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ARISCHE RELIGION VON LEOPOLD VON SCHROEDER ERSTER BAND EINLEITUNG. DER ALTARISCHE HIMMELSGOTT DAS HÖCHSTE GUTE WESEN H. HAESSEL VERLAG IN LEIPZIG 1914

Arische Religion Erster Band Einleitung Der Altarische Himmelsgott Das Hochste Gute Wesen

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  • ARISCHE RELIGION VON

    LEOPOLD VON SCHROEDER

    ERSTER BAND EINLEITUNG. DER ALTARISCHE HIMMELSGOTT

    DAS HCHSTE GUTE WESEN

    H. HAESSEL VERLAG IN LEIPZIG 1914

  • BJbllotheoft '
  • DEM ANDENKEN MEINES GELIEBTEN VATERS

    JULIUS VON SCHROEDER WEILAND GOUVERNEMENTS-SCHULENDlREKTOR zu DORPAT

    IN LIVLAND

    GEWIDMET

  • MOTTO:

    DU HAST UNS GESCHAFFEN ZU DIR HIN UND UNSER HERZ IST UNRUHIG, BIS ES FRIEDEN FINDET IN DIR.

    AUGUSTINUS, BEKENNTNISSE I, I.

  • VORWORT.

    DAS vorliegende Werk ist aus Vorlesungen erwachsen, die ich seit dem Winter 1901/2 an der Wien er Universitt gehalten habe und die wiederum an frhere, in Dorpat und Inns-bruck gehaltene Vorlesungen ber "Vergleichende Mythologie" sich anschlossen, resp. eine Erweiterung und Vertiefung dieser letzteren darstellten. Mehr und mehr war im Laufe der Jahre ftir mein Interesse die Religion in den Vordergrund getreten, gegenber der frher mit Vorliebe behandelten Mythologie. Ge-rade der vorliegende erste Band des Werkes lt dies am deut-lichsten erkennen. Der zweite Band soll "Naturverehrung und Lebensfeste" der Arier behandeln; der dritte "Seelengtter und Mysterien". Die Berechtigung dieser Einteilung ergibt sich aus dem Buche selbst.

    "Altarische Religion" - so sollte der Titel des Werkes, gleich dem der Vorlesungen, ursprnglich lauten. Denn das war es, was ich mir zur Aufgabe setzte: durch Vergleichung der bei den verschiedenen arischen Vlkern uns erhaltenen Religionsformen das ihnen Gemeinsame festzustellen, was wir mit einiger Wahr-scheinlichkeit als ursprnglich arisch, "altarisch" bezeichnen drfen. Wiederholte Erfahrung aber hat mir gezeigt, da das noch nicht eingebrgerte Wort "altarisch" einem groben Mi verstndnis ausgesetzt ist, indem Fernerstehende geneigt sind, dasselbe von dem Worte "Altar" abzuleiten und somit direkt irregefhrt werden. Unter diesen Umstnden habe ich es vor gezogen, einfach "A risc he R el i gio n" zu sagen.

    Die Religion unserer arischen Vorvter durch Vergleichung zu erschlieen, ist nicht nur an sich eine reizvolle Aufgabe. Ich

  • VI Vorwort.

    glaube, da sich solche Arbeit immer deutlicher als ein zeit-gemer, nicht unwichtiger Beitrag zur Klrung des groen Re-ligionsproblems der Gegenwart herausstellen wird. Kein Zweifel, da heute schon das Interesse vieler auf diese Frage gerichtet ist, zu deren Lsung ich im folgenden das meinige beizutragen mich bemht habe.

    Der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien, die die Drucklegung des Werkes durch einen Beitrag zu den Kosten untersttzt hat, sage ich meinen herzlichsten Dank. Ebenso dem Herrn Verleger, der sich um angemessene Ausfhrung des Druckes alle Mhe gegeben hat.

    Wien, im Juni 1914. L eo p 0 ld von Sch ro ed er.

    Bei den indischen Worten und Namen spreche man stets c wie tsch i j wie dsch i y wie j i CO und sh wie 5ch.

  • INHALT DES ERSTEN BANDES.

    Einlei tung. . . .. ... Wesen der Religion .... Die Universalitt der Religion. Der Ursprung der Religion

    Naturverehrung . . Seelenkult . . . . Das hchste Wesen

    Die dreifache Wurzel der Religion Moral, Poesie und Denken in ihren ersten Be

    ziehungen zur Religion Die Arier . . . .

    Die Heimat der Arier. Die Kultur der arischen Urzeit Allgemeines ber die religisen Vorstellungen der

    arischen Urzeit . . Das hchste Wesen der arischen Urzeit . Der altarische Himmelsgott .. Der Himmelsgott bei den Indern und Persern Die dityas . MitraMithra Die kleineren dityas. Name und Zahl der dityas. Die Gttin Aditi Der siebente ditya .... Die Siebenzahl der dityas und A mesha c;peiitas dityas und Amesha c;peiitas semitischen Ur

    sprungs? Ahura und Jahve . .

    139 170 214 229

    265 295 299 31 5 354 367 384 395 408 424

    43 439

  • VIII Inhalt. Seite

    Das hchste, gute, schpferische Wesen in der in do pers ische n Ei nhei ts p eri 0 de. 441

    Der Himmelsgott bei den Griechen. 445 Der Himmelsgott in Italien 467 Der Himmelsgott bei den Germanen 483 Der Himmelsgott bei den Kelten, Litauern und

    Letten, Slaven und Phrygern. 524 Der Himmelsgott, das hchste gute Wesen

    der arischen Urzeit 555 Register. 588

  • EINLEITUNG.

    W IR stehen mitten in einer Zeit groer geistiger Um-wlzungen und Neugestaltungen_ Mit brennenden Fragen

    sind wir in das neue Jahrhundert getreten, - Fragen, die nur durch gewaltige Kmpfe entschieden werden knnen. Die grte Frage aber liegt dort, wo sie heute von vielen noch nicht gesehen wird, weil sie die Entscheidung, so oder so, schon ftir endgltig gefllt halten. Aber eben weil diese Entscheidung hier und da eine vllig verschiedene, sich widersprechende ist, und weil zu-gleich diese Frage das tiefste, innerste Wesen des Menschen be-triffi, den beherrschenden Mittelpunkt, der sein gesamtes Denken, Fhlen und Handeln bestimmt und trotz aller gegenteiligen Ver-sicherungen immer bestimmen wird, ist der Kampf unvermeidlich.

    Der groe Kampf, - der grte, welchen das beginnende Jahrhundert auszufechten haben wird, ist nicht ein Weltkrieg, wie ihn viele erwarten. Wohl mag auch dieser kommen, - ich denke aber an einen noch greren, noch mehr entscheidenden Kampf. Nicht um die Herrschaft ber Ostasien, Indien oder Afrika wird es sich dabei handeln. Es ist auch nicht der Nationalitten-kampf, so furchtbar derselbe auch noch fort und fort die Ge-mter erregt; - auch dieser mu schlielich der gesunden Ver-nunft Platz machen, die auf diesem Wege die Interessen aller gefhrdet sieht. Es ist auch nicht der Kampf um die wirtschaft-liche bermacht der alten oder der neuen Welt, Europas oder Amerikas j oder der Kampf der weien und der gelben Rasse. Nicht der Kampf zwischen Besitzenden und Besitzlosen, Kapitalis-mus und Proletariat, die sog. soziale Frage t1. dgl. m. Das alles sind groe und wichtige Fragen, - Kmpfe, in denen wir schon mitten drin stehen, die uns weiter erwarten und entschieden werden wollen. Doch die Frage aller Fragen ist eine andere, eine

    RA I

  • :z Einleitung.

    weit mehr zentrale. Es ist die Frage nach dem Woher, Wohin und Wozu aller Welt- und Menschheitsentwicklung, die Frage nach dem Sinn und Zweck unseres Lebens, welche die Wissen-schaft zu beantworten unfahig ist. Der Kampf aller Kmpfe ist der groe Kampf um den GI a u ben, der das Wissen ergnzen mu, wo dieses seiner Natur nach versagt und abreit, - der Kampf um die Religion, um Gott, um die Frage, ob wir berhaupt noch eine Religion, einen Glauben, einen Gott haben wollen, sollen und werden, - und wie im Bejahungsfalle diese Religion wohl ausschauen wird.

    Die Naturwissenschaft und die historisch-kritische Forschung haben den naiven Glauben untergraben. Dennoch besteht das Be-drfnis fort nach einem Glauben, der das Wissen ergnzt, - das Bedrfnis, Ziel, Zweck und Sinn unseres Lebens zu begreifen, eine Religion, einen Gott irgend welcher Art und ein Verhltnis zu ihm zu haben, - und dies Bedrfnis wird nie zu unterdrcken sein, wieviel dem auch widersprochen werden mag. Der natur-wissenschaftlich und historisch - kritisch gebildete Mensch von heutzutage, der zugleich ein tiefes religises Bedrfnis emp-findet, trgt den Widerspruch und damit den Kampf in sich selbst. Dieser Kampf wird drinnen und drauen ausgekmpft werden mssen, - und der Kampf in uns steht da in erster Linie und ist der eigentlich entscheidende.

    Allerdings ist dieser Kampf kein Novum. Nichts weniger als das. Er ist im Grunde so alt wie die Menschheit. Goethe, gewi ein unverwerflicher Zeuge, sagt einmal: "Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle brigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Un-glaubens und Glaubens." Und auf welcher Seite seine Sym-pathien liegen, sagen uns seine darauf folgenden Worte: "Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, in welcher Gestalt er auch wolle, sind glnzend, herzerhebend und fruchtbar fr Mit-welt und Nachwelt" 1. - Es ist damit die schpferische, zeugende

    1 Israel in der Wste, Frhling 1797; vgl. Th. Vogel, Goethes Selbstzeugnisse ber seine Stellung zur Religion und zu religis-kirchlichen Fragen, 2. Aufl., Leipzig 1900, S. 227.

  • Einleitung. 3

    Kraft des Positiven klar angedeutet, im Gegensatz zu der. uno produktiven, im besten Falle doch nUT reinigenden und klrenden Kraft der Negation.

    Gottesleugner, Verchter der Religion und allen Glaubens hat es zu allen Zeiten gegeben. Selbst unter den so ausgesprochen religis, so kraftvoll theosophisch veranlagten Indern gab es eine materialistische, radikal glaubenslose Strmung - die sog. Carvakas - wie A I fr e d Hili e b ra n d t in seinem Buche ber "Alt-Indien" auch einem weiteren Publikum darlegt 1. Und der Psalmist redet von den Leuten, die in ihrem Herzen sprechen: "Es ist kein Gott." Er nennt sie die Toren! 2 Es wre nicht schwer, Zeugnisse hnlicher Art von allen Seiten, aus allen Vlkern und Zeiten beizubringen. Doch wohl nie zuvor war die Frage in solcher Weise zugespitzt wie heutzutage, nie war das Pro und Kontra, Holz und Sehne des Bogens so gewaltig gespannt wie heute. Der Pfeil, den die Auslsung dieser Spannung fliegen macht, wird darum voraussichtlich weiter fliegen und schrfer treffen als frhere Pfeile.

    Auf die Zeit der Reformation und ihre Kmpfe folgte das Zeitalter der Aufklrung. Aber auch Volt air e, sein typischer Vertreter, hielt am Gottesglauben fest, so scharf er auch die Kirche bekmpfte. Und K an t, ihr grter .Philosoph, der die Religion (subjektiv betrachtet) in der "Erkenntnis aller unserer Pflichten als gttlicher Gebote" sieht, gab der absoluten Moral durch den kategorischen Imperativ eine neue Grundlage. Nach der Zeit der Reaktion erfolgte, durch die Wissenschaft vorbereitet, ein neuer Vorsto nach der negativen Richtung, und heute ist die Zahl der Gebildeten - und auch der Ungebildeten -, denen der Gottesglaube, resp. die Religion wirklich oder angeblich nichts mehr bedeutet, wohl grer denn je. Und auch an die bisher fr unantastbar gehaltene Grundlage der Moral legte Nie t z s c h e die revolut ionr umstrzende Hand, viele mit Ent-setzen erfllend, aber von vielen auch mit jubelndem Beifall begrt.

    1 V gl. A lfr c d H i 1l e b ra n d t, Alt-Indien, Kulturgeschichtliche Skizzen, Breslau 1899, S. 168ff. (das Kapitel "Materialisten und Skeptiker").

    2 Psalm 14, I. I

  • 4 Einleitung.

