12
Editorial A m 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe westlicher Geheimdienste in die Hände türki- scher Sicherheitskräfte. Empört über die Ungeheuerlichkeit dieses völkerrechtswidrigen Vorge- hens gründeten verschiedene Intellektuelle und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen eine Initiative zur Freilassung von Abdullah Öcalan. Im März 1999 begann die Internationale Initi- ative “Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan" ihre Arbeit. Sie begreift sich als multi- nationale Friedensinitiative, die sich für eine zivile Lösung der kurdischen Frage und ein friedli- ches Zusammenleben von Türken und Kurden einsetzt. Auch nach seiner Inhaftierung gilt Abdullah Öcalan für den Großteil der kurdischen Bevölkerung als unumstrittene Führungsper- sönlichkeit. So erscheint die Annahme realistisch, dass die Lösung der kurdischen Frage in der Türkei eng mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers verbunden ist. Für viele Kurden ist er der Garant eines Friedens- und Demokratisierungsprozesses. Deshalb muss auch in seinem Fall eine Perspektive absehbar und erkennbar werden, eine Perspektive, die nur im Zuge einer Lösung der kurdischen Frage in der Türkei denkbar ist. Der Umgang mit der kurdischen studentischen Kampagne für muttersprachlichen Unterricht in der Türkei zeigt, wie schwer den herrschenden Eliten ein längst überfälliges Umdenken fällt. Die- ses aber ist Voraussetzung für eine Umsetzung der "Kopenhagener Kriterien", deren Erfüllung über den Beginn der Beitrittsgespräche zur EU entscheidet. Der aktuelle Bericht des türkischen Menschenrechtsvereins (IHD), die zahlreichen Verhaftungen von Studenten, die das Recht auf muttersprachlichen Unterricht einfordern, und das drohende Verbot der HADEP sprechen eine gegenteilige Sprache. Die überraschend klare Aussage des zuständigen EU-Kommissars Verheu- gen, ohne vollständige Umsetzung der Kopenhagener Kriterien sei keine Aufnahme von Bei- trittsgesprächen zu machen, ist in Ankara bei denen, die es betrifft, angekommen.. Appelle, Finanzhilfen und "kritischer Dialog" sind nicht genug für die Förderung des Demokratisierungs- prozesses in der Türkei. Eine direkte Förderung der demokratischen Kräfte durch ausgewogene politische Aufwertung würde den Prozess beschleunigen. Dass die Kurden für einen solchen Pro- zess bereit sind, hat ihre beharrliche Friedenspolitik gezeigt. Mit diesen Themen beschäftigen wir uns auch in der vorliegenden Ausgabe, in Beiträgen von Hans Branscheidt (medico international), Karin Leukefeld, den Anwälten von Abdullah Öcalan, Klaus Happel und anderen.... Zuletzt noch vielen Dank den Spendern unserer Weihnachtsspendenkampagne. Spenden sind uns auch weiterhin herzlich willkommen. Köln, im Januar 2002, die Redaktion Erstunterzeichnende der Internatio- nalen Intiative Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan: Mairead Maguire (Nobelpreisträger, Nordir land), Dario Fo (Regisseur Autor, Schauspie ler, Literaturnobelpreisträger, Italien), Adolfo Perez Esquivel (Literaturnobelpreisträger Argentinien), José Ramos-Horta (Friedens nobelpreisträger, Ost-Timor), José Sarama go (Literaturnobelpreisträger, Portugal) Danielle Mitterrand (Stiftung France Liber té, Frankreich), Ramsey Clark (Rechtsanwalt ehem. Justizminister, USA), Uri Avnery (ehe maliger Knessetabgeordneter, Gush Shalom -Friedensblock- Israel), Prof. Dr. Noam Chomsky (Linguist, Publizist, Massachusett Institute of Technology, USA), Alain Lipietz (Mitglied des Europaparlaments), Pedro Marset Carpos (Mitglied des Europaparla ments), Lord Eric Avebury ( House of Lords Großbritannien), Harry Cohen (Parlaments abgeordneter, Labour-Partei, Großbritan nien), Cynog Dafis (Parlamentsabgeordne ter, Plaid Cymru -Wallisische Partei- , Großbri tannien), Lord Raymond Hylton (House o Lords, Großbritannien), Lord John Nicholas Rea (Vorsitzender der parlamentarischen Menschenrechtsgruppe, House of Lords Großbritannien), Walid Jumblat (Vorsitzen der der Sozialistischen Fortschrittsparte Libanon), Rudi Vis ( Parlamentsabgeordne ter, Labour-Partei, Großbritannien), Pau Flynn (Parlamentsabgeordneter, Labour Partei, Großbritannien), Máiréad Keane (Vor sitzender der Abteilung für Internationale Beziehungen, Sinn Fein, Nordirland), Dome nico Gallo (Jurist, ehem. Senator -CI-, Mitglied der Magistratura Democratica, Italien), Livio Pepino (Jurist, Vorsitzender der Magistratura Democratica, Italien), Xabier Arzalluz (Präsi dent der PNV / Nationalistische Baskische Partei), Tony Benn (Parlamentsmitglied Labour-Partei, Großbritannien), Giovann Palombarini (Jurist, ehem. Vorsitzender de Magistratura Democratica, Italien), Heid Ambrosch (Stellv. Vorsitzende der Kommu nistischen Partei Österreichs) Nr. 6 l Februar / März 2002 AÞITÎ BARIS BARIS BULLETIN DER I NTERNATIONALEN I NITIATIVE “FREIHEIT FÜR ABDULLAH ÖCALAN – FRIEDEN IN KURDISTANFRIEDEN FRIEDEN Fortsetzung letzte Seite ASITÎ

ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

Editorial

Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, ineiner überraschenden Aktion unter Mithilfe westlicher Geheimdienste in die Hände türki-

scher Sicherheitskräfte. Empört über die Ungeheuerlichkeit dieses völkerrechtswidrigen Vorge-hens gründeten verschiedene Intellektuelle und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationeneine Initiative zur Freilassung von Abdullah Öcalan. Im März 1999 begann die Internationale Initi-ative “Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan" ihre Arbeit. Sie begreift sich als multi-nationale Friedensinitiative, die sich für eine zivile Lösung der kurdischen Frage und ein friedli-ches Zusammenleben von Türken und Kurden einsetzt. Auch nach seiner Inhaftierung giltAbdullah Öcalan für den Großteil der kurdischen Bevölkerung als unumstrittene Führungsper-sönlichkeit. So erscheint die Annahme realistisch, dass die Lösung der kurdischen Frage in derTürkei eng mit dem weiteren Schicksal des Kurdenführers verbunden ist. Für viele Kurden ist erder Garant eines Friedens- und Demokratisierungsprozesses. Deshalb muss auch in seinem Falleine Perspektive absehbar und erkennbar werden, eine Perspektive, die nur im Zuge einerLösung der kurdischen Frage in der Türkei denkbar ist.Der Umgang mit der kurdischen studentischen Kampagne für muttersprachlichen Unterricht inder Türkei zeigt, wie schwer den herrschenden Eliten ein längst überfälliges Umdenken fällt. Die-ses aber ist Voraussetzung für eine Umsetzung der "Kopenhagener Kriterien", deren Erfüllungüber den Beginn der Beitrittsgespräche zur EU entscheidet. Der aktuelle Bericht des türkischenMenschenrechtsvereins (IHD), die zahlreichen Verhaftungen von Studenten, die das Recht aufmuttersprachlichen Unterricht einfordern, und das drohende Verbot der HADEP sprechen einegegenteilige Sprache. Die überraschend klare Aussage des zuständigen EU-Kommissars Verheu-gen, ohne vollständige Umsetzung der Kopenhagener Kriterien sei keine Aufnahme von Bei-trittsgesprächen zu machen, ist in Ankara bei denen, die es betrifft, angekommen.. Appelle,Finanzhilfen und "kritischer Dialog" sind nicht genug für die Förderung des Demokratisierungs-prozesses in der Türkei. Eine direkte Förderung der demokratischen Kräfte durch ausgewogenepolitische Aufwertung würde den Prozess beschleunigen. Dass die Kurden für einen solchen Pro-zess bereit sind, hat ihre beharrliche Friedenspolitik gezeigt. Mit diesen Themen beschäftigen wir uns auch in der vorliegenden Ausgabe, in Beiträgen vonHans Branscheidt (medico international), Karin Leukefeld, den Anwälten von Abdullah Öcalan,Klaus Happel und anderen....Zuletzt noch vielen Dank den Spendern unserer Weihnachtsspendenkampagne. Spenden sinduns auch weiterhin herzlich willkommen.

