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Anthony L. Komaroff Die neueste CFS-Forschung Ein Vortrag vom April 2010 bei der Massachusetts CFIDS/ME & FM Association

Anthony L.Komaroff Die neueste CFS-Forschung...USA durch Produktivitätsverluste durch diese Krankheit – nicht eingeschlossen die medizinischen Kosten für Behandlung,also nur die

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Anthony L. Komaroff

Die neueste CFS-Forschung Ein Vortrag vom April 2010 bei der

Massachusetts CFIDS/ME & FM Association

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ImpressumDie neueste CFS-Forschung - Vortrag von Anthony L. KomaroffHerausgeber: www..cfs-aktuell.de - Regina ClosÜbersetzung und Layout: Regina Clos

Übersetzung und Nachdruck der deutschen Ausgabe mit freundlicherGenehmigung von Prof. Anthony Komaroff und der MassachussetsCFIDS/ME & FM Association

Online-Versionen dieses Vortrags:www.masscfids.org/news-a-events/2/221www.masscfids.org/videofiles/Komaroff/Komaroff.htmlwww.masscfids.org/resource-library/3/229

InhaltFolie Seite

Falldefinition des Chronic Fatigue Syndroms 2 3

Forschung zu CFS 3 4

Schweregrad des CFS - SF 36 6 5

Welche Systeme des Körpers sind gestört? 7 - 8 6

Anomalien des Gehirns 9 - 13 7 - 9

Anomalien bei körperlicher Belastung 14 - 15 9 - 10

Anomalien im Immunsystem 16 - 17 10 - 11

Anomalien im Energiestoffwechsel 18 - 19 11

Anomalien Genetik / Genexpression 20 - 21 12

Infektionen (Enteroviren, HHV6, XMRV usw.) 22 - 37 13 - 21

Über den Autor

Anthony L. Komaroff, MD, ist Medizinprofessor an der HarvardMedical School und Chefredakteur der Harvard Health Publications,Harvard Medical School. Er ist leitender Arzt am Brigham andWoman’s Hospital.

Er ist seit Jahrzehnten in der ME/CFS-Forschung tätig und bekanntfür sein fundiertes Wissen und seinen ausgewogenen Standpunkt. Erist Autor und Co-Autor zahlreicher Publikationen in der ME/CFS-Forschung, u.a. der international gültigen Forschungsdefinition desCFS, der Fukuda-Kriterien von 1994 und der jetzt im August 2010erschienen Replikationsstudie der US-amerikanischen NationalInstitutes of Health und der Food and Drug Administration zumdritten humanen Retrovirus XMRV und seinen Sequenzvariationen.

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Vielen Dank, Alan*. Ich erinnere mich an diesenNachmittag bei der APA (der American PsychiatricAssociation), und leider spiegelte er in der Zeit in den1980ern eine verbreitete Skepsis unter Ärzten wider,nicht nur unter Psychiatern, sondern allen Ärzten, wasdiese Krankheit betrifft. Ich werde jetzt ein wenigdarüber sprechen, warum es damals diese Skepsis gabund warum meiner Ansicht nach die Zeit für dieseSkepsis längst vorbei ist. Kann ich bitte die erste Foliehaben? *(Alan Gurwitt, Präsident der MassachusettsCFIDS/ME & FM Association)

Folie Nr. 2

Das ist also eine Krankheit – und ich verwende immernoch den Begriff CFS, obwohl der VorsitzendeBonnie (Bonnie Gorman, Gründer und Vorsitzenderder Massachusetts CFIDS/ME & FM Association)der Meinung ist, dass dies ein schrecklicher Begriff ist,das ist eine Krankheit, die formal durch eine Krank-heitsdefinition beschrieben wird, die eine von denCDC (Centers for Disease Control and Prevention)

organisierte Gruppe von Ärzten, darunter auch ich,aufgestellt hat. Wahrscheinlich sind die meisten vonIhnen mit ihr vertraut, aber es ist wichtig, sienochmals herauszustellen, denn das ist es, worüberwir heute sprechen:

Schwere Erschöpfung, die über sechs Monate anhältoder immer wiederkehrt, über mindestens sechsMonate, die neu und zu einem bestimmten Zeitpunktaufgetreten ist, die durch Ruhe nicht wesentlichgebessert wird und die zu einer beträchtlichenVerminderung der Aktivität im beruflichen und sozia-len Bereich führt, und zusätzlich zu diesem Ausmaßan Erschöpfung für diesen langen Zeitraum muss die

Person vier oder mehr der folgenden Symptome auf-weisen, die ebenfalls die überwiegende Zeit in denvergangenen Monaten vorhanden waren: Gedächtnis-und Konzentrationsstörungen, Halsschmerzen,Schmerzen in mehreren Gelenken, nicht erholsamerSchlaf, geschwollene Lymphknoten im Hals- oderAchselbereich, Muskelschmerzen, Kopfschmerzeneines neuen Typs oder Schweregrads und eine

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Krankheit innerhalb der Krankheit, die sogenanntepost-exertional malaise, die Zustandsverschlechterungnach Belastung, und dann darf die Person schließlich,um der Krankheitsdefinition zu entsprechen, keineandere akut vorhandene organische Erkrankunghaben, die die chronische Erschöpfung erklärenkönnte oder eine Psychose, eine melancholischeDepression, Demenz, eine Essstörung oder Drogenmissbrauchen.

Obwohl Erschöpfung eine sehr verbreiteteBeschwerde und eines der zehn häufigsten Problemeist, das die Leute zu den Ärzten treibt, entspricht amEnde nur ein sehr kleiner Teil der Menschen, diewegen ständiger Müdigkeit und Energiemangel ärztli-che Hilfe suchen, tatsächlich der Falldefinition desCFS.

Folie Nr. 3

In der Zeit damals, als das Treffen bei der AmericanPsychiatric Association stattfand, war praktisch nichtsbekannt über diese Krankheit. Deshalb gab es für dieSkeptiker kaum Informationen, die ihre Skepsis ent-weder hätten stützen oder widerlegen können. Aberseit dieser Zeit hat es enorm viel Forschung gegeben.Trotzdem ist es denjenigen unter uns, die dieKrankheit zu erforschen und zu behandeln versuchen,bisher nicht gelungen, diese Krankheit vollständig zuverstehen oder zu heilen.

Und für einige von Ihnen bedeutet das, dass all diewissenschaftliche Arbeit, die ich jetzt diskutierenwerde, es tatsächlich noch nicht geschafft hat, Ihnenzu helfen. Aber trotzdem … jede organischeKrankheit wird am Ende durch einen wissenschaftli-chen Prozess gelöst, und dieser Prozess dauert aus-nahmslos viele Jahre, weil keiner von uns ein Genieist. In den vergangenen 20 Jahren sind mehr als 5000wissenschaftliche Studien über CFS veröffentlichtworden, über 300 davon in den weltweit angesehend-

sten medizinischen Fachzeitschriften. Es hat achtinternationale Forschungskonferenzen gegeben, undbei der letzten im vergangenen März 2009 (derKonferenz der International Association forCFS/ME – IACFS/ME) gab es mehr als 160 wissen-schaftliche Präsentationen von Menschen rund umden Globus, Wissenschaftlern und Ärzten aus derganzen Welt.

Folie Nr. 4

Ich werde mich heute hauptsächlich auf Dinge kon-zentrieren, die neu entdeckt wurden, seitdem ich hiervor ungefähr zehn Jahren das letzte Mal einen Vortraggehalten habe. Ich gehe zurück auf die späten 1980erJahre. Wenn ich mich recht erinnere, war das das ersteMal, dass ich hier sprach, und ich werde gleich nochmal auf etwas zurückkommen, was ich damals hier inmeiner allerersten Rede vor dieser Gruppe sagte.

Folie Nr. 5 (siehe nächste Seite)

Lassen Sie uns zuerst über die Schwere derErschöpfung bei dieser Krankheit sprechen. Es gibtjetzt eine Reihe von Skalen oder Instrumentarien, mitdenen man messen kann, wie schwer die Funktions-fähigkeit von Menschen mit welcher Krankheit auchimmer beeinträchtigt ist. Das beste dieserInstrumentarien – der sogenannte SF 36 – wurde beieiner großen Anzahl von Menschen eingesetzt, unge-fähr vor 10 Jahren, bei Leuten aus derAllgemeinbevölkerung, Patienten mit Herzversagen,Patienten mit Depression und Patienten mit dieserKrankheit.