    Diese Entwicklung sah schon T h 0 m ase a r I y I e seiner-zeit mit augenscheinlicher Besorgnis voraus. Er war der ehr lichste, wahrhaftigste, durchaus freiheitlich gesinnte Forscher; doch der Glaube an die Existenz, die Allgegenwart und die Allmacht Gottes stand ihm fest. Gott war fr ihn die ewige Tatsache aller Tatsachen. Er fute auf K:1I1ts kategorischem Imperativ. Die Begrndung der Moral auf Utilitarismus, auf "Ideenassoziation" lehnte er entschieden, ja mit Hohn ab. Er schreibt in seinem Tagebuch (unter dem 29. Juni 1868):

    "Wenn die Menschen - alle oder doch die meisten Gott aus ihren eigenen, armen, irregeleiteten Herzen ausstoen, dann wird man eine Zeitlang (vielleicht mehrere Generationen lang) eine solche Welt zu sehen bekommen, wie wenige sie sich trumen lassen. Aber ich fUrchte die sog. ,Abschaffung' dessen nicht, was die ewige Tatsache aller Tatsachen bleibt, und kann prophezeien, da die Menschheit im allgemeinen entweder zu ihr zurckkehren wird, und zwar mit neuel' Klarheit und heiliger Reinheit des Eifers, oder in undenkbaren Tiefen anarchistischen Elends und anarchistischer Gemeinheit zugrunde gehen wird" '.

    Wir werden die Frage aller Fragen hier nicht entscheiden. Kein einzelner wird es. Doch die Rolle, welche wir in diesem Kampfe spielen, ist nicht gleichgltig, weder fr uns noch fr andere.

    Sehen wir uns die Voraussetzungen des Kampfes an, so steht eines fest, und das ist wichtig genug: Was wir uns ganz gewi nie und nimmermehr rauben oder verkmmern lassen, das ist die Freiheit der F~rschung, auf diesem wie auf allen Gebieten. Wie das Resultat unseres Suchens und Forschens ausfllt, das ist die Frage, die ja wohl nie eine ganz einheitliche Antwort erwarten lt. Da aber die ehrliche, wahrheitsuchende Forschung frei und durch keinerlei Rcksicht beschrnkt ist, das steht gottlob ! auer Frage. Nicht voraussetzungslos - das war keine glckliche Prgung Mo m m sen s -, aber doch frei, durchaus frei und unabhngig. Das ist das mhevoll errungene,

    1 Vgl. J. A. Froude, Das Leben Th. Carlyles, Bd. II, S. 362.306. 30j.

  • Einleitung. 5

    kostbare Ergebnis der jahrhundertelangen blutigen und unblutigen Kmpfe, die wir hinter uns und endgltig berwunden haben. Gerade wer ehrlich gottglubig ist, wer in Gott den Urquell des Guten, die Lieue, die Wahrheit sieht, mu daran festhalten. Fr einen solchen kann die "Wahrheit" nie bedenklich sein, denn Gott selbst ist ihm ja die Wahrheit. Wir knnen daran zugrunde gehen, wenn wir sie verknden, aber dann sterben wir fr die Wahrheit, fr Gott. Es braucht aber auch kaum hervor-gehoben zu werden, da Freiheit der Forschung keineswegs mit Glaubenslosigkeit zusammenfllt. Es gibt auch eine Tyrannei des Unglaubens, eine Tyrannei der Negation, die gerade in unseren Tagen sich schon lebhaft geltend gemacht hat, und die wollen wir uns vom Leibe halten, wie berhaupt jede Tyrannei des Gedankens. Wir beanspruchen Freiheit der Forschung, un beschrnkt, nach allen Seiten. Nur das ist volle Freiheit, nur das ein Prinzip, welches billigerweise alle anerkennen mssen.

    Mitten in der unabsehbar groen Menge derjenigen, welche sich von dem alten Glauben und seinen Formen losgemacht haben, gewahren wir heute eine mchtige Strmung, die auf verschiedenen Wegen einem neuen Glauben, einer neuen Form der Religion zu-strebt.

    Da sahen wir bis vor kurzem noch vor uns die berragend gewaltige Gestalt L e To Ist 0 i s, des groen russischen Dichters \lnd Denkers, der alles besa, was die Welt sonst schtzt und Rucht - Reichtum, Vornehmheit, Ruhm, glckliches Familien-leben -, aber den inneren Frieden doch erst finden konnte, als er darber hinaus sein Herz ganz und gar religisen und ethischen (;edanken und Empfindungen zugewandt hatte j - Tolstoi, dessen Gedanken ber Gott gro und tief sind und auf wirklicher Er-fahrung, auf Erlebnis beruhen. Er glaubt an einen unpersn-lichen Gott, weil er Persnlichkeit als Beschrnkung empfindet, aber doch einen Gott, zu dem er beten kann, ja beten mu, ohne den zu leben ihm unmglich ist. Den Willen dieses Gottes zu erfllen, wie ihn Christus in vollendeter Reinheit verkndet hat, darin liegt fr ihn der Sinn des Lebens. Da Tolstoi die :'.Tenschheit von heute zu fassen gewut hat, dafr zeugt der

  • 6 Einleitung.

    ungeheure Erfolg seiner Worte, die selbst im fernen Indien einen Widerhall gefunden haben.

    Da sehen wir ferner - uns in seiner germanischen Eigen. art noch nher stehend - H 0 u s ton S t e war t C ha m b e r -lai n, den berhmten Verfasser der "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts", der uns die Erscheinung Christi in strahlender Schnheit schildert, als eine Lichtgestalt, die die Menschheit erst in Jahrhunderten und Jahrtausenden allmhlich durch die um-lagernden Neuel zu erfassen beginnt, als den untrglichen Fhrer und Leitstern auf unserem Lebenswege, zu Gott hin. Chamber-lain, der die "W 0 r t e C h r ist i" mit einer schnen Einleitung herausgegeben hat, aber andererseits mit groem Nachdruck in seiner "A ris c hen W e I ta n sc hau u ng" auf Indien und das indische Denken hingewiesen hat, als einen Jungbrunnen zur Er neuerung unserer Religion und Philosophie.

    Da ist Pa u I D e u s sen, der tiefste Kenner altindischer Philosophie, der in geistvoller Darlegung die Weisheit der Upani-shaden als notwendige Ergnzung des Christentums betrachtet, beide im tiefsten Grunde nur zwei Seiten derselben Wahrheit 1. Deussen, der ebenso klar wie eindrucksvoll Kants groe Ent-deckung der Idealitt von Raum, Zeit llnd Kallsalitt als die feste Grundlage nachweist, von der alls die Religion siegreich verteidigt, der Materialismus endgltig abgelehnt werden muf.~ 2. In anderer Weise und auf anderen Voraussetzungen fuend sehen wir den Philosophen R 11 d 0 lf E 11 C k e n bestrebt, den Wahrheits-gehalt der Religion zu fixieren, wie er auch ganz vorgeschrittenem modernem Denken sich darstellt.

    In bestimmter Entfernung von den Genannten, aber vielleicht doch nicht zu ferne von ihnen, steht A d 0 I f Ha r n ac k, der

    I Vgl. namentlich P. Deussens Vorrede zu seinen "Sechzig Upani-shads des Veda" (Leipzig 1897).

    2 V gl. Deussens grundlegende Errterung in den Transactions of the third International Congress for the History of Religions (Oxford 1908), val. II, p. 383-387, unter dem Titel: "Materialismus, Kantianismus und Religion". - Zu tieferem Verstndnis der Deussenschen Gedanken vgl. :luch den Aufsatz von Fe li x Gott he If ber "Indische Renaissance", IId. V, Heft I der Zeitschrift "Religion und Geisteskultur", S. 52-68.

  • Einleitung. 7

    groe protestantische Theologe, der das Christentum mit rck-haltlos freier Forschung ernstlich zu vereinigen strebt, vom Kern und Wesen des Christentums herrliche Worte zu uns gesprochen hat. Harnack, der mit seiner "Dogmengeschichte" und anderen Werken in der historisch - kritischen Forschung der Gegenwart alle berragend, richtunggebend hervortritt.

    Die Gedanken dieser und anderer suchender Geister der Gegenwart gleichen Linien, die selbstndig frei aufstrebend in bestimmter Hhe sich doch zu berhren scheinen, wie die Linien eines gotischen Domes.

    Wenn lltm wir, erfat "on verwandtem Streben, nach einer erweiterten Erkenntnis auf dem Gebiete der Religion suchen, dann sehen wir bald, da nicht nur der Theologe, der Philosoph oder der Dichter ein Recht hat, ber diese Fragen zu reden. Im Grunde ist es ein unveruerliches Recht jedes Menschen. Doch U1U auf dem Boden der Wissenschaft zu bleiben, sei nur dies bemerkt: Auch die E t h n 0 log i e, die vergleichende Vlker-forschung, die die Geistesregungen und Geistesschpfungen aller Vlker der Erde zu erfassen strebt, hat ein unabweisbares Be-drfnis, nach Urspruug, Wesen und Entwicklung der Religion zu forschen und zu fragen. Und sie gerade in ganz hervorragendem Mae. Ist doch die Religion das wichtigste und beherrschendste Geistesphnomen, und, um sogleich ein wenig vorauszugreifen, ein lJniversalphnomell der Menschheit. Der Ethnologie aber steht ein unschtzbares, unvergleichliches Material zur Klrung und Be-antwortung dieser Fragen zu Gebote, da sie die Religion in allen Formen, von den niedrigsten bis zu den hchsten hinauf be-trachtet. Ja, es erscheint sehr fraglich, ob es berhaupt mglich ist, ohne vertieften Einblick in dies Material, das Problem der Religion recht zu erfassen und befriedigend zu lsen. Der Theolog wird immer geneigt sein, die Frage nach dem Wesen der Religion yon dem Standpunkte der besonderen Religion, zu welcher er sich bekennt, zu beurteilen. Andere, insbesondere niedere Formen der Religion interessieren ihn weniger, er erkennt sie vielleicht gar nicht als Religion an. So ist seine Auffassung in der Regel eine zu hohe, um auch jene niederen Gebilde mit zu begreifen.

  • 8 Einleitung.

    Der Philosoph, gewohnt in mehr allgemeinen, abstrakten Ideen-gngen sich zu bewegen, wird, wenn er nicht zugleich Ethnologe ist, dazu neigen, das Problem vom subjektiv - psychologischen Standpunkt aus zu behandeln. Die notwendige Ergnzung des-selben aber ist der vlkerpsychologische Standpunkt, der Stand-punkt der Ethnologie, der Anthropologie. Die Ethnologie hat nicht nur das Recht, sie hat die Pflicht, das Problem auf Grund des ihr zu Gebote stehenden Materials zu beurteilen. Das wollen denn auch wir, soweit es die allgemeinen Fragen betrifft, versuchen.

    Aber auch die kulturhistorische Forschung, die sich mit der Entwicklung eines Volkes oder einer Vlkerfamilie beschftigt, sieht sich vor dieselbe, wenn auch enger gefate Aufgabe i\'e-stellt. Je wichtiger und interessanter das betrelfende Volk, die betreffende Vlkerfamilie fr uns speziell, fr die Entwicklung im allgemeinen ist,. um so mehr wird auch eine solche Spezial-behandlung unser Interesse erregen. Keine Vlkerfamilie aber liegt uns nher, keine ist fr die Menschheitsentwicklung wichtiger, als die Familie der In d 0 ger mall e n, die ich noch lieber die A r i ernennen mchte, die Edlen oder die Getreuen - mit dem alten Ehrennamen, den ihre stlichsten, frhest entwickelten Stmme, Inder und Perser, sich selber einst gaben. Ein Name, der, auer halb Deutschlands schon lange viel in Gebrauch zur Bezeichnung der ganzen Vlkerfamilie, durch seine' Einfachheit sich empfiehlt und wohl mehr Lebensberechtigung hat als die bel und un-geschickt gebildeten, knstlichen Namen der Indogermanen oder Indoeuroper 1.

    A r i e r sind die hauptschlichsten Trger aller groen Kultur in der Gegenwart, sie werden es auch in der Zukunft sein. Wie diese an Charakter und Geist begabteste, schpferisch reichste -------------------------

    1 Die deutsche Wissenschaft hlt zwar noch an der Bezeichnung Indo-germanen fest, indem sie den Namen Arier der stlichsten Gruppl", den nahverwandten Indern und Persern vorbehlt; im groen Publikum aber versteht man lngst unter "Ariern" die gesamte Vlkerf"milie, und abnt kaum etwas von jener Beschrnkung. Es wird gut sein, wenn auch unsere Wissen-schaft diesen Gebrauch adoptiert und sich dadurch in Einltlang setzt mit dem Sprachgebrauch der meisten anderen Kulturvlker.

