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Die Zuschrift hilft, einige Gesichtspunkte zu klären: 1. Es ist eine immer wieder, vor allem von feministischer Seite, vorgebrachte Verkürzung des Pro- blems, wenn Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) unter dem Ober- begriff eines Schwangerschaftskonfliktes verglichen werden und hieraus ein Unterschied der Konfliktlage konstruiert wird, der in diesem Sinne nicht existiert. Es geht nicht um das Austra- gen oder Zustandekommen einer Schwangerschaft, es geht um das, was danach kommt. Es geht den betroffenen Frauen nicht so sehr darum, ob sie ein gesundes oder ein schwer krankes Kind austragen, von dessen Problemen sie während der Schwangerschaft noch nichts merken. Es geht darum, ob die betroffenen Eltern zum wiederholten Male (d.h. nach einem sog. Indexfall) die Betreuung eines schwerst behinderten, eines schwerst kranken oder unabwendbar todgeweihten Kindes nochmals verkraften zu können glauben. So betrachtet unterscheiden sich PID und PND nur verfahrenstechnisch. Dies sehen übrigens auch Vertreter von Behindertenverbänden so, die sich sowohl gegen PID als auch gegen PND wenden. 2. Es wurde im Editorial betont, dass PID (übrigens genauso PND) in der Mehrzahl der Fälle zu ei- ner positiven Selektion führe, indessen nicht im Sinne einer Rechtfertigung, sondern um der häufig geäußerten Meinung entgegen zu treten, diese Diagnostik sei ein reines Ausmerzungsver- fahren. Das kam in dem Editorial wohl nicht klar genug zum Ausdruck. 3. Warum dürfen Leiden von Mitmenschen, zu deren Linderung und eventueller Vermeidung im Prinzip jeder Arzt aufgerufen ist, kein Argument gegen größtenteils nur postulierte Risiken der PID sein? Warum wiegt die Sorge um Patienten, um die Nächsten des Arztes, weniger als rein sozialethische Argumentationen? 4. Die Warnung vor zu großer Selbstgerechtigkeit bedeutet nicht, dass der Autor kein „eigenes ethisch-moralisches Fundament“ besitze oder befürworte. 5. Die Erwähnung von 200.000 jährlichen Abtreibungen ist keine Polemik, sondern die Beschrei- bung eines bedauerlichen Usus. Dass eine solche Erwähnung immer wieder, wie auch hier, zor- nige Reaktionen auslöst, zeigt, dass offenbar ein wunder Punkt im Gewissen angerührt wird, das es beruhigenderweise noch gibt. 6. Soll mit jeder PID auch der Ausschluss einer chromosomalen Aberration verbunden werden? Die Briten haben dies im Juli 2001 ausdrücklich konzidiert. Man wird kaum etwas dagegen sagen kön- nen, wenn es sich um die Herausnahme polyploider Embryonen handelt, die nur Tage oder Wochen überleben und kaum einmal den Termin der Geburt erreichen, um dann alsbald zu versterben. Aber wie soll man sich verhalten, wenn bei dieser Gelegenheit ein Down-Syndrom entdeckt wird? Nach PND wird in diesem Falle mehrheitlich abgetrieben. PID-Paare müssen vor jeder PID über diesen denkbaren Konfliktfall sehr sorgfältig aufgeklärt sein. Und wie soll bei heterozygoten Trägern der befürchteten Erbanlage verfahren werden? Sollten heterozygote Krankheitsträger nicht mehr am Leben erhalten werden, dann würden sehr viele von uns dazu gehören. Dann blieben sowohl nach PID wie nach PND nicht mehr viele Embryonen übrig, eine wohl doch eher irreale Vorstellung. 7. Wie sollen die Konsequenzen von PID bzw. PND begrenzbar sein? Schweregrade sind in der Tat nicht objektiv festlegbar. Ein Vorschlag des naiven Neonatologen: neben der schon erwähnten Supervision durch Gremien immer, obligatorisch, einschlägig erfahrene Pädiater in die Beratung der Eltern einbeziehen. Pädiater wissen aus eigener Tätigkeit, welche Chancen und welche Bela- stungen bei den verschiedenen gesundheitlichen Problemen bestehen, nicht nur augenblicklich, sondern über Jahre hinweg, für die betroffenen Kinder, die Eltern, die Familien. 8. Der höfliche Rat des Autors, schimpfende oder herabsetzende Vokabeln zu vermeiden, war viel- leicht gar nicht so unangebracht. . Ethik Med (2002) 14:57 Leserforum Antwort auf den Leserbrief von Frau Dr. Dagmar Schmitz Volker von Loewenich © Springer-Verlag 2002 Prof. Dr. V. v. Loewenich Leiter der Abteilung für Neonatologie des Zentrum der Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Klinikum der Johann Wolfgang Goethe Universität, D-60590 Frankfurt a.M., Deutschland

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Die Zuschrift hilft, einige Gesichtspunkte zu klären:

