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Schwermetallkonzentrationen in Skelettfunden lDbersichtsbeitr~ige Obersichtsbeitriige Anthropogene Schwermetallkonzentrationen in menschlichen Skelettfunden als Monitor frfiher Umweltbelastungen Gisela Grupe Institut fiir Anthropologie der Georg-August-Universit/it, Bfirgerstr. 50, W-3400 G6ttingen Zusammenfassung. Uberregionale Umweltbelastungen durch anthropogenen Schwermetalleintrag sind ein Ph~inomen, das sich nicht nur auf das Industriezeitalter beschriinkt, sondern bereits seit mehr als tausend Jahren nachweisbar ist. Menschliche Skelettreste, die bei archfiologischen Ausgrabungen aufgedeckt werden, bilden die einzige verffigbare ,Gewebeprobe", welche Auskunft fiber die Schadstoffbelastung frfiher Bev61kerungen geben kann. Solche hi- storiscbe Betrachtungsweisen liefern die erforderlichen Basisdaten fiber die ,,natfirlichen" Metallkonzentrationen im Skelett, an die der Organismus entwicklungsgeschichtlich adaptiert ist. Sie setzen gleichzeitig Maflstiibe fiir die Festlegung tolerierbarer Belastungen in der heutigen Zeit. Die bisher vorliegenden Ergebnisse legen na- he, angesichts m6glicher kumulativer Effekte bei der Inkorporie- rung von Schadstoffen die Grenze der heute als ,,normal" einge- sch~itzten Schwermetallgehalte im menschlichen K6rper deutlich niedriger anzusetzen. 1 Problemstellung Der anthropogene Eintrag yon Schadstoffen - insbesonde- re von Schwermetallen - in die Umwelt hat eine zeitliche Dimension, welche bis weir vor die Industrialisierung zu- riick datiert. Der Terminus ,,Altlasten" triigt dieser Er- kenntnis Rechnung. Die rapide zunehmende Umweltbelast- ung in jiingster Zeit darf nicht davon ablenken, daft es sich um Prozesse mit exponentiellem Charakter handelt, die z.T. vor mehr als 2000 Jahren begonnen haben. Der Blei- gehalt des Gr6nlandeises betrug z.B. noch um 800 v. Chr. weniger als 0,001/~g/kg Eis und stieg dann bis ca. 1960 auf mehr als 0,2/ag/kg Eis (MuRoZUMI et al., 1969; vgl. auch NG & PATTERSON 1981). Die Zunahme betrug dabei rund das Zwanzigfache wfihrend der letzten zweihundert Jahre und etwa das Zehnfache wahrend der acht Jahrhun- derte davor. Gemessen an der Zeitspanne, innerhalb der sich der Mensch evolutiv entwickelte, sind 1 000 Jahre ein vernachlassigbarer Zeitraum in bezug auf m6gliche physio- logische Adaptationen gegenOber einer veranderten bio- oder geochemischen Umwelt. Der Abbau und die Aufbereitung von Rohmaterialien (z.B. metallfiihrendes Gestein, aber auch Kohle und Erd61) fiihrt zuniichst zu einer lokal begrenzten St6rung des naturgege- benen geochemischen Elementflusses vonder Litho- in die Biosph~ire. Das Ausmafl dieses anthropogenen Flusses wird heute weltweit auf ca. 1,5 x 109 Tonnen j~ihrlich geschiitzt (SoLovIEV & EVTEEV 1986). Jede unphysiologische Erh6- hung von Elementen in der Umwelt - die auf dem Wege der Nahrungsaufnahme, Inhalation oder auch durch Haut- kontakt in den Organismus inkorporiert werden k6nnen - fordert eine Reaktion des betroffenen Individuums. Ffir den anthropogenen Eintrag von Schadstoffen sind in der Regel keine oder nur begrenzt effektive physiologische Exkre- tionsmechanismen vorhanden, so daft die Elemente in ver- schiedenen Kompartimenten des K6rpers mit einer langj~ih- rigen biologischen Halbwertszeit abgelagert werden (z.B. im Skelett: Pb, Cd; in der Leber und Niere: Cd; in Haaren und Nfigeln: As). Die Inkorporierung von Schwermetallen in den menschli- chen Organismus ist individuell hoch variabel und durch prdventive Maflnahmen auch steuerbar. Es ist daher nicht ausreichend, nur die Metallkonzentrationen in den Umwelt zu messen, um ein Maff ffir die potentielle Belastung der Be- v61kerung zu erhalten, sondern es miissen die Individuen selbst beobachtet werden, um die tatsiichliche Belastung er- mitteln zu k6nnen. In der Klinischen Medizin erfolgt dies heute durch die Bestimmung von Metallgehalten etwa der K6rperfliissigkeiten oder in den keratinisierten Hartsub- stanzen. Der heutige globale Eintrag von Schwermetallen in Form von Aerosolen auch in industriell nicht erschlossene Gebie- te macht es unm6glich, die natiirlichen Elementgehalte im menschlichen Organismus zu bestimmen, d.h. jene Kon- zentrationsbereiche, an die der Mensch im Verlauf seiner Stammesgeschichte adaptieren konnte (,physiological zero point", DRASCH1982). Ebenso, wie die Analysen der arkti- schen und antarktischen Eismassen als Monitor fiir die at- mosph~irische Schwermetallbelastung in der Geschichte herangezogen werden k6nnen, muff nach geeigneten Moni- toren fiir die tats/ichliche menschliche Belastung gesucht werden, um den ,,physiologischen Nullpunkt" bestimmen und den geschichtlichen Hintergrund unserer heutigen Si- tuation erkennen zu k6nnen. K6rperliche Relikte von Menschen aus pr~ihistorischen und historischen Zeiten, die so regelm/iffig und hiiufig fiberlie- fert sind, daft eine Erfassung breiter Bev61kerungsschichten 226 uwsr ~ z. Umweltchem. Okotox. 3 (4) 226- 229 (1991) 9 ecomed verlagsgesellschaftmbh, Landsberg 9 Zfirich

