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SCHWERPUNKT IP-Recht jurist unternehmens Magazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen Ausgabe 06/2020 November/Dezember www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 18,-- Euro Viele Firmen und ganze Branchen müssen sich für die Zukunft neu aufstellen. Rechtliche Lösungen für neue Produkte und Prozesse sind gefragt. Die Rechtsabteilung spielt als Mittler im Unternehmen eine zentrale Rolle im Changeprozess. DEN WANDEL GESTALTEN

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SCHWERPUNKT

IP-Recht

juristunternehmensMagazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen

Ausgabe 06/2020 November/Dezember www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 18,-- Euro

Viele Firmen und ganze Branchen müssen sich für die Zukunft neu aufstellen. Rechtliche Lösungen für neue Produkte und Prozesse

sind gefragt. Die Rechtsabteilung spielt als Mittler im Unternehmen eine zentrale Rolle im Changeprozess.

DEN WANDEL GESTALTEN

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INHALT unternehmensjurist

6 Ausgabe 6/2020

EDITORIAL 03

KURZ & KNAPP 08

ARBEITSSCHUTZ 20Das geänderte Infektionsschutzgesetz ebnete den Hygieneregeln wie dem Tragen des Mund-Nasen-Schutzes und dem Abstandhalten den Weg. Fachleute erklären im Interview, wie Betriebe in kritischen Bereichen die Hygienemaßnahmen umsetzen.

BLOCKCHAIN UND 26SMART CONTRACTSAuch wenn reale Blockchain-Anwendungen für das Internet der Dinge noch rar sind, ist das Potenzial groß. Syndizi müssen wirtschaftliche Chancen und recht-liche Risiken einschätzen.

STRATEGIE & MANAGEMENT

20TITELTHEMA

12

SCHWERPUNKTIP-RECHT

URHEBERRECHTSRICHTLINIE 32Die Kultur- und Kreativbranche schaut auf die Neuregelung des Urheberrechts in der digitalen Welt. Doch auch Unternehmen nutzen soziale Medien und digitale Plattfor-men und müssen sich mit den neuen Vorschriften auseinandersetzen.

VERWENDUNG VON 36DRITTMARKEN IM ONLINEMARKETINGDie Nutzung fremder Marken im Onlinemarketing ist keine neue Entwicklung. Wo die Grenzen dafür liegen, ist nicht immer leicht zu klären. Es existiert eine umfang-reiche Kasuistik.

31

CHANGEMANAGEMENT 12Die Wirtschaft verändert sich ra-sant. Alte Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand, neue in den Start löchern. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen beschleu-nigt. Rechtsabteilungen begleiten Changeprozesse und klären den rechtlichen Rahmen. Sie müssen sich aber auch selbst verändern für diese Aufgaben.

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unternehmensjurist INHALT

Ausgabe 6/2020 7

SICHERHEIT UND 42DATENSCHUTZ BEIM DIGITAL LEGAL COUNSELDie elektronische Signatur, der Schutz von Geschäftsgeheimnis-sen und der Schutz persönlicher Daten nach der DS-GVO – The-men, die von eminent wichtiger Bedeutung sind und die beim diruj-Zertifikatslehrgang Digital Legal Counsel von erfahrenen Praktikern vermittelt werden.

JOB & KARRIERE

42

SCHWERPUNKTIP-RECHT

TRENDS & THEMEN

MUSTERFESTSTELLUNGS- 38KLAGE UND EUROPÄISCHEVERBANDSKLAGEEinige Unternehmen wie VW haben bereits Erfahrungen mit der Musterfeststellungsklage gemacht. Demnächst kommt aus Brüssel die Europäische Verbandsklage. Lesen Sie, welche Unterschiede es gibt und welche Vorkehrungen Rechts-abteilungen für den Fall der Fälle treffen sollten.

38GCLC-NETZWERK 50Der General Counsel Leadership Circle (GCLC) ist ein exklusives Netzwerk, in dem Leiterinnen und Leiter von Rechtsabteilungen vom Austausch untereinander profitie-ren und das neue Impulse in den Rechtsmarkt gibt.

GCLC-UMFRAGE 52In unserer großen GCLC-Umfrage 2020/2021 befragen wir die Netzwerk-Mitglieder zu ihren Top-Themen, zu den Herausforde-rungen durch Corona und zu ihren Erwartungen an den GCLC.

DIRUJ.VIRTUAL.EVENTS 64Beim digital.unternehmensjuristen ZUKUNFTSKONGRESS 2020, dem Arbeitsrecht Summit und dem Lehrgang Forensische Inter-viewtechnik standen die digitale Zukunft und die Fortbildung im Zentrum.

PERSONENREGISTER 70

IMPRESSUM 70

NETZWERK

49

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TITELTHEMA unternehmensjurist

12 Ausgabe 6/2020

Die Wirtschaft steht derzeit vor massiven Umbrüchen. Seien es Digitalisierung, Energiewende oder E-Mobilität. Alte Geschäftsmodelle stehen auf dem Prüf-stand, neue Geschäftsmodelle in den Startlöchern. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklungen beschleunigt. In der Mitte des Sturms: Die Rechtsabteilung. Sie begleitet Changeprozesse, klärt den rechtlichen Rahmen – muss sich aber auch selbst verändern, um im Unternehmen mithalten zu können.

„WIR WERDEN NICHT MEHR IN DIE ALTE WELT ZURÜCKKEHREN.“

CHANGEMANAGEMENT

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unternehmensjurist TITELTHEMA

Ausgabe 6/2020 13

schon jetzt setzt bei vielen Menschen eine Pandemiemüdigkeit ein. Die Sehnsucht, die alten Zustände wieder herzustellen, wird größer. Das Momentum für Veränderung ebbt ab. Und schon bald werden wieder die alten Reflexe angesprochen, wenn in Unternehmen vom Wandel gesprochen wird. Tatsächlich erlebten Mitarbeiter schon vor Corona immer wieder, wie der "Wind of Change" durch die Flure und Bü-roräume weht. Mal in die eine Richtung, mal in die andere. Es wird dadurch für sie immer schwieriger, Notwendigkeiten von Moden zu unterscheiden. Was folgt ist Resignation. Axel Koch, Professor für Training und Coaching an der Hochschule für angewandtes Management in Ismaning, beschreibt in seinem Bestseller „Change mich am Arsch“, wie belastend es Mitarbeiter empfinden, sich immer wieder auf einen neuen Rahmen einstellen zu müssen. Und wie frustriert sie durch zu viel oder durch falschen Wandel werden können. Viele Rechtsabteilungen sind inzwischen hoch innovativ in ihren Ansätzen, um genau diese Frustration und Resignation zu verhindern. Sie experimentieren mit neuen Arbeits- und Kom-munikationskonzepten, um Schritt zu halten mit der Verän-derung im Unternehmen und gleichzeitig die Mitarbeiter bei der Veränderung mitzunehmen. In der Automobilindustrie ist der Wandel besonders extrem. E-Mobilität und Digitalisierung stellen neue Fragen, Unter-nehmen müssen Strukturen und Prozesse aufbauen, um die Herausforderungen zu bewältigen. Das gilt auch für den Volkswagenkonzern. Dieser bündelt derzeit Beteiligungen und Spezialisten für Software im Fahrzeug in einer Car-Software-Organisation. Rund 3.000 Menschen sollen in einem ersten Schritt zusammenarbeiten. Bis 2025 sollen es mehr als 10.000 sein. Dan-Alexander Levien ist Leiter Rechtsservice bei der Audi AG. Er betreut mit seinem Team die Audi Electronics Venture GmbH, die in der neuen Volkswagen Car-Software-Organisation mittelfristig aufgehen wird. Changemanagement im Unternehmen habe für die Rechtsabteilung verschiedene

„WIR WERDEN NICHT MEHR IN DIE ALTE WELT ZURÜCKKEHREN.“

Ω Manchmal kommt der Wandel über Nacht. „Anfang März sind wir im wahrsten Sinne des Wortes von einem Tag auf den anderen als kompletter Bereich in das Homeoffice gegangen“, sagt Dr. Bernd-Michael Zinow, General Counsel beim En-ergieversorger EnBW Energie Baden-Württemberg AG. „In den letzten sechs Monaten war ich keine zehnmal im Büro.“ Selbst Aufsichtsratssitzungen würden virtuell abgehalten. „Und es klappt.“ Schon vor Corona hatte der General Counsel agile Arbeitsweisen in seinem Team eingeführt. „Agilität heißt, dass mehr Selbstständigkeit herrscht, dass man mehr Verantwortung übernehmen kann, was auf dem herkömm-lichen hierarchischen Weg nicht möglich wäre“, stellt Dr. Zinow fest. Ein Kanban-Board wurde erarbeitet, auf dem Arbeitsschritte visualisiert und Themen Personen zugeordnet wurden. Anhand von Post-Its, die immer weiter gehangen wurden, konnte man den jeweiligen Entwicklungsstand sehen. Die bereits eingeführten Methoden seien hilfreich gewesen, die neue Situation in der Pandemie zu meistern. „Wir haben unsere Kanban-Board-Meetings sofort auf Video-konferenzen umgestellt. Die gelben Zettel sind out und durch eine elektronische Lösung mit Microsoft Teams umgestellt.“Dr. Zinow zitiert seinen CEO: „Der Geist ist aus der Flasche – wir werden nicht mehr in die alte Welt zurückkehren.“ Für den Rechtsbereich hat man eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge für diese neue Welt macht. Dazu gehören ein Mix von Präsenz- und Heimarbeit, mehr digitale Arbeitsmit-tel statt Präsenzbibliotheken, aber auch Regeln zum Schutz der Mitarbeiter, die sich zu viel zumuten. „In der ganzen Corona-Zeit musste ich keinen Mitarbeiter kritisieren, dass er zu wenig arbeitet, aber mehrere Gespräche führen, weil jemand zu viel arbeitet.“

PANDEMIE VERSCHÄRFT DEN WANDEL

Die Welt befindet sich im Umbruch. Das war schon vor Corona so und wurde durch die Pandemie verschärft. Digitalisierung, Klimawandel, die Alterung der Gesellschaft – das sind nur drei der Megathemen, zu denen Unternehmen sich neu po-sitionieren müssen. Und nun noch das Virus, das seit einem halben Jahr die Welt in Atem hält. Ganze Branchen müssen überlegen, wie sie sich für die Zukunft neu aufstellen sollen. Mitten drin ist die Rechtsabteilung, die rechtliche Lösungen finden muss für die neuen Produkte und Prozesse. Sie ist Teil des Wandels und muss ihren Beitrag zum Erfolg leisten. Und Wege finden, dass der Prozess nicht durch entnervte Mitarbeiter ins Stocken gerät. Corona hat viele Änderungen in Unternehmen leichter ge-macht. Millionen Arbeitnehmer haben sich von heute auf morgen im Homeoffice wiedergefunden. Das galt noch An-fang des Jahres als undenkbar. Die neuen Arbeitsformen sind als alternativlos akzeptiert worden und haben sich – auch bei vielen Problemen, die weiterhin auftauchen – bewährt. Doch

