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Als am 11. Januar 2017 die Hamburger Elbphilharmonie mit einem Konzert eröffnet wurde, verdrängte die Begeiste- rung für dieses grandiose Konzerthaus mit seinem wunder- baren Klang die Negativschlagzeilen über Bauzeitverlänge- rungen und Kostensteigerungen, die den Bau des neuen Hamburger Wahrzeichens begleitet hatten. Möglich wur- Seite 1 von 5 www.win-ev.org ELBPHILHARMONIE – EIN KLANGKÖRPER AUS REA-GIPS Hamburgs Elbphilharmonie begeistert Musiker und Musikliebhaber ANWENDUNGSBERICHT de dieses „Amphitheater der Tonkunst“ – so der damalige Bundespräsident Joachim Gauck – durch eine umsichtige Planung des Architekturbüros Herzog & de Meuron, durch den Einsatz des „unerschütterlichen“ Baustoffs Beton (mit Flugasche) und eine „Weiße Haut“ aus Gipsfaserplatten mit REA-Gips [1]. Bild 1: Der große Saal Der Elbphilharmonie Hamburg zählt zu den akustisch besten Konzertsälen der Welt. Möglich wurde dies u.a. durch die „Weiße Haut“ aus Gipsfaserplatten mit REA-Gips. Foto: Elbphilharmonie Hamburg / Iwan Baan

ANWENDUNGSBERICHT ELBPHILHARMONIE – EIN … · Serienproduktion heller wurden. Der Brei aus Gips und Zel-lulose wurde in einer Dicke von etwa 2 mm auf ein Trans-portsiebband gegeben

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Page 1: ANWENDUNGSBERICHT ELBPHILHARMONIE – EIN … · Serienproduktion heller wurden. Der Brei aus Gips und Zel-lulose wurde in einer Dicke von etwa 2 mm auf ein Trans-portsiebband gegeben

Als am 11. Januar 2017 die Hamburger Elbphilharmonie mit einem Konzert eröffnet wurde, verdrängte die Begeiste-rung für dieses grandiose Konzerthaus mit seinem wunder-baren Klang die Negativschlagzeilen über Bauzeitverlänge-rungen und Kostensteigerungen, die den Bau des neuen Hamburger Wahrzeichens begleitet hatten. Möglich wur-

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ELBPHILHARMONIE – EIN KLANGKÖRPER AUS REA-GIPSHamburgs Elbphilharmonie begeistert Musiker und Musikliebhaber

ANWENDUNGSBERICHT

de dieses „Amphitheater der Tonkunst“ – so der damalige Bundespräsident Joachim Gauck – durch eine umsichtige Planung des Architekturbüros Herzog & de Meuron, durch den Einsatz des „unerschütterlichen“ Baustoffs Beton (mit Flugasche) und eine „Weiße Haut“ aus Gipsfaserplatten mit REA-Gips [1].

Bild 1: Der große Saal Der Elbphilharmonie Hamburg zählt zu den akustisch besten Konzertsälen der Welt. Möglich wurde dies u.a. durch die „Weiße Haut“ aus Gipsfaserplatten mit REA-Gips. Foto: Elbphilharmonie Hamburg / Iwan Baan

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DIE IDEE: ALT PLUS NEU

Am Anfang des Projekts stand die Idee eines Hamburger Architekten und Projektentwicklers, den 1966 erbauten Kaispeicher A, ein prägendes Bauwerk auf einem Höft zwi-schen Sandtorhafen und Grasbrookhafen, zum Konzerthaus in der HafenCity umzubauen. Der von ihm angeregte Ent-wurf des renommierten Basler Architekturbüros Herzog & de Meuron überzeugte 2003 Politiker und Bürger: Wie ein Hahnenkamm wurde ein Neubau auf den Backsteinsockel des bestehenden Gebäudes aufgesetzt.

