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2/7 Netz-Teil Anke und Daniel Domscheit-Berg Herzschrittmacher unter Kontrolle N eben dem Copyright, also Fragen rund um die Vervielfältigung und das Kopieren, gibt es ein oft gegensätzlich erscheinendes Thema in der Debatte um digitale Güter: Fragen rund um Quelloffenheit – Open Source. Quelloffen bedeutet, dass zum Beispiel der Programmcode einer Soft- ware für jeden zu lesen ist. Quelloffen muss nicht frei heißen, dies wird oft miss- verstanden, sondern meint nur lesbar und damit überprüfbar. Wäre Software ein klassisches Auto, so würde dies bedeuten, dass die Motorhaube geöffnet, der Motor auseinander- und wieder zusammenge- baut werden kann, und jeder mit entspre- chendem Sachverstand überprüfen kann, ob das Auto den Spezifikationen ent- spricht und kein versteckter Schleudersitz eingebaut ist. Damit geht die Möglichkeit einer unabhängigen Kontrolle einher, et- wa durch den TÜV. Diese Art von Offen- heit ist eine wichtige Grundlage für Si- cherheit, Entscheidungsvielfalt und -ho- heit und gilt in der analogen Welt für die meisten Dinge. Mit der Digitalisierung hat sich das Auto jedoch stark verändert. In modernen Fahrzeugen sind Dutzende Kleinstcomputer verbaut. Sie bestehen heute aus vielen Teilen, die nicht über- prüfbar sind, die keine Unabhängigkeit erlauben – weder zur Kontrolle, noch was Reparaturen oder Modifikationen angeht. Im Falle eines Autos ist dies schon schlimm genug, in anderen Bereichen des Lebens ist diese Situation allerdings abso- lut inakzeptabel und wirft fundamentale Fragen auf. Betrachten wir moderne medizinische Geräte: Implantate wie Herzschrittma- cher, Kardioverter-Defibrillatoren, aber auch externe Geräte wie Insulinpumpen. Alle diese Apparate sind heutzutage ge- steuert über Programmcodes. Sie bieten auch Schnittstellen zur Kommunikation nach außen, für Software-Updates und ähnliches. Bluetooth ist zum Beispiel nicht nur eine gängige Schnittstelle für die Kommunikation zwischen Mobiltele- fon und einer Freisprechanlage, sondern wird ebenso verwendet, um Insulinpum- pen mit dem Blutzuckermessgerät zu ver- netzen. Über bestimmte Frequenzen kann auch ein Programmiergerät mit einem Herzschrittmacher kommunizieren, ein Software-Update machen oder Daten aus- lesen. Doch wie gut die Qualität der Soft- ware ist, lässt sich genauso wenig sagen wie die Frage, welche Daten dort gesam- melt werden und welche Rückschlüsse sich aus diesen ziehen lassen. Wenn es um eine Blackbox geht, die uns am Leben hält, bekommt die Frage nach Überprüf- barkeit eine ganz andere Relevanz. Und ebenso die Frage nach der Nutzbarkeit der Daten. Wer einen Herzschrittmacher braucht, ist darauf angewiesen, dass das Gerät das Herz im richtigen Takt hält. Dies muss für jeden Menschen individuell ein- gestellt und programmiert werden, zum Beispiel, was Pulslimits angeht. Wie zu- verlässig diese Software ist, und wie si- cher zum Beispiel die drahtlose Schnitt- stelle zwischen Schrittmacher und Pro- grammiergerät, lässt sich nicht unabhän- gig überprüfen. In den vergangenen Jah- ren gab es einige IT-Sicherheitsforscher, die selbst Herzschrittmacher tragen, de- nen Zweifel an der Qualität der ihnen im- plantierten Technik kamen. Ähnlich bei Kardioverter-Defibrillatoren, die das Herz bei Arrythmien per Schockimpuls wieder in den Takt bringen. Es gibt auch hier selten, aber doch re- gelmäßig, Fälle von Fehlfunktionen. Ob denen ein Software-Fehler zugrunde liegt, lässt sich nicht wirklich herausfinden, denn die entsprechenden Hersteller ver- weigern jegliche Offenlegung ihrer Quel- len. 2014 wurde in den USA vor Gericht zwar ein Teilerfolg erzielt, der den tempo- rären Zugang zu dem Quellcode für einige Forscher erlaubt hat, wir sind aber sehr weit entfernt von einem strukturierten Umgang mit diesem Problem. Es ist eben fast eine philosophische Frage: Wie sehr wollen wir als Gesell- schaft eine unabhängige Kontrolle der Technologie, die so sehr unser Leben be- stimmt, und in manchen Fällen sogar über Leben und Tod entscheidet, zulassen oder gar einfordern? Was ist unser An- spruch, wenn es um die Qualität und Si- cherheit geht? Ich glaube, ein Paradig- menwechsel ist längst überfällig und wir müssen dringend sinnvolle Errungen- schaften aus anderen Bereichen für die neuen Technologien durchsetzen. 10 FR7 MAGAZIN 01. / 02.04.2017 Hier schreiben Anke und Daniel Domscheit-Berg, zwei notorische Netzaktivisten, Weltverbesserer, Start-up-Unternehmer und Gemüse- bauern, jede Woche über die Welt - digital wie analog, vor allem aber über die Schnittstelle von beidem. ILLUSTRATION: CAROLIN EITEL, AUTORENBILD: CHRISTIAN VAGT

AnkeundDanielDomscheit-Berg Herzschrittmacher · 2018. 7. 16. · Domscheit-Berg,zweinotorische Netzaktivisten,Weltverbesserer, Start-up-UnternehmerundGemüse-bauern,jedeWocheüberdieWelt-digitalwieanalog,vorallemaberüber