Köln, im Januar 2002, die Redaktion

Erstunterzeichnende der Internatio-nalen Intiative Freiheit für AbdullahÖcalan - Frieden in Kurdistan:

Mairead Maguire (Nobelpreisträger, Nordirland), Dario Fo (Regisseur Autor, Schauspieler, Literaturnobelpreisträger, Italien), AdolfoPerez Esquivel (LiteraturnobelpreisträgerArgentinien), José Ramos-Horta (Friedensnobelpreisträger, Ost-Timor), José Saramago (Literaturnobelpreisträger, Portugal)Danielle Mitterrand (Stiftung France Liberté, Frankreich),Ramsey Clark (Rechtsanwaltehem. Justizminister, USA), Uri Avnery (ehemaliger Knessetabgeordneter, Gush Shalom-Friedensblock- Israel), Prof. Dr. NoamChomsky (Linguist, Publizist, MassachusettInstitute of Technology, USA), Alain Lipietz(Mitglied des Europaparlaments), PedroMarset Carpos (Mitglied des Europaparlaments), Lord Eric Avebury ( House of LordsGroßbritannien), Harry Cohen (Parlamentsabgeordneter, Labour-Partei, Großbritannien), Cynog Dafis (Parlamentsabgeordneter, Plaid Cymru -Wallisische Partei- , Großbritannien), Lord Raymond Hylton (House oLords, Großbritannien), Lord John NicholasRea (Vorsitzender der parlamentarischenMenschenrechtsgruppe, House of LordsGroßbritannien), Walid Jumblat (Vorsitzender der Sozialistischen FortschrittsparteLibanon), Rudi Vis ( Parlamentsabgeordneter, Labour-Partei, Großbritannien), PauFlynn (Parlamentsabgeordneter, LabourPartei, Großbritannien), Máiréad Keane (Vorsitzender der Abteilung für InternationaleBeziehungen, Sinn Fein, Nordirland), Domenico Gallo (Jurist, ehem. Senator -CI-, Mitgliedder Magistratura Democratica, Italien), LivioPepino (Jurist, Vorsitzender der MagistraturaDemocratica, Italien), Xabier Arzalluz (Präsident der PNV / Nationalistische BaskischePartei), Tony Benn (ParlamentsmitgliedLabour-Partei, Großbritannien), GiovannPalombarini (Jurist, ehem. Vorsitzender deMagistratura Democratica, Italien), HeidAmbrosch (Stellv. Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs)

Nr. 6 l Februar / März 2002

AÞITÎBARISBARIS

BULLETIN DER INTERNATIONALEN INITIATIVE “FREIHEIT FÜR ABDULLAH ÖCALAN – FRIEDEN IN KURDISTAN”

FRIEDENFRIEDEN

Fortsetzung letzte Seite

ASITÎ

Page 2: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

Der Kurdische Nationalkongress (KNK)veranstaltete am 13. und 14. Dezember2001 eine Konferenz in Brüssel mit demTitel "Frieden, Demokratie und eineLösung der kurdischen Frage." An dieserKonferenz nahmen Vertreter vieler kur-discher Parteien und unabhängige per-sönlichkeiten teil.

Wir geben die Beschlüsse des Kongres-ses im Folgenden wieder:

1. Die Konferenz verurteilt die Greuelta-ten des 11. September in den USA.Gleichzeitig bittet sie die USA und dieVereinten Nationen und die EuropäischeUnion, auch den systematischen Staats-terror zu verurteilen, dem das kurdischeVolk seit vielen Jahren ausgesetzt ist; dieErmordung Dr. Sadik Harafkendis undseiner Kollegen in Deutschland gehörtin diesen Zusammenhang.Die Konferenz verurteilt alle Versuche,den nationalen Befreiungskampf deskurdischen Volkes als terroristisch abzu-stempeln und mißbilligt die Einordnungder PKK als Terrororganisation. Sie ver-langt, daß die PKK von solchen Listengestrichen wird und sofort alle Entschei-dungen, die die Arbeit der PKK untersa-gen, aufgehoben werden.

2. Wir rufen die kurdischen Parteien auf,eine Atmosphäre zu schaffen, die den

Dialog und die Diskussion fördert, alseinzigem Weg in Richtung einer dauer-haften Lösung. Die Freiheit politischerArbeit muß respektiert werden. EineGarantie von Frieden und Demokratiewürde einer nationale Strategie denWeg ebnen.

3. Die Konferenz verurteilt den Ge-brauch von Waffen zur Lösung internerkurdischer Konflikte in allen Teilen Kur-distans, zu jeder Zeit und unter allenUmständen.

4. Die Konferenz verurteilt einmütig dieEntführung des Führers der PKK, Abdul-lah Öcalan, und verlangt seine sofortigeFreilassung.

5. Die Konferenz ruft die Regierungender Türkei, des Irans, des Iraks undSyriens auf, die Rechte der Kurden imRahmen der Prinzipien der Selbstbe-stimmung anzuerkennen.

6. Die Konferenz bittet die kurdischenpolitischen Parteien in allen Teilen Kur-distans, ihre Kontakte zu den Regierun-gen der Region nicht gegen Kurden inanderen Teilen Kurdistans zu verwen-den.

7. Die Konferenz respektiert die Erfah-rung von Südkurdistan und verlangt,

ASITÎ Kurdistan - Europa

2

Frieden, Demokratie

und eine Lösung der kurdischen Frage

Resolution des Kurdischen Nationalkongresses

Inhalt:

Seite 2

Frieden, Demokratie und eineLösung der kurdischen Frage

Resolution des Kurdischen National-kongresses in Brüssel

Seite 4

Südkurdistan - und dieZukunft der Kurden

von Hans Branscheidt

Seite 7

Konfliktpotential Wasser

An Euphrat und Tigris wächst die Zahl derStaudämme und Kraftwerke - zumNachteil der Anrainerstaaten und derUmwelt

von Karin Leukefeld

Seite 9

An die Redaktion

Seite 10

Öcalan Prozeß

Am 15. Februar jährt sich die Entführungvon Abdullah Öcalan

von Aysel Tugluk

Seite 11

Sprache und Identität

Die Kampagne kurdischer Studenten in derTürkei zum Recht auf Bildung in ihrerMuttersprache

von Klaus Happel

Impressum:Herausgeber: Internationale Initiative“Freiheit für Abdullah Öcalan - Friedenin Kurdistan”50445 Köln, Postfach 10 05 11Druck: Eigendruck, Auflage: 2.500Redaktion: Klaus D. Bufe, Klaus Becher,K. Happel, Stefan LeiboldV. i. S. d. P.: Klaus D. Bufe

Namentlich gekennzeichnete Beiträgemüssen nicht unbedingt die Meinung derRedaktion wiedergeben.Spenden sind willkommen. Stadtsparkasse Köln, Blz: 37 050198Kto: 46 793287, Stichwort: Asiti

Page 3: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

RAY; Vereinigung kurdischer Anwälte -Hikmet SERBILIND; Kurdische IslamischePartei (PIK) - Duriye EWNY; Journalist -Mirhem YIGIT; Präsident des KurdischenInstituts in Stockholm - Wekil MUSTA-FAYEV; Expräsident von Rotes Kurdistan -Ali Haydar CILASUN; Romancier - HaydarISIK; Romancier, Mitglied des PEN -Saman SALI; KNC - Nordamerika - Prf.Izzedin Mustafa RESUL; UniversitätSuleymania - Prf. Dr. Salah JMOR; Univer-sität Genf - Dr. Sirac BILGIN; KurdischerPolitiker aus Schweden - Seyit BEDIR-XAN; Kurdischer Politiker aus Nordame-rika - Prf. Samoel KOCOI; Director Rechts-akademie Moskau - Cahit MERVAN; Ver-einigung kurdischer Journalisten - Muxi-re MUFTIZADE; Präsidentin der Organi-sation kurdischer Frauen/London -Mehdi ZANA; ehemaliger Bürgermeistervon Diyarbakir - Ali YALCIN; PatriotischeUnion - Bekir HESEN; DemokratischeBewegung - Südkurdistan

gen.Unterzeichner (neben vielen anderen):