„Vorhersehbarkeit schafft Vertrauen und

hilft, Spekulationen einzudämmen. Nur wer

informiert ist, fühlt sich mitgenommen.“

– Nora Klug, Group General Counsel, BSH Hausgeräte GmbH

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TITELTHEMA unternehmensjurist

14 Ausgabe 6/2020

Implikationen, sagt Levien. „Bei der Entscheidung, wie Pro-zesse neu gestaltet werden, spielen sehr häufig rechtliche Gesichtspunkte eine große Rolle. Das können so komplexe Fragen, wie die Auslagerung eines Geschäftsteils sein, oder andere Dinge, wie die Digitalisierung von Prozessen, wie zum Beispiel die Einführung elektronischer Signaturen.“ Als Führungskraft in einem innovativen Umfeld sei er eigentlich ständig mit Change beschäftigt. „Eine meiner Kernaufgaben ist es, Strukturen und Prozesse mitzugestalten.“ Levien ist Mitglied des oberen Audi-Managements und in verschiedenen Führungskreisen aktiv. „Wenn ich wirksam sein will, brauche ich die Nähe zu den Entscheidern. Man muss das Ohr auf dem Gleis haben, wenn man es so sagen will.“ Das gilt auch für Management-Themen. Wenn etwa im Management der Einsatz von agilem Arbeiten diskutiert wird, bringt Levien sich ein. Er müsse die Strömungen aufnehmen und Lösungen anbieten. Eine große Herausforderung stellt für ihn und sein Team die neue Car-Software-Organisation dar. Es werde etwas Neues geformt. Nun müssten die Menschen dafür gewonnen werden. „Gleichzeitig müssen wir den laufenden Betrieb aufrechterhalten und Impulse geben, für das, was neu geschaffen werden soll“, sagt Levien. Die Mitarbeiter mitzunehmen ist aus seiner Erfahrung heraus die größte Herausforderung. Dabei ist für ihn die Vorbildfunk-tion im Changeprozess als Führungskraft extrem wichtig. Er glaubt nicht, dass es reiche, Konzepte einfach an die Wand zu hängen und dann werde es schon laufen. „Solche Konzepte werden letztlich nicht oder nur schleppend umgesetzt“, sagt Levien. „Das muss über die Führungskraft geschehen, die Leu-te adaptieren sich, sie orientieren sich an der Führungskraft.“Für ihn habe sich eine Drittel-Regel als recht verlässlich erwie-sen: Ein Drittel der Mitarbeiter findet Änderungen spannend und freut sich auf etwas Neues. Ein Drittel hat vielleicht noch Bedenken und für sich beschlossen, sich das alles mal anzu-schauen. „Das letzte Drittel findet grundsätzlich alles Neue

zunächst schlecht und geht in den Widerstand“, meint Levien. Er konzentriere sich auf die ersten beiden Drittel. Für die Mitarbeiter, die sich noch im Widerstand befänden, brauche es Geduld und Bereitschaft zur Diskussion – und als letztes Mittel direktives Vorgehen. Für Levien darf es im Team keine Diva geben. „Individualisten ja, aber keine Diven.“

CHANGEPROJEKTE VERLANGEN MITARBEITERN VIEL AB

Jeder Mitarbeiter reagiert unterschiedlich auf den Wandel. Allen Mitarbeitern jedoch ist gemein, dass ihnen Change-Projekte sehr viel abverlangen. Das ist auch eines der Ergeb-nisse einer Umfrage des Beratungsunternehmens Mutaree. In der Umfrage wurden Führungskräfte und Mitarbeiter aus verschiedenen Branchen nach ihren Erfahrungen mit Change-projekten befragt. Mehr als drei Viertel gaben an, dass sie trotz der enormen zusätzlichen Belastung durch Changeprojekte keine Entlastung im Tagesgeschäft bekämen. 86 Prozent stell-ten eine hohe Arbeitsverdichtung fest. 76 Prozent sagten, dass sie unter Zeitdruck arbeiten und 75 Prozent empfanden das Ausmaß der Überstunden als belastend. Darüber hinaus klagt jeder zweite Mitarbeiter über Unsicherheit und fehlende Orientierung. In einer weiteren Mutaree-Umfrage zum Thema Change waren 86 Prozent der Befragten der Meinung, dass ein nachvollziehbarer Nutzen des Changeprojekts die wich-tigste Voraussetzung sei, um einen Changeprozess motiviert, engagiert und mit Freude zu unterstützen. Für 60 Prozent der Umfrageteilnehmer spielte es eine große Rolle, dass sie die Möglichkeit bekommen, Neues zu gestalten. 57 Prozent erachteten die Nachhaltigkeit des Changeprojekts als wichtige Voraussetzung. Als ebenfalls wichtig wurden eine klare Vision und ein gutes Team eingeschätzt. Wie die Automobilindustrie befindet sich auch die Energie-branche in einem massiven Wandel. Changethemen hätten

„Mein Mittel der Wahl ist vor

allem Partizipation.“

– Ralf Reuther, Leiter Recht und Lizenzen,

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG

„Eine meiner Kernaufgaben ist es,

Strukturen und Prozesse mitzugestalten.“

– Dan-Alexander Levien, Leiter Rechtsservice, AUDI AG

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unternehmensjurist TITELTHEMA

Ausgabe 6/2020 15

BEWEGLICH BLEIBEN

Der Umbau der Arbeitswelt in Unternehmen findet derzeit sehr häufig

nach dem Prinzip der Agilität statt. Dieses Prinzip wurde schon in den

1950er Jahren von dem US-Soziologen Talcott Parsons entwickelt.

Die Agilität soll die Antwort sein, um sich in einer ständig wandelnden

Umwelt als Unternehmen erfolgreich anpassen zu können. Sie besteht

aus vier Fähigkeiten:

• Adaption (Anpassung): sich auf veränderte Bedingungen einstellen

• Goal Attainment (Zielverfolgung): Ziele definieren und verfolgen

• Integration (Eingliederung): Elemente eines Systems verknüpfen

und den Zusammenhalt sichern

• Latency (Aufrechterhaltung): grundlegende Strukturen und Wert-

muster aufrechterhalten

Zu den wichtigsten Ausdrucksformen im Unternehmen zählen

unter anderem:

• Scrum: Arbeitsschritte werden in kurze Phasen unterteilt. Ein Scrum

Master behält die Aufsicht über die Einhaltung von bestimmten Regeln,

ein Product Owner behält die Wünsche des Auftraggebers im Blick.

• Design Thinking: Hier geht es um die schnelle Erarbeitung von

Lösungen auf der Grundlage von Beobachtung. Durch die Arbeit an

Prototypen und Tests mit Kunden wird das Ergebnis immer besser.

• Kanban: Eine Methode zur Visualisierung von Aufgaben, Zustän-

digkeiten und Arbeitsschritten. In der Regel wird hierfür ein Board

verwendet, das mit Haftnotizen befüllt wird.

auch ohne Corona schon immer sein Unternehmen begleitet, sagt EnBW-General Counsel Dr. Bernd-Michael Zinow. „Das beginnt bei der Wettbewerbsöffnung, geht über Fukushima und den Ausstieg aus der Atomkraft bis hin zur Energiewende.“ Es gebe immer wieder Gründe für den Wandel. Wichtig sei es, so Dr. Zinow, sich über das Ziel im Klaren zu sein, denn Change sei kein Selbstzweck. Zu den wichtigsten Change-projekten gehören derzeit bei EnBW die Internationalisierung des Geschäfts – der lange Zeit national ausgerichtete Konzern hat inzwischen Tochterunternehmen in Taipeh und den USA – und die Einführung der agilen Arbeit. Die Mitarbeiter der Rechtsabteilung werden in unterschiedliche Projekte im Un-ternehmen entsandt. Hier müssen sie in Teams mit Kollegen aus anderen Abteilungen arbeiten – etwa, wenn es darum geht, eine Gesellschaft zu übernehmen oder wenn ein IT-Projekt ansteht. In der IT sei es fast selbstverständlich, dass agil gear-beitet werde, sagt Dr. Zinow, in anderen Bereichen eher nicht. „Unsere Leute müssen in beiden Welten zuhause sein.“ Etwa 50 Juristen arbeiten im Rechtsbereich der EnBW. Sie alle ste-hen Veränderungen unterschiedlich offen gegenüber. Manche seien zum Beispiel nicht glücklich damit, wenn sie selbst in letzter Instanz entscheiden müssten. Es wirke vielleicht etwas einschüchternd für sie. „Ich muss mich differenziert um diese Menschen kümmern, sie mitnehmen, dass sie für sich den Vorteil sehen.“ Zum agilen Arbeiten gehöre, dass man sich immer wieder überprüfe und Entscheidungen gegebenenfalls nachjustiert. Mit der Internationalisierung wiederum hängen viele verschiedene Themen zusammen: Vom Personal, über die Steuerung der Prozesse, welche Anwälte den Konzern vertreten und ob die Konzernrichtlinien noch passten. Für Dr. Zinow bedeutet die Internationalisierung gleichzeitig, dass der Konzern mehrsprachiger und der Horizont größer werde. Ein solcher Wandel mache Spaß und sei keineswegs mühselig. „Mühselig ist Change wenn man Kosten sparen oder Personal abgebaut werden muss“, sagt Dr. Zinow.Dort, wo es möglich ist, sollen die Mitarbeiter von EnBW noch bis Weihnachten zuhause bleiben. Dr. Zinow merkt inzwischen, dass das persönliche Gespräch Auge in Auge, das zufällige Treffen und der Austausch fehlen. „Wir versuchen, das durch andere Mittel zu ersetzen und Foren des sozialen Kontakts zu schaffen.“ Etwa durch Verabredungen zum vir-tuellen Kaffeetrinken. „Das Berufliche halten wir da raus. Das dient allein der Kontaktebene. So, als würde man sich sonst am Kaffeeautomaten treffen.“ Auch in den Führungsrunden gehe es oft zu Beginn um private Themen, etwa den Urlaub. „Die virtuellen Treffen sind natürlich kein hundertprozentiger Ersatz. Wir haben uns im Führungsteam auch schon mal bei mir zuhause getroffen. Wir haben dafür die Abstände abge-messen. Und dann Pizza bestellt.“ Und auch anspruchsvolle Personalgespräche könne man nur persönlich führen. „Ich habe dann mehr Antennen, über die ich Botschaften aufneh-men kann und sehe auch mehr. Das geht nicht telefonisch und auch nicht über das Internet.“

Dass sich die Rahmenbedingungen für viele Unternehmen geändert haben, hat nicht nur mit Corona zu tun, sondern auch mit einem geänderten Konsumverhalten und mit Erwartungen der Kunden. Das Unternehmen GS1 Germany hat zusammen mit der Unternehmensberatung PWC und dem Rheingold Institut für Marktforschung einen Blick in die Zukunft gewagt. Die Zukunftsstudie „2025: Smart Value Networks“ geht davon aus, dass der Kunde anspruchsvoller wird. Er erwarte immer alles sofort und bequem, fasst sie zusammen. Gleichzeitig betreibt er mit seinem Konsum auch Sinnsuche: Engagement ist ihm wichtig sowie die Weiterentwicklung der Gesellschaft. Aber er schaut auch immer noch auf den Preis. Es wird nicht einfach sein, diese Bedürfnisse immer unter einen Hut zu bringen. Klar ist allerdings, dass in Zukunft der Kunde noch stärker als bisher im Zentrum aller Erwägungen stehen wird.

