auf

D, dann gilt

C(D) ⊇ C1(D) ⊇ . . . ⊇ Ck(D) ⊇ Ck+1(D) ⊇ . . . .Die erste Inklusion gilt wegen Korollar 10.1.14. Zu den anderen Inklusionen:

Ist f ∈ Ck+1(D), dann existieren alle partiellen Ableitungen (k + 1)-ter Ordnung.

Nach der induktiven Definition der (k+ 1)-ten partiellen Ableitungen mussen auch alle

partiellen Ableitungen k-ter Ordnung existieren. Sei g =∂k f

∂xik···∂xi1

eine solche. Dann

existieren alle partiellen Ableitungen von g und sind stetig, d.h. g ∈ C1. Wegen C1(D) ⊆C(D) folgt, dass g selbst stetig ist; vgl. Korollar 10.1.14. Also gilt f ∈ Ck(D).

10.2.3 Satz (Satz von Schwarz). Sei f ∈ C2(D), D ⊆ Rn, und seien i, j ∈ {1, . . . , n},sodass

∂2 f

∂xi∂x jund

∂2 f

∂x j∂x jauf ganz D existieren und stetig sind. Dann gilt

∂2 f

∂xi∂x j

=∂2 f

∂x j∂xi

.

Allgemeiner gilt fur f ∈ Ck(D), dass es bei der Bildung einer partiellen Ableitung

hochstens k-ter Ordnung nicht darauf ankommt, in welcher Reihenfolge differenziert

wird.

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78 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

Beweis. Sei x ∈ D und δ > 0, so dass Uδ(x) ⊆ D, wobei wirRn mit ‖.‖∞ versehen. Nach

dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung (siehe (9.16)) gilt fur |ξ|, |η| < δ

f (x + ξei + ηe j) − f (x + ηe j) =

∫ ξ

0

∂ f

∂xi

(x + ζei + ηe j) dζ .

Die Ableitung des Integranden nach η ist gerade∂2 f

∂x j∂xi(x+ζei+ηe j), und daher stetig in

ζ und η. Somit konnen wir (9.19) – siehe auch Korollar 8.7.12 – anwenden und erhalten

bei der Ableitung obiger Gleichung nach η

∂ f

∂x j

(x + ξei + ηe j) −∂ f

∂x j

(x + ηe j) =

∫ ξ

0

∂2 f

∂x j∂xi

(x + ζei + ηe j) dζ .

Leiten wir nun nach ξ ab, so folgt mit dem Hauptsatz

∂2 f

∂xi∂x j

(x + ξei + ηe j) =∂2 f

∂x j∂xi

(x + ξei + ηe j) .

Die Behauptung fur Funktionen f ∈ Ck(D) folgt aus dem Bewiesenen leicht durch

vollstandiger Induktion, wenn man sich vor Augen halt, dass sich jede Permutation als

Hintereinanderausfuhrung von Transpositionen schreiben lasst.

10.2.4 Bemerkung. Ist (i1, i2, . . . , ik) ∈ {1, . . . , n}k ein k-Tupel, und bezeichnet α j (∈N ∪ {0}) fur j = 1, . . . , n die Anzahl der m ∈ {1, . . . , k} mit im = j, so gilt fur ein

f ∈ Ck(D) wegen Satz 10.2.3

∂k f

∂xik · · · ∂xi1

(x) =∂k f

∂xα1

1· · · ∂x

αnn

(x) , (10.7)

wobei ∂xα j

jfur α j mal nach x j abgeleitet steht. Offenbar gilt k = α1 + · · · + αn.

Man uberzeugt sich z.B. durch eine Induktion nach n davon, dass es dabei genau

k!

α1! · · · · · αn!

viele k-Tupel (i1, i2, . . . , ik) gibt, die im obigen Sinne dasselbe n-Tupel (α1, . . . , αn) ∈(N ∪ {0})n erzeugen. Fur den Ausdruck in (10.7) schreibt man auch

D(α1 ,...,αn) f (x) .

Die n-Tupelen (α1, . . . , αn) ∈ (N ∪ {0})n nennt man auch Multiindizes.

10.2.5 Beispiel. Wir betrachten abermals die Funktion T : D → R2 definiert durch

T

(r

t

)=

(r cos t

r sin t

).

mit D = R+ × R ⊆ R2. Um die hoheren Ableitungen dieser speziellen Funktion zu

studieren, bietet es sich an, die Bildmenge R2 als C zu betrachten, da man dann

T

(r

t

)= r · exp(it)

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10.2. HOHERE ABLEITUNGEN 79

schreiben kann. Die hoheren partiellen Ableitungen sind dann

∂l

∂tlT

(r

t

)= r · il exp(it) = r · exp

(i(t + l

π

2))�

r cos

(t + l π

2

)

r sin(t + l π

2

) ,

∂1+l

∂r ∂tlT

(r

t

)= il exp(it) �

cos

(t + l π

2

)

sin(t + l π

2

) ,

und∂k+l

∂rk ∂tlT

(r

t

)= 0, k ≥ 2 .

Fur f ∈ C1(D) haben wir die Ableitung d f : D → L(Rn, X) so definiert, dass

d f (x)v genau die Richtungsableitung von f in Richtung v ist. Siehe Lemma 10.1.5.

Ist nun f ∈ Ck(D) und sind v1 = (µ1,1 . . . , µ1,n)T , . . . , vk = (µk,1 . . . , µk,n)T Rich-

tungsvektoren, so erhalt man mit Lemma 10.1.5

∂ f

∂v1

(x) =

n∑

l=1

µ1,l

∂ f

∂xl

(x) .

Wendet man Lemma 10.1.5 nochmals an, so folgt

∂v2

∂v1

f (x) =

n∑

l=1

µ1,l

∂v2

∂ f

∂xl

(x) =

n∑

l1=1

µ1,l1

n∑

l2=1

µ2,l2

∂2 f

∂xl1∂xl2

(x) .

Macht man das nun insgesamt k-mal, so sieht man, dass die k-malige Hintereinander-

ausfuhrung der Richtungsableitungen nach v1 bis vk existiert und mit

∂vk

. . .∂

∂v1

f (x) =

n∑

l1,...,lk=1

µ1,l1 · · · · · µk,lk

∂k f

∂xl1 . . . ∂xlk

(x) (10.8)

ubereinstimmt.

10.2.6 Definition. Fur eine mindestens k-mal stetig differenzierbare Funktion f : D→X mit einem offenen D ⊆ Rn und einem Banachraum X und fur x ∈ D sowie v1, . . . , vk ∈Rn bezeichnen wir mit dk f (x)(v1, . . . , vk) den Ausdruck in (10.8).

10.2.7 Fakta.

1. Im Falle k = 1 stimmt dieser gerade mit der Ableitung d f (x)v1 uberein.

2. Fur allgemeines k ∈ N ist dk f (x)(v1, . . . , vk) linear in jedem Argument, d.h.

dk f (x)(v1, . . . , αvl + βv′l , . . . , vk) =

αdk f (x)(v1, . . . , vl, . . . , vk) + βdk f (x)(v1, . . . , v′l , . . . , vk) .

Außerdem ist dk f (x)(v1, . . . , vk) symmetrisch in v1, . . . , vk, hangt daher nicht von

der Reihenfolge der Richtungsvektoren ab. Das folgt unmittelbar aus Satz 10.2.3

und (10.8).

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80 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

3. Somit ist dk f (x) : Rk×n → X eine symmetrische, multilineare Abbildung, sodass

dk f (x)(v1, . . . , vk) gerade ∂∂vk

. . . ∂∂v1

f (x) ist. Wir nennen sie die k-te Ableitung

von f an der Stelle x.

4. Im Fall n = 1, also D ⊆ R, gilt dk f (x)(v1, . . . , vk) = v1 · · · · · vk f (k)(x).

5. Fur einen spateren Gebrauch stellen wir noch heraus, dass wenn y, v ∈ Rn mit

y + tv ∈ D, t ∈ [0, 1], die k-te Ableitung der Funktion6

φ(t) = f (y + tv), t ∈ [0, 1] ,

nichts anderes als ∂∂v. . . ∂

∂vf (y + tv) = dk f (y + tv)(v, . . . , v) ist. Ordnen wir fur

v = v1 = · · · = vk die Ableitungen ∂xl in (10.8) nach aufsteigendem l wie in

(10.7), so erhalten wir mit v = (µ1, . . . , µn)T

φ(k)(t) = dk f (y + tv)(v, . . . , v) =

(α1,...,αn)∈(N∪{0})n

α1+···+αn=k

µα1

1· · · · · µαn

n

k!

α1! · · · · · αn!

∂k f

∂xα1

1· · ·∂x

αnn

(y + tv) . (10.9)

10.2.8 Beispiel. Wir betrachten die Funktion T aus Beispiel 10.2.5. Die lineare Abbil-

dung dT((r, t)T

)haben wir in (10.4) berechnet.

Fur m ∈ N, m ≥ 2 folgt aus Beispiel 10.2.5 mit x1 = r, x2 = t, µ j,1 = ρ j, µ j,2 = τ j

dmT

(r

t

) ((ρ1

τ1

), . . . ,

(ρm

τm

))=

2∑

l1,...,lm=1

µ1,l1 · · · · · µm,lm

∂mT

∂xl1 . . . ∂xlk

(r

t

)=

(ρ1τ2 . . . τm + · · · + τ1 . . . τm−1ρm)∂m

∂r ∂tm−1T

(r

t

)+ τ1 · · · · · τm

∂m

∂tmT

(r

t

)=

(ρ1τ2 . . . τm + · · · + τ1 . . . τm−1ρm)

cos

(t + (m − 1) π

2

)

sin(t + (m − 1) π

2

) + τ1 · · · · · τm

r cos

(t + m π

2

)

r sin(t + m π

2

) .

Man erkennt unmittelbar aus (10.4), dass diese Beziehung auch fur m = 1 richtig ist.

Wir konnen nun die mehrdimensionale Taylorsche Formel herleiten.

10.2.9 Satz (Taylorsche Formel). Sei f : D (⊆ Rn) → X und q ∈ N, sodass f ∈Cq+1(D). Weiters sei y ∈ D fest und x ∈ D so, dass die gesamte Strecke von y bis x in D

liegt7. Dann gilt

f (x) = f (y) +

q∑

l=1

1

l!dl f (y)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

l−mal

) + Rq(x) ,

wobei sich das Restglied Rq schreiben lasst als

Rq(x) =1

q!

1∫

0

(1 − t)q · dq+1 f((1 − t)y + tx

)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

(q+1)−mal

) dt . (10.10)

6An den Randpunkten ist die Ableitung einseitig zu verstehen.7Das stimmt immer, wenn D konvex ist.

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10.2. HOHERE ABLEITUNGEN 81

Beweis. Wir entwickeln die Funktion (h = x − y)

φ(t) = f (y + th), t ∈ [0, 1]

nach Taylor, wie in (9.20). Also gilt

φ(1) = φ(0) +

q∑

l=1

φ(l)(0)

l!+

1∫

0

(1 − t)q

q!φ(q+1)(t) dt .

Aus (10.9) wissen wir, dass φ(l)(t) = dl f (y + th)(h, . . . , h), woraus unmittelbar die

behauptete Entwicklung folgt.

10.2.10 Bemerkung. Den Ausdruck

pq(x) = f (y) +

q∑

l=1

1

l!dl f (y)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

l−mal

)

nennt man das q-te mehrdimensionale Taylorsche Polynom der Funktion f an der An-

schlussstelle y. Mit (10.9) folgt die Darstellung

pq(x) =∑

(α1,...,αn)∈(N∪{0})n

α1+···+αn≤q

1

α1! · · · · · αn!(x1 − y1)α1 · · · · · (xn − yn)αn

∂α1+···+αn f

∂xα1

1· · · ∂x

αnn

(y) ,

wenn wir fur α1 + · · · + αn = 0 den entsprechenden Summanden als f (y) interpretie-

ren. Wir sehen insbesondere, dass pq(x) tatsachlich ein Polynom in den n Variablen

x1, . . . , xn mit Werten in X vom Grad ≤ q ist; vgl. Beispiel 10.2.11.

10.2.11 Beispiel. Setzen wir fur α ∈ (N ∪ {0})n und x = (x1, . . . , xn)T ∈ Rn

|α| = α1 + · · · + αn, α! = α1! · · · · · αn!, xα = xα1

1· · · · · xαn

n ,

und sind cα fur |α| ≤ m Koeffizienten aus einem Banachraum X, so heißt die Funktion

f : Rn → X

f (x) =∑

α∈(N∪{0})n

|α|≤m

xα cα

Polynom in den Variablen x1, . . . , xn vom Grad ≤ m mit Werten in X.

Durch Ausmultiplizieren erkennt man leicht, dass fur jedes feste y ∈ Rn mit f auch

x 7→ f (x − y) ein Polynom vom Grad ≤ m ist.

Ebenfalls unschwer uberpruft man, dass fur α, β ∈ (N ∪ {0})n mit β ≤ α, dh. β1 ≤α1, . . . , βn ≤ αn, 8

∂|β|(x 7→ xα)

∂xβ(y) =

α!

(α − β)!yα−β , (10.11)

gilt, wobei α − β ∈ (N ∪ {0})n komponentenweise berechnet wird. Falls β j > α j fur

mindestens ein j ∈ {1, . . . , n}, so gilt∂|β|(x 7→xα)

∂xβ≡ 0.

8Hier und im Rest des Beispiels ist∂|β| f∂xβ

eine Kurzschreibweise fur∂β1+···+βn f

∂xβ11···∂x

βnn

.

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82 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

Wenden wir fur ein festes y ∈ Rn Satz 10.2.9 auf ein Polynom f vom Grad ≤ m und

q ≥ m an, so folgt

f (x) =∑

α∈(N∪{0})n

|α|≤m

(x − y)α1

α!

∂|α| f

∂xα(y) ,

da∂|α| f∂xα= 0 fur |α| > m und damit insbesondere wegen

dq+1 f((1− t)y+ tx

)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

(q+1)−mal

) =∑

α∈(N∪{0})n

|α|=q+1

(x−y)α(q + 1)!

α!

∂q+1 f

∂xα((1− t)y+ tx) = 0

auch das Restglied verschwindet.

Fur y = 0 folgt aus (10.11), dass cα =1α!

∂|α| f∂xα

(0), womit die Koeffizienten cα ein-

deutig durch die Funktionswerte von f auf jeder beliebig kleinen offenen Kugel um die

Null bestimmt sind.

10.2.12 Proposition. Mit der Notation aus Satz 10.2.9 gilt:

(i) Ist C ≥ 0 so, dass sich die partiellen Ableitungen q + 1-ter Ordnung abschatzen

lassen durch ∥∥∥∥∂q+1 f

∂xl1 · · ·∂xlq+1

(u)∥∥∥∥ ≤ C , (10.12)

fur alle l1, . . . , lq+1 ∈ {1, . . . , n} und u auf der Strecke von y bis x, dann gilt

‖Rq(x)‖ ≤ Cnq+1

(q + 1)!‖x − y‖q+1

∞ .

(ii) Ist D konvex und f sogar in C∞(D) und gilt (10.12) fur alle q und alle u ∈ D, so

konvergiert die Reihe

f (y) +

∞∑

l=1

1

l!dl f (y)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

l−mal

)

(gleichmaßig auf beschrankten Teilmengen von D) gegen f (x).

Beweis.

(i) Aus (10.12) folgt wegen (10.8) fur u = (1 − t)y + tx und h = (h1, . . . , hn)T ∈ Rn

‖ dq+1 f (u)(h, . . . , h) ‖ ≤n∑

l1,...,lq+1=1

|hl1 | . . . |hlq+1| ·

∥∥∥∥∥∥∂q+1 f

∂xl1 . . . ∂xlq+1

(u)

∥∥∥∥∥∥ ≤ Cnq+1‖h‖q+1∞ .

Fur h = x − y folgt daraus mit (10.10)

‖Rq(x)‖ ≤ 1

q!

1∫

0

(1 − t)q · ‖d f q+1((1 − t)y + tx)(x − y, . . . , x − y)‖ dt ≤

Cnq+1

q!‖h‖q+1∞

1∫

0

(1 − t)q dt = Cnq+1

(q + 1)!‖h‖q+1∞ .

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10.3. EXTREMWERTE 83

(ii) Bei fest gewahltem y konvergiert nq+1

(q+1)!‖x − y‖q+1 und damit Rq(x) fur jedes x

gegen 0. In der Tat geht diese Konvergenz fur x in beschrankten Teilmengen von

D gleichmaßig von statten.

10.2.13 Beispiel. Sei T : D→ R2 wie in Beispiel 10.2.5, wobei aber jetzt D : (0, α)×Rfur irgend ein festes α ∈ R+, α > 1. Wendet man Satz 10.2.9 fur den Punkt y = (r, t)T =

(1, 0) an, so erhalten wir mit x − y = (ρ, τ)T aus Beispiel 10.2.8

T (x) = T (y) +

q∑

l=1

1

l!dlT (y)(x − y, . . . , x − y︸ ︷︷ ︸

l−mal

) + Rq(x) =

=

(1

0

)+

q∑

l=1

1

l!

(lρτl−1

(cos(l − 1) π

2

sin(l − 1) π2

)+ τl

(cos l π

2

sin l π2

))+ Rq(x) . (10.13)

In Beispiel 10.2.5 haben wir insbesondere gesehen, dass (10.12) fur C = α und ‖.‖ =‖.‖∞ erfullt ist. Also konvergiert die entsprechende Reihe in (10.13) gegen T (x).

10.3 Extremwerte

Wir haben im ersten Semester in Definition 7.2.1 definiert, was es bedeutet, dass eine

reellwertige Funktion f : D → R – D ist Teilmenge eines metrischen Raumes – in

einem Punkt x ∈ D ein lokales Maximum (lokales Minimum) hat:

∃δ > 0 : ∀t ∈ Uδ(x) : f (t) ≤ (≥) f (x) .

Ist D offene Teilmenge von R, und ist f differenzierbar in einem lokalen Maximum

(Minimum) x, so haben wir in Satz 7.2.2 gesehen, dass dann f ′(x) = 0. Wir wollen

diese Tatsache nun fur auf D ⊆ Rn definierte Funktionen herleiten.

10.3.1 Satz. Sei x ein lokales Extremum, d.h. Maximum oder Minimum, von

f : D ⊆ Rn → R. Falls fur v ∈ Rn die Richtungsableitung

∂ f

∂v(x) = lim

t→0

f (x + tv) − f (x)

t,

bei x existiert, so ist diese gleich Null. Fur f ∈ C1 folgt d f (x) = 0.

Beweis. Sei v ∈ Rn ein beliebiger Vektor. Betrachte die Funktion φ(t) = f (x + tv). Da

D offen ist, ist φ in einer Umgebung von 0 definiert, und wegen unserer Voraussetzung

ist auch φ bei 0 differenzierbar und hat die Ableitung φ′(0) =∂ f

∂v(x). Da x ein relatives

Extremum von f ist, hat auch φ ein relatives Extremum bei 0. Somit gilt φ′(0) = 0.

Fur f ∈ C1 ist d f (x) derart definiert, dass d f (x)v =∂ f

∂v(x) fur alle v ∈ Rn. Es folgt

also d f (x) = 0.

Fur f ∈ C1(D) ist also d f (x) = 0 eine notwendige Bedingung fur ein Extremum.

Punkte mit d f (x) = 0 heißen stationare Punkte. Wie im eindimensionalen ist d f (x) = 0

aber nicht hinreichend. Um dieses Problem genauer studieren zu konnen, wollen wir

folgende Sprechweise einfuhren.

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84 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

10.3.2 Definition. Sei D ⊆ Rn offen und liege f : D → R in Ck(D). Fur gerades k heißt

die k-te Ableitung dk f (x) : Rk×n → R von f im Punkt x positiv definit bzw. positiv

semidefinit, wenn dk f (x)(h, . . . , h) > 0 bzw. dk f (x)(h, . . . , h) ≥ 0 fur alle 0 , h ∈ Rn.

Entsprechend definiert man negativ definit bzw. negativ semidefinit.

10.3.3 Bemerkung. Ist n = 1, d.h. f : D ⊆ R → R, so gilt ja dk f (x)(h, . . . , h) =

hk · f (k)(x), und man sieht, dass dk f (x) genau dann positiv definit (semidefinit) ist, wenn

f (k)(x) > (≥) 0. Entsprechendes gilt fur den negativ definiten (semidefiniten) Fall.

10.3.4 Bemerkung. Der fur die meisten Anwendungen relevante Fall ist k = 2. Hier

lassen sich die Definitheitseigenschaften von d2 f (x) mit Mitteln der Linearen Algebra

betrachten. In diesem Fall ist d2 f (x) : R2×n → R eine symmetrische Bilinearform:

d2 f (x)(u, v) =

n∑

l1,l2=1

ul1 vl2

∂2 f

∂xl1∂xl2

(x) =

(u1 . . . un

)

∂2 f

∂x1∂x1(x) . . .

∂2 f

∂x1∂xn(x)

......

∂2 f

∂xn∂x1(x) . . .

∂2 f

∂xn∂xn(x)

v1

...

vn

.

Diese symmetrische n × n-Matrix H f (x) =∂2 f

∂xi∂x j(x) heißt auch Hesse-Matrix.

Aus der Linearen Algebra ist bekannt, dass die Bilinearform positiv definit (se-

midefinit) ist, wenn alle Eigenwerte λ1, . . . , λn – diese sind nicht notwendigerweise

paarweise verschieden – von H f (x) großer (großer gleich) Null sind. Entsprechendes

gilt fur den negativen Fall.

Weiters ist diese Bilinearform positiv definit genau dann, wenn alle Hauptminoren9

von H f (x) großer Null sind. Entsprechend ist sie genau dann negativ definit, wenn die

Hauptminoren nicht verschwinden und abwechselndes Vorzeichen beginnend mit −haben.

Fur den Beweis des folgenden Satzes benotigen wir ein Lemma.

10.3.5 Lemma. Fur k, n ∈ N sei ω : Rk×n → R eine symmetrische, multilineare

Abbildung. Gilt ω(v, . . . , v) = 0 fur alle v ∈ Rn, so verschwindet ω(v1, . . . , vk) fur alle

v1, . . . , vk ∈ Rn.

Beweis. Fur k = 1 ist nichts zu beweisen. Fur großere k’s zeigen wir die Aussage durch

vollstandige Induktion nach k. Ist k = 2, so gilt fur beliebige v,w ∈ Rn

0 = ω(v + w, v + w) = ω(v, v) + ω(v,w) + ω(w, v) + ω(w,w) = ω(v,w) + ω(w, v) .

Also gilt ω(v,w) = −ω(w, v) und wegen der Symmetrie auch ω(v,w) = ω(w, v) und

damit ω(v,w) = 0.

Ist k > 2, so seien wieder v,w ∈ Rn beliebig. Weiters sei λ ∈ R. Nun gilt wegen der

Symmetrie

ω(v + λw, . . . , v + λw) =

9Hauptminoren einer quadratischen Matrix (µi j)i, j=1,...,n sind die Determinanten aller Untermatrizen

(µi j)i, j=1,...,k fur k = 1, . . . , n.

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10.3. EXTREMWERTE 85

ω(v, . . . , v) +

k−1∑

j=1

λ j

(k

j

)ω(v, . . . , v︸ ︷︷ ︸

j−mal

,w, . . . ,w︸ ︷︷ ︸(k− j)−mal

) + λkω(w, . . . ,w) .

Fur feste v,w ∈ Rn und variablem λ steht links immer Null und rechts ein Polynom

in λ, dessen Koeffizienten somit alle verschwinden mussen. Fur j = k − 1 gilt daher

insbesondere

ω(v, . . . , v︸ ︷︷ ︸(k−1)−mal

,w) = 0 ,

und zwar fur alle v,w ∈ Rn. Somit erfullt fur festes w ∈ Rn die offensichtlich symme-

trische und multilineare Abbildung

(v1, . . . , vk−1) 7→ ω(v1, . . . , vk−1,w)

die Voraussetzungen unseres Lemmas fur k − 1 anstatt fur k. Nach Induktionsvoraus-

setzung verschwindet diese multilineare Abbildung fur alle v1, . . . , vk−1 ∈ Rn. Da w

zwar fest, aber beliebig war, verschwindet auch ω.

10.3.6 Satz. Fur ein offenes D ⊆ Rn sei f : D → R, f ∈ Cr(D) mit r ∈ N, und sei

x ∈ D mit d f (x) = 0, . . . , dq−1 f (x) = 0, dq f (x) , 0, wobei q ≤ r. Dann gilt

(i) Hat f ein lokales Maximum bei x, so ist q gerade und dq f (x) ist negativ semide-

finit.

(ii) Ist q gerade und dq f (x) negativ definit, so hat f ein lokales Maximum bei x.

(iii) Hat f ein lokales Minimum bei x, so ist q gerade und dq f (x) ist positiv semidefinit.

(iv) Ist q gerade und dq f (x) positiv definit, so hat f ein lokales Minimum bei x.

Beweis.

(i) Sei x ein relatives Maximum von f . Dann existiert ein δ > 0, sodass

f (y) ≤ f (x) fur alle y ∈ Uδ(x) .

Fur ein v ∈ Rn \ {0} definieren wir φv(t) = f (x + tv), |t| < δ‖v‖ , und sehen wie in

Satz 10.3.1, dass φv bei Null ein lokales Maximum hat. Außerdem ist φ(k)v (0) =

d f k(x)(v, . . . , v), k = 1, . . . , q. Also φ′v(0) = · · · = φ(q−1)v (0) = 0.

Nach Voraussetzung ist dq f (x) , 0, und wegen Lemma 10.3.5 muss

dq f (x)(v, . . . , v) , 0 in zumindest eine Richtung v. Also folgt φ(q)v (0) , 0. Ware

q ungerade, so ware nach Korollar 7.4.7 die Zahl 0 aber kein lokales Extremum

von φv.

Damit ist q gerade. Ware nun dq f (x) nicht negativ semidefinit, d.h. φ(q)v (0) =

dq f (x)(v, . . . , v) > 0 in zumindest eine Richtung v, so folgt wieder aus Korollar

7.4.7, dass 0 ein lokales Minimum von φv ist. Somit ist 0 lokales Minimum und

lokales Maximum. Also muss φv auf einem hinreichend kleinen Intervall um 0

konstant sein, was aber φ(q)v (0) = 0 implizieren wurde.

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86 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

(ii) Sei q gerade und dq f (x) negativ definit. Nun gibt es ein δ > 0, sodass dq f (w)

ebenfalls negativ definit ist fur alle w ∈ Uδ(x).

Um das einzusehen, nehme man das Gegenteil an. Dann gibt es zu jedem m ∈ Nein xm, ‖xm − x‖∞ < 1

m, sodass dq f (xm) nicht negativ definit ist. Es gibt daher ein

0 , hm ∈ Rn mit dq f (xm)(hm, . . . , hm) ≥ 0. Wegen

dq f (xm)( hm

‖hm‖∞, . . . ,

hm

‖hm‖∞)=

1

‖hm‖q∞dq f (xm)(hm, . . . , hm) ≥ 0

konnen wir annehmen, dass die hm immer ‖hm‖∞ = 1 erfullen – also in der

abgeschlossenen und beschrankten Teilmenge

K1(0) \ U1(0) = {h : ‖h‖∞ = 1} ⊆ Rn

liegen. Da diese Menge nach Korollar 5.2.9 kompakt ist, gilt hm( j) → h, j → ∞,

fur eine Teilfolge und fur ein h ∈ K1(0) \ U1(0).

Somit konvergieren die Komponenten von hm( j) gegen die entsprechenden

Komponenten von h und alle partiellen Ableitungen∂k f

∂xl1...∂xlk

(xm( j)) gegen

∂k f

∂xl1...∂xlk

(x). Wegen (10.8) konvergiert dann auch dq f (xm( j))(hm( j), . . . , hm( j)) ge-

gen dq f (x)(h, . . . , h), und wir erhielten dq f (x)(h, . . . , h) ≥ 0 im Widerspruch zur

Voraussetzung.

Nach Satz 10.2.9 hat man fur w ∈ Uδ(x)

f (w) = f (x) +

q−1∑

l=1

1

l!d f l(x)(w − x, . . . ,w − x︸ ︷︷ ︸

l−mal

) + Rq−1(w) = f (x) + Rq−1(w) ,

Rq−1(w) =1

(q − 1)!

1∫

0

d f q((1 − t)x + tw)(w − x, . . . ,w − x︸ ︷︷ ︸q−mal

)(1 − t)q−1 dt .

Wegen der Wahl von δ ist der Integrand aber < 0. Also gilt f (w) = f (x)+Rq(w) <

f (x) fur w , x, und somit ist x ein lokales Maximum.

Die Aussagen (iii) und (iv) zeigt man genauso wie (i) und (ii).

Sucht man ein lokales Extremum einer uberall differenzierbaren Funktion, so

braucht man nur unter jenen Punkten x mit d f (x) = 0 zu suchen. In der Praxis wird

man die Gleichung d f (x) = 0 aber meistens nicht explizit nach x auflosen konnen.

10.3.7 Bemerkung. Ob ein lokales Maximum (Minimum) einer Funktion f : D → Rmit offenem D ⊆ Rn ein globales Maximum (Minimum) ist, ist im Allgemeinen

nicht leicht zu beantworten. Zum Beispiel hat g : R2 → R, g(ξ, η)T = (ξ2 +

η2)2 − 2(ξ2 + η2), bei (0, 0)T ein lokales Maximum aber kein globales Maximum, da

lim‖(ξ,η)T ‖→+∞ g(ξ, η)T = +∞.

Ist aber f stetig fortsetzbar auf den Abschluss c(D) von D und ist D beschrankt,

so muss wegen daraus resultierenden Kompaktheit von c(D) die Funktion f auf c(D)

mindestens ein globales Maximum (Minimum) y haben. Diese Maximum (Minimum)

kann nun in D oder im Rand c(D) \D liegen. Im ersten Fall ist dann y klarerweise auch

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10.3. EXTREMWERTE 87

Maximum (Minimum) von f |D und somit eine Losung der Gleichung d f (x) = 0. Im

zweiten Fall ist y ein globales Maximum (Minimum) von f |c(D)\D.

Um also von einer gegebenen Funktion f : c(D) → R mit beschranktem und offe-

nem D die globalen Maxima (Minima) auf c(D) zu suchen, sind zunachst alle Losungen

der Gleichung d f (x) = 0 auf D zu suchen. Dann sucht man alle Maxima (Minima) von

f |c(D)\D auf dem Rand c(D) \ D und vergleicht schließlich die Funktionswerte an allen

erhaltenen Punkten von c(D).

10.3.8 Beispiel. Wir betrachten die Funktion

f :

{R2 → R

(ξ1, ξ2)T 7→ 1 − ξ21− ξ2

2

.

Der Graph dieser Funktion, daher alle Punkte (ξ1, ξ2, ξ3)T ∈ R3 mit ξ3 = f (ξ1, ξ2)T , ist

ein Paraboloid.

ξ2

ξ3

ξ1

Abbildung 10.2: Graph der Funktion ξ3 = f(ξ1

ξ2

)fur ξ2

1+ ξ2

2≤ 1

Die Ableitung von f berechnet sich als

d f (x) =( ∂ f

∂x1

(x),∂ f

∂x2

(x))= (−2ξ1,−2ξ2) .

Schreibt man y ∈ R2 in Koordinaten (η1, η2)T bezuglich der kanonischen Basis,

so ergibt sich

d f (x)y = −2ξ1η1 − 2ξ2η2 .

Der einzige Punkt x mit d f (x) = (0, 0) ist offenbar x = (0, 0)T . Die zweiten

partiellen Ableitungen von f sind

∂2 f

∂x21

= −2,∂2 f

∂x1∂x2

=∂2 f

∂x2∂x1

= 0,∂2 f

∂x22

= −2 .

Die zweite Ableitung ist daher gleich

d2 f (x)(h, h) = −2h21 − 2h2

2 ,

und sie ist offenbar stets < 0, also negativ definit. Insbesondere ist (0, 0)T ein

lokales Maximum. Ist 0 nun auch ein globales Maximum? Das Bild, das man

von der Flache hat, legt das sicherlich nahe. Aber wie lasst sich das zeigen?

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88 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

Eine Moglichkeit ist, festzustellen, dass fur (ξ1, ξ2)T, (0, 0)T sicherlich

f (ξ1, ξ2)T = 1 − (ξ21+ ξ2

2) < 1 = f (0, 0)T .

Man kann auch nach einem (globalen, lokalen) Minimum von f fragen. Ein

globales Minimum gibt es offensichtlich nicht, da z.B. fur festes ξ2 und fur

|ξ1| → +∞ der Ausdruck f (ξ1, ξ2)T nach −∞ strebt.

Man kann aber z.B. fragen, ob f |D mit D = {(ξ1, ξ2)T ∈ R2 : ‖(ξ1, ξ2)T ‖2 < 1}ein lokales oder globales Minimum y = (η1, η2)T hat. Das ist aber auch nicht der

Fall, denn dann ware dort d f (y) = 0, was aber nur fur y = 0 der Fall ist.

Nun kann man z.B. auch fragen, ob f |D mit D = {(ξ1, ξ2)T ∈ R2 : ‖(ξ1, ξ2)T ‖2 ≤1} ein Minimum y = (η1, η2)T hat. Man beachte, dass man hier nicht unmittelbar

die Resultate dieses Abschnittes anwenden kann, da ja D nicht offen ist. In der

Tat ist D kompakt, und somit muss f auf D mindestens ein Minimum haben.

Ein solches kann aber nicht in D liegen, da es dann ein Minimum von f |D ware,

von dem wir ja wissen, dass es diese nicht gibt.

Also muss y ∈ D \ D = T = {(ξ1, ξ2)T ∈ R2 : ‖(ξ1, ξ2)T ‖2 = 1}. Aber f ist auf T

konstant. Also sind alle y ∈ TMinima von f |D.

Wollen wir die Extrema von f auf dem abgeschlossenen Dreieck ∆mit den Eck-

punkten (0, 1)T , (2, 0)T , (2, 2)T finden, so gehen wir folgendermaßen vor.

Zunachst existieren zumindest ein Minimum und zumindest ein Maximum von

f auf ∆, da f stetig und ∆ abgeschlossen, beschrankt und somit kompakt ist.

Das Innere ∆o von ∆ ist eine offene Teilmenge von R2, welche (0, 0)T nicht

enthalt. Also kann ein Extremum von f nicht in ∆o liegen, da d f dort verschwin-

den musste. Wir haben aber schon gesehen, dass (0, 0)T der einzige Punkt ist, wo

d f verschwindet.

Also mussen die Extrema am Rand ∂∆, dh. in der Vereinigung der drei Seiten

a = {(

1 − α

): α ∈ [0, 1] }, b = {

(2α

1 + α

): α ∈ [0, 1] }, c = {

(2

): α ∈ [0, 1] } ,

suchen. Die Extrema von f auf a, b und c sind aber die Extrema von

fa(α) = f

(2α

1 − α

)= 1 − 4α2 − 1 + 2α − α2 = −5α2 + 2α,

fb(α) = f

(2α

1 + α

)= 1 − 4α2 − 1 − 2α − α2 = −5α2 − 2α, bzw.

fc(α) = f

(2

)= 1 − 4 − 4α2 = −3 − 4α2,

jeweils auf [0, 1].

Fur fa gilt f ′a(α) = −10α + 2 und f ′′a (α) = −10. Also ist α = 15

ein lokales

Maximum mit fa( 15) = 1

5. Fur die Randpunkte von [0, 1] gilt fa(0) = 0, fa(1) =

−3. Insgesamt hat fa auf [0, 1] ein Maximum bei α = 15

und ein Minimum bei

α = 1.

Die Funktion fb ist auf [0, 1] offensichtlich monoton fallend. Also ist α = 0 ein

Maximum mit fb(0) = 0 und α = 1 ein Minimum mit fb(1) = −7.

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10.4. UBUNGSBEISPIELE 89

Die Funktion fc ist auf [0, 1] auch monoton fallend. Also ist α = 0 ein Maximum

mit fc(0) = −3 und α = 1 ein Minimum mit fc(1) = −7.

Somit hat f auf ∂∆ das Minimum bei (2, 2)T mit Wert f (2, 2)T = −7 und das

Maximum bei( 2

5

1− 25

)mit Wert 1

5.

10.4 Ubungsbeispiele

10.1 Man betrachte die Funktion f : R2 → R2, f (ξ, η)T = (ξ2η sin ξη,ξ

ξ2+η2+1)T . Berechne

alle partielle Ableitungen sowie d f (x), x = (ξ, η)T ∈ R2. Schließlich berechne man die

Richtungsableitung∂ f

∂v(x) fur v = (1, 1)T und (1,−1)T .

10.2 Sei A ∈ Rn×n symmetrisch, dh. AT = A, und betrachte die Abbildung f (x) = xT Ax von

Rn nach R. Man zeige, dass d f (x) = 2(Ax)T , und berechne die Richtungsableitung entlang

von v = x.

10.3 Sei p ∈ N, p ≥ 2 und f : Rp \ {0} → R definiert durch f (x) = ln ‖x‖2 im Falle p = 2 und

f (x) = 1

(2−p)‖x‖p−22

wenn p > 2. Man zeige, dass grad f (x) = (d f (x))T = 1

‖x‖p2

x.

10.4 Man betrachte die Funktion f aus Beispiel 6.1.11 und zeige, dass in (0, 0)T alle partiellen

Ableitungen existieren, sie aber in (0, 0)T nicht differenzierbar ist. Berechnen Sie von f

auch alle hoheren Ableitungen zweiter Ordnung an allen Punkten der Ebene , (0, 0)T .

10.5 Man betrachte die Funktion g : R2 \ {(x, 0) : x ≤ 0} → R+ × (−π, π),

g(ξ, η)T =

( √ξ2 + η2

arg(ξ + iη)

),

wobei das Argument arg(ξ + iη) ∈ (−π, π) so definiert ist, dass f (√ξ2 + η2, arg(ξ + iη))T =

(ξ, η)T , wobei f (r, φ)T = (r cos φ, r sin φ)T .

Berechne alle partiellen Ableitungen sowie dg(x) und det dg(x), x ∈ R2.

Hinweis: Stellen Sie arg(x+ iy) mit Hilfe des Arcustangens bzw. Arcuscotangens quadran-

tenweise dar!

10.6 Berechnen Sie I′(α), wobei I : R→ R gegeben ist durch I(α) =∫ α2

− exp(α)cos(αt2) dt.

10.7 Sei h : (− π2, π

2) → R definiert durch h(t) = (cos t)sin t man berechne h′ auf 2 Arten. Zuerst

direkt und dann mittels Anwendung der Kettenregel auf f (t) = (cos t, sin t) und g(ξ, η)T =

ξη. Man gebe auch geeignete offene Definitionsbereiche von f und g an!

10.8 Funktionen f : D → C � R2, D ⊆ C � R2, die stetig differenzierbar sind, und die

zusatzlich die sogenannten Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen

∂u

∂x(x, y) =

∂v

∂y(x, y),

∂u

∂y(x, y) = − ∂v

∂x(x, y) ,

wobei u(x, y) = Re f (x + iy) und v(x, y) = Im f (x + iy), erfullen, nennt man holomorph.

Man zeige, dass z 7→ exp(z), z 7→ z holomorph auf D = C und z 7→ 1z

holomorph auf

D = C\{0} sind, indem man die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen nachpruft!

10.9 Man betrachte die Funktion f (x, y)T = x3 − 2x2y2 + 4xy3 + y4 + 10. Berechne alle partiellen

Ableitungen ∂k+l

∂xk∂yl f (x, y) mit k, l = 1, 2, sowie dm f (x, y)T (v1, . . . , vm) fur m = 1, 2. Schließ-

lich berechne man das Taylorsche Polynom (in x, y) ohne Restglied mit q = 2 gemaß Satz

10.2.9.

10.10 Man berechne alle partiellen Ableitungen 1., 2. und 3. Grades von f (x, y, z) = sin(3x +

yz), sowie dm f (x, y, z)(v1, . . . , vm) fur m = 1, 2. Schließlich berechne man das Taylorsche

Polynom (in x, y, z) ohne Restglied mit q = 3 gemaß Satz 10.2.9.

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90 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

10.11 Sei p ∈ N, p ≥ 2 und f : Rp \ {0} → R definiert durch f (x) = ln ‖x‖2 im Falle p = 2 und

f (x) = 1

(2−p)‖x‖p−22

wenn p > 2.

Man zeige, dass f harmonisch ist! Weiters zeige man, dass fur ein festes x0 ∈ Rp auch

x 7→ f (x − x0), x ∈ Rp \ {x0} harmonisch ist.

Dabei heißt eine zweimal stetig differenzierbare Funktion h : B→ X harmonisch, wenn

∆h(x) :=∂2

∂x1∂x1

h(x) + · · · + ∂2

∂xm∂xm

h(x) = 0

fur alle x ∈ B. Hier ist X ein Banachraum und B ⊆ Rm offen.

10.12 Bestimmen Sie fur

f (x, y)T = xe√

y

die Ableitung in Richtung des Vektors v = (cos ϕ, sinϕ)T . Fur welchen Winkel ϕ wird∂ f (2,3)T

∂vmaximal? Bestimmen Sie ebenfalls die Ableitung entlang der Parabel p(t) :=

(x(t), y(t))T = (t, t2)T , dh. die Richtungsableitung von f in Richtung p′(t) im Punkt p(t).

10.13 Sei h : (− π2, π

2) → R definiert durch h(t) = (cos t)sin t man berechne h′ auf 2 Arten. Zuerst

direkt und dann mittels Anwendung der Kettenregel auf f (t) = (cos t, sin t)T und g(ξ, η)T =

ξη. Man gebe auch geeignete offene Definitionsbereiche von f und g an!

10.14 Lineare Regression: Seien (xi, yi) ∈ R2, i = 1, . . . , n endlich viele, fest vorgegebene Mess-

daten, wobei zumindest zwei verschiedene xi auftreten. Man bestimme eine linear Funktion

f (x) = kx + d so, dass der quadratische Abstand

n∑

i=1

( f (xi) − yi)2

minimal wird! Man betrachte also F(k, d) =∑n

i=1( f (xi) − yi)2 als Funktion von (k, d) und

finden Sie die Kandidaten fur lokale Extrema!

Begrunden Sie auch, warum der erhaltene Kandidat Tatsachlich ein Minimum ist, indem

Sie u.a. lim‖(k,d)T ‖→+∞ F(k, d) = +∞ zeigen.

Hinweis zum letzten Teil: Zunachst ist√

F(k, d) ≥√

(kx1 + d + y1)2 + (kx2 + d + y2)2.

Zeigen Sie nun, dass ‖((kx1+d+y1), (kx2+d+y2))T ‖2 ≥ ‖(kx1+d, kx2+d)T ‖2−‖(y1, y2)T ‖2und dann ‖A−1‖ · ‖((kx1 + d), (kx2 + d))T ‖2 ≥ ‖(k, d)T ‖2, wobei A =

(x1 1

x2 1

).

10.15 Sei D ⊆ Rn offen und beschrankt. c(D) sei der Abschluss von D in Rn. Weiters sei f :

c(D)→ R stetig und so, dass f |D : D→ R aus C2 ist mit ∆ f (x) ≥ 0 fur alle x ∈ D, wobei

∆ f (x) :=∂2

∂x1∂x1

f (x) + · · · + ∂2

∂xn∂xn

f (x) .

Zeigen Sie, dass f : c(D) → R in c(D) und f |c(D)\D : c(D) \ D → R in c(D) \ D jeweils

mindestens eine Maximalstelle haben und dass maxt∈c(D) f (t) = maxt∈c(D)\D f (t).

Hinweis: Angenommen x0 ∈ D ware Maximalstelle mit f (x0) > maxt∈c(D)\D f (t) =: η.

OBdA. sei f (x0) > 0 > η angenommen. Betrachte eine Maximalstelle von g(x) = f (x) +

c(‖x − x0‖22 − d) fur x ∈ c(D) mit geeignet gewahlten c, d > 0, sodass ‖x − x0‖22 − d < 0 fur

x ∈ c(D) \ D und sodass g(x0) > 0! Warum geht das? Wo konnen die Maximalstellen x1

von g nur liegen und was gilt fur ∆g(x1)?

10.16 Wo besitzt f : R2 → R ein globales bzw. lokales Extremum, wobei

f (x, y) = x3ex−y.

10.17 Wo besitzt f : [0, 1] × [0, 1]→ R ein globales Extremum, wobei

f (x, y)T = 3x2 − 2(y + 1)x + 3y − 1 .

Hinweis: Kandidaten fur Extrema in (0, 1) × (0, 1) erfullen d f (x, y) = 0. Kandidaten in

(0, 1) × {0} erfullen∂ f

∂x(x, 0) = 0 usw. .

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10.4. UBUNGSBEISPIELE 91

10.18 Wie im letzten Beispiel, aber fur f : {(x, y)T ∈ R2 : x2 + y2 ≤ 1} → R

f (x, y)T = 8x2 − 2yx + 3y − 1 .

10.19 Bestimmen Sie fur die Funktion

f (z) = z(z − 2) − 2 Re z , z = x + iy ∈ C ,

alle lokalen Extrema der Funktion | f (z)| sowie deren Typ, dh. Maximum, Minimum.

10.20 Bestimmen Sie alle (lokalen) Extrema der Funktionen f , g : R2 → R. Sind diese (lokale)

Minima bzw. Maxima?

f (x, y) = (x2 + y2)ex2−y2

, g(x, y) = (y2 − x2)(y2 − 2x2) .

10.21 Sei K = {(cos t, sin t)T ∈ R2 : t ∈ R} und A = {(ξ, η)T : 2ξ + 3η = 10}. Man zeige,

dass K kompakt und A abgeschlossen ist. Weiters bestimme man x ∈ K, y ∈ A so, dass

d(x, y) = d(A,K); vgl. Ubungsbeispiel 5.19. Schließlich zeige man, dass x normal auf die

Gerade A steht.

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92 KAPITEL 10. ABLEITUNGEN NACH MEHREREN VARIABLEN

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Kapitel 11

Wegintegrale

11.1 Wege

Wege im Rn sind der Anschauung nach etwas eindimensionales.

11.1.1 Definition.

� Ein Weg γ im Rn ist eine Abbildung von einem Intervall [a, b] nach Rn. Ist γ

stetig, so sprechen wir von einem stetigen Weg.

� Dabei heißen zwei Wege γ : [a, b] → Rn und γ : [a, b] → Rn aquivalent, falls

sie Umparametrisierungen voneinander sind, d.h. falls es eine streng monoton

wachsende Bijektion α : [a, b] → [a, b] gibt, sodass γ ◦ α = γ.1 Wir schreiben

auch γ ∼ γ dafur.

� Ist γ ein Weg, so sei

γ− : [a, b] → Rn der Weg [a, b] → Rn, t 7→ γ(a + b − t), also der in der

Gegenrichtung durchlaufene Weg.

� Sind γ1 : [a1, b1]→ Rn, γ2 : [a2, b2]→ Rn zwei (stetige) Wege mit b1 = a2 und

γ1(b1) = γ2(a2), so sei γ1 ⊕ γ2 : [a1, b2]→ Rn die (stetige) Funktion mit

(γ1 ⊕ γ2)|[a1,b1] = γ1, (γ1 ⊕ γ2)|[a2,b2] = γ2 .

� Sind x0, . . . , xm Punkte aus Rn, so bezeichnet −−−→x0x1,−−−→x1x2, . . . ,

−−−−−−→xm−1xm den stetigen

Weg γ : [0,m]→ Rn definiert durch γ(t) = x j−1 + (t − ( j − 1))(x j − x j−1), wenn

t ∈ [ j − 1, j], j = 1, . . . ,m. Solche Wege nennt man Polygonzuge.

� Im Fall m = 1 nennt man γ(t) = tx1 + (1 − t)x0 die gerade Strecke von x0 nach

x1 und schreibt auch −−−→x0 x1 dafur.

11.1.2 Beispiel. Sind x0, . . . , xm Punkte aus Rn, und definiert man die Wege x j−1x j :

[ j−1, j]→ Rn, j = 1, . . . ,m, durch x j−1x j(t) := x j−1+(t−( j−1))(x j−x j−1), t ∈ [ j−1, j],

so sind offenbar x j−1x j und −−−−−→x j−1x j aquivalent, und

x0 x1 ⊕ · · · ⊕ ˜xm−1xm =−−−→x0 x1,

−−−→x1x2, . . . ,−−−−−−→xm−1xm .

1Wegen Korollar 6.5.3 ist eine solche Bijektion α stetig. Umgekehrt ist eine stetige Bijektion α : [a, b]→[a, b] entweder streng monoton wachsend oder streng monoton fallend, vgl. Lemma 6.5.5.

93

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94 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.1.3 Fakta.

1. Da mit α auch α−1 eine streng monoton wachsende Bijektion ist, ist ∼ eine Aqui-

valenzrelation. Man sieht auch unmittelbar, dass γ ∼ γ′ ⇔ γ− ∼ γ′−.

2. Ist γ : [a, b] → Rn ein Weg und ist α(t) = a + t(b − a), so ist γ aquivalent zu

γ ◦ α : [0, 1]→ Rn, also aquivalent zu einem Weg mit Parametermenge [0, 1].

3. Das Bild eines stetigen Weges ist als stetiges Bild einer kompakten und zusam-

menhangenden Menge wieder kompakt und zusammenhangend, siehe Proposi-

tion 6.1.13 und Proposition 6.2.4.

4. Man konnte glauben, dass das Bild eines stetigen Weges den Weg schon be-

stimmt. Das ist aber nicht der Fall, wenn man nur an ein Geradenstuck denkt,

das man zuerst in die Hin- und dann in die Ruckrichtung durchlauft.

5. Das Bild eines stetigen Weges kann auch ganz unerwartet aussehen. Man kann

z.B. einen Weg in R2 konstruieren, der [0, 1] × [0, 1] als Bild hat.

Um einem Weg eine Lange ℓ(γ) zuzuordnen, liegt es nahe, das zuerst bei den ein-

fachsten Arten von Wegen, namlich den geraden Strecken γ = −→xy mit x, y ∈ Rn zu

tun:

ℓ(γ) := ‖x − y‖2 .