Prof. Ismet Cheriff VANLY; Präsident desKurdistan National Kongresses (KNK) -Yasar KAYA; Expräsident des KurdistanParlamentes im Exil (DEP), KNK Exekutiv-rat - Zübeyir AYDAR; ehemaliger Abge-ordneter der Demokratiepartei (DEP),KNK Exekutivrat des KNK - Ali YIGIT; ehe-maliger Abgeordneter der Demokratie-partei (DEP), KNK Exekutivrat des KNK -Remzi KARTAL; ehemaliger Abgeordne-ter der Demokratiepartei (DEP), KNKExekutivrat des KNK - NizamettinTOGUC; ehemaliger Abgeordneter derDemokratiepartei (DEP), KNK Exekutiv-rat des KNK - Danielle MITTERRAND; Prä-sidentin von France Liberte - Lord QUI-NAN; MSP - Lord HYLTON; Mitglied desOberhauses - Feleknas UCA; Mitglieddes Europaparlamentes - Hans BRAN-SCHEIDT; medico international - Dr. Mah-mut OSMAN; Politiker - Adem UZUN;Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) - Prof.Esat XEYLANI; Kurdischer Nationalkon-gress Nordamerika - Saleh GEDO; PSKS-Generalsekretär Syrien - M. Emin PENCE-WINI; Präsident des Kurdischen Institutsin Berlin - Hamd SHWAN; KKP-Irak - Saki-ne ZAGROS; Freie Frauen Partei (PJA) -Okkes KOLUSARI; Kurdische Kommunis-tische Partei (KKP-Nordkurdistan) - FikriAHO; Beth Nahrin Asyrian-Chaeldeer -Sadik ERMIS; Islamische Bewegung vonKurdistan (HIK) - Seyidxan YILDIRIM; Kur-distan Künstler Vereinigung (YHK) -Bubo YILDIZ; Kurdistan Yezidi Union(YÊK) - Haci SOLEMAN; Syrische Kurdi-sche Linkspartei (PCKS) - Biruske NICAR;Syrische Demokratische Kurdische Par-tei (PNPKS) - Hewa JAFF; Liberaldemo-kraten Britannien - Sorkat FATTAH; Kur-dische Heilspartei (RPK) - Eqbal NURI;Vereinigung von Kurden im Exil - NuraySEN; Föderation Kurdischer Vereine inEuropa (KON-KURD) - Hamdullah KANSI-

daß jede Anstrengung gemacht wird imHinblick auf die Entwicklung undWiedervereinigung der Regionalregie-rung von Kurdistan. Wir sollten daraufhin arbeiten, diese Erfahrung in ihrendemokratischen Dimensionen zu stär-ken.Wir fordern die Kräfte im Süden auf, inZusammenarbeit mit der internationa-len Gemeinschaft weitere Anstrengun-gen zu unternehmen, diese Errungen-schaften und Erfahrungen zu verstär-ken.

8. Der KNK soll in Fortführung seinerBemühungen dafür arbeiten, daß eineweitere Konferenz zustande kommt, ander alle diejenigen politischen Parteienund Persönlichkeiten teilnehmen, die ander jetzigen Konferenz teilnehmen,sowie auch diejenigen, die an dieser lau-fenden Konferenz für Frieden und denAufbau einer kurdischen nationalenStrategie nicht teilgenommen haben.

9. Die Konferenz hofft, daß der KNK seineBemühungen, mit den politischen Par-teien in Kurdistan in Kontakt zu bleiben,fortsetzt; daß er eine wirkungsvolle Rolleim Friedensprozeß in Südkurdistan spie-len wird und sicherstellte, daß zwischenden Kräften des Südens und der PKKdauerhafter Frieden und Kooperationherrschen.

10. Im Hinblick auf Terrorismus verurteiltdie Konferenz die sogenannte Jund-al-islam in Südkurdistan.

11. Die Konferenz glaubt, daß solangedie kurdische Frage nicht gerecht, fried-lich und demokratisch gelöst wird, sichdie Unterdrückung der kurdischenNation fortsetzen wird. Im Rahmen derCharta der Vereinten Nationen hat daskurdische Volk daher das Recht, sichselbst mit legitimen Mittel zu verteidi-

ASITÎKurdistan - Europa

3

www.freedom-for-ocalan.com/asiti

Asiti im Internet

www.freedom-for-ocalan.com/asiti

Page 4: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

Fast jeden Tag dasselbe Ritual: Kaumwird journalistisch von jemandem die"US Intervention im Irak" als ganz sicherunmittelbar bevorstehend angesagt, derauch Gründe und sogar Belege nennt, -schon wird das Ganze von einem ande-ren publizistisch wieder abgesagt.Wobei es merkwürdig anmutet, daß die-jenigen, die vorweg eine solche Inter-vention am meisten verurteilen, als jeneerscheinen, die am entschlossendstenauf den Vollzug des Ereignisses zu war-ten scheinen. Da alle sich perfekt aus-kennen, niemand aber etwas wirklichweiß, bleibt es dabei, daß im wesent-lichen zwei Dinge namentlich im Vorder-grund aller Beschäftigung stehen: "Sad-dam" und die "Intervention". Alle Weltredet vom "Irak", alle schauen wiegebannt auf irgendwelche obskurenInterventions-Ankündigungstermine,doch kaum jemand weiß kompetentetwas über das Land, seine Geschichte,dessen gesellschaftliche Verfassung, sei-nen Unterdrückungsapparat, die Lageder Kurden und anderer Gruppen. Indeutscher Sprache existiert nicht einmaleine einzige Buchveröffentlichung zurBaath-Partei. Vor allem wird eine fälligeFrage fast gar nicht gestellt: Was passiertdanach? Was könnte das politisch-gesellschaftliche Resultat einer Interven-tion oder auch eines neuen Volksauf-standes sein? Welche wie gearteteninternen Kräfte stehen zur Verfügung -oder nicht? Und ist ein Potential vorhan-den, das Garant sein könnte für diebedeutsamste aller Hoffnungen: die auf

einen zukünftig demokratischen Irak?

Zur Geschichte eines technisiertenMonstrums

Die Anschläge des 11. September habenerneut die Frage nach einer Neuordnungdes Nahen Ostens aufgeworfen. Wiederist der Irak in die Schlagzeilen gekom-men, der im Zentrum der Neuordnungstehen wird. Das Regime Saddam Hus-seins, das seit mehr als 30 Jahren den Irakregiert, setzte systematischen Terrorgegen die eigene Bevölkerung durch, mitMassenvernichtungsmitteln: chemischenKampfstoffen gegen die Kurden im Nor-den, mit anderen furchtbaren Mittelngegen die Schiiten im Süden, sowiegegen die demokratische Opposition imganzen Land. Saddam hatte alle diese Waffen, die bio-logischen und chemischen Kampfstoffe,weil alle ihm alles geliefert hatten: dieUSA und die Franzosen, die Westdeut-schen und die frühere DDR, - die alle denDiktator als ihren guten, diskreten undzahlungsfähigen Kunden schätzten, wasihnen mühelos - den Deutschenbesonders - zu übersehen ermöglichte,daß das Produktionsziel Massenmord anden Kurden ohne jede Rührung undöffentliche Anteilnahme vollstreckt wer-den konnte. 300 000 Kurdinnen & Kurdenflohen in panischer Not im Jahre 1991 inden Iran und die Türkei, nicht weil dasaktuell zum Übel allen Leids erhobenesekundäre UN-Embargo eine Rolle spiel-te, sondern weil sie die primäre Tatsache

eines genozidalen Regimes in Furcht undSchrecken jagte.Das Ereignis zog immerhin die einzigedemokratische Tatsache des ZweitenGolfkriegs nach sich: fast die gesamteBevölkerung des Irak erhob sich gegendie Baath-Herrschaft des Takriti ClansSaddams, mit dem Resultat, daß kurzfris-tig in 14 der 17 Verwaltungsdistrikte dieRegierung die Kontrolle über die Men-schen verloren hatte. Dem Aufstand desirakischen Volkes wurde keine Unterstüt-zung gewährt. Im Gegenteil: Unter denAugen der US dominierten Golfkriegs-Allianz, die zuvor die Menschen zumSturz des Regimes aufgerufen hatte, wur-de die Befreiung brutal niedergeschla-gen. Seitdem hat das Regime seine Politikder blutigen Unterdrückung der Men-schen des Landes fortgesetzt - und inten-siviert. Die "Arabisierung" der Gebieteum Kirkuk, die forcierte Vertreibung derKurden, zählt täglich neue nennenswerteOpfer. Die Trockenlegung der wasserrei-chen Marschgebiete im Süden des Irakwurde vom Regime unter äußersterGewaltanwendung vollzogen: eine vonder UNDP als eine der größten "ökologi-schen Katastrophen dieser Zeit" bezeich-nete Aktion. Für die Gefängnisse ver-zeichnet der Bericht (September 2001)des Sonderraporteurs der UN, AndreasMavrommatis, die Tatsache fortdauern-der extralegaler Massenexekutionen. DasHerausreißen der Zunge ist hier ebensoPraxis wie die ununterbrochene Ermor-dung von Frauen, die als "Prostituierte"zuvor noch von den Militärs des Regimes