Dieses Instrumentarium bietet acht verschiedeneKategorien, und die sehen Sie hier in diesen acht ver-schiedenen Säulen. Je höher eine Punktzahl, destobesser ist die Funktionstüchtigkeit in dem entspre-chenden Bereich. Wie Sie sehen können, entsprichtdiese Linie der Funktionsfähigkeit von gesundenMenschen in der Allgemeinbevölkerung. Die roteLinie repräsentiert Menschen mit Herzversagen,deren funktioneller Status in allen Bereichen bis aufden einen hier unterhalb der Gruppe der Gesundenliegt. Patienten mit majorer Depression sind mit derblauen Linie dargestellt, und ihre Werte sind in meh-

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reren Bereichen niedriger als die der Patienten mitHerzversagen, außer in einem Bereich. Aber Patientenmit Chronic Fatigue Syndrome haben tatsächlich eineniedrigere funktionelle Kapazität als Patienten mitHerzversagen. Das ist unsere eigene Studie, aber sieist inzwischen von vielen Forschergruppen auf derganzen Welt repliziert worden.

Folie Nr. 6

Im Ergebnis schadet diese Krankheitder Gesellschaft, der Gesellschaft im all-gemeinen, weit über die unmittelbarBetroffenen und ihre Familien hinaus.Eine Umfrage, die von den CDC untereiner großen Anzahl von Patienten mitdieser Krankheit durchgeführt wurde,kam zu dem Ergebnis, dass es einen37%igen Abfall in der Produktivitätgibt, in der Fähigkeit, im Haushalt etwaszu tun, und eine noch größereVerminderung der Fähigkeit, imErwerbsleben mitzuhalten, und die

Umfrage schätzte die jährlichen Gesamtkosten für dieUSA durch Produktivitätsverluste durch dieseKrankheit – nicht eingeschlossen die medizinischenKosten für Behandlung, also nur die Kosten durchden Produktivitätsverlust von Menschen, die nichtoder nicht mehr Vollzeit arbeiten können – auf 9,1

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Folie Nr. 5

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Milliarden Dollar. Das war zu der Zeit, als die Studiedurchgeführt wurde, mehr als der Endgewinn desgrößten Unternehmens der Welt, Walmart.

Das ist also eine Menge Geld und somit ein großerProduktivitätsverlust, der auch denjenigen zu denkengeben sollte, die Krankheiten nur deswegen bekämp-fen wollen, weil sie der Gesellschaft finanziell scha-den. Diese Zahl sollte die Aufmerksamkeit derMenschen auf sich ziehen, und sie tut es auch.

Folie Nr. 7

Wie ich bereits sagte, ist dies eine Krankheit, die biszum heutigen Tag immer noch durch eine Reihe vonSymptomen definiert ist, und jeder kann sagen, erhabe Symptome, jeder kann sagen, er habe alleSymptome dieser Falldefinition. Die Frage also, die

viele Ärzte von Beginn dieser Falldefinition an gestellthaben, ist, ob es irgendwelche objektiven Belege fürVorgänge im Körper dieser Patienten gibt, die anor-mal sind und die sich von denen bei gesundenPersonen unterscheiden, bei Personen mit einerDepression oder bei Personen mit anderenKrankheiten, die Erschöpfung verursachen, wie etwaMultiple Sklerose oder Lupus.

Gibt es also objektive biologische Marker, die bei die-sen Patienten vorliegen, die subjektiv behaupten, siehätten alle diese Symptome? Das war die Frage aufder wissenschaftlichen Ebene, und aus meiner Sichtwar die Skepsis angebracht, bevor diese Frage nichtbeantwortet war, weil man bei einer Krankheit miteiner biologischen Grundlage davon ausgehen kann,dass man die biologischen Anomalien auch messenkann.

Die andere Frage ist, ob wir verstehen, was dieseSymptome verursacht, und ich denke, meine Antwortdarauf ist ein absolutes Ja, diese Kontroverse ist vor-

bei. Verstehen wir auch, wie diese Symptome genauentstehen, wie die zugrundeliegende Biologie dieserKrankheit aussieht, die zu diesen Symptomen führt?Nein, ich denke, das verstehen wir noch nicht.

Folie Nr. 8

Es gibt objektive biologische Vorgänge, die beiMenschen mit CFS anomal verlaufen – welche sinddas, oder welche Teile des Körpers betreffen sie? Siebetreffen mit Sicherheit das Gehirn, das zentraleNervensystem, das autonome Nervensystem, das imGehirn entspringt und sich dann über die Nerven imgesamten Körper verbreitet, um die vitalenFunktionen des Körpers zu steuern, dieKörpertemperatur, die Pulsrate, die Atemfrequenzusw., das Immunsystem, es betrifft den Energie-stoffwechsel und die Mitochondrien, welches die klei-nen Organellen in jeder Zelle sind, die die Energie fürsie produzieren. Es gibt genetische Studien, die diegenetischen Unterschiede belegen, die ich späterzusammenfassen werde, und dann gibt es schließlichden Zusammenhang zwischen Infektionserregernund dieser Krankheit.

Folie Nr. 9

Schauen wir uns zuerst das Gehirn an. MeinerMeinung nach ist dies inzwischen durch viele Studiengut belegt. Ich werde in den nächsten Minuten sehrhäufig sagen: von vielen Studien gut belegt. Was willich damit sagen? Was ich nicht sagen will ist, dass jedeeinzelne Studie in der medizinischen Literatur zumgleichen Schluss kommt. Ich meine, es gibt durchaus

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Unterschiede in der Literatur bezüglich dieser Frage,so wie das in der Medizin bei fast allen Fragen der Fallist, wie Sie wissen. Sollten Frauen zwischen 40 und 50jedes Jahr eine Mammographie machen lassen – gibtes hier unterschiedliche Meinungen? Sie können wet-ten, dass dies der Fall ist, und es gibt Hunderte ande-rer Kontroversen dieser Art. Aber wenn ich sage, esist gut belegt, dann meine ich folgendes: wenn Sie sichalle Studien ansehen, die veröffentlicht sind und sichfragen, ob es ein Übergewicht an Belegen gibt, kommtdie Mehrzahl der Studien mit der Mehrzahl derPatienten zu dem Schluss, dass es eine Anomalie gibt.Die überwältigende Antwort ist somit: ja.

Folie Nr. 10

Das neuro-endokrine System, der Teil des Gehirns,der die Drüsen an anderen Stellen im Körper steuert,die Hormone produzieren, ist beeinträchtigt. DasDenken ist beeinträchtigt. Das autonomeNervensystem ist beeinträchtigt. Studien, bei denenman das Gehirn mit MRT untersucht hat, also einemVerfahren, mit dem man die Anatomie des Gehirnssichtbar machen kann, zeigen Anomalien. Ein anderesbildgebendes Verfahren, mit dem man sich dasGehirn ansehen kann, das sogenannte SPECT-Verfahren, zeigt Anomalien, und obwohl es hier weni-ger Studien gibt, gibt es mehrere – einschließlich einer,über die ich Ihnen gleich berichte, die wir gerade für

die Veröffentlichung fertig machen –, die zeigen, dasses Anomalien bei den Gehirnwellen oder EEG-Anomalien gibt.

Es gibt also eine Menge von Belegen, die mit verschie-denen Techniken zur Untersuchung des Gehirnsermittelt wurden, die zeigen, dass es da Unterschiedegibt. Nichtsdestotrotz zeigt keines dieser Verfahreneine Erkrankung des Gehirns, die bleibend oder pro-gressiv schlechter wird, sie zeigen typischerweiseAnomalien, die kommen und gehen, was sehr stark andie schwankende Natur der Symptome dieserKrankheit erinnert. Ich spreche also nicht vonStörungen des Gehirns, die dauerhaft sind oder pro-gressiv schlechter werden. Ich spreche über

Anomalien des Gehirns,die kommen und gehen,aber sie unterscheideneindeutig Patienten mitCFS von gesundenPersonen, von Personenmit einer Depressionund von Personen mitanderen Krankheiten,die mit Erschöpfungeinhergehen.

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Seite)

Hier ist eine dieserStudien. Die Einzel-heiten sind nicht sowichtig, aber das ist eineStudie über die Gehirn-und Rückenmarks-

flüssigkeit, die man bei einer Lumbalpunktiongewinnt, also die Flüssigkeit, die das Gehirn umgibtund in der man sehen kann, was im Gehirn passiert,und man kann messen, was sich in dieserGehirnflüssigkeit befindet. Wenn man nach Proteinensucht, dann ist die beste in der Wissenschaft bekann-te Technik die Massenspektroskopie. Wenn man dieseTechnik anwendet, dann findet man bei einem Drittelbis zur Hälfte der CFS-Patienten eine Kerngruppe anProteinen im Gehirn, die man bei keinem Gesundenfindet. Das sind statistisch hoch signifikanteUnterschiede. Und was diese Moleküle und andere,die ich Ihnen aus Platzgründen nicht gezeigt habe,besagen, ist, dass es im Gehirn geringgradige

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Entzündungsprozesse gibt. Im Gehirn ist irgendetwasvorhanden, was das Immunsystem nicht mag, was esdort nicht haben will und was es deshalb loswerdenwill. Und das spiegelt sich in diesen Proteinen imGehirnwasser wider.