Dafür wurde zunächst der Altbau komplett entkernt und die Gründung durch zusätzliche Stahlbetonpfähle für das zusätzliche Gewicht ertüchtigt. Insgesamt kamen 63.000 m³ Beton zum Einsatz, der u. a. mit ca. 4.000 t Steinkoh-lenflugasche hergestellt wurde. An den Beton C50/60 für die tragenden Wände der Treppenhäuser und Fahrstuhl-schächte und den hochfesten Beton C80/95 der hoch-

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Bild 2: Hamburgs neues Wahrzeichen ist die Elbphilharmonie nach Entwürfen der Architekten Herzog & de Meuron. Foto: Elbphilharmonie Hamburg / Maxim Schulz

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beanspruchten Stützen wurden die Anforderungen der Sichtbetonklasse 4 des DBV/VDZ-Merkblatts „Sichtbeton“ gestellt. Die Bauteile aus Beton mit ihrer hohen Masse bil-den den schwingungstechnisch günstigen Kern des Kon-zerthauses.

Für die Anordnung von Bühne und Zuschauern im großen Konzertsaal wendeten die Architekten das sogenannte Weinberg-Konzept an: Die bis zu 2100 Zuschauer sitzen auf unterschiedlichen Ebenen wie auf Weinbergterrassen (s. Bild 3). Diese Terrassen ziehen sich nicht symmetrisch um die zentral platzierte Bühne, sondern mal in größeren und kleineren Bögen, wobei kleine Terrassen, Vorsprünge und Balkone entstehen. Der höchste Platz liegt 17 m über dem Parkett. Jeder Zuschauer soll maximal 30 m vom Diri-genten entfernt sitzen.

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WO DIE SCHALLWELLEN BRECHEN

Damit der Konzertsaal nicht nur durch diese einzigartige Nähe zu den Künstlern beeindruckt, sondern auch durch seine Akustik, widmeten die Architekten der akustischen Planung hohe Aufmerksamkeit. Ihnen war bewusst, dass nicht alles, was schön aussieht, auch gut klingt. Eine wich-tige Maßnahme war die akustische Entkopplung des Saals vom Gebäude über 362 Federpakete.

Aber besonders die Ausgestaltung des Saals stellte vor He-rausforderungen. Der direkt von der Bühne konzentrisch abstrahlende Schall sorgt für einen klaren Klang, hinterlässt aber alleine keinen räumlichen Eindruck. Erst durch einen höheren Anteil möglichst ungerichteter Reflexionen um-hüllt die Musik den Zuhörer. Direktschall und Reflexionen müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander ste-hen. Störende Interferenzen müssen aber vermieden wer-den. Maßstab für einen klaren und raumumhüllenden Klang ist eine Nachhallzeit von etwa 2 Sekunden (Zeit, in der ein Klang in einem Raum verstummt).

Herzog & de Meuron stellten den bekannten japanischen Akustiker Yasuhisa Toyota vor die Aufgabe, Architektur und Brandschutzanforderungen in Einklang zu bringen mit der Akustik. Toyota berechnete den Raumklang des Großen

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Bild 3: Das Oberflächenmuster der „Weißen Haut“ unterscheidet sich von Platte zu Platte. Foto: Elbphilharmonie Hamburg / Michael Zapf

Bild 4: Über eine Million 5–9 cm tiefe „Muscheltäler“ wurden mit CNC-Fräsen in die Gipsfaserplatten eingear-beitet. Foto: Elbphilharmonie Hamburg / Oliver Heissner

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Saals mit Hilfe komplexer 3-D-Modelle im Computer und baute außerdem ein Modell im Maßstab 1:10, um das Klang-verhalten zu testen. Aufgrund dieser Ergebnisse entwickel-te Toyota die „Weiße Haut“ aus etwa 10.000 hochverdich-teten Gipsfaserplatten mit REA-Gips als Verschalung für Wände und die Decken. Mithilfe spezieller Software wurde die Gestaltung der Oberfläche so berechnet, dass der an-kommende Schall optimal gestreut wird und es zu keinen Interferenzen kommt. Dazu war es erforderlich, dass sich ein Oberflächenmuster an keiner Stelle der „Weißen Haut“ wiederholt [2].