ASITÎ Analyse & Kritik

4

Irak, Südkurdistan - und die Zukunft der Kurden

von Hans Branscheidt

Page 5: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

von der bis jetzt ausgesprochenenGarantie der Allierten, also der USA. JedeGemüseverkäuferin im Bazar von Sulai-mania weiß und sagt das - unabhängigvon allen Fehlern, Fragwürdigkeiten undZumutungen einer amerikanischen Nah-ost-Politik. Hätten die USA ihre Schutzzu-sage storniert, Saddam wäre längst wie-

der auch Diktator in Südkurdistan - undgenau das will dort keiner. Jede "interne"Iraklösung, zu der deutsche Realsozialis-ten die Kurden aufrufen, beliefe sich aufden freiwilligen Verzicht des nach Not,Tod und Kampf im Jahre 1991 mühsamerreichten Zustands, - und es ist blankerZynismus oder bare Dummheit, ausge-rechnet den Kurden zuzumuten, irgend-einer Zusage Saddams je wieder zu trau-en: der noch jedes vertragliche Verspre-

sondern nur die politische Neuordnungdes Landes im Einklang mit allen Men-schen und gesellschaftlichen wie politi-schen Gruppierungen des Irak. Zur längstvorhanden demokratischen Oppositiondes Irak, innerhalb wie außerhalb des"Iraqi National Congress" (INC), gehörenals die besonders Betroffenen die Kur-

den.Für sie geht es nicht in erster Linie umdas Datum "Intervention", sondern umdie Frage, was geschieht danach? Waskommt nach Saddam? Vor allem: Waswird aus jener schüchternen, aber histo-risch hochbedeutsamen Tatsache ihrerinternational noch ungesicherten fakti-schen Autonomie im Irak (Südkurdistan)?Diese erste, einzige Form kurdischerSelbstverwaltung war und ist abhängig

serielle Vergewaltigung erfahren. Nie-manden scheint das besonders zu stö-ren, schon gar nicht die Folter und Inhaf-tierung von Tausenden Mitgliedern derIrakischen Kommunistischen Partei - wasbesonders verwundert, wenn altmodi-sche deutsche Realsozialisten in Saddamso etwas wie einen "objektiven Antiim-perialisten" glauben erkennen zu kön-nen. So als ob der Weg in Richtung Befrei-ung von Honnecker aus via Saddam Hus-sein zu befördern wäre.Die Sanktionen, die Saddam stürzen soll-ten, wurden auf geschickte Weise gegendie eigene Bevölkerung gerichtet. Vondem Regime, das für sich und seine Zwe-cke das Embargo faktisch längst unter-laufen hat, und es instand setzt, die ausillegalen Erdöltransfers und demSchmuggel über die längst weit geöffne-ten Grenzen Türkei, Jordanien, Syrien undIran gewonnenen Mittel erneut in denDienst der Wiederaufrüstung des mon-strösen technisierten Unterdrückungs-apparates zu stellen.

Perspektiven für einen demokrati-schen Irak

Wenn aktuell wieder der Irak als Schlüsselzur Neuordnung des Nahen Ostensbehandelt wird, so wird dieser Weg undeine solche Ordnung nur dann erfolg-reich sein, wenn sie den genuinen Inter-essen der Bevölkerung entspricht. EinerBevölkerung, die selber nicht sprechenkann, weil jede freie Meinungsäußerung,jede Baath-unabhängige politische Stim-me und Gruppierung der sofortigenstrikten Verfolgung ausgesetzt ist. Diesich höchstens fragmentarisch interpre-tiert weiß über ihre exilierten Vertretun-gen. - Gerade das Lehrstück Irak beweist,daß nicht die strategische Interventionund schon gar nicht die unsittlichen Auf-rufe deutscher Realsozialisten, - demRegime wieder die volle internationaleAnerkennung zu gewähren, - zu einerdemokratischen Lösung führen kann,

ASITÎAnalyse & Kritik

5

Zeichnung: Klaus Becher

Page 6: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

ASITÎ

Der künftige Verzicht auf das Baath-Regi-me käme allerdings für den Nahen Osteneiner emanzipatorischen Tatsache gleich.(Auch im Sinne der Interessen der Palästi-nenser, die noch nie etwas vom bloß rhe-torisch beschworenen "arabischen Natio-nalismus" hatten). Für den neuen Irakwäre keine US-abhängige Regierungs-konstellation in Sicht. Deren Zusammen-setzung in einem intakten, aber föderier-ten Irak, würde notwendig resultierenaus den Kurden, den Schiiten, der KP undden linken und demokratischen Kräftendes Landes. Kein Petersberg, kein Afgha-nistan ist hier in Sicht. Gerade die Beteili-gung der schiitischen Mehrheitsbevölke-rung an der perspektivischen Machtkon-stellation, - seit 1991 von den USA striktabgelehnt, und nun jedoch unter demDruck, etwas gegen Saddam unterneh-men zu müssen, erstmals akzeptiert, -würde eher eine Tendenz Richtung Tehe-ran bedeuten, keine en route Washing-ton. Eine neue, aus den einzig gesell-schaftlich verfügbaren Potenzen arran-gierte Regierung in Baghdad könnte eineErleichterung der Bemühungen allerdemokratischen Initiativen für dieRegion bedeuten, deren Bestrebungenbekanntlich auf eine föderative Lösungder Nahost-Probleme gerichtet sind. Aufder Basis einer neuen Verfassung, diegleichberechtigte, parlamentarisch ver-ankerte Existenz aller Gruppen und Frak-tionen des Irak garantiert, und Men-schenrechte, Minderheitenschutz, Reli-gion und Gedankenfreiheit postuliert: indem einen, föderativ gegliederten Irak.Und die Türkei? Wird sie im Interven-tionsfall durch die USA nicht Truppennach Südkurdistan entsenden? - Die hatsie dort jetzt schon und das seit langem.Ihre Grenze ausdehnen, den Nordirakannektieren, das werden Amerikaner,Europäer und Araber ihr nicht gestatten.Nein, erst recht in einem neuen Irak wirddessen internationaler Status stabil defi-niert und fundiert werden müssen, - erstdadurch ergibt sich ein wirkungsvolleres

chen auf Respekt gegenüber Menschen-rechten und Minderheiten hohnlächelndam Ende grausam wieder kassiert hat.Die Verteidigung der südkurdischen Rea-lität im Nordirak (so auch die Resolutiondes Kurdischen Nationalkongresses,Brüssel 2001) muß daher heute im Zen-trum aller Bemühungen und äußerstenKraftanstrengung stehen: und man istgut beraten, sich dabei nach Möglichkeitauf internationale Kräfte zu beziehen, dieals einzige zur Verfügung stehen und vorallem auch in der Lage sind, den kurdi-schen Status zu sichern. Die regionaleAutonomie der Kurden auch in einemIrak nach der Ära Saddam Husseins nützt,gilt und muß weiterhin allen Kurdinnenund Kurden der Länder des NahenOstens als sicherer Hafen zur Verfügungstehen. Schon seit 1991 zehrten diemeisten der kurdischen - aber auch dieParteien und Gruppierungen der iraki-schen Opposition - von der unverzicht-baren Möglichkeit, ihre Büros und ihreLogistik im "freien Kurdistan" etablierenzu können.

Nach Saddam

Was aber geschieht nun im Falle der hyp-notisch anvisierten US-Intervention? Die-se ist denkbar, keinesfalls aber sicher. Der"US-Imperialismus", um ein fundamenta-les Mißverständnis mancher "Antiimperi-alisten" auszuräumen, handelt (geradeim Nahen Osten) nicht nach klaren,unumstößlichen und terminierten Pla-nungen, sondern richtet sein Handelneher nach kybernetischen Modelloptio-nen aus, verfolgt gleichzeitig stets meh-rere optionale Szenarien, ohne sich sel-ber an deren sklavischen Vollzug zu bin-den. Käme es aber zu einer Intervention,dann wären die Tage Saddams gezählt.Zwei alte Partner aus den Tagen vonBush senior gerieten einander auf derHöhe von Bush junior in die Haare. DieUSA wären damit weder aus Kritik,Schuld und Beihilfevorworf entlassen.