  • Einleitung. 9

    Vlkerfamilie von kleinen Anfangen ausgehend, im Laufe der Jahrhunderte alle anderen Rassen berflgelt hat und jetzt tat-schlich schon den Erdball entscheidend beherrscht, das zu schildern ist hier nicht unsere Aufgabe. Es ist ja auch bekannt genug. Neben den Ariern kommen kulturell eigentlich nur noch die mit ihnen eng verbundenen, vielfach ganz verschmolzenen J u den in Betracht. Wie sich dies El('ment zu dem arischen verhlt, das ist eine komplizierte Frage, und auch das liegt in der Hauptsache auerhalb der Grenzen unserer Betrachtung. Uns beschftigt hier nur die religise Frage und da springt bei dem Rckblick auf die Menschheitsentwicklung ein e groe Tatsache in die Augen: nur Ar i er und Sem i t e n sind die Schpfer groer Welt religionen gewesen. Arier zuerst. Denn arische Inder breiteten lange vor Christi Geburt zuerst den Brahmanismus ber die vielen verschiedenen Vlker nichtarischen Ursprungs aus, welche die groe vorderindische Halbinsel seit alters bewohnten; sie trugen ihn erobernd auch in hinterindische Gebiete, vor allem nach Java. Von den arischen Indern ging in der Folge auch der Buddhismus aus, die erste Weltreligion in groem Stil, die auch schon Jahrhunderte vor Christo ihren Siegeszug antrat, in der Folge sich ber Hinterindien, die Himalajalnder, Zentralasien, Tibet, China, Korea, Japan und die Mongolei ausbreitete, in durch-aus friedlicher, rein geistiger Eroberung.

    Dann kam das Christentum, von den Juden ausgehend, aber alsbald von Vlkern arischen Stammes aufgenommen, mit arischem Denken und Empfinden, arischer Philosophie und Religion durch-setzt, verbunden und ausgestaltet. Endlich der Islam, der, jdische und christliche Elemente mit dem leidenschaftlichen Empfinden arabischer Wstenshne verbindend, ungeheure Eroberungen machte, eine nicht zu unterschtzende moralische Kraft in sich triigt, aber doch nicht auf gleicher geistiger Hhe stehend, seine Anziehungskraft heute nur noch bei Vlkern zweiter und dritter Ordnung bewhrt und fr die Zukunft nUT in untergeordnetem l\lae in Betracht kommt.

    Unter den arischen Trgern des Christentums macht sich aber heute eine mchtige Strmung geltend, die das Christentum

  • 10 Einleitung.

    ablehnt und - wenn sie nicht alle Religion perhorresziert --meist bei einer arischen Religion ihre Zuflucht sucht, wo dann vor allem die hheren Formen der indischen Religionsentwicklung in Betracht kommen.

    Bei dieser Sachlage hat die Betrachtung der Anfnge aller arischen Religion doppelte Bedeutung fr uns: Erstens insofern die Arier selbst frei schpferisch auf religisem Gebiete gewescn sind; sodann insofern sie als die hauptschlichsten Trger des Christentums dasselbe in ihrem Gciste aus- und umgestaltet haben.

    \Vir wollen demnach zu n c h s t Wes en und Urs pru n g der R el i gi 0 Il auf e t h n 0 log i s c her 13 a s i s untersuchen und sodann den Anfngen allcr arischen Religion unsere besondere Aufmerksamkeit zuwenden.

    Wenn ich zu solcher Betrachtung der Anfnge aller Religion unseres Geschlechtes einlade, dann fhre ich - so scheint es -in ein fernabliegendes, in den Nebeln der grauen Vorzeit sich verlierendes Gebiet, das in der mchtig yorwrtsstrmendcll, oft wohl auch sich berstrzenden Gegenwart nicht viel Interesse beanspruchen drfte. Aber der Trieb, die uralten Wurzeln unseres geistigen Daseins zu ergrnden, ist ein ebenso starker, wie jener andere Trieb nach geistigcm Fortschritt, der jeden lebendigen Geist erfllt. Und der Blick rckwrts, in die fernste Vergangenheit unseres Geschlechtes, trgt nicht wenig dazu bei, da der Blick vorwrts, in die weiteste Zukunft hinaus, die rechte Klarheit gewinnt. Denn alles Irdische ist ein Werdendes oder ein Gewordenes, und von der Vergangenheit hngt die Gegenwart, hngt auch die Zukunft ab; mit der Vergangenheit hngen sie beide durch unzhlige starke Fden zusammen. Die uralten Wurzeln religisen Glaubens sind heute so wichtig wie ehemals, und werden es bleiben, solange die Menschheit besteht.

    Diese uralten Wurzeln des (;Iaubens wollen wir hier mit dem Lichte des Wissens, der Wissenschaft, zu beleuchten suchen. Glauben und Wissen stehen seit uralters im Kampfe miteinander, - und sie mssen das, solange wir leben und uns geistig weiter entwickeln. Doch wer die beiden fr unvershnbar feindliche

  • Einleitung. I I

    Gegenstze hlt, der verkennt die Natur heider und schdigt beide. Sie sind vielmehr dazu bestimmt, einander zu ergnzen. Unsere Menschennatur fordert beides und es gibt ein hheres geistiges Sc hau e n, das beide vereinigt.

    Ein Wort unseres grten Dichters und Sehers mag uns da als Leitstern dienen, \'on dem ein beruhigendes, friedlich-ver-shnendes Licht ausstrahlt. Goethe sagt in seinen Gesprchen mit Falk: "Sobald man nur \'on dem Grundsatz ausgeht, da Wissen und Glauben nicht dazu da sind, lIIU einander aufzuheben, sondern um einander zu ergnzen, so wird schon berall das Rechte ausgemittelt werden."

    1)aran wollen auch wir uns halten!

  • WESEN DER RELIGION.

    WAS heit, was ist Religion? aus welchen Wurzeln ist sie entsprossen? - Diese groen allgemeinen Fragen mssen

    wir uns gleich zu Anfang unserer Untersuchung stellen und eine wenigstens vorlufige und subjektive Beantwortung versuchen. Aller dings sind das Fragen, ber die sich ganze Bibliotheken schreiben und endlose Reihen von Vorlesungen halten lieen, zumal wenn man alles das bercksichtigen wollte, was ber diesen Gegenstand schon frher gedacht und geschrieben worden ist. Indessen wird es doch wohl dem Forscher, der lange und ernstlich mit den Problemen des Wesens und Ursprungs der Religion gerungen hat, nicht unmglich sein, in verhltnismiger Krze seinen eigenen Standpunkt darzulegen, die Anschauung, welche ihm als Resultat seines Suchens und Nachdenkens aufgegangen ist. Ob es die richtige Ansicht ist, mu die Folge lehren. Als Mastab zur Prfung aber whle und empfehle ich das schne Wort Goethes 1:

    Was fr u c h t bar ist allein, ist wahr! Die erste der beiden groen Fragen, - die nach dem

    Wes e n der Religion, scheint leichter und einfacher zu beant-worten, als die andere, nach dem Ursprung derselben. Es mu sich am Ende doch feststellen lassen, was Religion ist, was man unter diesem Worte versteht. - Leichter und einfacher als die andere mag diese Frage wohl sein, aber leicht und einfach ist sie darum doch noch lange nicht. Im Gegenteil. Wenn wir die Summe der von frheren Denkern, von Theologen und Philosophen, von Sprachgelehrteu und Ethnologen ber das Wesen der Religion

    I Vermchtnis (Anf. J 829). usw., S. 86.

    S. T h. Vo gel, Goethcs Selbstzeugnisse

  • \\" e.ca der Religion. 13

    geuerten Ansichten: wenn wir ihre Bestimmungen, ihre Defi-nitionen von der Religion zu berschauen suchen, da begegnet uns eine so ungeheure Mannigfaltigkeit der verschiedensten Meinungen, die sich oft gegenseitig ganz ausschlieen und auf-heben, und doch alle von Autoritten bedeutenden Ranges ver-treten sind, da man \\'ohl verwirrt und zaghaft werden mag gegenber der Lsung einer solchen Aufgabe. Da hren wir: Religion ist Erkenntnis und Verehrung Gottes j Religion ist Gottesliebe und Nchstenliebe j Religion ist die Erfahrung einer yon Gott gewirkten Frderung des persnlichen Lebens j Religion ist schlechthinniges Abhngigkeitsgefhl ; Religion ist Sammluug des Gemtes; Religion ist Erkenntnis aller unserer Pflichten als gttlicher Gebote; Religion ist das Wissen des endlichen Geistes von seinem Wesen als absoluter Geist; Religion ist Aufgehen des endlichen Willens im unendlichen Willen; Religion ist perma-nentes Gefhl der Bewunderung oder auch Ehrfurcht; Religion st Wahrnehmung" des Unendlichen; Religion ist Glaube an

    geistige Wesen u. dgl. lll_ Und das sind nicht etwa gelegentlich hingeworfene uerungen. Aper~us, sondern jede dieser An-sichten darf als das Resultat langer und ernster Denkarbeit be-zeichnet werden. Da erscheint es von vornherein fast hoffnungs-los, ZUl' Klarheit zu gelangen, zu einer Bestimmung des Wesens der Religion, die auf allgemeine Billigung Anspruch erheben drfte. Und unsere Entmutigung wird noch grer, wenn wir einen der hervorragendsten theologischen Denker der Gegenwart, wenn wir A d 0 I f Ha r n ac k daran zweifeln sehen, ob es ber-haupt einen allgemeinen Begriff "Religion" gebe. Ja, dieser groLle Gelehrte sagt geradezu: "W i r w iss e 11 heu t e, dal3 Leben sich nicht durch Allgemeinuegriffe umspannen lt, und da es keinen Religionsbegriff gibt, zu welchem sich die wirklichen Religionen einfach wie die Spezies ver-ha I t e n" 1. Das klingt niederschlagend genug. Und doch spricht derselbe Forscher gleich darauf seine berzeugung dahin ans, da es dennoch in allen Religionen "im Tiefsten etwas Geme:lI-

    I .\

  • Wesen da Religion.

    sames gibt, was sich aus der Zerspaltung und der Dumpfheit im Laufe der Geschichte zur Einheit und Klarheit emporgerungen hat". Und auch er gibt am Schlusse derselben Arbeit eine Be-stimmung dessen, was Religion ist. Wir kommen eben nicht darum herum. Wir wollen und mssen wissen, was wir unter dem Worte Religion zu verstehen haben, was eigentlich damit bezeichnet wird. Wir wollen und mssen wissen, was die Religion, dies mchtigste und am meisten umstrittene geistige Phnomen der Menschheit, im Grunde, seinem tiefsten Wesen nach ist.

    Was wir suchen und brauchen ist eine allgemeine Bestimmung der Religion, die auf alle bekannten Religionen der Gegenwart wie der Vergangenheit pat. Es fallt aber bei einem berblick ber die bekanntesten und bedeutendsten Definitionen der Religion sofort in die Augen, da die meisten derselben ]. auf die niederen Formen der Religion nicht anwendbar sind, und 2. da sie fast alle den Buddhismus, also eine der bekanntesten und bedeutendsten Religionen, ausschlieen. Wo die eine oder die andere dieser bei den Klippen vermieden ist oder vermieden scheint, da be-gegnen wir einer so vagen Bestimmung, da dieselbe sich bald eben darum als unzulnglich erweist. Eine Definition der Religion, die auf alle bekannten Religionen unzweifelhaft pat und zugleich klar und przise ist, habe ich uisher nicht gefunden.

    Sehen wir uns zunchst die Definitionen der Theologen und Philosophen an. Da wir nur die bekanntesten und be-deutendsten derselben erwhnen knnen, ist durch das Ma des uns zu Gebote stehenden Raumes bedingt.

    Eine der bekanntesten theologischen Definitionen bezeichnet die Religion als Modus cognoscendi et colendi Deum, d. h. als eine Art der Erkenntnis und Verehrung Gottes. Ich will ganz ausehen von dem gewi bedeutsamen Einwand, der sich gegen die Bestimmung der Religion als einer Erkenntnis erheben liee, allein diese alte Definition erfllt schon darum nicht das, was wir suchen und verlangen, weil sie nur von ein e m Gott redet und also nur dort gilt, wo ein Go t t geglaubt wird, beim Mono-theismus. Sie schliet alle die vielen Religionen aus, in denen eine ganze Anzahl von Gttern, Dmonen oder Geistern geglaubt

  • Wesen der Religion.

    und verehrt werden. Sie schliet auch den Buddhismus aus, der keinen Gott als Weltregierer kennt, geschweige denn ihn verehrt.

    Derselbe gewichtige Einwand erhebt sich gegen Harnacks summarische Bezeichnung der Religion als "Gottes- und Nchsten-liebe" (Wesen des Christ., S_ 188). Wir werden auf die Frage, inwieweit die Nchstenliebe zur Religion gehrt, spter einzu-gehen haben. Von Gottesliebe kann aber weder im echten, ur-sp:nglichen Buddhismus, noch bei den meisten niederen Reli-gionen geredet werden. Diese Bestimmung der Religion pat nur auf wenige hochstehende Religioneu, vor allem auf das Christen-tum, das freilich fr Harnack die Re I i g ion xa7:' l;()XI;J' ist. Die Bestimm ur,g ist wertvoll, doch nicht allgemein gltig_

    Unter den neuereu Theologen kommt P nj er, obwohl er in seinem Grundri der Religiou5philosophie zuerst die ver-schiedensten Formen der Religion, die niedersten, wie auch den Buddhismus bespricht und analysiert, doch zu einer Definition, an der sich, von anderen Fragen abgesehen, ganz dasselbe aus-setzen lt. Er sagt (a. a. 0., S_ 48): Die Religion als subjektive ist die Erfahrung einer von Gott gewirkten Frderung des per-snlichen Lebens. Die Religion als objektive ist die Summe der in einer Gemeinschaft herrschenden Lehren ber Gott und sein Verhltnis zur Welt usw. 1 Wir brauchen nicht die ganze Formel zu zitieren. Man sieht es sogleich: diese Definition pat nur auf monotheistische Religionen, schliet die niederen Religions-formell ebenso aus wie auch den Buddhismus.