Anthropogene Schwermetallkonzentrationen in menschlichen Skelettfunden

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Schwermetallkonzentrationen in Skelettfunden lDbersichtsbeitr~ige

Obersichtsbeitriige

Anthropogene Schwermetallkonzentrationen in menschlichen Skelettfunden

als Monitor frfiher Umweltbelastungen

Gisela Grupe

Institut fiir Anthropologie der Georg-August-Universit/it, Bfirgerstr. 50, W-3400 G6ttingen

Zusammenfassung. Uberregionale Umweltbelastungen durch anthropogenen Schwermetalleintrag sind ein Ph~inomen, das sich nicht nur auf das Industriezeitalter beschriinkt, sondern bereits seit mehr als tausend Jahren nachweisbar ist. Menschliche Skelettreste, die bei archfiologischen Ausgrabungen aufgedeckt werden, bilden die einzige verffigbare ,Gewebeprobe", welche Auskunft fiber die Schadstoffbelastung frfiher Bev61kerungen geben kann. Solche hi- storiscbe Betrachtungsweisen liefern die erforderlichen Basisdaten fiber die ,,natfirlichen" Metallkonzentrationen im Skelett, an die der Organismus entwicklungsgeschichtlich adaptiert ist. Sie setzen gleichzeitig Maflstiibe fiir die Festlegung tolerierbarer Belastungen in der heutigen Zeit. Die bisher vorliegenden Ergebnisse legen na- he, angesichts m6glicher kumulativer Effekte bei der Inkorporie- rung von Schadstoffen die Grenze der heute als ,,normal" einge- sch~itzten Schwermetallgehalte im menschlichen K6rper deutlich niedriger anzusetzen.