Argument als je zuvor gegen jede weite-re direkte türkische Intervention.Darauf aufbauend ergeben sich Perspek-tiven für alle Kurden in allen Anrainer-Staaten der Region, ihrerseits die Einlö-sung historisch überfälliger Forderungenauf die Gewährung eigener Rechte undSicherheiten zu stellen. Es ist dies genaudas, was Ankara so sehr befürchtet. Tat-sächlich liegt der Schlüssel zur Lösungder Probleme des Nahen Ostens in derDurchsetzung der Demokratie im Irak.Mit Saddam Hussein ist das unmöglich.Ohne ihn werden auch die Kurden besserda stehen als heute. Abdullah Öcalan hatneulich wohl nicht ohne Grund von Imra-li aus "auch die Demokratisierung desIrak" gefordert. Die deutsche Besorgnisvor einer Intervention sollte sich produk-tiveren Tätigkeiten entschlossen zuwen-den: Noch immer ist Halabja ungesühnt,von Wiedergutmachung durch dieBundesregierung keine Rede. Hier setztauch das kurdische historische Bewußt-sein an, am Ereignis und Zeitpunkt seinerschlimmsten genozidalen Erniedrigung,ausgeübt von Saddam Hussein, demnicht einmal vor den Amerikanern zuschützenden Kriegsverbrecher.

Analyse & Kritik

6

Page 7: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

Eine der Folgen ist im ehemals fruchtba-ren Flussdelta des Schatt-Al-Arab am Per-sischen Golf, dem "Fruchtbaren Halb-mond", zu beobachten. Die Situation desIrak, der seit mehr als 11 Jahren einemumfassenden UN-Embargo unterworfenist, hat in den vergangenen Jahren eineständige Beobachtung der Entwicklungvor Ort unmöglich gemacht. Doch ist denörtlichen Wasserbehörden die massiveVeränderung nicht entgangen. Wie dasEntwicklungsprogramm der VereintenNationen, UNEP, im Mai 2001 mitteilte,konnten mit Hilfe eines neuen, von denUSA mit 20 Millionen Dollar gesponser-ten Satelliten, zum ersten Mal wissen-schaftliche Luftaufnahmen der Regiongemacht werden. Diese belegen das Aus-maß der Vertrocknung des "Mesopota-mischen Marschlandes", was von UNEP-Experten mit der dramatischen Verlan-dung des Aral-Sees verglichen wird.Euphrat und Tigis führen heute im Unter-lauf bis zu 50% weniger Wasser. Regelmä-ßige Überflutungen, notwendig für dasökologische Gleichgewicht gibt es fastnicht mehr im Flussdelta. Dazu habenauch die umfassenden Baumassnahmendes Irak in den 80er Jahren beigetragen,große Flächen der Sümpfe wurden ver-siegelt. Die Flüsse verlanden zusätzlichaufgrund industrieller Landwirtschaftund der dafür erforderlichen Bewässe-rung am oberen Flusslauf, denn das Was-ser, das aus diesen Projekten in die Fluss-betten zurückfließt, ist stark versalzen.

Der UNEP-Bericht macht besonders diegroßen Staudämme des GAP-Projektesfür die schlimme Austrocknung des"Fruchtbaren Halbmonds" verantwort-lich. Allein die Kapazitäten der türkischenStauseen entlang des Euphrat reichen füreine fünfmal so große Wassermenge, wiepro Jahr den Fluß hinabfließt. Kein Wun-der also, dass das nahezu 50 Jahre alteSüdostanatolien Projekt (GAP), sowohlinnen- als auch außenpolitisch für Streitsorgt. Die Weltbank hat die Finanzierungweiterer Staudämme im GAP gestoppt,weil die türkische Regierung sich hartnä-ckig weigert, internationale Abkommenzur Wasserverteilung zu unterzeichnen.

Erfolgreiche Proteste

GAP ist ein gigantischer agroindustriellerKomplex mit Dutzenden von Staudäm-men, Wassertunneln, Stauseen und Kraft-werken und soll, so die Vision der türki-schen Planer, nach Fertigstellung dieMärkte des Mittleren Ostens mit Lebens-mitteln versorgen. Das Projekt liegt inden kurdischen Gebieten der südöst-lichen Türkei, dem Quellgebiet von Euph-rat und Tigris. Mit der Flutung der Stau-seen werden nicht nur viele kurdischeDörfer sondern auch historisch wertvolleStätten überflutet. Archäologen versuch-ten in buchstäblich letzter Sekunde nochwertvolle Mosaike aus dem 3. - 5. Jahr-hundert vor unserer Zeitrechnung zu ret-

"Die Türkei ist mit Sicherheit kein wasser-reiches Land, also müssen wir jeden Trop-fen Wasser speichern." Das verkündeteim November letzten Jahres der Chef derStaatlichen Wasserwirtschaftsbehörde(DSI), Mumtaz Turfan bei der Einweihungeines Wasserversorgungsprojekts imTouristenort Bodrum/Westtürkei. Wäh-rend der letzten 4 Jahre habe die Türkeiunter einer großen Dürre gelitten, alsoerwarte man, statistisch gesehen, wiedermehr Regen im kommenden Jahr. DieWassersituation in der Türkei sei zwarbesser als in Syrien, gab Turfan zu, dochschlechter als im Irak. Die Türkei brauche450 neue Staudämme, wofür in dennächsten 30 Jahren ein jährlichesGesamtinvestitionsvolumen von 2 Milli-arden Dollar benötigt werde.

Der ungebremste Wille der türkischenBehörden, immer weiter neue Staudäm-me zu bauen, sorgt bereits jetzt für regio-nalen Konfliktstoff. Das gigantische Süd-ostanatolien-Projekt (Güneydogu Ana-dolu Projesi, GAP) hat schon heute mehrals 30 mal die natürlichen Wasserträgerdes Mittleren Ostens, Euphrat und Tigris,gestaut. Zusätzlich zu der ungewöhnlichlangen Trockenphase in den letzten 5Jahren, unter der die gesamte Region lei-det, hat die Wasserstauwut der Türkei daskostbare Nass der beiden Flüsse für diesüdlichen Anrainerstaaten, Syrien undIrak, drastisch verringert.

Mittlerer Osten

7

ASITÎ

Konfliktpotential WasserAn Euphrat und Tigris wächst die Zahl der Staudämme und Kraftwerke - zum Nachteil derAnrainerstaaten und der Umwelt

von Karin Leukefeld

Page 8: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

lienischer Geldgeber aus dem Projektzurückgezogen. Damit ist die Finanzie-rung nicht einmal mehr zu 50% gesi-chert. Dieser Erfolg ist nicht zuletzt aufdie engagierte Arbeit von verschiedenenNichtregierungsorganisationen zurük-kzuführen, die europaweit für ihre Kam-pagne "Let's Save Hasankeyf" prominen-te Abgeordnete, Schriftsteller und Künst-ler gewinnen konnten.

Die Untersuchung einer unabhängigenExpertenkommission hatte das Blattschließlich gewendet. Sie war zu demSchluss gekommen, dass der Bau desStaudamms unter ethisch-sozialen, öko-logischen und politischen Aspektennicht haltbar sei. Die deutsche Bundesre-gierung hingegen, gerade mit der groß-zügigen vom Kanzler gestatteten Kreditefür ein heftig umstrittenes Staudamm-projekt in Indien international in die Kri-tik geraten, ist noch unentschlossen, oban die Firma Sulzer die Hermes-Kreditefür die Beteiligung am Bau des Ilisu-Damms ausgezahlt werden sollen. FürApril wird eine Entscheidung erwartet.

Energie für die Türkei, den Nachbar-ländern droht Dürre...

Die Türkei weigert sich hartnäckig, dieFolgen ihrer rücksichtslosen Wasserpoli-tik mit dem GAP-Projekt für die Nachbar-länder Syrien und Irak wahrzunehmen.Syrien und Irak hingegen haben großenGesprächsbedarf und schickten daher imNovember 2001 eine Einladung zu neuenGesprächen des trilateralen Wasserkomi-tees nach Ankara. Unterzeichnet war dasSchreiben von den zuständigen Minis-tern Syriens, Abdul Rahman Al-Madani,und des Irak, Mahmoud Ziab Al-Ahmad.In dem türkisch-syrisch-irakischen Was-serkomitee werden seit 1985 Fragen dergemeinsamen Wassernutzung aus Euph-rat und Tigris besprochen.

ten, während vor knapp zwei Jahren derBirecik-Stausee nordöstlich von Urfabereits geflutet wurde. ZehntausendeMenschen haben auf diese Weise in denletzten Jahren ihre Heimat verloren. Diewenigsten von ihnen erhielten eine Ent-schädigung oder angemessene neueWohnungen. Die Menschen, fast allesBauern, verloren ihre Existenzgrundlage.Heute leben sie als Flüchtlinge in denRandgebieten der Großstädte Urfa oderAdana, wo sie sich Arbeit erhoffen. Odersie ziehen als Wanderarbeiter in denWesten der Türkei, wo sie sich als Erntear-beiter verdingen. In den landwirtschaft-lichen Großprojekten und den industriel-len Freihandelszonen bei Urfa und Gazi-antep hingegen werden als Billiglohn-kräfte viele kurdische Binnenflüchtlingeaus den türkisch-iranisch-irakischenGrenzgebieten beschäftigt.