    In den entgegengesetzten Fehler der vngen t1nhestimmtheit verfllt Ge 0 r g Run zein seinem Katechismus der Religions-philosophie (Leipzig 190 I). Runzc gibt sich die ehrlichste 1\1he, smtliche uns bekannte Formen der Religion prinzipiell zu be-rcksichtigen, und er verdient wegen dieser Tendenz unein-geschrnktes Lob, ebenso wie auch wegen der in dem knappen Rahmen erstaunlich vollstndigen Bercksichtigung und kritischen

    1 G_ ehr. ernhard PUnjer, Grundrill der Religionsphilosophie, llraullschweig 1886.

  • \Vesen der Religion.

    Wrdigung smtlicher Vorgnger. Von der ungeheuren Mannig-faltigkeit der verschiedenen Bestimmungen gewinnt man hier ein anschauliches Bild. Wenn aber endlich Runze die Religion als Sammlung des Gemts bezeichnet (S. 215), so befriedigt uns das weniger. Es befriedigt ihn wohl auch selbst nicht. Er ist sich dessen wohl bewut, da dies keine streng logische Definition ist. Es soU nur eine plastische Wiedergabe dessen sein, was er als das Wesentlichste der religisen Stimmungen, Gedanken, Gesinnungen ansieht (a. a. 0., S. 215).

    Ja, gegen Ende seines Werkes uert er sich sehr skeptisch gegenber der Mglichkeit einer logisch genauen Definition der Religion und erklrt dieselbe berraschenderweise nicht einmal rur wnschenswert (S. 286). Die Grnde fr diese Ansicht hier zu besprechen, wrde uns viel zu weit fhren. Da aber "Sammlung des Gemts" zu wenig, zu eng ist, liegt auf der Hand. Sammlung des Gemts gehrt auch zu jeder hheren knstlerischen Produktion, die darum noch nicht Religion oder religis ist 1. Ob andererseits bei den rohesten Religionsformen von eigentlicher Sammlung des Gemts geredet werden kann, woUen wir schon nicht mehr untersuchen.

    I Man "rrgleichc ber die "Sammlung" als Quelle dichterischcn Schaffens, ja aller bheren Erkenntnis und selbst der Tat des Helden Grill-parzers schne Worte in seinem so benannten Gedicht (Smtl. Werke 11, s. 35) und in "Des Meeres und der Liebe Wellen" die Worte des Oh"r-priesters (SmtI. Werke VII, S. 47) ber die Sammlung, zu Hero:

    Sammlung? Mein Kind, sprach das der Zufall hloll? ... Du hast genannt den mcht'gen Weltenhebel, Der alles Grolle tausendfach erhht Und selbst das Kleine nhcr rckt den Sterncn. Des Hclden Tat, des Sngers heilig Lied, Des Sehers Schaun, der Gottheit Spur und Wa1t~n, Die Sammlung hat's getan und hat's erkannt, Und die Zerstreuung nur verkennt's und spottet.

    Und in dem erstgenannten Gedicht sagt Grillparzer von der Sammlull~ Was Grollcs wird, des bist du Mutter ja, Und wo du nie h t bist, da zerfllt in Staub Das Gtterbild der Menschheit und zerbrckelt, \\'je Mauerstcine, dcren Bindung weich.

  • Wesen der Religion.

    Einc der berhmtesten und folgen reichsten Definitionen der Religion stammt von Sc h lei e r mac h e f. Er bestimmt sie als ein "schlechthinniges Abhngigkeitsgefhl". Er sagt: "Religion besteht darin, da wir uns schlechthin abhngig von etwas ftihlen, das uns bestimmt uud das wir unsererseits nicht bestimmen knnen." Ein anderes Mal drckt er sich folgendermaen aus: "Religion ist weder ein Wissen noch ein Tun, sondern eine Bestimmtheit des Gefhls und des unmittelbaren Selbstbewutseins, welche sich darin offenbart, da wir uns unserer selbst als schlechthin abhngig oder als in Beziehung mit Gott bewut sind" J.

    An der letzteren Stelle bringt Schleiernlacher mit einem "oder" Gott in die Bestimmung der Religion hinein. Er tut wohl, dies sonst zu vermeiden, denn damit wrden die niederen Religionsformen wie auch der Buddhismus wieder ausgeschlossen sein. Aber freilich verlangen wir dringend danach, jenes Etwas, von dem sich die Menschen in der Religion schlechthin abhngig ftihlen, nher bestimmt zu sehen, und nach dieser Richtung bedarf die Definition unbedingt einer bedeutsamen Ergnzung. Denn Abhngigkeitsgefhl allein macht noch nicht die Religion aus und wir begegnen demselben auch auf auderen Gebieten. Deunoch ist die Definition Schleiermachers von groer Bedeutung, denn in der Tat ist das beherrschende Gefhl der Abhngigkeit von etwas auer oder ber uns, jenseits des empirischen Ich, ein durchaus charakteristischer, beraus wichtiger Zug, der allen Religionen, den hchsten wie den niedrigsten, ganz gleichmig-eigen ist.

    He gel s billiger Spott ber diese Definition Schlciermachers hat dem Anseheu derselben aus guten Grnden nur wenig ge-schadet. Seine Bemerkung, da das Abhngigkeitsgefhl gerade das Menschliche, Sklavische, Hndische im Menschen ausmache, da dann der Hund der beste Christ sei 2, schiet weit am Ziele vorbei, sie macht aber allerdings auf einen Mangel jener Definition aufmerksam, - denselben, den ich schon hern)r-

    I Christliche Glaubenslehre, 3 4 ~ Vgl. Runze a. a. 0., S. 175.

    Al':' 2

  • 18 '''esen der Religion.

    gehoben habe, da nmlich jenes Etwas, von dem wir uns ab hngig fhlen, unbedingt nher bestimmt werden mu.

    Wenn Hegel, und ihm folgend auch mancher andere, im Gegensatz zum Abhngigkeitsgefhl vielmehr gerade das "Bewut sein der Freiheit und Gemeinschaft mit Gott" fr die Religion in Anspruch nimmt (Runze a. a. 0., S. 175), so werden wir spter sehen, inwiefern und auf welchen Stufen der Religion auch diese Bestimmung ihre Berechtigung hat und wie sie sich mit derjenigen der Abhngigkeit verbindet.

    Nach Hegel ist die Religion das Wissen des endlichen Geistes von seinem Wesen als absoluter Geist. Da diese Defi nition die allermeisten Religionen, nicht nur die niederen, da sie ebenso auch den Buddhismus ausschliet, liegt auf der Hand. Sie setzt bereits eine ganz bedeutende Hhe philosophischer Erkenntnis voraus. Ihre relative Bedeutung und Berechtigung brauchen wir daher im Augenblick nicht zu prfen, wollen viel mehr spter in anderem Zusammenhange auf dieselbe zurck kommen.

    Ganz anders als Hegel und Schleiermacher definiert K a n t die Religion. Sie ist nach ihm: die Erkenntnis aller unserer Pflichten als gttlicher Gebote. Damit ist das Moralische als Kernpunkt der Religion hingestellt, wovon weder bei Hegel noch bei Schleiermacher die Rede war. Wenn Kant in seiner Definition den Gottesbegriff blo in der Form eines Adjektivs (gttlicher Gebote) einfhrt, so schiebt er damit in geschickter Weise die Frage nach der Einheit oder Mehrheit des Gttlichen in den Hintergrund, schliet also Polytheismus nicht aus. Die Frage gewisser niederer Religionsformen, bei welchen man neuerdings jeden Zusammenhang zwischen Religion und Sittlichkeit leugnet, knnen wir vorderhand unerrtert lassen; schon darum, weil Kants Definition den Buddhismus ausschliet und also das nicht ganz erfllt, was wir verlangen. Der Buddhismus wei nichts von gttlichen Geboten. Dennoch ist Kants Definition von hoher relativer Bedeutung. Wir werden es im Verlaufe unserer Unter suchung sehen, da er auf die mchtigste, triebkrftigste Wurzel der Religion den Finger gelegt und sie klar bezeichnet hat.

  • Wesen der Religion.

    Mit Kant, Schleiermacher und Hegel haben wir die drei hauptschlichsten Typen philosophischer Bestimmung des Begriffs ocr Religion kennen gelernt. Wir werden uns bei anderen Denkern krzer fassen knnen. Wenn z. B. der alte Seneca die Religion bestimmte als: cognoscere Deum et imitari, Erkenntnis und Nachahmung Gottes, so gilt dagegen, was wir gleich zn Anfang gegen die alte theologische Definition eingewandt haben. Wenn Spinoza die wahre, hhere Religion als "Gottesliebe", die gewhn-liche praktische Religion als "Gehorsam gegen die gttlichen Gebote" 1 bestimmt, so erledigt sich das durch unsere frheren Bemerkungen, namentlich gegenber von Harnacks und Kauts Bestimmungen der Religion. Wenn der anonyme Verfasser des englischen Buchs ber "Natrliche Religion" die Religion definiert "als ein zur Gewohnheit gewordenes permanentes Gefhl der Bewunderung" 2, so springt das Unzureichende dieser Definition schon bei oberflchlicher Kritik in die Augen; und auch Go e t h e s dreifach abgestufte "Ehrfurcht", obwohl einen richtigen Kern enthaltend, reicht nicht aus, um das spezifische Wesen der Religion zu bestimmen. Viel zu allgemein und unbestimmt ist auch M i 11 s Definition, wenn er als das Wesen der Religion "die starke und ernste Richtung des Fhlens und Wollens auf ein ideales Objekt VOn anerkannt hchster Vortrefflichkeit und Er-habenheit ber alle selbstischen Wnsche" hinstellt a. Energisches Streben nach den hchsten idealen Zielen ist etwas Groes und Schnes, aber darum doch noch nicht Religion. Wie mit diesem Mastab gemessen die niederen Religionen sich ausnehmen, wollen wir gar nicht weiter untersuchen.

    Tiefer ist der Gedanke des Englnders Ca i r d, nach welchem die Religion "Aufgehen des endlichen Willens in dem unendlichen Willen" wre; oder "die absolute Identifizierung unseres Willens mit dem Willen Gottes" 4. Indessen lassen sich diese Bestimmungen doch nur auf eine sehr hohe Stufe der Religion anwenden; die

    J V gI. M a x Mll er, Natrliche ReliJ:ion, S. 62. 2 M. Mller a. a. 0., S. 61. S M. Mller a. a. 0., S. 62. ~ Vgl. Ca i r d, Philosophy of Religion, p. ~96 ; M. ~1 11 e r a. a. 0.,

    S. 57.

  • 20 Wesen der Rdigion.

    letztere nur auf eine theistische Religion. Cairds Definitiollen zeigen sich in gewisser Weise mit der Kantschen, wie auch anderer seits mit der Hegeischen Definition verwandt. Am nchsten aber steht ihnen diejenige des groen russischen Dichters T 0 Ist 0 i , fr welchen die Religion darin besteht, da wir ganz und durch aus nur den Willen Gottes tun, welch letzterer brigens von ihm entschieden unpersnlich gedacht wird. Ob darin nicht ein Wider spruch liegt, lassen wir fr jetzt auf sich beruhen.

    Caird brachte mit dem "unendlichen WiIIen" die Kategorie der Unendlichkeit in seine Definition. Auch Schleiermacher hatte zeitweilig die Religion als "Gefhl, Sinn oder Geschmack fr das Unendliche" bezeichnet 1. Ganz von dem Begriff der Unendlich. keit beherrscht zeigt sich M a x Mll er, der sich mit der Frage nach Wesen und Ursprung der Religion viel beschftigt und ihr ganze Serien von Vorlesungen gewidmet hat. Er definiert die Religion zuerst als "Wahrnehmung des Unendlichen" 2. Dann spter, als diese Definition mit Recht von den meisten Forschern beanstandet wurde, suchte er sie dadurch zu verbessern, da er hinzufgte: "unter solchen Manifestationen, die auf den sittlichen Charakter des Menschen bestimmend einzuwirken imstande sind" !l, womit dann das Moralische in die Definition hineingebracht war. Doch eine haltbare Definition ist damit nicht gewonnen. Von allem anderen abgesehen: 'Vahrnehmung oder Gewahrwerden des Unendlichen ist eine Unmglichkeit, eine contradictio in adjecto. Was unendlich ist, lt sich berhaupt nicht wahrnehmen. Wir knnen durch Abstraktion den Begriff des Unendlichen gewinnen, wir knnen das Unendliche ahnen, glauben, ja damit rechnen, aber nicht wahrnehmen. Der Begriff des Unendlichen hat aber auch noch nichts spezifisch Religises an sich. Man mte sonst auch die Differential und Integralrechnung, die Lehre von

    I M. Mller, S. 64 i bei Gruppe S. 216 lautet Schleiermachers resp. Bestimmung: "Wahre Religion ist Empfindung und Geschmack fr das Uno endliche."