Die Lange eines beliebigen Weges γ : [a, b] → Rn approximiert man dadurch, dass

man eine beliebige ZerlegungZ = {ξ j : j = 0, . . . , n(Z)} von [a, b] wie in Definition

8.1.2 nimmt und die Lange des dazugehorigen Polygonzugs

−−−−−−−−→γ(ξ0)γ(ξ1), . . . ,

−−−−−−−−−−−−−−−→γ(ξn(Z)−1)γ(ξn(Z)) (11.1)

namlich

L(Z) :=

n(Z)∑

j=1

‖γ(ξ j) − γ(ξ j−1)‖2

berechnet. Die Lange ist dann das Supremum von L(Z) uber die Menge Z aller

ZerlegungenZ von [a, b]:

ℓ(γ) := supZ∈Z

L(Z) . (11.2)

Der Fall ℓ(γ) = +∞ kann dabei auftreten. Ist jedoch ℓ(γ) < +∞, so spricht man von

einem rektifizierbaren Weg.

11.1.4 Fakta.

1. Ist γ : [0, 1] → Rn, γ(t) = tx1 + (1 − t)x0 eine gerade Strecke, so gilt fur eine

beliebige ZerlegungZ

L(Z) =

n(Z)∑

j=1

‖(ξ j − ξ j−1)(x1 − x0)‖2 = ‖x − y‖2 .

Also ist unser Zugang zur Weglange in sich konsistent.

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11.1. WEGE 95

ξ0

γ(ξ0)

ξ1

γ(ξ1)

ξ2

γ(ξ2)

ξ3

γ(ξ3)

ξ4

γ(ξ4)

ξ5

γ(ξ5)

ξ6

γ(ξ6)

ξ7a = = b : Z

γ(ξ7)

γ([a, b])

γ

Abbildung 11.1: Polygonzuge zur Approximation der Weglange

2. Da Z bezuglich ⊆ eine gerichtete Menge ist, und da wegen der Dreiecksunglei-

chung, ‖γ(w)− γ(u)‖2 ≤ ‖γ(w)− γ(v)‖2 + ‖γ(v)− γ(u)‖2, ausZ1 ⊆ Z2 folgt, dass

L(Z1) ≤ L(Z2), kann man ℓ(γ) als Limes eines monoton wachsenden Netzes

uber (Z,⊆) schreiben.

3. Ist γ nicht konstant, also ∃ t1, t2 : γ(t1) , γ(t2), so folgt

L({a, b, t1, t2}) ≥ ‖γ(t1)− γ(t2)‖2 > 0, und damit ℓ(γ) > 0. Ist dagegen γ konstant,

so folgt sofort aus der Definition ℓ(γ) = 0. In jedem Fall gilt

ℓ(γ) ≥ L({a, b}) = ‖γ(b) − γ(a)‖2

4. Da sich die Zerlegungen der Definitionsbereiche von aquivalenten Wegen bi-

jektiv entsprechen, uberzeugt man sich leicht, dass aquivalente Wege die selbe

Lange haben. Genauso leicht sieht man ℓ(γ) = ℓ(−γ).

5. Aus der Monotonie (vgl. 2) folgt fur ein endliches A ⊆ [a, b] unmittelbar, dass

auch

ℓ(γ) = supZ∈Z, Z⊇A

L(Z) .

Da ZA := {Z ∈ Z : Z ⊇ A} mit ⊆ zu einer gerichteten Menge wird, und da L(Z)

monoton vonZ abhangt, gilt wegen (5.10) und Bemerkung 5.3.9 auch

ℓ(γ) = limZ∈ZA

L(Z) .

6. Seien γ1 : [a1, b1]→ Rn, γ2 : [a2, b2]→ Rn zwei Wege mit b1 = a2 und

γ1(b1) = γ2(a2), sodass γ1 ⊕ γ2 : [a1, b2]→ Rn definiert ist. Weiters seien Z1, Z2

bzw. Z die Menge aller Zerlegungen von [a1, b1], [a2, b2] bzw. [a1, b2].

Fur A = {a2} undZ ∈ ZA gilt offenbarZ ∩ [a1, b1] ∈ Z1 undZ ∩ [a2, b2] ∈ Z2,

wobei

L(γ1 ⊕ γ2,Z) = L(γ1,Z∩ [a1, b1]) + L(γ2,Z∩ [a2, b2]) .

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96 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Wegen Z j = {Z ∩ [a j, b j] : Z ∈ ZA} gilt fur j = 1, 2 auch

ℓ(γ j) = supZ∈ZA

L(γ j,Z∩ [a j, b j]) = limZ∈ZA

L(γ j,Z∩ [a j, b j]) ,

womit (siehe 5)

ℓ(γ1 ⊕ γ2) = limZ∈ZA

L(γ1 ⊕ γ2,Z) =

limZ∈ZA

L(γ1,Z∩ [a1, b1]) + limZ∈ZA

L(γ2,Z∩ [a2, b2]) = ℓ(γ1) + ℓ(γ2)

in dem Sinn, dass die linke Seite genau dann endlich ist, wenn die rechte Seite

endlich ist, dh. wenn ℓ(γ1) < +∞ und ℓ(γ2) < +∞.

7. SeiZ eine Zerlegung von [a, b], und betrachte den in (11.1) erwahnten Polygon-

zug p : [0, n(Z)]→ Rn,

p(t) = γ(ξ j−1) +t − ξ j−1

ξ j − ξ j−1

(γ(ξ j) − γ(ξ j−1)

), t ∈ [ξ j−1, ξ j] . (11.3)

Da dieser Weg eine Zusammensetzung von geraden Strecken – genauer eine Zu-

sammensetzung von zu geraden Strecken aquivalenten Wegen – ist, folgt aus

dem letzten Punkt, dass ℓ(p) = L(Z).

Obwohl sich ℓ(γ) fur ein Funktion γ : [a, b] → R, also im Fall n = 1, nur schwer

als Weglange interpretieren lasst, ist dieser Fall doch von Bedeutung. In der Tat sagt

man, dass γ : [a, b] → R von beschrankter Variation ist, wenn ℓ(γ) < +∞, und nennt

dann ℓ(γ) die Variation der Funktion γ.

11.1.5 Lemma. Ist γ : [a, b]→ Rn ein rektifizierbarer Weg, so ist die Funktion ℓ(x) :=

ℓ(γ|[a,x]), x ∈ [a, b] monoton wachsend. Ist γ bei x rechtsstetig (linksstetig, stetig), so

ist auch ℓ dort rechtsstetig (linksstetig, stetig)2.

Beweis. x 7→ ℓ(γ|[a,x]) ist offensichtlich monoton wachsend; vgl. Fakta 11.1.4, 6. Sei

γ in einem Punkt x ∈ [a, b) rechtsstetig. Somit gibt es zu gegebenem ǫ > 0 ein δ > 0,

sodass ‖γ(x) − γ(s)‖2 < ǫ fur alle s ∈ [x, x + δ].

Wegen ℓ(γ|[x,b]) ≤ ℓ(γ) < +∞ gibt es zu gegebenem ǫ > 0 eine ZerlegungZ0 von

[x, b], sodass

ℓ(γ|[x,b]) − ǫ < L(γ|[x,b],Z0) ≤ ℓ(γ|[x,b]) .

Da die L(Z) monoton vonZ abhangen, konnen wirZ0 so wahlen, dass die erste Stutz-

stelle ξ rechts von x einen Abstand kleiner oder gleich δ hat.

Offenbar ist Z0 ∩ [ξ, b] eine Zerlegung von [ξ, b], wobei L(γ|[ξ,b],Z0 ∩ [ξ, b]) =

L(γ|[x,b],Z0) − ‖γ(ξ) − γ(x)‖2. Also gilt

L(γ|[x,b],Z0) − ‖γ(ξ) − γ(x)‖2 ≤ ℓ(γ|[ξ,b])

und daher

ℓ(γ|[x,ξ]) ≤ ℓ(γ|[x,ξ]) +(ℓ(γ|[ξ,b]) − (L(γ|[x,b],Z0) − ‖γ(ξ) − γ(x)‖2)

)=

‖γ(ξ) − γ(x)‖2 + ℓ(γ|[x,b]) − L(γ|[x,b],Z0) < 2ǫ .

2Rechtsstetig bedeutet lims→x+ ℓ(s) = ℓ(x) und linksstetig lims→x− ℓ(s) = ℓ(x)

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11.1. WEGE 97

Also ist ℓ(γ|[x,ξ]) < 2ǫ. Wegen der Monotonie gilt auch ℓ(γ|[a,s])− ℓ(γ|[a,x]) = ℓ(γ|[x,s]) ≤ℓ(γ|[x,ξ]) < 2ǫ, wenn s ∈ [x, ξ].

Die Linksstetigkeit zeigt man analog.

Konkret ausrechnen lasst sich die Weglange fur stetig differenzierbare Wege.

11.1.6 Satz. Falls γ ∈ C1[a, b], so ist γ rektifizierbar, und ℓ(x) ist differenzierbar mit

der Ableitung ‖γ′(x)‖2. Dabei gilt

ℓ(γ) =

∫ b

a

‖γ′(x)‖2 dx .

Beweis. Wegen dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung sowie (9.13) gilt

‖γ(ξ j) − γ(ξ j−1)‖2 =∥∥∥∥∥∥

∫ ξ j

ξ j−1

γ′(t) dt

∥∥∥∥∥∥2

≤∫ ξ j

ξ j−1

‖γ′(t)‖2 dt .

Also L(Z) ≤∫ b

a‖γ′(t)‖2 dt fur jede Zerlegung Z von [a, b], und damit ℓ(γ) ≤∫ b

a‖γ′(t)‖2 dt.

Fur a ≤ x < y ≤ b gilt

‖γ(y) − γ(x)‖2 ≤ ℓ(γ|[x,y]) ≤∫ y

x

‖γ′(t)‖2 dt .

Dividiert man diese Ungleichung durch (y − x) und lasst x → y streben, so konvergiert

die linke und die rechte Seite gegen ‖γ′(y)‖2; also auch der Ausdruckℓ(y)−ℓ(x)

y−xin der

Mitte, und damit ℓ′(y)− = ‖γ′(y)‖2. Lasst man y → x streben, so sieht man genauso

ℓ′(x)+ = ‖γ′(x)‖2, und insgesamt ℓ′(x) = ‖γ′(x)‖2, x ∈ [a, b], wobei wir an den

Randern die jeweiligen einseitigen Grenzwerte meinen.

11.1.7 Definition. Eine Abbildung f : [a, b] → X mit einem Banachraum X heißt

stuckweise stetig differenzierbar , falls es eine Zerlegung a = t0 < · · · < tn = b von

[a, b] gibt, sodass jede Einschrankung f |(t j−1 ,t j) eine stetig differenzierbare Fortsetzung

auf [t j−1, t j] hat.

Die Funktion γ : [a, b] → Rn ist offenbar stetig und stuckweise stetig differen-

zierbar (vgl. Definition 11.1.7), wenn es eine Zerlegung Z = {ξ j}n(Z)

j=0gibt, sodass

γ|[ξ j−1 ,ξ j] ∈ C1[ξ j−1, ξ j] fur j = 1, . . . , n(Z). Wendet man Satz 11.1.6 insgesamt n(Z)-

mal auf γ|[ξ j−1,ξ j], j = 1, . . . , n(Z) an, so erhalten wir

11.1.8 Korollar. Ist γ : [a, b]→ Rn ein stetiger und stuckweise stetig differenzierbarer

Weg, so ist dieser rektifizierbar mit ℓ(γ) =∫ b

a‖γ′(x)‖2 dx.

11.1.9 Beispiel. Man betrachte den Weg (siehe Definition 6.8.12, Beispiel 10.1.10)

γ(s) =

(cos s

sin s

)∈ R2, s ∈ [0, 2π] .

Fur ein t ∈ [0, 2π] gilt nach Satz 11.1.6

ℓ(γ|[0,t]) =∫ t

0

∥∥∥∥∥∥

(− sin s

cos s

)∥∥∥∥∥∥2

ds =

∫ t

0

√sin2 s + cos2 s ds = t .

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98 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

t

−1 1

sin t

cos t

γ(t) ≃ exp(it)

0

Also ist t genau die Weglange

des Bogens γ|[0,t].

Das erklart, warum man fur ein w ∈ C ≃ R2 dargestellt in Polarkoordinaten (siehe

Definition 6.8.12), dh. w = r exp(it) = r(cos t + i sin t), die Zahl t auch als Bogenlange

bezeichnet.

11.1.10 Bemerkung. Ist γ : [a, b]→ Rn ein rektifizierbarer und stetiger Weg, so wissen

wir nun, dass ℓ das Intervall [a, b] monoton wachsend und surjektiv auf [0, ℓ(γ)] abbil-

det. Ist ℓ sogar bijektiv, so ist β = γ ◦ ℓ−1 ein zu γ aquivalenter Weg, sodass die Lange

des Weges β|[0,t] genau t ist.

Ist ℓ nicht injektiv, so kann man fur t ∈ [0, ℓ(γ)], β(t) := γ(x) setzen, wobei x eine

Zahl aus [a, b] ist, sodass ℓ(x) = t. Im Fall, dass ℓ(x1) = t = ℓ(x2), hat γ|[x1,x2] Weglange

Null und ist somit konstant. Also ist γ(x1) = γ(x2) und β somit wohldefiniert. Offenbar

gilt γ = β ◦ ℓ. Aus der Kompaktheit von [0, ℓ(γ)] folgert man aus γ = β ◦ ℓ leicht die

Stetigkeit von β.

Also ist β auch in diesem Fall ein zu γ”fast aquivalenter“ Weg, sodass die Lange

des Weges β|[0,t] genau t ist.

11.1.11 Bemerkung (*). Bisher haben wir bei der Behandlung von Wegen und

Weglangen nirgends verwendet, dass γ in den Rn mit der ‖.‖2-Norm hinein abbildet.

Wir haben die euklidische Norm nur verwendet, weil sie dem als naturlich empfunde-

nen Langenbegriff entspricht.

In der Tat kann man genauso ℓ(γ) definieren, wenn γ eine beliebige Funktion von

[a, b] in einen Banachraum (X, ‖.‖) ist.

Es gelten dann dieselben Eigenschaften, die wir eben aufgezahlt haben, und ist

ℓ(γ) < +∞, so spricht man von γ als einer Funktion von beschrankter Variation.

Aquivalente Normen ‖.‖ und |‖.‖|, d.h. α‖.‖ ≤ |‖.‖| ≤ β‖.‖, induzieren zwar verschie-

dene Langenbegriffe, aber diese sind dennoch vergleichbar:

αℓ‖.‖(γ) ≤ ℓ|‖.‖|(γ) ≤ βℓ‖.‖(γ) .

Versieht man etwa Rn mit der Norm ‖.‖∞ oder ‖.‖1, so erhalt man fur ein und dieselbe

Funktion verschiedene Langenbegriffe.

11.2 Wegintegrale

11.2.1 Beispiel. Wir betrachten ein Objekt im Gravitationsfeld einer Punktmasse, und

wollen die Arbeit berechnen, die verrichtet wird wenn man das Objekt von einer Positi-

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11.2. WEGINTEGRALE 99

on zu einer anderen verschiebt. Dabei denken wir uns diese Punktmasse im Nullvektor

des R3.

Das Newtonsche Gravitationsgesetz besagt, dass sich die Gravitationskraft umge-

kehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes r zur Punktmasse verhalt – also durch

C 1r2 mit einer Konstante C berechnet werden kann. Vernachlassigen wir diese Kon-

stante, und zerlegt man die Kraft, die auf einen Punkt x = (ξ, η, ζ)T ∈ R3 wirkt, in ihre

Komponenten, so erhalt man den Kraftvektor

F(x) = − 1

‖x‖32

ξ

η

ζ

.

Verschiebt man nun einen Punkt P von x zu einer sehr nahen Position x + h, so ist die

Arbeit, die verrichtet wird, wegen der Formel”Arbeit = Kraft ×Weg“ ungefahr gleich

−(F(x), h)= −F(x)T h .

Sei nun P ein Punkt in der Position x0, und werde P langs einer Kurve γ in die Po-

sition x1 verschoben. Sei γ gegeben in Parameterdarstellung γ : [0, 1] → R3, γ(0) =

x0, γ(1) = x1, und sei vorausgesetzt, dass γ hinreichend glatt ist – etwa stetig und

stuckweise stetig differenzierbar. Wir zerlegen die Kurve in kleine Abschnitte. Sei also

0 = t0 < t1 < t2 < . . . < tn−1 < tn = 1. Wird γ durch den Polygonzug mit Ecken in γ(ti)

approximiert, dann berechnet sich die verrichtete Arbeit ungefahr durch

ω ≈n∑

i=1

−F(γ(ti))T (γ(ti) − γ(ti−1)

).

Wir werden unten sehen, dass dieser Ausdruck konvergiert, wenn man die Approxima-

tion immer genauer macht. Fur diesen Grenzwert werden wir

γ

−F(x)T dx ,

schreiben, und ihn das Wegintegral des Vektorfeldes φ = −FT langs des Weges γ

nennen.

Mathematisch lasst sich die Situation aus Beispiel 11.2.1 dadurch fassen, dass man

ein sogenanntes Vektorfeld gegeben hat. Das ist eine Abbildung φ : D→ L(Rn, X) von

einer Teilmenge D ⊆ Rn in die Menge aller linearen3 Abbildungen von Rn in einen

Banachraum X – meistens ist, so wie in Beispiel 11.2.1, X = R.

Ist nun γ : [a, b] → D ⊆ Rn ein Weg, so entspricht die oben erwahnte Approxi-

mation der Arbeit bei gegebener Riemannscher Zerlegung R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)der

Summe

W(R) :=

n(R)∑

j=1

φ(γ(α j)

) (γ(ξ j) − γ(ξ j−1)

). (11.4)

11.2.2 Definition. Konvergiert das Netz(W(R)

)R∈R in X, so nennen wir seinen Grenz-

wert ∫

γ

φ(x) dx := lim|R|→0

W(R)

3Wegen Beispiel 9.2.10 sind diese automatisch beschrankt, wenn wir Rn mit ‖.‖2 versehen!

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100 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

das Wegintegral von φ langs des Weges γ.

Fur f : [a, b]→ L(Rn, X), g : [a, b]→ Rn und R ∈ R setzen wir zudem

P(R) :=

n(R)∑

j=1

f (α j)(g(ξ j) − g(ξ j−1)

).

Das Riemann-Stieltjes Integral∫ b

af dg ist definiert als limR∈R P(R), falls dieser Limes

in X existiert.

Wegintegrale sind spezielle Riemann-Stieltjes Integrale, da P(R) = W(R) und in

Folge∫ b

af dg =

∫γφ(x) dx, wenn g = γ und f = φ ◦ γ.

11.2.3 Fakta.

1. Ist γ : [a, b]→ D ⊆ Rn ein Weg und γ = γ ◦ β : [a, b]→ D ein zu γ aquivalenter

Weg mit einer streng monoton wachsenden Bijektion

β : [a, b] → [a, b]. Da β und β−1 beide stetig sind, sind sie wegen Satz 6.3.3

sogar gleichmaßig stetig. Nun seien W(R) die Wegsummen von φ langs γ und

W(R) die Wegsummen von φ langs γ.

Ist R = ((ξ j)

n(R)

j=0; (α j)

n(R)

j=1

)eine Riemann-Zerlegung von [a, b], so ist β(R) :=((

β(ξ j))n(R)

j=0 ;(β(α j)

)n(R)

j=1

)eine solche von [a, b] und umgekehrt. Dabei gilt

W(β(R)) = W(R).

Wegen der gleichmaßigen Stetigkeit gibt es dabei zu jeder Riemann-Zerlegung

R0 von [a, b] ein δ > 0, sodass fur jede Riemann-Zerlegung R von [a, b] aus

|R| ≤ δ auch |β(R)| ≤ |R0| folgt. Gemaß Definition 5.3.6 ist somit(W(R)

)R∈R =(

W(β(R)))R∈R ein Teilnetz von

(W(R)

)R∈R. Weil auch β−1 gleichmaßig stetig ist,

gilt auch die Umkehrung. Wegen Lemma 5.3.7 erhalten wir∫

γ

φ(x) dx =

γ

φ(x) dx

in dem Sinne, dass wenn eines dieser Integrale existiert, dann auch das andere

existiert und diese ubereinstimmen.

Ist γ− der in die Gegenrichtung durchlaufene Weg, so entsprechen sich die

Riemann-Summen auch bijektiv, wobei die korrespondierenden Summen W(R)

nur im Vorzeichen unterscheiden, und somit∫γ− φ(x) dx = −

∫γφ(x) dx gilt.

2. Ist unser Weg rektifizierbar und stetig, d.h. ℓ(γ) < +∞, und ist φ stetig, so exis-

tiert das Integral.

Das folgt aus der allgemeineren Tatsache, dass∫ b

af dg existiert, falls f stetig

auf [a, b] und g rektifizierbar ist. Der Beweis fur diese Tatsache ist ahnlich, wie

der Beweis fur die Riemann-Integrierbarkeit stetiger Funktionen mit Hilfe des

Cauchy-Kriteriums.

Beweis. Sind R1 =((ξ j)

n(R1)

j=0; (α j)

n(R1)

j=1

)und R = (

(η j)n(R)

j=0; (β j)

n(R)

j=1

)zwei

Riemann-Zerlegungen von [a, b], sodass die Stutzstellen von R die von R1 um-

fassen.

Ist j ∈ {1, . . . , n(R1)}, so gibt es Indizes k( j − 1) < k( j), sodass

ξ j−1 = ηk( j−1) < ηk( j−1)+1 < · · · < ηk( j)−1 <︸ ︷︷ ︸k( j)−k( j−1)−1 viele

ηk( j) = ξ j .

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11.2. WEGINTEGRALE 101

Mit g(ξ j) − g(ξ j−1) =∑k( j)

k=k( j−1)+1g(ηk) − g(ηk−1) folgt

‖P(R) − P(R1)‖ ≤

n(R1)∑

j=1

∥∥∥∥∥∥∥∥f (α j)

(g(ξ j) − g(ξ j−1)

) −k( j)∑

k=k( j−1)+1

f (βk)(g(ηk) − g(ηk−1)

)∥∥∥∥∥∥∥∥

≤n(R1)∑

j=1

k( j)∑

k=k( j−1)+1

‖ f (α j) − f (βk)‖ · ‖g(ηk) − g(ηk−1)‖2 .

Dabei ist ‖ f (α j) − f (βk)‖ die Abbildungsnorm auf L(Rn, X), wenn Rn mit der

euklidischen Norm versehen ist.

Wegen |α j − βk | ≤ (ξ j − ξ j−1) ≤ |R1|, k ∈ {k( j − 1) + 1, . . . , k( j)} folgt

‖P(R) − P(R1)‖ ≤n(R)∑

k=1

ρ(|R1|) · ‖g(ηk) − g(ηk−1)‖2 ≤ ρ(|R1|) · ℓ(g) , (11.5)

wobei ρ(δ) := sups,t∈[a,b],|s−t|≤δ ‖ f (s) − f (t)‖.Sind nun R1 und R2 zwei beliebige Riemann-Zerlegungen von [a, b] und wahlt

man R so, dass die Stutzstellen von R sowohl die von R1 also auch die von

R2 umfasst, so folgt aus (11.5) je einmal angewandt auf R1 und auf R2, der

Dreiecksungleichung sowie der Monotonie von ρ

‖P(R1) − P(R2)‖ ≤ (ρ(|R1|) + ρ(|R2|)

) · ℓ(g) .

Wegen der gleichmaßigen Stetigkeit von f gilt limδ→0 ρ(δ) = 0, woraus folgt,

dass(P(R)

)R∈R ein Cauchy-Netz und daher konvergent ist.

3. Als Grenzwert von Netzen mit Werten im Banachraum X erfullen Wegintegrale

(µ, ν ∈ R):

γ

(µφ(x) + νψ(x)) dx = µ

γ

φ(x) dx + ν

γ

ψ(x) dx

Entsprechend sind Riemann-Stieltjes Integrale linear nicht nur in f , sondern auch

in g.

4. Sind γ1 : [a1, b1] → D, γ2 : [a2, b2] → D zwei stetige und rektifizierbare Wege

mit b1 = a2 und γ1(b1) = γ2(a2), und ist φ : D→ L(Rn, X) stetig, dann gilt

γ1⊕γ2

φ(x) dx =

γ1

φ(x) dx +

γ2

φ(x) dx . (11.6)

Allgemeiner folgt fur ein stetiges f : [a, c]→ L(Rn, X), ein rektifizierbares

g : [a, c]→ Rn und ein b ∈ (a, c), dass

∫ c

a

f dg =

∫ b

a

f dg +

∫ c

b

f dg .

Beweis. Die Voraussetzungen gewahrleisten, dass alle Integrale existieren. Zu

gegebenem ǫ > 0 sei δ > 0 so klein, dass ‖P(R1) −∫ b

af dg‖ < ǫ,

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102 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

‖P(R2)−∫ c

bf dg‖ < ǫ und ‖P(R)−

∫ c

af dg‖ < ǫ fur jede Riemann-ZerlegungR1

von [a, b], jede Riemann-Zerlegung R2 von [b, c] und jede Riemann-Zerlegung

R von [a, c] mit |R1|, |R2|, |R| < δ.

Sind R1 und R2 zwei beliebige Riemann-Zerlegungen von [a, b] bzw. [b, c] mit

|R1|, |R2| < δ, so sei R jene Riemann-Zerlegungen von [a, c], deren Stutz- und

Zwischenstellen genau jene vonR1 undR2 umfasst. Dann gilt |R| < δ und P(R) =

P(R1) + P(R2). Somit folgt aus der Dreiecksungleichung

∥∥∥∥∥∥

∫ b

a

f dg +

∫ c

b

f dg −∫ c

a

f dg

∥∥∥∥∥∥ ≤

∥∥∥∥∥∥P(R1) −∫ b

a

f dg

∥∥∥∥∥∥ +∥∥∥∥∥P(R2) −

∫ c

b

f dg

∥∥∥∥∥ +∥∥∥∥∥P(R) −

∫ c

a

f dg

∥∥∥∥∥ < 3ǫ .

Da ǫ > 0 beliebig war, gilt die behauptete Gleichheit.

5. Es gilt

‖P(R)‖ ≤n(R)∑

j=1

‖ f (α j)‖ · ‖g(ξ j) − g(ξ j−1)‖2 ≤

supt∈[a,b]

‖ f (t)‖n(R)∑

j=1

‖g(ξ j) − g(ξ j−1)‖2 ≤ supt∈[a,b]

‖ f (t)‖ · ℓ(g) .

Daraus sieht man, dass fur konstantes g das Riemann-Stieltjes Integral existiert

und verschwindet. Entsprechend verschwindet das Wegintegral uber einen kon-

stanten Weg.

Existiert das Riemann-Stieltjes Integral, so ist seine Norm kleiner oder gleich

supt∈[a,b] ‖ f (t)‖ · ℓ(g). Existiert das Wegintegral, so gilt entsprechend

‖∫

γ

φ(x) dx‖ ≤ supt∈[a,b]

‖φ ◦ γ(t)‖ · ℓ(γ) . (11.7)

6. Ist γ : [0, 1]→ D ein gerade Strecke, also γ(t) = tx1 + (1 − t)x0, und ist φ stetig,

so gilt W(R) =∑n(R)

j=1(ξ j − ξ j−1)φ

(γ(α j)

)(x1 − x0) und daher

γ

φ(x) dx =

∫ 1

0

φ(tx1+(1−t)x0

)(x1−x0) dt =

(∫ 1

0

φ(tx1 + (1 − t)x0

)dt

)

︸ ︷︷ ︸∈L(Rn ,X)

(x1−x0) .

11.2.4 Bemerkung. Die Stetigkeit eines Vektorfeldes φ : D→ L(Rn, X) mit D ⊆ Rn ist

aquivalent zur Stetigkeit der Funktion x 7→ φ(x)e j, j = 1, . . . , n, wie man unmittelbar

aus

maxj=1,...,n

‖φ(x)e j − φ(y)e j‖ ≤ ‖φ(x) − φ(y)‖ =

supv∈Rn,‖v‖∞=1

‖(φ(x) − φ(y))v‖X ≤

n∑

j=1

‖φ(x)e j − φ(y)e j‖

erkennt.

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11.2. WEGINTEGRALE 103

Um konkret Riemann-Stieltjes Integrale bzw. in Folge Wegintegrale aus zurechnen

dient am besten folgender Satz.

11.2.5 Satz. Ist g ∈ C1[a, b] und f stetig, so folgt

∫ b

a

f dg =

∫ b

a

f (t) g′(t) dt .

Ist γ ∈ C1[a, b] und φ stetig, so gilt

γ

φ(x) dx =

∫ b

a

φ(γ(t)

)γ′(t) dt .

Dasselbe gilt fur stetige und stuckweise stetig differenzierbare Wege g bzw. γ.

Beweis. Nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung gilt (R ∈ R)

P(R) =

n(R)∑

j=1

f (α j)(g(ξ j) − g(ξ j−1)

)=

n(R)∑

j=1

f (α j)

∫ ξ j

ξ j−1

g′(t) dt =

∫ b

a

fR(t) g′(t) dt ,

wobei fR(t) die stuckweise konstante Funktion mit fR(t) = f (α j), t ∈ [ξ j−1, ξ j), j =

1, . . . , n(R), und fR(b) = f (αn(R)) ist. Fur t ∈ [ξ j−1, ξ j), 1 ≤ j < n(R), bzw. fur t ∈[ξn(R)−1, ξn(R)] gilt

‖ fR(t) g′(t) − f (t) g′(t)‖ ≤‖ fR(t) − f (t)‖ · ‖g′(t)‖2 = ‖ f (α j) − f (t)‖ · ‖g′(t)‖2 ≤ ρ(|R|) · max

s∈[a,b]‖g′(s)‖2 ,

wobei ρ(δ) := sups,t∈[a,b],|s−t|≤δ ‖ f (s) − f (t)‖. Somit gilt limR∈R fR(t) g′(t) = f (t) g′(t)und zwar gleichmaßig in t ∈ [a, b]. Nach Satz 8.7.2 angewandt auf ein gleichmaßig

konvergentes Netz von Funktionen erhalten wir

limR∈R

P(R) = limR∈R

∫ b

a

fR(t) g′(t) dt =

∫ b

a

limR∈R

fR(t) g′(t) dt =

∫ b

a

f (t) g′(t) dt .

Fur stetige und stuckweise stetig differenzierbare Kurven folgt die Behauptung aus

dem gerade bewiesenen und Fakta 11.2.3, 4.

11.2.6 Bemerkung. Ist X = Rm, so stellt man φ : D→ L(Rn, X) meist als m × n-Matrix

dar. Sind γ j(t) die Komponenten unseres Weges, so berechnet man das Wegintegral

durch

∫ b

a

φ11(γ(t)) · · · φ1n(γ(t))...

...

φm1(γ(t)) · · · φmn(γ(t))

γ′1(t)...

γ′n(t)

dt .

11.2.7 Bemerkung (*). Wie im Abschnitt uber Wege ist bisher auch nirgends eingegan-

gen, dass g bzw. γ in den (Rn, ‖.‖2) hinein abbildet.

Die obigen Resultate samt Beweise bleiben gultig, wenn g bzw. γ das Intervall

[a, b] in eine Menge D ⊆ Y (Y ist Banachraum) abbilden, und f : [a, b]→ L(Y, X) bzw.

φ : D → L(Y, X), also jedem t ∈ [a, b] bzw. y ∈ D eine beschrankte lineare Abbildung

von Y nach X zuordnet.

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104 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.3 Offene Mengen in Rn und Gebiete

Ehe wir uns weiter mit Vektorfeldern beschaftigen, wollen wir uns die Struktur von

offenen Teilmengen des Rn anschauen. Dazu sei zunachst an den Begriff einer zu-

sammenhangenden Teilmenge E eines metrischen Raumes aus Definition 6.2.2 erin-

nert. E heißt zusammenhangend, wenn man E nicht als Vereinigung zweier nicht-

leerer getrennter Mengen schreiben kann. Dabei heißen A und B getrennt, wenn

c(A) ∩ B = A ∩ c(B) = ∅.

11.3.1 Lemma. Ist (Ei)i∈I eine Familie bestehend aus zusammenhangenden Teilmen-

gen eines metrischen Raumes, sodass fur ein gewisses i0 ∈ I und allen i ∈ I die Mengen

Ei0 und Ei nicht getrennt sind4, so ist auch E :=⋃

i∈I Ei zusammenhangend.

Beweis. Angenommen E = A∪B mit getrennten, Mengen A und B. Es folgt Ei =

(A ∩ Ei)∪(B ∩ Ei) fur jedes i ∈ I. Wegen c(A ∩ Ei) ∩ (B ∩ Ei) ⊆ c(A) ∩ B = ∅ und

(A ∩ Ei) ∩ c(B ∩ Ei) ⊆ A ∩ c(B) = ∅ sind auch A ∩ Ei und B ∩ Ei getrennt. Da Ei

zusammenhangend ist, muss eine dieser Mengen leer sein; also Ei ⊆ A oder Ei ⊆ B.

Wir wahlen die Bezeichnung so, dass Ei0 ⊆ A. Ware Ei ⊆ B fur nur ein i ∈ I, so

waren Ei0 und Ei im Widerspruch zur Voraussetzung getrennt. Somit muss E ganz in

A enthalten sein; dh. B = ∅.❑

11.3.2 Definition. Offene und zusammenhangende Teilmengen vonRn heißen Gebiete.

Die Eigenschaft Gebiet zu sein, lasst sich mit Hilfe von stetigen Wegen charakteri-

sieren.

11.3.3 Lemma. Fur ein offenes ∅ , D ⊆ Rn sind folgende Aussagen aquivalent.

(i) D ist zusammenhangend – also ein Gebiet.

(ii) Je zwei Punkte x, y aus D sind durch einen stetigen Weg in D verbindbar5.

(iii) Je zwei Punkte aus D sind durch einen stetigen und stuckweise stetig differenzier-

baren Weg in D verbindbar.

(iv) Je zwei Punkte aus D sind durch einen Polygonzug in D verbindbar.

(v) Je zwei Punkte aus D sind durch einen achsenparallelen6 Polygonzug in D ver-

bindbar.

Beweis. Die Schlusse (v)⇒ (iv), (iv)⇒ (iii) und (iii)⇒ (ii) sind offensichtlich richtig.

Gelte nun (ii) und sei x irgendein fester Punkt aus D. Zu jedem y ∈ D gibt es einen

stetigen Weg γy : [ay, by]→ D mit γy(ay) = x und γy(by) = y. Es folgt

D =⋃

y∈D{y} ⊆

y∈Dγy([ay, by]) ⊆ D .

Also ist D die Vereinigung der nach Proposition 6.2.4 zusammenhangenden Mengen

γy([ay, by]), y ∈ D. Nach unserer Wahl von γy haben diese Mengen zumindest den

Punkt x gemein. Nach Lemma 11.3.1 ist D zusammenhangend; also gilt (i).

4Diese Voraussetzung ist sicher dann erfullt, wenn Ei0 mit allen Ei einen nichtleeren Schnitt hat.5Das bedeutet, dass es einen stetigen Weg γ : [a, b]→ D mit γ(a) = x und γ(b) = y gibt.6Das ist ein Polygonzug −−−→x0 x1 ,

−−−→x1x2 , . . . ,−−−−−−→xm−1xm , wo x j − x j−1 ein skalares Vielfaches eines gewissen

kanonischen Basisvektors ei( j) fur j = 1, . . . ,m ist.

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11.3. OFFENE MENGEN IN RN UND GEBIETE 105

Sei nun D zusammenhangend und x ∈ D wieder fest. Wir bezeichnen mit A die

Menge aller Punkte y ∈ D, die mit x durch einen achsenparallelen Polygonzug in D

verbindbar sind. Da −→xx auch ein solcher ist, folgt x ∈ A, also A , ∅. Klarerweise

ist B := D \ A die Menge aller y ∈ D, die mit x nicht durch einen achsenparallelen

Polygonzug in D verbindbar sind.

Sei y ∈ A und δ > 0 so klein, dass Uδ(y) – definiert bezuglich der ‖.‖∞-Norm auf Rn

– ganz in D enthalten ist. Ist nun −−−→x0x1, . . . ,−−−−−−→xm−1xm ein achsenparalleler Polygonzug von

x nach y in D, daher x0 = x und xm = y, und z ∈ Uδ(y), so gilt z = y + λ1e1 + · · · + λnen

mit |λ1|, . . . , |λn| < δ und daher ist

−−−→x0 x1, . . . ,−−−−−−→xm−1xm,

−−−−−−−−−−→y (y + λ1e1), . . . ,

−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→(y + λ1e1 + . . . λn−1en−1) (y + λ1e1 + . . . λnen)︸ ︷︷ ︸

verlauft in Uδ(y)

ein achsenparalleler Polygonzug von x nach z in D. Also ist z ∈ A und daher Uδ(y) ⊆ A.

Somit ist A offen, und kein Punkt y aus A kann Haufungspunkt von B sein, da ja Uδ(y)

keine Punkte aus B enthalt. Also gilt A ∩ c(B) = ∅.Sei nun y ∈ B und δ > 0 so klein, dass Uδ(y) ⊆ D. Ist z = y+λ1e1+· · ·+λnen ∈ Uδ(y)

und ware z ∈ A mit einem achsenparalleler Polygonzug −−−→x0x1, . . . ,−−−−−−→xm−1xm von x0 = x

nach xm = z in D, so ware

−−−→x0x1, . . . ,−−−−−−→xm−1xm,

−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→z (y + λ1e1 + . . . λn−1en−1), . . . ,

−−−−−−−−−−→(y + λ1e1) y︸ ︷︷ ︸

verlauft in Uδ(y)

ein achsenparalleler Polygonzug von x nach y in D, und daher y ∈ A. Dieser Wider-

spruch zeigt, dass z ∈ B und somit Uδ(y) ⊆ B. Also ist auch B offen, und kein Punkt y

aus B kann Haufungspunkt von A sein, da ja Uδ(y) keine Punkte aus A enthalt. Somit

gilt auch c(A) ∩ B = ∅.Da D zusammenhangend ist, und da A , ∅, muss B = ∅ bzw. D = A, was aber

genau bedeutet, dass alle Punkte aus D mit x durch einen achsenparallelen Polygonzug

verbindbar sind. Klarerweise sind dann auch zwei beliebige Punkte aus D durch

einen achsenparallelen Polygonzug – zumindest via x – verbindbar, und wir haben (v)

nachgewiesen.

11.3.4 Beispiel. Ist D ⊆ Rn offen und konvex, so lassen sich je zwei Punkte x, y aus D

durch die gerade Strecke −→xy verbinden. Gemaß Lemma 11.3.3 ist somit D ein Gebiet.

Insbesondere sind alle offenen Kugeln bzgl. jeder moglichen Norm in Rn Gebiete; vgl.

Bemerkung 10.1.4.

Um beliebigen offene Teilmengen des Rn eine Struktur geben zu konnen, benotigen

wir folgendes Lemma.

11.3.5 Lemma. Sei E eine nichtleere Teilmenge eines metrischen Raumes und sei ∼⊆E × E die Relation auf E definiert durch

x ∼ y⇔ ∃ Z ⊆ E : x, y ∈ Z, Z ist zusammenhangend ,

so ist ∼ eine Aquivalenzrelation auf E. Fur ein x ∈ E ist die Aquivalenzklasse [x]∼ die

großte zusammenhangende Teilmenge von E, die x enthalt.

Beweis. Da die einpunktige Menge {x} zusammenhangend ist, ist ∼ reflexiv. Die Sym-

metrie ist klar. Ist x ∼ y, y ∼ z, und sind Z1 und Z2 zusammenhangende Mengen, sodass

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106 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

x, y ∈ Z1 und y, z ∈ Z2, so ist nach Lemma 11.3.1 Z1 ∪ Z2 zusammenhangend, wobei

x, z ∈ Z1 ∪ Z2. Also ist ∼ ein Aquivalenzrelation. Schließlich ist fur x ∈ E die Menge

[x]∼ =⋃

x∈ZZ ist zusammenhangend

Z ,

wegen Lemma 11.3.1 zusammenhangend. Klarerweise ist diese Menge dann auch die

großte zusammenhangende Teilmenge von E, die x enthalt.

11.3.6 Proposition. Fur ein offenes ∅ , G ⊆ Rn sind die Aquivalenzklassen [x]∼bezuglich der Aquivalenzrelation ∼ aus Lemma 11.3.5 angewandt auf E = G Gebiete.

Insbesondere, lasst sich G als disjunkte Vereinigung von Gebieten schreiben.

Beweis. Fur y ∈ [x]∼ ⊆ G sei ǫ > 0, sodass Uǫ(y) ⊆ G. Wegen Lemma 11.3.1

zusammen mit Beispiel 11.3.4 ist [x]∼ ∪ Uǫ(y) zusammenhangend. Da [x]∼ die großte

zusammenhangende Teilmenge von D ist, welche x enthalt, folgt [x]∼ ∪ Uǫ(y) = [x]∼,also Uǫ (y) ⊆ [x]∼.

Wir haben somit gezeigt, dass [x]∼ offen und daher ein Gebiet ist.

11.4 Gradientenfelder

Wir wollen eingangs ein mehrdimensionales Analogon der Tatsache∫ b

af ′(t) dt =

f (b) − f (a) fur Wegintegrale herleiten. Dafur sei bemerkt, dass fur ein stetig diffe-

renzierbares f : D → X mit offenem D ⊆ Rn und einem Banachraum X die Ableitung

d f : D → L(Rn, X) ein Vektorfeld ist.

11.4.1 Satz. Sei D ⊆ Rn offen, X ein Banachraum und f : D → X eine stetig diffe-

renzierbare Funktion. Fur einen stetigen und stuckweise stetig differenzierbaren Weg

γ : [a, b]→ D gilt ∫

γ

d f (x) dx = f(γ(b)

) − f(γ(a)

).

Beweis. Sind a = t0 < t1 < · · · < tl = b so, dass γ|[t j−1 ,t j] ∈ C1[t j−1, t j], so folgt aus der

Kettenregel und dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung Satz 8.4.5

γ

d f (x) dx =

∫ b

a

d f(γ(t)

)γ′(t) dt =

∫ b

a

( f ◦ γ)′(t) dt =

l∑

j=1

(f(γ(t j)

) − f(γ(t j−1)

))= f

(γ(b)

) − f(γ(a)

).

11.4.2 Beispiel. Wir betrachten nochmals Beispiel 11.2.1. Dort war das Vektorfeld

φ : R3 \ {0} → L(R3,R) durch φ(x) = 1

‖x‖32

(ξ, η, ζ) gegeben. Nun ist aber, φ(x) =

d f (x), wobei f (x) = − 1‖x‖2 . Insbesondere berechnet sich die Arbeit, die man verrichten

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11.4. GRADIENTENFELDER 107

muss, um einen Punkt P von x0 nach x1 entlang eines stetigen und stuckweise stetig

differenzierbaren Weges γ zu bewegen, durch

γ

φ(x) dx =1

‖x0‖2− 1

‖x1‖2.

11.4.3 Definition. Vektorfelder φ : D → L(Rn, X), die Ableitungen d f stetig differen-

zierbarer Funktionen f : D → X sind, heißen Gradientenfelder. Jedes stetig differen-

zierbare f : D→ X mit d f = φ nennt man Stammfunktion von φ.

11.4.4 Korollar. Ist D ein Gebiet und φ : D → L(Rn, X) ein Gradientenfeld, so ist die

Stammfunktion f ∈ C1(D) von φ, dh. d f = φ, bis auf eine additive Konstante aus X

eindeutig.

Beweis. Falls d f1 = φ = d f2 fur zwei C1(D)-Funktionen f1, f2, so folgt fur beliebige

x, y ∈ D aus Satz 11.4.1 angewandt auf 0 = d f1 − d f2 und irgendeinen geeigne-

ten Weg γ : [a, b] → D mit γ(a) = x und γ(b) = y (vgl. Lemma 11.3.3), dass

( f1 − f2)(x) = ( f1 − f2)(y). Somit ist f1 − f2 auf D konstant.

11.4.5 Bemerkung. Die Tatsache, dass φ ein Gradientenfeld ist, hangt entscheidend

von seinem Definitionsbereich ab D.

In der Tat gilt fur das Vektorfeld φ : R2\{0} → L(R2,R), φ((x, y)T

)=

(− y

x2+y2 ,x

x2+y2

)

und den Weg γ(t) = (cos t, sin t)T , t ∈ [0, 2π]

γ

φ(x) dx , 0 .

Wegen γ(0) = γ(2π) erkennen wir aus Satz 11.4.1, dass φ : R2 \ {0} → L(R2,R) kein

Gradientenfeld ist.

Macht man den Definitionsbereich R2 \ {0} von φ kleiner, z.B. D = R2 \ {(x, y)T :

x ≤ 0}, so ist φ sehr wohl ein Gradientenfeld; vgl. Beispiel 11.5.8.

Die in Satz 11.4.1 angegebene Eigenschaft, dass Wegintegrale uber Gradientenfel-

der nicht vom konkreten Weg abhangen, charakterisiert in der Tat Gradientenfelder;

siehe Satz 11.4.7. Um das zu zeigen, brauchen wir folgende Begriffsbildung:

Zu c, x ∈ Rn und einer Permutation σ von {1, . . . , n}, dh. σ : {1, . . . , n} → {1, . . . , n}ist bijektiv, sei γσc,x : [0, n]→ Rn der achsenparallele Polygonzug

−−−→y0y1,−−−→y1y2, . . . ,

−−−−−→yn−1yn ,

wobei

yk := c +

k∑

j=1

(xσ( j) − cσ( j))eσ( j), k = 0, . . . , n ,

und damit insbesondere y0 = c, yn = x.

11.4.6 Lemma. Sei D =∏n

k=1(ak, bk) ⊆ Rn, und φ : D→ L(Rn, X) stetig. Falls fur ein

festes c ∈ D und allen x ∈ D das Wegintegral

γσc,x

φ(v) dv

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108 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

unabhangig von der Permutation σ : {1, . . . , n} → {1, . . . , n} ist, so stellt

f (x) :=

γσc,x

φ(v) dv

eine stetig differenzierbare Funktion f : D→ X dar, wobei d f = φ.

Beweis. Sei δ > 0, sodass U‖.‖∞δ

(x) ⊆ D. Fur 0 , |t| < δ, j ∈ {1, . . . , n} und irgendeiner

Permutation σ mit σ(n) = j gilt im Falle sgn(t · (x j − c j)) ≥ 0,

γσc,x+te j|[0,n−1+

x j−c j

x j−c j+t]∼ γσc,x und γσc,x+te j

|[n−1+

x j−c j

x j−c j+t,n]∼ −−−−−−−−→x (x + te j)

und damit ∫

γσc,x+te j

φ(v) dv =

γσc,x

φ(v) dv +

∫−−−−−−−→x (x+te j)

φ(v) dv .

Im Falle sgn(t · (x j − c j)) < 0 gilt

γσc,x|[0,n−1+x j−c j+t

x j−c j]∼ γσc,x+te j

und γσc,x|[n−1+x j−c j+t

x j−c j,n]∼ −−−−−−−−→(x + te j) x

und damit ∫

γσc,x

φ(v) dv =

γσc,x+te j

φ(v) dv +

∫−−−−−−−→(x+te j) x

φ(v) dv .

Also gilt in jedem Fall

f (x + te j) − f (x)

t=

1

t

∫−−−−−−−→x (x+te j)

φ(v) dv =

∫ 1

0

φ(x + tse j) e j ds .

Wegen der Stetigkeit der Funktion φ konvergiert der Integrand fur t → 0 gleichmaßig

in s ∈ [0, 1] gegen die Konstante φ(x)e j (∈ X). Also folgt∂ f

∂x j(x) = φ(x)e j; vgl. Satz

8.7.2 bzw. (9.17). Da dieser Ausdruck fur jedes j stetig in x ist, gilt f ∈ C1(D) mit

d f = φ; siehe Korollar 8.7.9 bzw. (9.18).

11.4.7 Satz. Sei D ⊆ Rn eine offene Menge und sei φ : D → L(Rn, X) ein Vektorfeld.

φ ist genau dann ein Gradientenfeld, wenn φ stetig und derart ist, dass Wegintegrale

von φ uber achsenparallele Polygonzuge nur von Anfangs- und Endpunkt des Weges

abhangen.

Beweis. Die Beweisrichtung⇒ folgt sofort aus Satz 11.4.1.

Nun kommen wir zu ⇐. Gemaß Proposition 11.3.6 konnen wir D als disjunkte

Vereinigung von gewissen Gebieten θ schreiben. Nun greife man aus jedem solchen

Gebiet θ ein festes xθ ∈ θ heraus, und definiere fur x ∈ θ

f (x) =

ρθx

φ(v) dv ,

wobei ρθx : [a, b]→ θ irgendein achsenparalleler Polygonzug mit ρθx(b) = x und ρθx(a) =

xθ ist; vgl. Lemma 11.3.3. Wegen der Wegunabhangigkeit und weil jedes x ∈ D in

irgendeinem solchen Gebiet liegt, ist auf diese Art und Weise eine Funktion f : D→ X

wohldefiniert.

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11.5. LOKALE GRADIENTENFELDER 109

Sei nun c ∈ D, θ das Gebiet mit c ∈ θ und δ > 0 so, dass U‖.‖∞δ

(c) ⊆ θ. Fur

x ∈ U‖.‖∞δ

(c) gilt wegen der Wegunabhangigkeit

f (x) =

ρθc

φ(v) dv +

γσc,x

φ(v) dv .

Gemaß Lemma 11.4.6 ist f auf U‖.‖∞δ

(c) stetig differenzierbar mit d f |U‖.‖∞δ

(c)= φ|

U‖.‖∞δ

(c).

Da stetig differenzierbar zu sein eine lokale Eigenschaft ist, folgt f ∈ C1(D) mit

d f = φ.

11.4.8 Bemerkung. Die Voraussetzung in Satz 11.4.7, dass∫γ1φ(x) dx =

∫γ2φ(x) dx fur

je zwei achsenparallele Polygonzugeγ1 und γ2 mit gleichen Anfangs- und Endpunkten,

ist aquivalent dazu, dass∫γφ(x) dx = 0 fur alle achsenparallele Polygonzuge γ, deren

Endpunkt gleich dem Anfangspunkt ist. Das sieht man leicht dadurch, indem man γ =

γ1 ⊕ (γ2−) betrachtet, wobei γ j derart aquivalent zu γ j ist, sodass sich γ1 ⊕ (γ2−) bilden

lasst.