Doch Mitte November des vergangenenJahres konnten europäische und tür-kisch-kurdische Naturschutz- und Men-schenrechtsorganisationen einen Erfolgverbuchen. Der geplante Ilisu-Staudammbei der historischen Stadt Hasankeyf,rund 80 km nördlich der syrisch-türki-schen Grenze, wird auf absehbare Zeitnicht gebaut. Das Projekt hatte in der Tür-kei und Europa für große Protestegesorgt. Ein Konsortium aus 8 internatio-nalen Bau-, Elektro- und Wasserwirt-schaftskonzernen wollte den Damm für 2Milliarden US-Dollar bauen. Zehntausen-den von Kurden drohte die Zwangsum-siedlung. 82 Dörfer und fruchtbaresAckerland in einem kulturhistorisch weit-gehend noch unerforschtem Gebietwären für immer in einem riesigen Stau-see von 300 km² Fläche verschwunden.Die ohnehin knappe Wasserdurchfluss-menge des Tigris für Syrien und den Irakhätte sich weiter verringert.

Nach der schwedischen Firma Skanskaim September 2000 hat sich jetzt auchdie britische Balfour Beatty sowie ein ita-

Für Syrien und den Irak, beide an denunteren Flussläufen gelegen, ist vor allemeine Einigung über die Nutzung desEuphratwassers wichtig.

Die südlichen Anrainerstaaten von Euph-rat und Tigris, Syrien und der Irak, erhal-ten durch die Flutung der großen Stau-seen weniger Durchlaufwasser als ver-einbart. Die letzte Vereinbarung wurdevor mehr als 15 Jahren getroffen, als sichdie Türkei verpflichtete, 500 KubikmeterWasser pro Sekunde an Syrien abzuge-ben. Syrien wiederum sollte 58% dieserWassermenge an den Irak weiterleiten.Die großen Staudammprojekte habendazu geführt, dass die vereinbarte Durch-flussmenge fast nie eingehalten wurde.Dazu kam ein langjähriger Konflikt zwi-schen der Türkei und Syrien um den Auf-enthalt der kurdischen Arbeiterpartei,PKK, und deren Vorsitzenden, AbdullahÖcalan, in Damaskus.

Nach dessen Vertreibung im Oktober1998 - zuvor hatte die PKK ihren 3. einsei-tigen Waffenstillstand verkündet undzum Schein signalisierte die Türkei überMittelsmänner Gesprächsbereitschaft -wurde zwar ein bilaterales Sicherheitsab-kommen zwischen Ankara und Damas-kus abgeschlossen, doch in der Wasser-frage tat sich nichts. Im Gegenteil. DieTürkei drosselte im Jahr 2000 mehrmalsden Wasserdurchfluss auf weniger als 75Kubikmeter pro Sekunde. Sie begründetedas mit der großen Trockenheit - unterder tatsächlich die gesamte Region undnicht nur die Türkei seit Jahren schon zuleiden hat.

Zwar habe sich das Problem mit der Was-serdurchlaufmenge inzwischen wiedergelegt, so Abdulaziz al-Masri vom syri-schen Bewässerungsministerium gegen-über der Nachrichtenagentur IPS, dochweigert die Türkei sich hartnäckig, einedem internationalen Recht entsprechen-de Verpflichtungserklärung zu unter-

ASITÎ Analyse & Kritik

8

Page 9: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

Jeder, der will, kann sehen, wie sich diearmseligen Hütten rund um Istanbul aus-breiten.Jeder, der will, kann sehen, dass in denSlums Recht, Gesetz, Schutz, Fürsorge, jaeinfachste kommunale Dienstleistungennicht vorhanden sind.Jeder, der es will, kann die Kinder sehen,die in den Strassen Istanbuls um ihrÜberleben kämpfen.Jeder, der es will, kann sehen, mit welcherBrutalität und hohem Aufwand an Ein-schüchterungspotential die Polizei kleineDemonstrationen von kurdischen Frauenbedrängt.Jeder, der es will, kann sehen, wie dieArbeit des IHD behindert wird.Für jeden, der das Ausländergesetzumsetzen muss, werden die Konfliktespürbar. Sicher gibt es außenpolitischeRahmenbedingungen, die Regierungenzu beachten haben. Das gilt ja ganzbesondern für den Natopartner Türkei.Sicher gibt es Grenzen dafür, wie vieleFlüchtlinge und Asylbewerber unsereGesellschaft integrieren kann. Und esgibt Grenzen, von uns aus die wirtschaft-liche Not in anderen Teilen der Welt zulindern. [...]Wir müssen der Türkei den Weg in die EUebnen, aber sie muss dafür zahlen, näm-lich mit der Anerkennung von Men-schenrechten, der friedlichen Lösung derKurdenfrage, der Anerkennung einer kur-dischen Identität, der wirtschaftliche Ent-wicklung Kurdistans. Manchmal gibt esHoffnung durch Erklärungen der Regie-rungen und durch die vom türkischenParlament verabschiedeten Verfassungs-änderungen. Aber es gibt auch laufendRückschläge. Deshalb muss die Arbeit fürunsere kurdischen Freunde, die mitdemokratischen Mitteln ihre Rechte ein-fordern, weitergehen.

Walter Theuerkauf,Oberkreisdirektor Kreis Aurich

An die Redaktion (gekürzt)

Die Analysen, die Dokumente und Reise-berichte [in Asiti] sind einfach wichtig fürdie Meinungsbildung und hoffentlichauch für notwendige politische Entschei-dungen. Ich selbst kann keine neuerenErkenntnisse über die Situation in derTürkei oder gar in Kurdistan beibringen,denn mein letzter Besuch dort liegt zweiJahre zurück.Vielleicht interessiert Sie aber meineSicht als Verwaltungschef eines Landkrei-ses, zu dessen Aufgaben auch die einerunteren Ausländerbehörde gehört. [...]Ich arbeite seit den 70er Jahren mitFlüchtlingen, zuerst mit Flüchtlingen ausChile, dann mit solchen aus Eritrea undaus Kurdistan. Ich war mehrmals in derTürkei und lernte viele Kurden kennen,solche, die nicht verfolgt waren, weil sieden Preis der völligen Verleugnung ihrerkulturellen und politischen Identität frei-willig oder gezwungenermaßen zahltenoder eben nicht und dafür mit Benachtei-ligungen, Bedrohungen und Gefängnisbestraft wurden.Deshalb ist die Konstruktion der inner-staatlichen Fluchtalternative so schil-lernd, weil sie unterstellt, dass der Preisder Aufgabe von bestimmten Menschen-rechten, nämlich zu seiner Herkunft, sei-ner Sprache, seiner Kultur und Traditionzu stehen, zumutbar ist. Auch dieBehauptung, Abschiebungen seien ver-tretbar, weil ja - bis auf einige unsbekannt gewordene und dann auch ein-gestandene Fälle - keine Sanktionenoder gar Folterungen an Rückkehrern zuverzeichnen seien, zeigt nicht die Wirk-lichkeit.Ich habe direkt gesehen, was Abschie-bung bedeutet. Abschieben bedeutetzumeist nicht die Rückführung in die kur-dische Heimat. Hunderte von Dörfernsind - auch von der türkischen Regierungnicht mehr geleugnet - zerstört. So führtder Weg der Abgeschobenen meist in dieSlums der westtürkischen Großstädte.

ASITÎTürkei - Europa

9

zeichnen. Schon der frühere türkischeStaatspräsident Demirel hatte Anfangder 90er Jahre erklärt, so, wie mancheStaaten über Öl als nationale Ressourceverfügten, verfüge die Türkei über dienationale Ressource Wasser. Mit demSüdostanatolien Projekt (GAP) sollen ent-lang des Euphrat insgesamt 22 Staudäm-me und 19 Wasserkraftwerke entstehen.Der Atatürk-Stausee nördlich von Urfabedeckt bereits jetzt eine Fläche von 816Quadratkilometern. Das Wasser wird vorallem in die an Syrien grenzende Harran-Ebene geleitet und dient der industriel-len Landwirtschaft. Gemüse und Obst,vor allem aber drei Baumwollernten kön-nen dort pro Jahr eingefahren werden.Syrien klagt, dass die Strömungsge-schwindigkeit des Euphrat sich durchdieses Monsterprojekt um 35% verrin-gert habe. Der Wasserbedarf aber steigt.Wie der US-amerikanische Wasserexper-te Paul Simon IPS gegenüber sagte, gibtes heute noch 3.340 Kubikmeter Wasserpro Jahr und Person in der Region.