    2 Vgl. seine Vorlesungen ber den Ursprung und die Entwicklung der Religion, Straburg 1880.

    sM. Mller, Natrliche Religion, S. 181.

  • Wesen der Religion. 21

    dem unendlich Groen und unendlich Kleinen zur Religion oder Theologie rechnen. Wie die an sich unmgliche Wahr-nehmung des Unendlichen unter solchen Manifestationen, die auf den sittlichen Charakter des "Menschen bestimmend einzuwirken imstande sind", stattfinden kann oder konnte, das ist mir und wohl auch anderen unbegreiflich, ist wohl auch dem Schpfer dieser Definition schwerlich klar gewesen, so hartnckig er auch an seiner Bestimmung festhielt. Max lVlller war ein verdienstvoller Indologe und ein glnzender, geistvoller Schriftsteller, doch nichts weniger als ein tiefer Denker. Die Art, wie er die" Wahrnehmung des Unendlichen" von greifbaren zu halbgreifbaren und ungreifbaren Gegenstnden vorschreiten lt, wird von Runze in seinem Katechis-mus der Religionsphilosophie ernster genommen, als sie es verdient:

    Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein! - so mochte man rufen, wenn man von solchen und hnlichen Spekulationen sich zur Ethnologie und den Ergebnissen ihrer Forschung wendet. Hier fhlen wir festen Boden unter den Fen. Eine neue Weh hat sich uns aufgetan, bestimmten, erfahrungsmigen Charakters. An Definitionen ist den Ethnologen verhltnismig nicht viel ge-legen; sie haben zu viel mit der Flle des interessantesten Materials zu tun. Doch fhlen auch sie sich im Fortschritt der Unter-suchung zu begrifflichen Bestimmungen gedrngt, und es ist lehr-reich zu sehen, wie der Grte unter ihnen, der der Religion in ihren mannigfaltigen Formen, insbesondere den niederen, das grnd-lichste Studium gewidmet hat, - wie der Englnder E. B. Tylor die Religion definiert. Sie ist nach ihm einfach "Glaube an geistige Wesen" I. - Das ist keine streng logische, keine ganz ausreichende Definition. Tylor bezeichnet sie selbst als "minimale Definition der Religion", - ein Minimum, das allerdings zu minim ist, um richtig zu sein; aber es zeigt uns doch, was dem Ethnologen, der die Religionen aller Weltteile berschaut, als das hauptschlichste Charakteristikum derselben in die Augen springt: der Glaube an geistige Wesen, Geister, Seelen, Dmonen und G.tter, die ja auch Geister, Geistwesen sind, auch bei der hchst

    I Ty 10 r, Anfnge der Kultur, Bd. I, S. 418.

  • 22 Wesen der Religion.

    entwickelten Gottesvorstellung. "Gott ist ein Geist", heit es im vierten Evangelium.

    Diese ethnologische Bestimmung der Religion ist sehr cha-rakteristisch, wichtig und bezeichnend. Ausreichend aber ist sie doch nicht. Ist der Glaube an Geister, an geistige Wesen an sich schon Religion, dann mte man auch den modernen Spiritismus eine Religion nennen, was meines Wissens niemandere einfallt. Nein, damit der Glaube an Geistwesen den Charakter der Religion erhalte, ist unbedingt dazu ntig, was Schleier-macher betont, das beherrschende Gefhl der Abhngigkeit von denselben, der Abhngigkeit in materieller, geistiger, moralischer Beziehung, in allen mglichen Beziehungen, der schlechthinnigen Abhngigkeit. Aus diesem Gefhl der Abhngigkeit ergibt sich dann weiter das Bedrfnis, sich mit diesen Geistwesen mglichst in Einklang zu setzen, ihren Willen zu tun, damit sie nicht zrnen, sie durch Gaben, Opfer, Gebete, durch entsprechendes sittliches Verhalten freundlich zu stimmen u. dgl. m. Es sind Mchte, die man sich durchweg als auer oder ber der Sphre des Menschen waltend denkt, denn unmittelbar wahrnehmen lassen sie sich nicht; Mchte, zu denen man mit Scheu, mit Furcht, mit Verehrung, Bewunderung, endlich auch mit Liebe und Ver-trauen aufblickt. Wir knnen danach versucht sein, etwa die folgende Definition der Religion aufzustellen:

    Religion ist der Glaube an geistige, auer und ber der Sphre des Menschen waltende, Wesen, - das Gefhl der Ab-hngigkeit von denselben und das Bedrfnis, sich mit ihnen in Einklang zu setzen.

    Nicht notwendig erscheint es, besonders zu bemerken, da diese Geistwesen ebensowohl in der Mehrzahl wie auch in der Einzahl gedacht werden knnen. Das versteht sich eigentlich von selbst und braucht daher in die Defmition nicht aufgenommen zu werden. Ebenso braucht wohl nicht gesagt zu werden, da die konstatierte Abhngigkeit sowohl eine materielle als auch eine moralische, geistige ist oder sein kann 1.

    1 Ich will nicht unterlassen zu bemerken, da, wie ich nachtrglich linde, die Bestimmung der Religion bei dem englischen Ethnologen Andrew

  • , .,. esen der Religion.

    Doch halt l es scheint, da wir denselben Fehler begehen, den wir so vielfach an anderen gergt haben. Unsere Definition schliet den Buddhismus, diese berragend groe Weltreligion, die bedeutendste neben dem Christentum, aus l Der Buddhismus ist ja doch gewi!3 nicht ein Glaube an geistige Wesen, von denen der Mensch sich abhngig fhlt, mit denen er sich in Einklang zu setzen sucht. Wohl finden wir auch im Buddhismus den Glauben an geistige \V esen allerart, Seelen, Gespenster, Dmonen, Gtter in groer Zahl. Buddha selbst glaubte an ihre Existenz, es fiel ihm nicht ein sie zu leugnen oder gar seinen Anhngern solchen Glauben zu verbieten. Aber er fhlt sich nicht abhngig von diesen Gttern und Geistern, weder er noch seine Anhnger, und eben darum mangelt diesem seinem Glauben das Charak-teristikum des Religisen - er frchtet sie nicht, er erwartet nichts von ihnen, er verehrt sie nicht, er dient ihnen nicht. Er richtet sich nach einern hheren Prinzip, dem auch Gtter und Geister untertan sind. A b h n gig fhlte sich freilich auch Buddha, fhlen sich seine Verehrer alle, abhngig aber nur VOll der m 0 r a I i s c h e n Welt 0 r d nun g, an welche hier so fest und unerschtterlich geglaubt wird, wie in wenigen anderen Religionen. Ohne diesen groen Glauben htte der Buddhismus nie und nimmer die Weltreligion werden knnen, die er tatsch-lich geworden ist. Und mit dieser gewaltigen geistigen Macht, mit der moralischen Weltordnung, ist der Buddhist eifrigst be-mht sich in Einklang zu setzen. Er knnte sonst nimmer das Heil, die Erlsung zu el"reichen hoffen. Woher sie stammt, diese Macht, das wei man nicht, danach fragt und forscht man nicht; sowenig wie nach dem Ursprung Gottes in theistischen Religionen.

    Lang sich der unserigen in gewisser Weise nhert. Nach ihm ist die Religion der Glaube an die Existenz nichtmenschlicher Intclligenzen, die von dcm materiellen Mechanismus, von Hirn und Nerven nicht abhngig sind und die Schicksale der Mcnschen und die Natur der Dinge machtvoll beeinflussen knnen. (Lang, Making of Religion, p. 45.) Indessen scheint uns hier das Gefhl der Abhngigkeit auf seiten des Menschen nicht ent-sprechend hervorgehoben und ebensowcnig das Bcdrfnis, sich mit jencn Wesen in Einklang zu setzen. Und beides halte ich zur Bestimmung der Religion fdr notwendig-.

  • Wesen der Religion.

    Sie ist da, sie wird geglaubt, unerschtterlich fest geglaubt. Es ist eine unpersnliche Macht, daher verehrt man sie nicht, weiht ihr keinen Kult. Aber man fhlt sich abhngig von ihr und sucht sich mit ihr in Einklang zu setzen, das ist gewi. Und es ist eine geistige Macht, wenn auch gewi kein geistiges Wesen, -eine Macht, bei der wir geneigt sein knnten zu fragen, ob sie nicht doch von einem Gotte gesetzt, gewirkt sein und herstammen msse, whrend der Buddhist nie daran denkt, solche Frage auf-zuwerfen, sondern sie einfach hinnimmt als das, was sie ist, eine unbeschrnkt und unfehlbar durch alle Ewigkeit ber aller Welt waltende geistige Macht.

    Wir brauchen jetzt nur eine kleine Vernderung, resp. Er-gnzung an unserer Definition der Religion vorzunehmen, und sie pat auch auf den Buddhismus, sie pat auf alle Religionen der Welt. Wi r sagen jetzt:

    Religion ist der Glaube an geistige, auer und ber der Sphre des Menschen waltende, Wes e n 0 der M c h t e , das Gefhl der Abhngigkeit von denselben und das Bedrfnis, sich mit ihnen in Einklang zu setzen.

    Schleiermachers Definition hat hier die notwendig erforder-liche Ergnzung erfahren, und der Tylorschen Definition ist gleich-zeitig dasselbe zuteil geworden. Wir haben gewissermaen in organischer Entwicklung eine Definition gewonnen, die ebenso-wohl fr die hchsten wie fr die niedrigsten Religionsformen gilt und zutrifft, fr Christentum und Buddhismus ebenso wie fr die Religion der Australneger und Feuerlnder, und alle Stufen und Formen, die dazwischen liegen.

    Da, wie erwhnt, die Abhngigkeit, in welcher der Mensch sich von jenen geistigen Wesen oder Mchten befindet, nic:ht nur eine materielle, sondern ebenso und insbesondere auch eine moralische ist, so ist damit das Wesentliche der Kantschen Definition hier mit eingeschlosseu. Aber auch Hegels Be-stimmung der Freiheit kommt zu ihrem Recht. Je vollkommener der Einklang ist, in welchen der Mensch sich mit jenen Wesen oder Mchten zu setzen, zu erheben vermag, um so entschiedener wird das Gefhl der Abhngigkeit sich in dasjenige der Freiheit

  • Wesen der Religion.

    verwandeln, bis es endlich auf der hchsten Stufe, idealiter, zu jener herrlichen Freiheit der Kinder Gottes wird, von welcher das Neue Testament redet. Dann ist dasjenige erreicht, was Caird das Aufgehen des endlichen Willens in dem unendlichen Willen nennt. Es ist das und me h r als das erreicht, was Hegel das Wissen des endlichen (;eistes von seinem Wesen als abso-luter Geist nennt, was in den Upanishaden als das Aufgehen unseres tman im ewigen .~tmanBrahman erscheint, was die Bhagavadgita das Verwehen in Brahman , das Brahmanirvil.na, nennt. Wille und Erkenntnis des empirischen Ich, diese bei den groen Hlften seines Wesens, sind eins geworden mit dem ab-soluten Ich. Es ist erreicht, was bei theistischer Auffassung die vollkommene Gottesliebe und Nchstenliebe zugleich genannt wird. Erreicht auch, was der Buddhist das Nirvana nennt, -ein Begriff, von dem im allgemeinen recht unrichtige Vor-stellungen verbreitet sind und den als das "Nichts" zu fassen in der buddhistischen Kirche als arge Ketzerei gebrandmarkt wird. Auf den niederen Stufen der Religion wird aber dieser Einklang naturgem nur in unvollkommener Weise erreicht, in scheuer, furchterfllter Beobachtung dessen, was man fr Forderung, Ge-bot oder Verbot, der Geistwesen hlt. Von unten aufwrts gibt es dann weiter unzhlige Grade und Abstufungen solchen Einklangs.

    Urgrund, Richtschnur und Ziel unseres Lebens ist durch diesen Glauben, dies Abhngigkeitsgefhl, dies Einklangsbedrfnis bestimmt, - und damit dasjenige, was man heute gern mit Tol-stoi den Sinn des Lebens nennt. Das ist in der Krze 111 ein e Auffassung von dem Wesen der Religion.

    Sie ist im Verlauf jahrelanger Forschung in mir gewachsen und ausgereift. Sie hat sich mir bewhrt und ich hoffe, sie wird sich in der Folge auch anderen bewhren J.

    * * *

    Nachdem wir so fr den Hauptgegenstand unserer Betrach-tung zu einem festen, begrifflich klar umgrenzten Standpunkt ge-

    I Es ist nicht unmglich, ja wahrscheinlich. da der von uns in unserer Definition schon mglichst umfassl'nd beschriebenen Re I i g iOD

  • Wesen der Religion.

    langt sind, wird es uns mglich sein, in verhltnismiger Krze auch die der Religion nchstverwandten Begriffe der Mythologie, des Kultus und der Moral wenigstens vorlufig schon zu [Je stimmen.

