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M. Korthals Altes A. Kurz Antidepressiva bei Demenzerkrankungen Z Gerontol Geriat 33:396–400 (2000) © Steinkopff Verlag 2000 ORIGINALARBEIT ZGG 942 Eingegangen: 2. Juli 1999 Akzeptiert: 11. Februar 2000 M. Korthals Altes ( ) · A. Kurz Klinik und Poliklinik fu ¨r Psychiatrie und Psychotherapie Technische Universita ¨t Mu ¨nchen Ismaninger Strasse 22 D-81675 Mu ¨nchen Antidepressants for demented patients Zusammenfassung Antidepressiva werden bei dementen Patienten so- wohl zur Behebung depressiver Zielsymptome als auch zur Behand- lung von anderen nicht-kognitiven Sto ¨rungen wie Unruhe, Aggression und Erregung eingesetzt. Da es sich in der Regel um a ¨ltere Patienten handelt, ist hierbei bei allen verwen- deten Substanzklassen auf eine Do- sisanpassung zu achten. Hauptsa ¨ch- lich sollten heute zur Depressionsbe- handlung die neueren Antidepressi- va, also SSRI’s und reversible MAO-Hemmer, zum Einsatz kom- men, die im Vergleich zu den trizy- klischen Antidepressiva in der Wir- kung ebenbu ¨rtig sind, im Nebenwir- kungsspektrum sowie in Bezug auf Einfachheit und Sicherheit der An- wendung jedoch deutliche Vorteile aufweisen. Eine Verbesserung der kognitiven Leistungsfa ¨higkeit ist je- doch auch von den neuen Substan- zen nicht zu erwarten. Zur Behand- lung von Unruhe, Aggression und Erregung werden heute vielfach niedrigpotente Neuroleptika und Benzodiazepine eingesetzt, die je- doch gerade bei dementen Patienten aufgrund ihrer Nebenwirkungen pro- blematisch sind. Hier bieten sich als Alternative die Antidepressiva Tra- zodon und Citalopram an. Insgesamt mu ¨ssen alle Therapieempfehlungen derzeit mit der Einschra ¨nkung gege- ben werden, dass alle in Frage kom- menden Substanzklassen bisher nur an kleinen Patientenstichproben un- tersucht wurden. Schlu ¨ sselwo ¨rter Antidepressiva – Demenz – Depression Summary Antidepressants are used in demented patients for treating de- pressive symptoms as well as other non-cognitive symptoms including agitation, aggression and irritability. As patients are usually elderly, a dose adjustment is mandatory for all classes of antidepressants. New anti- depressants such as the SSRIs and the reversible MAO inhibitors should be the first-line agents in these patients, because their efficacy is not different from that of classic TCA, but they have advantages re- garding frequency of adverse ef- fects, ease of use and safety. Im- provement in cognitive performance, however, may not be expected from the new antidepressants. For the treatment of agitation, aggression and irritabiltiy, antipychotics and benzodiazepines are in frequent use, although their adverse effects are particularly problematic in demented patiens. Good alternatives are the antidepressant trazodone and citalo- pram. All medications mentioned have been studied on small patient samples, so treatment recommenda- tions must be given cautiously. Key words Antidepressants – dementia – depression

Antidepressiva bei Demenzerkrankungen

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Page 1: Antidepressiva bei Demenzerkrankungen

M. Korthals AltesA. Kurz

Antidepressiva bei Demenzerkrankungen

Z Gerontol Geriat 33:396–400 (2000)© Steinkopff Verlag 2000 ORIGINALARBEIT

ZG

G942

Eingegangen: 2. Juli 1999Akzeptiert: 11. Februar 2000

M. Korthals Altes (✉) · A. KurzKlinik und Poliklinik fur Psychiatrieund PsychotherapieTechnische Universita¨t MunchenIsmaninger Strasse 22D-81675 Munchen