Im Jahre 2025 hingegen werden nurnoch 667 Kubikmeter zur Verfügung ste-hen. Zusätzlich zum Kampf um die Ölres-sourcen wird der Kampf um das Wasserim Mittleren Osten an Bedeutung gewin-nen.

Die Türkei legt mit ihrer nur auf die natio-nalen Interessen bedachten Wasserpoli-tik die Lunte an ein Pulverfass.Neue Konflikte sind vorprogrammiert.

Page 10: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

dem türkischen Staatssicherheitsge-richt ein faires Verfahren genossen,rundweg zurückgewiesen. Diese dreiThemenfelder von Rechtsverletzungensind miteinander eng verbunden. Eben-so weisen sie gerade in ihrer Ver-schränktheit auf ein viertes: Die Diskri-minierung, die unter Artikel 14 der Kon-vention untersagt ist. In diesem Sinnebetonen wir, dass Herr Öcalan derBegründer und Anführer einer Bewe-gung ist, die für die volle Gewährungkultureller und politischer Rechte derKurden kämpft, eines Volkes, das alleinin der Türkei eine Minderheit von über20% der Gesamtbevölkerung darstellt.Es hat sich gezeigt, dass dieses Verfah-ren auch ihr Verfahren ist. Die Entführung Öcalans geht bekann-termaßen auf ein Komplott zurück, indessen Verlaufe Italien und mehrereweitere Mitgliedsstaaten der EU den

rechtsverfahren Abdullah Öcalans vordem Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte wichtige prinzipielle Fragenauf wie die der Legitimität von Todesstra-fe, Grundrichtlinien eines fairen Verfah-rens und der Auslieferung oder Abschie-bung von mutmaßlichen Straftätern. Allediese drei Komplexe beschäftigen euro-päische Politik und europäisches Rechtschon seit langem und ihre Beantwor-tung durch das Gericht ist auch unab-hängig von der Person Öcalans und derkurdischen Frage für die Qualität europä-ischen Menschenrechtes entscheidend. Konkret gesehen haben wir als Anwältin-nen und Anwälte Abdullah Öcalans dieLegitimität von Todesstrafe in einem Mit-gliedsland des Europarates angefochten,die Rechtsverletzungen im Zuge und inFolge seiner rechtswidrigen Entführungaus Kenia herausgestellt und drittens dieBehauptungen, Herr Öcalan habe vor

ASITÎ Türkei - Europa

10

Am 15. Februar jährt sich die EntführungAbdullah Öcalans aus Kenia. Er ist nochimmer auf Imrali im Marmarameer in Ein-zelhaft, noch immer droht ihm die Voll-streckung des Todesurteils, das der türki-sche Staatssicherheitsgerichtshof gegenihn verhängt hat. Seine Beschwerdegegen dieses Urteil vor dem Europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte inStraßburg ist noch längst nicht entschie-den. Nicht einmal die weiteren Terminesind klar.

"Das Gericht berät derzeit über die näch-sten Schritte. Möglicherweise wird es zueiner Beweisaufnahme auch durch Befra-gung des Beschwerdeführers, AbdullahÖcalan, kommen und zu weiteren Anhö-rungen in Straßburg. Einen Termin, wanndas Gericht über die nächsten Schritteentscheidet, haben wir noch nicht erhal-ten. Das gesamte Verfahren konzentriertsich auf die systematische Diskriminie-rung der Kurden, die Todesstrafe, dasFehlen fairer Verfahren in der Türkei unddie illegale Entführung des Beschwerde-führers. Hinzu kommen große Problemehinsichtlich der heimischen Rechts-mittel."Soweit Timothy Otty zum gegenwärti-gen Stand des Verfahrens vor dem Euro-päischen Gerichtshof für Menschenrech-te. Otty, Anwalt bei einer großen Londo-ner Sozietät und auch Berater des Kurdi-schen Menschenrechtsprojektes in Lon-don, gehört einem Team internationalerAnwälte an, das die Beschwerde Abdul-lah Öcalans vor dem EuropäischenGerichtshof vertritt. Juristisch gesehen wirft das Menschen-

Öcalan ProzeßAm 15. Februar jährt sich die Entführung von Abdullah Öcalan

von Aysel Tugluk

Der Gefängnishof auf Imrali

Page 11: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

ASITÎTürkei - Europa

11

Antragssteller seines Anspruches aufpolitischen Schutz beraubten und somitentscheidend zur Verletzung seinerRechte unter Artikel 5, §1 der Konventionbeitrugen. War es unmöglich gewesen,ihn auf rechtlichem Wege aus der EU andie Türkei auszuliefern, da ihm dort dieTodesstrafe drohte, so gelang seine Ent-führung nur dadurch, dass es der Türkeiauch unter Mitwirkung mehrerer europä-ischer Staaten ermöglicht wurde, ihn zufassen, nachdem er aus Europa herausge-lotst wurde. Entscheidend war hierbeineben dem Verhalten Italiens vor allemdas Verhalten Griechenlands und derUSA. Der Plan, Öcalan nach Kenia zu ver-bringen, stellte nur den Höhepunkt eineslangen Prozesses dar. Abdullah Öcalan hatte in Italien einenAntrag auf politisches Asyl gestellt, wur-de aber unter politischen Druck gesetzt,dieses Land zu verlassen. Andere Länderverhielten sich ähnlich. Herr Öcalan waralso nicht auf der Flucht vor der Justiz. Eswar nach europäischem Recht völlig legi-tim für ihn, seinen Anspruch auf Schutzvor rechtswidriger Behandlung in derTürkei geltend zu machen. Darüber hin-aus hatte er sich bereit erklärt, sich alsPKK-Vorsitzender einem internationalenTribunal zu stellen. Hätte er Zeit seinesAsylverfahrens in Italien bleiben können,so wäre ihm dort politisches Asyl zuge-sprochen worden, wie sich im Nachhin-ein herausstellte. Unter dem Verspre-chen, ihm behilflich zu sein, lotste Grie-chenland Herrn Öcalan aus Europa her-aus nach Kenia. Auch Griechenland lehn-te es ab, einen Asylantrag Herrn Öcalansan den griechischen Botschafter in Keniaüberhaupt nur zu bearbeiten und berei-tete so den Boden für seine Betäubungund Entführung durch Unbekannte, dieihn an türkische Sicherheitskräfte in Nai-robi auslieferten. Deutlich ist, dass dabeidie kenianische Regierung keine offiziel-le Rolle gespielt hat. Das Verhalten türki-scher und anderer Sicherheitsdienste aufkenianischem Boden ist somit also ein-

deutig völkerrechtswidrig. Nach keniani-schem Recht hätte Herr Öcalan Rechts-mittel gegen seine Ausweisung einlegenund Schutz unter der Genfer Flüchtlings-konvention von 1951 einklagen können.Die türkischen Vorwürfe des ´Separa-tismus´ stellen in diesem Sinne keineStraftat dar, für die eine Ausweisung ver-fügt werden kann. Öcalan hätte im Falleeines rechtmäßigen Verfahrens in Keniaentweder dort verbleiben oder in einLand seiner Wahl ausreisen können. Diese gesamte Kette von Ereignissen vonder Ausweisung Öcalans aus Syrien biszu seiner Entführung aus Kenia in die Tür-kei ist daher im Rahmen der Behandlungder eingangs erwähnten rechtlichen Fra-gen vom Gerichtshof auszuleuchten. Ins-besondere muss nach unserer Auffas-sung der Antragssteller selbst, Herr Öca-lan, die Gelegenheit bekommen, vorGericht als Hauptzeuge über diese Ereig-nisse auszusagen. Die Türkei rechtfertigt auch weiterhinalle Rechtsverletzungen mit einem Ver-weis auf die Notwendigkeit der Bekämp-fung von Terrorismus. Von unserer Seitewird hingegen betont, dass der Begriffdes Terrorismus weder auf Herrn Öcalan

noch auf seine Organisation anwendbarist, dass es sich vielmehr um ein legitimesEinfordern grundlegender Rechte undFreiheiten für die Kurden gegenüber dertürkischen Verleugnungspolitik handelt. Da die von uns aufgestellte Behauptungder Rechtswidrigkeit der Entführung aufkonkreten Fakten beruht, müssen dieseFakten durch den Europäischen Gerichts-hof einzeln geprüft und die Menschen-rechtsverletzungen, die sowohl im Ver-laufe der Entführung als auch dem deserst durch sie möglich gewordenenGerichtsverfahrens in der Türkei aufge-treten sind, sowohl einzeln als auch inihrer Gesamtheit aufgezeigt werden. Nicht zuletzt dadurch, dass das vorlie-gende Menschenrechtsverfahren eineminent politisches ist, das Millionen vonMenschen unmittelbar interessiert, wür-de es unserer Meinung nach erheblicheZweifel an der Qualität und Legitimitätder europäischen Gerichtsbarkeit selbstaufwerfen, sollten die erwähnten Rechts-widrigkeiten von einer Institution inter-nationalen Rechtes mit solch herausra-gender Autorität nicht klar als solcheerkannt werden.