    Zunchst also l\lythus, Mythologie - was haben wir unter diesen Worten zn verstehen?

    eine Vorstufe vorausgegangen ist, die so primitiver Art war, da sie noch nicht in den Rahmen unserer Definition hinein pallt, noch nicht "Religion" genannt werden kann. Es sprechen z. B. manche Anzeichen dafr, dall es schon vor der Entwicklung dt'r Vorstellung geistiger Wesen oder Mchte eine primitive Tierverehrung gab, bei welcher die Tiere noch nicht als von gewissen Dmonen ud er Gttern besessen angesehen und darum ver ehrt wurden, sondern unmittelbar und direkt, aus gewissen Grnden fr mchtige, gefhrliche od"r gtige Wesen galten, denen man bedeutsame Wirkungen zuschrieb und die man darum scheu und respektvoll behandelte. Die Heuschrecke, die Schwalbe oder auch andere Insekten, Vgel u. dgJ. m., die mit dem Sommer erscheinen, brachten - so schien es - den Sommer mit, machten den Sommer. Der Frosch oder gewisse Vgel schienen den Rt'gen zu bewirken u. dgl. m. Andere Tiere, wie :/.. . der Br, impo-nierten durch ihre Kraft, waren gefhrlich, boten aber dann eine gute Nahrung, wenn man sie bewltigt hatte. Einc ganz primitive Verebrung solcher 'Wesen liec sich natrlich nicht als Vert'hrung geistiger, sondern vielmehr geistleiblicher Wesen bezeichnen. Primitivere Vorstellungen solcher Art lebten wohl auch in spteren Zeiten noch fort, erfuhren dann aber meist eine Umdeutung in dem Sinne, da man sich nun einen Geist in solchen Tieren hausend oder mit ihnen verbunden darhte. Wir glauben eine solche Verehrung wirklicher Tiere, vor Entwicklung des Seelen- oder Geistbegriffes , als eine unter dem Niveau liegende Stufe, eine Vorstufe oder Unterstufe, noch nicht zur Religion rechnen zu sollen und haben die-selbe daher bei unserer Definition nicht bercksichtigt. (V gl. hierzu nament lieh die wichtigen Untersuchungen von K. T h. Pr e u Il, Der Ursprung der Religion und Kunst, im Globus, Bd. LXXXVI, Nr. 20, S. 321 ff.) Es gilt dasselbe auch fr andere, hnliche Erscheinungen einer pranimistischen Vorstufe der Religion, welche gegenwrtig mit einer grlleren Bestimmtheit von den Ethnologen festgestellt wird. (V gl. den Bericht von K. T h. Pr e u Il im Archiv fr Religionswissenschaft, Bd. XlII, Jahrg. 1910, S. 402 ff., 425 ff., 42 9.) Die wichtigen Begriffe des irokesischen 0 ren da, des melanesischen Man a - Zauberkraft, bernatrliche Macht - knnen indessen vielIeicht als "geistige Mchte" auch als in unserer Definition mitinbegrifien an-gesehen werden. Sowohl Tiere als auch unbelebte Gegenstnde knnen Trger resp. Inhaber solcher Zauberkrfte sein.

  • We.en der Religion.

    Der Begrifl der Mythologie wird nur alJzuoft von dem-jenigen der Religion, mit dem er freilich aufs engste zusammen-hngt, nicht in gehriger Weise geschieden. Unter der Be-zeichnung "Griechische Mythologie", "Rmische Mythologie" wird uns zugleich die ganze Religion dieser Vlker geboten, ohne da solches Ansto erregte. Ein und dasselbe Buch knnte ganz ruhig unter der Flagge "Religion der Inder" oder auch ebenso-gut "Mythologie der Inder" segeln. Wir knnen es aber noch weniger loben, wenn zwischen Religion und Mythologie in der Weise unterschieden wird, wie es der berhmte englische Eth-nologe A n d r e w La n g tut, wenn er sagt: "Wo verhltnismig hohe moralische Attribute einem (hheren) Wesen zugeschrieben werden, nenne ich das Religion j wo dasselbe Wesen handelt wie Zeus in der griechischen Fabel, trichte oder obszne Stckchen ausfhrt, lstern und falsch ist - da spreche ich von Mythus" 1, - Da ein solcher m 0 r al i s c her Wertunterschied zwischen Religion und Mythus ganz undurchfhrbar ist und nur zu der grten Verwirrung fhren kann, das springt schon bei einiger Kritik in die Augen. Diese Langsche Bestimmung zeugt aber deutlich fr meine Behauptung, da ber das Verhltnis der Be-gritTe Religion und Mythologie vielfach eine bedauerliche Unklar-heit herrscht, - selbst, wie wir sehen, bei hervorragenden Mnnern der Wissenschaft.

    Was ist denn nun aber Mythus und Mythologie, zum Unter-schiede von der Religion?

    Die Sache ist im Grunde gar nicht so schwierig. Die Sprache leitet uns hier zu der Antwort. Das griechische Wort tIV[}or; heit bei Homer einfach Rede, Erzhlung j in spterer Zeit insbesondere Erzhlung der dunklen Vorzeit, erdichtete Sage oder Fabel, im Gegensatz zu Myog, der geschichtlich beglaubigten Erzhlung. Mythologie, der Inbegriff aller Mythen, ist also die

    I Andrew Lang, The Making of Religion, second edition, London 1900, Prefacc, p. XIII: Whcrc relatively high moral attributes are assigned 10 a Bcing, I ha\'c calletl thc result .. Religion"; where the same Being aets like Zeus in Greek fable, pIays silly or ob scene tricks, is lustful and false, I ha,"c spokcn of .. Myth".

  • Wesen der RFligion.

    ganze Summe der von jenen auer- und bermenschlichen geistigen Wesen, Dmonen und Gttern erdachten und geglaubten Erzh-lungen. Es ist die auf jene Geistwesen sich erstreckende, von ihnen handelnde, sie zum Gegenstand, zum Mittelpunkt ihrer Schpfungen und Gestaltungen sich erwhlende Dichtung, eine ganz besondere, hhere Art der Dichtung, aber doch Dichtung, eine Art Volkspoesie, insofern die dichterisch schaffenden Indi-viduen im Strom des Volkes verschwinden, verschwunden sind; Schpfung aber doch wohl ursprnglich von hher beanlagten Individuen, Schpfung ihrer willkrfreien, schauend dichtenden Phantasie, die als Wahrheit empfunden, von Wahrheit noch nicht unterschieden, willig aufgenommen, geglaubt und weiter erzhlt wurde. Es ist die in der Sphre jener nichtmenschlichen Geist-wesen sich bewegende, von ihrem Leben, Walten, Wirken und Schaffen, ihrer Geburt und Entwicklung, ihrem Werden, Vergehen und Wiederwerden, ihren Schicksalen, Taten und Abenteuern, ihrem Kampf und Streit, Sieg und Unterliegen, ihren Liebes-freuden und Liebesleiden, ihrer Gte und Bosheit, ihrer Gri3e und Schande, ihren Wundern und Schwchen erzhlende Dich-tung des Volkes, der Vlker.

    Von dem Ursprung des Mythus, \'on seiner Entwicklung werden wir spter zu sprechen haben, wenn wir \'on Ursprung und Entwicklung der Religion handeln. Jetzt kam es und kommt es nur darauf an, das Wesen des Mythus, der Mythologie gegen-ber dem Wesen der Religion klar abzugrenzen. Besteht also Religion im Glauben an geistige Wesen oder Mchte, im Ab-hngigkeitsgeftihl und Einklangsbedarfnis ihnen gegenber, so be-steht Mythologie in der Summe der von ihnen berichteten und geglaubten Erzhlungen.

    Es liegt auf der Hand, da der Glaube an jene Wesen und die VOll ihnen berichteten Erzhlungen so eng zusammengehren, daf3 man sie fr gewhnlich gar nicht voneinander trennen mag und will. Daher die fters begegnende Vermischung, Verwirrung und Verwechslung der beiden Gebiete. Die klare begriffliche Sonderung beider hat jedoch keinerlei Schwierigkeit.

    Im Buddhismus kann es von der allwaltenden moralischen

  • Wesen der Religion.

    Weltordnung natrlich keine Erzhlungen, keine Mythen geben, da dieselbe ganz unpersnlich gedacht ist. Da im brigen aber auch in dieser Religion eine groe Menge bermenschlicher Geist wesen, Gtter, Dmonen u. dgl. m. geglaubt werden, wenn auch ohne Abhngigkeitsgefhl und Einklangsbedrfnis ihnen gegen ber, so gibt es natrlich auch eine Menge Geschichten "on ihnen, und so hat auch der Buddhismus seine ppig entwickelte Mythologie.

    Noch einfacher als bei der Mythologie liegt die Sache beim Kultus und der Bestimmung seines Wesens. Es wird mir wohl kaum jemand widersprechen, wenn ich nach dem Gewonnenen diesen Begriff folgendermaen definiere:

    K ul t u s ist das in die Tat umgesetzte Bedrfnis, sich mit den geglaubten bermenschlichen geistigen Wesen oder lVIchten durch Verehrung, Opfergaben, Gebete oder Lieder, die ihnen geweiht sind, durch Andacht, Bubungen u. dgl. m. in Einklang zu setzen und so innere Ruhe und Frieden, resp. auch ueren

    Erfol~ und Vorteil zu erlangen. ~chwierjger ist die Bestimmung des Wesens der Mora I oder ~ i t t 1 ich k e i t, da ber diesen Begriff die Ansichten vielfach stark auseinander gehen. Wir knnen uns aber die Frage hier nicht ersparen, da die Moral zu eng mit der Religion verbunden erscheint. Das hat uns SChOll der kurze berblick ber die wichtigsten Definitionen des Begriffs der Religion gelehrt. Nach der Ansicht mancher Denker, und darunter so hervorragender Denker wie Kant, macht ja die Moral den wesentlichen, haupt-schlichen Inhalt der Religion aus. Nach anderen, die zweifellos unrecht haben, bildet sie geradezu den einzigen Inhalt derselben. Bei der HUTllackschen Bestimmung erscheint die Nchstenliebe. d. i. also die Moral, neben der Gottesliebe gewissermaen als die eine Hlfte der Religion. Andere Forscher, insbesondere Ethnologen, sind der Ansicht, da Religion und Moral ursprng-lich nichts miteinander gemein haben und in keiner nheren Be-ziehung zueinander stehen - eine Ansicht, deren Berechtigung wir spter zu prfen haben werden. Nach diesen Forschern wrde also die Moral durchaus nicht notwendig mit zum Wesen

  • 'Yesen der Religion.

    der Religion gehren, wie sich das denn auch in der Tylorschen Definition deutlich kundgibt, denn "Glaube an geistige Wesen" trgt an sich kein moralisches Element in sich. Doch auch diese Forscher leugnen nicht und knnen nicht leugnen, da im Laufe der Zeit die Moral in die engste Verbindung mit der Religion tritt, ja geradezu ganz fest mit dieser verwchst. Wir schieben die Frage nach dem Ursprung der Moral fr jetzt noch hinaus, bis wir auch den Ursprung von Religion, Mythologie und Kultus behandeln, und wollen vorlufig nur das Wesen der Moral 7.U bestimmen suchen.

    Die Mo r a I hebt sich ebenso wie das Re c h t, mit dem sie sich vielfach berhrt, aus dem groen Gebiet der Si t t e, des Brauches hervor, wchst gewissermaen aus diesem empor und stellt einen bestimmten Teil desselben dar, was auch die deutsche Bezeichnung S i t tl ich k e i t fr Moral noch deutlich erkennen lt, -- wie ja auch das Wort "Moral" vom lateinischen mos, gen. moris "die Sitte" herkommt, die Worte Ethik und ethisch vom griechischen ft.:Jor;, e.:Jor; die Sitte, der Brauch.

    Alles Re c h t nimmt anf

  • Wesen der Religion.

    Autoritt, resp. von der Gemeinschaft mit S t ra fe bedroht wird. Dieser letztere Begriff der Strafe, und zwar der von einer mensch lichen Autoritt angedrohten, im gegebenen Falle verhngten Strafe gehrt notwendig zum Begriff des Rechts. Wo es noch keine Strafe gibt, nur etwa noch die primitive Rache, aus der jene erwchst, da gibt es noch kein eigentliches Recht. Die so festgelegten Lebensnormen sind die Gesetze, bilden das Recht. Der Gesetzgeber kann dann im Laufe der Zeit noch weitere Ge-setze hinzufgen, welche nicht notwendig alle aus der Sitte, aus dem Gewohnheitsrecht hervorgegangen zu sein brauchen. Sein Wille, seine Einsicht gibt neue Normen. Ursprnglich aber geht das Recht aus der Sitte hervor, mit der es dann freilich im Laufe der Zeit auch vielfach durch verschiedene Prozesse der Entwicklung in mehr oder weniger direkten Widerspruch treten kann, namentlich da die Sitte in ihrer Entwicklung viel freier ist als das Recht, oft aber auch weil sie noch zhe am Altberlieferten festhlt (z. B. im Duell u. dgl.).