1 Problemstellung

Der anthropogene Eintrag yon Schadstoffen - insbesonde- re von Schwermetallen - in die Umwelt hat eine zeitliche Dimension, welche bis weir vor die Industrialisierung zu- riick datiert. Der Terminus ,,Altlasten" triigt dieser Er- kenntnis Rechnung. Die rapide zunehmende Umweltbelast- ung in jiingster Zeit darf nicht davon ablenken, daft es sich um Prozesse mit exponentiellem Charakter handelt, die z.T. vor mehr als 2000 Jahren begonnen haben. Der Blei- gehalt des Gr6nlandeises betrug z.B. noch um 800 v. Chr. weniger als 0,001/~g/kg Eis und stieg dann bis ca. 1960 auf mehr als 0,2/ag/kg Eis (MuRoZUMI et al., 1969; vgl. auch NG & PATTERSON 1981). Die Zunahme betrug dabei rund das Zwanzigfache wfihrend der letzten zweihundert Jahre und etwa das Zehnfache wahrend der acht Jahrhun- derte davor. Gemessen an der Zeitspanne, innerhalb der sich der Mensch evolutiv entwickelte, sind 1 000 Jahre ein vernachlassigbarer Zeitraum in bezug auf m6gliche physio- logische Adaptationen gegenOber einer veranderten bio- oder geochemischen Umwelt.

Der Abbau und die Aufbereitung von Rohmaterialien (z.B. metallfiihrendes Gestein, aber auch Kohle und Erd61) fiihrt zuniichst zu einer lokal begrenzten St6rung des naturgege- benen geochemischen Elementflusses vonder Litho- in die

Biosph~ire. Das Ausmafl dieses anthropogenen Flusses wird heute weltweit auf ca. 1,5 x 109 Tonnen j~ihrlich geschiitzt (SoLovIEV & EVTEEV 1986). Jede unphysiologische Erh6- hung von Elementen in der Umwelt - die auf dem Wege der Nahrungsaufnahme, Inhalation oder auch durch Haut- kontakt in den Organismus inkorporiert werden k6nnen - fordert eine Reaktion des betroffenen Individuums. Ffir den anthropogenen Eintrag von Schadstoffen sind in der Regel keine oder nur begrenzt effektive physiologische Exkre- tionsmechanismen vorhanden, so daft die Elemente in ver- schiedenen Kompartimenten des K6rpers mit einer langj~ih- rigen biologischen Halbwertszeit abgelagert werden (z.B. im Skelett: Pb, Cd; in der Leber und Niere: Cd; in Haaren und Nfigeln: As).

Die Inkorporierung von Schwermetallen in den menschli- chen Organismus ist individuell hoch variabel und durch prdventive Maflnahmen auch steuerbar. Es ist daher nicht ausreichend, nur die Metallkonzentrationen in den Umwelt zu messen, um ein Maff ffir die potentielle Belastung der Be- v61kerung zu erhalten, sondern es miissen die Individuen selbst beobachtet werden, um die tatsiichliche Belastung er- mitteln zu k6nnen. In der Klinischen Medizin erfolgt dies heute durch die Bestimmung von Metallgehalten etwa der K6rperfliissigkeiten oder in den keratinisierten Hartsub- stanzen.

Der heutige globale Eintrag von Schwermetallen in Form von Aerosolen auch in industriell nicht erschlossene Gebie- te macht es unm6glich, die natiirlichen Elementgehalte im menschlichen Organismus zu bestimmen, d.h. jene Kon- zentrationsbereiche, an die der Mensch im Verlauf seiner Stammesgeschichte adaptieren konnte (,physiological zero point", DRASCH 1982). Ebenso, wie die Analysen der arkti- schen und antarktischen Eismassen als Monitor fiir die at- mosph~irische Schwermetallbelastung in der Geschichte herangezogen werden k6nnen, muff nach geeigneten Moni- toren fiir die tats/ichliche menschliche Belastung gesucht werden, um den ,,physiologischen Nullpunkt" bestimmen und den geschichtlichen Hintergrund unserer heutigen Si- tuation erkennen zu k6nnen.

K6rperliche Relikte von Menschen aus pr~ihistorischen und historischen Zeiten, die so regelm/iffig und hiiufig fiberlie- fert sind, daft eine Erfassung breiter Bev61kerungsschichten

226 uwsr ~ z. Umweltchem. Okotox. 3 (4) 226- 229 (1991) �9 ecomed verlagsgesellschaft mbh, Landsberg �9 Zfirich