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Hier eine weitere Untersuchung der Gehirn- undRückenmarksflüssigkeit, und es wurde ebenfalls derGoldstandard verwendet, den kein Wissenschaftlerbestreiten würde, – eine Messung der Milchsäure in

der Gehirn- undRückenmarksflüssigkeit.Hier sehen Sie einePatientengruppe mitAngsterkrankungen, hiereine gesunde Kontroll-gruppe und hier sind dieWerte der Patienten mitCFS, zwei- oder dreimalso hoch wie bei den bei-den Vergleichsgruppen.Was den Anstieg derMilchsäure in jeglicherKörperflüssigkeit verur-sacht – in diesem Fall derGehirn-Rückenmarks-flüssigkeit –, ist eineStörung des Energie-stoffwechsels in denZellen des Gehirns.

Folie Nr. 13 (nächste Seite)

Hier sehen Sie die Gehirnwellen-Studie, die EEG-Studie, von der ich eben sprach. Es gibt viele verschie-dene Möglichkeiten, sich die Gehirnwellen anzuse-hen. Die wahrscheinlich hochentwickeltste ist diespektrale Kohärenzanalyse, denn dazu braucht man

aufwändige Computerberechnungen. Es istziemlich schwierig zu erklären, wie dieseTechnik funktioniert, aber ganz grundlegend– was man damit messen kann, ist eineStörung im Gehirn, die die Kommunikationder verschiedenen Teile des Gehirns unter-einander betrifft.

Bei Gesunden kann man zeigen, dass einNeuron hier drüben zur gleichen Zeit feuertwie eines dort drüben. Das ist kohärentesFeuern. Aber wenn man eine Inkohärenzzwischen den Neuronen sieht, wenn einNeuron feuert und ein anderes, was zur glei-chen Zeit feuern sollte, das aber nicht tut,wenn man eine solche Inkohärenz sieht,dann hat man ein Muster von spektraler

Kohärenz, das unverwechselbar ist. Das ist wie einFingerabdruck der elektrischen Aktivität im Gehirn.

Indem wir diese Technik eingesetzt haben – und wirsind gerade dabei, diese Studie für eine Publikation

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einzureichen –, konnten wir zeigen, dass CFS-Patienten mit einer fast 90%igen Genauigkeit exaktdiagnostiziert werden können, wenn sie keineMedikamente einnehmen. Wenn dagegen weiterhinMedikamente eingenommen werden, konnte man siemit dieser Technik nicht so genau identifizieren. Wirhaben jeden gefragt, ob er/sie vielleicht alleMedikamente absetzen könnte, die eine Auswirkungauf das Gehirn haben, aber manche sagten, ich kanndas einfach nicht, weil ich weiß, was dann passiert, ichhabe das schon mal gemacht, ich habe es probiert, dasMedikament abzusetzen, aber ich fühle mich danachsofort einfach schrecklich. Es ist also möglich, dassdiese Medikation die Inkohärenz in einer Weise beein-flusst, dass sie fast wieder beseitigt war, und natürlichging es den Patienten dann besser.Diese Technik hat die gesunden Kontrollpersonenganz genau klassifiziert und sie hat mit absoluterGenauigkeit Menschen mit einer Depression klassifi-ziert. Das ist also eine Technik, die eingesetzt werdenkönnte, um bei der Diagnose zu helfen, aber ichdenke, das muss noch von anderen Labors und ananderen Patientengruppen überprüft werden, bevorman es als diagnostischen Test empfehlen kann.

Folie Nr. 14

Hier ist eine weitere Studie, auch im letzten halbenJahr veröffentlicht. Das Ergebnis ist wirklich ziemlichdramatisch für jeden von Ihnen, der unter dem leidet,was ich vorhin erwähnte, nämlich der post-exertionalMalaise. Das ist die Zustandsverschlechterung nach

Belastung, einem entschei-denden Merkmal des CFS.Menschen mit dieserKrankheit waren im großenund ganzen körperlich sehrstark und dynamisch, bevorsie krank wurden, dynami-scher und sportlicher als diemeisten ihrer Zeitgenossen.Seit dem Beginn ihrerErkrankung mag leichte kör-perliche Betätigung wie etwaan einem Herbstnachmittageine viertel Stunde lang dieBlätter aufsammeln oder eineRunde um den Block gehen,durchaus anregend sein,während sie das tun, aberinnerhalb von 12 bis 24

Stunden danach müssen sie den Preis dafür bezahlen,und sie fühlen sich, als seien sie von einem Lasterüberfahren worden.

Diese Zustandsverschlechterung nach Belastung istsehr charakteristisch für diese Krankheit, aber wirwaren bislang nicht wirklich in der Lage zu erklären,wie es dazu kommt oder irgendwelche objektivenBelege dafür zu finden, dass bei CFS-Patienten etwasanders ist, wenn sie sich körperlich betätigt haben.

Alan Light und sein Team von der Universität in Utahhaben sich gesagt, wenn körperliche Belastung dasAusmaß an Erschöpfung und Schmerzen beeinflusst,dann lasst uns nach den Molekülen schauen, vondenen wir wissen, dass sie an der Empfindung vonSchmerz und Erschöpfung sowohl beim Menschen

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als auch beim Tier beteiligt sind, und diese Molekülekann man vor der körperlichen Belastung messen undzu verschiedenen Zeitpunkten danach.

Folie Nr. 15

Dies hier sind also die Moleküle, und jedes Molekül istmit einer bestimmte Farbe markiert. Die Einzelheitensind nicht wichtig, aber – nächste Folie, bitte – hierkönnen Sie sehen, was bei gesunden Personen pas-siert, die man systematischer Belastung unterzieht, aneinem Fahrradergometer, das hier sind ihre Werte fürdie Moleküle vor Beginn der Belastung und dann 30Minuten später, acht Stunden, 24 Stunden und 48Stunden nach Beendigung der Belastung. Wie Siesehen können, steigen bei gesunden Menschen nurwenige Moleküle acht und 48 Stunden nach derBelastung an.

Nun, was passiert bei Menschen mit CFS? Also,manchmal ist ein Bild mehr wert als Tausend Worte,und das hier, glaube ich, sagt uns… es sagt uns nicht,welches dieser Moleküle tatsächlich für dieses Gefühl,von einem Laster überfahren worden zu sein, verant-wortlich ist, aber es liefert uns ganz sicher objektive

biologische Beweise dafür, dass bei CFS-Patientenetwas ganz anders ist als bei Gesunden, und das diesdie Unterschiede erklären könnte.

Folie Nr. 16

Was ist mit dem Immunsystem los? Das hier ist eineältere Arbeit. Ich hatte das bereits beim letzten Mal,als ich hier bei Ihrer Organisation eine Rede hielt,zusammengefasst, aber lassen Sie es mich nochmalszusammenfassen.

Bei Patienten mit CFS gibt es eine erhöhte Anzahleiner bestimmten Art weißer Blutzellen, die normaler-weise Viren angreifen. Sie können diese Zellen mes-sen über Moleküle, die sich auf der Oberfläche dieserZellen befinden, und die Zahlen dafür sind beiPatienten mit CFS viel höher.Eine andere Sorte weißer Blutzellen, die NatürlichenKillerzellen, funktionieren bei Menschen mit dieserKrankheit nicht normal. Das könnte ein bedeutender

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Faktor sein, weil diese Zellen sehr wichtig für dieBekämpfung und Eindämmung viraler Infektionensind, genauso wie die Zellen, die ich eben beschrieb.Und schließlich gibt es ein System innerhalb derweißen Blutzellen, das immer dann reagiert, wenn esvon einem Virus angegriffen wird. Dieses Systemwird als 2,5-A-System bezeichnet, und Sie könnensehen, ob dieses System angeschaltet ist, als ob esgegen eine virale Infektion kämpft. Und es ist ange-schaltet bei Menschen mit dieser Krankheit, sehr vielstärker als bei gesunden Kontrollpersonen, und esgibt bestimmte anormale Moleküle, die von diesemSystem produziert werden, die man bei CFS-Patientenfindet, aber nicht bei anderen Personen.