Antidepressants for dementedpatients

Zusammenfassung Antidepressivawerden bei dementen Patienten so-wohl zur Behebung depressiverZielsymptome als auch zur Behand-lung von anderen nicht-kognitivenStorungen wie Unruhe, Aggressionund Erregung eingesetzt. Da es sichin der Regel um a¨ltere Patientenhandelt, ist hierbei bei allen verwen-deten Substanzklassen auf eine Do-sisanpassung zu achten. Hauptsa¨ch-lich sollten heute zur Depressionsbe-handlung die neueren Antidepressi-va, also SSRI’s und reversibleMAO-Hemmer, zum Einsatz kom-

men, die im Vergleich zu den trizy-klischen Antidepressiva in der Wir-kung ebenbu¨rtig sind, im Nebenwir-kungsspektrum sowie in Bezug aufEinfachheit und Sicherheit der An-wendung jedoch deutliche Vorteileaufweisen. Eine Verbesserung derkognitiven Leistungsfa¨higkeit ist je-doch auch von den neuen Substan-zen nicht zu erwarten. Zur Behand-lung von Unruhe, Aggression undErregung werden heute vielfachniedrigpotente Neuroleptika undBenzodiazepine eingesetzt, die je-doch gerade bei dementen Patientenaufgrund ihrer Nebenwirkungen pro-blematisch sind. Hier bieten sich alsAlternative die Antidepressiva Tra-zodon und Citalopram an. Insgesamtmussen alle Therapieempfehlungenderzeit mit der Einschra¨nkung gege-ben werden, dass alle in Frage kom-menden Substanzklassen bisher nuran kleinen Patientenstichproben un-tersucht wurden.

Schlusselworter Antidepressiva –Demenz – Depression

Summary Antidepressants are usedin demented patients for treating de-

pressive symptoms as well as othernon-cognitive symptoms includingagitation, aggression and irritability.As patients are usually elderly, adose adjustment is mandatory for allclasses of antidepressants. New anti-depressants such as the SSRIs andthe reversible MAO inhibitorsshould be the first-line agents inthese patients, because their efficacyis not different from that of classicTCA, but they have advantages re-garding frequency of adverse ef-fects, ease of use and safety. Im-provement in cognitive performance,however, may not be expected fromthe new antidepressants. For thetreatment of agitation, aggressionand irritabiltiy, antipychotics andbenzodiazepines are in frequent use,although their adverse effects areparticularly problematic in dementedpatiens. Good alternatives are theantidepressant trazodone and citalo-pram. All medications mentionedhave been studied on small patientsamples, so treatment recommenda-tions must be given cautiously.

Key words Antidepressants –dementia – depression

Page 2: Antidepressiva bei Demenzerkrankungen

Einleitung

Antidepressiva finden bei Patienten mit Demenzerkran-kungen drei wichtige Anwendungsbereiche. Natu¨rlichwerden sie zur Behandlung von depressiven Verstim-mungen eingesetzt, vor allem wenn diese u¨ber langereZeit anhalten und stark ausgepra¨gt sind. Antidepressivaeignen sich daru¨ber hinaus zur Milderung oder sogarvollstandigen Behebung von anderen nicht-kognitivenSymptomen wie Unruhe oder Aggressivita¨t. Schließlichhaben sich diese Substanzen auch zur Regulierung vonSchlafsto¨rungen bewa¨hrt. Bei der Behandlung von De-menzkranken mit Antidepressiva muss grundsa¨tzlich da-rauf geachtet werden, dass Pharmakokinetik und Phar-makodynamik dieser Medikamente bei den meist a¨lterenPatienten vera¨ndert sein ko¨nnen. Deswegen muss dieDosierung besonders behutsam erfolgen. In den letztenJahren hat sich das Spektrum von Medikamenten, diezur Behandlung der genannten Symptome eingesetztwerden konnen, erheblich erweitert. Der folgende Bei-trag bescha¨ftigt sich mit den Fragen, in welchem Um-fang und mit welchen Zielsetzungen die neuen Antide-pressiva bei Demenzkranken eingesetzt werden undwelche Erfahrungen daru¨ber vorliegen.