11.5 Lokale Gradientenfelder

Etwas schwacher als Gradientenfeld ist folgender Begriff.

11.5.1 Definition. Sei D ⊆ Rn eine offene Menge und sei φ : D → L(Rn, X) ein stetiges

Vektorfeld. Dann heißt φ lokales Gradientenfeld, wenn es zu jedem x ∈ D ein offenes

D(x) ⊆ D7 mit x ∈ D(x) gibt, sodass φ|D(x) : D(x)→ L(Rn, X) ein Gradientenfeld ist.

Dass die Begriffe lokales Gradientenfeld und Gradientenfeld nicht aquivalent sind,

werden wir in Beispiel 11.5.8 sehen.

11.5.2 Bemerkung. Seien 0 < ρ1 < ρ2 < +∞ zwei Radien, sodass φ|Uρ j(x) : Uρ j

(x) →L(Rn, X) fur j = 1, 2 ein Gradientenfeld ist – also φ|Uρ j

(x) = d f j fur f j ∈ C1(Uρ j(x)).

Da die Addition einer Konstanten zu f j daran nichts andert, konnen wir zusatzlich

f1(x) = 0 = f2(x) annehmen.

Da innerhalb einer Kugel ein Punkt durch eine gerade Strecke mit dem Mittelpunkt

verbunden werden kann, folgt aus Korollar 11.4.4, dass sich f1 und f2 auf der kleineren

Kugel Uρ1(x) nur um eine additive Konstante aus X unterscheiden. Wegen f1(x) = 0 =

f2(x), folgt f1 = f2|Uρ1(x).

Ist nun R ⊆ (0,+∞) die Menge aller positiver Zahlen ρ, sodass φ|Uρ(x) immer ein

Gradientenfeld ist, so gibt es also fρ ∈ C1(Uρ(x)) mit d fρ = φ|Uρ(x), welche Fortset-

zungen voneinander sind. Auf⋃ρ∈R Uρ(x) = Usup R(x) ist somit durch f (y) = fρ(y) mit

y ∈ Uρ(x) eine C1 Funktion wohldefiniert, welche offenbar d f = φ|Usup R(x) erfullt.

Insgesamt erkennen wir, dass es fur ein lokales Gradientenfeld φ : D → L(Rn, X)

zu jedem x ∈ D ein maximales 0 < ρ ≤ +∞ gibt, sodass Uρ(x) ⊆ D und φ|Uρ(x) ein

Gradientenfeld ist.

Bei stetig differenzierbaren Vektorfeldern gibt es eine greifbarere Bedingung dafur,

dass ein Vektorfeld ein lokales Gradientenfeld ist.

7Klarerweise kann man D(x) kleiner machen und daher immer als ǫ-Kugel bezuglich der ‖.‖2- oder der

‖.‖∞-Norm annehmen.

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110 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.5.3 Definition. Ein Vektorfeld φ : D → L(Rn, X) heißt stetig differenzierbar stetig

differenzierbar, falls fur alle j = 1, . . . , n die Funktionen x 7→ φ(x)e j von D nach X

hinein stetig differenzierbar sind.

11.5.4 Bemerkung. Wegen Bemerkung 11.2.4 sind stetig differenzierbare Vektorfelder

auch stetig.

11.5.5 Lemma (*). φ : D → L(Rn, X) ist genau dann stetig differenzierbar, wenn φ

als Abbildung von D in den Banachraum L(Rn, X) (versehen mit der Abbildungsnorm)

stetig differenzierbar ist.

Beweis. Wegen Satz 10.1.16 ist die stetige Differenzierbarkeit von φ als Abbildung

von D in den Banachraum L(Rn, X) aquivalent dazu, dass fur i = 1, . . . , n die partiellen

Ableitungen ∂∂xiφ(x) ∈ L(Rn, X) fur alle x ∈ D existieren und stetig von x abhangen. Da

L(Rn, X) ∋ A 7→ Ae j ∈ X beschrankt und linear ist, folgt daraus, dass auch

∂xi

(φ(.)e j)(x) ∈ X

existiert und mit ( ∂∂xiφ(x))e j ubereinstimmt; vgl. Fakta 9.3.12, 4. Da letztere Funktion

stetig von x abhangt, sind somit fur j = 1, . . . , n die Funktionen x 7→ φ(x)e j von D

nach X stetig differenzierbar.

Seien umgekehrt alle diese Funktionen D ∋ x 7→ φ(x)e j ∈ X stetig differenzierbar,

und sei i ∈ {1, . . . , n}. Fur jedes feste x ∈ D wird durch

B(x) : v =

µ1

...

µn

7→

n∑

j=1

µ j

∂xi

(φ(.)e j)(x)

eine lineare Abbildung von Rn nach X definiert, die gemaß Beispiel 9.2.10, (ii), be-

schrankt ist. Wegen

‖B(x) − B(y)‖ = sup‖v‖∞=1

‖(B(x) − B(y))v‖X ≤

n∑

j=1

‖ ∂∂xi

(φ(.)e j)(x) − ∂

∂xi

(φ(.)e j)(y)‖

ist B : D→ L(Rn, X) stetig. Schließlich ist wegen

‖1t

(φ(x + tei) − φ(x)) − B(x)‖ = sup‖v‖∞=1

‖(

1

t(φ(x + tei) − φ(x)) − B(x)

)v‖X =

sup‖v‖∞=1

‖n∑

j=1

µ j

(1

t(φ(x + tei)e j − φ(x)e j) −

∂xi

(φ(.)e j)(x)

)‖X ≤

n∑

j=1

‖(

1

t(φ(x + tei)e j − φ(x)e j) −

∂xi

(φ(.)e j)(x)

)‖X

t→0−→ 0 ,

B(x) nichts anderes als ∂∂xiφ(x).

Sei nun D ⊆ Rn offen, φ : D → L(Rn, X) ein stetig differenzierbares Vektorfeld.

Angenommen, φ ist auf einem offenen D(x) ⊆ D mit x ∈ D(x) ⊆ D die Ableitung einer

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11.5. LOKALE GRADIENTENFELDER 111

Funktion f : D(x) → X, also φ = d f . Klarerweise ist dann f ∈ C2(D(x)), und wegen

dem Satz von Schwarz gilt (y ∈ D(x))

∂xi

φ(y)e j =∂2 f

∂xi∂x j

(y) =∂2 f

∂x j∂xi

(y) =∂

∂x j

φ(y)ei . (11.8)

Wir sehen also, dass

∂xi

φ(.)e j =∂

∂x j

φ(.)ei, i, j ∈ {1, . . . , n} , (11.9)

eine notwendige Bedingung dafur ist, dass φ ein lokales Gradientenfeld ist.

Wir wollen als nachstes zeigen, dass (11.9) auch hinreichend dafur ist, dass ein

Vektorfeld ein lokales Gradientenfeld ist. In der Tat werden wir fur ein Vektorfeld

φ : D→ L(Rn, X), wobei D ein offener Quaders D =∏n

i=1(ai, bi) ist, aus der Gultigkeit

von (11.9) herleiten, dass φ ein Gradientenfeld auf D ist. Es sei daran erinnert, dass

diese offenen Quader tatsachlich offen sind; vgl. Fakta 8.7.8.

11.5.6 Satz. Sei φ : D→ L(Rn, X) ein stetig differenzierbares Vektorfeld.

Fur D =∏n

k=1(ak, bk) ⊆ Rn folgt aus (11.9), dass φ ein Gradientenfeld ist.

Fur beliebiges offenes D ⊆ Rn folgt aus (11.9), dass φ ein lokales Gradientenfeld

ist.

Beweis. Sei c ∈ D =∏n

k=1(ak, bk) und sei σ = id{1,...,n} die identische Permutation von

{1, . . . , n}. Mit der Notation, die wir vor Lemma 11.4.6 eingefuhrt haben, ist durch

f (x) :=

γσc,x

φ(v) dv (∈ X) ,

eine Funktion f : D→ X wohldefiniert. Fur f ∈ C1(D) mit d f = φ, reicht es zu zeigen,

dass∂ f

∂xk(x) = φ(x)ek fur alle k = 1, . . . , n und x ∈ D.

Mit (11.6), mit Satz 11.2.5 und mit der Substitution s = (x j − c j)t folgt

f (x) =

n∑

j=1

−−−−−→y j−1 y j

φ(v) dv

=

n∑

j=1

∫ 1

0

φ((1 − t)y j−1 + ty j

) (y j − y j−1

)dt

=

n∑

j=1

∫ x j−c j

0

φ(y j−1 + se j

)e j ds , (11.10)

wobei yk = c+∑k

j=1(x j − c j)e j. Nun leiten wir diese Gleichung nach xk ab, und werten

bei x aus. Da fur j < k der Ausdruck y j−1 von xk unabhangig ist, und somit im j-ten

Summanden von (11.10) die Variable xk nicht vorkommt, ist seine Ableitung gleich

Null.

Fur j = k ist y j−1 auch von xk unabhangig. Somit tritt beim k-ten Summanden xk

nur in der oberen Integralgrenze auf, weswegen seine Ableitung nach xk ubereinstimmt

mit

φ(yk−1 + (xk − ck)ek

)ek = φ

(yk

)ek .

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112 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Fur j > k tritt xk nur im Integranden auf, da dann y j−1 sehr wohl von xk abhangt. Wegen

Korollar 8.7.12 (siehe auch (9.19)) kann man Integral und ∂∂xk

vertauschen. Also ist die

Ableitung des j-ten Summanden von (11.10) gleich

∫ x j−c j

0

∂xk

φ(y j−1 + se j) e j ds

und wegen (11.9) weiter gleich

∫ x j−c j

0

∂x j

φ(y j−1 + se j) ek ds =

φ(y j−1 + (x j − c j)e j

)ek − φ(y j−1)ek = φ(y j) ek − φ(y j−1) ek .

Somit stimmt die Ableitung von (11.10) nach xk uberein mit

∂ f

∂xk

(x) = φ(yk) ek +

n∑

j=k+1

(φ(y j) ek − φ(y j−1) ek

)= φ(yn) ek = φ(x) ek .

Ist D ⊆ Rn offen und ist x ∈ D, so gilt fur hinreichend kleines ρ > 0, dass U‖.‖∞ρ (x) ⊆ D.

Da U‖.‖∞ρ (x) =

∏ni=1(xi − ρ, xi + ρ) ein offener Quader ist, folgt aus (11.9), dass φ|

U‖.‖∞ρ (x)

ein Gradientenfeld ist. Also ist φ ein lokales Gradientenfeld.

11.5.7 Beispiel. Sei D = {(x, y)T ∈ R2 : x , 0, y < π2+ πZ}, und

φ : D→ L(R2,R) � R1×2 definiert durch

φ

(x

y

)=

(− tan y

x2+ 2xy + x2,

1

x cos2 y+ x2 + y2

).

φ ist stetig differenzierbar, wobei

∂yφ

(x

y

)e1 = −

1

x2 cos2 y+ 2x =

∂xφ

(x

y

)e2 .

Also ist φ nach Satz 11.5.6 ein lokales Gradientenfeld.

Da D kein Quader ist, sind wir zu diesem Zeitpunkt weder sicher, ob es sich um ein

Gradientenfeld handelt, noch haben wir die Stammfunktion explizit in der Hand. Um

diese zu finden, nehmen wir einmal unbestimmt f : D→ R so an, dass d f = φ. Also

∂ f

∂x

(x

y

)= − tan y

x2+ 2xy + x2,

∂ f

∂y

(x

y

)=

1

x cos2 y+ x2 + y2 .

Wegen der ersten Gleichung folgt

f

(x

y

)=

∫− tan y

x2+ 2xy + x2dx + c(y) =

tan y

x+ x2y +

x3

3+ c(y) ,

mit einer C2 Funktion c(y), die nur von y abhangt. Nun leiten wir das nach y ab, ver-

wenden die zweite Gleichung von oben und erhalten

1

x cos2 y+ x2 + c′(y) =

∂ f

∂y

(x

y

)=

1

x cos2 y+ x2 + y2 .

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11.5. LOKALE GRADIENTENFELDER 113

Also muss c(y) von der Gestalt c(y) =y3

3+ c sein. Wir sehen, dass

f

(x

y

)=

tan y

x+ x2y +

x3 + y3

3.

tatsachlich φ = d f erfullt und somit eine Stammfunktion von φ ist. Insbesondere ist φ

auf ganz D ein Gradientenfeld.

11.5.8 Beispiel. Fur D = R2 \ {0} sei das Vektorfeld φ : R2 \ {0} → L(R2,R) definiert

durch

φ

(x

y

)= (

−y

x2 + y2,

x

x2 + y2) .

Man rechnet elementar nach, dass ∂∂yφ(

x

y

)e1 =

∂∂xφ(

x

y

)e2, und somit φ ein lokales

Gradientenfeld ist.

Wir haben in Bemerkung 11.4.5 angedeutet, wie man zeigen kann, dass φ : D →L(R2,R) kein Gradientenfeld ist. Wir wollen diese Tatsache hier auf eine andere Art

und Weise nachweisen. Dazu nehmen wir an, dass es doch ein g : D → R gibt, so-

dass dg = φ, und leiten daraus einen Widerspruch her. Addieren wir eine geeignete

Konstante, so konnen wir oBdA. g((1, 0)T) = 0 annehmen.

Auf die obere Halbebene (−∞,+∞)×(0,+∞) eingeschrankt ist φ gemaß Satz 11.5.6

ein Gradientenfeld mit Stammfunktion f darauf. Der Ansatz

∂ f

∂x

(x

y

)=−y

x2 + y2

ergibt durch unbestimmte Integration f ((x, y)T ) = − arctan( x

y

)+ c(y). Nun leiten wir

das nach y ab, und erhalten die Gleichung

x

x2 + y2+ c′(y) =

x

x2 + y2,

also c′(y) = 0, womit c(y) konstant ist. Da gemaß Korollar 11.4.4 die Stammfunktion

eines Vektorfeldes eindeutig ist, und da g|(−∞,+∞)×(0,+∞) auch eine solche Stammfunkti-

on von φ|(−∞,+∞)×(0,+∞) ist, folgt

g|(−∞,+∞)×(0,+∞) = − arctan( x

y

)+ c .

Lassen wir in dieser Gleichung (x, y)T ∈ (−∞,+∞) × (0,+∞) gegen (1, 0)T streben, so

folgt 0 = − π2+ c. Lassen wir in obiger Gleichung dann (x, y)T ∈ (−∞,+∞) × (0,+∞)

gegen (−1, 0)T streben, so schließen wir auf g((−1, 0)T ) = π2+ c = π.

Auf der unteren Halbebene (−∞,+∞) × (−∞, 0) erhalten wir ganz ahnlich

− arctan( x

y

)+ d als Stammfunktion, und somit

g|(−∞,+∞)×(−∞,0) = − arctan( x

y

)+ d .

Lassen wir hier nun (x, y)T ∈ (−∞,+∞) × (−∞, 0) gegen (−1, 0)T streben, so kon-

vergiert xy

gegen −∞, womit wir π = g((−1, 0)T) = − π2+ d, also d = 3π

2erhalten.

Lassen wir schließlich (x, y)T ∈ (−∞,+∞)× (−∞, 0) gegen (1, 0)T streben, so folgt der

Widerspruch 0 = g((1, 0)T ) = π2+ d = 2π.

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114 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.5.9 Bemerkung (*). Sei I ein reelles Intervall und x : I → Rn eine C1-Funktion mit

x(I) ⊆ D fur eine gewisse offene Teilmenge D von Rn. Nun genuge x der Differential-

gleichungn∑

j=1

f j

(x(t)

) · x′j(t) = 0, t ∈ I , (11.11)

wobei f1, . . . , fn : D → R alle in C(D) sind. Ziel ist es, mehr uber die Funktion x in

Erfahrung zu bringen.

Das geht sicher dann, wenn ( f1, . . . , fn) : D → L(Rn,R) ein Gradientenfeld ist,

dh. wenn ( f1, . . . , fn) = dF fur ein F ∈ C1(D). Man nennt (11.11) dann eine exakte

Differentialgleichung. In der Tat liest sich in diesem Fall (11.11) wegen der Kettenregel

(siehe auch Bemerkung 10.1.21) als

(F ◦ x)′(t) = 0, t ∈ I ,

und daher F ◦ x ≡ c fur eine gewisse reelle Konstante c.

Ist D ein offener Quader und sind die f j alle sogar C1, so ist gemaß Satz 11.5.6

∂xi

f j =∂

∂x j

fi, i, j ∈ {1, . . . , n} ,

eine hinreichende Bedingung dafur, dass (11.11) eine exakte Differentialgleichung ist.

Nun kann es sein, dass zwar (11.11) keine exakte Differentialgleichung ist, aber es

dennoch eine Funktion m : D → R gibt, sodass die aus (11.11) abgeleitete Differenti-

algleichung

m(x(t)

) ·n∑

j=1

f j

(x(t)

) · x′j(t) =n∑

j=1

(m · f j)(x(t)

) · x′j(t) = 0, t ∈ I ,

eine solche ist. Dann folgt namlich auch G ◦ x ≡ c fur eine gewisse reelle Konstante c,

wobei G eine Stammfunktion des Gradientenfeldes (m · f1, . . . ,m · fn) ist. Eine solche

Funktion m nennt man Integrierenden Faktor.

11.5.10 Beispiel (*). Sei b > 0 und y : (0, b)→ R eine C1-Funktion, die der Differen-

tialgleichung

4x + 3y(x)2 + 2xy(x)y′ = 0 (11.12)

genugt. Um diese Gleichung mit der in Bemerkung 11.5.9 vorgestellten Methode be-

handeln zu konnen, betrachten wir(x(t)

y(t)

)=

(t

y(t)

)

als Abbildung von (0, b) nach (0, b) × R. Dann schreibt sich unsere Gleichung als

f

(x(t)

y(t)

)· x′(t) + g

(x(t)

y(t)

)· y′(t) = 0 , (11.13)

wobei f((x, y)T

)= 4x + 3y2 und g

((x, y)T

)= 2xy. Wegen

∂yf

(x

y

)= 6y , 2y =

∂xg

(x

y

)

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11.6. HOMOTOPIE UND EINFACHER ZUSAMMENHANG 115

ist (11.13) nicht exakt. Durch Multiplizieren mit m((x, y)T

)= x2 folgt aus (11.13) aber

m

(x(t)

y(t)

)· f

(x(t)

y(t)

)· x′(t) + m

(x(t)

y(t)

)· g

(x(t)

y(t)

)· y′(t) = 0 . (11.14)

Wegen

∂y(m · f )

(x

y

)= 6yx2 = 6x2y =

∂x(m · g)

(x

y

)

zusammen mit Satz 11.5.6 ist (11.14) exakt.

Man sieht leicht, dass G((x, y)T

)= x4+x3y2 eine Stammfunktion von (m· f ,m·g) ist.

Also muss G((x(t), y(t))T

)= c, t ∈ (0, b) fur eine Konstante c ∈ R sein. Das bedeutet

t4 + t3y2(t) = c bzw.

y2(t) =c

t3− t .

Da dieser Ausdruck fur alle t ∈ (0, b) nichtnegativ ist, muss c ≥ b4. Also muss

y(x) = ε ·√

c

x3− x, x ∈ (0, b) ,

fur gewisse ε ∈ {+1,−1}, c ∈ [b,+∞). Man uberpruft sofort, dass auch jede derartige

Funktion tatsachlich eine Losung von (11.12) ist.

11.6 Homotopie und einfacher Zusammenhang

Ehe wir den wichtigen Satz 11.6.4 beweisen konnen, brauchen wir noch eine grundle-

gende Begriffsbildung.

11.6.1 Definition. Sei D ⊆ Rn offen, und seien γ0, γ1 : [a, b]→ D zwei stetige Wege.

Eine stetige Abbildung Γ : [a, b] × [c, d]→ D (c, d ∈ R, c < d) mit

Γ(t, c) = γ0(t), Γ(t, d) = γ1(t), t ∈ [a, b] ,

heißt Homotopie zwischen γ0 und γ1.

Haben γ0 und γ1 gleichen Anfangs- und gleichen Endpunkt, dh. γ0(a) = γ1(a)

und γ0(b) = γ1(b), so heißen diese Wege homotop in D, wenn es eine Homotopie

Γ : [a, b] × [c, d]→ D zwischen γ0 und γ1 gibt, sodass

Γ|{a}×[c,d] ≡ γ0(a), Γ|{b}×[c,d] ≡ γ0(b) .

Ein Gebiet D ⊆ Rn heißt einfach zusammenhangend, wenn je zwei stetige Wege mit

gleichen Anfangs- und gleichen Endpunkten homotop sind.

11.6.2 Bemerkung. Ist Γ : [a, b] × [c, d]→ D eine Homotopie zwischen γ0 und γ1, so

auch Γ : [a, b] × [0, 1]→ D, wobei

Γ(t, s) = Γ(t, sb + (1 − s)a) .

Also kann man fur Homotopien immer oBdA. annehmen, dass [c, d] = [0, 1].

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116 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.6.3 Beispiel. Ist D ⊆ Rn offen, und sind γ0, γ1 : [a, b] → D zwei stetige Wege mit

gleichem Anfangs- und gleichem Endpunkt, sodass die Konvexkombinationen

γα(t) := α · γ1(t) + (1 − α) · γ0(t)

fur alle α ∈ [0, 1] und alle t ∈ [a, b] in D liegen, so ist Γ(t, α) := γα(t) stetig auf

[a, b] × [0, 1]. Also sind γ0 und γ1 homotop.

Insbesondere sind konvexe und offene D einfach zusammenhangende Gebiete; vgl.

Beispiel 11.3.4.

11.6.4 Satz. Sei D ⊆ Rn offen und sei φ : D → L(Rn, X) ein lokales Gradientenfeld.

Sind γ0, γ1 : [a, b] → D zwei stetige und stuckweise stetig differenzierbare Wege mit

gleichen Anfangs- und gleichen Endpunkten, die homotop sind, so gilt

γ0

φ(x) dx =

γ1

φ(x) dx .

Ist D ein einfach zusammenhangendes Gebiet, so ist φ : D→ L(Rn, X) genau dann ein

lokales Gradientenfeld wenn es ein Gradientenfeld ist.

Beweis. Sei Γ : [a, b] × [0, 1] → D eine Homotopie zwischen γ0 und γ1 wie in De-

finition 11.6.1. Voraussetzungsgemaß gibt es zu jedem x ∈ K := Γ([a, b] × [0, 1]) ein

0 < ρx ≤ +∞ mit Uρx(x) ⊆ D8, sodass φ|Uρx (x) ein Gradientenfeld ist. Gemaß Bemer-

kung 11.5.2 konnen wir die ρx maximal wahlen, sodass Uρx(x) ⊆ D und φ|Uρx (x) ein

Gradientenfeld ist.

Ware nun ρ := inf{ρx : x ∈ K} gleich Null, so gabe es eine Folge (xn)n∈N aus

K mit limn→∞ ρxn= 0. Da K als stetiges Bild einer kompakten Menge kompakt ist,

hat diese Folge eine gegen ein x ∈ K konvergente Teilfolge (xn( j)) j∈N. Fur alle hinrei-

chend großen j ∈ N gilt daher xn( j) ∈ U ρx2

(x) und in Folge der Dreiecksungleichung

somit auch U ρx2

(xn( j)) ⊆ Uρx(x). Also ist fur alle hinreichend großen j das Vektorfeld

φ|U ρx2

(xn( j)) ein Gradientenfeld und somitρx

2≤ ρxn( j)

, was aber lim j→∞ ρxn( j)= 0 wider-

spricht.

Damit haben wir die Existenz eines ρ > 0 gezeigt, sodass fur alle x ∈ D immer

Uρ(x) ⊆ D und φ|Uρ(x) ein Gradientenfeld ist. Gemaß Satz 6.3.3 gibt es ein η > 0,

sodass

max(|t1 − t2|, |s1 − s2|) = d∞((t1, s1), (t2, s2)

)< η ⇒‖Γ(t1, s1) − Γ(t2, s2)‖∞ < ρ . (11.15)

Seien a = t0 < t1 < · · · < tp = b, 0 = s0 < s1 · · · < sp = 1, sodass fur alle j, k =

1, . . . , p die Ungleichung |t j− t j−1|, |sk− sk−1| < η gilt. Also verlaufen fur j, k = 1, . . . , p

die Polygonzuge

α jk :=−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1, sk−1) Γ(t j−1, sk),

−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1, sk) Γ(t j, sk)

und

β jk :=−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1, sk−1) Γ(t j, sk−1),

−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j, sk−1) Γ(t j, sk)

8Bezuglich ‖.‖∞.

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11.6. HOMOTOPIE UND EINFACHER ZUSAMMENHANG 117

ganz in Uρ(Γ(t j, sk)) ⊆ D. Mit Satz 11.4.1 folgt

0 =

α jk

φ(x) dx −∫

β jk

φ(x) dx =

∫−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk−1) Γ(t j−1 ,sk)

φ(x) dx +

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk) Γ(t j ,sk)

φ(x) dx

−∫−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk−1) Γ(t j ,sk−1)

φ(x) dx −∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j ,sk−1) Γ(t j ,sk)

φ(x) dx .

Aufsummieren uber j und k ergibt

0 =

p∑

j,k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk−1) Γ(t j−1 ,sk)

φ(x) dx +

p∑

j,k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk) Γ(t j ,sk)

φ(x) dx

−p∑

j,k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sk−1) Γ(t j ,sk−1)

φ(x) dx −p∑

j,k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j ,sk−1) Γ(t j ,sk)

φ(x) dx .

Nach Indexverschiebungen (k k + 1 bzw. j j − 1) in den letzten beiden Summen

kurzen sich die meisten Summanden der ersten (zweiten) Summe mit welchen aus der

vierten (dritten) Summe. Ubrig bleibt

0 =

p∑

k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t0,sk−1) Γ(t0 ,sk)

φ(x) dx +

p∑

j=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sp) Γ(t j ,sp)

φ(x) dx

−p∑

k=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(tp,sk−1) Γ(tp ,sk)

φ(x) dx −p∑

j=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,s0) Γ(t j ,s0)

φ(x) dx .

Man beachte, dass Γ(t0, s) = Γ(a, s) = γ0(a) und Γ(tp, s) = Γ(b, s) = γ0(b) fur alle

s ∈ [0, 1]. Also sind die gerade Strecken−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t0, sk−1) Γ(t0, sk) und

−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(tp, sk−1) Γ(tp, sk)

konstant, und somit verschwinden alle Wegintegrale in der ersten und in der dritten

Summe. Also erhalten wir

p∑

j=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,sp) Γ(t j ,sp)

φ(x) dx =

p∑

j=1

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1 ,s0) Γ(t j ,s0)

φ(x) dx . (11.16)

Fur jedes j = 1, . . . , p sind aber γ0|[t j−1,t j] und−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1, s0) Γ(t j, s0) zwei stetige und

stuckweise stetig differenzierbare Wege, welche den selben Anfangspunkt γ0(t j−1) =

Γ(t j−1, s0) und den selben Endpunkt γ0(t j) = Γ(t j, s0) haben. Aus (11.15) folgt zudem,

dass beide Wege innerhalb von Uρ(γ0(t j)) ⊆ D verlaufen, worauf φ ein Gradienten-

feld ist. Wegen Satz 11.4.1 erhalten wir somit, dass die Wegintegrale von φ uber diese

beiden Wege ubereinstimmen, dh.

∫−−−−−−−−−−−−−−−−→Γ(t j−1,s0) Γ(t j ,s0)

φ(x) dx =

γ0 |[t j−1 ,t j ]

φ(x) dx.,

Wir erhalten nach dem Aufsummieren uber die j, dass die rechte Seite in (11.16) mit∫γ0φ(x) dx ubereinstimmt. Entsprechend zeigt man, dass die linke Seite in (11.16) mit∫

γ1φ(x) dx ubereinstimmt. Also folgt die behauptete Gleichheit.

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118 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Wenn D ein einfach zusammenhangendes Gebiet ist, dann sind zwei Wege

mit gleichem Anfangs- und Endpunkten immer homotop. Gemaß Satz 11.4.7 und

dem ersten Teil des aktuellen Satzes ist dann jedes lokale Gradientenfeld sogar ein

Gradientenfeld.

11.7 Komplexe Wegintegrale

Wir wollen diesen Abschnitt mit einer Bemerkung aus der Linearen Algebra beginnen.

11.7.1 Bemerkung. Vektorraume X und Y uber dem Skalarkorper C lassen sich kla-

rerweise auch als Vektorraume uber R auffassen. Ist dabei A : X → Y eine C-lineare

Abbildung, so ist A sicherlich auch R-linear. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen si-

cher nicht, wie etwa das Beispiel der Vektorraume X = C = Y und A(ξ + iη) = 3ξ + iη

zeigt.

Wir fragen also, wann eine R-lineare Abbildung A : X → Y auch C-linear ist. Eine

offensichtlich notwendige Bedingung ist

A(ix) = iA(x), fur alle x ∈ X . (11.17)

Diese Bedingung ist auch hinreichend, da wegen derR-Linearitat A(x+y) = A(x)+A(y)

fur x, y ∈ X und da (ξ, η ∈ R, x ∈ X)

A((ξ + iη)x

)= A(ξx) + A(iηx) = A(ξx) + iA(ηx) = ξA(x) + iηA(x) = (ξ + iη)A(x) .

Fur ein R-lineares A : X → Y gilt (11.17) sicher schon, wenn A(ix) = iA(x) fur alle x

aus einer Basis von X (als Vektorraum uber R) gilt.

Da 1, i eine Basis von C (uber R) abgibt, trifft im Falle X = C Gleichung (11.17)

genau dann zu, wenn

A(i) = iA(1) . (11.18)

In dem Fall ist wegen

A((ξ + iη)) = A((ξ + iη) · 1) = (ξ + iη) · A(1) (11.19)

die Abbildung A nichts anderes, als die skalare Multiplikation mit dem Vektor A(1) ∈Y.

Im Spezialfall X = Y = C � R2 konnen wir jede R-lineare Abbildung A : C → Cals 2 × 2-Matrix A =

( α11 α12α21 α22

)anschreiben. Wegen 1 � (1, 0)T , i � (0, 1)T und weil fur

ξ + iη � (ξ, η)T aus C � R2

i(ξ + iη) = −η + iξ �

(−ηξ

)=

(0 −1

1 0

) (ξ

η

)

gilt, bedeutet Bedingung (11.18) dann gerade(α12

α22

)=

(0 −1

1 0

) (α11

α21

)=

(−α21

α11

).

Das ist aquivalent dazu, dass A von der speziellen Form(α11 α12

α21 α22

)=

(a −b

b a

)(11.20)

ist. Wegen (11.19) stellt A gerade die Multiplikation mit der festen komplexen Zahl

A(1) = a + ib dar.

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 119

11.7.2 Definition. Ist D ⊆ C, Y ein Banachraum uber C, f : D→ Y eine Funktion und

γ : [a, b]→ D ein Weg, so ist das komplexe Wegintegral definiert durch

γ

f (z) dz := lim|R|→0

n(R)∑

j=1

(γ(ξ j) − γ(ξ j−1)

)f(γ(α j)

), (11.21)

falls dieser Limes existiert.

Bemerkung 11.7.1 lasst sich dazu benutzen, um komplexe Wegintegrale auf die uns

schon bekannten Wegintegral zuruckzufuhren.

Man beachte, dass die Summanden in (11.21) Produkte von komplexen Zahlen mit

Vektoren aus Y sind. Zum Vergleich dazu sind die Summanden in (11.4) Elemente

aus X, die man erhalt, wenn man(γ(ξ j) − γ(ξ j−1)

) ∈ Rn auf die lineare Abbildung

φ(γ(α j)

) ∈ L(Rn, X) anwendet.

Um dennoch komplexe Wegintegrale als Wegintegrale betrachten zu konnen, iden-

tifizieren wir C mit R2. Dann lasst sich gemaß Bemerkung 11.7.1 die komplexe Mul-

tiplikation als Anwendung eins Zweivektors auf eine lineare Abbildung aus L(R2, Y)

wie in (11.19) realisieren.

Definieren wir also φ f : D → L(R2, Y) durch φ f (z) = ((ξη

)7→ (ξ + iη) f (z)), so

konnen wir (11.21) als

γ

f (z) dz = lim|R|→0

n(R)∑

j=1

φ f

(γ(α j)

) (γ(ξ j) − γ(ξ j−1)

)=

γ

φ f (x) dx (11.22)

anschreiben, wobei (γ(ξ j) − γ(ξ j−1)) jetzt als Element von C � R2 zu interpretieren ist,

das auf φ f

(γ(α j)

) ∈ L(R2, Y) angewandt wird.

Die Stetigkeit von φ f ist wegen z 7→ φ f (z)e1 = f (z) und z 7→ φ f (z)e2 = i f (z) gemaß

Bemerkung 11.2.4 aquivalent zur Stetigkeit von f . Also existiert fur stetiges f sowie

stetiges und rektifizierbares γ gemaß Fakta 11.2.3, 2, das Integral in (11.22). Ist γ sogar

stetig und stuckweise stetig differenzierbar, so folgt aus Satz 11.2.5

γ

f (z) dz =

γ

φ f (x) dx =

∫ b

a

φ f (γ(t)) γ′(t) dt =

∫ b

a

γ′(t) · f (γ(t)) dt . (11.23)

Wegen (11.7) lasst sich die Norm eines komplexen Wegintegrals folgendermaßen

abschatzen: ∥∥∥∥∥∥

γ

f (z) dz

∥∥∥∥∥∥ ≤ maxt∈[a,b]

‖ f ◦ γ(t)‖ · ℓ(γ) . (11.24)

11.8 Holomorphe Funktionen

In diesem Abschnitt sei f : D → Y eine Funktion, wobei D ⊆ R2� C offen ist und

wobei Y ein Banachraum uber dem Skalarkorper C ist.

Ist f in einem Punkt z = x+iy � (x, y)T ∈ D differenzierbar im Sinne von Definition

10.1.13, so ist d f (z) dabei eine R-lineare Abbildung von R2� C nach Y mit

d f (z)v =∂ f

∂v(z) = v1

∂ f

∂x(z) + v2

∂ f

∂y(z) ∈ Y, fur alle v = (v1, v2)T ∈ R2 (� C) .

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120 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Gemaß (11.18) ist somit d f (z) genau dann C-linear, wenn

∂ f

∂y(z) = i

∂ f

∂x(z) , (11.25)

denn es gilt ja 1 � (1, 0)T , i � (0, 1)T , wenn man komplexe Zahlen als Elemente von

R2 betrachtet. In dem Fall gilt dann wegen (11.19) fur v = (v1, v2)T ∈ R2

d f (z)v = (v1 + iv2) · d f (z)

(1

0

)= (v1 + iv2) · ∂ f

∂x(z) . (11.26)

11.8.1 Bemerkung. Ist Y = C und setzen wir u := Re f und v := Im f , so gilt

d f (z) =

∂u∂x

(z) ∂u∂y

(z)∂v∂x

(z) ∂v∂y

(z)

,

und die Vektorgleichung (11.25) lasst sich als

∂u

∂y(z) = −∂v

∂x(z),

∂v

∂y(z) =

∂u

∂x(z)

schreiben. Man spricht von den Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen.

11.8.2 Lemma. Sei D ⊆ C offen, Y ein Banachraum uber C und f : D → Y eine

Funktion. Fur ein z ∈ D sind folgende beiden Aussagen aquivalent:

� f ist bei z im Sinne von Definition 10.1.13 differenzierbar, sodass d f (z) eine

C-lineare Abbildung ist bzw. aquivalent dazu, dass (11.25) gilt.

� Der Grenzwert – man spricht von der komplexen Ableitung –

d f

dz(z) = f ′(z) := lim

h→0

f (z + h) − f (z)

h

existiert in C.

Treffen diese Aussagen zu, so heißt f bei z komplex differenzierbar und es gilt

f ′(z) =∂ f

∂x(z) = −i · ∂ f

∂y(z) . (11.27)

Außerdem ist f bei z stetig.

Ist f bei allen z ∈ D komplex differenzierbar, so gilt f ∈ C1(D) genau dann, wenn

z 7→ f ′(z) als Abbildung von D nach Y stetig ist.

Beweis. Gemaß Definition 10.1.13 und wegen der Aquivalenz der Normen ‖.‖2 = |.|und ‖.‖∞ auf C � R2 ist f bei z genau dann differenzierbar, wenn

f (z + h) = f (z) + d f (z)h + |h|ε(h), h , 0 , (11.28)

fur irgendeine Funktion ε : (D−z)\{0} → Y mit limh→0 ε(h) = 0. Der Ausdruck d f (z)h

ist dabei die Anwendung von h = h1 + ih2, interpretiert als Element(h1

h2

)von R2, auf

lineare Abbildung d f (z) ∈ L(R2, Y)

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 121

Ist dabei (11.25) erfullt, so folgt aus (11.26), dass d f (z)h = h · g(z) mit g(z) =∂ f

∂x(z) = −i · ∂ f

∂y(z) ∈ Y. Daraus erhalt man

limh→0

f (z + h) − f (z)

h= g(z) + lim

h→0

|h|h· ε(h) = g(z) ,

da ‖ |h|h· ε(h)‖ = ‖ε(h)‖ → 0 fur h→ 0.

Falls umgekehrt der komplexe Grenzwert g(z) := limh→0f (z+h)− f (z)

hexistiert, so

folgt mit ε(h) := h|h|

(f (z+h)− f (z)

h− g(z)

)fur h , 0 unmittelbar

f (z + h) = f (z) + h · g(z) + |h| ε(h), h , 0 ,

wobei ε(h)→ 0 fur h→ 0. Da die Ableitung d f (z) eindeutig ist, folgt hieraus d f (z)h =

h · g(z) und damit die C-Linearitat von d f (z). Wegen Korollar 10.1.14 ist f bei z stetig.

Die letzte Aussage folgt unmittelbar aus (11.27).

11.8.3 Definition. Sei D ⊆ C offen und Y ein Banachraum uber dem Skalarkorper C.

Eine Funktion f : D → Y heißt holomorph auf D, falls sie bei allen Punkten z ∈ D

komplex differenzierbar ist und die Funktion z 7→ f ′(z) stetig ist.

Mit einiger Muhe lasst sich zeigen, dass die Forderung, dass z 7→ f ′(z) stetig ist, in

dieser Definition weggelassen werden kann; vgl. Satz 11.9.2.

11.8.4 Beispiel.

(i) Ist y ∈ Y fest, und gilt f (z) = y, z ∈ C, so ist f an allen Punkten z ∈ C komplex

differenzierbar mit

f ′(z) = limh→0

f (z + h) − f (z)

h= 0 (∈ Y) .

Da z 7→ 0 als Abbildung von C nach Y stetig ist, ist f holomorph.

(ii) Fur die Funktion f : z 7→ z von C nach C, dh. f = idC, gilt an jedem Punkt z ∈ C

f ′(z) = limh→0

f (z + h) − f (z)

h= lim

h→0

(z + h) − z

h= 1 .

Da die konstante 1-Funktion stetig ist, folgt die Holomorphie von f .

(iii) Fur die Funktion f : z 7→ 1z

als Abbildung von C \ {0} nach C gilt an jedem Punkt

z ∈ C \ {0}

f ′(z) = limh→0

1z+h− 1

z

h= lim

h→0

z − (z + h)

hz(z + h)= − 1

z2.

Da z 7→ − 1z2 als Abbildung von C \ {0} nach C stetig ist, folgt die Holomorphie

von f .

11.8.5 Proposition. Seien D,G ⊆ C offen, Y ein komplexer Banachraum, α, β ∈ C und

f , f1, f2 : D → Y, φ : D → C sowie g : G → Y Funktionen. Dann gelten folgende

Aussagen:

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122 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

� Sind f1 und f2 in z ∈ D komplex differenzierbar, so ist es auch α f1+β f2 : D→ Y,

wobei (α f1 + β f2)′(z) = α f ′1(z) + β f ′

2(z). Sind f1 und f2 holomorph auf D, so ist

es auch α f1 + β f2.

� Sind φ und f in z ∈ D komplex differenzierbar, so ist es auch φ · f : D → Y,

wobei (Produktregel)

(φ · f )′(z) = φ′(z) f (z) + φ(z) f ′(z) .

Sind f und φ holomorph auf D, so ist es auch φ · f .

� Sind φ und f in z ∈ D komplex differenzierbar mit φ(z) , 0, so ist es auchf

φ: {z ∈ D : φ(z) , 0} → Y9, wobei (Quotientenregel)

(f

φ

)′(z) =

φ(z) f ′(z) − φ′(z) f (z)

φ(z)2.

Sind f und φ holomorph auf {z ∈ D : φ(z) , 0}, so ist es auchf

φ.

� Ist z ∈ D, sodass φ(z) ∈ G, und sind φ im Punkt z ∈ D und g im Punkt φ(z)

komplex differenzierbar, so ist g ◦ φ : φ−1(G)→ Y9 im Punkt z komplex differen-

zierbar, wobei (Kettenregel)

(g ◦ φ)′(z) = φ′(z) · g′(φ(z)) .

Sind φ und g holomorph, so ist es auch g ◦ φ : φ−1(G)→ Y.

Beweis. Linearitat, Produktregel und Quotientenregel zeigt man fast genauso, wie die

furs reelle Differenzieren; vgl. Satz 7.1.7. Die Grenzubergange limh→0 sind dabei aber

in C zu nehmen.

Fur die Kettenregel sei z ∈ D mit φ(z) ∈ G derart, dass φ im Punkt z und g im Punkt

φ(z) komplex differenzierbar ist. Fur |h| hinreichend klein gilt dann

g ◦ φ(z + h) − g ◦ φ(z)

h=φ(z + h) − φ(z)

h· r(φ(z + h)) ,

wobei r : G → Y durch r(w) =g(w)−g(φ(z))

w−φ(z)fur w , φ(z) und r(φ(z)) := g′(φ(z)) definiert

ist. Wegen der komplexen Differenzierbarkeit von g ist r bei φ(z) stetig, wodurch

limh→0

g ◦ φ(z + h) − g ◦ φ(z)

h= lim

h→0

φ(z + h) − φ(z)

h· r(lim

h→0φ(z + h)) = φ′(z) · g′(φ(z)) .

Sind φ und g holomorph, so gilt fur alle z ∈ φ−1(G), dass (g ◦ φ)′(z) = φ′(z) · g′(φ(z)),

wobei die rechte Seite als Produkt stetiger Funktionen stetig ist. Also ist auch (g ◦ φ)′

stetig.

11.8.6 Beispiel.

(i) Durch vollstandige Induktion nach n ∈ N ∪ {0} folgt aus (z 7→ z)′ = 1 zusammen

mit der Produktregel, dass auch z 7→ zn aufC holomorph ist, wobei (z 7→ zn)′(w) =

nwn−1.

9Man beachte, dass der Definitionsbereich dieser Funktion als Urbild einer offenen Menge unter der

stetigen Funktion φ selber offen ist.

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 123

(ii) Durch wiederholte Anwendung von Proposition 11.8.5 folgt, dass alle Polynome

f (z) = a0 +a1z+ · · ·+anzn mit festen a0, . . . , an ∈ Y auf C holomorph sind. Dabei

gilt f ′(z) = a1 + 2za2 + · · · + nzn−1an.

(iii) Mit der Quotientenregel zeigt man allgemeiner, dass f : C \ {w} mit (N ∈ N,

w ∈ C und a−N , . . . , aN ∈ Y fest)

f (z) =

N∑

n=−N

(z − w)nan

holomorph ist, wobei

f ′(z) =

N∑

n=−N

n(z − w)n−1an .

(iv) Die Funktion exp : C→ C ist auch holomorph, wobei exp′(z) = exp(z). Das folgt

zum Beispiel aus der Tatsache, dass fur f : R → C, t 7→ exp(wt) wegen der

Rechnung in Beispiel 7.1.4 f ′(t) = w exp(wt) gilt. Daraus folgt dann

∂xexp(x + iy) = exp(iy)

∂xexp(x) = exp(x + iy) und

∂yexp(x + iy) = exp(x)

∂xexp(iy) = i exp(x + iy) .

Da diese Funktionen auf C stetig sind, erhalten wir exp ∈ C1(C), wobei offen-

sichtlich auch (11.25) erfullt ist. Also ist exp holomorph, wobei wegen (11.27)

exp′(z) = exp(z).

Die Tatsache, dass f : D → Y holomorph ist, lasst sich auch von einer anderen

Seite beleuchten. Dazu betrachte man das stetig differenzierbare Vektorfeld φ f : D →L(R2, Y) durch φ f (z) = (

η

)7→ (ξ + iη) f (z)). Aus (11.25) folgt dann (z = x + iy)

∂yφ f (z)e1 =

∂yf (z) = i

∂ f

∂x(z) =

∂xφ f (z)e2 .

Gemaß Satz 11.5.6 ist φ f ein lokales Gradientenfeld, und wir konnen Satz 11.6.4 an-

wenden, um folgendes Korollar herzuleiten.

11.8.7 Korollar. Sei f : D → Y holomorph auf der offenen Menge D ⊆ C. Sind

γ0, γ1 : [a, b] → D zwei stetige und stuckweise stetig differenzierbare Wege mit glei-

chen Anfangs- und gleichen Endpunkten, die homotop in D sind, so gilt

γ0

f (z) dz =

γ1

f (z) dz .

Ist D einfach zusammenhangend, dann gibt es eine, bis auf eine additive Konstante aus

Y eindeutige, holomorphe Funktion F mit F′(z) = f (z) fur alle z ∈ D. Dabei gilt

F(z) − F(w) =

γ

f (ζ) dζ

fur alle z,w ∈ D. Hier ist die rechte Seite ein komplexes Wegintegral und γ irgendein

stetiger, stuckweise stetig differenzierbarer und in D verlaufender Weg mit Anfangs-

punkt w und Endpunkt z.

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124 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Beweis. Wegen (11.22) gilt∫γ0

f (z) dz =∫γ0φ f (x) dx und

∫γ1

f (z) dz =∫γ1φ f (x) dx.

Also folgt die erste Aussage sofort aus Satz 11.6.4.

Ist D einfach zusammenhangend, so folgt aus demselben Satz, dass φ f ein Gradi-

entenfeld ist, dh. φ f = dF fur ein stetig differenzierbares F : D → Y. Dieses F ist

gemaß Korollar 11.4.4 eindeutig bis auf eine additive Konstante aus Y. Da e1, e2 eine

Basis von R2 ist, bedeutet aber φ f = dF nichts anderes, als

i · ∂F

∂x(z) = i · φ f (z) e1 = i · f (z) = φ f (z) e2 =

∂F

∂y(z) .

Also folgt die Holomorphie von F, wobei wegen (11.27) F′ = f . Schließlich erhalt

man F(z) − F(w) =∫γ

f (ζ) dζ unmittelbar aus (11.22) und Satz 11.4.1.

11.8.8 Bemerkung. Angenommen D ⊆ C ist offen und w, z ∈ D sowie 0 < r1 < r2 <

+∞ derart, dass Kr1(z) ⊆ Kr2

(w) und Kr2(w) \ Ur1

(z) ⊆ D, wobei wir hier die Kugeln

bzgl. ‖.‖2 = |.| meinen. Wir schließen dabei den Fall z = w nicht aus. Weiters seien

γ1, γ2 : [0, 2π]→ D die Wege γ1(t) = z + r1 exp(it) bzw. γ2(t) = w + r2 exp(it), fur die

γ1([0, 2π]) = Kr1(z) \ Ur1

(z) ⊆ Kr2(w) und γ2([0, 2π]) = Kr2

(w) \ Ur2(w) gilt.

Wir behaupten, dass fur jedes holomorphe f : D→ Y

γ1

f (z) dz =

γ2

f (z) dz . (11.29)

Dazu betrachten wir fur j = 1, 2 die Wege β j : [−1, 2π + 1] definiert durch

β j(t) =

−t2

(γ1(0) + γ2(0)

)+ (1 + t)γ j(0) , falls t ∈ [−1, 0)

γ j(t) , falls t ∈ [0, 2π]t−2π

2

(γ1(0) + γ2(0)

)+ (1 − t + 2π)γ j(0) , falls t ∈ (2π, 2π + 1]

γ2 = β2|[0,2π]

β1|[−1,0]

β1|[2π,2π+1]

γ1 = β1|[0,2π]

β2|[−1,0]

β2|[2π,2π+1]w

m

zBeide Wege sind geschlossen, und

beide haben den Anfangs- bzw.

Endpunkt m := 12

(γ1(0) + γ2(0)

).

β j setzt sich zusammen aus

dem zur Strecke−−−−−→mγ j(0) aqui-

valenten Teil β j|[−1,0], aus γ j =

β j|[0,2π] und aus dem zur Strecke−−−−−→γ j(0)m =

−−−−−→mγ j(0)− aquivalenten

Teil β j|[2π,2π+1].

Da Kr2(w) konvex ist, verlaufen die Wege β1 und β2 ganz in Kr2

(w). Außerdem gilt

fur alle ζ ∈ Kr2(w)

Re ζ = Re w + Re(ζ − w) ≤ Re w + |ζ − w| ≤ Re w + r2 ,

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 125

und somit

Re z + r1 = Re γ1(0) ≤ Re w + r2 = Re γ2(0) .

Da die Bilder von β j|[−1,0] und β j|[2π,2π+1] ganz im Bild von−−−−−−−−−→γ1(0)γ2(0) enthalten sind,

sind diese auch ganz in der konvexen Teilmenge {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1} von C

enthalten. Wegen Re ζ − Re z ≤ |ζ − z| gilt {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1} ⊆ C \ Ur1(z),

womit die Wege β1 und β2 ganz in Kr2(w) \ Ur1

(z) ⊆ D verlaufen.

Definieren wir Γ : [−1, 2π + 1] × [0, 1]→ C durch

Γ(t, s) := sβ1(t) + (1 − s)β2(t) , (11.30)

so folgt aus Konvexitatsgrunden auch, dass das Bild von Γ ganz in Kr2(w) liegt.

Andererseits gilt fur t ∈ [0, 2π] und s ∈ [0, 1] wegen der zu Kr1(z) ⊆ Kr2

(w) aquiva-

lenten Tatsache, dass |z−w|+r1 ≤ r2, und wegen der umgekehrten Dreiecksungleichung

r1 = (1 − s)r1 + sr1 ≤((1 − s)r2 + sr1

) − (1 − s)|z − w| ≤∣∣∣((1 − s)r2 + sr1) · exp(it) − (1 − s)(z − w)

∣∣∣ = |sγ1(t) + (1 − s)γ2(t) − z| .