Ubersichtsbeitrfige Schwermetallkonzentrationen in Skelettfunden

auf statistischem Wege m6glich wird, sind in Form der Ske- lette gegeben, welche bei archfiologischen Ausgrabungen aufgedeckt werden. Der Knochen, dessen anorganische Matrix aus Hydroxylapatit besteht, geh6rt zu den Speicher- organen fiir einige umweltrelevante Schwermetalle, so da~ Skelettfunde als Monitor fiir Umweltbelastungstrends her- angezogen werden k6nnen. Wfihrend der Knochen das spe- zifische Speicherorgan for Pb ist ( > 90 % des Gesamt-Blei- gehaltes des Organismus befindet sich im Skelett und in den Zfihnen), sind die Mengen an Cd und As im Skelett nur ge- ring. Da jedoch der Masseanteil des Skelettes im K6rper wiederum sehr hoch ist, darf auch ffir diese beiden Elemen- te eine realistische Absch~itzung der Gr6t~enordnung der Belastung mit Hilfe von Knochenproben angenommen werden.

Die Speicherung umweltrelevanter Daten erlaubt es, auf vergleichendem Wege diachrone Umwehver~inderungen zu verfolgen. Die Analyse von archfiologischen Skelettfunden ist geeignet, die beobachtbare Zeitspanne fiir an menschli- chen Geweben erhobene Daten erheblich zu erweitern und die erforderlichen Hintergrundinformationen ffir anthropo- gen weitestgehend unbeeinflut~te Basisdaten zu erbringen (BRATTER et al., 1988).

- 5 min Atzen im Ultraschallbad mit 99 % HCOOH, da- nach Waschen in aqua bidest, bis zur Neutralitfit,

- Trocknen der Probe bei 50 ~ - Wiegen der Probe, - Veraschen im Muffelofen fiir 12 h bei 500 ~ erneutes

Wiegen, - Homogenisieren der Probe im Achatm6rser, - Naflaufschluf~ yon ca 50 mg homogenisierter Probe in

1 ml HNO 3 (suprapur) unter Druck fiir 6 h bei 160 ~ (Druckaufschlut~apparatur der Fa. Seif),

- Aufffillen der abgekiihlten Probe mit 9 ml aqua bidest. gegebenenfalls weitere Verd/innung dieser Stamml6sung zur Messung,

- M e s s u n g mittels flammenloser AAS (Perkin Elmer, Typ 1100B, ausgerfistet mit Graphitrohrkfivette HGA 300 und Autosampler AS 40 bzw. Hydridsystem MHS 20).

Qualit~itskontrolle: IAEA Standard ,,animal bone H-5".

Aufgrund der vergleichsweise hohen inter-individuellen Va- riabilitiit von Spurenelementgehalten im menschlichen Ske- lett sind die Mef~daten nur in Ausnahmeffillen individua- lisierbar und erfolgen fiberwiegend auf dem Gruppen- niveau.

2 M e t h o d e

In met~technischer Hinsicht unterscheidet sich die Spuren- elementanalyse von bodengelagerten Knochen nicht von je- ner an rezenten Knochenbiopsienl; sie erfordert jedoch ei- nige spezielle Schritte w~ihrend der Probenaufbereitung. Wfihrend der Liegezeit im Erdreich kommt es in Abhiingig- keit vom pH-Wert des Sedimentes zur Hydrolyse des Apa- tits mit anschlieflender Rekristallisation unter Einschluf~ yon Fremdionen aus dem Erdreich (NEWESELY 1989). Um m6gliche liegebedingte Kontaminationen zu erkennen, soil- ten daher auch stets Bodenproben aus dem Grabungsareal mit untersucht werden, deren Entnahme sich vorzugsweise an der Exhumierungstechnik der forensischen Medizin orientieren sollte. Eine Kontaminationskontrolle durch in- ternen Vergleich der erhobenen Spurenelementprofile schlagen PATTERSON et al. (1987) vor. Die postmortalen Rekristallisationsprodukte sind in der Regel leichter 16slich als der native Hydroxylapatit und k6nnen durch Saurebe- handlung quantitativ entfernt werden. Ferner werden bo- dengelagerte Knochenproben vor der Messung auf ihren Aschegehalt reduziert, da aufgrund des variablen Gehalts konservierter organischer Substanz (< 1 - 2 5 %) sonst ei- ne Vergleichbarkeit der einwaagebezogenen Mefldaten nicht ohne weiteres m6glich ist. Die Bearbeitungsschritte im einzelnen:

- Entnahme einer kompaktkn6chernen Probe (ca. 1 g) aus der Diaphyse 2 eines langen R6hrenknochens (GRu- PE 1988),

- mechanisches Entfernen anhaftenden Sedimentes, - Etherextraktion ( 4 - 6 h i m Soxhlet),

I Knochenbiopsie: Vom Lebenden enmommene Gewebeprobe des Knochens

2 Diaphyse: Schaft eines R6hrenknochens

3 Befunde

Eine systematische Erfassung des Pb-Gehaltes in den Ske- letten vorindustrieller Bev61kerungen hat durch die Arbei- ten von WALDRON (z.B. WALDRON 1988) fiir Grot~britan- nien Tradition. Die Bleigewinnung erfuhr dort in der R6- merzeit eine frfihe Bliite, deren Auswirkungen sich bis heute als ,geochemische hot-spots" feststellen lassen und erhebli- che Konsequenzen fiir die Agrarwirtschaft haben (THORN- TON & ABRAHAMS 1984). Vergleichbare Met~werte werden derzeit im Rahmen einer Studie zur Rekonstruktion des Er- niihrungsverhaltens historischer Bev61kerungen erarbeitet (GRuvE 1990), wobei neben Pb auch Cd und As beriick- sichtigt werden. Die zur Zeit verfiigbare Datenmenge ist ffir Cd und As noch sehr gering, liiflt aber fiir Pb bereits eindeu- tige Trends erkennen (~ Abb. 1 -3).

Bei der Beurteilung der gemessenen Elementkonzentratio- nen ist zu bedenken, dat~ der geochemische Hintergrund lo- kal stark differieren kann. Aufgrund der weitgehend bekannten hydro-, geo- und biochemischen Transportwege fiir Pb (in Relation zu Ca) kann man abet davon ausgehen, daft der natiiriiche Pb-Gehalt calcifizierter biologischer Hartgewebe um Gr6f~enordnungen kleiner sein muff als der des anstehenden Gesteins und Sedimentes; eine Ann~ihe- rung dieser Konzentrationen ist ein neuzeitliches Ph~inomen durch den industriellen Schwermetalleintrag (ELIAS et al., 1982).

Aus Abb. 1 wird deutlich, dat~ physiologische, ,natfirli- che", Pb-Gehalte des menschlichen Skelettes zwischen < 1 und 3 ppm liegen. Dies entspricht dem ,physiologischen Nullpunkt" von 0 , 5 - 2 ppm, den DRASCH (1982) auf- grund seiner Untersuchung pr~ihistorischer Bev61kerungen postuliert. Vom Hochmittelalter an, also zur Zeit der be-

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Schwermetallkonzentrationen in Skelettfunden Obersichtsbeitr/ige

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Jhdt.

Abb. 1: Pb-Gehalte in menschlichen Skelettfunden. Numerierung der Fundorte: 1: Wittmar, Ldkr. Wolfenbfittel (neolithisch, ca. 5. Jahrtausend v. Chr.); 2: Altenerding, Ldkr. Erding; 3: Rajhrad (biiuerliche Siedlung nahe Briinn, CSFR): 4: Haitha- bu (Wikingersiedlung nahe Schleswig), 5: Espenfeld (nahe Er- furt); 6: Osnabrfick; 7: Schleswig (Dominikanerkloster); 8: Mfinster (Domherrenfriedhof des St. Paulus-Domes); 9: Ba- denhausen, Ldkr. Osterode

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Jhdt.

Abb. 3: As-Gehalte in menschlichen Skelettfunden (Numerierung der Fundorte, vgl. Abb. 1)

ginnenden Urbanisierung Mitteleuropas, ist dann ein deut- licher Anstieg der Pb-Belastung feststellbar, wobei Kon- zentrationen > 10 ppm erstmals in den friihst/idtischen, aber noch nicht in den landlichen Gebieten gefunden wer- den. Auffallig ist der deutlich erh6hte Pb-Gehalt in den Ske- letten von Angeh6rigen des Klerus und die auflergew6hn- lich hohen Pb-Konzentrationen in den Skeletten von Baden- hausen (-~ Abb. 1).