Für den Einsatz von hochverdichteten Gipsfaserplatten sprach, dass deren Oberflächen durch Fräsen einfach zu bearbeiten sind, die Platten eine akustisch vorteilhafte Rohdichte aufweisen und die Platten in die Baustoffklasse „nichtbrennbar“ eingestuft sind. Von Knauf hergestellte Musterplatten überzeugten die Architekten Herzog & de Meuron im Dezember 2006 auch von der optischen Quali-tät. Knauf-Mitarbeiter entwickelten zusammen mit Brand-schutzexperten und Prüfstatikern den Aufbau der Elemen-te, die statische Auslegung, Ausführungsdetails und ein Prüfkonzept.

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GIPSFASERPLATTEN FÜR DIE „WEISSE HAUT“

Die Daten aus den Berechnungen waren die Grundlage für die Bearbeitung der Platten von der Fa. Hasenkopf aus Mehring bei München im Auftrage der Knauf Integral KG.

Teilweise wurden die Platten mehrschichtig verbunden, so dass unterschiedlich hohe Elemente bis zu 18 cm Dicke und mit Flächengewichten bis zu 150 kg/m² entstanden.

Das hohe Flächengewicht ist für eine gute Schallreflexion erforderlich. Anschließend wurden mit CNC-Fräsen über eine Million 5 bis 9 cm tiefe „Muscheltäler“ in diese Ele-mente eingearbeitet, so dass 10 287 Platten entstanden, von der keine der anderen gleicht.

Der für die Platten verwendete Werkstoff, den der Her-steller Knauf Gifatec nennt, besteht zu 90 % aus einer Mi-schung von REA-Gips und Naturgips und aus 10 % Zellulo-sefasern. Für den Einsatz bei der Elbphilharmonie wurde

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die Mischung so angepasst, dass die Platten gegenüber der Serienproduktion heller wurden. Der Brei aus Gips und Zel-lulose wurde in einer Dicke von etwa 2 mm auf ein Trans-portsiebband gegeben und beim Transport entwässert. Eine Walze wickelte das Material dann bis zur gewünschten Dicke auf. Nach einem groben Schnitt und Durchlaufen einer Reifestrecke wurden die etwa 40.000 Rohplatten in einem Ofen getrocknet, bis zum Erreichen der Nutzdicke der Platte geschliffen und in einer Formatstation geschnit-ten bzw. gefräst. Das Herstellverfahren bietet die Gewähr für die über den gesamten Plattenquerschnitt homogene Dichte. Das Material weist eine hohe Tragfähigkeit bei sehr guter Verarbeitbarkeit aus.

Die fertigen Platten für die Elbphilharmonie wurden im Werk ausführlich geprüft und farblich passend zusammen-gestellt. Platten mit Fehlstellen oder Farbabweichungen kamen nicht zur Auslieferung.

REA-GIPS – REINER ALS DIE NATUR

Gips wird schon seit Jahrtausenden als Baustoff eingesetzt. So fand gebrannter Gips als Mörtel beim Bau der Türme von Jericho und beim Errichten der Pyramiden in Ägypten Verwendung. Die gezielte Herstellung und Verwendung ist wohl den Griechen zu verdanken, die dem Werkstoff den Namen Gypsos gaben. Dieser Gips wurde zum Verputzen und zur Herstellung von Flachreliefs eingesetzt. Auch die Stuckarbeiten in den Kirchen des Barocks und Rokokos wä-ren ohne Gips nicht denkbar gewesen.

Chemiker bezeichnen Gips als Calciumsulfat-Dihydrat mit der chemischen Formel CaSO4 x 2H2O.

Naturgips wird als Gipsstein im Tagebau gewonnen – vor allem im südöstlichen Harz und in Süddeutschland – und in Brech- und Mahlwerken mechanisch zerkleinert. Anschlie-ßend folgt das Brennen (Calcinieren), bei dem ein Teil des in der Kristallstruktur des Gipssteins gebundenen Wassers frei wird. Aus dem gesteinsfesten Calciumsulfat-Dihydrat ent-steht dabei ein abbindefähiges pulverförmiges Halbhydrat (CaSO4 x ½ H2O) als Bindemittel.

Naturgips enthält im Mittel etwa 81 % Calciumsulfat-Dihy-drat. In deutlich höherer Konzentration liegt diese Verbin-dung im REA-Gips vor (ca. 97 %, s. Tafel 1).