Somit liegt Γ(t, s) immer außerhalb von Ur1(z).

Zudem liegt fur t ∈ [−1, 0]∪ [2π, 2π+ 1] und s ∈ [0, 1] der Punkt Γ(t, s) wieder aus

Konvexitatsgrunden ganz in {ζ ∈ C : Re ζ ≥ Re z + r1}.Insgesamt liegt das Bild von Γ in Kr2

(w) \ Ur1(z) ⊆ D. Also sind die Wege β1 und

β2 homotop in D. Gemaß Korollar 11.8.7 gilt fur die auf D holomorphe Funktion f∫

β1

f (z) dz =

β2

f (z) dz .

Da β j|[−1,0] aquivalent zu β j|[2π,2π+1]− ist, heben sich die Wegintegrale uber die linearen

Teile von β j fur j = 1, 2 auf (vgl. Fakta 11.2.3, 1), und es folgt (11.29).

11.8.9 Satz (Cauchysche Integralformel). Sei f : D → Y holomorph mit offenem

D ⊆ C, und seien w ∈ C und ρ > 0 derart, dass Kρ(w) ⊆ D.

Ist z ∈ Uρ(w), und ist γ : [0, 2π] → D der Weg γρ : t 7→ w + ρ · exp(it) oder ein in

D \ {z} zu γρ homotoper, stetiger und stuckweise stetig differenzierbarer Weg, so gilt

f (z) =1

2πi

γ

f (ζ)

ζ − zdζ . (11.31)

Beweis. Man betrachte die Funktion

G(η) =f (η) − f (z)

η − z, η ∈ D \ {z} .

Nach Proposition 11.8.5 ist G : D \ {z} → Y holomorph. Da limη→zf (η)− f (z)

η−zexistiert,

kann man G auf D durch G(z) := f ′(z) stetig fortsetzen; vgl. Bemerkung 6.4.4.

Wegen Kρ(w)\Ur(z) ⊆ D\{z} fur ein hinreichend kleines r > 0 folgt aus Bemerkung

11.8.8, dass ∫

γρ

G(ζ) dζ =

µǫ

G(ζ) dζ ,

fur alle ǫ ∈ (0, r], wobei µǫ(t) = z + ǫ · exp(it). Andererseits kann man den Betrag der

rechten Seite mit Hilfe von (11.24) nach oben abschatzen durch

maxt∈[0,2π]

‖G ◦ µǫ (t)‖ · ℓ(µǫ) ≤ supη∈Kρ(w)

‖G(η)‖ ·∫ 2π

0

|µ′ǫ (t)| dt = supη∈Kρ(w)

‖G(η)‖ · 2πǫ .

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126 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Da G auf das kompakte Kρ(w) stetig fortgesetzt wurde, sind obige Suprema endlich.

Damit geht der Ausdruck rechts fur ǫ ց 0 gegen Null. Weil komplexe Wegintegrale

linear im Integranden sind, folgt

0 =

γρ

G(ζ) dζ =

γρ

f (ζ)

ζ − zdζ − f (z) ·

γρ

1

ζ − zdζ .

Wieder mit Bemerkung 11.8.8 und mit Hilfe von (11.23) berechnet man∫

γρ

1

ζ − zdζ =

µr

1

ζ − zdζ = 2πi .

Somit folgt (11.31) fur γ = γρ. Ist γ in D \ {z} homotop zu γρ, so folgt (11.31) aus

Korollar 11.8.7.

Schreiben wir (11.31) mit Hilfe von (11.23) als Riemann Integral, so erhalten wir

fur alle z ∈ Uρ(w)

f (z) =1

2πi

γρ

f (ζ)

ζ − zdζ =

1

∫ 2π

0

ρ exp(it) · f (w + ρ exp(it))

w + ρ exp(it) − zdt . (11.32)

11.8.10 Korollar. Ist f : D→ Y holomorph mit offenem D ⊆ Y, so ist auch f ′ : D→ Y

holomorph. Infolge sind alle Funktionen f (n) : D → Y, n ∈ N rekursiv definiert durch

f (n+1) = ( f (n))′, holomorph auf D. Insbesondere ist f ∈ C∞(D).

Dabei gilt fur jedes w ∈ D und ρ > 0 mit Kρ(w) ⊆ D

f (n)(z) =n!

2πi

γ

f (ζ)

(ζ − z)n+1dζ fur alle z ∈ Uρ(w) . (11.33)

Hier ist γ : [0, 2π] → D der Weg γρ : t 7→ w + ρ · exp(it) oder ein in D \ {z} zu γρhomotoper, stetiger und stuckweise stetig differenzierbarer Weg.

Beweis. Sei ρ > 0 so, dass Kρ(w) ⊆ D. Der Integrand ht(z) := ρ exp(it) · f (w+ρ exp(it))

w+ρ exp(it)−z

der rechten Seite von (11.32) ist offensichtlich stetig als Funktion von (z, t) ∈ Uρ(w) ×[0, 2π] nach Y; vgl. Korollar 6.1.8. Wie wir in Beispiel 11.8.6 gesehen haben, ist ht(z)

als Funktion der Variable z ∈ Uρ(w) holomorph mit (z = x + iy)

∂ht

∂x(z) = −i · ∂ht

∂y(z) = h′t(z) = ρ exp(it) · f (w + ρ exp(it))

(w + ρ exp(it) − z)2.

Diese Funktion ist stetig als Funktion von (z, t) ∈ Uρ(w) × [0, 2π] nach Y; vgl. Korollar

6.1.8. Insbesondere sind die Voraussetzungen von Korollar 8.7.12 (siehe auch (9.19))

erfullt, und wir erhalten fur z ∈ Uρ(w)

f ′(z) =1

∫ 2π

0

∂xht(z) dt =

1

∫ 2π

0

ρ exp(it) · f (w + ρ exp(it))

(w + ρ exp(it) − z)2dt =

1

2πi

γρ

f (ζ)

(ζ − z)2dζ .

Nun ist h′t : Uρ(w)→ Y ebenfalls holomorph mit

∂h′t∂x

(z) = −i · ∂h′t∂y

(z) = h′′t (z) = ρ exp(it) · 2 f (w + ρ exp(it))

(w + ρ exp(it) − z)3.

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 127

Diese Funktion ist wieder stetig als Funktion von (z, t) ∈ Uρ(w) × [0, 2π] nach Y. Nach

Korollar 8.7.12 (siehe auch (9.19)) folgt fur z ∈ Uρ(w)

∂ f ′

∂x(z) =

1

∫ 2π

0

∂xh′t(z) dt =

1

∫ 2π

0

−i · ∂∂y

h′t(z) dt = −i · ∂ f ′

∂y(z) .

wobei diese Funktion gemaß Korollar 8.7.9 (siehe auch (9.18)) stetig von z ∈ Uρ(w)

abhangt. Es folgt f ′ ∈ C1(D), und nach Lemma 11.8.2 ist f ′ auf Uρ(w) holomorph mit

( f ′)′(z) =∂ f ′

∂x(z) =

1

∫ 2π

0

h′′t (z) dt =2

2πi

γρ

f (ζ)

(ζ − z)3dζ .

Insbesondere gilt f ∈ C2(Uρ(w)). Da w ∈ D beliebig war, gilt f ∈ C2(D), und – da

Holomorphie offenbar eine lokale Eigenschaft ist – ist f ′ holomorph auf D.

Verfahrt man induktiv weiter, so folgt insbesondere (11.33) und f ∈ Cn(D) fur alle

n ∈ N, wobei γ = γρ in (11.33). Fur in D \ {z} zu γρ homotope γ folgt (11.33) aus

Korollar 11.8.7.

11.8.11 Korollar (Satz von Liouville). Jedes auf ganz C holomorphe und beschrankte

f : C→ Y ist eine konstante Funktion.

Beweis. Es gelte ‖ f (z)‖ ≤ M, z ∈ C. Ist ρ > 0, w ∈ C und γ(t) = w+ρ · exp(it), so folgt

wegen (11.33) und (11.24)

‖ f ′(w)‖ = 1

∥∥∥∥∥∥

γ

f (ζ)

(ζ − w)2dζ

∥∥∥∥∥∥ ≤1

2πM

1

ρ2· 2πρ = M

ρ.

Da wir ρ > 0 beliebig groß wahlen konnen, folgt f ′(w) = 0. Da auch 0′ = 0, folgt aus

der Eindeutigkeitsaussage in Korollar 11.8.7, dass f konstant ist.

Ein stetiger Weg γ : [a, b]→ D heißt geschlossen, wenn γ(a) = γ(b).

11.8.12 Satz (Satz von Morera). Fur ein offenes D ⊆ C und eine Funktion f : D → Y

sind folgende Aussagen aquivalent:

� f ist holomorph.

� f ist stetig und zu jedem w ∈ D gibt es ein offenes D(w) mit w ∈ D(w) ⊆ D,

sodass ∫

γ

f (ζ) dζ = 0 (11.34)

fur alle geschlossenen, achsenparallelen Polygonzuge γ in D(w).

� Das Vektorfeld φ f : D → L(R2, Y) definiert durch φ f (z) = ((ξ

η

)7→ (ξ + iη) f (z))

ist ein lokales Gradientenfeld.

In dem Fall gilt (11.34) fur alle einfach zusammenhangenden Gebiete D(w) mit w ∈D(w) ⊆ D, etwa fur alle offene, in D enthaltenen Kugeln um w.

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128 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Beweis. Ist f holomorph und D(w) einfach zusammenhangendes Gebiet mit w ∈D(w) ⊆ D, so folgt

∫γ

f (ζ) dζ = 0 sofort aus Korollar 11.8.7. Außerdem ist f stetig;

vgl. Lemma 11.8.2.

Sei nun f stetig und gelte (11.34) fur jedes w ∈ D und jeden geschlossenen, ach-

senparallelen Polygonzug γ in D(w) mit einem offenen D(w), sodass w ∈ D(w) ⊆ D.

Wegen Bemerkung 11.2.4 ist die Stetigkeit von f zu der von φ f : D → L(R2, Y) aqui-

valent. Gemaß (11.22) gilt

0 =

γ

f (ζ) dζ =

γ

φ f (x) dx

fur das Vektorfeld φ f |D(w) : D(w) → L(R2, Y). Nach Bemerkung 11.4.8 sind daher die

Voraussetzungen fur Satz 11.4.7 fur φ f : D(w) → L(R2, Y) erfullt. Somit gilt φ f = dF

fur ein Y-wertiges F ∈ C1(D(w)). Definitionsgemaß ist daher φ f : D → L(R2, Y) ein

lokales Gradientenfeld.

Sei schließlich φ f : D → L(R2, Y) ein lokales Gradientenfeld. Da e1, e2 eine Basis

von R2 ist, bedeutet aber φ f = dF auf einer offenen, w enthaltenden Menge D(w) ⊆ D

nichts anderes, als

i · ∂F

∂x(z) = i · φ f (z) e1 = i · f (z) = φ f (z) e2 =

∂F

∂y(z) .

Damit folgt die Holomorphie von F auf D(w), wobei wegen (11.27) F′ = f . Gemaß

Korollar 11.8.10 ist auch F′ = f auf D(w) holomorph. Da w beliebig war, und da

Holomorphie eine lokale Eigenschaft ist, folgt die Behauptung.

11.8.13 Lemma. Sei D ⊆ C offen, und fn : D → Y, n ∈ N, eine Folge holomorpher

Funktionen, die lokal gleichmaßig auf D gegen eine Funktion f : D → Y konvergiert,

dh. fur jede kompakte Teilmenge K ⊆ D konvergiert ( fn|K)n∈N gleichmaßig auf K gegen

f |K . Dann ist auch f holomorph.

Beweis. Wahle zu w ∈ D die offene Menge D(w) wie Satz 11.8.12. Gemaß dieses

Satzes konnen wir sie sogar unabhangig von n so wahlen, dass fur alle n ∈ N∫

γ

fn(ζ) dζ = 0 ,

wenn nur γ : [0,m] → D(w) ein geschlossener, achsenparalleler Polygonzug ist. K :=

γ([0,m]) ist als stetiges Bild einer kompakten Menge selber kompakt. Nun stimmt

wegen (11.23) obiges Wegintegral uberein mit∫ m

0

γ′(t) · fn(γ(t)) dt = 0 .

Wegen ‖γ′(t) · fn(γ(t))−γ′(t) · f (γ(t))‖ ≤ ‖ fn− f ‖∞,K · ‖γ′‖∞,[0,m], t ∈ [0,m], und da γ ein

Polygonzug ist und daher ‖γ′‖∞,[0,m] < +∞, konvergiert die Funktionenfolge γ′ · fn ◦ γgleichmaßig gegen γ′ · f ◦ γ auf [0,m]. Aus Satz 8.7.2 (siehe auch (9.17)) folgt

γ

f (ζ) dζ =

∫ m

0

γ′(t) · f (γ(t)) dt = limn→∞

∫ m

0

γ′(t) · fn(γ(t)) dt = 0 .

Nach Satz 11.8.12 ist daher f holomorph.

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11.8. HOLOMORPHE FUNKTIONEN 129

11.8.14 Korollar. Seien an ∈ Y, n ∈ N ∪ {0} derart, dass die Potenzreihe∑∞

n=0 znan

einen Konvergenzradius R > 0 hat10. Ist w ∈ C, so ist die Grenzfunktion f (z) =∑∞

n=0(z−w)nan auf UR(w) holomorph. Dabei ist UR(w) die offene Kugel bzgl. |.|, dh. UR(w) =

{z ∈ C : |z − w| < R}.

Beweis. Fur ein kompaktes K ⊆ UR(w) existiert r = maxz∈K |z−w| (< R), da z 7→ |z−w|stetig auf der kompakten Menge K ist. Also gilt K ⊆ Kr(w) ⊆ UR(w).

Nach Satz 6.7.7 (siehe auch Fakta 9.3.8, 4) konvergiert die Funktionenfolge

z 7→ ∑Nn=0(z − w)nan fur N → ∞ gleichmaßig auf Kr(w) gegen f (z); somit auch auf

K. Da gemaß Beispiel 11.8.6 alle Polynome∑N

n=0(z − w)nan holomorph sind, ist nach

Lemma 11.8.13 auch f auf UR(w) holomorph.

11.8.15 Satz. Sei D ⊆ C offen. Eine Funktion f : D → Y ist genau dann holomorph,

wenn f analytisch ist, dh. wenn es zu jedem w ∈ D eine offene Kreisscheibe Uρw(w) ⊆ D

bzgl. |.| gibt, sodass sich f darauf als Grenzfunktion einer Potenzreihe∑∞

n=0(z − w)nan

mit Konvergenzradius ≥ ρw darstellen lasst; vgl. Bemerkung 6.7.11.

Dabei sind die Koeffizienten an ∈ Y eindeutig durch f auf folgende Weise bestimmt:

a0 = f (w), und an :=f (n)(w)

n!, n ∈ N .

Das großtmogliche ρw, sodass sich ein holomorphes f als Potenzreihe auf Uρw(w) dar-

stellen lasst, ist ρw = sup{r > 0 : Ur(w) ⊆ D}, wobei ρw = +∞, wenn D = C.

Beweis. Lasst sich f um jedes w auf einem Uρw(w) ⊆ D lokal als Grenzfunktion einer

Potenzreihe darstellen, so ist f dort gemaß Korollar 11.8.14 holomorph. Da Holomor-

phie eine lokale Eigenschaft ist, muss f auf ganz D holomorph sein.

Sei nun f : D → Y holomorph, und setze ρw = sup{r > 0 : Ur(w) ⊆ D}. Offen-

sichtlich ist das das großte ρw mit Uρw(w) ⊆ D. Fur ρ ∈ (0, ρw), ζ ∈ C mit |ζ − w| = ρ

und fur z ∈ Uρ(w) gilt

1

ζ − w·∞∑

n=0

(z − w

ζ − w

)n

=1

ζ − w· 1

1 − z−wζ−w

=1

ζ − z.

Aus (11.32) folgt (γρ(t) = w + ρ exp(it), t ∈ [0, 2π])

f (z) =1

2πi

γρ

∞∑

n=0

(z − w

ζ − w

)n

· f (ζ)

ζ − wdζ =

1

∫ 2π

0

∞∑

n=0

(z − w

ρ exp(it)

)n

· f (w + ρ exp(it)) dt .

Wegen

supt∈[0,2π]

∞∑

n=0

∥∥∥∥∥∥

(z − w

ρ exp(it)

)n

· f (w + ρ exp(it))

∥∥∥∥∥∥ ≤∞∑

n=0

(|z − w|ρ

)n

· ‖ f ‖∞,Kρ(w) < +∞

10Vgl. (6.7), Satz 6.7.7 sowie Fakta 9.3.8.

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130 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

konvergiert die Reihe im obigen Riemann Integral absolut und daher gleichmaßig; vgl.

Korollar 6.7.4. Aus Satz 8.7.2 (siehe auch (9.17)) folgt daher11

f (z) =

∞∑

n=0

1

∫ 2π

0

(z − w

ρ exp(it)

)n

· f (w + ρ exp(it)) dt =

∞∑

n=0

(z − w)n ·

1

2πi

γρ

f (ζ)

(ζ − w)n+1dζ

︸ ︷︷ ︸

=:an

.

Die letzte Gleichheit folgt aus (11.23). Also konvergiert∑∞

n=0(z−w)nan und stimmt mit

f (z) uberein, wobei wegen (11.31) bzw. (11.33) a0 = f (w) und an :=f (n)(w)

n!, n ∈ N.

Aus (6.7) folgt schließlich, dass diese Potenzreihe einen Konvergenzradius

R ≥ |z − w| hat, und da z ∈ Uρ(w) beliebig war, gilt R ≥ ρ. Da auch ρ ∈ (0, ρw) beliebig

war, folgt R ≥ ρw.

11.8.16 Bemerkung (*). Wir haben gezeigt, dass jedes holomorphe f : D → Y unend-

lich oft differenzierbar ist. Somit existieren neben allen hoheren partiellen Ableitungen

auch alle Ausdrucke der Form (10.8), dh. auch die alle Ausdrucke dk f (z)(v1, . . . , vk)

aus Definition 10.2.6 fur alle k ∈ N, alle z ∈ D und alle Richtungsvektoren v1, . . . , vk ∈R2� C. Gemaß (11.26) gilt fur k = 1

∂ f

∂v1

(z) = d1 f (z)v1 = v1 · f ′(z) .

Ersetzen wir f durch die holomorphe Funktion z 7→ v1 · f ′(z) und v1 durch v2, so folgt

∂v2

∂v1

f (z) = d2 f (z)(v1, v2) = v2 · v1 · f ′(z) .

Fahrt man so fort, so erhalt man allgemein dk f (z)(v1, . . . , vk) = vk · . . . · v1 · f (k)(z).

Insbesondere stimmt die Reihe aus Proposition 10.2.12, (ii), fur y = w ∈ D mit der

Potenzreihe aus Satz 11.8.15 uberein.

11.9 Nochmals komplexe Differenzierbarkeit*

Wir werden in diesem Abschnitt zeigen, dass f : D → Y genau dann holomorph ist,

wenn f bei allen z ∈ D komplex differenzierbar ist. Man kann also bei der Definition

der Holomorphie in Definition 11.8.3 auf die Stetigkeit von f ′ verzichten.

11.9.1 Lemma. Sei R ⊆ C ein offenes Rechteck. Sei f : R → Y bei jedem z ∈ R

differenzierbar, und es geltef

∂y(z) = i

f

∂x(z) fur alle z ∈ R. Eine gemaß Lemma 11.8.2

aquivalente Forderung ist, dass f bei allen z ∈ R komplex differenzierbar ist.

Ist weiters das Rechteck [α1, β1] × [α2, β2] in R enthalten, so gilt

γ1

f (z) dz =

γ2

f (z) dz , (11.35)

wobei γ1 =−−−−−→(α1

α2

)(β1

α2

),−−−−−→(β1

α2

)(β1

β2

)und γ2 =

−−−−−→(α1

α2

)(α1

β2

),−−−−−→(α1

β2

)(β1

β2

).

11Insbesondere konvergiert diese Reihe!

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11.9. NOCHMALS KOMPLEXE DIFFERENZIERBARKEIT* 131

Beweis. Aus der Differenzierbarkeit von f folgt seine Stetigkeit bei allen z ∈ R; vgl.

Korollar 10.1.14. Somit existieren die obigen komplexen Wegintegrale. Außerdem ist

(11.35) dazu aquivalent, dass

I(Q) :=

∂Q

f (z) dz

verschwindet, wobei Q = [α1, β1] × [α2, β2] und ∂Q der geschlossene Polygonzug

−−−−−−−→(α1

α2

)(β1

α2

),

−−−−−−−→(β1

α2

)(β1

β2

),

−−−−−−−→(β1

β2

)(α1

β2

),

−−−−−−−→(α1

β2

)(α1

α2

)

ist. Unterteilen wir Q in die vier gleich großen Rechtecke

Q1kl :=

1

2([0, β1 − α1] × [0, β2 − α2]) +

(α1

α2

)+

(k · β1−α1

2

l · β2−α2

2

), k, l = 0, 1 ,

so folgt

I(Q) =

∂Q

f (z) dz =

1∑

k,l=0

∂Q1k,l

f (z) dz

︸ ︷︷ ︸:=I(Q1

k,l)

,

da sich die Wegintegrale uber die inneren Polygonzuge wegheben und die uber die

außeren Polygonzuge aufaddieren.

Ware nun I(Q) , 0, so hatten wir auch I(Q1k,l

) , 0 fur zumindest ein Paar k, l ∈{0, 1}. Seien nun k1, l1 ∈ {0, 1}, sodass ‖I(Q1

k1,l1)‖ ≥ ‖I(Q1

k,l)‖ fur alle k, l ∈ {0, 1}.

Offenbar gilt dann

‖I(Q)‖ ≤1∑

k,l=0

‖I(Q1k,l)‖ ≤ 4‖I(Q1

k1,l1)‖ .

Nun unterteilen wir jedes der Rechtecke Q1k,l

in vier gleich großen Rechtecke und er-

halten insgesamt die 16 Rechtecke Q2k,l, k, l = 0, . . . , 3. Unter den in Q1

k1,l1enthaltenen

Rechtecken aus {Q2k,l

: k, l = 0, . . . , 3} wahlen wir eines – Q2k2,l2

, k2, l2 ∈ {0, . . . , 3} –

aus, sodass ‖I(Q2k2,l2

)‖ maximal ist, womit ‖I(Q1k1,l1

)‖ ≤ 4‖I(Q2k2,l2

)‖.Setzen wir diese Prozedur fort, so haben wir im n-ten Schritt Q in 4n Rechtecke

Qnk,l :=

1

2n([0, β1 − α1] × [0, β2 − α2]) +

(α1

α2

)+

(k · β1−α1

2n

l · β2−α2

2n

), k, l = 0, . . . , 2n − 1 ,

unterteilt, auf dass∑2n−1

k,l=0 I(Qnk,l

) = I(Q). Zudem seien kn, ln ∈ {0, . . . , 2n − 1} so,

dass Qnkn,ln⊆ Qn−1

kn−1,ln−1und ‖I(Qn

kn,ln)‖ = max{‖I(Qn

k,l)‖ : Qn

k,l⊆ Qn−1

kn−1,ln−1}, womit

‖I(Qn−1kn−1,ln−1

)‖ ≤ 4‖I(Qnkn,ln

)‖.Da die Rechtecke Qn

kn,ln, n ∈ N ineinander geschachtelt sind, erfullt diese Mengen-

folge die endliche Durchschnittseigenschaft. Somit ist⋂

n∈N Qnkn,ln

nichtleer. Da aber

die Durchmesser d(Qnkn,ln

) von Qnkn,ln

fur n → ∞ gegen Null konvergieren, ist dieser

Durchschnitt einpunktig, dh.⋂

n∈N Qnkn,ln= {w}.

Die noch nicht verwendete Tatsache, dass f insbesondere bei w komplex differen-

zierbar ist, besagt, dass f (z) = f (w) + (z − w) f ′(w) + |z − w|ε(z) mit limz→w ε(z) = 0.

Aus der Linearitat von Wegintegralen folgt

I(Qnkn,ln

) =

∂Qnkn ,ln

(f (w) + (z − w) f ′(w)

)dz +

∂Qnkn ,ln

|z − w|ε(z) dz .

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132 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

Da z 7→ f (w) + (z − w) f ′(w) holomorph ist, folgt aus (11.24) und Korollar 11.8.7

‖I(Qnkn,ln

)‖ = ‖∫

∂Qnkn ,ln

|z − w|ε(z) dz‖ ≤ ℓ(∂Qnkn,ln

) d(Qnkn,ln

) supz∈Qn

kn ,ln

‖ε(z)‖ .

Wegen ℓ(∂Qnkn,ln

) = 12n ℓ(∂Q) und d(Qn

kn,ln) = 1

2n d(Q) folgt

‖I(Q)‖ ≤ 41‖I(Q1k1,l1

)‖ ≤ · · · ≤ 4n‖I(Qnkn,ln

)‖ ≤ 4n 1

4nℓ(∂Q)d(Q) sup

z∈Qnkn ,ln

‖ε(z)‖ n→∞−→ 0 .

Also gilt I(Q) = 0 im Gegensatz zu unserer Annahme I(Q) , 0.

11.9.2 Satz. Sei Y ein Banachraum uber C, D ⊆ C offen. Eine Funktion f : D→ Y ist

genau dann holomorph, wenn f bei allen z ∈ D komplex differenzierbar ist.

Beweis. Definitionsgemaß ist jede holomorphe Funktion komplex differenzierbar; vgl.

Definition 11.8.3. Sei nun f : D → Y uberall komplex differenzierbar, w ∈ D und δ > 0

so klein, dass das Quadrat D(w) := U‖.‖∞δ

(w) ganz in D enthalten ist. Wir konnen also

Lemma 11.9.1 auf R = D(w) anwenden.

Definieren wir φ f : D(w) → L(R2, Y) durch φ f (z) = ((ξη

)7→ (ξ + iη) f (z)), so kann

wegen (11.22) die Gleichung (11.35) auch als

γ1

φ f (x) dx =

γ2

φ f (x) dx

angeschrieben. Insbesondere sind die Voraussetzungen von Lemma 11.4.6 erfullt, wo-

mit sich φ f auf D(w) als Gradientenfeld und infolge auf D als lokales Gradientenfeld

herausstellt. Nach Satz 11.8.12 ist f holomorph auf D.

11.10 Harmonische Funktionen*

Wir wollen in diesem Anschnitt den Zusammenhang von komplexwertigen, holomor-

phen Funktionen und sogenannten harmonischen Funktionen beleuchten.

11.10.1 Definition. Ist g : G → C mit offenem G ⊆ R2� C zweimal stetig differen-

zierbar, so bezeichnet ∆g : G → C (Laplace g) die Abbildung

∆g

(x

y

):=

∂2g

∂x2

(x

y

)+∂2g

∂y2

(x

y

).

Funktionen g : G → C, g ∈ C2(G) heißen harmonisch, falls ∆g ≡ 0.

Da die Ableitungen eintragsweise berechenbar sind, ist g offenbar genau dann har-

monisch, wenn Re g und Im g es sind.

11.10.2 Proposition. Ist G ⊆ C offen und f : G → C holomorph, so ist f auch

harmonisch. Insbesondere sind dann Real- und Imaginarteil von f harmonisch.

Ist umgekehrt u : G → R harmonisch fur ein einfach zusammenhangendes Gebiet

G ⊆ C, so gibt es ein bis auf eine imaginare Konstante eindeutiges holomorphes f :

G → C, sodass u ≡ Re f .

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11.10. HARMONISCHE FUNKTIONEN* 133

Beweis. Ist f : G → C analytisch, so gelten die Cauchy-Riemannschen Differential-

gleichungen Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen (z = x + iy)

∂u

∂x(z) =

∂v

∂y(z),

∂v

∂x(z) = −∂u

∂y(z) , (11.36)

wobei u = Re f und v = Im f . Offensichtlich kann man (11.36) auch schreiben als

∂ f

∂x(z) = −i · ∂ f

∂y(z) . (11.37)

Da holomorphe Funktionen beliebig oft differenzierbar sind, folgt aus dieser Gleichung

abgeleitet nach x

∂2 f

∂x2(z) = −i · ∂

2 f

∂x∂y(z) .

Wegen dem Satz von Schwarz und wegen (11.37) abgeleitet nach y ist dieser Ausdruck

gleich

−i · ∂2 f

∂y∂x(z) = (−i)2 · ∂

2 f

∂y2(z) .

Daraus folgt sofort ∆ f = 0, womit offensichtlich auch u = Re f und v = Im f harmo-

nisch sind.

Ist umgekehrt u : G → R harmonisch und G ⊆ C einfach zusammenhangendes

Gebiet, so setzen wir α(z) := ∂u∂x

(z), β(z) := − ∂u∂y

(z) und F := α + iβ. Dann sind α :

G → R, β : G → R und F : G → C alle drei C1-Funktionen, wobei wegen ∆u = 0 und

wegen dem Satz von Schwarz

∂F

∂x(z) =

∂α

∂x(z) + i

∂β

∂x(z) =

∂2u

∂x2(z) − i

∂2u

∂x∂y(z) =

−∂2u

∂y2(z) − i

∂2u

∂y∂x(z) =

∂β

∂y(z) − i

∂α

∂y(z) = −i · ∂F

∂y(z) .

Also ist F holomorph. Da G einfach zusammenhangend ist, gibt es eine Holomorphe

Stammfunktion f , dh. f : G → C mit f ′ = F; vgl. Korollar 11.8.7. Wegen f ′ = ∂ f

∂x=

−i∂ f

∂ygilt

∂ Im f

∂y=∂Re f

∂x= Re F = α =

∂u

∂x

und

−∂Re f

∂y=∂ Im f

∂x= Im F = β = −∂u

∂y.

Insbesondere ist d(Re f )(z) = du(z) (∈ L(R2,R)) fur alle z ∈ G. Wegen Satz 11.4.1 und

da in G je zwei Punkte durch einen Polygonzug verbindbar sind, folgt daraus Re f =

u + c fur ein c ∈ R. Nun ist f − c die gesuchte holomorphe Funktion.

Falls g : G → C eine weitere holomorphe Funktion mit Re g = u ist, so ist

f − c − g : G → C auch holomorph mit einem verschwindenden Realteil. Aus den

Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen folgt d( f − c − g)(z) = 0 und daraus,

dass f − c − g eine Konstante sein muss; vgl. Satz 11.4.1.

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134 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.11 Ubungsbeispiele

11.1 Man berechne die Lange der Wege γ : [0, 1]→ R2:

γ(t) = (t, t32 )T , γ(t) = (t, cosh(t))T ,

und gebe die zu den γ’s aquivalente Wege γ′ an, wobei der Parameter von γ die Bogenlange

ist.

11.2 Man zeige, dass γ : [0, 1] → R2 mit γ(0) = 0 und γ(t) = (t, t2 cos π

t2)T , t > 0 zwar stetig,

aber nicht rektifizierbar ist.

Hinweis: Berechne L(Z) furZ = {0, 1√n, 1√

n−1, . . . , 1√

2, 1}.

11.3 Sei γ1 : [0, 1]→ Rn, γ2 : [1, 2]→ Rn und γ3 : [0, 2]→ Rn mit γ3(t) = γ1(t), t ∈ [0, 1) und

γ3(t) = γ2(t), t ∈ [1, 2]. Es gilt nicht notwendigerweise γ1(1) = γ2(1)! Weiters sei γ1 bei

1 stetig, und seien γ1 und γ2 rektifizierbar. Man zeige, dass dann auch γ3 rektifizierbar ist

mit ℓ(γ3) = ℓ(γ1) + ℓ(γ2) + ‖γ2(1) − γ1(1)‖2!

Hinweis: Man zeige zunachst, dass limZ∈Z,1∈Z ‖γ2(1) − γ1(ξ j(Z))‖2 = ‖γ2(1) − γ1(1)‖2 und

dass limZ∈Z,1∈Z ‖γ1(1) − γ1(ξ j(Z))‖2 = 0, wobei Z die Menge aller Zerlegungen von [0, 2]

ist, und ξ j(Z) das großte Element vonZ ist, dass kleiner 1 ist.

11.4 Man betrachte f : [a, b] → R. Ist f rektifizierbar, so sagt man in diesem Fall (Rn = R),

dass die Funktion f von beschrankter Variation ist, und setzt Vyx ( f ) := ℓ( f |[x,y]), wenn

a ≤ x ≤ y ≤ b.

Man zeige:

(i) Sind f , g von beschrankter Variation und λ ∈ R, so auch f + g und λ f , wobei Vyx ( f +

g) ≤ Vyx ( f ) + V

yx (g) und V

yx(λ f ) = |λ|Vy

x( f ).

(ii) Ist f monoton steigen, so gilt Vyx ( f ) = f (y) − f (x).

(iii) Ist f Differenz zweier monoton steigender Funktionen, so ist f von beschrankter

Variation.

(iv) Ist f : [a, b] → R von beschrankter Variation, so ist f die Differenz g − h zweier

monoton steigender Funktionen.

Hinweis: Setze g(t) = V ta( f ) und zeige von h, dass es dann monoton wachst!

11.5 Man gebe eine Formel fur die Lange des Weges γ : [0, π2] → R2 an, der durch γ(t) =

( f (t) cos t, f (t) sin t)T definiert ist, wobei f ∈ C1.

Man berechne die Bogenlange speziell fur die Archimedische Spirale, dh. f (t) = t!

11.6 Man betrachte den Weg im R3 mit folgender Parameterdarstellung (Schraubenlinie):

γ(t) =

r cos t

r sin t

ht

, t ∈ [0, 4π]

Hierbei seien r, h > 0 fest gewahlt. Zeichnen Sie eine Skizze! Weiters berechne man die

Bogenlange, und parametrisiere γ(t) nach der Bogenlange um. Daher schreibe γ(t) als

γ(t(s)), sodass die Bogenlange der Kurve von γ(0) bis γ(t(s)) genau s ist.

11.7 Man berechne das Wegintegral∫γ((x2 + 5y + 3yz)dx + (5x + 3xz − 2)dy + (3xy − 4z)dz),

wobei γ : [0, 2π]→ R3, γ(t) = (sin(t), cos(t), t)T .

Schreibweise: Wegintegrale∫γφ(x) dx von Vektorfeldern φ : D → L(R3,R), dh.

φ((ξ, η, ζ)T ) = (P(ξ, η, ζ),Q(ξ, η, ζ),R(ξ, η, ζ)) werden auch oft als∫

γ

P(ξ, η, ζ) dξ + Q(ξ, η, ζ) dη + R(ξ, η, ζ) dζ .

angeschrieben. Entsprechendes gilt fur Vektorfeldern φ : D→ L(R2,R).

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11.11. UBUNGSBEISPIELE 135

11.8 Man berechne das Wegintegral∫γφ(x) dx, wobei γ : [0, 1] → R2, γ(t) = (

√t, t)T und

φ : R2 → L(R2,R2) � R2×2, φ((x, y)T ) =

(ex ey

x y

).

11.9 Man berechne das Wegintegral∫γφ(x) dx, wobei γ : [0, 2π]→ R3, γ(t) = (sin(t), cos(t), t)T

und φ : R3 → L(R3,R) � R1×3, φ((x, y, z)T ) = (x2 + 5y + 3yz, 5x + 3xz − 2, 3xy − 4z).

11.10 Man betrachte den stetigen Weg γ : [0, 1] → R2, γ(t) = (1 + t2, 1 + t3)T . Man bestimme

die Weglange von γ und berechne das Wegintegral∫γφ(x)dx, wobei φ : R2 → L(R2,R) �

R1×2, φ((x, y)T ) = (sin(√

x − 1), xy).

11.11 Seien f , g : [a, b] → R (vgl. Definition 11.2.2 mit X = R, n = 1 und somit L(Rn, X) = R)

beschrankt.

Weiters seien R1 = ((ξ j)mj=0

; (α j)mj=1

) und R2 = ((η j)m+1j=0

; (β j)m+1j=1

) mit η j = α j, j = 1, . . . ,m

und β1 = a, βm+1 = b, β j = ξ j−1, j = 2, . . . ,m.

Man zeige: P( f , g;R1) = f (b)g(b) − f (a)g(a) − P(g, f ;R2), wobei

P( f , g;R1) =

m∑

j=1

f (α j)(g(ξ j) − g(ξ j−1)),

P(g, f ;R2) =

m+1∑

j=1

g(β j)( f (η j) − f (η j−1)),

und leite daraus her, dass∫ b

af dg genau dann existiert, wenn

∫ b

agd f existiert, und in diesem

Fall gilt: ∫ b

a

f dg = f (b)g(b) − f (a)g(a) −∫ b

a

gd f .

Hinweis: Man leite aus Lemma 3.10.5 zunachst folgendes her:

m∑

n=1

an(bn − bn−1) = ambm − a1b0 −m−1∑

n=1

(an+1 − an)bn.

11.12 Sei γ : [a, b] → Rn rektifizierbar und man denke sich den Weg γ mit Masse belegt, sodass

an der Stelle t ∈ [a, b] die Dichte (Masse pro Langeneinheit) ρ(t) ist.

Die Gesamtmasse des Weges berechnet sich durch das Riemann-Stieltjes Integral

M =

∫ b

a

ρdℓ,

wobei ℓ(x) = ℓ(γ|[a, x]) (Weglange des auf [a, x] eingeschrankten Weges), und der Schwer-

punkt durch

1

M

∫ b

a

f dℓ,

wobei f : [a, b]→ L(R,R2) � R2×1, f (t) = ρ(t)γ(t).

Man berechne fur den Weg γ : [0, 1]→ R2, γ(t) = (t, t2)T , der mit konstanten Dichte ρ = 1

die Gesamtmasse und den Schwerpunkt.

11.13 Ist das Vektorfeld R3 → L(R3,R) � R1×3, φ((ξ, η, ζ)T ) = (ξ + ζ, ξ + η + ζ, ξ + ζ) ein

Gradientenfeld? Falls ja, berechne man die Stammfunktion, also ein f , sodass d f = φ!

11.14 Man betrachte D = R2\{0} und φ : D→ L(R2,R) definiert durch φ((x, y)T ) = (−y

x2+y2 ,x

x2+y2 ).

Man berechne zunachst das Wegintegral dieser Funktion uber den in positiver Richtung

durchlaufenen Einheitskreis (γ(t) = (cos t, sin t)T , 0 ≤ t ≤ 2π)!

Nun zeige man, dass auf D die Bedingung (11.8) aus dem Skriptum erfullt ist und zeige,

dass es auf der rechten offenen Halbebene R2 \ {(x, y)T : x ≤ 0} eine reellwertige Funktion

f ∈ C1 gibt, sodass dort d f = φ.

Kann es so eine Funktion f auf ganz D geben?

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136 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

11.15 Im einfach zusammenhangenden Gebiet G = {(ξ, η, ζ)T ∈ R3 : η > 0, ζ > 0} sei K : G →L(R3,R) � R1×3 durch

K(ξ, η, ζ) =

(ln(ζη),

ξ

η, βξ

ζ

),

mit einem festen β ∈ R definiert. Fur welchen Wert von β ist K ein Gradientenfeld?

Fur die geradlinige Verbindung γ von (0, 1, 1)T nach (ξ0, η0, ζ0) in G berechne man man

das Wegintegral∫γ

K(x) dx in den Fallen β = 1 und β = 2.

11.16 Zeigen Sie, dass der Weg γ(t) :=√

2(

cos t

sin t

), t ∈ [ π

4, 2π + π

4] in R2 \ {

(0

0

)} homotop ist zum

Polygonzug −−−→x0 x1,−−−→x1 x2,

−−−→x2 x3,−−−→x3 x0, wobei x0 = (1, 1)T , x1 = (−1, 1)T , x2 = (−1,−1)T , x3 =

(1,−1)T .

11.17 Sei k ∈ Z und γ : [0, 2π]→ C definiert durch γ(t) = a+r exp(it) mit festen, aber beliebigen

r > 0 und a ∈ C. Berechnen Sie das folgende komplexe Wegintegral direkt, dh. ohne

Zuhilfenahme der Cauchyschen Integralformel bzw. ihres Korollars:

γ

(z − a)k dz .

11.18 Man berechne wieder ohne Cauchyscher Integralformel das komplexe Wegintegral∫γ

1z−w

dz, wobei γ(t) = exp(it), t ∈ [0, 2π], und |w| , 1.

Hinweis: Ist |w| > 1, so gilt 1z−w= − 1

w

∑∞n=0

zn

wn , und ist |w| < 1, so gilt 1z−w= 1

z

∑∞n=0

wn

zn .

Begrunden Sie allfallige Vertauschungen von Limes und Integral!

11.19 Ist f : D → C im Punkt z ∈ D komplex differenzierbar, so zeige man, dass det d f (z) =

| f ′(z)|2.

11.20 Sei h : C \ [−∞, 0]→ C definiert durch h(z) = ln |z|+ i arg(z), wobei das Argument arg(ξ +

iη) ∈ (−π, π) so definiert ist, dass f (√ξ2 + η2, arg(ξ + iη))T = (ξ, η)T , wobei f (r, φ)T =

(r cos φ, r sinφ)T . Zeigen Sie, dass h holomorph ist, und berechnen Sie die h′(z)!

Anmerkung: h wird als komplexer Logarithmus bezeichnet. In der Tat erfullt h die Bezie-

hung exp(h(z)) = z, z ∈ C \ [−∞, 0], und h(exp(z)) = z fur z ∈ R × (−π, π).

11.21 Sei D ⊆ C ein Gebiet und f : D → C holomorph. Zeigen Sie, dass f konstant ist, wenn f

nur Werte aus R (⊆ C) oder nur Werte aus iR (⊆ C) annimmt.

Hinweis: Was gilt fur d f (z)?

11.22 Fur w ∈ C und einen geschlossenen, stetigen und stuckweise stetig differenzierbaren Weg

γ : [a, b]→ C mit w < γ([a, b]) ist die Umlaufzahl von γ um w definiert durch

n(γ,w) :=1

2iπ

γ

1

z − wdz .

Zeigen Sie, dass n(γ,w) ∈ Z. Geschlossener Weg bedeutet γ(a) = γ(b).

Hinweis: Setzen Sie g(t) :=∫ t

a

γ′(s)

γ(s)−wds und leiten dann e−g(t)(γ(t) − w) nach t ab. Was

bedeutet das Ergebnis, wenn Sie e−g(b) und e−g(a) vergleichen?

11.23 Sei γ : [a, b]→ C stetig und stuckweise stetig differenzierbar aber nicht notwendigerweise

geschlossen. Zeigen Sie, dass dann die Abbildung

w 7→ 1

2iπ

γ

1

z − wdz

von C \ γ([a, b]) nach C stetig ist.

11.24 Mit der Notation aus dem vorletzten Beispiel sei γ ein fester geschlossener, stetiger und

stetig differenzierbarer Weg . Weiters sei G ⊆ C ein Gebiet, sodass γ([a, b]) ∩ G = ∅.Zeigen Sie, dass n(γ,w) fur alle w ∈ G den selben Wert ergibt.

Zeigen Sie auch, dass dieser Wert Null ist, falls G nicht beschrankt ist.

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11.11. UBUNGSBEISPIELE 137

11.25 Nun sei H ⊆ C ein einfach zusammenhangendes Gebiet und w ∈ C \ H. Zeigen Sie, dass

fur jeden geschlossenen, stetigen und stetig differenzierbaren Weg γ : [a, b] → H (also

jeden Weg der in H verlauft) immer n(γ,w) = 0 gilt.

11.26 Uberprufen Sie die Kettenregel fur holomorphe Funktionen auf 2 verschiedene Arten. Ein-

mal ahnlich wie die eindimensionale Kettenregel aus dem Kapitel 7, und ein zweites mal

mit Hilfe der mehrdimensionalen Kettenregel.

11.27 Sei D ⊆ C offen, w ∈ D mit Kr(w) ⊆ D, c ∈ R, f : D → C stetig und γ j : [0, 2π] → D

( j = 1, 2) definiert durch γ1(t) = w + r exp(it) bzw. γ2(t) = w + r exp(i(t + c)). Skizzieren

Sie die Situation und zeigen Sie, dass

γ1

f (z) dz =

γ2

f (z) dz .

11.28 Weisen Sie die Holomorphie der Funktionen exp : C → C, cos : C → C und sin : C → Cnach, indem sie die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen und die stetige Diffe-

renzierbarkeit zeigen! Weiters gebe man in dem Fall jeweils eine Stammfunktion dieser

Funktionen f an (also das F mit F′ = f )! Schließlich gebe man auch eine Stammfunktion

von z2(cos z)2 an!

11.29 Sei D ⊆ C offen und f : D → C holomorph. Man zeige, dass ∆Re f = ∆ Im f = 0 und

dass ∆(| f |2) ≥ 0; vgl. Ubungsbeispiel 10.15.

11.30 Verwenden Sie das vorherige Beispiel und Ubungsbeispiel 10.15, um zu zeigen, dass wenn

G ⊆ C offen und f : G → C holomorph ist, dann fur jedes w ∈ G und ρ > 0 mit Kρ(w) ⊆ G

fur alle ζ ∈ Uρ(w)

| f (ζ)| ≤ maxz∈Kρ(w)\Uρ(w)

| f (z)|,

minz∈Kρ(w)\Uρ(w)

Re f (z) ≤ Re f (ζ) ≤ maxz∈Kρ(w)\Uρ(w)

Re f (z)

minz∈Kρ(w)\Uρ(w)

Im f (z) ≤ Im f (ζ) ≤ maxz∈Kρ(w)\Uρ(w)

Im f (z)

gilt.

11.31 Sei G ⊆ C ein Gebiet und seien f , g : G → C zwei holomorphe Funktionen. Man zeige,

dass f ≡ g, falls f (zn) = g(zn) fur eine Folge (zn) aus G mit Haufungspunkt z in G, wobei

zn , z fur unendlich viele n ∈ N.

Hinweis: Zeigen Sie, dass A = {z ∈ G : ∃ǫ > 0, f |Uǫ (z) ≡ g|Uǫ (z)} offen und nicht-leer ist;

werfen Sie dafur einen Blick auf Korollar 6.7.9. Zeigen Sie auch, dass c(A) ∩G = A. Nun

betrachte man B := G \ c(A)....

11.32 Man leite die Potenzreihenentwicklung von z2(cos z)2 um den Punkt 0 her! Wie groß ist

der Konvergenzradius dieser Potenzreihe?

11.33 Sei D ⊆ C offen und f : D → C holomorph. Zeigen Sie, dass dann auch f ∗ : D → Cholomorph ist, wobei D = {z : z ∈ D} und f ∗(z) = f (z).

11.34 Zeigen Sie, dass die Funktion f (x) aus 6.28 auch fur x ∈ C \ Z eine wohldefinierte kom-

plexwertige Funktion ist. Zeigen Sie, dass diese Funktion auch holomorph ist.

11.35 Zeigen Sie, dass die Funktion f (z) aus dem vorherigen Beispiel fur alle z ∈ C \ Z mit

z 7→ π2

sin2(πz)ubereinstimmt.

11.36 Berechnen Sie fur die Funktion f (z) = 1z+1+ 1

z−1

γ1

f (z) dz +

γ2

f (z) dz und

γ3

f (z) dz ,

wobei γ j : [0, 2π] → C ( j = 1, 2, 3) mit γ j(t) = (−1) j + 12

exp(it) fur j = 1, 2 und

γ3(t) = 4 exp(it).

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138 KAPITEL 11. WEGINTEGRALE

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Kapitel 12

Topologische Grundlagen

12.1 Topologische Grundbegriffe

Wir wollen in diesem und in den nachsten Abschnitten die Konvergenztheorie, wie wir

sie fur metrische Raume entwickelt haben, verallgemeinern. Dabei werden wir Raume

betrachten, die gerade noch soviel Struktur tragen, dass wir von stetigen Funktionen,

Grenzwerten, Kompaktheit etc. sprechen konnen, namlich die sogenannten topologi-

schen Raume.

12.1.1 Beispiel (Metrische Raume). Sei (Y, d) ein metrischer Raum. Es gilt also

� d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0 genau dann, wenn x = y.

� d(x, y) = d(y, x).

� d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y).

Sei O die Menge aller offenen Teilmengen von Y gemaß Definition 5.1.4. Dabei haben

wir eine Teilmenge O von Y offen genannt, wenn sie die Eigenschaft hat, dass es zu

jedem x ∈ O ein ǫ > 0 gibt, sodass die ǫ-Kugel Uǫ (x) (= {y ∈ Y : d(y, x) < ǫ}) ganz in

O enthalten ist.

Wir haben in Proposition 5.1.7 gesehen, dass O folgende Eigenschaften hat.

� ∅ ∈ O, X ∈ O.

� Fur O1,O2 ∈ O gilt auch O1 ∩ O2 ∈ O.

� Ist I eine Indexmenge und Oi ∈ O, i ∈ I, so folgt⋃

i∈I Oi ∈ O.

Wir nehmen nun diese aufgezahlten Eigenschaften als Ausgangspunkt unserer an-

gestrebten Verallgemeinerung.

12.1.2 Definition. Sei X eine nichtleere Menge und T ⊆ P(X) ein System von Teil-

mengen von X. Erfullt T die Eigenschaften

(01) ∅ ∈ T , X ∈ T .

(02) Fur O1,O2 ∈ T gilt auch O1 ∩ O2 ∈ T .

(03) Ist I eine Indexmenge und Oi ∈ T , i ∈ I, so folgt⋃

i∈I Oi ∈ T .

139

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140 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

so heißt T eine Topologie auf X. Die Elemente von T heißen offene Mengen, und man

spricht von (X,T ) als topologischem Raum.

12.1.3 Bemerkung. Mittels Vollstandiger Induktion sieht man sofort, dass (O2) aqui-

valent ist zu

(02’) Ist n ∈ N und O1, . . . ,On ∈ T , so folgt⋂n

i=1 Oi ∈ T .

12.1.4 Beispiel.

Wir haben oben gesehen, dass die Menge O aller offenen Mengen eines metri-

schen Raumes (Y, d) (01)-(03) erfullt. Damit ist (Y,O) ein topologischer Raum.

Man sagt, O ist die von der Metrik d induzierte Topologie und schreiben auch

T (d) fur O.