Imrali: Besuchsraum für die Anwälte

Page 12: ASITÎ AÞITÎ BARIBARISS FRIEDEN · Editorial Am 15 Februar 1999 geriet der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans, Abdullah Öcalan, in einer überraschenden Aktion unter Mithilfe

ASITÎ

12

Analyse & Kritik

Fortsetzung von der ersten Seite

Alain Calles (Präsident des MRAP, Frankreich),Renée le Migmot (stellv. Generalsekretärindes MRAP, Frankreich), Mag. Walter Baier (Vor-sitzender der Kommunistischen Partei Öster-reichs), Gianna Nannini (Künstlerin, Italien),Geraldine Chaplin (Schauspielerin, Madrid,Spanien), Dietrich Kittner ( Satiriker, Schrift-steller, Kabarettist, Deutschland), Jean-Jac-ques Kirkyacharian (Repräsentant des MRAPbei der UNO, Frankreich), David MacDowall(Schriftsteller, Großbritannien), Alice Walker(Schriftstellerin, USA), Franca Rame (Autorin,Regisseurin, Schauspielerin, Italien), Chris Kut-schera (Schriftsteller, Frankreich), Prof. Dr.Jean Ziegler (Nationalrat und Publizist,Schweiz), Dr. Diether Dehm (ehm. Stellvertre-tender Vorsitzender der PDS, Deutschland),Prof. Dr. Angela Davis (University of Califor-nia, Santa Cruz, USA), Prof. Dr. Luigi Ferraioli(Professor für Rechtsphilosophie, Italien), Prof.Dr. Uwe Jens Heuer (Professor für Rechtswis-senschaften, Berlin, Deutschland), Prof. Dr.Wolf-Dieter Narr (Komitee für Grundrechteund Demokratie, Deutschland), Prof. Dr. Wer-ner Ruf (Völkerrechtler, Universität Kassel,Deutschland), Prof. Dr. Norman Paech (Völ-kerrechtler, Hochschule für Wirtschaft undPolitik Hamburg, Deutschland), Prof. Dr. Ger-hard Stuby (Völkerrechtler, Universität Bre-men, Deutschland), Prof. Dr. h.c. RonaldMönch (Rektor der Hochschule Bremen,Deutschland), Prof. Dr. Elmar Altvater (Int.Lelio-Basso-Stiftung für die Rechte der VölkerDeutschland), Prof. Dr. Helmut Dahmer (Pro-fessor für Soziologie, TU Darmstadt, Deutsch-land), Prof. Jürgen Waller (Rektor der Hoch-schule für Künste Bremen, Deutschland), Hila-rion Carpucci (Erzbischof -syrisch-orthodox-von Jerusalem), Christine Blower (ehem. Prä-sidentin der Lehrergewerkschaft (NUT), Groß-britannien), Ken Cameron (Generalsekretärder Gewerkschaft der Feuerwehr - FBU-, Groß-britannien), Josep Lluis Carod Rouira (Vorsit-zender der Republikanischen Linkspartei vonKatalonien, Spanien), Michael Feeney (Flücht-lingsberater von Kardinal Hume, Großbritan-nien), Gareth Peirce (Rechtsanwältin, Großbri-tannien), Frances Webber (Rechtsanwalt,Großbritannien), Norbert Mattes (Informa-tionsprojekt Naher und Mittlerer Osten e.V.,Deutschland), Yayla Mönch-Buçak (Univer-sität Oldenburg), Mamoud Osman (Kurdi-scher Politiker, Großbritannien), Dr. Jutta Bau-er (Buchillustratorin, Deutschland), Rolf Bek-ker ( Schauspieler, IG Medien, Deutschland),Hans Branscheidt (medico international /Appell von Hannover, Deutschland), Dr. RolfGössner (Rechtsanwalt, Publizist), GüntherSchwarberg (Journalist, Deutschland),Roland Ofteringer (InformationsprojektNaher und Mittlerer Osten e.V., Deutschland)

Im Dezember 2001 hat in der Türkei einefriedliche Kampagne von kurdischen Stu-denten und Schülern begonnen mit demZiel, ihre Muttersprache an Universitätenund Schulen als Wahlfach einzuführen.Seitdem steigt die Zahl der Anträge aufKurdisch als Unterrichtsfach an öffent-lichen Schulen täglich.Die Behörden reagieren repressiv. Antrag-steller werden verhaftet. Der Wunsch derMenschen nach Unterricht in ihrer Mutter-sprache wird von der regierenden politi-schen Kaste diffamiert, die Menschen wer-den des Separatismus, ja Terrorismus gezie-hen. Der unitäre Staat scheint in Gefahr, dasheilige Werk des großen Mustafa Kemal,der keine Kurden kannte und kennt, nichteinmal auf deren eigenem überliefertenLand, der Staat, der alle zu Türken macht.Und in der Tat, dieser Staat ist in Gefahr. Erist in Gefahr, weil er den Menschen nichtdie Freiheit läßt, ihre Sprache zu pflegenund zu entwickeln, ihre Identität in einersich rasch ändernden Welt zu definieren,und innerhalb des wenigen an eigener Kul-tur, was in einer solchen Welt noch bewahrtwerden kann, einen eigenen, unverwech-selbaren Ausdruck dafür zu finden und mit-zuteilen.Sprache ist das Mittel, mit dem wir unserVerständnis, unsere Sicht der Umwelt,unser Verhältnis zur Welt kommunizieren;aus der Unterschiedlichkeit und Variabilitätdieser Kommunikation wächst ein großerTeil unser Individualität und Identität. Diegemeinsame Sprache wiederum istgemeinschaftsbildend, sie stiftet einen Teilder Identität des Volkes. Die Weigerung der türkischen Behörden,muttersprachlichen Unterricht an Univer-sitäten und Schulen einzuführen ist dem-nach gleichbedeutend mit der Weigerung,

eine kurdische Identität anzuerkennen.Dies wiegt um so schwerer, als es sich umeine kurdische Identität in Kurdistan han-delt, einem Land, das zwar als Staat nichtexistiert, aber als sprachlicher und kulturel-ler Raum den Kurden schon lange vor demErscheinen der Türken Heimat war. An die-ser Weigerung, wenn sie denn fortgesetztwird, wenn auf berechtigtes Begehren, vor-getragen mit friedlichen legalen Mitteln,nurmehr Repression folgt, daran wird derStaat zerbrechen. Er muß die ethnischenund religiösen Identitäten seiner Bürgeranerkennen und ihnen Gelegenheit geben,diese zu bewahren und auszudrücken. Einesolche Anerkennung liegt in seinem urei-genen Interesse, wenn er seinen Fortbe-stand sichern will.Die Sorge um den Zusammenhalt des Staa-tes muß ihren Ausdruck finden in der Fra-ge, was können wir für unsere Bürger tun,damit sie in unserem Land leben wollen;was können wir tun, damit die Bürger sichals eine Gesellschaft empfinden, die sichdurch Gemeinsamkeiten definiert, damitsie den Staat als ein Gemeinwesen empfin-den, das ihnen dient und sie schützt?Wer sich frei fühlt, wem man seine Identitätläßt, wen man in seinem Glauben respek-tiert, oder auch in seinem Nicht-Glauben,der hat keinen Grund zu rebellieren.

Europa, das selbst ein multi-nationalesGebilde ist, eine Vielvölkergemeinschaftunterschiedlichster Interessen, dieses Euro-pa, in dem die Völker gelernt haben, sich inihrer Andersartigkeit und Verschiedenheitzu achten, darf bei diesem Prozeß der Iden-titätsfindung in der Türkei nicht beiseitestehen. Es muß die Kampagne der Kurdenfür Muttersprache stützen. Sie fordert einelementares Recht der Menschen.

Sprache und IdentitätAnmerkungen zur Kampagne kurdischer Studierender in der Türkei

von Klaus Happel