Ω Fortsetzung auf Seite 17

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TITELTHEMA unternehmensjurist

16 Ausgabe 6/2020

Frau Prof. Bruch, wie viel „Change“ vertragen eigentlich Unternehmen?Das lässt sich schwer messen. Vor allem geht es nicht um die Menge des Change, sondern darum, wie er gemacht wird. Change wird sehr häufig unterschätzt. Besonders schwer tun sich Unternehmen, die lange sehr erfolgreich waren. Wird der Wandel schlecht oder falsch umgesetzt, scheitert der Change, unter anderem kommt es häufig zu einer Überhitzung im Unternehmen. Wir nennen das die Beschleunigungsfalle. Was heißt das? Die Beschleunigungsfalle ist eine kollektive Überforderung und hat drei Dimensionen: Große Teile der Mitarbeiter neh-men wahr, dass zu viel gearbeitet wird, zu viele unterschied-liche Dinge gleichzeitig bearbeitet werden oder man chro-nisch am Limit arbeitet. Wir messen diese Dimensionen in Unternehmen. Dabei geht es nicht um das Empfinden des Einzelnen. Wir haben es dann mit dem Empfinden von großen Teilen der Mitarbeiterschaft zu tun.Was bedeutet das für das Unternehmen?Folgen der Beschleunigungsfalle sind zunächst Stress und Gereiztheit bei den Mitarbeitern, weniger Kreativität, irgend-wann lässt auch die Qualität nach, Mängel und Beschwerden von Kunden werden häufiger. Dann gibt es auch weniger Innovationen und die Arbeit über die Abteilungen hinweg wird schwieriger. Jeder ist nur noch auf seinen Bereich fokussiert. Eher zukunftsgerichtete Dinge im Unterneh-men kommen zum Erliegen. Später kommen dann auch noch höhere Krankenstände in der Belegschaft und Kün-digungen hinzu.Kann man Change lernen?Changefähigkeit von Unternehmen ist ein Kulturmerkmal. Es geht um Offenheit, Agilität und Veränderungskompetenz. Diese Fähigkeiten können und müssen in Unternehmen gezielt entwickelt werden. In einer Unternehmung, die Change in ihrer DNA hat, werden Veränderungen selbst von Mitarbeitern initiiert und stark selbstgesteuert vorangetrieben. Diese Unter-nehmen haben eine ausgesprochen hohe produktive Energie. Auch das messen wir regelmäßig bei Unternehmen.Innerhalb von Konzernen gilt oft die IT-Abteilung als am offensten für Veränderung. Hier haben sich häufig auch

schon moderne Arbeitsformen wie das agile Arbeiten etabliert. Was lässt sich von der IT auf andere Bereiche übertragen?Die IT hat häufig mit sehr komplexen und innovativen Pro-jekten zu tun. Bei vergleichbaren innovativen Aufgaben kann man sich sehr gut an den Methoden orientieren. Bei anderen Aufgaben muss man hingegen andere Verfahren oder Formen der Zusammenarbeit nutzen. Wichtig ist es, dabei zu erkennen: Bewege ich mich in einem innovativen Umfeld oder in einem, in dem Effizienz gefragt und andere Prozesse wichtig sind? Wir haben zum Beispiel ein Projekt mit Porsche Motorsport gemacht. Da war ganz klar: An der Rennstrecke geht es um effiziente Umsetzung. Da weiß jeder, was er zu tun hat. Jeder Handgriff ist genau definiert. In der Entwicklung hingegen kommen andere Dinge zum Tragen: Da muss man etwas ausprobieren, muss man partnerschaft-lich arbeiten. Und diese Unterscheidung der Methoden und Arbeitsweise ist zentral.Welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, damit Changeprojekte erfolgreich sind?Die übergeordnete Sinnausrichtung muss klar sein. Füh-rungskräfte müssen Sinn vermitteln. Wichtig ist auch die Konzentration auf die positive Energie.Welche positive Energie?Dort, wo mit viel Engagement gearbeitet wird, wird auch gut gearbeitet. Dem gegenüber steht die negative Energie, die Resignation oder auch der innere Rückzug. Wenn etwa die Ziele unklar sind oder zu hoch gesteckt wurden. Besonders schlimm ist jedoch die korrosive Energie. Warum?Wir haben bei der korrosiven Energie eine sehr hohe Aktivität, die aber eher destruktiv ausgerichtet ist und sich in Wider-stand, Zynismus oder Mobbing ausdrückt. Diese korrosive Energie ist in Changeprozessen wahrscheinlicher und es gilt, sie möglichst früh zu adressieren und gezielt zu reduzieren. Sonst ist der Changeerfolg gefährdet. Sie ist unproduktiv und führt zu Schäden bezogen auf Leistung, aber auch bezogen auf menschliche Aspekte und die Kultur. Wie kann man darauf reagieren?Korrosive Personen müssen in ihrer Arbeit gegen die Sache gestoppt werden, denn diese negative Energie steckt an. Das sieht man sehr schön bei Fußballspielen. Die Fans können dort

„Führungskräfte müssen Sinn vermitteln.“

Changeprojekte können scheitern, wenn sie schlecht geplant und umgesetzt sind. Mitarbeiter sind dann überfordert und reagieren mit Abwehrhaltung. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Heike Bruch, Professorin für Leadership und Leiterin des Instituts für Führung und Personalma-nagement der Universität St. Gallen über die Grenzen von Changeprojekten – und was diese mit Motorsport und Fußball zu tun haben.

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unternehmensjurist TITELTHEMA

Ausgabe 6/2020 17

DAS TAL DER TRÄNEN DURCHSCHREITEN

Der Blick auf den Kunden hat sich auch in der Verlagsbran-che verändert. Lange sei die Verlagswelt in ihrer traditionellen Prägung der letzten Jahrzehnte darauf fokussiert gewesen, den Buchhandel als „den Kunden“ zu sehen, erzählt Ralf Reuther, Leiter Recht und Lizenzen bei der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG. „Dementsprechend sind die Struk-turen auch so eingestellt, dass wir zwar die Bedürfnisse un-serer Handelspartner gut kennen, allerdings viel zu wenig von unseren Endkunden wissen.“ Das passe aber nicht mehr zu den Anforderungen des Medienkonsums im Jahr 2021. „Wir müssen daher viel näher an den Endkunden heranrücken und lernen, von dessen Bedürfnissen her zu denken. Dazu wollen und müssen wir uns als Unternehmen fit machen.“ Sowohl seine Abteilung als auch das Unternehmen befänden sich ge-rade in stetigen Veränderungsprozessen. Aus dieser neuen Blickrichtung hin zum Kunden und zu dessen Bedürfnissen ging ein größeres Projekt hervor, das die Rechtsabteilung be-gleitet hat. „Konkret ging es darum, die Prozesse rund um die Verhandlung und Unterzeichnung von Autorenverträgen so aufzustellen, dass wir deutlich effizienter sind, schneller han-deln können und die Mitarbeiter, die bisher damit beschäftigt sind, auch zufriedener sind.“ Ralf Reuther hatte die Leitung dieses Projektes übernommen, am Ende sei es allerdings eine Gemeinschaftsleistung gewesen. „Wir haben hier zunächst die Stakeholder, die mit dem Thema beschäftigt sind, identifiziert und in moderierten Gesprächen den Bedarf und Wünsche zu-sammengetragen“, sagt Reuther. Nicht alle Wünsche hätten um-gesetzt werden können. „Es fiel den Mitarbeitern, denen nicht entsprochen werden konnte, allerdings deutlich leichter, das zu akzeptieren, da sie Teil der Entwicklung der Lösung waren.“Gibt es seiner Meinung nach einen Punkt, an dem Mitarbei-

ter von zu viel Change überfordert sind? „Den gibt es nach meiner Wahrnehmung regelmäßig“, sagt Reuther. Sicherlich nicht bei allen Mitarbeitern, zum Glück gebe es auch Early Adopter. Diese Projektphase werde auch gerne als Tal der Tränen bezeichnet. „Ich meine, dass Überforderung bei Ver-änderungen nie ganz verhindert werden kann. Mitarbeiter und Kollegen gehen einfach oft unterschiedlich mit Verände-rungen um.“ Es gelte, die Projektstruktur und vor allem auch die Kommunikation zu finden, die dieses Gefühl so gut wie möglich reduziert. „Mein Mittel der Wahl ist hier vor allem Partizipation“, sagt Reuther. „In unserem Unternehmen mit knapp 150 Mitarbeitern lässt sich das noch relativ gut um-setzen.“ Kleine Erfolge für die Mitarbeiter zu schaffen und entsprechend herauszuarbeiten, könne ein guter Weg sein, um schnell durch das Tal der Tränen zu kommen und den Blick auf den Mehrwert zu bringen.Es ist leichter, Mitarbeiter für ein Projekt zu gewinnen, wenn sie selbst erkennen, wohin die Reise gehen soll. Doch ganz oft ist selbst den Unternehmen gar nicht so klar, was mit Schlagworten wie etwa „Digitaler Transformation“ gemeint ist. Noch schwieriger ist es, einen Wandel der Strategie ohne einen Wandel in der Unternehmenskultur zu bewerkstelli-gen. Oder wie es der Managementvordenker Peter F. Drucker ausdrückte: „Culture eats Strategy for Breakfast.“ Nur wenn Strategie und Kultur Hand in Hand gehen, ist der Prozess des Wandels erfolgreich. Nicht ohne Grund gehen in vielen Unternehmen strukturelle Veränderungen einher mit einer Veränderung der Art, wie zusammengearbeitet wird. Der Bereich Recht und Compliance der BSH Hausgeräte GmbH hat in den vergangenen Jahren immer wieder große Changeprojekte umgesetzt. Federführend war Group General Counsel Nora Klug. Insgesamt gehören zum Bereich weltweit circa 120 Mitarbeiter, davon etwa 60 Mitarbeiter am Standort

eine unglaublich positive Energie entwickeln. Wir sehen aber auch immer wieder das Gegenteil, ein destruktives Engage-ment. Diese Brandherde im Unternehmen gilt es zu stoppen.Gibt es Regeln für die zeitliche Umsetzung von Change- Projekten?Ein schneller Wandel ist immer besser, als ein Wandel, der nicht enden will und dadurch alle zermürbt. Schnelligkeit bedeutet für Mitarbeitende vor allem: Es geht voran. Und das ist wiederum motivierend. Man sollte also Etappenziele set-zen und die Erfolge sichtbar machen. Der Fortschritt ist eine Energiequelle. Die Mitarbeiter merken, wir kommen voran, das macht Spaß. Bei der Auswahl des richtigen Changefokus sollte man sich hingegen Zeit nehmen und genau definieren,

was erreicht werden soll, warum es erreicht werden soll und was die Schritte bis dahin sind. Zu Beginn, wenn es um das „Warum“ des Change geht, sollte man daher auf keinen Fall Zeit sparen, hetzen oder oberflächlich vorgehen.Wie wichtig sind Ruhephasen bei Changeprojekten?Wir empfehlen innerhalb des Changeprojekts mit Meilen-steinen zu arbeiten und bestimmte Stopps einzulegen, wenn bestimmte Meilensteine erreicht wurden. Wir nennen diese Pitstops. Das schafft die Luft zum Durchatmen und Krafttan-ken – bis es dann wieder weitergeht. Das Motto ist hierbei „Slow down to speed up“. Durch die Momente der Regene-ration haben die Beteiligten mehr Energie und erreichen wie im Hochleistungssport höhere Leistung.