Behandlung von depressiven Verstimmungen

Depressive Verstimmungen treten bei Demenzkrankenhaufig auf. Die Angaben in der Literatur zeigen je nachErhebungsmethode eine starke Streuung; man kann je-doch von einer mittleren Pra¨valenz von rund 30–50Prozent ausgehen (3, 6). Die unterschiedlichen Pra¨va-lenzangaben ha¨ngen vermutlich damit zusammen, dassdie depressiven Zusta¨nde Demenzkranker psychopatho-logisch sehr uneinheitlich sind. Sie weisen selten dasErscheinungsbild einer typischen depressiven Episodeauf; haufiger handelt es sich um leichtergradige undwechselhafte Verstimmungen. Ob die Depressionen De-menzkranker dem Typus der Altersdepression ent-spricht, die durch ein verwaschenes und ins Ko¨rperlichegewendetes Symptombild gekennzeichnet ist, wurdebisher nur unzureichend untersucht. Eine Depressionschrankt einen dementen Patienten zusa¨tzlich zu seinenkognitiven Defiziten und Alltagsbehinderungen ein; siesollte als eine zweite, behandelbare Erkrankung angese-hen werden. Auch wenn neurobiologische Faktoren dasAuftreten affektiver Vera¨nderungen bei Demenzkrankenbegunstigen, beispielsweise ein hochgradiger Nerven-zellverlust im Nucleus caeruleus (8), sind diese Sympto-me nicht vollsta¨ndig durch die Grunderkrankung zu er-klaren (17, 23). Dies geht nicht zuletzt aus der Erfah-rung hervor, dass Depressionen ebenso wie zahlreicheandere nicht-kognitive Symptome bei Demenzkrankenhaufig als Reaktion auf Konflikte und Entta¨uschungen

entstehen und dass sie im Verlauf diskontinuierlich sind,d.h. nur uber einen gewissen Zeitraum bestehen unddann wieder spontan abklingen (7).

Eine Depression la¨hmt die Initiative eines Demenz-kranken und schwa¨cht sein Selbstwertgefu¨hl uber dasunvermeidbare, durch die cerebrale Scha¨digung beding-te Maß hinaus. Die Behandlung einer Depression setztihn daher in den Stand, die vorhandenen Leistungs-potentiale auszuspielen. Nicht immer bedarf eine de-pressive Verstimmung bei einem Demenzkranken einermedikamento¨sen Intervention; vielfach sind Depressio-nen versta¨ndliche Reaktionen auf Entta¨uschungen undKrankungen, oder Folgen von mangelnder Versta¨rkungund fehlender Anregung. Aus diesem Grund sollte ver-sucht werden, vor dem Einsatz von antidepressiven Me-dikamenten einen depressiven Zustand mit nicht-medi-kamento¨sen Behandlungsformen anzugehen. Dazu za¨h-len verhaltenstherapeutische, milieutherapeutische undsozialtherapeutische Ansa¨tze. Die Wirksamkeit verhal-tenstherapeutischer Interventionen bei depressiven De-menzkranken wurde unla¨ngst durch eine interessanteStudie in den USA gezeigt. Die Angeho¨rigen von De-menzkranken wurden darin angeleitet, wie sie befriedi-gende und angenehme Ta¨tigkeiten in den Alltag der Pa-tienten einfu¨gen konnen. Durch dieses Programm ver-minderte sich die Depressivita¨t der Patienten deutlich(22). Auch hat sich gezeigt, dass allein die vermehrteZuwendung und die Aktivierung von Demenzkrankenim Rahmen einer klinischen Arzneimittelpru¨fung de-pressive Symptome vermindert (18). Manchmal ist dasVorhandensein einer depressiven Verstimmung bei ei-nem Demenzkranken nur schwer zu erkennen und vonseinen u¨brigen Symptomen abzugrenzen. Bei fort-geschrittener Demenz sind die Patienten unter Umsta¨n-den nicht mehr in der Lage, ihr Befinden sprachlichauszudru¨cken; es kann sogar sein, dass die Verweige-rung der Nahrungsaufnahme das einzige Erkennungszei-chen fur eine Depression ist.

397M. Korthals Altes und A. KurzAntidepressiva bei Demenzerkrankungen

Tab. 1 Antidepressiva zur Behandlung von Demenzkranken

Substanz Handelsname Dosis(mg/Tag)

typischeNebenwirkungen

Citalopram Cipramil 10–40 Übelkeit, Appetit-Paroxetin Seroxat 10–40 losigkeit, Nervosita¨tSertralin Zoloft 50–100 Übelkeit, Diarrhoe,