1. Es ist eine immer wieder, vor allem von feministischer Seite, vorgebrachte Verkürzung des Pro-blems, wenn Präimplantationsdiagnostik (PID) und Pränataldiagnostik (PND) unter dem Ober-begriff eines Schwangerschaftskonfliktes verglichen werden und hieraus ein Unterschied derKonfliktlage konstruiert wird, der in diesem Sinne nicht existiert. Es geht nicht um das Austra-gen oder Zustandekommen einer Schwangerschaft, es geht um das, was danach kommt. Es gehtden betroffenen Frauen nicht so sehr darum, ob sie ein gesundes oder ein schwer krankes Kindaustragen, von dessen Problemen sie während der Schwangerschaft noch nichts merken. Es gehtdarum, ob die betroffenen Eltern zum wiederholten Male (d.h. nach einem sog. Indexfall) dieBetreuung eines schwerst behinderten, eines schwerst kranken oder unabwendbar todgeweihtenKindes nochmals verkraften zu können glauben. So betrachtet unterscheiden sich PID und PNDnur verfahrenstechnisch. Dies sehen übrigens auch Vertreter von Behindertenverbänden so, diesich sowohl gegen PID als auch gegen PND wenden.

2. Es wurde im Editorial betont, dass PID (übrigens genauso PND) in der Mehrzahl der Fälle zu ei-ner positiven Selektion führe, indessen nicht im Sinne einer Rechtfertigung, sondern um derhäufig geäußerten Meinung entgegen zu treten, diese Diagnostik sei ein reines Ausmerzungsver-fahren. Das kam in dem Editorial wohl nicht klar genug zum Ausdruck.

3. Warum dürfen Leiden von Mitmenschen, zu deren Linderung und eventueller Vermeidung imPrinzip jeder Arzt aufgerufen ist, kein Argument gegen größtenteils nur postulierte Risiken derPID sein? Warum wiegt die Sorge um Patienten, um die Nächsten des Arztes, weniger als reinsozialethische Argumentationen?

4. Die Warnung vor zu großer Selbstgerechtigkeit bedeutet nicht, dass der Autor kein „eigenesethisch-moralisches Fundament“ besitze oder befürworte.

5. Die Erwähnung von 200.000 jährlichen Abtreibungen ist keine Polemik, sondern die Beschrei-bung eines bedauerlichen Usus. Dass eine solche Erwähnung immer wieder, wie auch hier, zor-nige Reaktionen auslöst, zeigt, dass offenbar ein wunder Punkt im Gewissen angerührt wird, dases beruhigenderweise noch gibt.

6. Soll mit jeder PID auch der Ausschluss einer chromosomalen Aberration verbunden werden? DieBriten haben dies im Juli 2001 ausdrücklich konzidiert. Man wird kaum etwas dagegen sagen kön-nen, wenn es sich um die Herausnahme polyploider Embryonen handelt, die nur Tage oder Wochenüberleben und kaum einmal den Termin der Geburt erreichen, um dann alsbald zu versterben. Aberwie soll man sich verhalten, wenn bei dieser Gelegenheit ein Down-Syndrom entdeckt wird? NachPND wird in diesem Falle mehrheitlich abgetrieben. PID-Paare müssen vor jeder PID über diesendenkbaren Konfliktfall sehr sorgfältig aufgeklärt sein. Und wie soll bei heterozygoten Trägern derbefürchteten Erbanlage verfahren werden? Sollten heterozygote Krankheitsträger nicht mehr amLeben erhalten werden, dann würden sehr viele von uns dazu gehören. Dann blieben sowohl nachPID wie nach PND nicht mehr viele Embryonen übrig, eine wohl doch eher irreale Vorstellung.

7. Wie sollen die Konsequenzen von PID bzw. PND begrenzbar sein? Schweregrade sind in der Tatnicht objektiv festlegbar. Ein Vorschlag des naiven Neonatologen: neben der schon erwähntenSupervision durch Gremien immer, obligatorisch, einschlägig erfahrene Pädiater in die Beratungder Eltern einbeziehen. Pädiater wissen aus eigener Tätigkeit, welche Chancen und welche Bela-stungen bei den verschiedenen gesundheitlichen Problemen bestehen, nicht nur augenblicklich,sondern über Jahre hinweg, für die betroffenen Kinder, die Eltern, die Familien.

8. Der höfliche Rat des Autors, schimpfende oder herabsetzende Vokabeln zu vermeiden, war viel-leicht gar nicht so unangebracht.

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Ethik Med (2002) 14:57

Leserforum

Antwort auf den Leserbrief von Frau Dr. Dagmar SchmitzVolker von Loewenich

© Springer-Verlag 2002

Prof. Dr. V. v. LoewenichLeiter der Abteilung für Neonatologie des Zentrum der Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Klinikumder Johann Wolfgang Goethe Universität, D-60590 Frankfurt a.M., Deutschland