    Nach alJedem knnen wir das R e c h t definieren als die Summe der in einer menschlichen Gemeinschaft geltenden Lebensnormen, deren Beobachtung von die s erG e m ein s c h a f t, res p. von der 0 b e r s t e n A u t 0 -ritt in derselben gefordert, deren Nichtbeobach-tun g mit S t r a fe b e d roh t wir d.

    Nach dieser Feststellung, deren wesentlicher Inhalt kaum bestritten werden kann, wird es uns leichter werden, auch das Wesen der Moral zu bestimmen.

    Was ist denn nun die Moral im Gegensatz zur Sitte und zum Recht? Auch sie besteht offensichtlich in einer Summe von I.ebensnormen, deren Beobachtung als notwendig gilt, als ge-fordert, nicht als willkrlich oder irrelevant, indifferent, wie das bei so unzhlig vielen Sitten der Fall ist. Und doch ist Moral nicht das gleiche wie Recht, fllt ganz und gar nicht mit diesem einfach zusammen, wenn auch in einer groen Menge von Fllen das Recht die Beobachtung der moralischen Gesetze erzwingt. Es gibt aber auch Rechte, die der 1\10ral zuwiderlaufen, ja ihr

  • 3 2 Wesen der Religion.

    geradezu Hohn sprechen. Und andererseits gibt es moralische Forderungen, die so fein sind oder doch so hoch ber dem je-weiligen Rechtszustand stehen, da das Recht ihre Beobachtung weder erzwingen kann noch will.

    Also Moral und Recht sind unzweifelhaft deutlich unterschieden. Worin besteht aber das Spezifische, das sie, resp. das die Moral vom Recht unterscheidet?

    Ich glaube, da es darauf nur eine einzige, klare und unzwei-deutige Antwort gibt:

    Mo ra I oder S i t t I ich k e i t ist diejenige Summe von Lebens-normen oder Pflichten, weIche als Forderung eines hheren, bermenschlichen Willens geiten, eines Willens jener ber der menschlichen Sphre waltend gedachten geistigen Wesen oder l\lchte, eines gttlichen Willens oder auch einer unpersnlich gedachten moralischen Weltordnung; Lebensnormen oder Pflichten, deren Nichtbeobachtung nach der Ansicht des resp. menschlichen Gemeinwesens unbedingt eine Ahndung, S t r a fe seitens jener hheren bermenschlichen geistigen Wesen oder Mchte nach sich zieht. Als der rchende, strafende Teil erscheint also bei dem Recht eine menschliche, bei der Moral eine ber-me n sc h I ich e Mac h t. Das ist der spezifische Unterschied. Der einzige, der sich klar durchfhren lt.

    Wer diesen spezifischen Unterschied leugnet oder durch einen anderen zu ersetzen sucht, luft immer Gefahr, das spezifische Wesen der Moral aufzuheben, wie das bei dem sog. Utilitarismus der Fall ist, jener flachen Lehre, die alle Moral auf Ntzlichkeits-regeln zurckfhren will. Ihr Grund aber liegt tiefer, er liegt in den metaphysischen Tiefen unseres Seins, denselben, aus denen auch die Religion emporgestiegen ist, denselben, auf die auch ihre Verchter die wunderbare Tatsache des Gewissens noch fort und fort hinweist. Und auch K a n t s "kategorischer Imperativ" besagt durchaus nichts anderes.

    Alle Mo ra I ruht immer im Grunde auf einem irgend wie gearteten G lau bell an ei 11 e si t t I ich eWe I tor d II U n g; auf dem Glauben, da eine hhere ewige Macht - mag man sie nun

  • Vi esen der Religion. 33

    Gott oder sonstwie benennen - ein bestimmtes Verhalten von uns und den Menschen berhaupt fordert.

    Nach dem Gesagten begreift sich leicht jener enge Zu-sammenhang zwischen Moral und Religion, der bei allen Vlkern sich vorfindet. Es begreift sich, warum diejenigen, welche die Moral auf andere Grundlagen als die religisen zu stellen sich bemhen, immer gescheitert sind und notwendig immer scheitern mssen, - nicht an der Bosheit oder Herrschsucht ihrer Gegner, wie sie oftmals meinen, sondern ganz einfach an dem innersten Wesen, an dem metaphysischen Kern der Menschennatur. Sie wollen die Moral im Grunde durch Recht oder etwas Recht-hnliches ersetzen, d. i. durch Lebensnormen, welche ausschlie-lich von einer menschlichen Autoritt gefordert sind, ob mall diese nun die "Gesellschaft" oder sonstwie benennt. Damit aber eliminieren sie in totaler Verkennung die wirklichen Grund-lagen der Moral und heben deren spezifisches Wesen tatsch-lich auf.

    Die Mo r a I zeigt sich uns bei ruhiger Prfung des Tat-bestandes als wes e n t I ich e r T eil des I n halt s, der jen e s Abhngigkeitsgefhl ausmacht, welches fr die R e I i gi 0 n s 0 e m i n e n t c h ara k t er ist i s c h ist. Der Mensch fhlt sich abhngig in seinem Verhalten, in Gedanken, Worten und Werken, von dem Willen jener geglaubten bermenschlichen geistigen Wesen oder Mchte. Er fhlt, er glaubt und wei, da sie ein bestimmtes Verhalten von ihm fordern, und da er gut tut, sich nach solcher Forderung zu richten, sich also in Einklang mit ihrem Willen zu setzen, weil er sonst sich selbst ins Elend strzt, sich selbst Schdigung zuzieht, Strafe auf sich ladet. Soweit dies Verhalten sich direkt auf jene hheren Wesen oder Mchte be-zieht, ist es im Kultus begriffen und darf ein spezifisch religises genannt werden. Soweit es sich aber auf die Mitmenschen, ja auf alle anderen lebenden Wesen erstreckt, ist es ein spezifisch moralisches, sittliches 1.

    1 Es soll mit dem Obigen vorderhand noch nichts ber den Ursprung der Moral ausgesagt sein, von welchem spter zu handeln sein wird. Auch kann natrlich in einem Zeitalter, wo der Glaube an geistige, das Leben

    AR 3

  • 34 Wesen der Religion.

    Wir werden nach alledem die Moral etwa folgendermaen definieren drfen:

    Sittlich ke i t oder M or a I ist d iej en i g e Su mm e vo n Leb e n s n 0 r m e n , resp. das jen i g e Ver halt end e s Menschen gegenber seinen Mitmenschen, wie auch anderen lebenden Wesen, welches (resp. welche) als Forderung der auer und ber der Sphre des Menschen waltenden geistigen Wesen oder Mchte betrachtet wird.

    Es begreift sich nun leicht, warum die Forderungen der Moral und des Rechtes so oft zusammentreffen. Den Gesetz-gebern mu etwas daran liegen, da das Verhalten der betreffen-den menschlichen Gemeinschaft sich im Einklang befindet mit den geglaubten und im Gewissen sich geltend machenden Forde-rungen der hheren, bermenschlichen Mchte. Davon hngt die Wohlfahrt des ganzen Gemeinwesens ab, welches sonst dem Zorn und der Strafe jener Wesen und Mchte verfallen. mte.

    Ebenso aber begreift es sich, warum Recht und Gesetz auch oft genug in Widerspruch mit den Forderungen der Moral stehen. Denn die menschlichen Gesetzgeber, die das Recht fest-setzen, lassen sich keineswegs ausschlielich von dem erwhnten idealen Gesichtspunkte leiten. Sie haben dabei auch ihre eigenen menschlich-selbstischen Interessen im Auge, sowie die Interessen anderer Personen und Stnde, die ihnen aus irgend welchen Grnden nher stehen und wichtiger sind als die brigen. Dazu kommen dann noch verschiedene andere Faktoren, wie bestimmte Vorurteile, Unbildung, Irrtmer u. dgl. m., die das Verhltnis des Rechtes zur Moral trben und das erstere zu der letzteren oft in einen gewissen Gegensatz bringen, dessen nhere Schilde-rung uns hier fern liegt.

    der Menschen regierende Wesen oder Mchte ins Schwanken geraten und teilweise geschwunden ist, eine andere Anschauung vom Wesen der Moral auftauchen und rtlich Platz greifen. Solange jener Glaube aber herrscht - und er herrscht unseres Wissens von Hause aus bei allen Vlkern -, wird die Moral allerwrts mit jegen Wesen oder Mchten in Zusammen-hang gebracht und als von ihnen ausgehend gedacht.

  • Wesen der Religion. 35

    Das als Forderung der hheren Wesen und Mchte betrach tete Verhalten des Menschen kann naturgem ein recht ver schiedenes sein und tatschlich ist auch die Moral der ver schiedenen Menschen und Vlker sehr verschieden. Dennoch werden wir sehen, da auch hier, ebenso wie in den Religionen aller Vlker, ein gemeinsamer Kern besteht, der auf tiefliegende gemeinsame Wurzeln deutet.

  • DIE UNIVERSALITT DER RELIGION.

    D IE Religion ist eine allgemein menschliche, berall sich wieder-findende Erscheinung, die mit dem Wesen des Menschen, wie wir ihn kennen, aufs tiefste und innigste verwachsen ist. Jedes Volk hat seine Religion, mag dieselbe noch so roh und unvollkommen sein, - gerade so, wie auch ein jedes Volk seine eigene Sprache besitzt.

    Diese Ansicht von dem universellen Charakter der Religion, die sich zu allen Zeiten. dem denkenden Menschengeiste auf-gedrngt hat, ist nicht so allgemein zugestanden wie diejenige von dem gleichen Charakter der Sprache. Sie ist vielmehr VOll namhaften Forschern allen Ernstes an gestritten oder doch stark bezweifelt worden. Wir drfen uns daher die Errterung der Frage nicht ersparen.

    Der Gegensatz dieser Anschauungen begegnet uns schon im Altertum. Die meisten Denker jener Zeit hielten allerdings "die Erkenntnis und Verehrung hherer Wesen fr so natrlich und gleichsam fr so unzertrennlich von der menschlichen Natur, da sie dieselben nicht nur rur allgemein verbreitet erklrten, sondern auch aus dieser Allgemeinheit einen Beweis rur das Dasein hherer Wesen hernahmen, indem das, worin alle Vlker bereinkmen, fr eine Stimme oder ein Gesetz der Natur zu halten sei" 1. Selbst ein E pik u r zweifelte nicht an der Allgemeinheit der Re-ligion und erklrte die Vorstellungen von Gttern fr angeboren. Dagegen werfen die Skeptiker und die neue Akademie die Frage auf, "woher man denn wisse, da alle Vlker an Gtter glaubten? ob es denn nicht so rohe oder verwilderte Nationen geben knne,

    1 V g1. C. Me i n e rs, Allgemeine kritische Geschichte der Religionen, lId. I, S. 8. 9.

  • Die Universalitt der Religion. 37

    unter welchen man keine Spur des Begriffes und der Verehrung hherer Naturen finde". Noch weiter ging dann in der Auf-klrungszeit der bekannte Philosoph H urne, der ganz direkt den universellen Charakter der Religion leugnete und sich dabei auf einige Reisebeschreiber berief, die bei mehreren Vlkern keinerlei Religion gefunden htten 1.

    In neuerer Zeit hat sich insbesondere der englische Anthro-pologe Sir J 0 h n L u b b 0 c k in seinen Werken "Prehistoric Times" und "Origin of Civilization" Mhe gegeben, die Unrichtig-keit der Ansicht von der Universalitt der Religion nachzuweisen. Gesttzt auf eine ganze Reihe von Zeugnissen zum Teil durch-aus urteilsfhiger und glaubwrdiger Reisender, Mi~sionare und anderer Beobachter, sucht er zu zeigen, da eine ganze An1.ah1 von Vlkern der Erde ohne eine Spur von Religion seien, resp. sich bei ihrem ersten Zusammentreffen mit den europischen Zeugen in einem absolut religionslosen Zustand befanden. ,

    Diese Anschauung wird auch von t t 0 G r u p pe' gebilligt, der in seinem Buche "Die griechischen Kulte und Mythen in ihren Beziehungen zu den orientalischen Religionen" (Leipzig 1887) groe Gelehrsamkeit und kritische Schrfe mit auffallenden Ver-schrobenheiten vereinigt. Nach Gruppes Auffassung ist die Religion ursprnglich die Erfindung eines bestimmten Volkes, 'welche sich, wie auch andere ntzliche und schdliche Erfindungen, Kenntnisse, Sitten und Bruche - ein Kritiker sagt spottend "wie das Tabak rauchen" - ber den grten Teil der Erde ausgebreitet hat, ohne indes mit Notwendigkeit alle Vlker zu bertihrEm. 'Erbe~ ruft sich darauf, die Vlkerkunde wisse von zahlreichen Stmmen, welche zu einer religisen Bildung auch nicht einen Anfang gC. macht htten 2. Ja, er sagt: "Weit entfernt, mit den modernen Verteidigern der Religion anzunehmen, da religise Vorstellungen auch da vorauszusetzen seien, wo sie von den" Berichterstattern ausdrcklich in Abrede gestellt werden, glauben Wir vielmehr, da selbst da, wo sie berliefert sind, sehr hufig ein Irrtum vorliegt" 3.