Schlafsto¨rungFluoxetin Fluctin 20–80 Gastrointestinale Be-

schwerden, Nervosita¨tMoclobemid Aurorix 300–600 Nervosita¨t, Schlafsto¨-

rungVenlafaxin Trevilor 75–375 Gastrointestinale Be-

schwerden, Agitiert-heit, Angst

Trazodon Thombran 50–400 Sedierung, OrthostaseHypotension

Page 3: Antidepressiva bei Demenzerkrankungen

Es ist schon lange bekannt, dass depressive Zusta¨ndebei Demenzkranken mit Antidepressiva wie Imipramin,Doxepin und Desipramin erfolgreich behandelt werdenkonnen (5, 12). Trizyklische Antidepressiva werden je-doch heute nicht mehr als Therapie der ersten Wahl beiDemenzkranken angesehen, weil sie aufgrund ihrer anti-cholinergen Nebenwirkungen das im Cortex dieser Pa-tienten bestehende cholinerge Defizit versta¨rken. Darauskann eine Verschlechterung der kognitiven Funktionenresultieren. Als Nebenwirkungen ko¨nnen ferner deliran-te Zustandsbilder auftreten. Einige trizyklische Antide-pressiva haben daru¨ber hinaus sedierende Eigenschaf-ten, die zu einer Mu¨digkeit wahrend des Tages fu¨hrenkonnen und somit die Wahrscheinlichkeit von Stu¨rzenund Schenkelhalsfrakturen erho¨hen. Auf seiten des kar-diovaskula¨ren Systems kann es vor allem zu orthostati-scher Hypotension sowie zu kardialen Reizleitungssto¨-rungen kommen (4, 11, 14).

Von den neueren Antidepressiva sind die selektivenSerotonin-Reuptake-Inhibitoren (SSRI) zur Behandlungvon Depressionen bei Demenzkranken am besten unter-sucht. In einer placebokontrollierten Studie wurde dieWirksamkeit von Citalopram bei Patienten mit degene-rativer oder vaskula¨rer Demenz gepru¨ft. Dabei ergabensich in der Gruppe der Alzheimer-Patienten signifikanteVerbesserungen folgender Symptome: emotionale Ab-stumpfung, Verwirrtheit, Reizbarkeit, Angst und pani-sche Reaktionen, depressive Verstimmung sowie Ruhe-losigkeit (15). SSRI wurden mit Erfolg auch bei Patien-ten mit fortgeschrittener Alzheimer-Krankheit und de-pressiven Symptomen eingesetzt. Sertralin bewirkte beidiesen Patienten eine deutliche Aufhellung der Stim-mung. Bei einigen Patienten, die keine Nahrung mehrzu sich nehmen wollten, fu¨hrte die Behandlung dazu,dass sie von sich aus wieder zu essen begannen (23).Bei Demenzkranken, die neben depressiven Symptomenauch psychotische Pha¨nomene aufwiesen und bei denenNeuroleptika ohne Erfolg geblieben waren, konnte mitSertralin eine Verbesserung in beiden Symptomberei-chen erzielt werden (2).

Vergleichende Untersuchungen haben gezeigt, dassbezuglich der Reduktion depressiver Symptomatik SSRInicht wirksamer als trizyklische Antidepressiva sind. Soergab die Gegenu¨berstellung von Imipramin und Paro-xetin bei 198 Demenzkranken unterschiedlicher Ätiolo-gie zwischen beiden Substanzen keinen Unterschied be-zuglich des Ausmaßes und der Geschwindigkeit derStimmungsverbesserung. Jedoch war die serotonergeSubstanz erheblich besser vertra¨glich. Die Rate der anti-cholinergen Nebenwirkungen fiel unter Imipramin dop-pelt so hoch aus (11).

Aus der Fragestellung einiger Untersuchungen gehthervor, dass man von einer antidepressiven Behandlungbei Demenzkranken auch erwartet hat, dass sie die kog-nitive Leistung steigern ko¨nnte. Diese Hoffnung hatsich allerdings weder mit den trizyklischen Antidepres-

siva noch mit den SSRI erfu¨llt (9, 15). Nicht alle SSRIsind nach den vorliegenden Erfahrungen gleichermaßengut zur Behandlung von depressiven Zusta¨nden bei De-menzkranken geeignet. Unter Fluoxetin beispielsweisewurde eine Versta¨rkung von Unruhe und Schlafsto¨run-gen beobachtet (9).