Zu den Ursachen der vorindustriellen Pb-Exposition (Sil- bergewinnung, Metallverarbeitung, Pigmente, Pb-haltige Ornamente und Eflgeschirre, Pb-haltige Nahrungszusatze) vgl. z.B. LANSDOWN ~X~ YULE 1986; WALDRON 1988. Das Expositionsrisiko des Klerus als geschlossene Sozialgruppe erklart sich aus der unmittelbaren Lebensumwelt, z.B. durch die regelmat~ige Herstellung und Applikation metall- haltiger Pigmente, wie sich auch an den erh6hten As-Kon-

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Jhdt.

Abb. 2: Cd-Gehalte in menschlichen Skelettfunden (Numerierung der Fundorte, vgl. Abb. 1)

zentrationen der Skelette andeutet ( - Abb. 3). Die Skelette aus Badenhausen (Ldkr. Osterode) jedoch bedfirfen beson- derer Beachtung, da diese aus einem traditionsreichen Erz- bergbaugebiet stammenden Individuen im Vergleich mit kontemporaren Bev61kerungen aus anderen Regionen be- reits vom 10. Jh. an als hochkontaminiert bezeichnet wer- den mtissen.

Im Vergleich mit rezenten Pb-Gehalten in Skeletten von In- dividuen ohne klinische Anzeichen einer Intoxikation (z.B. ca. 26 ppm, QUARTERMAN 1986; 4--72 ppm, FERGUSSON 19903; jeweils bezogen auf den Aschegehalt) wtirden die Skelettfunde aus Badenhausen sich zwar an der oberen Grenze heutiger ,normaler" Pb-Belastung ansiedeln, jedoch ohne dat~ damit zwangslaufig eine klinische Signifikanz ver- bunden ware. Ohne Zweifel hat die durchschnittliche Pb- Inkorporierung seit dem 19. Jh. trotz steigendem indu- striellem Eintrag deutlich abgenommen, als Zeichen der Ef- fizienz praventiver Mai~nahmen (WALDRON 1988). Es stimmt jedoch nachdenklich, dat~ die heute als ,,normal", und daher als prinzipiell unbedenklich erachteten Pb- Gehalte des Skelettes - welche aufgrund der hohen Spei- cherkapazitat ffir dieses Metall reprfisentativ fiir die Ge- samtbelastung sind - noch immer rund 1 000 % und mehr gegenfiber dem physiologischen Nullpunkt erh6ht sind. Die sehr hohe inter-individuelle Reaktionsbreite ge-

3 Valide Vergleichsdaten fiir den Schwermetallgehalt des menschlichen Skelettes sind nicht leicht beizubringen. Die Hauptursache liegt darin begrfindet, daft keine einheidiche Praxis besteht in bezug auf Probenauswahl (Compacta oder Spongiosa) und Probenvorbereitung. Die Meflwerte werden entweder auf das Frischgewicht, das Trockengewicht oder den Aschegehalt der Probe bezogen, ohne daft zum gegenw~irtigen Zeitpunkt zuverliissige Konvertierungsfaktoren vorhanden sind. Aus technischen und inhaltlichen Griinden bezieben sich Spurenelement-Konzentrationen f/Jr bodengelagerte Knochen auf den Aschege- halt kompaktkn6cberner Proben. Somit reduziert sich die Menge publizierter rezenter Vergleichsdaten erheblich. Eine der neuesten Kompilationen zum Schwermetallgehalt menschlicher Hartgewebe hat FERGUSSON (1990) vorge- legt. Die Datendichte fiir Pb ist relativ hoch, im Gegensatz zu Cd. Unter Be- rficksichtigung der Tatsache, dal~ Spurenelement-Konzentrationen, bezogen auf den Aschegehalt, wegen des Gewichtsverlustes stets h6her liegen als bezo- gen auf das Frischgewicht derselben Probe, bewegen sich rezente Cd-Gehalte /iberwiegend bereits im ppm-Bereich, w~ihrend sich jene f~r historische Proben noch im ppb-Bereich befinden (~ Abb. 2).