Und dann schließlich die pro-inflammatorischenZytokine. Ich werde darauf nicht viel Zeit verwenden,aber im Prinzip ist es so, dass, wenn Sie eine Grippebekommen wie sie wahrscheinlich jeder hier im Raumschon einmal hatte, dann fühlen Sie sich einige Tageganz schrecklich schlecht. Und der Grund dafür, dassSie sich schlecht fühlen, ist eigentlich nicht das Virus,das in Ihren Körper eingedrungen ist, sondern der derAngriff Ihres Immunsystems gegen das Virus. DasImmunsystem koordiniert seinen Angriff überbestimmte Zellen, die Moleküle ausschütten, die soge-nannten Zytokine, die anderen Zellen vermitteln, wassie zu tun haben. Sie sind der Code, den die Generälebenutzen, um mit den Obersten zu sprechen, und dendie Obersten benutzen, um mit den Soldaten zu spre-

chen. Diese Zytokine wer-den im Verlauf einerGrippe im Gehirn ausge-schüttet, und sie sind derGrund, warum sich dieMenschen krank fühlen.Diese Zytokine sind beiMenschen mit dieserKrankheit abnorm erhöht.

Folie Nr. 18

Der Energiestoffwechsel.Bei einem der internatio-nalen wissenschaftlichenSymposien vor ungefährzehn Jahren hat eineForschergruppe ausAustralien eine Theoriepräsentiert, nach der beidieser Krankheit das

Problem vielleicht sei, dass die Zellen nicht genügendEnergie produzieren, denn die betroffenen Menschenfühlen sich ja insgesamt so, als ob sie nicht genügendEnergie bekämen. Und ich war einer der Zuhörer imRaum, der sagte, das ist einfach zu simpel, wissen Sie,

wäre es nicht schön, wenn es so einfach wäre? Aberich kann das nicht wirklich glauben. Also, da habe ichfalsch gelegen. Aus meiner Sicht gibt es inzwischenmehr als genug Beweise in vielen Studien aus derganzen Welt dafür, dass der Energiestoffwechsel inden Zellen, d.h. die Moleküle, die Ihren Zellen dienötige Energie verschaffen, bei dieser Krankheitbeeinträchtigt sind. Bis jetzt weiß noch niemand, wel-che Faktoren den Energiestoffwechsel in den Zellennegativ beeinflussen, aber eine sehr wohl bekannteUrsache ist eine virale Infektion.

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Gibt es eine genetische Komponente bei dieserKrankheit? Ich glaube, die Antwort darauf lautet: fastsicher ja. Es gibt bestimmte Moleküle, für die es einengenetischen Zusammenhang gibt, die sogenanntenHistokompatibilitätsantigene, die man mit steigenderHäufigkeit oder Prävalenz bei dieser Krankheit findet.Zwillingsstudien, die von meiner früheren KolleginDr. Debora Buchwald in Seattle durchgeführt wordensind, haben gezeigt, dass es bei eineiigen Zwillingeneine etwa 51%ige Vererbbarkeit bei dieser Krankheitgibt, d.h. sie bekommen die Krankheit mit sehr viel

höherer Wahrscheinlichkeit als zweieiige Zwillinge.Neuroendokrine Genvariationen – gibt es Gene, dievon Geburt an einfach unterschiedlichausgeprägt sind, die wir erben, dieanders gebaut sind, als die Versionendes Gens, die man bei den meistenMenschen findet? Es scheint ein paarvon den CDC durchgeführte Studienzu geben, nach denen die Gene unter-schiedlich aufgebaut sind.

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Aber eine wahrscheinlich nützlichereund informativere Art von Studie istnicht eine über den Aufbau der Gene,sondern darüber, wie und welcheGene in den Zellen angeschaltet sind.Jede Zelle Ihres Körpers trägt genauden gleichen Satz an Genen in sich.

Die Zellen in Ihrem Magen, die Magensäure produ-zieren, haben die gleichen Gene in sich wie die Zellenauf Ihrer Netzhaut, die lichtempfindlich sind, undwenn Sie die zwei Zellen nehmen und unter demMikroskop betrachten würden, dann würden sie voll-kommen anders aussehen. Sie sind also offensichtlichganz verschieden, und Sie würden nicht wollen, dassdie Zellen in ihrem Augenhintergrund Säure produ-zieren und Sie würden es wahrscheinlich auch nichtfür sehr sinnvoll halten, wenn die Zellen in IhremMagen Licht sehen könnten.

Was die Zellen unterscheidet ist,dass die Zellen im Auge andereGene an- und abgeschaltet haben alsdie Zellen im Magen, und deshalbsind sie so unterschiedlich. Das istetwas, was wir theoretisch seit 50Jahren wissen, aber erst in den letz-ten zehn Jahren haben wir wirklichdie Technik, um bestimmen zu kön-nen, dass in weißen Blutzellen oderauch anderen Zellen, aber inBlutzellen von Menschen mit CFSandere Gene an- und abgeschaltetsind, als in den Zellen gesunderPersonen oder in den Zellen vonPersonen mit einer Depression oderanderen Krankheiten. Jetzt könnenwir diese Frage beantworten, unddie Antwort ist ja.

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Gene, die verbunden sind mit der Aktivierung desImmunsystems, dem Energiestoffwechsel, denNeurohormonen, die an der Stressreaktion beteiligtsind – viele Studien aus unterschiedlichen Laborenzeigen, dass sie bei Patienten mit dieser Krankheithäufiger aktiviert sind. Warum diese Gene angeschal-tet sind, wissen wir noch nicht. Aber zumindest ist esnoch eine weitere objektive Anomalie bei Menschenmit dieser Krankheit, die sie von gesunden Personenunterschiedet.

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Was ist mit Infektionen? Lassen Sie mich mit ein paargenerellen Bemerkungen über Infektionen als solchebeginnen. Die meisten Infektionen, die wir alsMenschen haben – nehmen Sie zum Beispiel dieGrippe –, sind Infektionen, die kommen und gehen.Ein Virus oder Bakterium dringt in Ihren Körper ein,das Immunsystem reagiert darauf, wir sind eine Weilekrank, aber nachdem das Immunsystem die Schlachtgewonnen hat – was es fast immer tut –, ist das Virusoder Bakterium, das in Ihren Körper eingedrungenist, vollkommen ausgemerzt, es ist verschwunden.Das ist der normale Verlauf einer Infektion.

Wir Menschen haben jedoch alle auch eine ganzeReihe von permanenten Infektionen in uns. Wirhaben Bakterien, die im Darm leben. In Ihrem Darmgibt es mehr Bakterien, als es Zellen in Ihrem Körpergibt. Die Belege dafür, dass diese Bakterien eine sehrwichtige Rolle bei vielen verschiedenen Krankheitenspielen könnten, werden immer mehr. Das ist alles,was ich hier darüber sagen will.

Manche Infektionen kommen und bleiben. Ein gutesBeispiel dafür sind Infektionen mit Herpesviren.Diejenigen unter Ihnen, die schon einmal Herpes-bläschen im Gesicht oder an anderen Körperstellenhatten, wissen, dass dies Beschwerden sind, die kom-men und gehen. Aber was kommt, ist die Beschwerde,was geht ist die Beschwerde, aber das Virus, das sieverursacht, geht niemals weg. Wenn Sie einmal mitdem Virus infiziert sind, dann bleibt das für den RestIhres Lebens in Ihrem Körper. Es ist nicht möglich,dass Ihr Immunsystem Herpesvirus-Infektionenbeseitigen kann. Also, einmal infiziert, immer infiziert.

Der Unterschied ist, dass bei den meisten Menschendiese Virusinfektion, auch wenn sie permanent ist,ruhig gestellt bleibt, vom Immunsystem unterdrücktwird, so dass Sie zwar die Infektion haben – vieleMenschen haben Herpesviren, aber sie bekommenniemals oder nur dann und wann Lippenbläschen.Das Virus ist aber immer noch da. Das gleiche gilt fürandere Arten von Viren wie etwa Retroviren. WennSie einmal damit infiziert sind, dann gibt es keine

Möglichkeit, dass dasImmunsystem diese Virenkomplett ausmerzt. DasBeste, was es tun kann ist,die Viren zu unter-drücken. Das ist ein sehrwichtiges Konzept, undich glaube, das trifft beiCFS zu.

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Eine andere wichtigeSache, die man sich beiInfektionen und dendadurch verursachtenKrankheiten klar machenmuss, ist, dass vieleSyndrome von zahlrei-

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chen unterschiedlichen Mikroben verursacht werdenkönnen. So kann beispielsweise die gewöhnlicheGrippe von sprichwörtlich Hunderten verschiedenerViren verursacht werden. Wenn Sie mit einer gewöhn-lichen Grippe zum Arzt gehen, dann ist es unmöglichfür den Arzt, Ihnen zu sagen, welcher der Hundertevon Viren, die eine Grippe verursachen können, dasjetzt bei Ihnen getan hat. Wir haben Techniken, umeinige dieser Viren zu identifizieren, aber wir setzensie nicht ein, weil es nicht wichtig ist, welches Virus esist, denn die Grippe geht sowieso vorbei.Hepatitis kann ebenfalls von einer Gruppe verschie-dener Viren verursacht werden. Also, viele Syndromekönnen von zahlreichen unterschiedlichen Mikrobenverursacht werden, und ich denke, das wird sich auchfür CFS herausstellen. Manche Krankheiten tretennicht auf, wenn nur ein Infektionserreger in denKörper eindringt, manche Krankheiten bedürfenmehrerer Infektionserreger im Körper, die miteinan-der kooperieren müssen, um Sie krank zu machen.Das ist ein weiteres wichtiges Konzept.