Das Interview führte Henning Zander.

Ω Fortsetzung von Seite 15

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18 Ausgabe 6/2020

in München. 2013 hat die General Counsel aus den Rechts-abteilungen in den verschiedenen Tochtergesellschaften ein globales Team geformt mit einer weltweiten funktionalen Management-struktur. 2014 stand die Zusammenführung der Bereiche Recht und Compliance an, die zuvor getrennt waren. 2016 hat Nora Klug Prinzipien des Lean Manage-ments eingeführt. Vor einem Jahr wurde ein modernes Bü-rokonzept umgesetzt. „Für Unternehmensjuristen gilt, was für alle Mitarbeiter gilt. Die meisten Industrien stehen vor enormen Transformationsanstrengungen“, sagt Nora Klug. Das müssten alle Mitarbeiter unterstützen. Dabei seien zwei Fragen zu klären: Wie groß ist die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter? Und was kann das Unternehmen tun, um die Mitarbeiter in Veränderungsprozessen zu unterstützen? Die General Counsel unterscheidet ausdrücklich Verände-rungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft. „Ich bin der Überzeugung, dass alle Mitarbeiter fähig sind, sich zu ver-ändern.“ Unternehmensjuristen hätten den Vorteil, dass zu ihren Aufgaben immer schon die Vermittlung von Verände-rungsprozessen gehörte. „Allgemein wird Juristen ja immer eine Risikoaversion nachgesagt“, sagt Klug. „Ich habe da eine andere Sicht. Die Unternehmensjuristen sind vielmehr für solche Prozesse prädestiniert.“ Auf Veränderungsbereitschaft treffe man nur, wenn man bestimmte Spielregeln einhalte. „Ich muss die Mitarbeiter informiert halten – und das betrifft nicht nur das Was und Wie, sondern vor allem das Warum von Veränderung.“Dann müsse die Information der Mitarbeiter rechtzeitig erfolgen, nicht immer „Last Minute“: Was passiert wann? „Vorhersehbarkeit schafft Vertrauen und hilft, Spekulationen einzudämmen. Nur wer informiert ist, fühlt sich mitgenom-men“, sagt Nora Klug. „Wer macht schon gern den Sprung ins Ungewisse, ohne eine Idee davon zu haben, was ihn oder sie danach erwartet? Es ist deshalb sehr wichtig, Transparenz zu schaffen über das, was bekannt ist, aber gegebenenfalls auch einzuräumen, dass noch nicht alles beantwortet werden

kann.“ Und zuletzt brauche es Entschlossenheit. Es müsse klar sein, dass die Veränderung komme und dass es dabei keine Hintertüren gebe. „Wo aber Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb der vorgegebenen Leitplanken bestehen, sollten diese so weit wie möglich eingeräumt werden, sodass die Mitarbeiter sich mit der Veränderung identifizieren und sagen: Das ist auch unser Konzept.“ Aus Sicht von Nora Klug ist der Umgang mit Ängsten sehr wichtig. Diesen Ängsten müsse man Raum geben und sich mit Bedenken auseinandersetzen. „Der psychologische Effekt von Verlust wird doppelt so stark empfunden wie die Freude am Gewinn“, sagt die General Counsel. „Das bedeutet, bevor wir Chancen oder positive Sei-ten einer Veränderung schätzen können, müssen wir den mit ihr verbundenen Verlust adressieren. Deshalb kann ich die Vorteile einer Veränderung so oft wiederholen wie ich will, es wird keine Wirkung haben, wenn ich nicht zuvor der ernst-haften Auseinandersetzung mit den Ängsten Raum gegeben habe.“ Ihr Tipp: Zuhören und nicht von sich selbst auf andere schließen. „Man muss respektieren und wertschätzen, dass die Menschen unterschiedlich sind.“ π Henning Zander

„In der ganzen Corona-Zeit musste ich keinen Mitarbeiter

kritisieren, dass er zu wenig arbeitet, aber mehrere Gespräche

führen, weil jemand zu viel arbeitet.“

– Dr. Bernd-Michael Zinow, General Counsel, EnBW Energie Baden-Württemberg AG

× Schlecht gemachtes Changemanagement kann Mitarbeiter

und damit das ganze Unternehmen überfordern.

× Eine Grundvoraussetzung ist, dass die Ziele des Changepro-

jekts klar sind und den Mitarbeitern deutlich vermittelt werden.

× Gleichzeitig gilt es, die Ängste der Mitarbeiter aufzuneh-

men und Einwände so gut wie möglich zu bearbeiten und

auszuräumen.

× Jeder Mitarbeiter hat andere Bedenken und muss deshalb

individuell abgeholt werden.

× Die Rechtsabteilung ist als Mittler innerhalb des Unterneh-

mens für eine zentrale Rolle im Changeprozess prädestiniert.

× Nicht alle Arbeitsbereiche sind gleich gut für dieses neue

Arbeiten geschaffen. So gelten für das operative Geschäft an-

dere Regeln, als in der Entwicklung neuer Ideen und Abläufe.

Auf der einen Seite geht es um effiziente Umsetzung, auf der

anderen Seite um Kreativität und intelligente Lösungen.

„Man muss respektieren und wertschätzen,

dass die Menschen unterschiedlich sind.“

– Nora Klug, Group General Counsel,

BSH Hausgeräte GmbH

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STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

BLOCKCHAIN UND SMART CONTRACTS

Noch sind reale Blockchain-Anwendungen für das Internet der Dinge rar, doch das Potenzial ist groß und Pläne der Europäischen Zentralbank für einen digitalen Euro können einen neuen Schub bringen. Wie bewerten Syndizi wirtschaftliche Chancen und rechtliche Risiken?

FOLGT DEM HYPE DIE ENTTÄUSCHUNG?

Ω Angesichts des Trends zum Internet of Things (IoT – Inter-net der Dinge) werden Maschinen immer stärker miteinander vernetzt und agieren zunehmend autonom. Damit einher geht auch die vollständig automatisierte Abwicklung von Zahlungen Machine-to-Machine (M2M). Folglich beschäf-tigen sich längst auch etablierte Unternehmen und Banken mit der Blockchain, die ursprünglich für die Kryptowährung

Bitcoin erfunden wurde. Je nach Ausgestaltung der Techno-logie lauten die Vorteile: Transaktionen lassen sich schneller und mit weniger Aufwand abwickeln, Übertragungsfehler durch Automatisierung vermeiden oder die Authentizität eines Produkts lückenlos nachweisen. Allen Technologien ist gemein, dass die Teilnehmer auf einen gemeinsamen Datenbestand zugreifen und den Stand einer Transaktion

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unternehmensjurist STRATEGIE & MANAGEMENT

sich zudem ständig weiter. Der hohe Abstraktionsgrad und die Komplexität der Kryptowelt kommen hinzu. „Das erschwert es Rechtsabteilungen, sich neben dem Tagesgeschäft in die Materie einzuarbeiten“, berichtet Ted Kroke, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Juricity in Frankfurt und Mitglied der Ar-beitsgruppe Rechtliche Rahmenbedingungen der Plattform Industrie 4.0, in der sich Unternehmen wie Bosch oder IBM mit Anwälten und den Branchenverbänden Bitkom, ZVEI und VDMA zusammengeschlossen haben (siehe auch Kasten „Wegweiser für die Praxis“ auf S. 28).

„Ein E-Euro würde es bei Geschäftsmodellen

im Internet der Dinge vereinfachen,

Zahlungen abzuwickeln.“–

Dr. Markus Kaulartz, Rechtsanwalt,

Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland

kennen. Erfolgreich getestet haben schon viele Unternehmen Transaktionen via Blockchain. So hat bereits letztes Jahr die Commerzbank in einem Pilotprojekt mit Daimler Trucks die Abwicklung von Zahlungen zwischen einer Stromtanksäu-le und einem Lastkraftwagensystem erprobt, aber bislang handelt es sich oft um Insellösungen, unter anderem wegen fehlender Standards.

SCHWIERIGE SUCHE NACH VALIDEN BUSINESS CASES

Hinzu kommt: Trotz des Trends zum Internet der Dinge mit Millionen intelligenter Geräte fehlt es an belastbaren Business Cases. Laut einer Studie des IT-Branchenverbands Bitkom zu Einsatz, Potenzialen und Herausforderungen der Blockchain in Deutschland ist das für fast 90 Prozent der befragten Un-ternehmen die größte Herausforderung. Schwieriger als die technische Implementierung sei oftmals, Wettbewerber zu überzeugen, ihre Daten in eine Blockchain-Lösung zu integrie-ren, um sie gemeinsam intelligent zu nutzen. Dafür braucht es fassbare wirtschaftliceh Anreize. Und nur wenn sich viele Partner finden, lässt sich die Anwendung auch skalieren.„Distributed-Ledger-Projekte sind Leuchttürme, die aufzei-gen, wie notwendig eine frühe Einbindung der Juristen und ein intensiver Austausch mit den Business- und Technik-Be-reichen bei innovativen Geschäftsmodelle ist“, sagt Matthias Schmid, Deputy General Counsel und Head of Digital Law für Europa, Mittlerer Osten und Asien bei der Continental AG am Standort Erlangen, der am Aufbau mehrerer Plattformen auf Blockchain-Basis von Beginn an involviert war. „Die eigentlich schwierigen Fragen betreffen das Business-Modell. Und nur gemeinsam lässt sich klären: Welche Rolle wollen wir im Netzwerk übernehmen und welche Nutzungs- und Zugangs-rechte zu Daten brauchen wir dafür? Wie hoch ist unser Anteil an der Wertschöpfung und wie lässt er sich monetarisieren? Welcher der Partner vom Technologie-Provider über den Fi-nanzdienstleister bis zum OEM hat welches Interesse und welche Risiken ergeben sich dadurch für unseren Business Case? Wer verwaltet die Wallet, also die digitale Brieftasche, um die bei Zahlungen transferierten Blockchain-Werte wie Token und Coins zu verwahren? Wem gehören diese am Ende? Lohnt es sich, eine eigene Blockchain-Lösung zu ent-wickeln, oder ist es günstiger, einen Technologieprovider mit Banklizenz zu beteiligen?“ Passgenau Verträge können Unternehmensjuristen schließlich nur formulieren, wenn sie die Ziele und Überlegungen kennen, die hinter den einzelnen Entscheidungen stehen, so Schmid.Besonders herausfordernd ist das Out-of-the-Box-Denken für Syndizi, da die Blockchain-Technologielandschaft sehr hetero-gen und die juristische Formulierung an das jeweils verwen-dete Netzwerk anzupassen ist. Den Gestaltungsmöglichkeiten der Technologie sind kaum Grenzen gesetzt. Sie entwickeln

„Die Rechtsprechung differenziert bei der

An wendung der AGB-Regeln nicht hinreichend

deutlich zwischen B2B- und B2C-Geschäft.