Als Alternative zu den SSRI kommen zur Behand-lung von depressiven Zusta¨nden bei DemenzkrankenMonoaminoxidase-Inhibitoren (MAOI) in Betracht. DieBehandlung mit dem reversiblen MAOI Moclobemidfuhrte zu einer signifikanten Reduktion depressiverSymptome im Vergleich zu Placebo. Die kognitivenSymptome blieben auch unter dieser Therapie unvera¨n-dert. Die Vertra¨glichkeit der Substanz war sehr gut (19).Auch andere neue Antidepressiva, z.B. Venlafaxin, dassowohl einen noradrenergen als auch einen serotonergenAngriffspunkt hat, wurden bei depressiven Alzheimer-Patienten eingesetzt. Venlafaxin bewirkte in einer offe-nen Studie bei 12 Patienten eine signifikante Abnahmedepressiver Symptome (16). Wa¨hrend die kognitiveLeistung der Patienten und die subjektive Belastung derAngehorigen wahrend des 16-wo¨chigen Behandlungs-zeitraums unvera¨ndert blieben, nahm die Alltagsbewa¨lti-gung der Patienten geringfu¨gig ab.

Fur die antidepressive Theapie von Demenzkranken,die an einer agitierten Depression leiden oder bei deneneine Suizidgefa¨hrdung besteht, sind weder SSRI nochMAOI geeignet, denn die in derartigen Fa¨llen er-wunschte sedierende Wirkkomponente ist bei diesenSubstanzen nicht vorhanden. Bei diesen Patientenkommt man unter Umsta¨nden nicht umhin, die anticho-linergen Effekte eines sedierenden trizyklischen Antide-pressivums wie Doxepin oder Trimipramin in Kauf zunehmen. Eine gute Alternative stellt nach unseren Er-fahrungen Mirtazapin dar, das zwar leicht sedierende,jedoch kaum anticholinerge Effekte hat. Bei starkerAgitiertheit kommt auch Trazodon in Betracht, ein an-xiolytisches und sedierendes Antidepressivum mit so-wohl serotonerger als auch alpha-adrenerger Wirkung,das jedoch erhebliche periphere Kreislaufeffekte hervor-rufen und dadurch eine Sturzgefahr vergro¨ßern kann.

Über die Behandlung von depressiven Zusta¨nden beiPatienten mit Demenzzusta¨nden anderer Ursache gibt esbisher kaum Erfahrungen. Zwei Patienten mit ausgepra¨g-ter Depression im Rahmen einer frontotemporalen Dege-neration zeigten unter einer Kombination von Lithiumund Paroxetin bzw. Lithium und Fluoxetin eine lang an-haltende Besserung ihres affektiven Befindens (1).

Behandlung von anderen nicht-kognitiven Symptomen

Von den nicht-kognitiven Symptomen, die bei einer De-menzerkrankung vorliegen ko¨nnen, sind Unruhe, Ag-gressivita¨t und feindseliges Verhalten fu¨r die Angeho¨ri-

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gen besonders belastend. Mehrere Studien liegen u¨berdie Behandlung von Erregungsszusta¨nden bei dementenPatienten mit Trazodon vor, darunter auch ein Vergleichmit Haloperidol (21). Trazodon zeigte sich dabei alswirksamer als das Neuroleptikum gegen Verhaltensste-reotypien, verbale Aggressivita¨t und Verweigerung. Bei13 Alzheimer-Patienten bewirkte Trazodon in einerniedrigen Dosierung von 75 mg pro Tag eine Vermin-derung von Reizbarkeit, Angst und Unruhe, ohne dassunerwunschte Wirkungen auftraten (13). Citalopramfuhrte in einer unkontrollierten Studie bei 20 dementenPatienten zu einer signifikanten Verbesserung von Ver-wirrtheit und Ruhelosigkeit im Sinne einer emotionalenStablisierung (14).

Zur Behandlung von Schlafsto¨rungen werden bei De-menzkranken vielfach niedrigpotente Neuroleptika ein-gesetzt, die sich jedoch aufgrund ihrer ausgepra¨gten an-ticholinergen Wirkung bei Demenzpatienten ebenso un-gunstig auswirken ko¨nnen wie die trizyklischen Antide-pressiva. Daru¨berhinaus rufen diese Medikamente nichtselten ausgepra¨gte extrapyramidal-motorische Nebenwir-kungen hervor (20).