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Als ich das erste Mal bei Ihnen einen Vortraghielt, das war glaube ich im Jahr 1988, habe ichFolgendes gesagt: Infektionserreger könnenwahrscheinlich das CFS auslösen und unterhal-ten, nicht notwendigerweise in allen Fällen, aberin vielen. Die Erreger können vom Immun-system nicht vollständig vernichtet werden, dasheißt, diese Erreger, die das CFS verursachen,können in vielerlei Hinsicht ganz verschiedenvoneinander sein, aber eine Eigenschaft teilen sie:nämlich die, dass sie vom Immunsystem nichtvollständig beseitigt werden können.

Drittens gibt es Belege dafür, dass CFS infolge einerneuen Infektion auftreten kann. Ich habe mehrereStudien aus der Literatur erwähnt, die zeigen, dassMenschen eine neue Infektion bekommen unddanach CFS entwickeln. Aber das waren kleineStudien mit nur wenigen Probanden. Und es ist mög-lich, dass bei CFS verschiedene Infektionserreger mit-einander interagieren und die Symptome erzeugen,von denen ich vorhin sprach. Das waren die Aus-sagen, die wir vor jetzt mehr als zwanzig Jahrengemacht haben. Und diese Aussagen erweisen sichmeines Erachtens als richtig, worüber ich jetzt spre-chen werde.

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Also, welche Infektionserreger wurden mit CFS inVerbindung gebracht? Einer ist das Epstein-Barr-Virus. Es gibt einige CFS-Patienten, bei denen dasCFS nach einer anfänglichen Infektion mit demEpstein-Barr-Virus begann, aber das ist eine Minder-

heit. Es gibt andere CFS-Patienten, dienach einer Q-Fieber-Infektion krank wur-den, einer Infektion, die man hauptsächlichin ländlichen Gemeinden findet, weil dasBakterium, was das Q-Fieber auslöst, dortvorkommt. Ross-River-Virus und Lyme-Borreliose sind beides bakterielle Infek-tionen, die zu CFS führen können, und dasParvovirus ist ein weiteres Virus, das zuCFS führen kann. Wir haben gerade voreinem Monat einen Artikel veröffentlicht,in dem das recht schön aufgezeigt wird. DieArbeit wurde hauptsächlich von JonathanKerr in London durchgeführt. Enterovirensind eine weitere Klasse an infektiösenErregern, die meines Wissens mit CFS in

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Verbindung gebracht werden. Und vielleicht einErreger, der als Bornavirus bezeichnet wird, aber dasist noch nicht sicher. Hier ist ein Herpesvirus mit demNamen Herpes-Virus Typ 6, über den ich ein wenigsprechen werde. Wir haben eine Menge Zeit damitverbracht, das HHV6 zu erforschen. Und dann wirdseit kurzem, seit vergangenem Oktober, einRetrovirus mit dem Namen Xenotropic MurineLeukemia Virus-related Virus,XMRV, diskutiert,über das ich gleichauch noch berich-ten werde.

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Eine sehr wichtigeStudie wurde imJahr 2006 veröf-fentlicht. Sie warvon den CDCorganisiert und inAustralien durch-geführt worden, ineiner sehr kleinenGemeinde in Au-stralien, wo es nureine kleine Gruppean Ärzten gibt, ein

einziges Kranken-haus, ein Labor, einOrt, der von ländli-chen Gemeindenund dann von vielenQuadratkilometernunbewohnter Land-schaft umgeben ist.Die Leute, die indieser Gemeindeleben, werden dortauch medizinischversorgt, auch imHinblick auf fach-ärztliche und fort-laufende Versor-gung, und man kannverfolgen, was mitjedem einzelnenMenschen in dieserGemeinde passiert,

der eine bestimmte Art von Infektion bekommt. Manist deshalb in der Lage, den Verlauf ihrer Krankheitüber mehrere Jahre hinweg zu verfolgen. So etwaskönnte man in Boston, Massachusetts, nicht unbe-dingt machen.

Der Krankheitsverlauf von 256 Patienten mit dreiverschiedenartigen Infektionen wurde über ein Jahr

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hinweg verfolgt und in einem ersten Bericht darge-stellt. 11% dieser Menschen entwickelten ein CFS,und zwar die gleiche Prozentzahl bei jeder dieser sehrunterschiedlichen Infektionserreger. Das CFS trat mitgrößerer Wahrscheinlichkeit bei den Menschen auf,die anfänglich am stärksten erkrankt waren und diediese Zytokine ausgeschüttet haben, diese chemischenVerbindungen im Immunsystem, die, wie ich bereitsgesagt habe, den Angriff gegen einen Infektions-erreger organisieren und die sehr wahrscheinlich dieSymptome des CFS verursachen. Was am wichtigstenwar: man konnte die psychische Verfassung dieserPatienten vor ihrer Erkrankung untersuchen undnachdem sie das CFS entwickelt hatten, und mankonnte keinerlei psychiatrische Faktoren oder sozial-ökonomische oder demographische Faktoren finden,die zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit geführt hät-ten, CFS zu bekommen. Es waren beispielsweise nichtdie Menschen, die in ihrer Krankengeschichte eineDepression hatten, die dann eine in CFS endendeInfektionen bekommen hätten. Das kam zwar vor,aber es kam ebenso häufig vor wie bei Menschenohne Depression. Sie konnten also keinen Zusam-menhang mit psychiatrischen Faktoren finden. Dr.Hickey, der leitende Autor der Studie, ist Psychiaterund hat das untersucht.

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Infektionen mit Enteroviren. Es gibt in Los Angeleseinen Forscher, Dr. John Chia, der hier die meistenArbeiten durchgeführt hat, und solange, bis die Arbeiteines Forschers nicht von vielen anderen repliziert

wurde, nehmen wir die Ergebnisse einer solchenStudie mit Vorsicht auf. Er hat Biopsien von derSchleimhaut des Magens von Menschen mit CFSdurchgeführt, typischerweise von Menschen, die star-ke Magen-Darmprobleme als Teil ihres CFS hatten.Sein Ergebnis: bei CFS-Patienten fanden sich sehr vielhäufiger als bei Gesunden Enteroviren in der Magen-schleimhaut.

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Das hier ist eine Abbildung, die Ihnen zeigt, was ergefunden hat. Die braune Färbung in dieserMagenbiopsie ist eine Färbung des Virus’, und dieshier rechts ist die Färbung eines anderen Virus, dernicht braun färbt. Die Biopsien von Gesunden zeigennicht die braune Färbung nicht, die man bei CFS-Patienten findet. Deshalb ist das Ergebnis seinerStudien recht überzeugend, dass diese Enterovirenim Magen von CFS-Patienten häufiger vorkommen.Ob sie tatsächlich die Krankheit verursachen, istnoch nicht klar.

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Neurologische Befunde hat man bei vielen, aber nichtbei allen CFS-Patienten. Ich beschreibe im EinzelnenEpisoden von Enzephalitis zu Beginn der

Erkrankung, etwas, was man alsAnomalien der weißenGehirnsubstanz bezeichnet – einTeil des Gehirns wird als weißeSubstanz beschrieben, die manauf MRT Scans sieht. Und ichbeschreibe Ihnen auchAnomalien der Gehirnwellen.