Das ist beispielsweise ein großes Problem bei der

Begrenzung der Haftung.“–

Björn Böker, Bereichsleiter Digitalisierung, Sicherheit und Mobilität,

VDI Technologiezentrum GmbH

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STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

VIEL SPRICHT FÜR EINE PRIVATE BLOCKCHAIN

Unternehmensjuristen stehen bei der Gestaltung der Systeme zwar nicht an vorderster Front, aber ohne technisches Grund-verständnis ist es schwer, die rechtlichen Tücken wichtiger Weichenstellungen zu erkennen: etwa bei der Entscheidung für eine öffentliche genehmigungsfreie Blockchain wie Ethere-um, die Einsicht in alle Transaktionen der Blockchain erlaubt, oder eine private genehmigungsbasierte wie Hyperledger Fa-bric oder R3 Corda, welche die Nutzung auf ein Konsortium aus Unternehmen beschränkt. Ted Kroke rät: „Aus juristischer Sicht sind im IoT-Umfeld private Blockchains vorzuziehen, unter anderem weil die Teilnehmer bekannt und somit etwaige Ansprüche leichter durchsetzbar sind. Auch Haftungsrisiken lassen sich besser minimieren, weil beispielsweise die Ver-antwortung für IT-Sicherheit in einer privaten Blockchain einfacher vertraglich geregelt werden kann.“Rechtliche Unsicherheiten gelten laut Bitkom-Studie ebenfalls als große Hürde (siehe auch Kasten „Auf einen Blick“ auf S. 29). Viele Fragen ergeben sich beispielsweise im Datenschutz: „Ein wesentliches Merkmal des dezentral organisierten Sys-tems ist die Unveränderlichkeit und eine verteilte Verantwor-tung sehr vieler teils sogar unbekannter Teilnehmer. Diametral gegenüber steht der Denkansatz der Datenschutzgrundverord-nung (DS-GVO) mit einer zentralen Verantwortlichkeit und mit Betroffenenrechten, die auf das nachträgliche Löschen von Daten oder deren Änderung abzielen“, erklärt Dr. Markus Kaulartz, Rechtsanwalt und Experte für Blockchain bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland am Standort München. Ein Personenbezug lässt sich sehr schnell herstellen: etwa im Hinblick auf die Verwaltung der digitalen Identität, welche die Blockchain bei der Abwicklung von Zahlungen erleichtert,

indem sie die Identität eines Kunden verfiziert. Oder auch hinsichtlich Zeit und Ort beim Ladevorgang eines LKW an der Stromtankstelle, wenn der Fahrer identifizierbar ist.Eine Lösung kann sein, nicht alle im System anfallenden oder verarbeiteten Daten als Transaktionsdaten in der Blockchain selbst abzulegen. Markus Kaulartz: „Personenbezogene Da-ten wie Name oder Telefonnummer werden dann in einer gesonderten Datenbank abgespeichert und die Verbindung zur Blockchain schafft eine sogenannte Look-up-Table. In der Blockchain liegen als Hashwert verschlüsselte Referenzen auf die Daten, die nur über die Look-up-Table zugeordnet werden können.“ Im Fall eines Löschungsanspruchs nach DS-GVO würden die personenbezogenen Daten in der her-kömmlichen Datenbank sowie in der Look-up-Table gelöscht, nicht aber auf der Blockchain. „Um vollständige Rechtssi-cherheit herzustellen, warten Juristen in diesem Punkt noch auf die Klarstellung durch den Europäischen Datenschutz-ausschuss“, berichtet Ted Kroke. Smart Contracts sind ein weiteres Beispiel für die Notwendig-keit eines durchdachten Zusammenspiels von technischem Know-how und rechtlicher Absicherung. Mithilfe dieser auto-matisch ablaufenden Wenn-Dann-Regeln führen Maschinen oder Fahrzeuge Transaktionen autonom aus. „Dahinter steht immer auch eine vertragliche Vereinbarung, um beispielswei-se Nichtigkeits- und Rückabwicklungsansprüche zu regeln, welche die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe erfordern. Es handelt sich nie um eine 1:1-Übersetzung des Vertrags. Der Smart Contract dient nur dazu, einzelne Leistungen umzuset-zen“, erklärt Continental-Syndikus Matthias Schmid.

SMART CONTRACTS ERFORDERN ITERATIVES VORGEHEN MIT TECHNIKERN

Am erfolgversprechendsten ist, wenn Juristen und Techniker bei der Programmierung iterativ vorgehen und sich ständig über etwaige Konsequenzen von Änderungen austauschen. „Mit jeder Codezeile kann ein völlig anderes Rechtsgebiet betroffen sein - von Geldwäsche bis zum Verbraucherschutz“, warnt Kaulartz, der Herausgeber des Rechtshandbuchs Smart Contracts ist. Das gelte gerade für M2M-Zahlungen. „Token und Kryptowährungen sind nach dem Kreditwesengesetz als Kryptowerte definiert, was unter Umständen zu einem Rattenschwanz an regulatorischen Anforderungen führen kann. Sogar eine Erlaubnis für das Emittieren von E-Geld durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht kann notwendig sein, die bei Verstößen sehr schmerzhafte Instrumente auf Lager hat“ (siehe dazu auch uj 06/2019, S. 30, „Digitalisierung der Finanzaufsicht – Der Zahlungsver-kehr wird neu gedacht“). Wollen Unternehmen ihre Testanwendungen live schalten, erfordert das standardisierte Regeln für alle Beteiligten. „Viele Unternehmen fordern in diesem Zusammenhang

WEGWEISER FÜR DIE PRAXIS

• Plattform Industrie 4.0: Kurzdarstellung „Blockchain und Recht im

Kontext von Industrie 4.0“ der Arbeitsgruppe Rechtliche Rahmen-

bedingungen

• Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: Blockchain

sicher gestalten, Konzepte, Anforderungen, Bewertungen

• Study of the European Parliament: Blockchain and the General

Data Protection Regulation

• Tom H. Braegelmann und Markus Kaulartz, Rechtshandbuch Smart

Contracts, Verlag C.H. Beck

• Florian Möslein, Sebastian Omlor, Institut für das Recht der Digitali-

sierung an der Philipps-Universität zu Marburg, Fintech Handbuch:

Digitalisierung, Recht, Finanzen, Verlag C.H.Beck

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unternehmensjurist STRATEGIE & MANAGEMENT

AUF EINEN BLICK – RECHTSFRAGEN ZU M2M-ZAHLUNGEN UND BLOCKCHAIN

• Allgemeines Zivilrecht, unter anderem:

– Smart Contracts: Was passiert bei Nichtigkeit des Vertrags

oder bei Nichterfüllung aufgrund wesentlicher Mängel?

– AGB: Wegen der sehr restriktiven Auslegung in Deutschland

kann es sinnvoll sein, in das Schweizer Recht auszuweichen.

– Haftung für fehlerhafte Programmierung: Haftungsszenarien

gründlich analysieren sowie Leistungen, Verantwortlichkeiten

und Risikosphären so detailliert wie möglich beschreiben.

• Datenschutz und Datenhoheit, zum Beispiel:

– DS-GVO: Recht auf Löschung, Korrektur, Aufbewahrungsfristen

– Privates oder öffentliches System?

– Nutzungsrechte an Daten, Datenqualität, Rollen und Pflichten

der Datenverarbeitung,

– Regelung datenschutzrechtlicher Verantwortlichkeiten etwa

für Pseudonymisierung bzw. Anonymisierung.

• IP- und Patentrecht, etwa:

– Fallstricke bei Open Source: Werden eigene Entwicklungen

von einem Copyleft erfasst?

– Gefahr durch Blockchain-Patente Dritter?

• IT-Sicherheit, unter anderem:

– Absicherung der Datenauthentizität von Informationen, die

in die Blockchain gelangen

– Sorgfältige Risikoanalyse als Basis für Vertragsgestaltung

und Design der Blockchain

– Risiken der Verschlüsselungstechnologie im Hinblick auf Fort-

schritte der Quantencomputer

• EU-Verordnung über die elektronische Identifizierung

und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen

(eIDAS)

– Verwaltung der digitalen Identität

• Kartellrecht, zum Beispiel:

– Marktmacht: Werden etwa kleinere Busunternehmen ange-

sichts hoher Investitionskosten ausgeschlossen, wenn ein Ver-

kehrsverbund auf einer Mobilitätsplattform Ticketbuchungen

über eine Blockchain anbietet?

– Zusammenarbeit: Welche Informationen dürfen Unternehmen

auf einer Blockchain teilen?

• Finanzaufsichts- und Wertpapierrecht, unter anderem:

– Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz

– Kreditwesengesetz

– EU-Geldwäscherichtlinie

– Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten

EU-Geldwäscherichtlinie

• Internationales Recht

• Steuerrecht

eine Reform des deutschen Rechts der Allgemeinen Ge-schäftsbedingungen (AGB). Der Bundesgerichtshof überträgt die Verbraucherschutzregeln im internationalen Vergleich viel zu streng auf das B2B-Geschäft. Und so differenziert die Rechtsprechung bei der Anwendung der AGB-Regeln nicht hinreichend deutlich zwischen B2B- und B2C-Geschäft. Das ist beispielsweise ein großes Problem bei der Begrenzung der Haftung, die bei Innovationen oft notwendig ist, um sie kalkulierbar zu machen. Konsequenz ist leider oft eine Flucht ins ausländische Recht“, kritisiert Björn Böker, Bereichsleiter Digitalisierung, Sicherheit und Mobilität des VDI Techno-logiezentrums. Entsprechenden Handlungsbedarf hat die Plattform Industrie 4.0 bereits an das Bundesjustiz- sowie an das Bundeswirtschaftsministerium adressiert.Dagegen könnten die Überlegungen der Europäischen Zentralbank für einen digitalen Euro einen Schub für reale Blockchain-Anwendungen bringen. Hintergrund sind die

„Aus juristischer Sicht sind im IoT-Umfeld

private Blockchains vorzuziehen.“–

Ted Kroke, Rechtsanwalt, Kanzlei Juricity

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STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

× Viele Unternehmen haben den Einsatz der Blockchain er-

folgreich getestet. Die Umsetzung in die Praxis birgt aber

tatsächliche und rechtliche Hürden.

× Das Potenzial ist aber groß, etwa um M2M-Zahlungen

im Internet der Dinge abzuwickeln. Und für die meisten

juristischen Unklarheiten gibt es Lösungsansätze.

× Unternehmen dürfen nicht den richtigen Zeitpunkt verpas-

sen, die Chancen der Technologie zu nutzen. Überlegun-

gen der EZB für einen digitalen Euro könnten einen Schub

für die Blockchain bringen.

× Die Projekte sind Leuchttürme dafür, wie wichtig eine

enge Zusammenarbeit der Business-Bereiche mit den Ju-

risten ab den ersten Überlegungen ist. Im Zusammenspiel

mit der Technik müssen Juristen ihre Arbeitsweise den IT-

Spezialisten anpassen und iterativ vorgehen.