REA-Gips entsteht beim Umweltschutz in Rauchgas-Ent-schwefelungs-Anlagen (REA) von Kohlekraftwerken. Hier werden im Kalkwaschverfahren Rauchgase durch Eindüsen

Bild 5: Stuckarbeiten aus Gips prägen das Innere der Rokoko-Kirche im Kloster Zwiefalten

von Suspensionen aus Kalkstein (Calciumcarbonat, CaCO3) und Kalkhydrat (Ca(OH2)) entschwefelt. Aus dem anfäng-

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NATURGIPS REAGIPS

pH-Wert 7,4 7,2

CaSO4 x 2H2O 81,2 % 96,7 %

MgO gesamt 0,06 % 0,03 %

Na2O wasserlöslich 0,034 % 0,032 %

k2O wasserlöslich 0,006 % 0,007 %

Fe2O3 gesamt 0,19 % 0,12 %

HCl-unlösliche Bestandteile 0,20 % 0,35 %

SO2 0,02 % 0,03 %

F 0,001 % 0,002 %

Cl wasserlöslich 0,0072 % 0,0073 %

Tabelle 1: Mittelwerte chemischer Zusammensetzungen von Naturgips und REA-Gips nach [3].

lich vorliegenden Gemisch aus Calciumsulfit und Calcium-sulfat entsteht dann durch Oxidation Calciumsulfat-Dihy-drat: Gips.

Aus der zunächst vorliegenden Suspension wird durch Hy-drozyklonen und Filtersysteme oder durch Zentrifugieren ein feinteiliges Produkt mit 10 % Feuchtegehalt gewonnen. Die weitere Aufbereitung entspricht der von Naturgips.

Die Farbe von REA-Gips liegt wie beim Naturgips roh-stoffabhängig im Bereich von weiß bis grau oder hellbraun. Umfangreiche Untersuchungen und Analysen [3] haben gezeigt, dass die Unterschiede zwischen REA-Gips und Na-turgips in der chemischen Zusammensetzung, im Gehalt an Spurenelementen und organischen Verbindungen aus ge-sundheitlicher Sicht unerheblich sind.

QUALITÄTSKRITERIEN

Schon früh haben sich die Hersteller und Anwender von REA-Gips auf Qualitätskriterien und Analysenmethoden verständigt. Bei Einhaltung dieser Anforderungen ist si-chergestellt, dass die Eigenschaften der Gipsprodukte aus REA-Gips denen aus Naturgips entsprechen. Für Sonder-anwendungen sind ggfs. zusätzliche Anforderungen zu be-rücksichtigen. Die Qualitätskriterien werden regelmäßig überarbeitet und sind auf der Internetseite der EURO-GYPSUM abrufbar [4].

Zudem ist REA-Gips nach der EU-Verordnung REACH (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) als „Calcium sulfate“ (EC / list no 231-900-3) registriert. Auch nach dieser neuen Bewertung hat REA-Gips keine gefährlichen Eigenschaften (Verordnung EG 1907 / 2006 vom 18.12.2006).

Tab.: Qualitätskriterien für REA-Gips

QUALITÄTSPARAMETER ANFORDERUNG (M.-%)

freie Feuchte < 10

Calciumsulfat-Dihydrat > 95

Magnesiumsalze wasserlöslich < 0,1

Natriumsalze < 0,06

Chloride < 0,01

Calciumsulfit-Halbhydrat < 0,50

pH-Wert 5–9

Farbe weiß

Geruch neutral

toxische Bestandteile schadlos

LITERATURHINWEISE

[1] Norbert Fiebig: Architektur – Die Elbphilharmonie. In TB-iNFO 67, Juni 2017

[2] Georgi, Oliver: Wo zehntausend Töne unter die weiße Haut gehen. In FAZ vom 9.4.2016

[3] Beckert, J.; Einbrodt, H.-J.; Fischer, M.: Vergleich von Naturgips und REA-Gips. Bericht und gutachterliche Stellungnahmen. VGB-Forschungsstiftung und Bun-desverband der Gips- und Gipsplattenindustrie e. V., Darmstadt 1989

[4] REA-Gips: Qualitätskriterien und Analysemethoden http://www.eurogypsum.org/wp-content/uploads/2015/04/EUROGYPSUMBD2.pdf

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