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Das Virus mit dem NamenHumanes Herpes-Virus 6 oderHHV6 wurde etwa vor 20 Jahrenentdeckt, obwohl es denMenschen wohl schon seitTausenden von Jahren begleitet.In den vergangenen 20 Jahren, indenen wir und andere das Virusbei CFS untersucht haben, haben

wir herausgefunden, dass es tatsächlich die Zellen desGehirns infizieren kann. Bei Kindern kann dasHHV6 zu epileptischen Anfällen führen. Tatsächlichist es die häufigste Ursache für solche Anfälle beiKleinkindern. Wir haben herausgefunden, dass es im

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Gehirn, also im zentralen Nervensystem, noch Jahrenach der ursprünglichen Infektion persistieren kann,vielleicht auch für immer, dass es nicht nurbei Kindern, sondern auch bei älterenMenschen und bei Menschen mit suppri-miertem Immunsystem, aber auch beiMenschen mit vollkommen gesundemImmunsystem zu Enzephalitis führenkann. Wir haben herausgefunden, dass eszu Demyelinisation führt, eine Zerstörungder Myelinscheiden, die man beispielsweisebei Multipler Sklerose findet, sowohl beiKleinkindern als auch bei Kindern, derenImmunsystem unterdrückt oder auch voll-kommen gesund ist, und dass es einenZusammenhang mit Multipler Sklerose

gibt. In den letzten Jahren bringt man es auch mitTemporallappen-Anfällen in Zusammenhang. Das istinteressant, weil man, wie ich Ihnen vorhin schonsagte, beim Chronic Fatigue Syndrom MRT-Anomalien in der weißen Gehirnsubstanz findet,genauso wie sie bei Multipler Sklerose auftauchen. Ichhabe Ihnen berichtet, dass es Anomalien bei denGehirnwellen gibt, genauso wie bei Menschen mitAnfallskrankheiten. Aber diese Anomalien sindanders. Es heißt also nicht, dass es irgendeinenZusammenhang zwischen CFS und Krankheiten gibt,die mit Demyelinisation einhergehen wie MultipleSklerose oder Temporallappen-Anfällen, aber es lässtdarauf schließen, dass es einen Zusammenhang geben

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könnte, und dass dieser Infektionserreger denZusammenhang bei den Menschen, die dieseAnomalien haben, erklären könnte.

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Die Studien über eine aktive Infektion mit diesemVirus bei CFS, die einen positiven Zusammenhangzeigen – Sie sehen das hier links –, sind sehr viel zahl-reicher als die geringere Anzahl von Studien, die hierkeinen Zusammenhang aufweisen, und die Anzahl derPatienten in den Studien, die zeigen, dass das Virusmit CFS zusammenhängt, ist beinahe zehn mal sohoch wie die Zahl der Patienten in den Studien, beidenen man keinen Zusammenhang gefunden hat. Esgibt da also einen Zusammenhang, glaube ich, zwi-schen diesem Virus und einigen Fällen von CFS. Obdas heißt, dass das Virus das CFS verursacht, mussnoch geklärt werden.

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Und was ist mit dem neuesten hinzugekommenenErreger, dem XMRV? Im vergangenen Oktoberwurde in einer Veröffentlichung in Science, einemsehr renommierten Wissenschaftsmagazin, über denZusammenhang zwischen XMRV und CFS berichtet.Um diese Studie veröffentlichen zu können, musstendie daran beteiligten Wissenschaftler eine Mengezusätzlicher Untersuchungen machen, um ihre Sachefür die Begutachter der Veröffentlichung wirklichüberzeugend zu machen. Das ist ein Bild des Virus.

Es ist ein Retrovirus, bei dem Sie hier links knospen-de Retroviren sehen können, also Viren, die die infi-zierte Zelle verlassen, und rechts können Sie das Virusaußerhalb der Zelle sehen, welches dann andere

Zellen infizieren wird.

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Seite)

Was also sagen sie in dieserStudie? Es ist ziemlichbeeindruckend. Sie sagen,sie hätten die Nukleinsäure,die RNA dieses Virus, oderdie DNA dieses Virusgefunden, nachdem es sichin das humane Gen einge-baut hat, und zwar bei 67%der CFS-Patienten, vergli-chen mit nur 4% der gesun-den Kontrollpersonen. Siesagen, dass sie Proteine desVirus bei 63% der Patientengefunden haben, aber bei

keinem der gesunden Kontrollpersonen. Sie sagen,dass sie das Virus nicht nur in den Zellen gefundenhaben, sondern bei 83% frei im Plasma schwimmend– dem Plasma, dem Blut, das aus einer Mischung ausFlüssigkeit und Zellen besteht. Sie haben es in denZellen gefunden, aber sie haben es auch frei schwim-mend in der Blutflüssigkeit gefunden, also nicht inden Zellen, und zwar bei 83% der kleinen Gruppevon Patienten, die sie getestet haben – aber bei keinerder gesunden Kontrollpersonen. Und sie haben her-ausgefunden, dass die Menschen mit der KrankheitAntikörper gegen dieses Virus gebildet hatten, undzwar 50% der kleinen Gruppe an Patienten, vergli-chen mit keinem der gesunden Kontrollen, die sieuntersucht haben.

Das ist also ein ziemlich beeindruckender Datensatz.Es ist keine perfekte Studie, wie die Autoren derStudie auch zugestehen, denn in einer perfektenStudie würde man alle diese Tests bei sämtlichenPatienten durchführen, und wie Sie sehen, sind diemeisten Tests, drei von ihnen, nur an einer kleinerenPatientenzahl durchgeführt worden als an gesundenKontrollen. Und es gibt andere Faktoren, die dieseStudie zu einer nicht perfekten Studie machen. Aberals jemand, der nie eine perfekte Studie veröffentlichthat, habe ich dafür durchaus Verständnis.

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Aber die Frage ist, konnten andere Forschergruppenin der Welt diese Ergebnisse wiederholen? Aber ande-re Forschergruppen haben tatsächlich nicht einmalversucht, zumindest wurde darüber nichts publiziert,sie haben nicht einmal versucht, sich drei dieser vierFaktoren anzusehen, die die erste Forschergruppeuntersucht hat. Sie haben nur versucht, diesen Teil zu

wiederholen. Und dreiForschergruppen warennicht in der Lage, dieseErgebnisse zu bestäti-gen. Es gibt also zur Zeiteine Art vorläufigerBeurteilung bei denSpezialisten für Infek-tionskrankheiten, dassan dieser Studie etwasfalsch ist und sie mögli-cherweise nicht rechthat.

Ich werde Ihnen meineBeurteilung sagen: wennich mir die drei Artikeldurchlese, bei denen dieErgebnisse nicht bestä-tigt werden konnten,obwohl sie von sehr

fähigen Leuten durchgeführt wurden und obwohl siein vielem ordentliche Arbeit gemacht haben, danngibt es da ein Problem bei allen, was ihre Fähigkeitunterminiert haben könnte, das zu finden, wonach siegesucht haben.Nach meiner Einschätzung hat sich der Staub überdiese Kontroverse noch nicht gelegt, und ich würde

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sagen, wir wissen es noch nicht, ob es einenZusammenhang zwischen diesem Retrovirus undCFS gibt. Aber ich glaube nicht, dass wir ihn deshalbinsgesamt abtun können.

Folie Nr. 35

Was ist, wenn andere Forschergruppen zeigen könn-ten, dass dieses Virus mit CFS zusammenhängt?**Das wäre eine sehr wichtige Entdeckung, aber siewürde erst einmal zu noch mehr Fragen führen. Sozum Beispiel: Gibt es das Virus wirklich? Oh ja, das

gibt es. Wir wissen bereits, dass die-ses Virus ganz real ist. Ob es mitdieser Krankheit imZusammenhang steht muss, wie ichbereits gesagt habe, noch bestätigtwerden. Gibt es denZusammenhang bei einer so hohenProzentzahl von CFS-Patienten –67%, wie das im Oktober 2009berichtet wurde? Das muss nochbestätigt werden. Und ist es dieUrsache des CFS? Das muss auchnoch bestätigt werden. Aber was ist,wenn es sich herausstellt, dass eshier einen Zusammenhang gibt?

**[Anm.d.Ü.: Am 23. August 2010 ist in PNAS eineStudie erschienen, bei der die Ergebnisse der hierdiskutierten Science-Studie von Lombardi/Mikovitsbestätigt wurden. Näheres siehe Anhang.]

Folie Nr. 36 (unten)

Das könnte zweierlei bedeuten. Das einfachste wäre,es könnte bedeuten, dass das Virus tatsächlich eineUrsache des CFS ist, entweder alleine oder inKombination mit anderen Viren, die in uns leben.Oder es könnte bedeuten, dass dieses Virus eigentlichsehr häufig vorkommt, bei den meisten von uns, aberin sehr geringer Anzahl, so dass es schwer ist, es mitden Tests nachzuweisen, die wir mit der heutigenTechnologie haben. Bei CFS ist irgendetwas mit demImmunsystem nicht in Ordnung, wofür ich die Belege

bereits zusammengefasst habe. Es kön-nte sein, dass das Virus in uns schläftund durch die Immundysfunktion zumLeben erweckt wird, aber nicht dieUrsache der Erkrankung ist.Ist es die Kutsche, aber nicht das Pferd?Ist es das Pferd, aber nicht die Kutsche?Es könnte also eine Ursache sein, eskönnte aber auch einfach eine Wider-spiegelung der Krankheit und nicht dieUrsache sein. Und wir wissen offensicht-lich noch nicht einmal, ob es mit CFS imZusammenhang steht, aber wenn dasbewiesen wäre, würden wir mit einemsolchen Zusammenhang immer nochnicht beweisen können, dass es dieUrsache ist.