Bestrebungen von Facebook, die weltumspannende virtuelle Währung Libra zu schaffen. Das birgt die Gefahr, dass früher oder später autonome Autos, Maschinen und alle anderen intelligenten Geräte am Zahlungssystem privater Organisa-tionen außerhalb der Europäischen Union hängen. Markus Kaulartz: „Ein E-Euro würde es bei Geschäftsmodellen im Internet der Dinge vereinfachen, Zahlungen abzuwickeln. So wäre es in vielen Fällen nicht mehr notwendig, Transaktionen über Ersatzwährungen wie dem schwankungsintensiven Bit-coin abzuwickeln. Oft dient dies ohnehin nur dazu, eine Erlaubnispflicht durch die BaFin zu vermeiden, die mit stren-gen Anforderungen an Geschäftsleiter, Grundkapital oder IT-

Sicherheit verbunden ist und enormen Aufwand bedeutet.“ „Nach einem Tal der Enttäuschungen scheint der Trend in Zukunft unaufhaltsam, die Blockchain für neue Geschäfts-modelle zu nutzen“, so das Fazit des Bitkom-Leitfadens aus dem letzten Jahr. Ausschlaggebend sei unter anderem, dass sich Regulatoren verstärkt den neu aufkommenden Rechts-fragen widmen. Umso wichtiger ist es für Unternehmen, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Laut Bitkom werde das Disruptionspotenzial insbesondere dann zu Tage treten, wenn sich globale Konzerne für die Nutzung der Technologie entscheiden und zusammenschließen. π Franziska Jandl

„Hinter einem Smart Contract steht immer auch

eine vertragliche Vereinbarung. Es handelt sich

nie um eine 1:1-Übersetzung des Vertrags. Er dient

dazu, einzelne Leistungen umzusetzen.“–

Matthias Schmid, Deputy General Counsel und Head of Digital Law

für Europa, Mittlerer Osten und Asien, Continental AG

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SCHWERPUNKT IP-RECHT unternehmensjurist

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Ausgangsbeschränkungen, Veranstaltungsverbote und Abstandhalten haben das Internet zum Aus-weichquartier für Musik, Film, Theater und Literatur gemacht. Mehr denn je schaut die Kultur- und Kreativbranche auf die fällige Neuregelung des Urheberrechts in der digitalen Welt. Doch mit Schlagworten wie „Upload-Filter“, „Pre-Flagging“ oder „Leistungsschutzrecht“ sollten sich auch Unternehmen auseinandersetzen, die soziale Netzwerke und Videoplattformen nutzen, Pressespiegel veröffentlichen oder Kreative beschäftigen. Also nahezu alle.

URHEBERRECHTSRICHTLINIE

Ω Ein mittelständisches Unternehmen verlinkt regelmäßig Beiträge lokaler Zeitungen und Sender auf seiner Website – über Firmenevents, soziales und kulturelles Engagement. Dabei zeigt es Überschrift und Unterzeile an und ein kleines Vorschaubild. Eines Tages fordert das örtliche Medienhaus dafür Lizenzgebühren. Das Social Media-Team eines ande-ren Unternehmens startet eine originelle Video kampagne, die sich möglichst rasch in vielen sozialen Netzwerken verbreiten soll. Doch der Upload des Videos klappt nicht überall. Obwohl alle notwendigen Lizenzen für Musik und Filmaufnahmen erworben wurden, erscheint die Mittei-lung, dass am Inhalt jemand Rechte angemeldet hat. Im Beschwerdeverfahren der Plattformen lässt sich das nach einigen Tagen klären. Doch die Kampagne hat gelitten, geriet nicht in Schwung. Das sind zwei – hypothetische, aber mögliche – Beispiele, warum die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie nicht nur Internetdienstleister, Me-dien, Künstler oder YouTuber angeht.

DIE UMSTRITTENE REFORM

Die EU-Richtlinie über das Urheberrecht und die verwand-ten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt war von Anfang an heiß umstritten – in der Politik, im Netz und auf der Straße, wo Tausende insbesondere gegen „Upload-Filter“ protestierten. Am 6. Juni 2019 in Kraft getreten, muss die Direktive zum Digital Single Market (daher auch DSM-RL abgekürzt) gemeinsam mit der Online-SatCab-Richtlinie bis zum 7. Juni 2021 in nationales Recht umgesetzt sein. Das Justizministerium ging das eher unkonventionell an, veröf-fentlichte im Januar 2020 einen Diskussionsentwurf zum Leistungsschutzrecht der Presseverlage und im Juni 2020 einen zweiten für alle übrigen Punke. Ein neues Urheber-rechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG-E) regelt dabei die Verantwortlichkeit der Plattformen. Beide Male gingen um die 100 Stellungnahmen von Verbänden, Institutionen und Einzelpersonen ein. Ein Referentenentwurf vom September 2020 führt die Vorschläge mit entscheidenden Änderungen zusammen und wurde nach weiteren Abstimmungen mit

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unternehmensjurist IP-RECHT SCHWERPUNKT

Ausgabe 6/2020 33

dem Bundeswirtschaftsministerium am 13. Oktober 2020 veröffentlicht. Das unmittelbare Echo von Netzaktivisten, Medienorganisationen und Verbänden der Kreativwirtschaft war überwiegend negativ. Kommentare reichten von „über-schießende Umsetzung der Richtlinie“ bis „konterkariert“ oder sogar „europarechtswidrig“.Bis zum 6. November 2020 läuft nun die Frist für Stellung-nahmen von Privatpersonen, Verbänden und Ländern. Par-allel dazu wird sich die Bundesregierung abstimmen und einen Regierungsentwurf erarbeiten, der noch im Herbst beschlossen werden soll. Weil der Umfang der Regelungen so groß ist, einige davon nur wenige Interessengruppen betreffen und manche Aus-gestaltung so umstritten wie ungewiss ist, hier ein Blick auf die grundsätzlichen Punkte und auf das, was auch Unter-nehmen außerhalb der Internetdienstleister, Medien- und Kreativbranche betreffen könnte. Wie im Netz üblich, als FAQ – Frequently Asked Questions:

FAQ – FREQUENTLY ASKED QUESTIONS Warum braucht der digitale Binnenmarkt ein neues Urheberrecht?Die letzte große EU-Reform ist beinahe zwei Jahrzehnte her. Das Recht muss der Realität angepasst werden, dass heute jede und jeder Texte, Bilder, Audio- und Videodateien mit ein paar Klicks weltweit verbreiten kann. Die Inhaber von Urheber- und verwandten Rechten, sowie die Medien- und Kreativwirtschaft sollen zumindest EU-weit Ansprüche gel-tend machen und damit Geld verdienen können.

Wer sind diese Inhaber der Urheber- und verwandten Rechte?Urheber sind alle, die ein geistiges Werk schöpfen, die zum Beispiel schreiben, komponieren oder choreographieren. Lei-stungsschutzrechte stehen denen zu, die Kreationen umset-zen, etwa schauspielern, tanzen oder Musik machen – aber auch Veranstaltern, Sendern, Verlagen. Letztere haben oft auch alle Nutzungsrechte erworben und sind dann Ansprech-partner für Lizenzen – es sei denn, die Wahrnehmung ist an Verwertungsgesellschaften abgetreten. Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfälti-gungsrechte (GEMA) zum Beispiel hat 2016 einen Vertrag mit YouTube geschlossen, nach dem Musiker eine Vergütung erhalten, je nach Anzahl der Streams und den Werbeerlösen aus den Videos.

Was ändert sich jetzt für die Internetplattformen?Sie haften in Zukunft vollständig für Verstöße gegen Urhe-ber- und verwandte Rechte und sind unmittelbare Adres-saten von Schadensersatzansprüchen. Nach wie vor müssen sie „Notice and take down“ befolgen, also Inhalte ab sofort und für die Zukunft sperren, wenn sie vom Rechtsverstoß

Kenntnis erhalten. Hinzu kommt aber ein präventiver An-satz. Sie können sich nur enthaften, wenn sie bestimmte Sorgfaltspflichten beachten, konkret: „alle Anstrengungen“ unternehmen, Lizenzen zu erwerben und sicherzustellen, dass nicht-rechtefreie Inhalte gar nicht erst veröffentlicht wer-den. Angesichts der Masse an Uploads kommen da software-basierte Verfahren ins Spiel – die umstrittenen Upload-Filter.

Wie funktionieren Upload-Filter?Laden User Daten, zum Beispiel einen Podcast, auf eine Platt-form hoch, gleicht eine Software mit einer Datenbank ab, ob Inhalte urheberrechtlich geschützt sind. In der Regel haben Rechteinhaber diese Datenbanken mit den Werken beliefert, die sie schützen wollen. Die riesigen Datenmengen werden in sogenannte Hash-Werte aus kurzen Zeichenfolgen umgewan-delt, die sich schneller und einfacher vergleichen lassen. Bei Übereinstimmung oder großer Ähnlichkeit wird der Upload blockiert. Das System tendiert zum Overblocking, sperrt also erst einmal auch erlaubte Nutzungen, weil es bisher keine Algorithmen gibt, die zuverlässig erlaubte Nutzungen wie Parodie oder ein Zitat erkennen.

Betrifft „Overblocking“ auch Unternehmen, die Platt-formen nutzen?Durchaus. Das Social Media-Team im Marketing verwen-det vielleicht bekannte Bilder oder Filmschnipsel für lustige Internet-Memes, die Öffentlichkeitsabteilung zitiert aus Me-dienberichten, was bei Beachtung gewisser Regeln erlaubt ist. Der Filter erkennt das vielleicht nicht, blockt erst einmal. Und selbst wenn alle Rechte erworben wurden, könnten sie ja noch in der Datenbank gesperrt sein. Böswillige Konkur-renten oder Gegner melden möglicherweise fälschlich Rechte an. Dafür sind Beschwerdeprozesse, Verbandsklagen gegen Plattformen und Sperren von Nutzerkonten vorgesehen, aber Ärger schließt das nicht aus.

Ω Fortsetzung auf Seite 35

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Zwei Fragen an Lena-Sophie Müller, Geschäftsführerin des Vereins Initiative D21 – Netz-werk für die Digitale Gesell-schaft. Sie ist Sachverständi-ge der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz. Für

„herausragendes Engagement um Gemeinwohl und Digi-talisierung“ hat sie 2020 den For..Net Award der Universität Passau erhalten, benannt nach der Forschungsstelle für IT-Recht und Netzpolitik.

Wieso sind Uploadfilter so umstritten?Einerseits geht es um die Abwägung hoher Werte: Das Recht von Urhebern an ihren Inhalten gegenüber der Freiheit im

„Wie filtern?“

Netz. Andererseits mangelt es am Verständnis, wie Algorith-men funktionieren. Die Technologie ist doch so weit, denken viele, das sollte kein Problem sein. Aber künstliche Intelligenz kann zum Beispiel nicht erkennen, was Satire ist. Das ist ja schon für Menschen schwierig. Außerdem geben wir mit Fil-tern immer jemandem Macht in die Hand. Wer entscheidet denn, was da herausgefiltert wird?