Ist Y = Rp versehen mit der Metrik d2, so heißt die von d2 induzierte Topologie

T (d2) Euklidische Topologie. Die Metriken d1 und d∞ induzieren ebenfalls die

Euklidische Topologie.

Sei T := P(X). Klarerweise sind (01)-(03) erfullt, also ist (X,P(X)) ein topolo-

gischer Raum. Man spricht von der diskreten Topologie. Die diskrete Topologie

wird ubrigens von der diskreten Metrik induziert (siehe Beispiel 3.1.5).

Sei T := {∅, X}. Wieder sind (01)-(03) trivialerweise erfullt. Man spricht von der

Klumpentopologie.

Eines unserer Ziele wird es sein, Konvergenz gegen einen Punkt oder Stetigkeit bei

einem Punkt fur unsere Raume zu verallgemeinern. Dazu benotigen wir ein Analogon

zum Begriff der ’ǫ-Kugel’.

12.1.5 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und x ∈ X. Eine Menge U ⊆X heißt Umgebung von x, wenn es eine offene Menge O ∈ T gibt mit x ∈ O ⊆U. Wir bezeichnen mit U(x) die Menge aller Umgebungen von x, den sogenannten

Umgebungsfilter von x.

Der Begriff Filter ist ein allgemeines mengentheoretisches Konzept.

12.1.6 Definition. Sei M eine nichtleere Menge. Dann heißt ein Mengensystem F ⊆P(M) ein Filter, wenn

(F1) F , ∅ und ∅ < F,

(F2) F1, F2 ∈ F⇒ F1 ∩ F2 ∈ F,

(F3) F1 ∈ F, F1 ⊆ F2 ⊆ M ⇒ F2 ∈ F.

Ist (X,T ) ein topologischer Raum, so ist der Umgebungsfilter U(x) tatsachlich ein

Filter, da

offensichtlich X ∈ U(x) und jede Menge U ∈ U(x) den Punkt x enthalt und damit

nicht leer ist,

aus U1,U2 ∈ U(x) die Existenz von O1,O2 ∈ T mit x ∈ O1 ⊆ U1 und x ∈O2 ⊆ U2 folgt, und somit x ∈ O1 ∩ O2 ⊆ U1 ∩ U2, wobei wegen (O2) sicherlich

O1 ∩ O2 ∈ T , und daher U1 ∩ U2 ∈ U(x),

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12.1. TOPOLOGISCHE GRUNDBEGRIFFE 141

aus U1 ∈ U(x) und U1 ⊆ U2 ⊆ X die Inklusion x ∈ O ⊆ U1 fur ein gewisses

O ∈ T und somit x ∈ O ⊆ U2 bzw. U2 ∈ U(x) folgt.

Die korrekte Verallgemeinerung des Systems aller ǫ-Kugeln um einen festen Punkt

in einem metrischen Raum fur topologische Raume ist der Begriff der Filterbasis des

Umgebungsfilters.

12.1.7 Definition. Sei M eine nichtleere Menge und F ein Filter. Dann heißt ein Men-

gensystem B ⊆ F eine Filterbasis von F, wenn man zu jeder Menge F ∈ F ein B ∈ Bfindet, sodass B ⊆ F.

12.1.8 Bemerkung. Mit der Notation aus Definition 12.1.7 folgt, dass

F = {F ∈ P(X) : ∃B ∈ B : B ⊆ F}. (12.1)

Also ist B Filterbasis von genau einem Filter.

Betrachtet man jetzt B losgelost von F, so erfullt B

(FB1) B , ∅ und ∅ < B,

(FB2) B1, B2 ∈ B⇒ ∃B3 ∈ B : B3 ⊆ B1 ∩ B2.

Die erste Eigenschaft ist klar wegen (F1). Die zweite folgt aus (F2): B1, B2 ∈ B ⇒B1 ∩ B2 ∈ F. Aus der Definition von Filterbasis folgt ∃B3 ∈ B : B3 ⊆ B1 ∩ B2.

Nun kann man auch mit einem Mengensystem B, das (FB1) und (FB2) erfullt,

starten, um daraus ein Mengensystem F durch (12.1) zu definieren.

Klarerweise ist ∅ < F. Sind F1, F2 ∈ F, so gilt B1 ⊆ F1 und B2 ⊆ F2 fur gewisse

B1, B2 ∈ B, und wegen (FB2) B3 ⊆ B1∩B2 ⊆ F1∩F2 fur ein B3 ∈ B. Also F1∩F2 ∈ F.

Schließlich ist mit F1 auch jedes F2 ⊇ F1 Obermenge eines gewissen B ∈ B. Somit ist

F ein Filter, der B als eine Filterbasis hat.

12.1.9 Definition. Man sagt ein topologischer Raum (X,T ) erfullt das erste Abzahl-

barkeitsaxiom (ABI), wenn fur jedes x ∈ X der Umgebungsfilter U(x) eine Filterbasis

bestehend aus abzahlbar vielen Mengen hat.

12.1.10 Beispiel.

(i) Klarerweise ist ein Filter eine Filterbasis von sich selbst.

(ii) Ist (X,T ) ein topologischer Raum und x ∈ X, so ist z.B. {O ∈ T : x ∈ O} eine

Filterbasis von U(x).

(iii) Sei (Y, d) ein metrischer Raum und T (d) die von der Metrik erzeugte Topologie.

Ist x ∈ Y, so ist {Uǫ(x) : ǫ > 0} eine Filterbasis von U(x).

Dass Uǫ (x) eine Umgebung ist, folgt aus der Tatsache, dass Uǫ(x) sogar offen ist.

Nun sei U ∈ U(x). Dann gibt es eine offene Menge O ∈ T (d), sodass O ⊆ U. Aus

der Definition der offenen Mengen in metrischen Raumen folgt Uǫ(x) ⊆ O ⊆ U,

und damit ist obiges Mengensystem eine Filterbasis.

Auf ahnliche Weise sieht man, dass {Kǫ (x) : ǫ > 0} oder auch {Uǫn(x) : n ∈

N}, wenn (ǫn)n∈N eine Nullfolge aus positiven reellen Zahlen ist, eine Basis des

Umgebungsfilter U(x) ist. Insbesondere erfullt jeder metrische Raum das erste

Abzahlbarkeitsaxiom.

Folgendes Lemma passt nun zu der Konstruktion einer Topologie aus einer Metrik.

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142 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.1.11 Lemma. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und sei fur jeden Punkt x ∈ X

das SystemW(x) eine Filterbasis von U(x)1. Dann ist eine Menge O ⊆ X genau dann

offen, d.h. O ∈ T , wenn

∀x ∈ O⇒ O ∈ U(x) , (12.2)

bzw. genau dann, wenn

∀x ∈ O ∃W ∈W(x) : W ⊆ O . (12.3)

Beweis. Fur ein festes x ∈ X bedeutet die Tatsache ∃W ∈ W(x) : W ⊆ O gemaß der

Definition einer Filterbasis nicht anderes als O ∈ U(x). Also sind (12.2) und (12.3)

aquivalent.

Ist O ∈ T und x ∈ O, so folgt daraus O ∈ U(x), vgl. Beispiel 12.1.10, (ii). Gilt

umgekehrt O ∈ U(x), ∀x ∈ O, so gibt es wegen der Definition von U(x) zu jedem

x ∈ O eine Menge Ox ⊆ O, Ox ∈ T , und daher

O =⋃

x∈O{x} ⊆

x∈OOx ⊆ O .

Als Vereinigung der offenen Mengen Ox muss O nach (O3) selber offen sein.

Nun konnen wir den Grenzwert eines Netzes auch fur topologische Raume definie-

ren.

12.1.12 Definition. Sei (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈I ein Netz in X, wobei

(X,T ) ein topologischer Raum ist. Man sagt, dass dieses Netz gegen einen Punkt x ∈ X

konvergiert, in Zeichen xi

i∈I−→ x, falls

∀U ∈ U(x) ∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi ∈ U ,

d.h. falls in jeder beliebigen Umgebung ab einem Index alle Glieder xi des Netzes

enthalten sind.

12.1.13 Fakta.

IstW(x) eine Filterbasis vonU(x), so ist die Konvergenzbedingungaus Definition

12.1.12 aquivalent zu

∀W ∈ W(x) ∃i0 ∈ I : ∀i � i0 ⇒ xi ∈ W ,

da einerseits wegen W(x) ⊆ U(x) diese Bedingung sicherlich eine Konsequenz

aus der in Definition 12.1.12 ist, und da andererseits aus U ∈ U(x) die Existenz

eines W ∈ W(x) mit W ⊆ U folgt, und dann mit der gegenwartigen Bedingung,

dass xi ∈ W ⊆ U, ∀i � i0 fur ein gewisses i0 ∈ I.

Ist (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈I , d.h. i : J → I, wobei auch (J,�) eine gerich-

tete Menge ist, mit

∀i ∈ I∃ j0 ∈ J : ∀ j �J j0 ⇒ i( j) �I i ,

und konvergiert (xi)i∈I gegen x, so auch (xi( j)) j∈J. Um das zu sehen, sei U ∈ U(x)

und i0 ∈ I, sodass i �I i0 ⇒ xi ∈ U. Ist nun j0 ∈ J so, dass j �J j0 ⇒ i( j) �I i0,

so folgt auch xi( j) ∈ U fur alle j �J j0.

1Es ist nicht ausgeschlossen, dassW(x) = U(x).

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12.1. TOPOLOGISCHE GRUNDBEGRIFFE 143

12.1.14 Bemerkung. Wir sehen nun aus Fakta 12.1.13, dass diese Definition der Kon-

vergenz mit der in metrischen Raumen konform geht. In der Tat haben wir x = limi∈I xi

in einem metrischen Raum (Y, d) genau dann, wenn

∀ǫ > 0 ∃i0 ∈ I : xi ∈ Uǫ(x) ∀i � i0 .

Da {Uǫ (x) : ǫ > 0} eine Filterbasis von U(x) ist, stimmt diese Bedingung mit der aus

Fakta 12.1.13 uberein.

Wir sehen insbesondere, dass die Konvergenz nicht von der konkreten Metrik, son-

dern nur von der von ihr erzeugten Topologie abhangt (vgl. Beispiel 12.3.10).

Wir haben in der Definition der Konvergenz absichtlich nicht die Schreibweise x =

limi∈I xi verwendet, denn es kann sein, dass x nicht der einzige Grenzwert ist.

12.1.15 Beispiel. Man betrachte eine Menge X mit mindestens zwei Elementen verse-

hen mit der Klumpentopologie. Dann ist U(x) = {X} fur alle x ∈ X. Damit konvergiert

aber jedes Netz gegen jeden Punkt x ∈ X.

Man muss eine zusatzliche Eigenschaft vom gegebenen topologischen Raum for-

dern, damit Grenzwerte eindeutig sind.

12.1.16 Definition. Ein topologischer Raum (X,T ) heißt T2-Raum (oder Hausdorff-

Raum), wenn gilt:

(T2) Zu je zwei Punkten x, y ∈ X, x , y, gibt es disjunkte offene Mengen Ox und Oy,

sodass x ∈ Ox, y ∈ Oy.

x

y

Oy

Ox

Abbildung 12.1: Zweites Trennungsaxiom (T2)

Man sieht unmittelbar, dass diese Eigenschaft zu der Tatsache aquivalent ist, dass

es zu zwei verschiedenen Punkten x, y zwei Umgebungen U ∈ U(x), V ∈ U(y) gibt mit

U ∩ V = ∅.12.1.17 Beispiel. Die von einer Metrik d auf einer Menge Y induzierte Topologie ist

Hausdorff. Sind namlich x, y ∈ Y, x , y, so gilt d(x, y) > 0. Setze ǫ := 13d(x, y) und

betrachte die Umgebungen

U := Uǫ(x),V := Uǫ(y) .

Angenommen es ware z ∈ U ∩ V , dann erhielten wir den Widerspruch

d(x, y) ≤ d(x, z) + d(z, y) <1

3d(x, y) +

1

3d(x, y) =

2

3d(x, y) .

Der Beweis der Eindeutigkeit des Grenzwertes eines Netzes wird nun fast wortlich

vom metrischen Fall ubertragen.

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144 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.1.18 Lemma. Sei (xi)i∈I ein konvergentes Netz in einem topologischen (T2)-Raum.

Dann ist der Grenzwert von (xi)i∈I eindeutig.

Beweis. Waren x, y zwei verschiedene Grenzwerte, so wahle man disjunkte Umge-

bungen U ∈ U(x) und V ∈ U(y). Dann wahle man i1 ∈ I und i2 ∈ I mit i � i1 ⇒ xi ∈ U

und i � i2 ⇒ xi ∈ V . Da I gerichtet ist, gibt es ein i ∈ I, i � i1, i � i2, und somit

xi ∈ U ∩ V , was aber ein Widerspruch zu U ∩ V = ∅ ist.

12.2 Abgeschlossene Mengen

12.2.1 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum. Eine Menge A ⊆ X heißt abge-

schlossen, wenn Ac offen ist.

12.2.2 Lemma. Sei X eine Menge. Ist T eine Topologie auf X und bezeichnet A die

Menge aller abgeschlossenen Mengen in (X,T ), so gilt:

(A1) ∅, X ∈ A.

(A2) A1, . . . , An ∈ A, n ∈ N, so folgt A1 ∪ . . . ∪ An ∈ A.

(A3) Ai ∈ A, i ∈ I, so folgt⋂

i∈I Ai ∈ A.

Beweis. Die Axiome (A1) - (A3) gehen bei Komplementbildung genau in die Axiome

(O1) - (O3) uber.

12.2.3 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum, und sei B ⊆ X. Die Menge

B :=⋂{

A ⊆ X : A abgeschlossen, A ⊇ B}

(12.4)

heißt der Abschluss von B. Wenn man explizit klarstellen will, bezuglich welcher To-

pologie der Abschluss zu bilden ist, dann schreibt man fur B oft auch BT

.

Ist C ⊆ B ⊆ X und gilt B ⊆ C, so heißt C dicht in B. Ist C dicht in X, so sagt man,

C ist dicht.

Hat B ⊆ X eine in B dichte und abzahlbare Teilmenge, so heißt B separabel.

12.2.4 Lemma. Sei (X,T ) topologischer Raum, B ⊆ X. Dann ist B die kleinste abge-

schlossene Menge, die B umfasst.

Beweis. Wegen (A1) ist die Menge, uber die in (12.4) der Durchschnitt gebildet wird,

nicht leer. Wegen (A3) ist B abgeschlossen. Ist A abgeschlossen und A ⊇ B, so kommt

A auf der rechten Seite von (12.4) vor, also gilt A ⊇ B.

12.2.5 Lemma. Sei (X,T ) topologischer Raum. Dann gilt:

(i) Fur B ⊆ X gilt B ⊆ B.

(ii) Ist C ⊆ B ⊆ X, so folgt C ⊆ B.

(iii) Fur C, B ⊆ X folgt C ∪ B = C ∪ B.

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12.2. ABGESCHLOSSENE MENGEN 145

(iv) Eine Menge B ⊆ X ist genau dann abgeschlossen, wenn B = B.

Beweis.

(i) Folgt unmittelbar aus der Definition.

(ii) Wegen B ⊇ B ⊇ C ist B eine abgeschlossene Menge, die C umfasst, und da C die

kleinste derartige Menge ist, folgt B ⊇ C.

(iii) Die Menge C ∪ B ist eine abgeschlossene Menge, die C ∪ B umfasst. Also folgt

C ∪ B ⊆ C ∪ B.

Andererseits folgt aus C ⊆ C ∪ B, dass C ⊆ C ∪ B, und genauso B ⊆ C ∪ B.

Damit gilt auch C ∪ B ⊆ C ∪ B.

(iv) B = B gilt genau dann, wenn B die kleinste abgeschlossene Menge ist, die B

enthalt. Somit ist das genau dann der Fall, wenn B abgeschlossen ist.

Wenn man sich an die Definition von Abschluss und abgeschlossener Menge in

metrischen Raumen zuruck erinnert, so haben wir dort einen Zugang uber Haufungs-

punkte gewahlt. Im nachsten Lemma werden wir sehen, dass auch in allgemeinen to-

pologischen Raumen der Abschluss bzw. der Begriff der abgeschlossenen Menge so

charakterisiert werden kann. Um das einzusehen wollen wir zunachst ein kanonisches

Netz konstruieren, das gegen einen gegebenen Punkt konvergiert.

12.2.6 Lemma. Sei (X,T ) topologischer Raum, B ⊆ X und x ∈ X, sodass U ∩ B , ∅fur alle U ∈ U(x). Nun sei

I = {(y,U) : U ∈ U(x), y ∈ U ∩ B} ,

versehen mit der Relation (y1,U1) � (y2,U2) :⇔ U1 ⊇ U2.

Ist (xi)i∈I das Netz definiert durch xi := y, wenn i = (y,U), so konvergiert es gegen x.

Beweis. Die Relation � ist offensichtlich reflexiv und transitiv. Sind (z,V), (y,U) ∈ I,

so folgt U ∩ V ∈ U(x). Voraussetzungsgemaß gibt es ein b ∈ U ∩ V ∩ B, und daher

(z,V), (y,U) � (b,U ∩ V). Daraus folgt, dass (I,�) gerichtet ist.

Definitionsgemaß ist immer xi ∈ B. Da zu U ∈ U(x) und beliebigen y ∈ U ∩ B

aus i = (z,V) � (y,U) folgt, dass xi = z ∈ V ⊆ U, sehen wir, dass (xi)i∈I gegen x

konvergiert.

12.2.7 Proposition. Sei (X,T ) topologischer Raum, B ⊆ X, x ∈ X und W(x) eine

beliebige Filterbasis von U(x). Dann sind folgende Aussagen aquivalent.

(i) x ∈ B.

(ii) ∀U ∈ U(x) : B ∩ U , ∅.

(iii) ∀W ∈ W(x) : B ∩W , ∅.

(iv) Es gibt ein Netz (xi)i∈I mit xi ∈ B, sodass x ein Grenzwert davon ist.

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146 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Beweis. Laut Definition ist x < B zur Existenz einer abgeschlossenen Menge A

mit x < A, A ⊇ B aquivalent. Da die offenen Mengen genau die Komplemente

der abgeschlossenen sind, ist das aquivalent zur Existenz einer Menge O ∈ T mit

x ∈ O, O ∩ B = ∅. Geht man zu den Negationen uber, so erhalten wir, dass

x ∈ B⇔ ∀O ∈ T : x ∈ O, B ∩ O , ∅ .

Man erkennt sofort, dass die rechte Seite zu (ii) aquivalent ist. (ii) ⇔ (iii) folgt unmit-

telbar aus der Tatsache, dassW(x) eine Filterbasis von U(x) ist.

Gilt schließlich (iv) und ist U ∈ U(x), so folgt xi ∈ U ∩ B fur alle i � i0 mit einem

gewissen i0. Also ist sicher U ∩ B , ∅.❑

In Analogie zum Begriff des Haufungspunktes / isolierten Punktes einer Menge in

metrischen Raumen in Definition 5.1.8 definieren wir:

12.2.8 Definition (*). Sei (X,T ) topologischer Raum und B ⊆ X. Ein x ∈ X heißt

Haufungspunkt von B, wenn

∀U ∈ U(x) : (B \ {x}) ∩ U , ∅ .

Ein x ∈ B heißt isolierter Punkt von B, wenn

∃U ∈ U(x) : U ∩ B = {x} .

12.2.9 Bemerkung (*). Aus Proposition 12.2.7 erkennt man sofort, dass x genau dann

Haufungspunkt von B ist, wenn x ∈ B \ {x}, bzw. wenn (xi)i∈I → x fur ein Netz aus

B \ {x}; vgl. Lemma 5.1.13.

Man erkennt auch leicht aus Proposition 12.2.7, dass B mit der Vereinigung von B

und der Menge aller Haufungspunkte von B ubereinstimmt.

12.2.10 Bemerkung. Ist (X, d) ein metrischer Raum, B ⊆ X und nimmt man als W(x)

die Menge aller offenen ǫ-Kugeln um x, so sieht man durch einen Vergleich von Pro-

position 12.2.7 und (5.1), dass x ∈ B genau dann, wenn x ∈ c(B). Also stimmt der

Abschluss in metrischen Raumen mit dem topologischen Abschluss uberein.

Der Grund, warum man in metrischen Raumen das Auslangen mit Folgen findet,

daher x ∈ B genau dann, wenn xn → x fur eine Folge aus B, ist die Gultigkeit des

ersten Abzahlbarkeitsaxioms. In der Tat, kann man unter der Voraussetzung (ABI) die

Konstruktion in Lemma 12.2.6 folgendermaßen abandern:

Sei W(x) = {Wn : n ∈ N} eine abzahlbare Filterbasis von U(x), und wahle xn ∈B ∩ W1 ∩ · · · ∩ Wn (∈ U(x)). Man erhalt somit eine Folge (xn)n∈N in B, sodass zu

vorgegebenem U ∈ U(x) ein N ∈ N mit WN ⊆ U existiert, und daher

xn ∈ W1 ∩ · · · ∩WN ∩ · · · ∩Wn ⊆ U fur alle n ≥ N .

Somit konvergiert (xn)n∈N fur n→ ∞ gegen x.

Genauso wie die abgeschlossenen Mengen via Komplementbildung den offenen

Mengen entsprechen, ist das duale Analogon des Abschlusses das sogenannte Innere.

12.2.11 Definition. Das Innere B◦ einer Teilmenge B eines topologischen Raumes

(X,T ) ist definiert durch

B◦ =⋃{O ∈ T : O ⊆ B} .

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12.2. ABGESCHLOSSENE MENGEN 147

12.2.12 Fakta.

1. Man sieht unmittelbar, dass x ∈ B◦ ⇔ B ∈ U(x). Ahnlich wie beim Abschluss

sieht man, dass B◦ die großte in B enthaltene offene Menge ist. Damit ist B genau

dann offen, wenn B = B◦.

2. Da die Komplemente von den offenen Mengen genau die abgeschlossenen Men-

gen sind, besteht der folgende Zusammenhang zum Abschluss von Mengen.

(Bc

)c=

(⋂{A ⊆ X : A abgeschlossen, A ⊇ Bc

})c=

(⋂{Oc ⊆ X : O offen, O ⊆ B

})c= B◦ .

Die Begriffsbildung, die der des Haufungspunktes einer Folge entspricht, ist die des

Haufungspunktes eines Netzes.

12.2.13 Definition (*). Sei (X,T ) ein topologischer Raum und (xi)i∈I ein Netz in X.

Dann heißt x ∈ X Haufungspunkt von (xi)i∈I , falls

∀U ∈ U(x)∀i ∈ I ∃ j ∈ I : i � j ∧ x j ∈ U .

Man beachte, dass im Allgemeinen die Menge der Haufungspunkte eines Netzes

(xi)i∈I nicht mit der Menge der Haufungspunkte der Bildmenge {xi : i ∈ I} uberein-

stimmt; vgl. Definition 12.2.8. Als Beispiel betrachte man dazu einfach konstante Net-

ze.

12.2.14 Bemerkung (*). Vergleicht man das mit Proposition 12.2.7, so ist x Haufungs-

punkt von (xi)i∈I genau dann, wenn er im Schnitt aller Mengen der Form

{x j : j ∈ I, i � j} ,

also in ⋂

i∈I{x j : j ∈ I, i � j} (12.5)

enthalten ist.

Offenbar ist ein Limes eines Netzes auch Haufungspunkt. Die Umkehrung gilt im

Allgemeinen nicht, wie man z. B. bei Folgen in R schon unschwer erkennen kann.

Eine alternative Charakterisierung von Haufungspunkten verwendet das Konzept

von Teilnetzen.

12.2.15 Lemma (*). Der Punkt x ist Haufungspunkt von (xi)i∈I genau dann, wenn x

Limes eines Teilnetzes (xi(k))k∈K ist.

Beweis. Ist (xi(k))k∈K ein Teilnetz, so gibt es zu i0 ∈ I ein k0 ∈ K, sodass i0 � i(k), k0 �k. Also gilt

{xi : i ∈ I, i0 � i} ⊇ {xi(k) : k ∈ K, k0 � k} ,und damit ⋂

i0∈I{xi : i ∈ I, i0 � i} ⊇

k0∈K{xi(k) : k ∈ K, k0 � k} . (12.6)

Ist nun x Limes von (xi(k))k∈K , so ist er insbesondere Haufungspunkt dieses Teilnetzes,

und wegen (12.6) ein Haufungspunkt von (xi)i∈I .

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148 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Ist umgekehrt x Haufungspunkt von (xi)i∈I , so betrachte die Menge

K = {(i,U) : i ∈ I,U ∈ U(x), xi ∈ U}

versehen mit der Relation (i1,U1) � (i2,U2) :⇔ i1 � i2 ∧U1 ⊇ U2.

Ist (i1,U1), (i2,U2) ∈ K und ist i′ ∈ I, i1, i2 � i′, so gibt es wegen der Voraussetzung

zu der Umgebung U3 = U1 ∩ U2 von x ein i3 ∈ I mit i′ � i3 und xi3 ∈ U3. Also

(i1,U1), (i2,U2) � (i3,U3), und wir sehen, dass (K,�) eine gerichtete Menge ist.

Definieren wir i(i,U) = i, so ist x(i,U) = xi(i,U) , (i,U) ∈ K ein Teilnetz von (xi)i∈I ,das gegen x konvergiert.

12.2.16 Lemma (*). Ein Netz (xi)i∈I konvergiert genau dann gegen x, wenn x

Haufungspunkt eines jeden Teilnetzes von (xi)i∈I ist.

Beweis. Sei (I,�) eine gerichtete Menge.

Konvergiert (xi)i∈I gegen x, so auch jedes Teilnetz, und daher ist x Haufungspunkt

dieses Teilnetzes.

Ist (xi)i∈I nicht gegen x konvergent, so gibt es eine Umgebung U von x, sodass

∀i ∈ I∃ j ∈ I, i � j : x j < U .

Betrachte die gerichtete Menge (K,� |K×K) mit K = {i ∈ I : xi < U}. Dann hat das

Teilnetz (xi)i∈K den Punkt x sicherlich nicht als Haufungspunkt.

12.3 Stetige Abbildungen

12.3.1 Definition. Seien (X,T ) und (Y,O) topologische Raume. Weiters sei f eine

Abbildung, f : X → Y. Ist x ∈ X, so heißt f stetig im Punkt x, wenn gilt:

(Cx) Fur alle V ∈ U( f (x)) existiert ein U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ V .

Die Abbildung f heißt stetig, wenn sie in jedem Punkt x ∈ X stetig ist.

12.3.2 Beispiel.

Sei (X,T ) topologischer Raum. Die Abbildung idX : (X,T ) → (X,T ) ist stetig.

Denn ist x ∈ X und V ∈ U(idX x) = U(x), so wahle U := V ∈ U(x), dann gilt

idX(U) = V ⊆ V .

Seien (X,T ), (Y,O) topologische Raume und sei a ∈ Y. Die Abbildung

fa :

{(X,T ) → (Y,O)

x 7→ a

ist stetig. Denn ist x ∈ X und V ∈ U( fa(x)) = U(a), so wahle U := X ∈ U(x),

dann gilt fa(U) = {a} ⊆ V .

Sei X versehen mit der diskreten Topologie T = P(X), sei (Y,O) irgendein topo-

logischer Raum und sei f : (X,P(X)) → (Y,O) irgendeine Abbildung. Dann ist

f stetig. Denn sei x ∈ X, V ∈ U( f (x)). Da {x} offen in der diskreten Topologie

ist, ist {x} ∈ U(x). Wahle U := {x}, dann gilt f (U) = { f (x)} ⊆ V .

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12.3. STETIGE ABBILDUNGEN 149

Zieht man in Betracht, dass in einem metrischen Raum die ǫ-Kugeln eine Umge-

bungsbasis um einen Punkt bilden, so ist das im folgenden Lemma auftretende Kriteri-

um (ii) fur die Stetigkeit eine unmittelbare Verallgemeinerung des wohlbekannten ’ǫ’ -

’δ’ Kriteriums.

Bei Funktionen auf metrischen Raumen haben wir auch gesehen, dass die Stetigkeit

in einem Punkt x auch durch

xn → x⇒ limn→∞

f (xn) = f (x)

charakterisiert werden kann. Man hat in allgemeinen topologischen Raumen eine ahnli-

che Charakterisierung, wobei man jedoch nicht mehr mit Folgen das Auslangen findet,

siehe (iii) im folgenden Lemma.

12.3.3 Lemma. Seien (X,T ), (Y,O) topologische Raume, f : X → Y, x ∈ X, und seien

W(x) bzw. W( f (x)) beliebige Umgebungsbasen von x in (X,T ) bzw. von f (x) in (Y,O).

Dann sind folgende Aussagen aquivalent.

(i) f ist im Punkt x stetig.

(ii) Fur jedes V ∈ W( f (x)) existiert ein U ∈W(x) mit f (U) ⊆ V.

(iii) Fur jedes gegen x konvergente Netz (xi)i∈I in X folgt, dass das Netz ( f (xi))i∈Igegen f (x) konvergiert.

Beweis.

(i)⇒ (ii) : Sei V ∈ W( f (x)). Dann ist auch V ∈ U( f (x)) und daher gibt es U ∈ U(x)

mit f (U) ⊆ V (vgl. (Cx)). Nun istW(x) Umgebungsbasis von x. Also gibt es ein

U ∈W(x) mit U ⊆ U und daher f (U) ⊆ V .

(ii)⇒ (i) : Sei V ∈ U( f (x)), und wahle W ∈ W( f (x)) mit W ⊆ V . Dann gibt es

U ∈W(x) ⊆ U(x) mit f (U) ⊆ W ⊆ V , also gilt (Cx).

(i)⇒ (iii) : Konvergiert (xi)i∈I gegen x, und ist V ∈ U( f (x)), so existiert wegen der

Stetigkeit ein U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ V . Wegen der Konvergenz findet man ein

ein i0 ∈ I, sodass i � i0 ⇒ xi ∈ U und damit auch f (xi) ∈ V . Also konvergiert

( f (xi))i∈I gegen f (x).

(iii)⇒ (i) : Ware f nicht bei x stetig, so gabe es eine Umgebung V von f (x), sodass

f (U) ∩ Vc, ∅, oder aquivalent U ∩ f −1(Vc) , ∅, fur alle U ∈ U(x). Nach

Lemma 12.2.6 gibt es ein Netz (xi)i∈I in f −1(Vc), welches gegen x konvergiert.

Andererseits ist aber f (xi) ∈ Vc fur alle i ∈ I, womit(f (xi)

)i∈I sicherlich nicht

gegen f (x) konvergieren kann.

12.3.4 Bemerkung. Mit einer Konstruktion ahnlich wie in Bemerkung 12.2.10 sieht

man, dass, wenn X das erste Abzahlbarkeitsaxiom erfullt – daher insbesondere in me-

trischen Raumen, die Stetigkeit bei x mit Hilfe von Folgen dadurch charakterisiert wer-

den, dass xn → x⇒ limn→∞ f (xn) = f (x).

12.3.5 Satz. Seien (X,T ), (Y,O) topologische Raume, und sei f : X → Y. Dann sind

folgende Aussagen aquivalent:

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150 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

(i) f ist stetig.

(ii) f −1(O) ∈ T fur jede offene Menge O ∈ O, d.h. die Urbilder von offenen Mengen

sind offen.

(iii) Die Urbilder von abgeschlossenen Mengen sind abgeschlossen.

(iv) Fur jede Teilmenge B ⊆ X gilt f (B) ⊆ f (B).

Beweis.

(i)⇒ (ii) : Sei O ∈ O. Ist x ∈ f −1(O), so gilt f (x) ∈ O. Da O offen ist, gilt O ∈ U( f (x)),

und daher gibt es eine Umgebung U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ O, d.h. U ⊆ f −1(O).

Mit Lemma 12.1.11 folgt f −1(O) ∈ T .

(ii)⇒ (iii) : Sei A abgeschlossene Teilmenge von Y. Dann ist (A)c offen und wegen

(ii) gilt [f −1(A)

]c= f −1(Ac) ∈ T .

Also ist f −1(A) abgeschlossen.

(iii)⇒ (iv) : Wegen f (B) ⊇ f (B) gilt gilt f −1( f (B)) ⊇ B. Da nach Voraussetzung

f −1( f (B)) abgeschlossen in (X,T ) ist, folgt f −1( f (B)) ⊇ B und daher f (B) ⊇f (B).

(iv)⇒ (i) : Sei x ∈ X und V ∈ U( f (x)) gegeben. Wir mussen ein U ∈ U(x) mit f (U) ⊆V konstruieren. Dazu setze man W := f −1(V). Dann gilt f (Wc) = f ( f −1(Vc)) ⊆Vc und daher f (Wc) ⊆ f (Wc) ⊆ Vc.

Da V ∈ U( f (x)) und V ∩Vc = ∅ folgt aus Proposition 12.2.7, dass f (x) < Vc und

wegen obiger Inklusion x < Wc. Wir sehen, dass x ∈ (Wc)c = W◦ =: U ∈ U(x),

wobei U ⊆ W = f −1(V), und somit f (U) ⊆ f (W) ⊆ V .

Bedingung (ii) in Satz 12.3.5 lasst sich kurz durch f −1(O) ⊆ T beschreiben, wobei

wir fur eine Abbildung f : X → Y die Schreibweise

f −1(C) :={f −1(C) : C ∈ C

} ( ⊆ P(X)),

und spater auch

f (B) :={f (B) : B ∈ B

} ( ⊆ P(Y)),

fur B ⊆ P(X) bzw. C ⊆ P(Y) verwenden.

12.3.6 Lemma. Seien (X,T ) und (Y,O) topologische Raume, wobei (Y,O) Hausdorff

ist. Ist D eine dichte Teilmenge von X, und sind f , g zwei stetige Funktionen von X nach

Y, sodass f |D = g|D, dann folgt f = g.

Beweis. Angenommen f (x) , g(x) fur ein x ∈ X \ D. Wegen der Hausdorff-

Voraussetzung gibt es O1,O2 ∈ O mit O1 ∩ O2 = ∅ und f (x) ∈ O1, g(x) ∈ O2. Da

f und g stetig sind, gibt es U1,U2 ∈ T , x ∈ U1 ∩ U2, sodass f (U1) ⊆ O1, g(U2) ⊆ O2.

Insbesondere ist U1∩U2 eine nichtleere offene Menge, und hat daher einen nichtleeren

Schnitt mit D. Wir erhalten den Widerspruch:

∅ , f (U1 ∩ U2 ∩ D) = g(U1 ∩ U2 ∩ D) ⊆ O1 ∩ O2 = ∅ .

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12.3. STETIGE ABBILDUNGEN 151

Alternativ kann man sich so argumentieren, dass es zu x ∈ X \ D wegen Propo-

sition 12.2.7 ein gegen x konvergentes Netz (xi)i∈I in D gibt. Die Netze(f (xi)

)i∈I und(

g(xi))i∈I konvergieren wegen Lemma 12.3.3 gegen f (x) bzw. g(x). Andererseits sind

diese Netze(f (xi)

)i∈I und

(g(xi)

)i∈I identisch und haben wegen Lemma 12.1.18 den

selben Grenzwert; also f (x) = g(x).

12.3.7 Lemma. Seien (X,T ), (Y,O), (Z,R) drei topologische Raume und seinen f :

X → Y, g : Y → Z Funktionen. Weiters sei x ∈ X. Ist f stetig im Punkt x und ist g stetig

im Punkt f (x), so ist g ◦ f stetig im Punkt x. Insbesondere ist g ◦ f stetig, wenn f , g es

sind.

Beweis. Sei W ∈ U((g ◦ f )(x)). Da g stetig im Punkt f (x) ist, gibt es V ∈ U( f (x))

mit g(V) ⊆ W. Da f stetig im Punkt x ist, gibt es U ∈ U(x) mit f (U) ⊆ V . Insgesamt

erhalten wir

(g ◦ f )(U) = g( f (U)) ⊆ g(V) ⊆ W .

12.3.8 Definition. Seien (X,T ) und (Y,O) topologische Raume, und sei f : X → Y.

Dann heißt f ein Homoomorphismus von (X,T ) nach (Y,O), wenn f bijektiv ist und

wenn gilt f (T ) = O. Zwei topologische Raume (X,T ) und (Y,O) heißen homoomorph,

wenn es einen Homoomorphismus von (X,T ) nach (Y,O) gibt.

12.3.9 Lemma.

(i) Sei f : (X,T ) → (Y,O) eine bijektive Abbildung. Dann ist f genau dann

Homoomorphismus, wenn sowohl f als auch f −1 stetig sind.

(ii) Sind f : (X,T ) → (Y,O), g : (Y,O) → (Z,R) Homoomorphismen, so ist auch

g ◦ f : (X,T )→ (Z,R) ein Homoomorphismus.

(iii) Die Abbildung idX : (X,T1) → (X,T2) ist ein Homoomorphismus genau dann

wenn T1 = T2.

Beweis.

(i) Ist f bijektiv, so ist f (T ) = O genau dann wenn f −1(O) ⊆ T und f (T ) ⊆ O.

(ii) Folgt unmittelbar aus (i) und Lemma 12.3.7.

(iii) Das folgt unmittelbar aus idX(T1) = T1.

12.3.10 Beispiel.

Die Abbildung tan : (− π2, π

2)→ R ist ein Homoomorphismus, wenn man (− π

2, π

2)

und R jeweils mit der Euklidischen Topologie versieht.

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152 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Ist eine gegebene Menge Y mit zwei verschiedenen Metriken d1 und d2 versehen,

die aber aquivalent sind, dh. es gibt α, β > 0, sodass fur alle x, y ∈ Y

αd1(x, y) ≤ d2(x, y) ≤ d1(x, y) , (12.7)

so zeigt man leicht mit Hilfe der Charakterisierung der Stetigkeit in metrischen

Raumen durch Folgen (siehe Proposition 6.1.4), dass dann idY : (Y, d1)→ (Y, d2)

und idY : (Y, d2) → (Y, d1) beide stetig sind. Also induzieren diese Metriken die

selbe Topologie, dh. T (d1) = T (d2). Siehe dazu auch Ubungsbeispiel 5.1.

Sei X ein Vektorraum versehen mit zwei Normen ‖.‖1 und ‖.‖2. Sind diese aqui-

valent (vgl. Definition 9.2.1), so sieht man sofort, dass die jeweils induzierten

Metriken ebenfalls aquivalent sind. Somit stimmen die Topologien, die von den

zu ‖.‖1 und ‖.‖2 gehorigen Metriken erzeugt werden, uberein.

Man betrachte C versehen mit der euklidischen Metrik d2 und mit der chordalen

Metrik χ. Es ist wohlbekannt, dass zn → z in C bezuglich d2 genau dann, wenn

zn → z bezuglich χ. Also ist die Abbildung idC als Abbildung von (C, d2) nach

(C, χ) und auch als Abbildung von (C, χ) nach (C, d2) stetig. Somit gilt T (d2) =

T (χ), obwohl die beiden Metriken nicht aquivalent im Sinne von (12.7) sind.

Man betrachte einerseits C ∪ {∞} versehen mit der chordalen Metrik χ. Ande-

rerseits sei S die Oberflache der Kugel mit Durchmesser 1 im R3, die so auf

die Ebene R2 zum liegen kommt, dass Ihr Sudpol den Nullpunkt beruhrt. Wir

versehen S mit d2, dh.

d2((α, β, γ)T , (ξ, η, ζ)T ) =

√(α − ξ)2 + (β − η)2 + (γ − ζ)2 .

Die Stereographische Projektion σ : S → C ∪ {∞} ist bekannterweise eine

Isometrie, dh. χ(σ(x), σ(y)) = d2(x, y). Also sind σ und σ−1 stetig, und σ ist

somit ein Homoomorphismus.

12.4 Basis, Subbasis

Wir betrachten nun eine feste Menge X und die Menge x(X) aller moglichen Topo-

logien auf X. Die Elemente T von x(X) sind also Teilmengen von P(X), und daher

x(X) ⊆ P(P(X)).

Wir sagen eine Topologie T1 ist grober als eine Topologie T2 bzw. T2 feiner als

T1, wenn T1 ⊆ T2. Aus Satz 12.3.5 erkennt man leicht, dass T1 genau dann grober als

T2 ist, wenn id : (X,T2)→ (X,T1) stetig ist.

12.4.1 Lemma. Ist Ti, i ∈ I, eine Familie von Topologien, so ist es auch ∩i∈ITi. In der

Tat, ist dieser Schnitt die feinste Topologie, die grober als alle Ti ist.

Fur ein Mengensystem C ⊆ P(X) ist

T (C) =⋂{T ∈ x(X) : C ⊆ T } (12.8)

die grobste Topologie, die C enthalt.

Beweis. Wir mussen nachweisen, dass ∩i∈ITi die Axiome (O1) - (O3) erfullt. Die

Mengen ∅, X sind in allen Ti enthalten, da diese ja Topologien sind. Also sind diese

Mengen auch im Schnitt enthalten. Es folgt (O1).

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12.4. BASIS, SUBBASIS 153

Aus O1,O2 ∈ ∩i∈ITi folgt O1,O2 ∈ Ti, i ∈ I, und somit O1 ∩ O2 ∈ Ti, i ∈ I. Also

O1 ∩ O2 ∈ ∩i∈ITi, und daher (O2).

Sind O j ∈ ∩i∈ITi, j ∈ J, so folgt fur jedes i ∈ I, dass O j ∈ Ti, j ∈ J, und weiter⋃j∈J O j ∈ Ti. Nun gilt das wieder fur alle i ∈ I, also

⋃j∈J O j ∈ ∩i∈ITi, und somit (O3).

Klarerweise ist ∩i∈ITi in allen Ti enthalten. Ist andererseits T ⊆ Ti, i ∈ I, so auch

T ⊆ ∩i∈ITi. Also ist der Schnitt die feinste in allen Ti enthaltene Topologie.

Nun enthalt der Schnitt T (C) von Mengensystemen, die alle C enthalten, ebenfalls

C. Ist andererseits T ⊇ C, so gehort T zur Menge auf der linken Seite von (12.8) und

daher T ⊇ T (C). Also ist T (C) die grobste Topologie, die C enthalt.

12.4.2 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum. Ein Mengensystem B ⊆ P(X)

heißt Basis von T , wenn B ⊆ T und wenn es fur alle O ∈ T und x ∈ O ein B ∈ B mit

x ∈ B ⊆ O gibt.

Man sagt ein topologischer Raum (X,T ) erfullt das zweite Abzahlbarkeitsaxiom

(ABII), wenn T eine abzahlbare Basis besitzt.

Ein Mengensystem C ⊆ P(X) heißt Subbasis von T , wenn C ⊆ T und wenn es fur

alle O ∈ T ,O , X, und x ∈ O endlich viele C1, . . . ,Cn ∈ C mit x ∈ C1 ∩ · · · ∩ Cn ⊆ O

gibt.

12.4.3 Bemerkung. Sei O ⊆ X und B ⊆ P(X). Die Tatsache, dass es zu jedem x ∈ O

ein B ∈ B gibt mit x ∈ B ⊆ O, kann man kurz auch als

O =⋃

B∈B, B⊆O

B

schreiben.

12.4.4 Bemerkung. Offensichtlich ist C ⊆ P(X) genau dann eine Subbasis vonT , wenn

das Mengensystem E aller endlichen Schnitte von C samt X, also

E := {X} ∪{ n⋂

i=1

Ci : n ∈ N, C1, . . . ,Cn ∈ C}

eine Basis von T abgibt. Klarerweise enthalt E das Mengensystem C. Der Grund,

warum man X extra in E hineingeben muss ist der, dass wir in Definition 12.4.2 fur

Subbasis nur verlangen, dass es zu jedem offenen O ungleich X und x ∈ O Mengen

C1, . . . ,Cn ∈ C gibt mit x ∈ C1 ∩ · · · ∩ Cn ⊆ O.

12.4.5 Beispiel.

Ist (Y, d) ein metrischer Raum, so folgt aus der Definition der von d induzierten

Topologie T (d) sofort, dass

{Uǫ (x) : x ∈ Y, ǫ > 0}

eine Basis von T (d) ist.

Die Euklidische Topologie T (d2) auf R hat die Menge aller offenen Intervalle

{(a, b) ⊆ R : a, b ∈ R, a < b}

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154 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

als Basis. Da man zu a < x < b aus R wegen der Dichteeigenschaft von Q (siehe

Satz 2.8.3) sicherlich s, t ∈ Q findet, sodass a < s < x < t < b, ist auch

{(s, t) ⊆ R : s, t ∈ Q, s < t}

eine Basis von T (d2). Also ist (ABII) erfullt.

Wegen (a, b) = (a,+∞) ∩ (−∞, b) folgt damit unmittelbar, dass

{(a,+∞) ⊆ R : a ∈ R} ∪ {(−∞, b) ⊆ R : b ∈ R}

eine Subbasis von T (d2) auf R ist.

Betrachte den Rp versehen mit d∞. Da dort fur die ǫ-Kugeln

Uǫ(x) = (ξ1 − ǫ, ξ1 + ǫ) × · · · × (ξp − ǫ, ξp + ǫ)

gilt, wobei x = (ξ j)p

j=1, folgt, dass die Menge aller p-dimensionalen Quader

{(a1, b1) × · · · × (ap, bp) : a j, b j ∈ R, a j < b j, j = 1, . . . , p}

eine Basis von T (d∞) abgibt. Wegen T (d∞) = T (d2) (siehe Beispiel 12.3.10)

sind diese trivialerweise auch Basis von T (d2).

Ahnlich wie fur R sieht man, dass auch

{(s1, t1) × · · · × (sp, tp) : s j, t j ∈ Q, s j < t j, j = 1, . . . , p}

eine abzahlbare Basis von T (d2) ist.

12.4.6 Satz. Ist B ⊆ P(X) Basis einer gegebenen Topologie T auf X, so erfullt B

(B1) Ist B1, B2 ∈ B, x ∈ B1 ∩ B2, so existiert B3 ∈ B mit x ∈ B3 ⊆ B1 ∩ B2.

(B2)⋃

B∈B B = X.

Außerdem ist T die grobste Topologie, die B enthalt, dh. T = T (B).

Ist C ⊆ P(X) Subbasis einer gegebenen Topologie T auf X, so ist T die grobste

Topologie, die C enthalt, dh. T = T (C).

Beweis. Wegen B ⊆ T muss T (B) ⊆ T . Ist andererseits O ∈ T , so folgt aus der

Tatsache, dass B eine Basis ist, zusammen mit Bemerkung 12.4.3

O =⋃

B∈B, B⊆O

B. (12.9)

WegenB ⊆ T (B) und wegen (O3) ist jede dieser Mengen auch inT (B), dh.T ⊆ T (B).

Aus (12.9) angewandt auf O = X sieht man unmittelbar, dass (B2) erfullt ist.

Fur B1, B2 ∈ B ⊆ T gilt B1∩ B2 ∈ T . Aus B1∩ B2 =⋃{B ∈ B : B ⊆ B1∩ B2} folgt

fur jedes x ∈ B1 ∩ B2 die Existenz eines B3 ∈ B mit x ∈ B3 ⊆ B1 ∩ B2. Also gilt auch

(B1).

Ist schließlich C ⊆ P(X) eine Subbasis von T , so folgt aus Bemerkung 12.4.4, dass

E eine Basis von T ist, und daher T = T (E). Wegen C ⊆ E gilt T (C) ⊆ T (E).

Ist andererseits E ∈ E, so gilt E = X oder E = C1 ∩ · · · ∩ Cn fur

C1, . . . ,Cn ∈ C ⊆ T (C). Aus (O1) bzw. (O2) folgt dann E ∈ T (C), und daher

E ⊆ T (C). Somit gilt auch T (E) ⊆ T (C), und insgesamt T = T (E) = T (C).

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12.4. BASIS, SUBBASIS 155

12.4.7 Lemma. Seien (X,T ) und (Y,O) topologische Raume und f : X → Y eine

Abbildung. Ist C eine Subbasis von O, so ist f genau dann stetig, wenn f −1(C) ⊆ T .

Beweis. Aus der Stetigkeit folgt unmittelbar f −1(C) ⊆ f −1(O) ⊆ T .

Ist umgekehrt f −1(C) ⊆ T , so pruft man leicht nach, dass

O′ := {O′ ⊆ Y : f −1(O′) ∈ T }

die Axiome (O1) - (O3) erfullt, dh. eine Topologie ist. Da laut Voraussetzung C ⊆ O′,muss auch O = T (C) ⊆ O′, und daher f −1(O) ∈ T fur alle O ∈ O.

Wir wollen nun den umgekehrten Weg wie in Satz 12.4.6 gehen.

12.4.8 Satz. Erfullt B ⊆ P(X) die Axiome (B1) und (B2), so ist B eine Basis von T (B).

Außerdem stimmt T (B) mit dem System T aller Mengen O ⊆ X der Bauart

O =⋃

B∈VB

mit einem (von O abhangigen) TeilsystemV ⊆ B uberein; also T (B) = T , wobei

T = {O ⊆ X : ∃V ⊆ B, O =⋃

B∈VB}. (12.10)

Ist C ⊆ P(X), so ist C eine Subbasis von T (C). Außerdem stimmt T (C) mit dem

System

{O ⊆ X : ∃V ⊆ E, O =⋃

B∈VB} (12.11)

uberein, wobei

E := {X} ∪{ n⋂

i=1

Ci : n ∈ N, C1, . . . ,Cn ∈ C} .

die Axiome (B1) und (B2) erfullt.

Beweis.

� Wir zeigen zunachst, dass T definiert in (12.10) eine Topologie auf X ist.

Zunachst ist

∅ =⋃

B∈∅B ∈ T ,

und wegen (B2)

X =⋃

B∈BB ∈ T .

Also gilt (O1). Die Bedingung (O3) folgt aus⋃

i∈I

( ⋃

B∈Vi

B)=

B∈⋃i∈IVi

B .

Es bleibt (O2) zu zeigen. Seien also O1 =⋃

B∈V1B, O2 =

⋃B∈V2

B gegeben.

Jedes x ∈ O1 ∩ O2 liegt somit in einem B1 ∈ V1 und einem B2 ∈ V2. Nach (B1)

gibt es ein B ∈ B mit x ∈ B ⊆ B1 ∩ B2 ⊆ O1 ∩O2. Wir erhalten (vgl. Bemerkung

12.4.3)

O1 ∩O2 =⋃

B∈VB ,

wobeiV := {B ∈ B : B ⊆ O1 ∩ O2}. Also O1 ∩ O2 ∈ T .