Aber es gibt Möglichkeiten, herauszufinden, ob es dieUrsache ist, und die naheliegendste wäre, man würdeMedikamente einsetzen, die zumindest im Reagenz-glas das Virus abtöten. Wenn eine solche Medikation

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zu niedrigeren Viruszahlen im Körper führen würdeund die Menschen sich sehr viel besser fühlen wür-den, dann wäre das ein ziemlich guter Beweis dafür,dass es die Ursache war.Aber soweit sind wir noch nicht. Wir wissen nochnicht, ob das Virus mit CFS im Zusammenhang stehtund wir wissen sicherlich auch noch nicht, ob es einverursachender Erreger ist. Obwohl ich mir sehr wün-sche, dass ein einzelner Erreger gefunden würde, deralle Fälle dieser Krankheit erklären könnte – weil dasunser aller Arbeit sehr viel leichter machen würde, dieKrankheit zu verstehen und zu behandeln – habe ichnie geglaubt, dass es so einfach sein wird.

Ich habe einige der Belege für das zusammengefasst,was wir bereits wissen. Von daher glaube ich, dassauch etliche andere Infektionserreger diese Krankheitauslösen können, und vielleicht wird sich XMRV alseiner davon herausstellen. Vielleicht ist XMRV eineweniger häufige, vielleicht eine häufige Ursache, wirwissen das einfach noch nicht.Also, Viren und CFS, um meine eigene derzeitigeMeinung dazu zusammenzufassen: Infektionserreger,die meisten von ihnen Viren, aber auch manchmalBakterien, können wahrscheinlich diese Krankheitauslösen und aufrechterhalten. Ich glaube, dafür gibtes in der Literatur genügend Beweise, um jetzt sagenzu können: das ist ziemlich gut belegt. Diese Erregerhaben alle eines gemeinsam: Sie können vomImmunsystem nicht gänzlich ausgemerzt werden.

Es gibt jetzt solide Beweise dafür, dass CFS einerneuen Infektion folgen kann. Ich habe Ihnen die au-stralische Studie gezeigt, die das zu fast jedermannsZufriedenheit sicher festgestellt hat, und es ist mög-lich, dass bei CFS verschiedene Infektionserreger mit-einander in Wechselwirkung treten und die Symptomeerzeugen.

Wenn beispielsweise XMRV mit dieser Krankheit imZusammenhang steht, dann könnte es sein, dass esirgendein anderes im Körper befindliches Virus zumLeben erweckt und dass man zwei davon zugleichbraucht, um die Symptome dieser Krankheit zu verur-sachen. Das ist zwar schwierig zu beweisen, aber eine

solche Studie ist machbar. Aberwir müssen erst denZusammenhang finden und danndiese Spur verfolgen.

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Um es zusammenzufassen…wenn ich zurückdenke an denersten Vortrag, den ich bei Ihnenvor mehr als zwanzig Jahren hielt,so war das eine Zeit, in der es eineMenge Leute gab, die krankwaren, aber sicherlich fast alle umsie herum, einschließlich derGemeinde der Mediziner, glaub-ten nicht wirklich, dass sie einebiologisch begründete Krankheit

hatten. Und die Mediziner hatten keine diagnosti-schen Tests oder Behandlungsformen zur Verfügung.

Jetzt sind zwanzig Jahre vergangen, wir haben 5000Forschungspublikationen mehr, Hunderte von

Laboren rund um den Globus erforschen dieseKrankheit – wir haben immer noch keineHeilmöglichkeit, wir haben noch nicht einmal einenwirklich guten diagnostischen Test, aber wenn ich mirdas aus der Perspektive des alltäglichen Kampfes einesArztes und Wissenschaftlers ansehe, der dieseKrankheit über zwanzig Jahre hinweg untersucht hat,dann bin ich sehr beeindruckt davon, wie viel wirdoch inzwischen gelernt haben und wie sich die

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Einstellung der Mediziner um mich herum veränderthat. Sie hat sich nicht komplett verändert, nicht indem Ausmaß, wie ich mir das wünschen würde. Esgibt immer noch ein paar Skeptiker, aber eine Studieder CDC über die Einstellung der Ärzte in den USAzum CFS hat ergeben, dass um die 75%-80% in denUSA jetzt davon überzeugt sind, dass CFS wirklicheine biologisch begründete Erkrankung ist. Sie sindsehr frustriert durch diese Krankheit, und sie freuensich nicht immer, Patienten mit dieser Krankheit inihrer Praxis zu sehen. Denn ein Arzt will seinenPatienten gerne eine Lösung anbieten, und wenn einArzt nicht einmal einen diagnostischen Test hat,geschweige denn ein Heilmittel, dann hat er/sie denEindruck, in seiner Verantwortung dem Patientengegenüber zu versagen.

Und ich glaube, das ist einer der Gründe, warum vielemeiner Kollegen einfach nur froh sind, wenn andereÄrzte sich um Patienten mit CFS kümmern und sie esnicht selber machen müssen. Wenn es in den nächstenein oder zwei Jahren grundlegende Fortschritte imHinblick auf einen diagnostischen Test oder eineBehandlung gibt oder sich einfach nur dasVerständnis der Ursachen verbessert, dann, so denkeich, wird sich die Haltung der Ärzte sehr rasch ändern,und Sie werden sehr viel mehr Wissenschaftler finden,die diese Krankheit erforschen wollen und sehr vielmehr Ärzte, die etwas darüber lernen möchten, wie siePatienten mit dieser Krankheit behandeln können.

Und ich bin optimistisch, dass es in den beiden kom-menden Jahren einen schnelleren Fortschritt als bishergeben wird, und zwar aufgrund der Basis an 5000Studien, die in den letzten zwanzig Jahren durchge-führt wurden, seit ich das letzte Mal zu Ihnen gespro-chen habe.

Herzlichen Dank.

AnhangAnthony L. Komaroff hat am 16. September 2010einen weiteren Vortrag zum gleichen Thema als soge-nanntes Webinar der CFIDS Association of Americagehalten: „CFS and the Viral Connection”(1)

Er ging genauer auf einige der Infektionserreger ein,die mit CFS in Verbingung gebracht wurden, u.a.Epstein-Barr Virus (EBV), Humanes Herpesvirus

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(HHV)-6, Q-Fieber, Ross River virus, Lyme Disease,Parvovirus, Borna-Virus, Influenza A (H1N1) virus(Schweinegrippe), Enteroviren, Mykoplasmen undspeziell Retroviren, d.h. XMRV und seine Sequenz-variationen.Seit Komaroffs erstem Vortrag ist eine Studie vonLo/Alter (2) erschienen, die als Replikationsstudie fürdie Original Science-Studie von Lombardi/ Mikovits(3) über den signifikanten Zusammenhang vonXMRV und CFS gelten kann. Hier wurde eineSequenzvariation des XMRV, das Polytropic murineleukemia virus-related virus, PMRV, gefunden, dieman bei einem Teil der Kohorte der Science-Studieebenfalls bestimmen konnte. Die Patienten, die beideVariationen des MLV in sich trugen, also das XMRVund das PMRV, waren dabei die am schwerstenerkrankten Probanden, so Judy Mikovits in ihremVortrag anlässlich einer Konferenz des Fatigatio e.V.am 24.-25. September 2010 in Dortmund.Komaroff gab bei seiner zweiten Rede das Ergebnisdieser neuen Studie zum dritten humanen Retroviruswieder: Von den 37 untersuchten CFS-Patientenerwiesen sich 32 (86,5%) als MLV-infiziert, verglichenmit 3 der 44 gesunden Kontrollpersonen (6,8%).

Bei der Original-Science-Studie wurde das Retroviruszunächst bei 67% der CFS-Patienten und bei 3,75%der gesunden Kontrollpersonen gefunden, allerdingsergab eine nach der Veröffentlichung durchgeführte,erneute Untersuchung der Patientenkohorte mit wei-teren Untersuchungsverfahren als der ursprünglichverwendeten Polymerasekettenreaktion (Antikörper-test, Vermehrung des Virus in einer Zelllinie,Virusisolation), dass 99 der 101 Patienten mit demXMRV infiziert waren.Komaroff berichtete über ein weiteres Detail aus derneuen MLV-Studie von Lo/Alter: Man hatte von vierpositiv getesteten Patienten Blut untersucht, das zweiJahre zuvor abgenommen worden war und stellte fest,

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dass es auch damals bereits infiziert gewesen war.Noch augenfälliger war dies bei acht weiterenPatienten, von denen sieben nach 15 Jahren immernoch positiv getestet wurden. Alle Patienten, auch dernicht mehr positiv getestete, waren weiterhin krank.