Dürfen Algorithmen also keine Filterentscheidungen treffen?Da sollten wir wieder mehr Grau in die Schwarz-Weiß-Debatte bringen. Natürlich können Algorithmen vorsortieren. Auch das sind Entscheidungen, nur keine abschließenden. Um die Kriterien zu bewerten, muss aber immer ein Mensch drauf-schauen. Und diese Entscheidungen sollten nachvollziehbar und überprüfbar sein.

Zwei Fragen an Dr. Martin Soppe, Partner bei Osborne Clarke. Zuvor war er Syndikus beim Verlag Gruner + Jahr, darunter neun Jahre Leiter der Verlagsrechtsabteilung.

Die öffentliche Debatte um Uploadfilter hat andere Teile der Urheberrechtsreform in den Hintergrund gedrängt. Wie rele-vant ist denn das Thema „faire Vergütung“ für Unternehmen?Das betrifft alle, die urheberrechtlich geschützte Werke nut-zen – zum Beispiel Architektur, Softwareprogramme, Wer-betexte, Grafiken, Fotografien oder Filme. Urheber haben da-nach – grob gesagt – den Anspruch auf eine „angemessene“ Vergütung, die auch nachträglich zu erhöhen ist, wenn sich eine Idee oder ein Design als besonders wertvoll herausstellt, vielleicht sogar ein Bestseller wird. Das gab es bisher schon im deutschen Recht, gilt dann aber EU-weit und die Forderungen könnten zunehmen – auch, weil die Verwerter nun von sich

„Sonst noch was?“

aus mindestens einmal im Jahr darüber informieren müssen, ob und wie sie die Lizenzen verwerten. Vom bisherigen Aus-kunftsrecht haben die Urheber wenig Gebrauch gemacht, um die Auftragsbeziehung nicht zu belasten.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger soll dafür sor-gen, dass Internetdienstleister für Vorschautexte und -bilder von Presseveröffentlichungen eine Lizenz erwerben müssen. Auch hier sind vor allem Suchmaschinen und Plattformen im Blick – also Google & Co. Gibt es dennoch Auswirkungen auf andere Unternehmen?Ich würde zumindest nicht generell ausschließen, dass das auch elektronische Pressespiegel von Unternehmen erfasst. Die wird man – zumindest in bestimmten Konstellationen – durchaus als eine Dienstleistung ansehen können, wie sie Richtlinie und Gesetz definieren. Dann sind nur noch wenige Worte oder sehr kurze Auszüge von Presseartikeln genehmigungs- und kostenfrei. Was das genau bedeutet, müssen dann Gerichtsentscheidungen zeigen.

Die Interviews führte Angelika Knop.

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Sind bisher keine Software-Filter gegen Urheber-rechtsverstöße im Einsatz?Doch, aber nicht standardmäßig beim Upload und für alle Rechteinhaber. Bei YouTube zum Beispiel können große Mu-sikverlage oder Filmfirmen das Partnerprogramm Content ID nutzen und ihr Material mit digitalem Fingerabdruck zum Abgleich bereitstellen, um nicht erlaubte Uploads zu erkennen. Laut YouTube lassen die Rechteinhaber aber in 90 Prozent der Fälle das Material online und entscheiden sich dafür, mit daran zu verdienen. Kleineren, ausgewählten „Partnern“ steht das Copyright Match Tool zur Verfügung, das zumindest komplette Kopien verhindert.

Hatte sich die Bundesregierung nicht mit einer Proto-kollnotiz verpflichtet, Upload-Filter „nach Möglichkeit zu verhindern“?Ja – dafür sind verschiedene Verfahren in der Diskussion: Beim „Pre-Flagging“ können sich User beim Upload auf er-laubte Nutzungen berufen. Dann dürfte die Plattform nicht sperren – es sei denn, das ist „offensichtlich unzutreffend“, weil es großteils mit gemeldeten Inhalten übereinstimmt. Oder es gibt schon einen automatisierten Pre-Check. Letztend-lich sind dabei aber auch immer Filtertechnologien im Spiel.

Was muss unser Unternehmen denn dann beachten, wenn wir soziale Netzwerke nutzen?Rechtemanagement für Inhalte wird noch wichtiger: Wer Beiträge hochlädt, muss nach wie vor sehr genau prüfen, ob alle Lizenzen erworben sind. Neben den Plattformen haften immer noch die User, die Material hochladen. Ausnahme-tatbestände wie „Bagatellschranken“ für sehr kurze Texte, Audios oder Videos werden nicht für kommerzielle Nutzer gelten. Zusätzlich muss man „Pre-Flagging“ oder andere Verfahren nutzen, um Sperren zu vermeiden. Es wird jedoch einfacher, selbst Ansprüche wegen der Verletzung von Ur-heberrechten gegen die Plattformen anzumelden, die dann nicht mehr auf die User verweisen dürfen, die man oft gar nicht ermitteln oder belangen kann.

Sind Lizenzen, Unterlassungsansprüche oder Scha-densersatz nach dem Diensteanbietergesetz denn nur ein Thema für große Internetdienstleister?Nein, Kleinst-Plattformen und Start-Ups sollen vom UrhDaG-E zwar weitgehend ausgenommen sein – letztere aber nur für drei Jahre. Auch für Plattformen für quelloffene Software, für Cloud-Dienste zwischen Unternehmen und für nicht gewin-norientierte Enzyklopädien wie Wikipedia sind Ausnahmen vorgesehen. Unternehmen sollten dennoch im Auge behalten, ob Plattformen, die sie nutzen, betroffen oder gefährdet sind. Einige haben angekündigt, dass sie sich teure Filtertechnolo-gien nicht leisten können. π Angelika Knop

Ω Fortsetzung von Seite 33

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TRENDS & THEMEN unternehmensjurist

Ω Elf Musterfeststellungsklagen sind bisher im Klageregister des Bundesamts für Justiz eingetragen – deutlich weniger als die vom Bundesjustizministerium seinerzeit erwarteten 450 Verfahren pro Jahr. Thematisch betreffen die Verfahren das Verbraucherkreditrecht, das Gewährleistungs- und De-liktsrecht, das Kapitalanlagerecht, das Mietrecht sowie die Schnittstelle von Verbrauchervertrags- und Insolvenzrecht. Die erste Musterfeststellungsklage wurde bereits am Tag des Inkrafttretens des neuen Gesetzes am 1. November 2018 angemeldet. Noch in der Nacht hatten die vom Verbraucher-zentrale Bundesverband (vzbv) beauftragten Rechtsanwäl-

te ihre bereits lange vorab angekündigte Klage gegen den Autobauer VW angemeldet. Tatsächlich eingetragen wurde aber dann zuerst das Verfahren der Schutzgemeinschaft für Bankkunden e.V. gegen die Mercedes Bank AG. Es ging um Autokreditverträge, die nach Auffassung des klagenden Ver-eins fehlerhaft in Bezug auf die Widerrufsbelehrung waren und in der Folge den Kunden ein ewiges Widerrufsrecht einräumen würden. Diese Klage scheiterte allerdings beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart bereits an der Zulässigkeit. Weil der klagende Verein weder 350 natürliche Personen als Mitglieder habe, noch Verbraucherinteressen weitgehend durch nicht gewerbsmäßige aufklärende oder beratende Tä-tigkeit wahrnehme, seien die Anforderungen, die § 606 Abs. 1 Satz 2 Zivilprozessordnung an eine qualifizierte Einrichtung stellt, nicht erfüllt und die Schutzgemeinschaft daher nicht klagebefugt, so das Gericht im März 2019. Damit war die erste Musterfeststellungklage bereits knapp fünf Monate nach Einführung des neuen Instruments vorläufig gescheitert. Die zweite Musterfeststellungsklage war dann nicht nur deutlich prominenter, sondern auch deutlich erfolgreicher. Ursprünglich knapp 450.000 VW-Kunden hatten sich der Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands gegen den

DR. STEFAN NAUMANN,Rechtsanwalt (Syndikusrechtsan-

walt), Head of Commercial Law,

Zalando SE

MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGE

VIELE GEGEN EINEN – VON DER MUSTERFESTSTELLUNGSKLAGE ZUR EUROPÄISCHEN VERBANDSKLAGE

Die ersten Erfahrungen mit der Musterfeststellungs-klage konnten einige Unternehmen – allen voran der VW-Konzern – bereits machen, demnächst kommt aus Brüssel die Europäische Verbandskla-ge. Welche Unterschiede gibt es und wie können sich Rechtsabteilungen wappnen, um im Fall des Falles gut gerüstet zu sein?

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40 Ausgabe 6/2020

TRENDS & THEMEN unternehmensjurist

DR. JANETT FAHRENHOLZ, LL.M.,Leiterin / Head of Product Compliance

and Regulatory Law, Volkswagen AG

Autohersteller wegen mutmaßlicher Manipulationen an Die-selkraftfahrzeugen angeschlossen. Für 260.000 von ihnen wurde Anfang 2020 ein Vergleich zwischen den Parteien geschlossen: VW sollte danach den Klägern jeweils zwischen 1.350 und 6.257 Euro zahlen – je nach Modell und Alter des Fahrzeugs. 830 Millionen Euro betrug laut Halbjahresfinanz-bericht von VW das Vergleichsvolumen insgesamt. Am 30. April dieses Jahres hat die Verbraucherzentrale die Klage vereinbarungsgemäß zurückgezogen und damit wurde das Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig am 4. Mai 2020 beendet. Allerdings haben die Verbrau-cherschützer angekündigt, nun auch Klagen gegen ande-re Hersteller von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Außerdem haben sich der Verbraucherzentrale Bundesverband und auch mehrere Landesverbraucherzentralen offensichtlich vorgenommen, die Sparkassen und ihre Zinsanpassungs-regelungen in Prämiensparverträgen ins Visier zu nehmen. Jüngstes eingetragenes Verfahren ist hier die Musterklage des vzbv gegen die Saalesparkasse. Und die Chancen dürften gut stehen; in zwei ähnlich gelagerten Fall hat die Verbrau-cherzentrale Sachsen beim OLG Dresden Recht bekommen.

AUTOMATISIERTE ABWICKLUNG DER INDIVIDUELLEN ANSPRÜCHE

In der Rechtsabteilung von VW ist man zufrieden, dass das Musterfeststellungsverfahren abgeschlossen ist. Mittlerweile seien auch die einzelnen Vergleiche mit den Teilnehmern der Musterfeststellungsklage weitgehend abgewickelt, er-klärt Janett Fahrenholz, Head of Regulatory Law and Product Compliance bei Volkswagen AG. Auch dazu hatte sich VW gegenüber der Verbraucherzentrale verpflichtet. Das Problem bei der Einigung: Im Gesetz zur Einführung der Muster-feststellungsklage steht nichts dazu, wie ein Vergleich mit Hunderttausenden Berechtigten konkret organisiert werden muss. Das sollte unbedingt nachgebessert werden, meint Janett Fahrenholz. Man hätte sich schon gewünscht, dass die Gesetzgeber auch die Abwicklungsmechanismen im Blick gehabt hätte; in den Niederlanden gebe es beispielsweise eine Behörde, die das übernimmt. Etwas Ähnliches wäre auch für Deutschland denkbar gewesen, so die Juristin.