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lDbersichtsbeitr/ige Schwermetallkonzentrationen in Skelettfunden

genOber der Exposition verschiedenster Umwelt-Schadstof- fe l~ift somit kaum eine Aussage darOber zu, wann es zu kli- nischen Symptomen kommen wird. Gerade beim Blei hat eine langandauernde Exposition auch gegenOber kleinen Dosen Konsequenzen, vor allem bei nichterwachsenen In- dividuen. Es ist darOberhinaus v611ig unm6glich, die kumu- lative Wirkung mehrerer Umwelt-Schadstoffe im mensch- lichen K6rper zu definieren, auch wenn jeder Schadstoff for sich genommen noch innerhalb jener Konzentrationsgren- zen liegt, in denen fiir diesen bestimmten Stoff allein noch keine gesundheitliche Beeintr~ichtigung zu erwarten ist.

In Anbetracht der kurzen Zeitspanne, in der die Pb-Gehalte menschlicher Hartgewebe sich vervielfacht haben, mfissen Uberlegungen zur Adaptation an die erh6hte Umwehexpo- sition in Frage gestellt werden. Der ,physiologische Null- punkt", der sich ausschlieflich aus der Analyse pr~ihisto- rischer Bev61kerungen ermitteln l~ift, sollte als Mafstab for die Festsetzung klinisch unbedenklicher Schwermetallbela- stungen herangezogen werden. Analog zu 0berlegungen, die tolerierbare Schwermetallbelastung in Kulturb6den be- treffend (KLoKE 1980), miifte auch eine Senkung der Obergrenze for tolerierbare Schwermetalle in menschlichen Geweben in Betracht gezogen werden.

)~hnliche Uberlegungen for Cd anzustellen, wSre aufgrund der z.Zt. noch sehr begrenzten Datenmenge verfrOht. Den- noch deutet sich an, daft auch hier der ,physiologische Nullpunkt" deutlich unterhalb des modernen Cd-Gehaltes im Knochen (bis 4,8 ppm, Aschegehalt; FERGUSSON 19903) liegt. Cd kommt ebenso wie Pb in Eisen- und Kupfererzen vor, so da~ mit der Zunahme des vorindustriellen Pb- Eintrages auch eine erh6hte Cd-Exposition erwartet wer- den darf. Diese zeigt sich als geochemische Anomalie in Ge- bieten fr0her Bergbauaktivit/it (THORNTON & ABRAHAMS 1984). Kt]STER (1986) findet eine Akkumulation von Cd lokal bereits seit rund 2 000 Jahren in Korrelation mit ei- nem ROckgang von Buchenpollen, als Zeichen eines enor- men Holzbedarfs als Energietriiger Rir die Metallgewin- nung. Prinzipiell ist demnach auch for den anthropogenen Cd-Eintrag eine gr6fere zeitliche Dimension anzusetzen, als vordergrfindig erwartet.

4 Schluflfolgerungen

Umwelthistorische Betrachtungsweisen sind geeignet, nicht nur die Entstehungsgeschichte heutiger Okosysteme besser zu verstehen, sondern vor allem auch, fundierte Maflst~ibe for die Einsch/itzung moderner Umweltprobleme zu liefern. Die Untersuchung yon Skelettfunden bietet hier die einzig- artige Gelegenheit, die Exposition der menschlichen Bev61- kerung direkt im Nachhinein quantitativ zu bestimmen. Die beginnende Zusammenarbeit mit anderen" wissen- schaftlichen Disziplinen er6ffnet zunehmend verbesserte Einsichten in das tats~ichliche Ausmaf unserer modernen ,,Altlasten". Ihre historische Dimension ist erschreckend hoch; bereits im Mittelalter hatte die vorindustrielle Um- weltverschmutzung mehr als nut lokalen Charakter: rd. 1 000 Jahre altes Schwemmsediment im Weserbecken tr/igt die Signatur des Harzbergbaues (ORTLAM 1989), vermut-

lich begfinstigt durch die verst/irkte Erosion als Folge des Holzeinschlages. Derartige retrospektive Betrachtungen sollten Anlaf dazu geben, auch bei der Entwicklung yon Pr~iventivmaflnahmen ;con adiiquaten zeitlichen Mafst/iben auszugehen.

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UWSF-Z. Umweltchem. ~)kotox. 3 (4)1991 229