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156 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

� Offensichtlich gilt B ⊆ T . Ist x ∈ O ∈ T , so folgt aus (12.10), dass x ∈ B ⊆ O

fur ein gewisses B ∈ B. Also ist B Basis von T , und wegen Satz 12.4.6 ist damit

T die grobste Topologie T (B), die B umfasst.

� Ist C ⊆ P(X), so sieht man unmittelbar, dass X ∈ E und dass mit E1, E2 ∈ E auch

E1 ∩ E2 ∈ E. Insbesondere erfullt E (B1) und (B2). Nach dem oben gezeigten

ist E Basis von T (E), wobei T (E) mit der Topologie in (12.11) ubereinstimmt.

Wegen Bemerkung 12.4.4 bedeutet das, dass C eine Subbasis von T (E) ist, und

aus Satz 12.4.6 folgt damit schließlich T (C) = T (E).

12.5 Initiale Topologie

Mit dem Konzept Basis und Subbasis konnen wir auf einer gegebenen Menge ausge-

zeichnete Topologien definieren, die gewisse Eigenschaften haben.

12.5.1 Satz. Seien X eine Menge, (Yi,Ti), i ∈ I, topologische Raume und fi : X → Yi,

i ∈ I, Abbildungen.

X

(Yk,Tk)

fk

(Y j,T j)f j

(Yi,Ti)

f i

Dann existiert genau eine Topologie T auf X mit der Eigenschaft

(IN1) T ist die grobste Topologie auf X, sodass alle Abbildungen fi : (X,T ) →(Yi,Ti), i ∈ I, stetig sind.

Diese Topologie heißt initiale Topologie bezuglich der fi. Fur sie gilt

(IN2)⋃

i∈I f −1i

(Ti) ist eine Subbasis von T ,

und

(IN3) Ist (Y,O) ein beliebiger topologischer Raum und f : Y → X, so ist f : (Y,O) →(X,T ) genau dann stetig, wenn alle Abbildungen

fi ◦ f : (Y,O)→ (Yi,Ti), i ∈ I ,

stetig sind.

Beweis.

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12.5. INITIALE TOPOLOGIE 157

� Ist T ′ eine beliebige Topologie auf X, so ist fi : (X,T ′) → (Xi,Ti) genau dann

stetig, wenn f −1i

(Ti) ⊆ T ′. Also sind alle fi genau dann stetig, wenn

i∈If −1i (Ti) ⊆ T ′. (12.12)

Nach Lemma 12.4.1 gibt es eine grobste Topologie T = T (⋃

i∈I f −1i

(Ti)), die

(12.12) erfullt. Damit ist aber auch T die grobste Topologie, sodass alle fi stetig

sind. Also gilt (IN1).

Wegen Satz 12.4.8 ist⋃

i∈I f −1i

(Ti) Subbasis von T , und es gilt auch (IN2).

� Sei f : (Y,O)→ (X,T ), wobei T die initiale Topologie der fi, i ∈ I, ist. Im Falle

der Stetigkeit von f sind auch alle fi◦ f : (Y,O)→ (Yi,Ti) als Zusammensetzung

stetiger Abbildungen stetig.

Seien umgekehrt alle fi ◦ f stetig, d.h. es gelte ( fi ◦ f )−1(Ti) ⊆ O. Dann folgt

f −1( f −1i

(Ti)) ⊆ O und damit

f −1(⋃

i∈If −1i (Ti)) ⊆ O .

Da⋃

i∈I f −1i

(Ti) eine Subbasis von T ist, folgt aus Lemma 12.4.7, dass f stetig

ist. Die initiale Topologie T hat also die Eigenschaft (IN3).

12.5.2 Bemerkung. Die initiale TopologieT ist in der Tat die einzige TopologieT ′ mit

der Eigenschaft (IN3). Um das einzusehen, sei T ′ eine weitere Topologie auf X mit der

Eigenschaft (IN3).

Da die Abbildung idX : (X,T ′) → (X,T ′) trivialerweise stetig ist, folgt aus (IN3)

angewandt auf T ′, dass alle fi ◦ idX : (X,T ′) → (Yi,Ti) stetig sind. Aus (IN1) folgt

T ⊆ T ′.Fur idX : (X,T ) → (X,T ′) sind andererseits alle Abbildungen fi ◦ idX = fi :

(X,T ) → (Yi,Ti) stetig. Mit (IN3) angewandt auf T ′ folgt die Stetigkeit von idX :

(X,T )→ (X,T ′), und daher T ′ ⊆ T . Insgesamt ist T ′ = T .

12.5.3 Lemma. Mit der Notation aus Satz 12.5.1 sei (x j) j∈J ein Netz in X. Dieses

konvergiert bzgl. T gegen ein x ∈ X genau dann, wenn(fi(x j)

)j∈J fur alle i ∈ I gegen

fi(x) konvergiert.

Beweis. Konvergiert (x j) j∈J gegen x bzgl. T , so folgt aus der Stetigkeit der fi mit

Lemma 12.3.3, dass(fi(x j)

)j∈J gegen fi(x) konvergiert.

Gelte umgekehrt, dass(fi(x j)

)j∈J gegen fi(x) fur alle i ∈ I konvergiert. Fur ein

U ∈ U(x) mit oBdA. U , X und O ∈ T mit x ∈ O ⊆ U folgt aus der Tatsache,

dass⋃

i∈I f −1i

(Ti) eine Subbasis von T ist (vgl. (IN2) aus Satz 12.5.1), und Definition

12.4.2, dass

x ∈ f −1i1

(O1) ∩ · · · ∩ f −1im

(Om) ⊆ O ,

wobei i1, . . . , im ∈ I, O1 ∈ Ti1 , . . . ,Om ∈ Tim . Also folgt fik (x) ∈ Ok, k = 1, . . . ,m, und

laut Voraussetzung gibt es Indizes j1, . . . , jm, ∈ J, sodass j � jk ⇒ fik (x j) ∈ Ok, k =

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158 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

1, . . . ,m. Ist nun j0 ∈ J derart, dass j0 � jk, k = 1, . . . ,m, so folgt fur j � j0 jedenfalls

fik (x j) ∈ Ok, k = 1, . . . ,m, und daher

x j ∈ f −1i1

(O1) ∩ · · · ∩ f −1im

(Om) ⊆ O ⊆ U .

Die Konstruktion der Initialen Topologie ist assoziativ.

X

Y j

(Z j,l,T j,l)g j,l

(Z j,k,T j,k)

g j,k

fj

Yi

(Zi,l,Ti,l)

gi,l

(Zi,k,Ti,k)gi,k

f i

gjl ◦ fj

g jk ◦ f j

gil ◦ fi

g ik◦ fi

Abbildung 12.2: Veranschaulichung der Assoziativitat der Initialtopologiebildung

12.5.4 Korollar. Seien X, Yi, i ∈ I, topologische Raume und fi : X → Yi, i ∈ I, Ab-

bildungen. Weiters seien zu jedem i ∈ I eine Indexmenge Ji und topologische Raume

(Zi, j,Ti, j) und Abbildungen gi, j : Yi → Zi, j gegeben.

Versieht man Yi mit der initialen Topologie Ti bezuglich der Abbildungen gi, j, j ∈Ji, so stimmt die initiale Topologie T1 auf X bezuglich der Abbildungen fi : X →Yi, i ∈ I, mit der initialen TopologieT2 auf X bezuglich der Abbildungen gi, j ◦ fi : X →Zi, j, i ∈ I, j ∈ Ji, uberein.

Beweis. Wir versehen die Yi mit der initialen Topologie Ti bezuglich der Abbildungen

gi, j, j ∈ Ji. Ist T irgendeine Topologie auf X, so ist wegen (IN3) angewandt auf die

(Yi,Ti) die Tatsache, dass alle Abbildungen fi : X → Yi, i ∈ I, stetig sind, dazu

aquivalent, dass alle Abbildungen gi, j ◦ fi : X → Zi, j, i ∈ I, j ∈ Ji, stetig sind.

Also stimmt die grobste aller Topologien, die die erste Bedingung erfullen, –

wegen (IN1) ist das T1 – mit der grobsten aller Topologien, die die zweite Bedingung

erfullen, – wegen (IN1) ist das T2 – uberein.

12.6 Spur- und Produkttopologie

12.6.1 Definition. Sei (Y,T ) ein topologischer Raum und X ⊆ Y. Weiters sei ι : X →Y die kanonische Einbettung, ι(x) = x. Die initiale Topologie auf X bezuglich der

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12.6. SPUR- UND PRODUKTTOPOLOGIE 159

Abbildung ι heißt die Spurtopologie von T auf X und wird bezeichnet als T |X . Man

spricht von (X,T |X) als einem Teilraum von (Y,T ).

12.6.2 Fakta.

1. Wegen Satz 12.5.1 ist

ι−1(T ) = {O ∩ X : O ∈ T } ⊆ P(X)

eine Subbasis fur T |X . Nun erfullt diese Menge selbst schon (O1)− (O3), d.h. es

gilt

T |X = {O ∩ X : O ∈ T } . (12.13)

Damit erhalt man leicht auch, dass der Umgebungsfilter U|X(x) eines Elementes

x ∈ X bezuglich T |X genau

U|X(x) = {U ∩ X : U ∈ U(x)}

ist.

2. Aus (12.13) erhalt man auch, dass das System A|X der in (X,T |X) abgeschlosse-

nen Mengen gegeben ist durch

A|X = {A ∩ X : A ∈ A} .

Daraus folgt auch unmittelbar, dass fur B ⊆ X

BT |X= B

T ∩ X , (12.14)

3. Erfullt (Y,T ) das Axiom (T2), so folgt aus (12.13) auch, dass in Folge (X,T |X)

dieses Axiom erfullt.

4. Aus (IN3) folgt, dass eine Funktion f : (Z,O) → (X,T |X) genau dann stetig ist,

wenn f : (Z,O)→ (Y,T ) stetig ist.

5. Ist (x j) j∈J ein Netz in X und x ∈ X, so folgt aus Lemma 12.5.3, dass (x j) j∈J genau

dann gegen x bzgl. T konvergiert, wenn (x j) j∈J bzgl. T |X gegen x konvergiert.

6. Ist schließlich X ⊆ Z ⊆ Y, so gilt wegen Korollar 12.5.4

T |X = (T |Z)|X . (12.15)

12.6.3 Beispiel. Sei (Y, d) ein metrischer Raum, und sei X ⊆ Y versehen mit der Ein-

schrankung von d|X×X. Klarerweise ist (X, d|X×X) ein metrischer Raum.

Die von d|X×X auf X erzeugte Topologie ist genau die Spurtopologie, die von T (d)

auf X induziert wird:

Ist O ∈ T (d) und x ∈ O∩ X, so gibt es ein ǫ > 0 mit UYǫ (x) ⊆ O. Daraus folgt, dass

die ǫ-Kugel UXǫ (x) = UY

ǫ (x) ∩ X um x bezuglich d|X×X in O ∩ X enthalten ist. Also ist

jede Menge aus T (d)|X offen bezuglich d|X×X .

Ist umgekehrt P ∈ T (d|X×X), so wahle man fur jedes x ∈ P ein ǫx > 0, sodass die

ǫx-Kugel UXǫx

(x) = X ∩ UYǫx

(x) in X in P enthalten ist. Es folgt

P =⋃

x∈P

(X ∩ UY

ǫx(x)

)= X ∩

x∈PUYǫx

(x) .

Somit ist P der Schnitt einer in Y offenen Menge und X, also P ∈ T (d)|X.

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160 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Ein unscheinbares aber recht oft anwendbares Ergebnis ist folgendes.

12.6.4 Lemma. Seien (X,T ), (Y,O) topologische Raume und A1, . . . , Am ⊆ X Teilmen-

gen mit A1 ∪ · · · ∪ Am = X, wobei entweder alle Ak, k = 1, . . . ,m, abgeschlossen oder

alle diese Teilmengen offen sind.

Sind fk : Ak → Y, k = 1, . . . ,m stetige Funktionen, wobei die Ak mit der Spur-

topologie (vgl. Definition 12.6.1) versehen sind, sodass f j und fk auf A j ∩ Ak fur alle

j, k ∈ {1, . . . ,m} ubereinstimmen, dann ist auch die Funktion f1 ∪ · · · ∪ fm : X → Y2

stetig.

Beweis. Seien A1, . . . , Am ⊆ X alle abgeschlossen. Der offene Fall ist ahnlich zu be-

weisen. Fur ein abgeschlossenes F ⊆ Y gilt zunachst

( f1 ∪ · · · ∪ fm)−1(F) = f −11 (F) ∪ · · · ∪ f −1

m (F) .

Wegen der Stetigkeit von fk : Ak → Y ist f −1k

(F) abgeschlossen in der Spurtopologie

T |Ak, und somit von der Bauart C ∩ Ak fur eine in X abgeschlossene Menge C. Als

Schnitt zweier in X abgeschlossener Mengen ist f −1k

(F) in X abgeschlossen.

Als Vereinigung abgeschlossener Mengen ist dann auch ( f1 ∪ · · · ∪ fm)−1(F)

abgeschlossen. Da F beliebig war, ist somit f1 ∪ · · · ∪ fm stetig.

12.6.5 Definition. Seien (Xi,Ti), i ∈ I, topologische Raume, und sei X :=∏

i∈I Xi. Die

initiale Topologie auf X bezuglich der Familie πi : X → Xi der kanonischen Projektio-

nen

πi

((xk)k∈I

)= xi

heißt die Produkttopologie der Ti auf X und wird bezeichnet mit∏

i∈I Ti.

12.6.6 Fakta.

1. Fur ein O ⊆ Xi gilt

π−1i (O) =

k∈IOk

wobei Ok = Xk, k , i, und Oi = O ist. Wieder mit (IN2) und Bemerkung 12.4.4

erhalt man daraus, dass die Mengen der Gestalt∏

k∈IOk , (12.16)

wobei Ok ∈ Tk, k ∈ I, und fur alle k ∈ I bis auf endlich viele Ok = Xk gilt, eine

Basis fur∏

i∈I Ti bilden.

2. Die kanonischen Projektionen πi : X → Xi bilden offene Mengen aus∏

k∈I Tk

auf offene Mengen aus Ti ab, also sind sie offene Abbildungen.

Um das einzusehen, sei zunachst i ∈ I fest. Dann gilt fur Basismengen der Ge-

stallt (12.16) offenbar πi(∏

k∈I Ok) = Oi. Also ist das Bild unter πi einer jeden

Menge aus dieser Basis offen in (Xi,Ti). Da jede offene Menge in∏

k∈I Tk Ver-

einigung von Basismengen ist, folgt die Behauptung.

2Das ist die (wohldefinierte) Funktion, die fur k = 1, . . . ,m auf Ak mit fk ubereinstimmt.

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12.6. SPUR- UND PRODUKTTOPOLOGIE 161

3. Weiters sieht man leicht mit Hilfe der Basis bestehend aus Mengen der Form

(12.16), dass fur einen Punkt (xi)i∈I ∈ X die Mengen

i∈IUi ,

wobei Ui ∈ U(xi), i ∈ I, und Ui = Xi fur alle bis auf endlich viele i, eine Umge-

bungsbasis bezuglich∏

i∈I Ti bilden.

4. Aus Lemma 12.5.3 folgt, dass fur ein Netz (x j) j∈J und einem Punkt x aus∏

i∈I Xi,

d.h. x j = (ξ j,i)i∈I und x = (ξi)i∈I mit ξ j,i, ξi ∈ Xi,

x j

j∈J−→ x⇔ ∀i ∈ I : ξ j,i

j∈J−→ ξi . (12.17)

5. Aus (12.17) folgt, dass fur abgeschlossene Ai ⊆ Xi, i ∈ I, das Produkt∏

i∈I Ai ⊆∏i∈I Xi ebenfalls abgeschlossen ist. Alternativ kann man das auch daraus folgern,

dass ∏

i∈IAi =

i∈Iπ−1

i (Ai)

als Durchschnitt von Urbildern abgeschlossener Mengen unter stetigen Funktio-

nen selber wieder abgeschlossen ist.

12.6.7 Bemerkung. Wendet man diese Konstruktion der Produkttopologie etwa auf

zwei Raume (X1,T1) und (X2,T2) an, d.h. I = {1, 2}, so bilden insbesondere alle Men-

gen der Bauart O1×O2 mit O1 ⊆ X1,O2 ⊆ X2 eine Basis der ProdukttopologieT1×T2.

Außerdem sind alle Mengen A1 × A2 fur abgeschlossene A1 ⊆ X1, A2 ⊆ X2, ebenfalls

abgeschlossen.

12.6.8 Beispiel. Seien (Y1, d1) und (Y2, d2) zwei metrische Raume, und sei d : Y1×Y2 →R definiert als d

((x1, x2), (y1, y2)

)= max(d1(x1, y1), d2(x2, y2)), vgl. Fakta 8.7.8.

Wir wissen schon, dass d eine Metrik auf Y1 × Y2 ist, und dass Uǫ

((x1, x2)

)=

Uǫ (x1) × Uǫ(x2).

Die von dieser Metrik erzeugte Topologie T (d) stimmt mit der Produkttopologie

von T (d1) und T (d2) uberein. Um das einzusehen, sei O ⊆ Y1 ×Y2. Diese Menge ist in

T (d) genau dann, wenn

∀(x1, x2) ∈ O⇒ ∃ǫ > 0 : Uǫ

((x1, x2)

)= Uǫ(x1) × Uǫ (x2) ⊆ O ,

was aber aquivalent zu

∀(x1, x2) ∈ O⇒ ∃O1 ∈ T (d1),O2 ∈ T (d2) : (x1, x2) ∈ O1 × O2 ⊆ O

ist. Da die Mengen der Form O1×O2 eine Basis von T (d1)×T (d2) darstellen, bedeutet

das genau O ∈ T (d1) × T (d2).

Folgendes Korollar samt Beweis funktioniert ubrigens auch fur Funktionen mit

Werten in einem normierten Raum.

12.6.9 Korollar. Sei (X,T ) ein topologischer Raum, und f , g : X → R (C), sowie

λ, µ ∈ R (C). Sind f und g stetig, so auch λ f +µg und f g. Ist zusatzlich f (x) , 0, x ∈ X,

so ist auch 1f

stetig.

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162 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Beweis. Die Funktion (x, y) 7→ λx + µy, R × R → R ist bekannterweise stetig. Nach

(IN3) angewandt auf R × R ist a 7→ ( f (a), g(a)), X → R × R ebenfalls stetig. λ f + µg

ist nun als Zusammensetzung dieser Funktionen ebenfalls stetig.

Der Beweis fur f g und 1f

verlauft analog.

12.7 Finale Topologie*

12.7.1 Satz. Sei X eine Menge, seien (Yi,Ti), i ∈ I, topologische Raume und fi : Yi →X, i ∈ I, Abbildungen.

X

(Yi,Ti)

fi

(Y j,T j)f j

(Yk,Tk)

fk

Dann existiert genau eine Topologie T auf X mit der Eigenschaft:

(FI1) T ist die feinste Topologie auf X, sodass alle Abbildungen fi : (Yi,Ti)→ (X,T ),

i ∈ I, stetig sind.

Diese Topologie heißt finale Topologie bezuglich der fi. Sie ist gegeben durch

(FI2) T = {O ⊆ X : f −1i

(O) ∈ Ti fur alle i ∈ I},

und erfullt:

(FI3) Ist (Y,O) ein topologischer Raum und f : X → Y, so ist f : (X,T ) → (Y,O)

stetig genau dann, wenn alle Abbildungen

f ◦ fi : (Yi,Ti)→ (Y,O), i ∈ I ,

stetig sind.

Beweis.

� Wir betrachten die durch (FI2) definierte Menge T ⊆ P(X). Es gilt

f −1i (O1 ∩ . . . ∩ On) = f −1

i (O1) ∩ . . . ∩ f −1i (On)

und

f −1i

(⋃

j∈J

O j

)=

j∈J

f −1i (O j) .

Sind also O1, . . . ,On ∈ T bzw. O j ∈ T , j ∈ J, so folgt, da die Ti Topologien

sind, O1 ∩ . . . ∩ On ∈ T und⋃

j∈J O j ∈ T . D.h. T erfullt (O2), (O3). Wegen

f −1i

(∅) = ∅ und f −1i

(X) = Yi gilt auch (O1) fur T .

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12.7. FINALE TOPOLOGIE* 163

Definitionsgemaß gilt f −1i

(T ) ⊆ Ti, womit alle fi : (Yi,Ti) → (X,T ) stetig sind.

Ist T ′ eine Topologie auf X, sodass alle fi stetig sind, so folgt f −1i

(O) ∈ Ti fur

alle O ∈ T ′, also O ∈ T . Also gilt T ′ ⊆ T , und T erfullt (FI1). Klarerweise gibt

es hochstens eine Topologie mit der Eigenschaft (FI1).

� Sei T die finale Topologie bezuglich der fi, und sei f : X → Y. Ist f stetig,

so ist auch f ◦ fi : (Yi,Ti) → (X,T ) → (Y,O) als Zusammensetzung stetiger

Abbildungen stetig. Sei umgekehrt f ◦ fi stetig fur alle i. Dann gilt

f −1i ( f −1(O)) = ( f ◦ fi)

−1(O) ⊆ Ti, i ∈ I ,

und wir erhalten f −1(O) ⊆ T , d.h. f stetig.

12.7.2 Bemerkung. Die Finale Topologie ist die einzige Topologie auf X, die (FI3)

erfullt. Um das einzusehen, sei T ′ eine weitere Topologie auf X mit der Eigenschaft

(FI3).

Da die Abbildung idX : (X,T ′) → (X,T ′) trivialerweise stetig ist, folgt aus (FI3)

angewandt auf T ′, dass alle idX ◦ fi : (Yi,Ti) → (X,T ′) stetig sind. Aus (FI1) folgt

T ′ ⊆ T .

Fur idX : (X,T ′) → (X,T ) sind andererseits alle Abbildungen idX ◦ fi = fi :

(Yi,Ti) → (X,T ) stetig. Mit (FI3) angewandt auf T ′ folgt die Stetigkeit von idX :

(X,T ′)→ (X,T ), und daher T ⊆ T ′. Insgesamt ist T ′ = T .

12.7.3 Bemerkung. Das Finale Topologie Bilden ist assoziativ; dh. es gilt ein Korollar

12.5.4 entsprechendes Resultat.

12.7.4 Beispiel. Sei (Y,T ) ein topologischer Raum und ∼ eine Aquivalenzrelation auf

Y. Weiters sei π : Y → Y/∼ die kanonische Projektion, π(x) = [x]∼. Die finale Topolo-

gie auf Y/∼ bezuglich π heißt Quotiententopologie und wird bezeichnet als T /∼.

Ist A ⊆ Y, so heißt A gesattigt bezuglich∼, wenn x ∈ A die Inklusion [x]∼ ⊆ A nach

sich zieht. Offenbar sind alle Mengen der Bauart π−1(B) mit B ⊆ Y/∼ gesattigt, und A

ist genau dann gesattigt, wenn π−1(π(A)) = A. Somit stellt A 7→ π(A) eine bijektive

Abbildung von allen gesattigten Teilmengen von Y auf alle Teilmengen von Y/∼ dar,

wobei B 7→ π−1(B) ihre Umkehrung ist.

Eine Menge P ⊆ Y/∼ ist per definitionem genau dann offen in (Y/∼,T /∼), wenn

π−1(P) offen in (Y,T ) ist. Insbesondere ist O 7→ π(O) eine Bijektion von allen gesattig-

ten offenen Teilmengen von Y auf T /∼. Entsprechendes gilt fur abgeschlossene Men-

gen.

12.7.5 Proposition. Sei f : (X,T ) → (Y,V) eine stetige Abbildung. Bezeichne mit ∼die Aquivalenzrelation x ∼ y :⇐⇒ f (x) = f (y), und seien π : X → X/∼, ι : f (X)→ Y,

die kanonische Projektion bzw. Einbettung. Weiters sei g : X/∼ → f (X) die Bijektion

mit ι ◦ g ◦ π = f .

Dann ist g : (X/∼,T /∼)→ ( f (X),V| f (X)) stetig. Außerdem sind folgende Aussagen

aquivalent

(i) g ist ein Homoomorphismus von (X/∼,T /∼) auf ( f (X),V| f (X)).

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164 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

(ii) Fur jede bezuglich ∼ gesattigte offene Menge O ⊆ X ist f (O) offen in

( f (X),V| f (X)).

(iii) Fur jede bezuglich ∼ gesattigte abgeschlossene Menge A ⊆ X ist f (A) abge-

schlossen in ( f (X),V| f (X)).

Beweis. Nach Satz 12.5.1,(IN3), bzw. Fakta 12.6.2 ist auch f : (X,T )→ ( f (X),V| f (X))

stetig. Somit konnen wir oBdA. Y = f (X) und damit auch ι = idY annehmen.

Jede Abbildung g : X/∼ → Y mit g ◦ π = f muss g([x]∼) = f (x) fur x ∈ X erfullen.

Betrachten wir das als Definition, so ist die Wohldefiniertheit davon zu zeigen. Diese

folgt aber unmittelbar aus der Definition von von ∼, da [x]∼ = [y]∼ immer x ∼ y und

damit f (x) = f (y) nach sich zieht. Also gibt es ein solches g und dieses ist eindeutig.

Außerdem ist g injektiv, da aus f (x) = g([x]∼) = g([y]∼) = f (y) per definitionem x ∼ y

bzw. [x]∼ = [y]∼ folgt. Wegen g(X/∼) = f (X) = Y ist g sogar bijektiv.

Die Stetigkeit von g folgt unmittelbar aus Satz 12.7.1, (FI3), da X/∼ die finale

Topologie T /∼ bzgl. π tragt und da g ◦ π = f stetig ist.

Die Funktion g ist nun genau dann Homoomorphismus, wenn noch g−1 stetig ist,

d.h. wenn g(P) ∈ V fur alle P ∈ T /∼. Nach Beispiel 12.7.4 durchlauft π−1(P) aber alle

offenen und gesattigten Teilmengen von X. Zudem gilt

g(P) = g ◦ π(π−1(P)) = f (π−1(P)) ,

woraus man sofort die Aquivalenz von (i) und (ii) erkennt. Die Aquivalenz von (i) und

(iii) zeigt man genauso.

12.8 Zusammenhang und Trennungseigenschaft (T1)*

Der Begriff der Getrenntheit zweier Teilmengen eines topologischen Raumes, welchen

wir jetzt einfuhren wollen, entspricht dem der Disjunktheit zweier Mengen aus der

Mengenlehre. Dabei gibt es eine schwachere und eine starkere Version.

12.8.1 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und seien A, B Teilmengen von

X. Dann heißen A und B getrennt, wenn A ∩ B = A ∩ B = ∅.A und B heißen in (X,T ) getrennt durch offenen Mengen, wenn es disjunkte offene

Mengen OA,OB gibt, sodass A ⊆ OA, B ⊆ OB. Dazu sagen wir auch, dass sich A und

B durch offene Mengen trennen lassen.

12.8.2 Fakta.

1. Offenbar sind getrennte Mengen und auch durch offenen Mengen getrennte Men-

gen disjunkt.

2. A ∩ B = A ∩ B = ∅ ist aquivalent zu B ⊆ Ac

und A ⊆ Bc, und daher auch

zur Existenz offener Mengen OA und OB, sodass B ⊆ OB, A ∩ OB = ∅ und

A ⊆ OA, B ∩ OA = ∅.Insbesondere sind A und B sicher dann getrennt, wenn sie durch offene Mengen

getrennt sind. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen nicht.

3. Fur A, B ⊆ X und C := A ∪ B gilt fur den Abschluss von A in C bzgl. der

Spurtopologie T |C bekannterweise AT |C= A∩C = A∪ (B∩ A). Entsprechendes

gilt fur B.

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12.8. ZUSAMMENHANG UND TRENNUNGSEIGENSCHAFT (T1)* 165

Insbesondere sind disjunkte Mengen A und B genau dann getrennt, wenn A und

B beide in A ∪ B bzgl. der Spurtopologie abgeschlossen sind. Durch Komple-

mentbildung in A ∪ B erkennt man dann auch, dass disjunkte Mengen A und B

genau dann getrennt sind, wenn A und B beide in A ∪ B bzgl. der Spurtopologie

offen sind.

Somit sehen wir auch, dass A und B in C = A∪B (versehen mit T |C) genau dann

getrennt sind, wenn sie dort durch offene Mengen getrennt sind.

4. Aus dem letzten Punkt erkennen wir auch, dass die Eigenschaft getrennt zu sein,

nur von der Spurtopologie auf A∪B abhangt. Insbesondere gilt fur A, B ⊆ Y ⊆ X,

dass A und B genau in (Y,T |Y) getrennt sind, wenn sie es in (X,T ) sind.

Die Eigenschaft getrennt durch offene Mengen zu sein, hangt dagegen ganz we-

sentlich von dem betrachteten topologischen Raum ab.

Fur eine weitere Charakterisierung der Eigenschaft durch offene Mengen zu sein,

siehe Bemerkung 12.9.2.

12.8.3 Definition. Ein topologischer Raum (X,T ) erfullt das erste Trennungsaxiom

(T1), wenn gilt:

(T1) Je zwei verschiedene einpunktige Mengen lassen sich trennen.

Das schon bekannte Trennungsaxiom (T2) bedeutet im Gegensatz dazu, dass sich

je zwei verschiedene einpunktige Mengen durch offene Mengen trennen lassen. (T2)

ist somit starker als (T1).

12.8.4 Lemma. Ein topologischer Raum (X,T ) erfullt genau dann (T1), wenn ein-

punktige Mengen abgeschlossen sind.

Beweis. Sei x ∈ X. Nach Fakta 12.8.2, 2, gibt es zu y ∈ {x}c eine offene Umgebung

von y, die x nicht enthalt, bzw. ganz in {x}c enthalten ist. Wegen Lemma 12.1.11 ist {x}coffen.

Sind umgekehrt einpunktige Mengen abgeschlossen, so gilt fur verschiedene

x, y ∈ X, dass auch {x} und {y} in {x, y} abgeschlossen sind. Gemaß Fakta 12.8.2, 3,

sind diese Mengen dann getrennt.

Eins zu eins kann man den Begriff einer zusammenhangenden Menge auf topolo-

gische Raume verallgemeinern; vgl. Definition 6.2.2.

12.8.5 Definition. Eine Teilmenge E eines topologischen Raumes (X,T ) heißt zusam-

menhangend, wenn man E nicht als Vereinigung zweier nichtleerer getrennter Mengen

schreiben kann.

Aus Fakta 12.8.2, 4, erhalten wir

12.8.6 Lemma. Sei (X,T ) ein topologischer Raume und E ⊆ X. Die Eigenschaft,

zusammenhangend zu sein, hangt nur von der Spurtopologie auf E ab. Insbesondere

gilt fur E ⊆ Y ⊆ X, dass E genau dann in (Y,T |Y) zusammenhangend ist, wenn E es in

(X,T ) ist.

Das wichtige Resultat Proposition 6.2.4 lasst sich unmittelbar auf topologische

Raume ubertragen, wobei man fast den selben Beweis nehmen kann. Man muss nur

Folgen durch Netze ersetzen. Wir wollen diesen Beweis aber etwas anders fuhren.

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166 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.8.7 Proposition. Seien (X,T ) und (Y,O) topologische Raume, und sei f : X → Y

eine stetige Funktion. Ist E ⊆ X zusammenhangend, so auch f (E).

Beweis. Mit f : X → Y ist auch f |E : E → f (E) stetig, wobei E und f (E) jeweils mit

der Spurtopologie versehen sind. Ware f (E) nicht zusammenhangend, so hatten wir

f (E) = A∪ B mit in f (E) abgeschlossenen und disjunkten A, B , ∅. Daraus ergibt sich

aber im Widerspruch zur Voraussetzung

E = f |−1E (A) ∪ f |−1

E (B) ,

wobei f |−1E

(A), f |−1E

(B) , ∅ in E abgeschlossenen und disjunkt sind.

Folgender recht trivialer Sachverhalt ist jedoch sehr nutzlich.

12.8.8 Lemma. Sei E eine zusammenhangende Teilmenge eines topologischen Raumes

(X,T ). Weiters seien A, B ⊆ X getrennt und so, dass E ⊆ A ∪ B. Dann folgt entweder

E ⊆ A oder E ⊆ B.

Beweis. Offensichtlich sind A ∩ E und B ∩ E als Teilmengen zweier getrennter

Mengen getrennt. Wegen E = (A∩ E)∪ (B∩ E) und da E zusammenhangend ist, folgt

A ∩ E = ∅ oder B ∩ E = ∅ bzw. E ⊆ B oder E ⊆ A. Beides kann nicht der Fall sein, da

getrennte Mengen immer disjunkt sind.

Damit konnen wir auch das im letzten Kapitel bewiesene Resultat Lemma 11.3.1

uber die Vereinigung von zusammenhangenden Mengen in allgemeinen topologischen

Raumen mit einem etwas kurzeren Beweis versehen.

12.8.9 Korollar. Ist (Ei)i∈I eine Familie bestehend aus zusammenhangenden Teilmen-

gen eines topologischen Raumes, sodass fur ein gewisses i0 ∈ I und allen i ∈ I die

Mengen Ei0 und Ei nicht getrennt sind3, so ist auch E :=⋃

i∈I Ei zusammenhangend.

Beweis. Sei E = A ∪ B mit getrennten A und B. Nach Lemma 12.8.8 folgt fur jedes

i ∈ I immer entweder Ei ⊆ A oder Ei ⊆ B. Sei oBdA. Ei0 ⊆ A. Ware Ei ⊆ B fur nur ein

i ∈ I, so waren Ei0 und Ei im Widerspruch zur Voraussetzung getrennt. Somit muss E

ganz in A enthalten sein; dh. B = ∅.❑

12.8.10 Korollar. Mit E ist auch jede Teilmenge C eines topologischen Raumes mit

E ⊆ C ⊆ E zusammenhangend.

Beweis. Sei C = A ∪ B mit getrennten A und B. Nach Lemma 12.8.8 folgt E ⊆ A oder

E ⊆ B. Im ersten Fall folgt aus C ∩ B ⊆ E ∩ B ⊆ A ∩ B = ∅, dass E ⊆ A und daher

B = ∅. Im zweiten Fall schließt man entsprechend auf A = ∅.❑

Das folgende Korollar 12.8.11 ist eine unmittelbare Verallgemeinerung von Lemma

11.3.5 auf allgemeine topologische Raume.

12.8.11 Korollar. Sei (X,T ) ein topologischer Raum. Ist ∼⊆ X × X die Relation auf X

definiert durch

x ∼ y⇔ ∃E ⊆ X : x, y ∈ E, E ist zusammenhangend ,

3Diese Voraussetzung ist sicher dann erfullt wenn Ei0 mit allen Ei einen nichtleeren Schnitt hat.

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12.9. TRENNUNGSEIGENSCHAFTEN (T3) UND (T4) 167

so ist ∼ eine Aquivalenzrelation. Fur ein x ∈ X ist die Aquivalenzklasse [x]∼ die großte

zusammenhangende Menge, die x enthalt. Schließlich ist [x]∼ abgeschlossen.

Beweis. Da die einpunktige Menge {x} zusammenhangend ist, ist ∼ reflexiv. Die Sym-

metrie ist klar. Ist x ∼ y, y ∼ z, und sind E und F zusammenhangende Mengen, sodass

x, y ∈ E und y, z ∈ F, so ist nach Korollar 12.8.9 E ∪ F zusammenhangend, wobei

x, z ∈ E ∪ F. Also ist ∼ ein Aquivalenzrelation. Schließlich ist fur x ∈ X die Menge

[x]∼ =⋃

x∈EE ist zusammenhangend

E ,

wegen Korollar 12.8.9 zusammenhangend. Klarerweise ist diese Menge dann auch die

großte Zusammenhangende Menge, die x enthalt. Wegen Korollar 12.8.10 ist sie auch

abgeschlossen.

12.9 Trennungseigenschaften (T3) und (T4)

Wir wollen dieses Kapitel mit der einfachen Bemerkung starten, dass in (T2) Raumen

einpunktige Mengen {x} abgeschlossen sind. Das folgt aus der Beobachtung, dass es zu

y ∈ {x}c wegen (T2) eine Umgebung gibt, die x nicht enthalt, bzw. ganz in {x}c enthalten

ist. Wegen Lemma 12.1.11 ist {x}c offen.

12.9.1 Definition. Man sagt, dass sich zwei disjunkte Mengen A und B in einem Topo-

logischen Raum getrennt durch offenen Mengen sind, wenn es disjunkte offene Mengen

OA,OB gibt, sodass A ⊆ OA, B ⊆ OB. Dazu sagen wir auch, dass sich A und B durch

offene Mengen trennen lassen.

Ein topologischer Raum (X,T ) heißt regular, falls er neben dem Axiom (T2) noch

das Trennungsaxiom (T3) erfullt:

(T3) Abgeschlossene Mengen A und einpunktige Mengen {x} mit x < A lassen sich

durch offene Mengen trennen, d.h. ∃Ox,OA ∈ T : x ∈ Ox, A ⊆ OA, Ox∩OA = ∅.

x

A

OA

Ox

Abbildung 12.3: Drittes Trennungsaxiom (T3)

Ein topologischer Raum (X,T ) heißt normal, falls er neben dem Axiom (T2) noch

das Trennungsaxiom (T4) erfullt:

(T4) Disjunkte abgeschlossene Mengen A und B lassen sich durch offene Mengen

trennen, d.h. ∃OA,OB ∈ T : A ⊆ OA, B ⊆ OB, OA ∩ OB = ∅.

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168 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

A

B

OB

OA

Abbildung 12.4: Viertes Trennungsaxiom (T4)

Offenbar ist das Axiom (T2) aquivalent dazu, dass sich je zwei verschiedene ein-

punktige Mengen durch offene Mengen trennen lassen.

Da einpunktige Mengen in (T2)-Raumen abgeschlossen sind, folgt aus normal auch

regular. Im Allgemeinen gilt aber nicht die Umkehrung.

12.9.2 Bemerkung. Zwei disjunkte Mengen A und B – die Disjunktheit ist aquivalent

zu A ⊆ Bc – lassen sich genau dann durch offene Mengen trennen, wenn es ein offenes

O gibt, sodass

A ⊆ O ⊆ O ⊆ Bc. (12.18)

In der Tat folgt aus A ⊆ OA, B ⊆ OB, OA ∩ OB = ∅, dass A ⊆ OA ⊆ OcB⊆ Bc und

daraus A ⊆ OA ⊆ OA ⊆ OcB⊆ Bc.

Andererseits folgt aus (12.18) unmittelbar A ⊆ O, B ⊆ Oc, O ∩O

c= ∅.

Zusammen mit Beispiel 12.1.10, (ii), folgt aus Bemerkung 12.9.2

12.9.3 Korollar. Das Axiom (T3) ist aquivalent zur Tatsache, dass man zu dem Punkt

x und jedem offenen O ∋ x ein offenes P mit x ∈ P ⊆ P ⊆ O finden kann, bzw.

aquivalent zur Tatsache, dass man zu einer beliebigen Umgebung U ∈ U(x) eines

beliebigen Punktes x eine Umgebung V ∈ U(x) mit V ⊆ U finden kann.

12.9.4 Bemerkung. Im Gegensatz zu (T4) vererben sich die Axiome (T2) und (T3) auf

Teilraume, d.h. ist Y ⊆ X und (X,T ) ein topologischer Raum, der (T2) bzw. (T3) erfullt,

so erfullt auch (Y,T |Y) (T2) bzw. (T3).

Um das einzusehen, erfulle X zunachst das (T2). Sind dann x , y ∈ Y und Ox,Oy ∈T disjunkt mit x ∈ Ox bzw. y ∈ Oy, so folgt x ∈ Ox ∩ Y ∈ T |Y , y ∈ Oy ∩ Y ∈ T |Y . Also

erfullt Y auch das Axiom (T2).

Gilt (T3) auf X, und ist x ∈ Y und W eine Umgebung von x in Y, so haben wir in

Fakta 12.6.2 gesehen, dass dass W = U ∩ Y fur eine Umgebung U von x in X. Wegen

(T3) gibt es eine Umgebung V von x in X mit V ⊆ U und somit ist V∩Y eine Umgebung

von x in Y mit

x ∈ V ∩ YT |Y= V ∩ Y

T ∩ Y ⊆ V ∩ Y ⊆ U ∩ Y = W .

Also gilt (T3) auch auf Y.

12.9.5 Bemerkung. Ahnlich zeigt man, dass sich die Axiome (T2) und (T3) von topo-

logischen Raumen (Xi,Ti) auf den Produktraum (∏

i∈I Xi,∏

i∈I Ti) vererben.

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12.10. DAS LEMMA VON URYSOHN* 169

12.9.6 Beispiel. Metrische Raume sind normal. Dazu seien A und B zwei disjunkte,

abgeschlossene Mengen.

Zu a ∈ A gibt es ein ǫa > 0 mit U2ǫa(a) ⊆ Bc. Entsprechend wahlt man ǫb fur b ∈ B.

Nun setze

OA :=⋃

a∈AUǫa

(a), OB :=⋃

b∈B

Uǫb(b) .

Ist c ∈ OA ∩ OB, so gibt es a ∈ A, b ∈ B mit c ∈ Uǫa(a) ∩ Uǫb

(b). O.B.d.A. sei ǫa ≥ ǫb.

Es folgt d(a, b) ≤ d(a, c) + d(c, b) < 2ǫa, was aber b ∈ U2ǫa(a) implizieren wurde, im

Widerspruch zur Wahl von ǫa. Also gilt A ⊆ OA, B ⊆ OB, OA ∩ OB = ∅.

12.9.7 Bemerkung. Der Vollstandigkeit halber sei hier noch das erste Trennungsaxiom

(T1) erwahnt. Ein topologischer Raum erfullt eben dieses erste Trennungsaxiom, wenn

es zu allen x , y immer zwei (nicht notwendigerweise disjunkte) offene Mengen Ox

und Oy mit x ∈ Ox und y ∈ Oy gibt, wobei x < Oy und y < Ox. Man sieht unschwer,

dass (T1) dazu aquivalent ist, dass alle einpunktigen Teilmengen abgeschlossen sind.

Offenbar folgt (T1) aus dem (T2), aber nicht umgekehrt.

12.10 Das Lemma von Urysohn*

12.10.1 Lemma. Sei Mk = { l2k : l = 0, . . . , 2k} und M =

⋃∞k=0 Mk. Weiters sei (X,T )

ein topologischer Raum. Angenommen jedem r ∈ M ist eine offene Menge Or ∈ Tzugeordnet, sodass r, s ∈ M, r < s⇒ Or ⊆ Os und O0 = ∅,O1 = X.

Ist dann f : X → [0, 1] definiert durch

f (x) = inf{r ∈ M : x ∈ Or},

so ist f stetig, wobei f auf⋂

r∈M,r>0 Or den Wert Null und auf X \⋃r∈M,r<1 Or den Wert

Eins annimmt.

Beweis. Wegen O1 = X ist {r ∈ M : x ∈ Or} fur jedes x ∈ X eine nichtleere Teilmenge

von [0, 1], wodurch f (x) ein Element von [0, 1] ist. Wegen O0 = ∅ ist {r ∈ M : x ∈ Or

c}fur jedes x ∈ X ebenfalls eine nichtleere Teilmenge von [0, 1], womit

g(x) := sup{r ∈ M : x ∈ Or

c}

auch in [0, 1] liegt.

Aus s ∈ {r ∈ M : x ∈ Or

c} und t ∈ {r ∈ M : x ∈ Or} folgt s < t, da s ≥ t die

Beziehung x ∈ Os

c∩Ot ⊆ Os

c∩Os = ∅ nach sich ziehen wurde. Also folgt g(x) ≤ f (x).

Ware aber g(x) < f (x), so folgt aus der Dichtheit von M in [0, 1], dass g(x) < r <

s < f (x) fur zwei s, r ∈ M. Wegen Or ⊆ Os gilt fur ein festes x ∈ X, dass x ∈ Os oder

x ∈ Ocs ⊆ Or

c, und damit f (x) ≤ s oder g(x) ≥ r. Das ist in jedem Fall ein Widerspruch;

also f (x) = g(x).

Die Stetigkeit von f : X → [0, 1] ist aquivalent zur Stetigkeit von f als Funktion

nach R hinein, vgl. Fakta 12.6.2. Wegen Lemma 12.4.7 reicht es dafur nachzuweisen,

dass alle Urbilder einer Subbasis der euklidischen Topologie auf R offen in X sind.

Da die Mengen der Bauart (t,+∞) und (−∞, t) fur t ∈ R eine Subbasis der Topo-

logie auf R sind, reicht es f −1(t,+∞), f −1(−∞, t) ∈ T fur jedes t ∈ R zu zeigen. Dafur

zeigen wir fur t ∈ R

f −1(−∞, t) =⋃

r∈M,r<t

Or (∈ T ), und f −1(t,+∞) =⋃

r∈M,r>t

Or

c(∈ T ),

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170 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

womit wir die Stetigkeit nachgewiesen hatten. In der Tat ist

f (x) = inf{r ∈ M : x ∈ Or} < t ⇔ ∃r ∈ M, r < t, x ∈ Or ⇔ x ∈⋃

r∈M,r<t

Or.

Außerdem gilt

f (x) = g(x) = sup{r ∈ M : x ∈ Or

c} > t ⇔ ∃r ∈ M, r < t, x ∈ Or

c ⇔ x ∈⋃

r∈M,r>t

Or

c.

Schließlich folgt f (⋂

r∈M,r>0 Or) ⊆ {0} und f (X \ ⋃r∈M,r<1 Or) ⊆ {1} unmittelbar aus

der Definition von f .

Als Folgerung erhalt man das in der Literatur als Lemma von Urysohn bezeichnete

Ergebnis.

12.10.2 Korollar. Erfullt (X,T ) das vierte Trennungsaxiom (T4) (siehe Definition

12.9.1), so sind je zwei disjunkte abgeschlossene Mengen A, B durch eine stetige Funk-

tion f : X → [0, 1] trennbar, d.h. f (A) ⊆ {0}, f (B) ⊆ {1}.

Beweis. Sind A, B zwei abgeschlossene und disjunkte Teilmengen von X, so gibt es

wegen dem (T4) zwei disjunkte offene Teilmengen O ⊇ A, P ⊇ B. Daraus folgt A ⊆O ⊆ O ⊆ Pc ⊆ Bc.

Fur k = 0 setzen wir O0 := O und O1 := Bc. Aus obiger Gleichung folgt Or ⊆ Os

fur alle r < s, r, s ∈ M0 = {0, 1}.Angenommen wir haben offene Or definiert, sodass Or ⊆ Os fur alle r < s, r, s ∈

Mk, so definiere man fur t = l2k+1 ∈ Mk+1 \ Mk, d.h. l ∈ N \ 2N, l < 2k+1, die Menge Ot

folgendermaßen:

Wegen r := l−12k+1 , s := l+1

2k+1 ∈ Mk folgt aus Or ⊆ Os, dass die abgeschlossenen

Mengen Or,Ocs disjunkt sind, und wie oben wegen dem (T4) die Existenz einer offenen

Menge Ot, sodass Or ⊆ Ot ⊆ Ot ⊆ Os.

Also haben wir induktiv fur alle r ∈ M =⋃

k∈N Mk offene Mengen definiert, sodass

Or ⊆ Os fur alle r < s, r, s ∈ M. Definieren wir nun noch O0 und O1 um, indem

wir O0 := ∅ sowie O1 := X setzen, so sind alle Voraussetzungen von Lemma 12.10.1

erfullt.

Wegen A ⊆ ⋂r∈M,r>0 Or erfullt die stetige Funktion aus diesem Lemma f (A) ⊆ {0}

und wegen Or ⊆ Bc, r < 1, r ∈ M bzw. B ⊆ X \⋃r∈M,r<1 Or, auch f (B) ⊆ {1}.❑

Als Folgerung des Lemmas von Urysohn erhalten wir den Fortsetzungssatz von

Tietze.

12.10.3 Satz (Fortsetzungssatz von Tietze). Ein topologischer Raum (X,T ) erfulle

(T4). Ist A ⊆ X abgeschlossen und f : A → R stetig, so existiert eine steti-

ge Fortsetzung g von f auf X, also ein stetiges g : X → R mit g|A = f , wobei

supt∈A | f (t)| = supt∈X |g(t)| (∈ R ∪ {+∞}).

Der Beweis beruht auf dem folgenden Lemma.

12.10.4 Lemma. Erfulle (X,T ) das Axiom T4 und sei u : A → [−1, 1] stetig. Dann

existiert eine stetige Funktion v : X → [− 13, 1

3], sodass |u(x) − v(x)| ≤ 2

3, x ∈ A.

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12.10. DAS LEMMA VON URYSOHN* 171

Beweis. Sei H := {x ∈ A : −1 ≤ u(x) ≤ − 13} und K := {x ∈ A : 1

3≤ u(x) ≤ 1}. Dann

sind H,K abgeschlossen in A (bzgl. der Spurtopologie) und, da A abgeschlossen in X

ist, sind H,K auch abgeschlossen in X. Klarerweise gilt H ∩ K = ∅. Nach dem Lemma

von Urysohn, Korollar 12.10.2, gibt es eine stetige Funktion v : X → [− 13, 1

3] mit

v(H) ⊆ {− 13}, v(K) ⊆ { 1

3}. Diese hat offensichtlich die gewunschte Eigenschaft.

Beweis. (Satz 12.10.3)

Habe f zunachst Werte in [−1, 1]. Wir konstruieren eine Folge (hn)n∈N0stetiger

Funktionen hn : X → [− 13( 2

3)n, 1

3( 2

3)n].

Wendet man Lemma 12.10.4 auf die Funktion f an, so erhalt man h0 : X →[− 1

3, 1

3] mit | f (x) − h0(x)| ≤ 2

3, x ∈ A.

Haben wir fur j = 0, . . . , n stetige h j : X → [− 13( 2

3) j, 1

3( 2

3) j], sodass

∣∣∣ f (x) −n∑

j=0

hn(x)∣∣∣ ≤ (

2

3)n+1, x ∈ A ,

so wende man Lemma 12.10.4 auf u(x) :=( 3

2

)n+1(f (x) − ∑n

j=0 hn(x))

an. Die

resultierende Funktion wird mit( 2

3

)n+1multipliziert, und wir erhalten eine Funk-

tion hn+1 : X → [− 13( 2

3)n+1, 1

3( 2

3)n+1], sodass

∣∣∣ f (x) −n+1∑

j=0

hn(x)∣∣∣ =

∣∣∣∣(f (x) −

n∑

j=0

hn(x))− hn+1(x)

∣∣∣∣ ≤2

3· (2

3

)n+1, x ∈ A .