    1 Vgl. Meiners a. a. 0., S.9. 10. I VgI. Gruppe a. a. 0., S. 261.

    I Vel. Gruppe a. a. 0., S.259-262.

  • Die Universalitt der Religion.

    Da indes Gruppe hier fr seine Behauptungen keine Beweise bei-bringt, auch selbst kein Beispiel eines vllig religionstosen Volkes anfhrt, sondern sich ganz auf Sir John Lubbocks Darlegungen sttzt, haben wir es hier auch nur mit diesem zu tun.

    Gegenber den erwhnten skeptischen und negativen An-sichten, die doch nur mehr vereinzelt hervorgetreten sind, wird nun von einer betrchtlichen Anzahl der hervorragendsten Forscher mit weit besserem Rechte und schlagenden Grnden das Gegenteil, also der universelle Charakter der Religion, be-hauptet_

    Schon Me i n er s, dessen in den Jahren 1806 und 1807 erschienene "Allgemeine kritische Geschichte der Religionen" noch heute ein sehr lesenswertes Buch ist, sprach die Ansicht aus, da nichts so unaufbaltsam aus den allgemeinen Anlagen der Organisation ungebildeter Menschen erwchst als die Erkenntnis und Verehrung hherer Wesen, und wies darauf hin, wie wenig man den Zeugnissen der Reisebeschreiber, die gewissen Vlkern alle Religion absprchen, ohne weiteres Glauben schenken knne. Diese Mnner waren teils nicht lange genug unter den betreffen-den Vlkern, um dieselben grndlich kennen zu lernen; teils brachten sie eine vorgefate, allzu hohe Meinung von dem Wesen der Religion als solcher mit und verkannten daher gewisse niedere und robe Formen derselben. Meiners zeigt an mehreren Bei-spielen, wie bisweilen Schriftsteller, welche gewissen Vlkern alle Religion absprechen, durch ihre eigenen Mitteilungen den Beweis liefern, da diese Vlker den Glauben an hhere Wesen, Geister oder Seelen der Verstorbenen u. dgl. m. haben, vor denen sie Scheu empfinden, denen sie Opfer darbringen usw., da sie also doch eine gewisse Religion besitzen. Das zeigt er bei Co 11 ins mit Bezug auf die Australier, bei dem Missionr Beger (Baegert) mit Bezug auf die Kalifornier u. a. m. 1

    In neuerer Zeit sind Mnner wie E. B. T y 1 0 r, G. R 0 s -koff, A. de Quatrefages, Oscar Pese hel, Theodor Waitz, Adolf Bastian, Max Mller, Prinz Neuwied,

    1 Vgl. Meinen a. a. 0., I, S. 13-15.

  • Die Universalitt der Religion. 39

    Walckenaer, Tiele, Meinicke, Ed. Zeller u. a. mit Ent-schiedenheit flir den universellen Charakter der Religion einge-treten, und es darf dabei wohl als besonders wichtig und bedeut-sam hervorgehoben werden, da die Mehrzahl der Genannten gerade Anthropologen und Ethnologen von wohlbegrndetem Ruf sind. Insbesondere Tylor, Roskoff und Quatrefages haben das Material, auf welchem Lubbock seine Theorie aufbaut, einer ein-gehenden sachgemen Kritik unterzogen und das Unzureichende seiner Beweiskraft klar erwiesen. E d war d B. T Y I 0 r, der grte unter den modernen Ethnologen, tat dies mit der ihm eigenen Umsicht und Besonnenheit in seinem berhmten Buch ber "Die Anfange der Kultur", Bd. I, S. 412 ff. 1 Gustav Roskoff, der scharfsinnige Verfasser einer "Geschichte des Teufels", widmete der Widerlegung der Lubbockschen Ansichten ein besonderes, hchst interessantes, inhaltreiches und berzeugendes Buch: "Das Religionswesen der rohesten Naturvlker" (Leipzig 1880). A. de Qua t r e fa g es, der rhmliehst bekannte franzsische Anthropolog, wandte sich in seinem Buche L'espece humaine 9 gegen Lubbock und verteidigte gleich den Genannten den Satz von der Allge-meinheit der religisen Vorstellungen.

    Wer diesen Mnnern bei ihrer Prfung des Lubbockschen Beweismaterials ohne mitgebrachtes Vorurteil sorgfaltig abwgend folgt, der wird sich schwerlich der Einsicht verschlieen knnen, da tatschlich kein irgend zuverlssiges Material vorhanden ist, welches dazu geeignet wre, die Theorie von der vlligen Religions-losigkeit gewisser Vlker zu sttzen. Wir lernen aus ihren Dar-legungen, wie wenig zuverlssig, wie sehr mit Vorsicht aufzu-nehmen im allgemeinen die Behauptungen derjenigen Schriftsteller sind, welche bei diesem oder jenem Volke kurzweg das Vor-handensein irgendwelcher Religion leugnen. Was schon Meiners an einigen Beispielen aufwies, begegnet uns hier fter und schrfer

    I Edward B. Tylor, Die Anfnge der Kultur. Untersuchungen ber die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte_ Ins Deutsche bertragen ",on Spengel und Poske, Leipzig 1873.

    2 1877, S. 34911".

  • 40 Die Universali.tt der Religion.

    beleuchtet: der innere Widerspruch, der viele dieser Berichte charakterisiert. Nicht minder deutlich tritt die Oberflchlichkeit und Kritiklosigkeit der meisten hierher gehrigen Beobachtungen und Behauptungen zutage.

    So hat z. B. Dr. J. D. La n g in seinem Buche "Queensland" von den Ureinwohnern Australiens behauptet, sie htten nicht nur keine Vorstellung von einer hchsten Gottheit, einem Schpfer und Richter, keinen Gegenstand der Anbetung, kein Idol, keinen Tempel, kein Opfer, sondern berhaupt "Nichts, was irgendwie den Charakter der Religion oder religiser Gebruche htte, wo-durch sie sich von den Tieren unterschieden" 1.

    Dies Zeugnis ist vielfach verwertet worden und doch geht aus demselben Buche Langs hervor, da dasselbe entschieden unrichtig ist. Er berichtet z. B., da die Australier eine gewisse Krankheit "dem Einflusse Budyahs, eines bsen Geistes, der seine Freude am Unglck hat", zuschreiben. Ebenso, da die selben, wenn sie einen wilden Bienenstock ausnehmen, meist etwas Honig fr Buddai zurcklassen, einen Geist, der als Urheber einer berschwemmung erscheint und wahrscheinlich mit dem ersterwhnten Budyah identisch ist. Ferner, da die Stmme von Queensland alle zwei Jahre junge Mdchen opfern, um eine be stimmte bse Gottheit zu vershnen. Endlich fhrt La n g selbst die Angabe des Rev. W. R i die y an, da dieser, "so oft er mit den Einwohnern verkehrte, fand, da sie bestimmte Traditionen von bernatrlichen Wesen hatten, von Baiame, dessen Stimme sie im Donner hren und der alle Dinge gemacht hat, von Turramullum, dem Dmonenfhrer, welcher der Urheber der Krankheiten, des Unglcks und der Weisheit ist und in Gestalt einer Schlange bei ihren groen Versammlungen erscheint" usw. 2 hnlich wie Dr. Lang hatte frher Co II ins den Australiern alle Religion abgesprochen, M ein er s "iber wies darauf hin, da desselben Schriftstellers weitere Mitteilungen ber Seelenkult, Geisterfurcht u. dgl. m. bei den Australiern damit nicht recht bereinstimmten. Gegenwrtig wissen wir durch die Zeugnisse

    Vgl. Tylor a. a. 0., S. 412. I Tylor a. a. 0., S. 412. 413.

  • Die Universalitt der Religion. 4\

    vieler Beobachter, wie Oldfield, Cunningham, Howitt, d'Urville, Dawson, Stanbridge und mancher anderer, da die Eingeborenen Australiens in allen Gegenden des Landes an Geister, Dmonen und Gottheiten allerart glauben, sich vor ihnen frchten, sie verehren, ihnen opfern u. dgl. m. l Sie waren von einem sehr lebhaften Glauben {lieser Art schon zur Zeit der Entdeckung des Landes erfllt (Tylor a. a. 0., I, S. 4 13)' Ja, sie glauben, wie wir jetzt sicher wissen, an ein hchstes, gutes Wesen, das im Himmel wohnt und alles geschaffen hat. Es wird in einigen Gegenden Koyan, in anderen Baiamai (Peiamei) genannt, wird mit Festen, Tnzen, Gesngen und Opfern verehrt, beeinflut auch fraglos das sittliche Verhalten 2. In Neunursie gilt Motogon als Schpfer, der nur zu rufen braucht: "Erde erscheine 1 Wasser erscheine 1" Er blies und alles, was vorhanden ist, war erschaffen. Auch Sonne und Mond werden verehrt, ein Fortleben der Seele nach dem Tode wird geglaubt:l u. dgl. m. So sieht die angebliche Religionslosigkeit der Eingeborenen Australiens aus, die gewi zu den niedrigst stehenden Vlkern der Erde gehren.

    Auch die Polynesier und speziell die Samoainsulaner werden auf einige oberflchliche Angaben hin von Lubbock fr religionslos erklrt. Wie unrichtig das ist, davon kann m;m sich durch die von Roskoff (a. a. 0., S. 84-96) zusammengestellten Angaben ber die Religion dieser Vlker leicht berzeugen. Auer dem Glauben an zahlreiche kleinere und grere Geistwesen, Dmonen und Gtter finden wir bei den Polynesiern, auch auf den Samoa-inseln, die Verehrung eines Hauptgottes Tongaloa, der im Himmel wohnt und die Geschicke lenkt. Waitz-Gerland findet die Dar-stellung des polynesischen Religionswesens schwierig, gerade wegen des groen Reichtums des polynesischen Himmels, "welcher nicht minder belebt ist als der jedes beliebigen indogermanischen Volkes"'.

    I Roskoff a. a. 0., S. 37-41. Vgl. Roskoff a. a. 0., S. 38-41; Waitz-Gerland, Antbropologie,

    Bd. VI, S. 794 ff.; An d r e w La n &, The Making of Religion (1900), p. 176 ff. 3 Roskoff a. a. 0., S. 39.

    Wa it z - Ger Ja n d, Antbropologie, Bd. VI, S, 230.

  • 42 Die Universalitt der Religion.

    hnlich verhlt es sich mit der angeblichen Religionslosigkeit der Neuseelnder, der Tasmanier, der Melanesier, der Mikro-nesier, der Bewohner der Pelewinseln und der Damoodinsel, der Andamanesen, der Grnlnder und der Eskimos u. a. Sobald man sie zu prfen beginnt, erweisen sich die betreffenden Be-hauptungen als ganz haltlos und nichtig 1.

    Nicht anders steht es auch mit den Vlkern A m er i k a s , von denen ebenfalls viele fr religionslos erklrt worden sind. Zu den niedrigst stehenden unter ihnen gehren gewi die Fe u e r I n der, die sog. Pescherh, fr deren Religionslosigkeit nicht nur Co 0 k, sondern auch Dar w i n von Lubbock als Zeuge angeftihrt wird. Doch auch sie sind, wie wir jetzt wissen, durchaus nicht ohne jede religise Vorstellung. Ja, ihr Glaube "an ein Wesen, das in Gestalt eines schwarzen Mannes in den Bergen umhergehe, jedes von Menschen gesprochene Wort hre, alles, was sie tun, sehe, und nach ihrem Betragen als Strafe Unheil sende, ihrer Auffhrung gem das Wetter einrichte" 11, ist zwar sehr primitiv, enthlt aber sogar einen deutlich ausgesprochenen moralischen Kern.

    Don Fe I i x d e A zar a behauptete geradezu, die Ein-geborenen Sdamerikas htten gar keine Religion. Dem stehen aber nicht nur die klaren Zeugnisse verschiedener anderer Beobachter gegenber, sondern de Azara macht sein eigenes Zeugnis hinfa1lig, indem er z. B. selbst berichtet, da die Guanas an ein Wesen glauben, welches die Guten belohnt und die Bsen be-straft u. dgl. m. I

    Von den Tupinambas in Brasilien ist wiederholt be-hauptet worden, da sie ganz religionslos wren. Doch wissen wir jetzt wenigstens so viel bestimmt, da sie an Geister glauben, insbesondere an ein bses Wesen, Anhanga oder Aygnan genannt '. Auch deuten ihre von Lery, de Laet u. a.

    1 Vgl. Roskoff a. a. 0., S. 8