Benzodiazepine sind bei Demenzpatienten ebenfallsproblematisch, da sie zu Muskelhypotonie mit vor allemnachts erho¨hter Sturzgefahr fu¨hren konnen. Vertreterdiese Stoffklasse mit langer Halbwertszeit bewirkenhaufig eine morgens noch anhaltende Schla¨frigkeit undUnaufmerksamkeit. Des weiteren sind unter der Be-handlung mit Benzodiazepinen paradoxe Erregungs-zustande aufgetreten. Aus diesem Grund ist Trazodonauch in der Behandlung von Schlafsto¨rungen dementerPatienten eine sinnvolle Alternative.

Interessanterweise hat sich gezeigt, dass die prima¨rzur Behandlung von kognitiven Leistungssto¨rungen ein-gesetzten Acetylcholinesterase-Hemmer gu¨nstige Aus-wirkungen auch auf nicht-kognitive Demenzsymptomehaben. Besonders gut sprechen auf diese MedikamenteApathie, Wahn und Sinnesta¨uschungen an. Die klinischeErfahrung zeigt daru¨berhinaus, dass Acetylcholinestera-se-Hemmer auch einen gewissen stimmungsaufhellen-den Effekt haben.

Diskussion

Depressive Verstimmungen bei Demenzkranken sindZusatzerkrankungen, die je nach ihrem Auspra¨gungs-grad auf eine verhaltenstherapeutische oder medikamen-tose Behandlung gut ansprechen. Die antidepressiveTherapie bewirkt bei Demenzkranken zwar keine Ver-besserung der kognitiven Leistungen. Sie sorgt aber da-fur, dass die Patienten ihr vorhandenes Potential aus-spielen konnen und erho¨ht ihr Wohlbefinden. Fu¨r diemedikamento¨se Behandlung stehen heute neuere Anti-depressiva zur Verfu¨gung, die nebenwirkungsa¨rmer sindals die bisher am ha¨ufigsten eingesetzten trizyklischenAntidepressiva. Vor allem fehlen bei ihnen die anticho-linergen Effekte, die bei Demenzkranken zu einer Ver-schlechterung der kognitiven Leistungen und zur Aus-losung von deliranten Zusta¨nden fuhren konnen. Daru¨-berhinaus sind die neuen Pra¨parate einfacher in der An-wendung, weil viele davon nur einmal pro Tag einge-nommen werden mu¨ssen. Dies ist gerade bei dementenPatienten, die in vielen Lebensbereichen auf die Hilfevon Angeho¨rigen und Pflegepersonal angewiesen sind,ein erheblicher praktischer Vorteil. Bei Demenzkrankenist auch die Gefahr einer versehentlichen Überdosierungbesonder groß. Aus diesem Grund bieten die neuen An-tidepressiva mit einer geringen Kardiotoxizita¨t fur siemehr Sicherheit. Trotz ihrer unbestreitbaren Vorzu¨gesind die neuen Antidepressiva aber nicht fu¨r alle De-menzkranken die Mittel der ersten Wahl. Sie solltennicht eingesetzt werden bei Patienten mit agitierter De-pression oder akuter Suizidgefa¨hrdung.

Die Wirksamkeit und Vertra¨glichkeit sowohl der al-ten als auch der neuen Antidepressiva sind fast durch-weg an kleinen Patientenstichproben untersucht worden.Zu wenig wissen wir u¨ber den Nutzen und die Risikender antidepressiven Therapie bei Patienten mit fort-geschrittener Demenz. Bei ihnen treten wichtige Ziel-symptome einer Behandlung mit Antidepressiva beson-ders ha¨ufig auf. Hierbei handelt es sich vor allem umausgepra¨gte Antriebslosigkeit, Aggressivita¨t und feind-seliges Verhalten oder auch sta¨ndiges Schreien. Dieserunbefriedigende Kenntnisstand ha¨ngt sicher mit demethischen Problem zusammen, nicht einwilligungsfa¨higePatienten in klinische Arzneimittelpru¨fungen einzube-ziehen. Weil die Verhaltenssto¨rungen dieser Patientenmit psychologischen Mitteln oft nur schwer zu beein-flussen sind und ha¨ufig den Anlass fu¨r eine Kranken-hausbehandlung geben, mu¨ssen derartige Untersuchun-gen moglich gemacht werden (10).

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400 Zeitschrift fur Gerontologie und Geriatrie, Band 33, Heft 5 (2000)© Steinkopff Verlag 2000

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