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Unter den wenigen Dokumenten aus dem Moskauer Exil findet sich Lukács’ Mitglieds- ausweis der Union der sowjetischen Schrift- steller der UdSSR. Er trägt die Nummer 566 und wurde am 1. Juni 1934 ausgestellt. Unter- schrieben hat der Verbandssekretär Schtscher- bakow, ein Schwager von Shdanow, dem ein- flussreichen Mitglied des ZK der KPdSU (B) und engen Mitarbeiter Stalins. Die eigentliche Gründung des Schriftsteller- verbandes fand mit der Verabschiedung des Statuts erst am 1. September 1934 statt, am letzten Tag des Ersten Allunionskongresses der sowjetischen Schriftsteller, an dem neben den 591 Delegierten auch 40 ausländische Schriftsteller, darunter André Malraux, Louis Aragon, Klaus Mann und Johannes R. Becher, teilnahmen. Merkwürdigerweise taucht der Name Lukács in den Protokollen nicht auf. Warum trat er auf dem Kongress, auf dem Shdanow und Verbandspräsident Maxim Gorki zum ersten Mal offiziell die Doktrin des «Sozialistischen Realismus» verkündeten, nicht in Erscheinung? An mangelnder Loyali- tät hat es sicher nicht gelegen, denn Lukács folgte der ästhetischen Leitlinie später gerade- zu peinlich genau. Möglicherweise hielt es der Autor der Blum-Thesen, die 1929 von der Partei scharf kritisiert wurden, angesichts der immer rigoroseren «Säuberungen» für klüger, sich nicht zu exponieren. In der Zeit des «Großen Terrors» zwischen 1936 und 1938, als täglich etwa 1000 Menschen ermordet wurden, kam er vergleichsweise unbehelligt davon. Aus der Mitschrift einer geschlossenen Parteiversammlung im September 1936 wis- sen wir, dass er in diesen Jahren eine durch- aus zwielichtige Rolle spielte. Am 29. Juni 1941, als der Höhepunkt der Säuberungen schon überschritten war, wurde Lukács dann doch noch verhaftet und in der «Lubjanka», der berüchtigten Moskauer NK- WD-Zentrale, verhört. Seine Freilassung habe er, so sagte er später in einem Interview, Ge- orgi Dimitroff zu verdanken, dem Generalse- kretär der Komintern, den er aus Wien kann- Aus dem Lukács-Archiv Moskau, 1. Juni 1934

Aus dem lukács-Archiv moskau, 1. Juni 1934Unter den wenigen Dokumenten aus dem Moskauer Exil findet sich Lukács’ Mitglieds-ausweis der Union der sowjetischen Schrift-steller der

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Page 1: Aus dem lukács-Archiv moskau, 1. Juni 1934Unter den wenigen Dokumenten aus dem Moskauer Exil findet sich Lukács’ Mitglieds-ausweis der Union der sowjetischen Schrift-steller der

Unter den wenigen Dokumenten aus dem Moskauer Exil findet sich Lukács’ Mitglieds-ausweis der Union der sowjetischen Schrift-steller der UdSSR. Er trägt die Nummer 566 und wurde am 1. Juni 1934 ausgestellt. Unter-schrieben hat der Verbandssekretär Schtscher-bakow, ein Schwager von Shdanow, dem ein-flussreichen Mitglied des ZK der KPdSU (B) und engen Mitarbeiter Stalins.

Die eigentliche Gründung des Schriftsteller-verbandes fand mit der Verabschiedung des Statuts erst am 1. September 1934 statt, am letzten Tag des Ersten Allunionskongresses der sowjetischen Schriftsteller, an dem neben den 591 Delegierten auch 40 ausländische Schriftsteller, darunter André Malraux, Louis Aragon, Klaus Mann und Johannes R. Becher, teilnahmen. Merkwürdigerweise taucht der Name Lukács in den Protokollen nicht auf. Warum trat er auf dem Kongress, auf dem Shdanow und Verbandspräsident Maxim Gorki zum ersten Mal offiziell die Doktrin des «Sozialistischen Realismus» verkündeten,

nicht in Erscheinung? An mangelnder Loyali-tät hat es sicher nicht gelegen, denn Lukács folgte der ästhetischen Leitlinie später gerade-zu peinlich genau. Möglicherweise hielt es der Autor der Blum-Thesen, die 1929 von der Partei scharf kritisiert wurden, angesichts der immer rigoroseren «Säuberungen» für klüger, sich nicht zu exponieren. In der Zeit des «Großen Terrors» zwischen 1936 und 1938,

als täglich etwa 1000 Menschen ermordet wurden, kam er vergleichsweise unbehelligt davon. Aus der Mitschrift einer geschlossenen Parteiversammlung im September 1936 wis-sen wir, dass er in diesen Jahren eine durch-aus zwielichtige Rolle spielte.

Am 29. Juni 1941, als der Höhepunkt der Säuberungen schon überschritten war, wurde Lukács dann doch noch verhaftet und in der «Lubjanka», der berüchtigten Moskauer NK-WD-Zentrale, verhört. Seine Freilassung habe er, so sagte er später in einem Interview, Ge-orgi Dimitroff zu verdanken, dem Generalse-kretär der Komintern, den er aus Wien kann-

Aus dem lukács-Archiv

moskau, 1. Juni 1934

Page 2: Aus dem lukács-Archiv moskau, 1. Juni 1934Unter den wenigen Dokumenten aus dem Moskauer Exil findet sich Lukács’ Mitglieds-ausweis der Union der sowjetischen Schrift-steller der

te.1 Der Leiter der «Spezialabteilung des NKWD» bestätigt am 26. August 1941 ord-nungsgemäß, dass Lukács «mit Einstellung der Angelegenheit aus der Haft entlassen wur-de». Um Missverständnisse auszuschließen, lautet der letzte Satz: «Die Bescheinigung dient nicht als Aufenthaltserlaubnis».

uvb

1 Georg Lukács: Gelebtes Denken, in: Werke, Bd. 18, Bielefeld 2005, S. 141.