In die derzeit noch etwas verwirrende Nomenklaturdes dritten humanen Retrovirus versuchte Komaroffmit obiger Folie ein wenig Klarheit zu bringen:XMRV ist ein Retrovirus, das wahrscheinlich voneinem Mäuseleukämievirus abstammt, dann mutiertist und jetzt den Menschen, aber nicht mehr die Mausbefallen kann – daher der Zusatz xenotrop. DasXMRV ist aber nur eine Sequenzvariation der Gruppeder Murine leukemia virus-related viruses, der MLVs(auch als MRVs bezeichnet). Eine weitere Variationsind die polytropen MRVs, also PMRVs, die sowohlden Menschen, als auch Mäuse und andere Artenbefallen können.

Viele Fragen, so Komaroff, sind hinsichtlich dieseserst 2006 von Robert Silverman beim Menschen ent-deckte Retrovirus (4) noch offen: Was bedeutet dieserstarke Zusammenhang zwischen diesem Retrovirusund CFS? Ist das Virus primär, also die Ursache desCFS, entweder, indem es alleine oder in Kombination

mit anderen Viren agiert, die wir in uns tragen? Oderist das Virus sekundär? Tragen die meisten von uns esetwa in sich und es wird dann durch die Immun-dysfunktion zum Leben erweckt, die wir bei CFSsehen? Dann wäre es nicht die Ursache des CFS.

Klinische Studien, die laut Judy Mikovits noch in die-sem Jahr (2010) beginnen sollen, werden eine ersteAntwort auf diese Fragen liefern. Wenn sich die auf-fälligen und charakteristischen Zytokinprofile derCFS-Patienten durch eine antiretrovirale Behandlungnormalisieren und es den Patienten besser geht, dürf-te man der Antwort auf die Frage nach derVerursachung sehr viel näher kommen.Das Retrovirus ist auch in Deutschland angekommen.Eine Studie von Nicole Fischer und Kollegen von derUniversitätsklinik in Hamburg-Eppendorf (5) habendas Virus im Sputum von 3,2% einer Gruppe vonvorwiegend in Norddeutschland beheimateten,gesunden Personen gefunden – und bei 9,9% einerGruppe immunsupprimierter Patienten. Tests amRobert-Koch-Institut konnten das Virus bislangweder bei CFS-Patienten noch bei Prostatakrebs-patienten bestimmen. Eine größere Studie an CFS-Patienten aus Deutschland steht jedoch noch aus.

R.C.

Literatur und Links:

(1)Kommaroffs zweite Rede vom 16. Sept. 2010:www.youtube.com/solvecfs#p/a/u/0/hyWSNitU-PQwww.cfids.org/webinar/slides-091610.pdf

(2) Detection of MLV-related virus gene sequences in blood ofpatients with chronic fatigue syndrome and healthy blooddonors, Shyh-Ching Lo, Natalia Pripuzova, Bingjie Li,Anthony L. Komaroff, Guo-Chiuan Hung, Richard Wang,and Harvey J. Alter www.pnas.org/content/early/2010/08/16/1006901107.full.pdf+html

(3) Detection of an Infectious Retrovirus, XMRV, in Blood Cellsof Patients with Chronic Fatigue Syndrome, Vincent C.Lombardi, Francis W. Ruscetti, Jaydip Das Gupta, Max A.Pfost, Kathryn S. Hagen, Daniel L. Peterson, Sandra K.Ruscetti, Rachel K. Bagni, Cari Petrow-Sadowski, Bert Gold,Michael Dean, Robert H. Silverman, Judy A. MikovitsScience 23 October 2009: Vol. 326. no. 5952, pp. 585 - 589DOI: 10.1126/science.1179052

(4) Urisman, A., Molinaro, R.J., Fischer, N., Plummer, S.J., Casey,G., Klein, E.A., Malathi, K., Magi-Galluzzi, C., Tubbs, R.R.,Ganem, D., Silverman, R.H., and DeRisi, J. Identification of anovel gammaretrovirus in prostate tumors of patients homo-zygous for R462Q RNase L variant. PLos Pathogens,2(3):e25. Epub 2006. http://ww.lerner.ccf.org/cancerbio/silverman/documents/Urisman2006.pdf

(5) Fischer N, Schulz C, Stieler K, Hohn O, Lange C, Drosten C,et al. Xenotropic murine leukemia virus–related gammaretro-virus in respiratory tract. Emerg Infect Dis. 2010 Jun; [Epubahead of print] www.cdc.gov/eid/content/16/6/pdfs/10-0066.pdf

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„... es gibt eine chronische Inflammation, eine Neuro-Inflammation, und diebringt das gesamte Gleichgewicht der Systeme durcheinander. Die Patientenwerden furchtbar krank. Das Immunsystem ist stark angekurbelt. Es gibtschwere Entzündungsprozesse. Wenn die Ärzte das nur in ihre Köpfe bekä-men, dass es so ähnlich ist wie bei Lupus oder einer dieser wahrhaft inflam-matorischen Krankheiten ... wir haben bei CFS genau ein solches Ausmaß anInflammation. Es gibt ein gewaltiges Ausmaß entzündlicher Prozesse, und imGehirn direkt gibt es sehr viel Inflammation.”„Ich hoffe, Sie wollen nicht behaupten, dass CFS-Patienten nicht so kranksind wie HIV-Patienten. Meine HIV-Patienten sind größtenteils gesund undmunter, dank drei Jahrzehnten intensiver und exzellenter Forschung und derMilliarden Dollar, die man investiert hat. Viele meiner CFS-Patienten hinge-gen sind schrecklich krank und nicht in der Lage zu arbeiten oder sich an derVersorgung ihrer Familien zu beteiligen. Ich teile die Zeit, in der ich Patientenbehandele, zwischen Patienten mit diesen beiden Krankheiten auf, und ichkann Ihnen nur sagen, wenn ich heute im Jahr 2009 zwischen diesen beidenKrankheiten wählen müsste, dann hätte ich lieber HIV.”

***************************

„Der Virus XMRV, davon bin ich nahezu überzeugt, wird nicht nur ein wert-volles diagnostisches Kriterium für CFS werden, sondern seine besonderenEigenschaften werden wahrscheinlich darüber hinaus auch zum größten Teildie Phänomene der Erkrankung erklären können. (...) Ich bin davon über-zeugt, dass in Deutschland die gleiche Grundkonstellation [der Verbreitungdes Retrovirus] mit minimalen regionalen Abweichungen besteht, dass wiraber letztlich annähernd das gleiche finden werden wie in Amerika. Wirhaben hier noch ein methodisches Problem und nicht einen regionalenUnterschied, dass etwa der Virus in Deutschland nicht vorkommt und nurin den USA vorhanden ist. Der Virus ist höchstwahrscheinlich wirklich derzentrale krankheitsauslösende Faktor, und deswegen muss man davon aus-gehen, dass auch in Deutschland das CFS durch diesen Virus ausgelöst wird.(...)Für mich ist das vergleichbar mit der Entdeckung des Helicobacter pylori,der diese prototypische psychosomatische Erkrankung des Magengeschwürsplötzlich zu einer Infektionskrankheit gemacht hat – es hat in Deutschlandeinige Zeit gedauert, ich glaube, da muss man von ein paar Jahren reden, bisdas akzeptiert wurde. (...)

Der Nachweis des Virus wird die wissenschaftliche Wahrnehmung undBetrachtung des CFS dramatisch verändern, und es werden sich etliche wis-senschaftliche Einrichtungen in Deutschland darauf stürzen, das ist völligklar. (...) Wenn sich in nächster Zeit herausstellt, dass auch in Deutschlandder Virus nicht nur vorkommt, sondern mit hoher WahrscheinlichkeitAuslöser der Krankheit ist, dann geht es darum, dass eine antiretroviraleTherapie, die letztlich bereits verfügbar ist, auch dafür genutzt wird.”

„Es ist eigentlich beschämend für uns Mediziner, dass eine Patienteninitiative in Deutschland die Dinge in dieHand nimmt und sich um die Erkrankung kümmert, während die Medizin einfach danebensteht und nicht ein-mal zuguckt.” Wilfried Bieger am Ende der Fachtagung des Fatigatio e.V. am 24.-25. September 2010 in Dortmund

Priv. Doz. Dr. Wilfried Bieger,

München, Spezialist für die

Diagnose und Behandlung von

ME/CFS und anderen Multi-

systemerkrankungen in einem

Interview im Oktober 2010

Nancy Klimas, Professorin und leitende Forscherin am National Institute for Health’s Centre for Multidisciplinary Studies of

CFS Pathophysiology an der Universität Miami und seit Jahrzehnten in der ME/CFS-Forschung tätig.