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Page 1: AnkeundDanielDomscheit-Berg Herzschrittmacher · 2018. 7. 16. · Domscheit-Berg,zweinotorische Netzaktivisten,Weltverbesserer, Start-up-UnternehmerundGemüse-bauern,jedeWocheüberdieWelt-digitalwieanalog,vorallemaberüber

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Netz-Teil

Anke und Daniel Domscheit-Berg

Herzschrittmacherunter Kontrolle

Neben dem Copyright, also Fragenrund um die Vervielfältigungund das Kopieren, gibt es ein oftgegensätzlich erscheinendes

Thema in der Debatte um digitale Güter:Fragen rund um Quelloffenheit – OpenSource. Quelloffen bedeutet, dass zumBeispiel der Programmcode einer Soft-ware für jeden zu lesen ist. Quelloffenmuss nicht frei heißen, dies wird oft miss-verstanden, sondern meint nur lesbar unddamit überprüfbar. Wäre Software einklassisches Auto, so würde dies bedeuten,dass die Motorhaube geöffnet, der Motorauseinander- und wieder zusammenge-baut werden kann, und jeder mit entspre-chendem Sachverstand überprüfen kann,ob das Auto den Spezifikationen ent-spricht und kein versteckter Schleudersitzeingebaut ist. Damit geht die Möglichkeiteiner unabhängigen Kontrolle einher, et-wa durch den TÜV. Diese Art von Offen-heit ist eine wichtige Grundlage für Si-cherheit, Entscheidungsvielfalt und -ho-heit und gilt in der analogen Welt für diemeisten Dinge. Mit der Digitalisierung hatsich das Auto jedoch stark verändert. Inmodernen Fahrzeugen sind DutzendeKleinstcomputer verbaut. Sie bestehenheute aus vielen Teilen, die nicht über-prüfbar sind, die keine Unabhängigkeiterlauben – weder zur Kontrolle, noch wasReparaturen oder Modifikationen angeht.

Im Falle eines Autos ist dies schonschlimm genug, in anderen Bereichen desLebens ist diese Situation allerdings abso-lut inakzeptabel und wirft fundamentaleFragen auf.

Betrachten wir moderne medizinischeGeräte: Implantate wie Herzschrittma-cher, Kardioverter-Defibrillatoren, aberauch externe Geräte wie Insulinpumpen.Alle diese Apparate sind heutzutage ge-

steuert über Programmcodes. Sie bietenauch Schnittstellen zur Kommunikationnach außen, für Software-Updates undähnliches. Bluetooth ist zum Beispielnicht nur eine gängige Schnittstelle fürdie Kommunikation zwischen Mobiltele-fon und einer Freisprechanlage, sondernwird ebenso verwendet, um Insulinpum-pen mit dem Blutzuckermessgerät zu ver-netzen. Über bestimmte Frequenzen kannauch ein Programmiergerät mit einemHerzschrittmacher kommunizieren, einSoftware-Update machen oder Daten aus-lesen.

Doch wie gut die Qualität der Soft-ware ist, lässt sich genauso wenig sagenwie die Frage, welche Daten dort gesam-melt werden und welche Rückschlüssesich aus diesen ziehen lassen. Wenn es umeine Blackbox geht, die uns am Lebenhält, bekommt die Frage nach Überprüf-barkeit eine ganz andere Relevanz. Undebenso die Frage nach der Nutzbarkeit derDaten. Wer einen Herzschrittmacherbraucht, ist darauf angewiesen, dass dasGerät das Herz im richtigen Takt hält. Diesmuss für jeden Menschen individuell ein-gestellt und programmiert werden, zumBeispiel, was Pulslimits angeht. Wie zu-verlässig diese Software ist, und wie si-cher zum Beispiel die drahtlose Schnitt-stelle zwischen Schrittmacher und Pro-grammiergerät, lässt sich nicht unabhän-

gig überprüfen. In den vergangenen Jah-ren gab es einige IT-Sicherheitsforscher,die selbst Herzschrittmacher tragen, de-nen Zweifel an der Qualität der ihnen im-plantierten Technik kamen. Ähnlich beiKardioverter-Defibrillatoren, die das Herzbei Arrythmien per Schockimpuls wiederin den Takt bringen.

Es gibt auch hier selten, aber doch re-gelmäßig, Fälle von Fehlfunktionen. Obdenen ein Software-Fehler zugrunde liegt,lässt sich nicht wirklich herausfinden,denn die entsprechenden Hersteller ver-weigern jegliche Offenlegung ihrer Quel-len. 2014 wurde in den USA vor Gerichtzwar ein Teilerfolg erzielt, der den tempo-rären Zugang zu dem Quellcode für einigeForscher erlaubt hat, wir sind aber sehrweit entfernt von einem strukturiertenUmgang mit diesem Problem.

Es ist eben fast eine philosophischeFrage: Wie sehr wollen wir als Gesell-schaft eine unabhängige Kontrolle derTechnologie, die so sehr unser Leben be-stimmt, und in manchen Fällen sogarüber Leben und Tod entscheidet, zulassenoder gar einfordern? Was ist unser An-spruch, wenn es um die Qualität und Si-cherheit geht? Ich glaube, ein Paradig-menwechsel ist längst überfällig und wirmüssen dringend sinnvolle Errungen-schaften aus anderen Bereichen für dieneuen Technologien durchsetzen.

10 FR7 MAGAZIN 01. / 02.04.2017

Hier schreiben Anke und Daniel

Domscheit-Berg, zwei notorische

Netzaktivisten, Weltverbesserer,

Start-up-Unternehmer und Gemüse-

bauern, jede Woche über die Welt -

digital wie analog, vor allem aber über

die Schnittstelle von beidem.

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STRATION:C

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