Wir werden in Lemma 12.14.9 sehen, dass der Raum Cb(X,R) aller reellwerti-

gen, beschrankten und stetigen Funktionen auf X versehen mit ‖.‖∞ ein Banach-

raum ist. Wegen∞∑

j=0

‖h j‖∞ ≤∞∑

j=0

1

3(2

3) j = 1 (12.19)

konvergiert die Reihe∑∞

j=0 h j dort absolut; vgl. Definition 9.3.1. Gemaß Fakta

9.3.2 konvergiert somit∑∞

j=0 h j in Cb(X,R) bzgl. ‖.‖∞, dh. gleichmaßig, gegen

eine g ∈ Cb(X,R), wobei aus (12.19) die Abschatzung ‖g‖∞ ≤ 1 folgt.

Schließlich ist g eine Fortsetzung von f , denn fur x ∈ A gilt

∣∣∣ f (x) −n∑

j=0

hn(x)∣∣∣ ≤

(2

3

)n+1 n→∞−→ 0 .

Ist allgemeiner f : A → R beschrankt, dh. f : X → [−‖ f ‖∞, ‖ f ‖∞], so wenden

wir das gezeigte auff

‖ f ‖∞ an und erhalten nach Multiplikation der resultierenden

Funktion auf X mit ‖ f ‖∞ die gewunschte Fortsetzung von f .

Sei nun f : A → R unbeschrankt. Da R homoomorph zu (−1, 1) vermoge eines

Homoomorphismus φ : R → (−1, 1) ist, konnen wir das bewiesene auf φ ◦ f :

A→ (−1, 1) anwenden und erhalten eine Fortsetzung r : X → [−1, 1] davon.

Wegen A ⊆ r−1(−1, 1) sind die abgeschlossenen Mengen A und r−1{−1, 1}disjunkt. Eine Anwendung von Korollar 12.10.2 ergibt eine stetige Funktion

s : X → [0, 1] mit s(A) ⊆ {1} und s(r−1{−1, 1}) = {0}.

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172 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Die ebenfalls stetige Funktion r · s : X → [−1, 1] nimmt nun offensichtlich die

Werte ±1 nicht an, dh. r · s : X → (−1, 1), und stimmt auf A mit φ ◦ f uberein.

Die Funktion g : X → R definiert durch g = φ−1 ◦ (r · s) : X → R ist die gesuchte

Funktion.

12.10.5 Bemerkung. Aus der Gultigkeit des Fortsetzungssatz von Tietze auf einem

topologischen Raum (X,T ) folgt sofort das Lemma von Urysohn, Korollar 12.10.2,

da fur disjunkte und abgeschlossene Mengen A, B die Funktion f : A ∪ B → [−1, 1]

definiert durch f = 1B − 1A wegen Lemma 12.6.4 stetig ist, und daher eine stetige

Fortsetzung g : X → [−1, 1] hat. Die Funktion 12(g + 1) hat dann die in Korollar

12.10.2 verlangten Eigenschaften.

Andererseits folgt aus der Gultigkeit des Lemma von Urysohn, Korollar 12.10.2,

auf einem topologischen Raum (X,T ), dass dieser das Axiom (T4) erfullt. Sind

namlich A, B ⊆ X abgeschlossen und disjunkt und f : X → [0, 1] wie in Korollar

12.10.2, so folgt A ⊆ f −1(−∞, 12), B ⊆ f −1( 1

2,+∞), f −1(−∞, 1

2) ∩ f −1( 1

2,+∞) = ∅ und

f −1(−∞, 12), f −1( 1

2,+∞) ∈ T .

12.11 Kompaktheit

Bei metrischen Raumen haben wir den Begriff der Kompaktheit mit Hilfe von Folgen

eingefuhrt. Fur allgemeine topologische Raume wollen wir anders starten. Wir werden

weiter unten sehen, dass dieser Zugang zur Kompaktheit bei metrischen Raumen mit

dem schon bekannten aquivalent ist.

12.11.1 Definition. Eine Teilmenge K eines topologischer Raum (X,T ) heißt kompakt,

wenn jede offene Uberdeckung eine endliche Teiluberdeckung besitzt. D.h., istV ⊆ Teine Familie offener Mengen mit

V∈VV ⊇ K ,

so gibt es bereits endlich viele V1, . . . ,Vn mit

V1 ∪ . . . ∪ Vn ⊇ K .

Eine Teilmenge A ⊆ X heißt relativ kompakt, wenn A ⊆ X kompakt ist. Der Raum

(X,T ) heißt lokalkompakt, wenn jeder Punkt x eine kompakte Umgebung besitzt.

Sei C eine Familie von Teilmengen einer Mengen X, dh. C ⊆ P(X). Wir sagen, dass

C die endliche Durchschnittseigenschaft hat, wenn fur je endlich viele C1, . . . ,Cn ∈ Cstets C1 ∩ . . . ∩ Cn , ∅ gilt.

12.11.2 Proposition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und K ⊆ X. Dann sind aqui-

valent:

(K1) K ist kompakt.

(K2) K betrachtet als Teilmenge von (K,T |K) ist kompakt.

(K3) Jede Familie bzgl. T |K abgeschlossener Teilmengen von K mit der endlichen

Durchschnittseigenschaft hat nichtleeren Durchschnitt.

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12.11. KOMPAKTHEIT 173

(K4) Jedes Netz (xi)i∈I in K hat ein gegen ein x ∈ K konvergentes Teilnetz.

Beweis.

(K1)⇒ (K2): Sei V ⊆ T |K eine offene Uberdeckung von K in (K,T |K). Zu V ∈ Vexistiert ein UV ∈ T mit UV ∩ K = V . Also ist U := {UV : V ∈ V} eine

Familie offener Mengen in X, die K uberdeckt. Es gibt also UV1, . . . ,UVn

mit

UV1∪ . . . ∪ UVn

⊇ K. Damit ist auch

V1 ∪ . . . ∪ Vn = (UV1∩ K) ∪ . . . ∪ (UVn

∩ K) = (UV1∪ . . . ∪UVn

) ∩ K = K .

(K2)⇒ (K1): Ist K als Teilmenge von (K,T |K) kompakt, und istU ⊆ T eine Uberde-

ckung aus offenen Mengen in (X,T ), so ist

V := {U ∩ K : U ∈ U}

eine offene Uberdeckung von (K,T |K). Daher existiert eine endliche Teiluberde-

ckung {U1 ∩ K, . . . ,Un ∩ K}, und daher U1 ∪ . . . ∪ Un ⊇ K.

(K2)⇒ (K3): Sei C eine Familie in (K,T |K) abgeschlossener Teilmengen von K mit

der endlichen Durchschnittseigenschaft. Angenommen⋂

C∈C C = ∅. Dann folgt⋃

C∈CK \C = K ,

wobei die K \ C in (K,T |K) offen sind. Also gibt es eine endliche Teiluberde-

ckung, (K \ C1) ∪ . . . ∪ (K \ Cn) = K, und wir erhalten C1 ∩ . . . ∩ Cn = ∅, was

aber der endlichen Durchschnittseigenschaft widerspricht.

(K3)⇒ (K2): Sei V ⊆ T |K eine offene Uberdeckung von K. Wurde V keine endli-

che Teiluberdeckung besitzen, so ware (K \ V1) ∩ . . . ∩ (K \ Vn) , ∅ fur jede

endliche Auswahl V1, . . . ,Vn ∈ V. Also hatte C = {K \ V : V ∈ V} die end-

liche Durchschnittseigenschaft, und nach Voraussetzung ware der Schnitt aller

Mengen K \ V, V ∈ V nichtleer. Damit wareV aber keine Uberdeckung.

(K3)⇒ (K4): Sei (xi)i∈I ein Netz in K. Fur i ∈ I ist Ci = {xk : k � i}∩K abgeschlossen

in (K,T |K). Das System Ci, i ∈ I, hat die endliche Durchschnittseigenschaft,

denn sind i1, . . . , in ∈ I und ist i ∈ I, i � i1, . . . , in, so gilt

∅ , {xk : k � i} ⊆ {xk : k � i1} ∩ · · · ∩ {xk : k � in} .

Nach Voraussetzung gibt es ein x ∈ ∩i∈ICi.

Jetzt sei J = {( j,U) : j ∈ I,U ∈ U(x), x j ∈ U} versehen mit der offensichtlich

reflexiven und transitiven Relation

( j,U) � (k,V) :⇔ j � k ∧ U ⊇ V .

Fur ( j1,U1), ( j2,U2) ∈ J sei k ∈ I mit k � j1, j2. Wegen x ∈ {x j : j � k} gibt es

ein x j ∈ U1 ∩ U2 mit j � k, und somit ( j,U1 ∩ U2) � ( j1,U1), ( j2,U2). Also ist

J gerichtet.

Mit xi( j,U) := x j erhalten wir ein Teilnetz (xi( j,U))( j,U)∈J von (xi)i∈I , da fur jedes

i0 ∈ I die Beziehung (i0, X) ∈ J gilt und da ( j,U) � (i0, X) immer i( j,U) = j �i0 = (i0,U) nach sich zieht.

Zu V ∈ U(x) gibt es ein k ∈ I mit xk ∈ V . Fur ( j,U) � (k,V) folgt dann

xi( j,U) = x j ∈ U ⊆ V , und somit konvergiert dieses Teilnetz gegen x.

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174 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

(K4)⇒ (K3): Hat C = {Ci : i ∈ I} die endliche Durchschnittseigenschaft, so sei E(I)

die Menge aller endlichen Teilmengen von I gerichtet durch die Relation M1 �M2 :⇔ M1 ⊆ M2.

Fur M ∈ E(I) sei xM irgend ein Punkt aus ∩i∈MCi. Man beachte, dass nach

Voraussetzung dieser Schnitt nicht leer ist. Das Netz (xM)M∈E(I) hat wegen (K4)

ein gegen ein x ∈ X konvergentes Teilnetz (xM( j)) j∈J .

Ist k ∈ I, so gibt es wegen {k} ∈ E(I) ein j0 ∈ J mit M( j) ⊇ {k} fur alle j � j0,

und somit xM( j) ∈ ∩i∈M( j)Ci ⊆ Ck. Also liegt das ebenfalls gegen x konvergente

Netz (xM( j)) j∈J� j0in der abgeschlossenen Menge Ck. Mit Proposition 12.2.7 folgt

daraus x ∈ Ck, und, da k ∈ I beliebig war, auch dass der Schnitt aller Ck’s x

enthalt und damit nicht leer ist.

12.11.3 Bemerkung (*). Wegen Lemma 12.2.15 ist die Bedingung (K4) zu der Tatsache

aquivalent, dass jedes Netz einen Haufungspunkt in K hat.

12.11.4 Satz (*). Ein Netz (xi)i∈I in einer kompakten Menge K ⊆ X konvergiert genau

dann gegen ein x ∈ X, wenn x der einzige Haufungspunkt von (xi)i∈I ist.

Beweis. Wenden wir nun Lemma 12.2.16 an, und beachten, dass Haufungspunkte von

Teilnetzen von (xi)i∈I auch Haufungspunkte von (xi)i∈I sind (vgl. Lemma 12.2.15), so

erhalten wir aus Bemerkung 12.11.3 das behauptete Ergebnis.

12.11.5 Definition (*). Eine Teilmenge A eines topologischen Raumes (X,T ) heißt

abzahlbar kompakt, wenn jede unendliche Teilmenge von A einen Haufungspunkt in A

hat.

Eine Teilmenge A eines topologischer Raum (X,T ) heißt folgenkompakt, wenn jede

Folge in A eine gegen ein x ∈ A konvergente Teilfolge hat.

12.11.6 Bemerkung (*). Ist M ⊆ A unendlich, so gibt es sicher eine injektive Funktion

x : N→ M. Das ist aber nichts anderes als eine Folge, daher x(n) = xn.

Ist A folgenkompakt, so folgt x = limk→∞ xn(k) fur eine Teilfolge (xn(k))k∈N und ein

x ∈ A. Fur jede Umgebung U von x gibt es somit einen Index k0 ∈ N, sodass xn(k) ∈ U

fur alle k ≥ k0. Da die Folgenglieder alle verschieden sind, enthalt U sicherlich einen

Punkt y := xn(k) ∈ M, der ungleich x ist. Also hat M einen Haufungspunkt in A; vgl.

Definition 12.2.8. Somit folgt fur eine Teilmenge eines topologischen Raumes aus der

Eigenschaft folgenkompakt die Eigenschaft abzahlbar kompakt. Die Umkehrung gilt

im Allgemeinen nicht.

Ist A kompakt, so folgt wegen Proposition 12.11.2 x = limi∈I xn(i) fur ein Teilnetz

(xn(i))i∈I und ein x ∈ A. Fur jede Umgebung U von x gibt es somit einen Index i0 ∈ I,

sodass xn(i) ∈ U fur alle i � i0.

Da die Folgenglieder alle verschieden sind, gibt es hochstens ein n0 ∈ N, sodass

xn0= x. Die Teilnetzeigenschaft bedingt die Existenz eines i1 ∈ I, sodass i � i1 ⇒

n(i) ≥ n0 + 1 ∧ xn(i) ∈ U. Fur solche i liegt der Punkt y := xn(i) ∈ M in U und ist

ungleich x. Also hat M einen Haufungspunkt in A; vgl. Definition 12.2.8. Somit folgt

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12.11. KOMPAKTHEIT 175

auch aus kompakt abzahlbar kompakt. Die Umkehrung gilt im Allgemeinen auch hier

nicht.

Uberraschenderweise gilt im Allgemeinen weder, dass kompakt folgenkompakt im-

pliziert, noch, dass folgenkompakt kompakt impliziert. In metrischen Raumen sind alle

drei Begriffe aquivalent, siehe Satz 12.14.3.

12.11.7 Lemma. Sei (X,T ) ein topologischer Raum, A ⊆ X, sowie A1, . . . , Am ⊆ X.

Es gilt:

(i) Sei A kompakt, B ⊆ A abgeschlossen in (A,T |A). Dann ist B ⊆ X kompakt.

(ii) Sind A1, . . . , Am kompakt, so auch A1 ∪ . . . ∪ Am.

Sei zusatzlich vorausgesetzt, dass (X,T ) Hausdorff ist. Dann gilt:

(iii) Ist A kompakt, so ist A abgeschlossen.

Beweis.

(i) Die Menge A \ B ist offen in (A,T |A). Also existiert O ∈ T mit O∩A = A \ B. Sei

U eine Uberdeckung von B aus in X offenen Mengen, dann uberdecktU ∪ {O}ganz A. Daher gibt es U1, . . . ,Un ∈ U mit U1 ∪ . . . ∪ Un ∪O ⊇ A. Es folgt

U1 ∪ · · · ∪ Un = U1 ∪ . . . ∪Un ∪ (O ∩ B)︸ ︷︷ ︸=∅

⊇ (U1 ∩ B) ∪ . . . ∪ (Un ∩ B) ∪ (O ∩ B) = (U1 ∪ . . . ∪ Un ∪ O) ∩ B ⊇ B .

(ii) Sei U eine Uberdeckung von A1 ∪ . . . ∪ Am aus in X offenen Mengen. Dann

uberdecktU jedes Ai, also existieren U ik, k = 1, . . . , ni, i = 1, . . . ,m, mit

U i1 ∪ . . . ∪ U i

ni⊇ Ai ,

und es folgt ⋃

k,i

U ik ⊇ A1 ∪ . . . ∪ Am .

(iii) Sei A kompakt, und sei x < A. Da (X,T ) Hausdorff ist, gibt es zu jedem Punkt

y ∈ A offene Umgebungen Uy ∈ U(y), Vy ∈ U(x), mit Uy ∩ Vy = ∅. Klarerweise

ist {Uy : y ∈ A} eine offene Uberdeckung von A. Daher gibt es y1, . . . , yn ∈ A,

sodass bereits Uy1∪ . . .∪Uyn

⊇ A gilt. Die Menge Vy1∩ . . .∩Vyn

ist als endlicher

Durchschnitt von Umgebungen von x ebenfalls eine Umgebung von x, und es gilt

[Uy1∪ . . . ∪ Uyn

] ∩ [Vy1∩ . . . ∩ Vyn

]= ∅.

Also ist x ein innerer Punkt von Ac. Nach Lemma 12.1.11 ist Ac offen und daher

A abgeschlossen.

12.11.8 Lemma. Sei f : (X,T ) → (Y,O) stetig. Ist A ⊆ X kompakt, so ist auch

f (A) ⊆ Y kompakt.

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176 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Beweis. IstU ⊆ O eine Uberdeckung von f (A), so ist f −1(U) eine Uberdeckung von A,

die wegen der Stetigkeit von f aus offenen Mengen besteht. Es gibt also U1, . . . ,Un ∈U, sodass

f −1(U1) ∪ . . . ∪ f −1(Un) ⊇ A .

Wendet man darauf f an, so folgt U1 ∪ . . . ∪ Un ⊇ f (A).

Nimmt man die Charakterisierung (K4) aus Proposition 12.11.2 her, so kann man

Lemma 12.11.8 auch ganz ahnlich wie in Proposition 6.1.13 beweisen. Ist namlich

(yi)i∈I ein Netz in f (A), und wahlt man zu jedem i ∈ I ein xi ∈ A, sodass f (xi) = yi, so

hat nach (K4) das Netz (xi)i∈I ein gegen ein x ∈ A konvergentes Teilnetz (xi( j)) j∈J . Aus

Lemma 12.3.3 schließen wir, dass (yi( j)) j∈J =(f (xi( j))

)j∈J gegen f (x) =: y konvergiert.

Also hat jedes Netz aus f (A) ein gegen ein y ∈ f (A) konvergentes Teilnetz. Nach (K4)

aus Proposition 12.11.2 ist f (A) somit kompakt.

12.11.9 Korollar. Es gilt:

(i) Sei (X,T ) kompakt und (Y,O) Hausdorff. Weiters sei f : (X,T ) → (Y,O) bijektiv

und stetig. Dann ist f ein Homoomorphismus.

(ii) Sei X eine Menge undT ,O Topologien auf X, sodassT kompakt undOHausdorff

ist, und sodass O ⊆ T . Dann gilt sogar O = T .

Beweis.

(i) Wir mussen nachweisen, dass f −1 stetig ist. Dazu zeigen wir, dass das Urbild

unter f −1 einer in (X,T ) abgeschlossenen Menge in (Y,O) abgeschlossen ist, siehe

Satz 12.3.5. Sei A ⊆ X abgeschlossen, dann ist A kompakt, und daher ist nach

Lemma 12.11.8 auch

( f −1)−1(A) = f (A) ⊆ Y

kompakt. Nach Lemma 12.11.7, (iii), ist ( f −1)−1(A) auch abgeschlossen.

(ii) Wegen O ⊆ T ist idX : (X,T ) → (X,O) stetig, und (i) zeigt, dass idX sogar ein

Homoomorphismus ist, d.h. T = O.

12.11.10 Lemma. Sei (X,T ) ein topologischer Raum.

(i) Ist X Hausdorffsch, und ist A ⊆ X kompakt und x ∈ X \ A, so lassen sich x und

A durch offene Mengen trennen, d.h. es gibt disjunkte offene Mengen Ox ∋ x und

OA ⊇ A.

(ii) Erfullt X das Axiom (T3), und sind A ⊆ X kompakt, B ⊆ X abgeschlossen und

A ∩ B = ∅, so lassen sich A und B durch offene Mengen trennen.

(iii) Ist (X,T ) kompakt und Hausdorffsch, so ist (X,T ) sogar normal.

Beweis.

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12.12. FILTER UND NETZE* 177

(i) Zu jedem y ∈ A gibt es zwei disjunkte offene Mengen Qy ∋ y und Py ∋ x. Kla-

rerweise ist dann {Qy : y ∈ A} eine Uberdeckung von A. Wegen der Kompaktheit

gibt es y1, . . . , yn ∈ A, sodass A ⊆ Qy1∪ · · · ∪ Qyn

:= OA. Außerdem ist mit

Ox := Py1∩ · · · ∩ Pyn

Ox ∩ OA = Ox ∩ (Qy1∪ · · · ∪ Qyn

) ⊆ (Py1∩ Qy1

) ∪ · · · ∪ (Pyn∩ Qyn

) = ∅ .

(ii) Zu jedem y ∈ A gibt es wegen (T3) zwei disjunkte offene Mengen Qy ∋ y und

Py ⊇ B. Dann ist {Qy : y ∈ A} eine Uberdeckung von A. Wegen der Kompaktheit

gibt es y1, . . . , yn ∈ A, sodass A ⊆ Qy1∪ · · · ∪ Qyn

:= OA. Außerdem gilt fur

OB := Py1∩ · · · ∩ Pyn

OB ∩ (Qy1∪ · · · ∪ Qyn

) ⊆ (Py1∩ Qy1

) ∪ · · · ∪ (Pyn∩ Qyn

) = ∅ .

Also lassen sich A und B durch offene Mengen trennen.

(iii) Da jede abgeschlossene Teilmenge von X nach Lemma 12.11.7 kompakt ist, folgt

aus (i), dass X regular ist, dh. es gilt (T2) und (T3). Nach (ii) ist X dann sogar

normal.

12.12 Filter und Netze*

Wir wollen in diesem Abschnitt die Konvergenz von Filtern und Filterbasen behandeln.

Wir werden sehen, dass diesbezuglich ganz ahnliche Resultate gelten wie fur Netze. In

der Tat kann man die Netzkonvergenz durch Konvergenz eines durch das Netz be-

stimmten Endfilters charakterisieren. Andererseits werden wir sehen, dass jeder Filter

als Endfilter eines Netzes beschrieben werden kann.

Zunachst wollen wir eine nutzliche Schreibweise einfuhren. Ist B eine Filterbasis

auf einer Menge X, so bezeichne [B] den von B auf X gemaß (12.1) erzeugten Filter,

also

[B] = {F ∈ P(X) : ∃B ∈ B : B ⊆ F} .

12.12.1 Lemma. Seien X und Y nichtleere Mengen und f : X → Y eine Abbildung. Ist

B eine Filterbasis auf X, so ist f (B) eine Filterbasis auf Y. Dabei gilt

[ f (B)] = [ f ([B])] = {E ⊆ Y : f −1(E) ∈ [B]}

Beweis. Aus ∅ < B , ∅ folgt sofort ∅ < f (B) , ∅. Zu f (B1), f (B2) ∈ f (B) mit

B1, B2 ∈ B gibt es gemaß (FB2) ein B3 ∈ B, sodass B3 ⊆ B1 ∩ B2, woraus sofort

f (B3) ⊆ f (B1 ∩ B2) ⊆ f (B1) ∩ f (B2) folgt. Also ist f (B) eine Filterbasis auf Y.

Offenbar gilt f (B) ⊆ f ([B]) und daher auch [ f (B)] ⊆ [ f ([B])]. E ∈ [ f ([B])]

bedeutet f (F) ⊆ E fur ein F ∈ [B]. Also folgt B ⊆ F und somit f (B) ⊆ E bzw.

B ⊆ f −1(E) fur ein B ∈ B. Somit gilt f −1(E) ∈ [B].

Schließlich folgt aus f −1(E) ∈ [B], dass B ⊆ f −1(E) und infolge

f (B) ⊆ f ( f −1(E)) ⊆ E fur ein B ∈ B. Also gilt E ∈ [ f (B)].

Fur Urbilder gilt folgende Aussage, die leicht zu verifizieren ist.

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178 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.12.2 Lemma. Seien X und Y nichtleere Mengen und f : X → Y eine Abbildung. Ist

C eine Filterbasis auf Y. Falls f −1(C) , ∅ (bzw. aquivalent dazu C ∩ f (X) , ∅) fur alle

C ∈ C, so ist f −1(C) eine Filterbasis auf X. Dabei gilt

[ f −1(C)] = [ f −1([C])]

Sei X eine Menge. Betrachte die Menge aller Filter auf X. Dies ist eine gewisse

Teilmenge von P(P(X)), und da die Potenzmenge jeder Menge mit der mengentheo-

retischen Inklusion geordnet ist, ist auch die Menge aller Filter auf X in dieser Weise

eine geordnete Menge. Ist F1 ⊆ F2, so sagt man, dass F2 feiner als F1 ist oder, dass F1

grober als F2 ist.

12.12.3 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und x ∈ X. Ein Filter F auf X

heißt konvergent gegen x, wenn F feiner ist als der Umgebungsfilter U(x) von x, dh.

F ⊇ U(x). Wir schreiben F→ x dafur.

Eine Filterbasis B auf einem topologischen Raum (X,T ) heißt konvergent gegen

ein x ∈ X, in Zeichen B → x, wenn der von dieser Basis erzeugte Filter [B] gegen x

konvergiert.

Offenbar gilt fur zwei Filter F1,F2 auf (X,T ), dass

F1 → x, F1 ⊆ F2 ⇒ F2 → x .

Die Tatsache F→ x ist wegen der Filtereigenschaft (F3) aquivalent zu

∀U ∈ U(x)∃F ∈ F : F ⊆ U . (12.20)

Da B eine Filterbasis von [B] ist, ist B→ x aquivalent zu

∀U ∈ U(x) ∃B ∈ B : B ⊆ U . (12.21)

12.12.4 Bemerkung. Sind X und Y zwei topologische Raume, f : X → Y und x ∈ X,

so bedeutet die Stetigkeit von f bei x, dass es fur jedes U ∈ U( f (x)) ein V ∈ U(x) mit

f (V) ⊆ U gibt. Das ist aber aquivalent dazu, dass der von f (U(x)) erzeugte Filter auf Y

feiner als U( f (x)) ist, dh. dass f (U(x))→ f (x).

In dem Fall gilt auch fur jede gegen x konvergente Filterbasis B, dass [ f (B)] =

[ f ([B])] ⊇ [ f (U(x))] ⊇ U( f (x)), und somit f (B)→ f (x).

Da auchU(x) eine gegen x konvergente Filterbasis ist, sehen wir, dass f bei x genau

dann stetig ist, wenn aus B→ x immer f (B)→ f (x) folgt.

Fur das kommende sei daran erinnert, dass fur ein Netz (xi)i∈I auf (X,T ) die Kon-

vergenz (xi)→ x per definitionem gerade

∀U ∈ U(x) ∃i0 ∈ I : ∀i � i0 : xi ∈ U

bedeutet. Die Ahnlichkeit zur Konvergenz einer Filterbasis lasst sich formalisieren.

12.12.5 Definition. Ist (I,�) eine gerichtete Menge, so setzen wir

BI := {{i : i � k} : k ∈ I} .

Wegen {i : i � j} ⊆ {i : i � k} ∩ {i : i � l} fur ein j � k, l ist BI eine Filterbasis auf

I; vgl. Bemerkung 12.1.8.

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12.12. FILTER UND NETZE* 179

Ein Netz (xi)i∈I in einem topologischen Raum (X,T ) uber der gerichteten Menge I

ist eine Abbildung x : I → X. Das Bild von BI unter x ist dann gerade die Filterbasis

(vgl. Lemma 12.12.1)

x(BI) = {{xi : i � k} : k ∈ I} .[x(BI)] bezeichnet man auch als den Endfilter des Netzes (xi)i∈I .

Die Konvergenz von (xi)i∈I gegen ein x ∈ X besagt gerade

∀U ∈ U(x) : ∃k ∈ I : {xi : i � k} ⊆ U ,

was aber genau x(BI)→ x bedeutet; vgl. Definition 12.12.3. Also

xi

i∈I−→ x ⇔ x(BI)→ x . (12.22)

Implizit ist die Konstruktion des nun folgenden Lemma schon in Lemma 12.2.6

aufgetreten.

12.12.6 Lemma. Sei X ein nichtleere Menge und B eine Filterbasis auf X. Dann ist

I = {(y, B) ∈ X ×B : y ∈ B}

mit der Relation (y1, B1) � (y2, B2) :⇔ B1 ⊇ B2 eine gerichtete Menge. Fur das Netz

(xi)i∈I definiert durch xi = y, wenn i = (y, B) gilt

x(BI) = B .

Beweis. Die Richtungseigenschaft folgt aus der Filterbasiseigenschaft (FB2), denn fur

(y1, B1), (y2, B2) ∈ I gilt (y3, B3) � (y1, B1), (y2, B2), wenn B ∋ B3 ⊆ B1 ∩ B2 und

y3 ∈ B3. Reflexivitat und Transitivitat von � sind klar. Schließlich gilt fur k = (z, B) ∈ I

x({i ∈ I : i � k}) = {xi : i � k} = B ,

da (y,C) � (z, B)⇔ C ⊆ B und da {y : ∃C ∈ B, y ∈ C ⊆ B} = B.

Aus Bemerkung 12.12.4 zusammen mit (12.22) und Lemma 12.12.6 konnen wir

unschwer die schon bekannte Tatsache herleiten, dass f : X → Y bei x genau dann

stetig ist, wenn fur jedes Netz auf X aus xi → x immer f (xi)→ f (x) folgt.

12.12.7 Lemma. Sei X eine nichtleere Menge und ∅ , C ⊆ P(X). Dann gibt es genau

dann einen Filter, der C umfasst, wenn der Schnitt von endlich vielen Mengen aus C im-

mer nichtleer ist. Das ist aquivalent dazu, dass das bzgl. ∩ abgeschlossene, nichtleere

Mengensystem

B = {C1 ∩ · · · ∩ Cn : n ∈ N, C1, . . . ,Cn ∈ C}∅ nicht enthalt, bzw. dass B eine Filterbasis ist.

In dem Fall ist [B] der grobste Filter, der C enthalt. Fur [B] schreiben wir auch

[C].

Beweis. ⇒ folgt sofort aus der Filtereigenschaft (F2) des C enthaltenden Filters.

Umgekehrt bildet unter der Voraussetzung, dass der Schnitt von endlich vielen Mengen

aus C immer nichtleer ist, das Mengensystem B eine Filterbasis, vgl. Bemerkung

12.1.8. Offenbar gilt [B] ⊇ B ⊇ C. Da jeder Filter mit C auch B enthalt, ist [B] der

grobste C enthaltende Filter.

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180 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.12.8 Bemerkung. Wir wollen dieses Resultat verwenden um fur einen topologischen

Raum (X,T ), x ∈ X, und D ⊆ X die Tatsache x ∈ D neu zu beleuchten. Bekannterweise

gilt

x ∈ D⇔ ∀U ∈ U(x) : U ∩ D , ∅ .Wegen Lemma 12.12.7 angewandt auf C = {D} ∪ U(x) ist das aquivalent dazu, dass

{U ∩ D : U ∈ U(x)} eine Filterbasis bestehend aus Teilmengen von D abgibt. Diese

konvergiert offenbar gegen x.

Ist andererseitsB eine Filterbasis bestehend aus Teilmengen von D mit B→ U(x),

so gibt es zu jedem U ∈ U(x) ein B ∈ B mit ∅ , B ⊆ U ∩ D. Somit gibt {U ∩ D : U ∈U(x)} eine Filterbasis ab, was wieder x ∈ B bedeutet.

Also gilt x ∈ D genau dann, wenn B → x fur eine gewisse Filterbasis bestehend

aus Teilmengen von D. Mit Hilfe von (12.22) und Lemma 12.12.6 kann man wieder

leicht die schon bekannte Tatsache herleiten, dass das auch zur Existenz eines Netzes

aus D mit Grenzwert x aquivalent ist.

12.12.9 Korollar. Ist B j, j ∈ J, eine Familie von Filtern auf X, sodass endlich viele

Mengen aus C :=⋃

j∈J B j immer einen nichtleeren Schnitt haben, so gibt es einen

grobsten Filter [C], der alle B j, j ∈ J, umfasst. Dabei gilt

[C] =[⋃

j∈J

[B j]]. (12.23)

Man schreibt auch∨

j∈J[B j] fur diesen Filter.

Beweis. Die erste Aussage folgt sofort aus Lemma 12.12.7. Außerdem gilt [C] ⊇ [B j]

fur jedes j ∈ J, und damit ⊇ in (12.23). ⊆ folgt sofort aus⋃

j∈J B j ⊆⋃

j∈J[B j].

12.12.10 Lemma. Seien X eine Menge, (Yi,Ti), i ∈ I, topologische Raume und fi :

X → Yi, i ∈ I, Abbildungen, und sei X versehen mit der entsprechenden initialen To-

pologie T . Eine Filterbasis B auf X konvergiert genau dann gegen ein x ∈ X, wenn

fi(B)→ fi(x) fur alle i ∈ I.

Beweis. Fur x ∈ X betrachte C :=⋃

i∈I f −1i

(U(fi(x)

)). Man beachte dabei, dass

[ f −1i

(U(fi(x)

))] = [ f −1

i

(W

(fi(x)

))], wennW

(fi(x)

)eine Filterbasis von U

(fi(x)

)ist; vgl.

Lemma 12.12.2. Nach Korollar 12.12.9 gilt

[C] =[⋃

j∈J

f −1i

(W

(fi(x)

))].

SeiW(fi(x)

)die Filterbasis aller fi(x) enthaltenden offenen Teilmengen von Yi.

Die Mengen der Bauart⋂

i∈J f −1i

(Oi), wobei J ⊆ I endlich ist und Oi ∈ Ti, i ∈ J,

bilden eine Basis der Topologie T . Fur x ∈ X ist die Menge aller solchen Mengen,

die x enthalten, ein Basis des Umgebungsfilter von x bzgl. T . Nun ist das aber genau

die die Menge aller endlichen Schnitte von Mengen aus⋃

j∈J f −1i

(W

(fi(x)

)). Also gilt

[C] = U(x).

fi(B) → fi(x) bedeutet [ fi(B)] ⊇ U( fi(x)) fur alle i ∈ I. Nach Lemma 12.12.1 ist

das zu f −1i

(U( fi(x))) ⊆ [B], i ∈ I, aquivalent. Da die rechte Seite ein Filter ist, erkennt

man, dass das zu [C] ⊆ [B], dh. zu B→ x, aquivalent ist.

In Analogie zum Haufungspunkt eines Netzes definieren wir

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12.12. FILTER UND NETZE* 181

12.12.11 Definition. Sei (X,T ) ein topologischer Raum und B eine Filterbasis in X.

Dann heißt x ∈ X Haufungspunkt von B, falls

x ∈⋂

B∈BB =: HP(B) .

12.12.12 Fakta.

1. Offenbar gilt HP(B) = HP([B]) und B1 ⊆ B2 ⇒ HP(B1) ⊇ HP(B2).

2. Aus Bemerkung 12.12.8 erkennen wir, dass x ∈ HP(B) aquivalent ist zu U∩B ,

∅ fur alle U ∈ U(x) und B ∈ B.

3. Daraus leitet man unmittelbar her, dass aus B → x, dh. B ⊇ U(x), immer x ∈HP(B) folgt.

4. Gemaß 2 und Lemma 12.12.7 bedeutet x ∈ HP(B), dass der Filter [U(x) ∪ B]

existiert, wobei [U(x)∪B] ⊇ U(x). Also gibt es einen feineren Filter als [B], der

gegen x strebt.

Diese Tatsache ist sogar aquivalent zu x ∈ HP(B), denn ist umgekehrt F ein

Filter mit F→ x und F ⊇ [B], so folgt x ∈ HP(F) ⊆ HP(B).

12.12.13 Lemma. Eine Filterbasis auf einem topologischen Raum (X,T ) konvergiert

genau dann gegen x ∈ X, wenn x ∈ HP(C) fur jede Filterbasis C mit [C] ⊇ [B].

Beweis. Aus [B] → x, dh. [B] ⊇ U(x), und [C] ⊇ [B] folgt sofort [B] → x und daher

x ∈ HP(C).

[B] 6→ x bedeutet andererseits [B] + U(x), dh. U < [B] fur ein U ∈ U(x). Es

folgt B \ U , ∅ fur alle B ∈ B, da ja aus B ⊆ U immer U ∈ [B] folgt. Somit ist

C := {B \U : B ∈ B} eine Filterbasis mit [C] ⊇ [B]. x kann aber wegen Fakta 12.12.12,

2, kein Haufungspunkt von C sein.

Vergleichen wir Fakta 12.12.12, 4, mit Lemma 12.2.15, so stellt sich die Frage, was

Teilnetze mit feineren Filtern zu tun haben.

12.12.14 Bemerkung. Sei (xi)i∈I ein Netz in einem topologischen Raum (X,T ). Aus

(12.5) erkennt man sofort, dass x genau dann Haufungspunkt von (xi)i∈I ist, wenn x

Haufungspunkt der Filterbasis x(BI) ist.

Sei nun (xi( j)) j∈J ein Teilnetz von (xi)i∈I , dh. fur jedes i0 ∈ I gibt es ein j0 ∈ J

mit {i( j) : j � j0} ⊆ {i : i � i0}. Wir sehen, dass die Teilnetzeigenschaft zu [BI] ⊆[i(BJ)] = i[[BJ]] aquivalent ist. Man beachte, dass damit die Eigenschaft Teilnetz zu

sein, nicht von den Netzen, sondern nur von den betrachteten gerichteten Mengen und

der Abbildung i : J → I abhangt.

Aus [BI] ⊆ [i(BJ)] folgt (vgl. Lemma 12.12.1)

[x(BI)] =[x[BI]

] ⊆ [x[i(BJ)]

]= [x(i(BJ))] = [x ◦ i(BJ)]

Insbesondere erkennt man, dass aus (xi)i∈I → x auch (xi( j)) j∈J → x folgt.

Ist nun C eine Filterbasis auf X mit [C] ⊇ [x(BI)], so kann man andererseits ein

Teilnetz (xi( j)) j∈J von (xi)i∈I konstruieren, sodass [C] = [x ◦ i(BJ)]4. Dazu setzen wir

J := {(k,C) : k ∈ I,C ∈ C, xk ∈ C} ,4Diese Konstruktion tritt implizit schon im Beweis von Proposition 12.11.2 auf.

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182 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

und definieren

(k1,C1) � (k2,C2) :⇔ k1 � k2 ∧C1 ⊇ C2 .

� ist offenbar reflexiv und transitiv. Fur (k1,C1), (k2,C2) ∈ J gibt es C3 ∈ C mit C3 ⊆C1 ∩ C2 und k ∈ I mit k � k1, k2. Aus [C] ⊇ [x(BI)] folgt C3 ∩ {xi : i � k} ∈ [C]. Also

ist dieser Schnitt nicht leer, und wir finden k3 � k mit xk3∈ C3, dh. (k1,C1), (k2,C2) �

(k3,C3) ∈ J. Also ist J eine gerichtete Menge.

Setzen wir noch i((k,C)

)= k, so ist (xi( j)) j∈J nach der Definition von � auf J ein

Teilnetz. Fur den entsprechenden Endfilter gilt ( j0 = (k0,C0))

{xi( j) : j � j0} = {xk : k0 � k ∈ I,∃C ∈ C, xk ∈ C ⊆ C0} = C0 ∩ {xk : k � k0} .

Wegen [C] ⊇ [x(BI)] gilt schließlich [C] = [x ◦ i(BJ)].

12.13 Satz von Tychonoff*

12.13.1 Proposition. Einen topologischer Raum (X,T ) ist genau dann kompakt, wenn

jede Filterbasis einen Haufungspunkt hat.

Beweis. Ist B eine Filterbasis auf einem kompakten X, so hat B und daher auch

{B : B ∈ B}

die endliche Durchschnittseigenschaft. Aus Proposition 12.11.2 folgt HP(B) =⋂B∈B B , ∅.

Hat C ⊆ P(X) bestehend aus abgeschlossenen Mengen die endliche Durchschnitts-

eigenschaft, so existiert nach Lemma 12.12.7 ein grobster, C enthaltender Filter [C].

Falls jede Filterbasis einen Haufungspunkt hat, folgt

C∈CC ⊇

C∈[C]

C , ∅ .

Nach Proposition 12.11.2 ist X kompakt.

12.13.2 Definition. Ein Filter F auf einer Menge X , ∅ heißt Ultrafilter, wenn er ein

maximales Element in der Menge aller Filter auf X, geordnet mit der mengentheoreti-

schen Inklusion, ist, dh. wenn aus G ⊇ F fur einen Filter G immer G = F folgt.

12.13.3 Proposition. Sei X eine Menge, und F ein Filter auf X. Dann existiert ein

Ultrafilter F1 mit F1 ⊇ F.

Beweis. Wir wollen das Lemma von Zorn (siehe Satz 13.0.7) anwenden, und zwar

auf die Menge aller Filter auf X, die feiner als F sind. Diese Menge ist nichtleer –

sie enthalt sicher F, und sie ist als Teilmenge der Menge aller Filter bezuglich der

mengentheoretischen Inklusion geordnet.

Sei (Fi)i∈I , I , ∅ eine totalgeordnete Menge von Filtern Fi mit Fi ⊇ F. Definiere

G :=⋃

i∈I Fi. Dann gilt G ⊇ F, denn I , ∅ und alle Fi enthalten F. Insbesondere ist G

nichtleer.

Zu F1, F2 ∈ G existiert i1, i2 ∈ I mit F1 ∈ Fi1 und F2 ∈ Fi2 . Nun gilt entwederFi1 ⊆Fi2 oder Fi2 ⊆ Fi1 . Im ersten Fall sind F1, F2 beide Elemente des Filters Fi2 , und daher

ist auch F1 ∩ F2 ∈ Fi2 ⊆ G. Im zweiten Fall erhalt man genauso F1 ∩ F2 ∈ Fi1 ⊆ G. Ist

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12.13. SATZ VON TYCHONOFF* 183

schließlich F1 ∈ G und F2 ⊇ F1, so gilt fur i ∈ I mit F1 ∈ Fi, sicherlich F2 ∈ Fi ⊆ G.

Also ist G ein Filter.

Nach dem Lemma von Zorn existiert in der Menge aller Filter auf X, die feiner

als F sind, ein maximales Element. Es verbleibt zu bemerken, dass ein maximales

Element in der Menge aller Filter auf X, die feiner als F sind, auch maximal in der

Menge aller Filter ist.

12.13.4 Lemma. Seien X und Y nichtleere Mengen und f : X → Y eine Abbildung. Ist

F eine maximaler Filter, so ist es auch [ f (F)].

Beweis. Gemaß Lemma 12.12.1 ist [ f (F)] = {E ⊆ Y : f −1(E) ∈ F} ein Filter.

Ist [ f (F)] ⊆ G fur einen Filter G auf Y, so folgt f (F) ∩ G , ∅ und damit auch

F ∩ f −1(G) , ∅ fur alle F ∈ F,G ∈ G. Also ist die Menge {F ∩ f −1(G) : F ∈ F,G ∈ G}die Filterbasis eines Filters, der offenbar F und f −1(G) umfasst. Wegen der Maxima-

litat muss dieser mit F ubereinstimmen. Somit gilt f −1(G) ⊆ F bzw. G ⊆ [ f (F)].

12.13.5 Korollar. Ein topologischer Raum (X,T ) ist genau dann kompakt, wenn jeder

Ultrafilter auf X konvergiert.

Beweis. Ist X kompakt und F ein Ultrafilter, so hat dieser nach Proposition 12.13.1

einen Haufungspunkt x ∈ X. Gemaß Fakta 12.12.12, 4, gibt es einen feineren, gegen x

konvergenten Filter. Wegen der Maximalitat muss dieser aber mit F ubereinstimmen.

Konvergiere umgekehrt jeder Ultrafilter. Ist B eine beliebige Filterbasis, so gibt es

nach Proposition 12.13.3 einen Ultrafilter F ⊇ [B]. Da F einen Grenzwert hat, muss er

auch einen Haufungspunkt haben. Somit hat aber auch B einen Haufungspunkt; vgl.

Fakta 12.12.12. Die Kompaktheit folgt aus Proposition 12.13.1.

12.13.6 Satz (Tychonoff). Sei (Xi,Ti), i ∈ I, eine Familie topologischer Raume, und

sei∏

i∈I Ti die Produkttopologie auf∏

i∈I Xi. Dann ist (∏

i∈I Xi,∏

i∈I Ti) genau dann

kompakt, wenn alle Raume (Xi,Ti), i ∈ I, kompakt sind.

Beweis. Wir setzten

X :=∏

i∈IXi und T :=

i∈ITi ,

und bezeichnen mit πi : X → Xi die Projektion auf die i-te Komponente. Bekannter-

weise sind die πi : (X,T )→ (Xi,Ti) stetig.

Setzt man voraus, dass (X,T ) kompakt ist, so ist jeder Raum (Xi,Ti) als stetiges

Bild eines kompakten Raumes ebenfalls kompakt, vgl. Lemma 12.11.8.

Sei nun vorausgesetzt, dass (Xi,Ti) fur jedes i ∈ I kompakt ist, und sei F ein

Ultrafilter auf X. Fur jedes i ∈ I folgt aus Lemma 12.13.4, dass [πi(F)] ein Ultrafilter

auf Xi ist. Nach Korollar 12.13.5 konvergiert [πi(F)] gegen einen Punkt xi ∈ Xi. Setzen

wir x := (xi)i∈I (∈ X), so folgt aus Lemma 12.12.10, dass F gegen x konvergiert. Nach

Korollar 12.13.5 ist X damit kompakt.

Die folgende Aussage ist oft praktisch wenn man mit Ultrafiltern arbeitet.

12.13.7 Lemma. Ein Filter F in X ist genau dann Ultrafilter, wenn fur alle A ⊆ X

entweder A ∈ F oder Ac ∈ F gilt.

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184 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

Beweis. Habe F die angegebene Eigenschaft, und sei G ⊇ F. Fur F ∈ G gilt also

entweder F ∈ F oder Fc ∈ F. Im zweiten Fall ware dann aber Fc ∈ G, womit wir den

Widerspruch ∅ = F ∩ Fc ∈ G erhielten. Also muss stets der erste Fall eintreten, womit

G ⊆ F. Also ist F ein Ultrafilter.

Sei F ein Ultrafilter, A ⊆ X, und sei Ac< F. Dann gilt A ∩ B , ∅ fur jedes

B ∈ F, denn ware A ∩ B = ∅, also B ⊆ Ac, so mussten wir Ac ∈ F haben. Also ist die

Menge B := {A ∩ B : B ∈ F} eine Filterbasis. Offenbar gilt [B] ⊇ F, und wegen der

Maximalitat von F sogar [B] = F. Wegen A ∈ B erkennen wir, dass F die angegebene

Bedingung erfullt.

12.14 Kompaktheit in metrischen Raumen

In diesem Abschnitt wollen wir uns speziell kompakte metrische Raume anschauen.

Im ersten Semester haben wir die Kompaktheit einer Teilmenge K eines metrischen

Raumes (X, d) so definiert, dass jede Folge eine gegen einen Punkt aus K konvergente

Teilfolge hat.

Wir werden hier unter anderem sehen, dass die Definition aus dem ersten Semester

mit der aus Definition 12.11.1 ubereinstimmt. Außerdem werden wir die Kompaktheit

auch mit Hilfe des folgenden Begriffes charakterisieren.

12.14.1 Definition. Sei (X, d) ein metrischer Raum und sei M ⊆ X. Die Menge M heißt

total beschrankt, wenn es zu jedem ǫ > 0 endlich viele Teilmengen M1, . . . , Mn ⊆ M

vom Durchmesser d(M j) := supx,y∈M jd(x, y) kleiner als ǫ gibt, sodass

M = M1 ∪ · · · ∪ Mn .

12.14.2 Fakta.

1. Man sieht sofort, dass Teilmengen von total beschrankten Mengen wieder total

beschrankt sind.

2. Da einerseits Kugeln mit Radius ǫ einen Durchmesser kleiner oder gleich 2ǫ

haben und da andererseits jede Teilmenge M j ⊆ M mit d(M j) < ǫ fur ein be-

liebiges η j ∈ M j in Uǫ(η j) enthalten ist, lasst sich totale Beschranktheit auch

folgendermaßen charakterisieren:

Zu jedem ǫ > 0 gibt es y1, . . . , yn ∈ M, sodass M ⊆ Uǫ (y1) ∪ · · · ∪Uǫ (yn).

3. Ist M j ⊆ X und sind x, y ∈ M j, so gibt es wegen Lemma 5.1.13 gegen x

bzw. y konvergente Folgen (xn)n∈N und (yn)n∈N aus M j. Somit folgt d(x, y) =

limn→∞ d(xn, yn) ≤ d(M j), und daher d(M j) = d(M j).

Ist M total beschrankt und ǫ > 0, so gilt M = M1 ∪ · · · ∪ Mn mit d(M j) < ǫ, j =

1, . . . , n. Es folgt nunmehr M = M1 ∪ · · · ∪ Mn mit d(M j) < ǫ, j = 1, . . . , n,

womit auch M total beschrankt ist.

Ist M schon selbst abgeschlossen, so erkennt man daraus, dass man die Mengen

M j auch abgeschlossen wahlen kann.

12.14.3 Satz. Sei K eine Teilmenge eines metrischen Raumes (X, d). Dann sind aqui-

valent:

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12.14. KOMPAKTHEIT IN METRISCHEN RAUMEN 185

(i) K ist kompakt im Sinne von Definition 12.11.1.

(ii) Jede unendliche Teilmenge von K hat einen Haufungspunkt in K.

(iii) Jede Folge in K hat eine gegen einen Punkt in K konvergente Teilfolge.

(iv) K ist total beschrankt und (K, d|K×K) ist ein vollstandiger metrischer Raum.

Beweis.

(i)⇒ (ii): Sei M ⊆ K unendlich. Hatte M keinen Haufungspunkt in K, so gibt es zu

jedem y ∈ K ein ǫ(y) > 0, sodass (vgl. Definition 5.1.8)

M ∩ Uǫ(y)(y) ⊆ {y} .

Da y ∈ K beliebig war, ist {Uǫ(y)(y) : y ∈ K} eine offene Uberdeckung von

K, die voraussetzungsgemaß eine endliche Teiluberdeckung hat. Also gibt es

y1, . . . , yk ∈ K, sodass K ⊆ Uǫ(y1)(y1) ∪ · · · ∪ Uǫ(yk)(yk). Somit erhalten wir

M = M ∩ K ⊆ M ∩ (Uǫ(y1)(y1) ∪ · · · ∪ Uǫ(yk)(yk)

) ⊆ {y1, . . . , yn} ,

womit M aber endlich ware.

(ii)⇒ (iii): Habe jede unendliche Teilmenge von K einen Haufungspunkt in K, und

sei (xn)n∈N eine Folge aus K. Ist {xn : n ∈ N} endlich, so gilt sicherlich xn = x

fur ein x ∈ K und fur unendlich viele n ∈ N. Somit hat (xn)n∈N eine Teilfolge, die

konstant gleich x ist. Also ist x ein Haufungspunkt unserer Folge.

Anderenfalls ist {xn : n ∈ N} ⊆ K unendlich, und laut Voraussetzung hat sie

einen Haufungspunkt x in K. Da jede ǫ-Kugel um x unendlich viele Punkte aus

{xn : n ∈ N} enthalt (vgl. Fakta 5.1.11), muss fur N ∈ N jede ǫ-Kugel auch

unendlich viele Punkte aus {xn : n ∈ N, n ≥ N} enthalten. Insbesondere gilt

x ∈ {xn : n ∈ N, n ≥ N}. Nach Lemma 5.2.2 ist x Haufungspunkt von (xn)n∈N.

(iii)⇒ (iv): Angenommen K ware nicht total beschrankt. Dann gibt es ein ǫ > 0, so-

dass, wenn immer M1, . . . , Mn endlich viele Teilmengen von K sind mit Durch-

messer < ǫ, niemals M1 ∪ · · · ∪Mn = K ist. Aus dieser Tatsache werden wir nun

auf die Existenz einer Folge ohne Haufungspunkt schließen.

Sei x1 ∈ K beliebig. Angenommen wir haben x1, . . . , xk ∈ K definiert, dann

hat fur j ∈ {1, . . . , k} nach der Dreiecksungleichung die Kugel U ǫ3(x j) einen

Durchmesser ≤ 2ǫ3

. Wegen unserer Wahl von ǫ ist (U ǫ3(x1) ∪ · · · ∪ U ǫ

3(xk)) ∩ K

eine echte Teilmenge von K. Wir wahlen

xk+1 ∈ K \ (U ǫ3(x1) ∪ · · · ∪ U ǫ

3(xk)

).

Diese induktiv definierte Folge (xk)k∈N hat offensichtlich die Eigenschaft, dass

fur k ∈ N der Punkt xk nicht in U ǫ3(x1)∪· · ·∪U ǫ

3(xk−1) liegt, und somit d(xk, xl) ≥

ǫ3

fur l < k.

Damit kann keine Teilfolge von (xk)k∈N eine Cauchy-Folge sein und schon gar

nicht konvergieren. Das widerspricht aber der Voraussetzung (iii).

Es bleibt die Vollstandigkeit von (K, d|K×K) zu zeigen. Dazu sei (xk)k∈N eine

Cauchy-Folge in K. Diese hat voraussetzungsgemaß eine konvergente Teilfol-

ge. Gemaß Lemma 3.5.7 ist (xk)k∈N konvergent.

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186 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

(iv)⇒ (i): Zunachst folgt wegen Lemma 9.1.6 aus der Vollstandigkeit, dass K abge-

schlossen ist. Sei nunU eine offene Uberdeckung von K, und sei angenommen,

dassU keine endliche Teiluberdeckung enthalt.

Die Menge K ist gleich der Vereinigung von endlich vielen abgeschlossenen

Mengen mit Durchmesser kleiner als 1. Mindestens eine von diesen Mengen

kann nicht durch endlich viele Mengen ausU uberdeckt werden. Diese sei K1.

Die Menge K1 ist gleich der Vereinigung von endlich vielen abgeschlossenen

Mengen mit Durchmesser kleiner als 12. Mindestens eine von diesen kann nicht

durch endlich viele Mengen ausU uberdeckt werden. Diese sei K2. Verfahrt man

induktiv weiter, so erhalt man eine Folge

K ⊇ K1 ⊇ K2 ⊇ K3 ⊇ . . .

von abgeschlossenen Mengen, sodass Kn einen Durchmesser kleiner als 1n

hat,

und kein Kn durch endlich viele Mengen ausU uberdeckt werden kann.

Wahle xn ∈ Kn. Dann ist (xn)n∈N eine Cauchy-Folge. Sei x ∈ K, sodass xn → x.

Also existiert V ∈ U mit x ∈ V . Da V offen ist, gibt es eine Kugel Uǫ(x) ⊆ V .

Sei n ∈ N, sodass 1n< ǫ

2und d(xn, x) < ǫ

2. Da der Durchmesser von Kn kleiner

als 1n

ist, folgt fur y ∈ Kn:

d(x, y) ≤ d(x, xn) + d(xn, y) < ǫ .

Also ist Kn ⊆ V , im Widerspruch zur Tatsache, dass Kn nicht durch endlich viele

Mengen ausU uberdeckt werden kann.

12.14.4 Bemerkung. Eine Situation, wo obiger Satz Anwendung findet, ist die, dass

(X, d) ein vollstandig metrischer Raum ist, und dass G eine total beschrankte Teilmenge

von X ist. Der Abschluss K von G ist dann auch total beschrankt und vollstandig, also

kompakt.

12.14.5 Bemerkung (*). Satz 12.14.3 besagt insbesondere, dass in metrischen Raumen

die Begriffe kompakt, abzahlbar kompakt und folgenkompakt zusammenfallen, vgl.

Definition 12.11.5.

12.14.6 Korollar (*). Sei (X, d) ein metrischer Raum. Ist K ⊆ X kompakt, dann ist K

separabel, hat also eine dichte abzahlbare Teilmenge.

Beweis. Nach Satz 12.14.3 gibt es zu n ∈ N endlich viele Punkte xn1, . . . , xn

m(n)∈ K,

sodass

U 1n(xn

1) ∪ · · · ∪ U 1n(xn

m(n)) ⊇ K . (12.24)

Setzen wir D :=⋃

n∈N{xn1, . . . , xn

m(n)}, so ist D sicher eine abzahlbare Teilmenge von

K. Ist y ∈ K und ǫ > 0, so sei n ∈ N so groß, dass ǫ ≤ 1n. Wegen (12.24) gibt es ein

j ∈ {1, . . . ,m(n)}mit d(y, xnj) < 1

n≤ ǫ und daher xn

j∈ Uǫ (y). Also ist y ∈ D.

12.14.7 Proposition (*). Ein metrischer Raum (X, d) ist genau dann separabel, wenn

er das zweite Abzahlbarkeitsaxiom erfullt, also eine abzahlbare Basis hat.

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12.14. KOMPAKTHEIT IN METRISCHEN RAUMEN 187

Beweis. Ist B eine abzahlbare Basis von T (d), so sei xB irgendein Punkt aus B fur jede

nichtleere Teilmenge B ∈ B. Klarerweise ist D := {xB : ∅ , B ∈ B} abzahlbar. Ist y ∈ X

und O ∋ y offen, so gilt sicher y ∈ B ⊆ O fur ein B ∈ B. Somit gilt O ∩ D ∋ xB und

daher y ∈ D. Also ist X separabel.

Ist umgekehrt (X, d) separabel mit einer abzahlbaren und dichten Teilmenge D ⊆ X,

so besteht B := {U 1n(x) : n ∈ N, x ∈ D} sicherlich aus abzahlbar vielen Mengen. Ist

nun O ⊆ X offen, so sei fur jedes y ∈ O die Zahl n(y) ∈ N so groß, dass U 2n(y)

(y) ⊆ O.

Wir zeigen nun, dass

O =⋃

x∈D∪On∈N:U 1

n(x)⊆O

U 1n(x) , (12.25)

und somit dass B eine Basis von T (d) ist. Klarerweise ist die rechte Seite in O enthal-

ten. Ist y ∈ O, so gibt es wegen der Dichtheit ein x ∈ D∩U 1n(y)

(y) ⊆ D∩O. Somit folgt

y ∈ U 1n(y)

(x) und fur jedes t ∈ U 1n(y)

(x)

d(t, y) ≤ d(t, x) + d(x, y) <1

n(y)+

1

n(y)=

2

n(y),

also t ∈ U 2n(y)

(y) und somit U 1n(y)

(x) ⊆ U 2n(y)

(y) ⊆ O. Also liegt jedes y ∈ O in der

Vereinigung auf der rechten Seite von (12.25).

12.14.8 Bemerkung (*). Da wir im ersten Beweisteil nicht verwendet haben, dass T (d)

eine metrische Topologie ist, gilt allgemein in topologischen Raumen, dass aus (ABII)

die Separabilitat folgt.

Ein wichtiges Beispiel von kompakten Teilmengen eines vollstandigen metrischen

Raumes liefert uns der Satz von Ascoli. Dabei betrachtet man den Raum Cb(X,R) bzw.

Cb(X,C) aller beschrankten, stetigen und reell- bzw. komplexwertigen Funktionen auf

einem topologischen Raum (X,T ). Wir haben solche Raume schon kennengelernt, aber

nur in dem Fall, dass X ein metrischer Raum ist.

Wir wollen zunachst bemerken, dass wenn X kompakt ist, jede stetige Funktion f

automatisch beschrankt ist, denn nach Lemma 12.11.8 ist dann f (X) kompakt und nach

Proposition 5.2.8 ist f (X) beschrankt.

12.14.9 Lemma. Die Raume Cb(X,R) und Cb(X,C) sind abgeschlossene Teilraume der

Banachraume B(X,R) und B(X,C) versehen mit ‖.‖∞ und daher selbst Banachraume.

Beweis. Wir wissen aus Beispiel 9.1.8, dass B(X,R) und B(X,C) Banachraume sind.

Laut Definition sind Cb(X,R) und Cb(X,C) Teilmengen von B(X,R) bzw. B(X,C).

Wegen Korollar 12.6.9 sind sie sogar lineare Teilraume.

Sei nun fn ∈ Cb(X,R) (Cb(X,C)) mit fn → f in B(X,R) (B(X,C)) bezuglich ‖.‖∞,

also gleichmaßig. Ist x ∈ X und (x j) j∈J ein gegen x konvergentes Netz, so wissen wir

aus Lemma 8.7.1, dass lim j∈J limn→∞ fn(x j) = lim j∈J f (x j) existiert und mit

limn→∞

limj∈J

fn(x j) = limn→∞

fn(x) = f (x)

ubereinstimmt. Da das Netz beliebig war, ist f stetig, dh. f ∈ Cb(X,R) (Cb(X,C)).

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188 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.14.10 Satz (Ascoli). Sei (X,T ) ein kompakter topologischer Raum und sei Φ eine

punktweise beschrankte und gleichgradig stetige Teilmenge von Cb(X,C), d.h. Φ ⊆Cb(X,C) mit:

(i) Fur jedes x ∈ X ist sup{| f (x)| : f ∈ Φ} beschrankt.

(ii) Fur jedes x ∈ X und ǫ > 0 gibt es eine Umgebung V ∈ U(x) mit | f (y) − f (x)| < ǫ

fur alle y ∈ V, f ∈ Φ.

Dann ist Φ total beschrankt. Ist umgekehrt Φ total beschrankt, so gelten (i) und (ii).

Eine entsprechende Aussage gilt fur Cb(X,R).

Beweis. ErfulleΦ die Bedingungen (i) und (ii). Wir zeigen, dassΦ total beschrankt ist.

Dazu sei ǫ > 0 gegeben. Zu jedem x ∈ X konnen wir eine Umgebung Vx von x

wahlen, sodass (ii) fur V = Vx erfullt ist. Da jede Umgebung von x eine x enthaltende

offene Menge enthalt, konnen wir die Vx offen wahlen. Offensichtlich ist Vx, x ∈ X,

eine offene Uberdeckung von X.

Da X kompakt ist, existieren x1, . . . , xn ∈ X, sodass schon X =⋃n

i=1 Vxiund

| f (x) − f (xi)| < ǫ, x ∈ Vxi, f ∈ Φ, i = 1, . . . , n .

Wegen (i) ist sicher

M := sup{ f (xi) : i = 1, . . . , n, f ∈ Φ} < ∞ .

Sei KCn

M(0) = {(z1, . . . , zn)T ∈ C : ‖(z1, . . . , zn)T ‖ ≤ M} die abgeschlossene Kreisscheibe

mit Radius M im Cn bezuglich der Norm ‖(w1, . . . ,wn)T ‖ := max j=1,...,n |w j| auf Cn.

Dann haben wir eine Abbildung p : Φ→ KCn

M(0), definiert als

p( f ) :=(f (x1), . . . , f (xn)

)T.

Nun ist KCn

M(0) ⊆ Cn kompakt und daher total beschrankt; vgl. Satz 12.14.3. Mit KC

n

M(0)

ist auch die Teilmenge p(Φ) von KCn

M(0) total beschrankt; vgl. Fakta 12.14.2. Also

existieren endlich viele f1, . . . , fm ∈ Φ, sodass es fur jedes f ∈ Φ ein k ∈ {1, . . . ,m}gibt mit ‖p( f ) − p( fk)‖ < ǫ, bzw. aquivalent dazu mit

| f (xi) − fk(xi)| < ǫ, i = 1, . . . , n .

Sei nun f ∈ Φ und k ∈ {1, . . . ,m}, sodass | f (xi) − fk(xi)| < ǫ, i = 1, . . . , n. Jedes x ∈ X

liegt in einer Menge Vxi, und fur dieses i gilt

| f (x) − f (xi)| < ǫ, | fk(x) − fk(xi)| < ǫ .

Es folgt

| f (x) − fk(x)| ≤ | f (x) − f (xi)| + | f (xi) − fk(xi)| + | fk(x) − fk(xi)| < 3ǫ

fur alle x ∈ X und somit ‖ f − fk‖∞ ≤ 3ǫ. Die abgeschlossenen Kugeln mit Radius 3ǫ

und Mittelpunkt fk uberdecken also ganz Φ, und somit ist Φ total beschrankt.

Zur Umkehrung sei zunachst bemerkt, dass total beschrankte Mengen sicherlich

beschrankt in (Cb(X,C), ‖.‖∞) und somit auch punktweise beschrankt sind; also gilt (i).

Wegen der totalen Beschranktheit gibt es zu ǫ > 0 endlich viele f1, . . . , fm ∈ Φ,

sodass es zu jedem f ∈ Φ ein fk mit ‖ f − fk‖∞ < ǫ gibt.

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12.15. UBUNGSBEISPIELE 189

Zu einem x ∈ X gibt es wegen der Stetigkeit der fk’s fur k = 1, . . . ,m, Umgebungen

Vk ∈ U(x) mit | fk(y) − fk(x)| < ǫ fur alle y ∈ Vk. Setzen wir V = V1 ∩ · · · ∩ Vm, so ist

V ∈ U(x) und fur f ∈ Φ folgt fur das richtige fk und y ∈ V

| f (y) − f (x)| < | f (y) − fk(y)| + | fk(y) − fk(x)| + | f (x) − fk(x)| < 3ǫ ,

und somit (ii).

12.14.11 Korollar. Fur Φ ⊆ Cb(X,C) ist Φ genau dann kompakt, wenn Φ punktweise

beschrankt und gleichgradig stetig ist. Insbesondere enthalt in diesem Fall jede Folge

in Φ eine gleichmaßig konvergente Teilfolge.

Eine entsprechende Aussage gilt fur Cb(X,R).

Eine wichtige Anwendung dieses Satzes gibt es in der Theorie der gewohnlichen

Differentialgleichungen, wo dieser die Existenz von Losungen von einer großen Klasse

von Differentialgleichungen liefert.

12.15 Ubungsbeispiele

12.1 Sei 〈X, d〉 ein metrischer Raum. Zeige: Die Abbildung

d(x, y) :=d(x, y)

1 + d(x, y), x, y ∈ X ,

ist eine Metrik auf X, sodass T (d) = T (d). Es gilt stets 0 ≤ d(x, y) ≤ min(1, d(x, y)

).

Anmerkung: d und d erzeugen zwar die selbe Topologie, sind aber im Allgemeinen nicht

aquivalent im Sinne von (12.7).

12.2 Sei f : M → N eine Funktion, und F ein Filter auf M. Man zeige, dass f (F) = { f (F) : F ∈F} eine Filterbasis eines Filters G auf N ist. Man zeige auch, dass G = {G ⊆ N : f −1(G) ∈F} ist. Man gebe schließlich ein Beispiel an, sodass f (F) zwar eine Filterbasis, aber kein

Filter ist.

12.3 Sei X eine nichtleere Menge und d die diskrete Metrik, dh. d(x, y) = 1, x , y und d(x, x) =

0. Man zeige, dass dann T (d) = P(X).

12.4 Man betrachte X := {1, 2, 3}, T := {∅, {1}, {1, 2}, X}. Man zeige, dass (X,T ) ein Topologi-

scher Raum ist. Ist er Hausdorffsch? Weiters bestimme man den Umgebungsfilter und eine

moglichst kleine Filterbasis davon um jeden Punkt x ∈ X.

Schließlich bestimme man den Abschluss einer jeden Teilmenge von X!

12.5 Man zeige: Ist (X,T ) ein Hausdorffraum und x ∈ X, so gilt immer ∩U∈U(x)U = {x}. Weiters

zeige man, dass {x} ⊆ X abgeschlossen ist.

12.6 Sei X eine nichtleere Menge, und definiere T1,T2 ⊆ X als

T1 :={A ⊆ X : A = ∅ oder X \ A endlich

},

T2 :={A ⊆ X : A = X oder A endlich

}.

Fur welche X sind T1 bzw. T2 Topologien? Begrunden Sie Ihre Antwort!

Hinweis: Unterscheide die Falle, dass X endlich oder unendlich ist.

12.7 Sei T die Topologie T1 aus dem letzten Beispiel! Man spricht von der cofiniten Topologie

auf der Menge X.

(i) Ist die cofinite Topologie Hausdorff?

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190 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

(ii) Erfullt sie das Trennungsaxiom T3?

(iii) Erfullt sie das Trennungsaxiom T4?

12.8 Sei T wie im vorherigen Beispiel die cofiniten Topologie auf der Menge X.

(i) Bestimme alle abgeschlossenen Teilmengen und den Abschluss einer beliebigen Teil-

menge von X.

(ii) Ist 〈X,T〉 kompakt?

(iii) Fur welche X ist T eine metrische Topologie, dh. es gibt eine Metrik d, sodass T =T (d)?

12.9 Fur eine topologischen Raum (X,T ) zeige man:

(i) B ⊆ X ⇒ B◦ ⊆ B.

(ii) C ⊆ B⇒ C◦ ⊆ B◦.

(iii) B ⊆ X ist genau dann offen, wenn B = B◦.

(iv) C, B ⊆ X ⇒ (C ∩ B)◦ = C◦ ∩ B◦.

12.10 Fur eine topologischen Raum (X,T ) und M ⊆ X sei ∂M := M \ M◦! Man zeige:

(i) ∂M ist immer abgeschlossen.

(ii) ∂M = {x ∈ X : ∀U ∈ U(x)⇒ U ∩ M , ∅ , U \ M}.(iii) ∂M = ∂(Mc).

(iv) ∂M = ∅ ⇐⇒ M, Mc ∈ T .

12.11 Zeigen Sie, dass in einem topologischen Raum der Durchschnitt von endlich vielen offenen

und dichten Mengen wieder offen und dicht ist.

12.12 Sei G eine Gruppe und T eine Topologie auf G, sodass fur alle g ∈ G die Abbildungen

h 7→ gh und h 7→ hg stetig sind. Zeigen Sie, dass fur jedes g ∈ G diese Abbildungen sogar

Homoomorphismen sind. Zeigen Sie, auch dass eine Untergruppe H von G, welche bzgl.

T offen ist, auch abgeschlossen ist!

Hinweis: Zeigen Sie, dass {gH : g ∈ G} eine Partition abgibt, also dass dieses Mengensys-

tem die Restklassenmenge einer Aquivalenzrelation ist.

12.13 Sei X = R2 versehen mit der von d2 induzierten Topologie. Weiters sei Y = (−1, 1)×(−1, 1)

versehen mit der von der Einschrankung d2|Y×Y von d2 auf Y induzierten Topologie. Man

gebe einen Homoomorphismus von X auf Y an!

12.14 Zeigen Sie, dass die chordale Metrik χ (siehe Ubungsbeispiel 6.38) und die 2-Metrik d2

auf R2� C die selbe Topologie induzieren, aber dort nicht aquivalent sind!

12.15 Sei f : X → Y mit topologischen Raumen (X,TX) und (Y,TY), wobei (X,TX) das erste

Abzahlbarkeitsaxiom erfullt. Zeigen Sie, dass f bei x ∈ X genau dann stetig ist, wenn fur

jede Folge (xn) aus X mit Grenzwert x folgt, dass f (xn)→ f (x)!

12.16 Ist (X,T ) ein topologischer Raum und B eine Basis von T , so zeige man zunachst, dass fur

jedes x ∈ X {B ∈ B : x ∈ B} eine Filterbasis des Umgebungsfilters U(x) von x ist. Schließ-

lich zeige man, dass (X,T ) separabel ist (enthalt also eine abzahlbare dichte Teilmenge),

wenn (X,T ) das zweite Abzahlbarkeitsaxiom erfullt!

Hinweis fur den zweiten Teil: Man greife aus jedem B einen Punkt heraus, wobei B alle

Mengen einer abzahlbaren Basis durchlauft, und zeige die Dichtheit dieser Menge in X!

12.17 Zeigen Sie, dass fur einen metrischen Raum (X, d) auch die Umkehrung gilt: Ist (X,T (d))

separabel (enthalt also eine abzahlbare dichte Teilmenge), dann erfullt (X,T (d)) das zweite

Abzahlbarkeitsaxiom!

Hinweis: Betrachte {Uǫ(x) : x ∈ D,Q ∋ ǫ > 0} mit D ⊆ X abzahlbar und dicht!

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12.15. UBUNGSBEISPIELE 191

12.18 Mit der Notation aus dem Ubungsbeispiel 12.4 zeige man: Jede Basis B der Topologie Tmuss schon mit T oder mit {{1}, {1, 2}, X} ubereinstimmen. Weiters zeige man: V ist eine

Subbasis von T genau dann wennV ⊇ {{1}, {1, 2}}.12.19 Sei (X,T ) ein kompakter topologischer Raum und f : X → R stetig. Dann zeigen Sie, dass

f ein Maximum und ein Minimum auf X hat.

12.20 Seien (Xn, dn), n ∈ N, metrische Raume. Weiters seien (cn)n∈N und (cn)n∈N Folgen positiver

reeller Zahlen mit cn → 0 bzw.∑∞

n=1 cn < ∞. Definiere Abbildungen d, d :(∏

n∈N Xn

)2 →R durch

d( f , g) := maxn∈N

(cn

dn( fn, gn)

1 + dn( fn, gn)

), d( f , g) :=

∞∑

n=0

cn

dn( fn, gn)

1 + dn( fn, gn),

wobei f = ( fn)n∈N, g = (gn)n∈N ∈∏

n∈N Xn. Zeige, dass d und d Metriken sind, und dass

sowohl T (d) als auch T (d) mit∏

n∈N T (dn) ubereinstimmt.

12.21 Sei (Y,T ) ein Topologischer Raum und sei X ⊆ Y versehen mit der Spurtopologie T |X .

Man weise nach:

(i) U ⊆ X ist genau dann eine Umgebung eines x ∈ X bezuglich T |X , falls U = X ∩ V

fur eine Umgebung V von x bezuglich T .

(ii) Ist A ⊆ X und ist A der Abschluss von A in (Y,T ), so ist A ∩ X genau der Abschluss

von A in (X,T |X).

(iii) Sei (Z,O) ein weiterer topologischer Raum und f : Y → Z eine stetige Funktion.

Dann ist auch f |X : X → Z stetig, wenn man X mit T |X versieht.

12.22 Gibt es in R nichttriviale Teilmengen, dh. , ∅ und , R, die bzgl. E := T (d2) gleichzeitig

offen und abgeschlossen sind?

Hinweis: Der Begriff Zusammenhang aus dem ersten Semester!

12.23 Seien 〈Xi,Ti〉, i ∈ I, topologische Raume, sei Y eine Menge, und seien fi : Y → Xi,

i ∈ I, Abbildungen. Bezeichne mit T die initiale Topologie auf Y bezuglich der Familie

{ fi : i ∈ I} von Abbildungen.

Sei vorausgesetzt, dass die Familie { fi : i ∈ I} punktetrennend operiert, d.h. dass es zu je

zwei verschiedenen Punkten a, b ∈ Y eine Funktion fi0 gibt mit fi0 (a) , fi0 (b). Zeigen Sie:

Sind alle Raume 〈Xi,Ti〉 Hausdorff, so hat auch 〈Y,T〉 diese Eigenschaft. Zeigen Sie auch:

Sind alle Raume (Xi,Ti) Hausdorff, so auch (∏

Xi,∏Ti).

12.24 Sei X = R[0,1] =∏

x∈[0,1] R die Menge aller reellwertigen Funktionen mit Definitionsbereich

D = [0, 1] versehen mit der Produkttopologie.

Man zeige, dass fur f ∈ X das Mengensystem

{Vx1,...,xn ;ǫ( f ) : n ∈ N; x1, . . . , xn ∈ D; ǫ > 0} ,

wobei

Vx1 ,...,xn ;ǫ ( f ) := {g ∈ X : |g(x j) − f (x j)| < ǫ, j = 1, . . . , n} ,eine Filterbasis des Umgebungsfilters U( f ) von f abgibt. Sind die Mengen Vx1 ,...,xn ;ǫ( f )

offen bzgl. der Produkttopologie? Zeigen Sie auch, dass der Umgebungsfilter von f keine

Filterbasis bestehend aus abzahlbar vielen Mengen besitzt. Gibt es dann eine Metrik d,

sodass T (d) = T ?

Hinweis: Falls es eine abzahlbare Filterbasis (Uk)k∈N von U( f ) gibt, so konstruiere man

induktiv x11, . . . x1

n1, x2

1, . . . x2

n2, · · · ∈ [0, 1] und eine Nullfolge ǫ1 ≥ ǫ2 ≥ · · · > 0, sodass

Vx11,...x1

n1,...,xk

1,...xk

nk;ǫk

( f ) ⊆ Uk und daher auch (Vx11,...x1

n1,...,xk

1,...xk

nk;ǫk

( f ))k∈N eine Filterbasis abgibt.

Nun zeige man g ∈ ⋂k∈N Vx1

1,...x1

n1,...,xk

1,...xk

nk;ǫk

( f )⇔ g(xkj) = f (xk

j),∀k ∈ N, j ∈ {1, . . . , nk}.....

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192 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

12.25 Mit der Notation aus dem vorherigen Beispiel sei B(D) die Teilmenge aller beschrankten

Funktion von X. Also B(D) = { f ∈ X : supt∈D | f (t)| < +∞}.Sei nun T1 die von der Supremumsmetrik (d∞( f , g) := supt∈D | f (t)−g(t)|) erzeugte Topolo-

gie auf B(D), und sei T2 die Spurtopologie T |B(D), wobei T die Produkttopologie aus dem

vorherigen Beispiel ist.

Man zeige: Wenn f j → f fur ein Netz aus B(D) bzgl. T1 dann gilt auch f j → f bzgl.

T2. Die Umkehrung gilt aber nicht. Man zeige auch, dass T1 echt feiner als T2 ist, bzw.

aquivalent dazu dass id : (B(D),T1) → (B(D),T2) stetig ist, aber id : (B(D),T2) →(B(D),T1) nicht stetig ist.

12.26 Indem man eine offene Uberdeckung angibt, die keine endliche Teiluberdeckung hat, zeige

man, dass (0, 1] als Teilmenge von R versehen mit E = T (d2) nicht kompakt ist und dass

eine unendliche Menge X versehen mit der diskreten Topologie nicht kompakt ist.

12.27 Sei M eine dichte Teilmenge von R. Man zeige, dass {(−∞, q) : q ∈ M} ∪ {(q,∞) : q ∈ M}eine Subbasis der von der Euklidischen Metrik erzeugten Topologie (Euklidischen Topo-

logie) ist.

12.28 Zeigen Sie, dass jeder metrische, kompakte Raum auch separabel ist, also eine abzahlbare

dicht Menge enthalt!

12.29 Seien (X1,T1) und (X2,T2) kompakte topologische Raume. Man zeige ohne den Satz von

Tychonoff, dass X1 × X2 versehen mit der Produkttopologie kompakt ist!

Hinweis: Siehe Fakta 8.7.8 fur den metrischen Fall!

12.30 Sei [−∞,+∞) versehen mit T := {[−∞, a) : a ∈ [−∞,+∞]}. Zeigen Sie, dass T eine

Topologie ist, die nicht Hausdorffsch ist! Bestimmen Sie U(x) fur x ∈ [−∞,+∞)! Zeigen

Sie, dass fur ein Netz (xi)i∈I aus [−∞,+∞), (xi)i∈I → x bzgl. T genau dann wenn x ∈[lim supi∈I xi,+∞), wobei man allgemein fur ein Netz aus [−∞,+∞) definiert

lim supi∈I

xi = infk∈I

supI∋i�k

xi (∈ [−∞,+∞]) .

12.31 Fur die Topologie aus dem vorherigen Beispiel zeige man, dass eine Teilmenge von

[−∞,+∞) genau dann kompakt ist, wenn sie nach oben beschrankt ist und ihr Supremum

enthalt! Gibt es in [−∞,+∞) kompakte, nicht abgeschlossene Teilmengen?

12.32 Sei I eine gerichtete Menge und∞ ein nicht in I enthaltenes Element. Man versehe I∪{∞}derart mit einer Topologie, sodass fur jeden topologischen Raum X und jedes Netz (xi)i∈Iin X mit betrefflicher Menge I als Indexmenge und jedes x ∈ X folgende beiden Aussagen

aquivalent sind:

xi → x, i ∈ I.

f : I ∪ {∞} → X ist stetig, wobei f (i) = xi und f (∞) = x.

12.33 Sei (G,T ) eine topologische Gruppe, also eine Gruppe versehen mit einer Topologie, so-

dass (g, h) 7→ gh als Abbildung von G×G (versehen mit der Produkttopologie) nach G und

g 7→ g−1 als Abbildung von G nach G stetig sind. Weiters seien M1, M2 Teilmengen von G.

Weisen Sie nach, dass wenn (I,�) eine gerichtete Menge und (xi)i∈I , (yi)i∈I zwei Netze in

G uber dieser gerichteten Menge mit xi → x und yi → y fur x, y ∈ G sind, dann auch

xiyi → xy.

Weiters zeige man, dass wenn M1 und M2 kompakt sind, dann auch M1 ·M2 eine kompakte

Teilmenge von G ist.

12.34 Mit der Notation aus vorherigen Beispiel zeige man, dass M1 ·M2 abgeschlossen ist, wenn

eine der beiden Mengen abgeschlossen und die andere kompakt ist.

Hinweis: Nehmen Sie an, dass z im Abschluss von M1 ·M2 ist, und betrachten Sie ein Netz,

dass aus M1 · M2 heraus gegen z konvergiert!

Anmerkung: M1 ·M2 ist am Allgemeinen nicht abgeschlossen, wenn man nur fordert, dass

M1 und M2 abgeschlossen sind. Beispielsweise sind in der topologischen Gruppe (R,+)

die Mengen Z und√

2Z abgeschlossen. Die Menge Z +√

2Z ( R ist aber dicht in R und

damit nicht abgeschlossen.

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12.15. UBUNGSBEISPIELE 193

12.35 Zeigen Sie, dass Φ = { f ∈ C1[0, 1] : f (0) = 0, ‖ f ′‖∞ ≤ 1} als Teilmenge von C([0, 1],R)

relativ kompakt ist, dh. dass Φ kompakt ist.

12.36 Man gebe an, ob Φ ⊆ C(K,R) total beschrankt ist, wobei

(a) K = [0, 1] und Φ = {(t 7→ tn) : n ∈ N}(b) K = [0, 1] und Φ = { f ∈ C(K,R) : ‖ f ‖∞ ≤ 1}(c) K = [0, 1] und Φ = {(t 7→ tn

n) : n ∈ N}

(d) K = [0, 2] und Φ = {(t 7→ tn

n) : n ∈ N}

12.37 Ist Φ = {(t 7→ tn) : n ∈ N} ⊆ C([0, 1),R) gleichgradig stetig? Begrundung!

12.38 Zeigen Sie, dass fur einen kompakten metrischen Raum K ein Φ ⊆ C(K,R) genau dann to-

tal beschrankt ist, wennΦ als Teilmenge des normierten Raumes (C(K,R), ‖.‖∞) beschrankt

ist und wenn Φ gleichmaßig und gleichgradig stetig ist.

Letzteres bedeutet, dass es zu jeden ǫ > 0 ein δ > 0 gibt, sodass | f (x) − f (y)| < ǫ fur alle

f ∈ Φ und alle x, y ∈ X mit d(x, y) < δ.

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194 KAPITEL 12. TOPOLOGISCHE GRUNDLAGEN

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Kapitel 13

Lemma von Zorn*

In diesem Anhang wollen wir insbesondere einen Beweis des Lemmas von Zorn brin-

gen, das im Beweis des Satzes von Tychonoff, Satz 12.13.6, verwendet wurde.

Ordnungen

13.0.1 Definition. Sei M eine Menge, und � eine Relation auf M, d.h. � ist eine Teil-

menge von M × M. Dann heißt � Halbordnung auf M, oder kurz (M,�) Halbordnung,

falls folgende drei Axiome gelten:

Reflexiv: x ∈ M ⇒ x � x.

Antisymmetrisch: x � y ∧ y � x ⇒ x = y.

Transitiv: x � y ∧ y � z⇒ x � z.

Eine Halbordnung (M,�) heißt Totalordnung, falls je zwei Elemente vergleichbar

sind, d.h.

x, y ∈ M ⇒ x � y ∨ y � x.

13.0.2 Definition. Sei � eine Halbordnung auf der Menge M.

Ist R ⊆ M, dann heißt y obere (untere) Schranke von R, falls x � y (y � x) fur alle

x ∈ R.

Ist R ⊆ M, dann heißt ein m ∈ R maximales (minimales) Element von R, falls aus

x ∈ R ∧m � x (x ∈ R ∧ x � m) folgt, dass x = m. Ein maximales (minimales) Element

m heißt großtes (kleinstes) Element von R, wenn x � m (m � x) fur alle x ∈ R.

Ist R ⊆ M, dann heißt y Supremum oder kleinste obere Schranke (Infimum oder

großte unter Schranke) von R, falls y eine obere (untere) Schranke von R ist, und gleich-

zeitig y � x (x � y) fur alle oberen (unteren) Schranken x von R gilt.

13.0.3 Definition. Sei � eine Halbordnung auf der Menge M. Dann heißt (M,�) Ver-

band, wenn jede zweielementige Teilmenge von M ein Supremum und ein Infimum

hat.

Ein Verband (M,�) heißt vollstandig, falls jede Teilmenge von M ein Supremum

und ein Infimum hat.

195

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196 KAPITEL 13. LEMMA VON ZORN*

Ist M eine Menge, so ist P(M) versehen mit der Mengeninklusion ein vollstandiger

Verband. Ein weiters Beispiel ist die Menge aller Topologien auf einer Menge.

Das nun folgende Lemma von Zorn ist ein fundamentales Hilfsmittel aus der Men-

genlehre. Es ist aquivalent zum Auswahlaxiom und zum Wohlordnungssatz und war

von daher vor allem in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts umstritten. Mittlerweile

sind die Mathematiker entspannter, auch wenn ein moglicher Verzicht auf das Aus-

wahlaxiom immer noch in manchen Situationen explizit hervorgehoben wird.

13.0.4 Definition (Auswahlaxiom). Gegeben sei eine Indexmenge I und eine Familie

von nichtleeren Mengen Ai, i ∈ I, so existiert eine Funktion (Auswahlfunktion) f :

I → ⋃i∈I Ai, sodass f (i) ∈ Ai.

Man beachte, dass das Auswahlaxiom nichts anderes besagt als, dass∏

i∈I Ai , ∅.

13.0.5 Definition. Sei (M,≤) eine halbgeordnete Menge. Wenn fur jede total geord-

nete Teilmenge von M eine obere Schranke existiert, dann heißt M induktiv geordnet.

Wenn sogar jeweils eine kleinste obere Schranke existiert, dann heißt M strikt induktiv

geordnet.

Folgendes Lemma ist der zentrale Hilfsatz zum Beweis des Lemma von Zorn.

13.0.6 Lemma. Es sei (M,≤) eine nichtleere halbgeordnete Menge mit einem kleinsten

Element o, sodass M strikt induktiv ist. Schließlich sei F : M → M eine Abbildung mit

der Eigenschaft (Monotonie)

m ≤ F(m), m ∈ M.

Dann gibt es ein m ∈ M mit F(m) = m.

Beweis. Wie nennen eine Teilmenge S von M zulassig, wenn die folgenden drei Be-

dingungen gelten: o ∈ S , F(S ) ⊆ S , und fur jede total geordnete Teilmenge T ⊆ S

liegt auch die kleinste obere Schranke sup T in S . Zum Beispiel ist M selbst zulassig.

Nun sei S 0 der Durchschnitt aller zulassigen Teilmengen von M. Da in jeder

zulassigen Teilmenge auch o liegt, enthalt der Durchschnitt zumindest das Element

o . Außerdem gelten auch die beiden anderen Bedingungen fur Zulassigkeit. Also ist

S 0 selbst zulassig und damit die kleinste aller zulassigen Teilmengen von M.

Wenn wir nun zeigen konnen, dass S 0 total geordnet ist, dann folgt daraus fur die

kleinste obere Schranke sup S 0, dass sup S 0 das großte Element von S 0 ist. Somit gilt

wegen der Zulassigkeit F(sup S 0) ≤ sup S 0. Wir bekommen insgesamt

sup S 0 ≤ F(sup S 0) ≤ sup S 0,

und damit die gewunschte Gleichheit. Noch zu zeigen ist also die Behauptung, dass S 0

total geordnet ist.

Fur den Beweis nennen wir e ∈ S 0 ein extremales Element, wenn fur alle s ∈ S 0

mit s ≤ e, s , e (s < e) gilt, dass F(s) ≤ e. Zum Beispiel ist o extremal. Fur ein

extremales e setzen wir

S e := {s ∈ S 0 : s ≤ e ∨ F(e) ≤ s}.

Dann ist fur jedes extremale e die Menge S e zulassig:

• o liegt in S e.

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197

• Fur jedes Element s ∈ S e folgt aus s < e schon F(s) ≤ e, aus s = e folgt F(s) =

F(e), und aus s � e folgt F(e) ≤ s ≤ F(s). Also gilt insgesamt F(S e) ⊆ S e.

• Es sei T eine total geordnete Teilmenge von S e. Wenn dann fur alle t ≤ sup T

die Ungleichung t ≤ e gilt, dann gilt auch sup T ≤ e. Wenn es aber mindestens

ein t gibt, sodass t � e gilt, dann ist F(e) ≤ t ≤ sup T . Wir sehen also in beiden

Fallen, dass sup T ∈ S e.

Da aber S 0 die kleinste zulassige Teilmenge von M ist, muss also fur alle extrema-

len e gelten:

S e = S 0.

Nun mussen wir noch zeigen, dass jedes e ∈ S 0 extremal ist. Dann folgt namlich fur

s ∈ S 0, dass s ∈ S e bzw.

s ≤ e ∨ e ≤ F(e) ≤ s,

also die Tatsache, dass S 0 total geordnet ist.

Um zu beweisen, dass jedes e ∈ S 0 extremal ist, betrachten wir

E := {e ∈ S 0 : e ist extremal}.

Wir weisen nach, dass E zulassig und damit gleich S 0 ist.

• o ∈ E ist klar.

• Wir mussen zeigen, dass mit e auch F(e) in E liegt. Ist s ∈ S 0 = S e und s < F(e),

so mussen wir F(s) ≤ F(e) folgern. Da s ∈ S e, gilt s ≤ e oder F(e) ≤ s, wobei

wir letzteres wegen unserer Voraussetzung ausschließen konnen. Aus s = e folgt

trivialerweise F(s) ≤ F(e) und aus s < e folgt wegen e ∈ E, dass F(s) ≤ e ≤F(e).

• Nun sei noch T ⊆ E total geordnet. Zu zeigen ist, dass sup T ∈ E. Sei dazu

s ∈ S 0, s < sup T . Wenn fur jedes t ∈ T die Relation F(t) ≤ s gelten wurde,

dann ware wegen t ≤ F(t) auch sup T ≤ s. Das ist ein Widerspruch. Also gibt es

ein extremales e ∈ T mit F(e) � s, und da S 0 = S e gilt, folgt daraus zwangsweise

s ≤ e. Ist s , e, so folgt wegen e ∈ E, dass F(s) ≤ e ≤ sup T . Da sup T ∈ S 0 =

S e, s < sup T folgt aus s = e, dass F(s) = F(e) ≤ sup T . Damit folgt insgesamt,

dass sup T extremal ist.

Nun konnen wir das Lemma von Zorn aus dem Auswahlaxiom herleiten.

13.0.7 Satz. Es sei (M,≤) eine nichtleere induktiv geordnete Menge. Dann besitzt M

ein maximales Element.

Beweis. Wir behandeln zuerst den Fall einer strikt induktiv geordneten Menge.

Sei x ∈ M fest. Ist m maximales Element von {y ∈ M : x ≤ y}, so ist m auch

maximales Element von M. Also durfen wir uns auf den Fall beschranken, dass M

ein kleinstes Element enthalt. Wir nehmen an, es gebe kein maximales Element. Dann

finden wir fur jedes m ∈ M ein großeres Element F(m) und definieren damit eine

Funktion F : M → M, fur die gilt:

∀m ∈ M : m < F(m).

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198 KAPITEL 13. LEMMA VON ZORN*

Man beachte, dass man fur die Existenz einer solchen Funktion F das Auswahlaxiom

verwendet. In der Tat ist F eine Auswahlfunktion der Familie (Am)m∈M , wobei Am =

{x ∈ M : m ≤ x, m , x}. Da M strikt induktiv geordnet ist, folgt aus Lemma 13.0.6 der

Widerspruch F(m) = m fur ein m ∈ M.

Nun sei M induktiv geordnet, und seiH die Menge aller total geordneten Teilmen-

gen von M. Dann istH bezuglich der Inklusion eine Halbordnung, und zwar eine strikt

induktive, denn ist T ⊆ H totalgeordnet (bzgl. ⊆), so ist es auch⋃

N∈T N (bzgl. ≤),

und diese Teilmenge von M ist auch die kleinste obere Schranke von T (bzgl. ⊆).

Also besitzt H nach dem ersten Beweisteil ein maximales Element T . Es sei O

eine obere Schranke von T . Dann muss O zu T gehoren, da sonst T ∪ {O} eine total

geordnete Menge ware, die T echt umfasste.

Dieses Element O ist dann ein maximales Element von M, denn fur jedes m ∈ M

folgt aus O ≤ m, dass m eine obere Schranke von T ist, und somit ebenfalls zu T

gehoren muss. Insbesondere folgt m ≤ O und damit m = O.

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Literaturverzeichnis

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[R] W.Rinow: Lehrbuch der Topologie, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften,

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[R1] W.Rudin: Principles of Mathematical Analysis, McGraw-Hill, New York 1953,

third edition 1976.

[R2] W.Rudin: Real and Complex Analysis, McGraw-Hill, New York 1966, third edi-

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[W] W.Walter: Analysis 1,2, Springer Verlag, Heidelberg, New York Tokoyo.

199

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Index

(T1), 162, 166

(T2), 141

(T3), 164

(T4), 164

Cb(E), 44

Cb(E, Y), 44

Cb(X,C), 184

Cb(X,R), 184

Cb[0, 1], 65

L(X, Y), 47

[B], 174

∆ f , 90

ℓ∞(N,C), 64, 65

c0, 44

c0(N), 44

c0(N,C), 64, 65

dk f (x), 79

d f (x), 70

k-te Ableitung, 80

l∞, 44

l∞(N), 44

B(E, Y), 43

C1, 68

C1(D), 68

Ck, 77

Abbildung

Norm, 46

Abbildungsnorm, 46

Ableitung, 70

partielle, 67

Richtungs-, 67

absolut uneigentlich integrierbar, 19

Abzahlbarkeitsaxiom

erstes, 139

zweites, 151

analytisch, 130

Archimedische Spirale, 133

Banachraum, 42

Basis

eines Filters, 139

beschrankt, 46

Bilinearform, 84

Bogenlange, 98

Cauchy-Netz, 11

Cauchy-Riemannschen Differentialglei-

chungen, 119, 131

Cauchysche Integralformel, 126

Cauchyscher Integralsatz, 128

charakteristische Funktion, 13

Darbouxsches Integral, 3

dicht, 142

in B, 142

Differentialgleichung

exakte, 113

differenzierbar, 72

k-mal stetig, 77

partiell, 68

stetig, 72

stetig partiell, 68

Dreiecksungleichung, 41

Durchmesser einer Menge, 181

einfach zusammenhangend, 114

Endfilter, 176

endliche Durchschnittseigenschaft, 169

Euklidische Topologie, 138

Euler-Mascharonische Konstante, 36

Exponentialfunktion

Matrix-wertig, 61

Feinheit

einer Riemann-Zerlegung, 5

Filter, 138

feiner, 175

grober, 175

konvergent, 175

Filterbasis, 139

konvergent, 175

folgenkompakt, 171

200

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INDEX 201

Frechet-differenzierbar, 76

Funktion

charakteristische, 13

ganze, 120

harmonische, 131

Indikator-, 13

von beschrankter Variation, 132

Funktion von beschrankter Variation, 98

Funktionen

stuckweise stetig, 14

stuckweise stetig differenzierbar, 97

Gebiet, 104

Gradient, 70

Gradientenfeld

lokales, 112

Gradientenfelder, 106

Haufungspunkt einer Filterbasis, 178

Haufungspunkt einer Menge, 144

Haufungspunkt eines Netzes, 145

Holdersche Ungleichung, 64

harmonisch, 131

Hausdorff, 141

Hesse-Matrix, 84

holomorph, 120

homoomorph, 149

Homoomorphismus, 149

Homotopie, 114

Indikatorfunktion, 13

Integral, 3

absolut konvergentes, 19

absolut uneigentliches, 19

Darbouxsches, 3

obere, 3

Riemann, 5

Riemann-Stiltjes, 100

uneigentliches, 19

von stetigen Funktionen, 12

Integration

Vertauschbarkeit der Reihenfolge, 26

von Funktionen in mehreren Varia-

blen, 28

integrierbar, 3

Riemann-, 5

Integrierenden Faktor, 113

Kettenregel, 74, 122

kompakt, 169

abzahlbar, 171

folgen-, 171

komplexen Ableitung, 120

Konvergenz

lokal gleichmaßige, 129

Konvergenz einer Reihe, 49

absolute, 49

Laplace, 131

Lemma von Urysohn, 167

lineare Abbildung

beschrankt, 46

Lipschitz stetig, 11, 15

lokales Gradientenfeld, 112

lokalkompakt, 169

Maximum

lokales, 83

Menge

abgeschlossene, 142

Abschluss einer, 142

gesattigte, 160

Inneres einer, 144

kompakte, 169

konvexe, 68

offene, 138

relativ kompakte, 169

total beschrankte, 181

zusammenhangende, 162

Mengen

durch offenen Mengen getrennte,

161, 164

getrennte, 161

Metriken

aquivalente, 149

Minimum

lokales, 83

Mittelwertsatz

der Integralrechnung, 32

Multiindex, 78

negativ definit, 84

negativ semidefinit, 84

Netz

Cauchy-, 11

Norm, 41

aquivalente, 45

normal, 164

Obersumme, 3

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202 INDEX

offene Abbildung, 158

Oszillation, 11

Parameterintegral, 26

Parameterintegrale, 75

Differenzierbarkeit, 28

partielle Ableitung, 67

Partielle Integration, 17

Polygonzug, 93

Polynom in mehreren Variablen, 81

positiv definit, 84

positiv semidefinit, 84

Potenzreihe

Ableitung, 24

Produkt metrischer Raume, 25

Produkt von metrischen Raumen, 25

Produktregel, 122

Quotientenregel, 122

Raum

T2-, 141

Hausdorff, 141

normierter, 41

topologischer, 138

regular, 164

Reihe

Banachraum-wertig, 49

von Neumannsche, 52

Richtungsableitung, 67

Riemann-Stieltjes Integral, 100

Riemann-Zerlegung, 5

Riemannsumme, 5

Satz

Fortsetzungssatz von Tietze, 167

Hauptsatz der Differential-

Integralrechnung, 14

Taylorsche Formel, 80

von Ascoli, 185

von Fubini, 26

von Liouville, 128

von Morera, 128

von Schwarz, 77

von Tychonoff, 180

Schraubenlinie, 133

separabel, 142

stuckweise stetig, 14

stuckweise stetig differenzierbar, 97

Stutzstellen, 5

Stammfunktion, 15

eines Gradientenfeldes, 106

stationarer Punkt, 83

stetig, 146

in einem Punkt, 146

Lipschitz, 11, 15

stetig differenzierbar, 72

k-mal, 77

Stetigkeit

gleichgradige, 185

Stirlingsche Formel, 37

Strecke

gerade, 93

Subbasis einer Topologie, 151

Substitutionsregel, 17

Tangentialebene, 72

Tangentialvektor, 54

Taylorreihe

areatanh, 38

ln(1 − x), 25

Taylorsche Formel, 80

Taylorsche Polynom

mehrdimensionale, 81

Teilraum, 156

Topologie, 138

Basis von, 151

diskrete, 138

feinere, 150

finale, 159

grobere, 150

initiale, 154

Klumpentopologie, 138

normale, 164

Produkt-, 157

Quotienten-, 160

regulare, 164

Spur-, 156

Subbasis von, 151

von einer Metrik, 138

Ultrafilter, 179

Umgebung, 138

Umgebungsfilter, 138

uneigentlich integrierbar, 19

Ungleichung

Holdersche, 64

Untersumme, 2

Vektorfeld, 99

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INDEX 203

wegunabhangig, 106

Vektorfelder

stetig differenzierbare, 108

Vertauschbarkeit

Integrationsreihenfolge, 26

Grenzwert und Ableitung, 23

Grenzwert und Integration, 22

von Neumannsche Reihe, 52

Wallische Produktformel, 36

Weg, 93

geschlossener, 128

rektifizierbar, 94

stetig, 93

Wege

homotope, 114

Wegintegral, 99

komplexes, 117

zusammenhangend, 162

Zwischenstellen, 5