Ansonsten hat sich in den Strukturen der VW-Rechtsabtei-lung seit der Musterfeststellungsklage nicht viel geändert, man ist wieder zum Normalgeschäft zurückgekehrt. Was sich allerdings verändert habe, sei das Bewusstsein für den Umgang mit solchen Massenverfahren, so Fahrenholz. Vor allem für die Möglichkeiten, die die Technik beim Umgang mit Massenverfahren bietet, denn immerhin mussten mit den etwa 260.000 Klägern individuell Vereinbarungen über die jeweils auszuzahlende Summe getroffen werden. VW hat dazu eine Plattform entwickeln lassen über die die Verglei-che jeweils angeboten und später dann auch abgeschlossen wurden. Über „www.mein-vw-vergleich.de“ wurde der Ge-samtprozess des individuellen Verhandelns mit den Klägern standardisiert und automatisiert. Das sei schon Pionierarbeit gewesen, sagt Janett Fahrenholz, und könne sicher auch als grundsätzliches Vorbild auch für andere Rechtsabteilungen dienen. Der Konzern selbst nutzt eine ähnliche Plattform im Übrigen auch bei der Abwicklung der derzeit noch anhän-gigen individuellen Dieselklagen. Auch hier sollen Vergleiche online geschlossen werden, um die Abläufe zu beschleunigen und zu effektivieren. Deshalb würde sie auch anderen Unter-nehmen beziehungsweise Rechtsabteilungen, die potenziell mit Musterfeststellungsklagen zu tun bekommen könnten, empfehlen, sich ganz intensiv mit Legal Technology zu be-schäftigen, rät die Syndikusanwältin. Juristen in Rechtsabtei-lungen würden das bisher noch oft unterschätzen, aber der Glaube, man können Massenverfahren noch traditionell so handhaben wie vor 30 Jahren, sei eine Illusion.

FRÜHZEITIGE SENSIBILISIERUNG IM UNTERNEHMEN

Auch für den Zalando-Jurist Dr. Stefan Naumann ist der Einsatz von Legal Technology ein wichtiges Tool für eine Rechtsabteilung, die potenziell von einer Musterfeststel-lungsklage betroffen werden könnte. Schon beim Beschwer-demanagement könnten mithilfe von Technologie Entwick-lungen nachvollzogen werden, die einem Unternehmen möglicherweise gefährlich werden könnten: ob sich zum Beispiel eine Häufung von Beschwerden zu einem ganz bestimmten Produkt oder einer konkreten Dienstleistung abzeichnet. Das Beschwerdemanagement kann ein Früh-warnsystem für eine Kollektivklage sein, meint Naumann. Bei Zalando gibt es deshalb einen regelmäßigen Austausch zwischen der Beschwerde- und der Rechtsabteilung. Darü-ber hinaus sollten sich aber Unternehmen insgesamt mit dem neuen Instrumentarium vertraut machen, um im Falle eines Falles gewappnet zu sein, rät Naumann. Nicht nur die Rechtsabteilung sollte hier die notwendige Sensibilisierung entwickeln, auch Management und nicht zu vergessen die Unternehmenskommunikation sollten über den grundsätz-lichen Ablauf, über die Chancen und über die Risiken einer

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unternehmensjurist TRENDS & THEMEN

Musterfeststellungsklage schon dann gebrieft werden, wenn es auf den ersten Blick noch keinen konkreten Anlass gibt. Fragen, wie beispielsweise im Fall der Fälle ein personeller Mehrbedarf in der Rechts- und Kommunikationsabteilung schnell gedeckt werden kann und welche externe Kanzlei gegebenenfalls auch kurzfristig mandatiert werden kann, sollten vorab geklärt werden. Wenn eine Klage erst einmal auf den Weg gebracht wurde, ist rasches Handeln gefragt.

EUROPÄISCHE VERBANDSKLAGE KOMMT

Im Juni 2020 haben sich die Verhandlungsführer des Euro-päischen Parlaments und des Rates auf EU-weite Regelungen für kollektive Rechtsbehelfe geeinigt. Wenn das Gesamtpar-lament dem Verhandlungsergebnis zustimmt, könnte die „Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektiv-interessen der Verbraucher“ noch in diesem Jahr in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten haben dann 24 Monate Zeit, die Neuregelung in nationales Recht umzusetzen. Um eine echte Sammelklage handelt es sich dabei nicht, auch wenn der Begriff in vielen Publikationen verwendet wird: Wie auch bei der Musterfeststellungsklage können sich Geschädigte nicht zusammenschließen, um dann „gesammelt“ vor Ge-richt zu ziehen. Klagebefugt sind auch hier nur sogenannte „qualifizierte Einrichtungen“, die für grenzüberschreitende Klagen unionsweit einheitliche Kriterien erfüllen müssen: Es muss sich um nach dem Recht eines Mitgliedstaats ord-nungsgemäß gegründete juristische Personen handeln, die eine gewisse Dauerhaftigkeit und einen gewissen Umfang an öffentlicher Tätigkeit aufweisen, gemeinnützig arbeiten und aufgrund ihres Satzungszwecks ein legitimes Interesse daran haben, die Verbraucherinteressen im Sinne des einschlä-gigen Unionsrechts zu schützen. Größte Unterschiede zur Musterfeststellungsklage: Die EU-Verbandsklage ist nicht nur auf ein Feststellungsinteresse gerichtet, sondern mit ihr können auch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche direkt geltend gemacht werden. Und um Unternehmen vor missbräuchlichen Klagen zu schützen soll das Verlierer-zahlt-Prinzip gelten.

WEITER SPIELRAUM DES GESETZGEBERS

Die Richtlinie lässt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Gestaltungsspielraum bei der konkreten Umsetzung und geht damit ein Stück weit hinter ihren eigenen Anspruch zurück, erläutert Tobias B. Lühmann, Rechtsanwalt in der Berliner Dependance der internationalen Sozietät Noerr. Immerhin heißt es in den Erwägungsgründen, dass nicht zuletzt die verschiedenen Regelungen in den einzelnen Mit-gliedstaaten einen unterschiedlichen Verbraucherschutz-standard bieten würden und so ein geringeres Vertrauen der

Verbraucher und Unternehmen in den Binnenmarkt bewirkt hätten. Lühmann rechnet daher auch weiterhin mit einem Flickenteppich, der es Unternehmen erschwert, sich darauf einzustellen, wo genau welche Regelungen gelten. Kritisch sieht er insbesondere, dass die Richtlinie keine einheitlichen Anforderungen für „inländische“ qualifizierte Einrichtungen macht und es damit an europaweit einheitlichen Standards für einen Schutz vor missbräuchlichen Klagen fehlt. Zumin-dest für die deutsche Umsetzung erhofft sich Rechtsanwalt Lühmann, dass der Gesetzgeber die Chance nutzt und einen Klagemissbrauch durch inländische Einrichtungen weiterhin effektiv unterbindet sowie die Gelegenheit ergreift und die Verfahrensregelungen für Kollektivrechtsschutzinstrumente insgesamt, wie sie derzeit im Unterlassungsklagengesetz, dem Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage und im Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz enthalten sind, systematisch aufeinander abstimmt.Auch Janett Fahrenholz von VW baut darauf, dass im Zuge des kommenden Gesetzgebungsverfahrens Nachbesse-rungen im Musterfeststellungsverfahren vorgenommen werden. So seien nicht nur der Abwicklungsprozess, son-dern auch die Vorgaben zur Verjährungshemmung reform- beziehungsweise zumindest klarstellungsbedürftig, wie die bisherigen Erfahrungen gezeigt hätten. Wann die Umsetzung ins deutsche Recht erfolgt, ist derzeit nicht absehbar. Vermutlich werden die Arbeiten dazu erst in der nächsten Legislaturperiode beginnen. π Peggy Fiebig

× Bisher sind elf Musterfeststellungsverfahren beim Bundesamt

für Justiz (BfJ) registriert.

× Am bedeutendsten ist das Verfahren gegen VW wegen mög-

licher Dieselmanipulationen.

× Außerdem nehmen Verbraucherschützer Banken und Spar-

kassen in den Fokus.

× Unternehmen sollten frühzeitig über Fahrpläne für den Um-

gang mit Musterfeststellungsklagen nachdenken.

× Legal Technolgy bietet Unterstützung für den effektiven Um-

gang mit Massenverfahren.

× Die Richtline zur Europäischen Verbandsklage wird mögli-

cherweise noch in diesem Jahr endgültig beschlossen.

× Die Umsetzung in deutsches Recht muss innerhalb 24 Mona-

ten erfolgen, der Gesetzgeber hat hier erheblichen Spielraum.

× Experten befürchten, dass durch den Gestaltungsspielraum

der Mitgliedsstaaten ein Flickenteppich entsteht, der es Unter-

nehmen erschwert, sich auf die Regeln einzustellen.

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unternehmensjurist JOB & KARRIERE

Ω Der persönlichen Unterschrift, bei besonders wichtigen Dokumenten auch in notariell beglaubigter Form, kommt im Rechtsverkehr seit jeher eine überragende Bedeutung zu. Kein Wunder, denn sie ist von Mensch zu Mensch verschieden. So können Schriftgutachter eine persönliche Handschrift verifizie­ren und Fälscher sie nur mit größtem Aufwand glaubhaft nach­ahmen. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum der Gesetzgeber schon vor 20 Jahren die Notwendigkeit erkannte, dass elektronische Kommunikation und elektronischer Ge­schäftsverkehr sogenannte elektronische Signaturen erfordern. Sie sind quasi das Pendant zu den sonst im Rechtsverkehr üblichen persönlichen Signaturen im Schriftverkehr: Als Da­ten in elektronischer Form, die anderen elektronischen Daten beigefügt oder logisch mit ihnen verknüpft sind, dienen sie als technisches Werkzeug der Authentifizierung des Absenders. Das macht sie für den digitalen Vertragsschluss unentbehrlich. Damit sie im Zweifelsfall vor Gericht einen Beweiswert haben, müssen auch bei elektronischen Signaturen bestimmte Form­erfordernisse beachtet werden.

ES EXISTIEREN VERSCHIEDENE ARTEN VON ELEKTRONISCHEN SIGNATUREN

Die grundlegenden Regeln dafür sind in der EU­Verordnung Nr. 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrau­ensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt (elDAS) niedergelegt. Sie hat eine frühere EU­Richtlinie aus dem Jahr 1999 ersetzt. Soweit erforderlich, enthält das Ver­trauensdienstegesetz (VDG) spezifische Konkretisierungen

SICHERHEIT UND DATENSCHUTZ BEIM DLC

IM DIGITALEN RAUM LAUERN VIELE FALLSTRICKEJe mehr sich die Kommunikation von der persönlichen auf die elektronische Ebene verlagert, desto wichtiger wird es für Juristen, Dokumente auch dort rechtssicher auszutauschen. Ein Instrument hierfür ist die elektronische Signatur. Dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen kommt ebenfalls eine enorme Bedeutung zu, weil sich der Kreis derer, die sich unberechtigten Zugang verschaffen können, erheblich ausweitet. Und dann ist da noch der Schutz persönlicher Daten, die durch die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) auf neue Füße gestellt wurde. Detlef Klett von Taylor Wessing und Dr. Friedrich Popp von Debevoise & Plimpton beschäftigen sich damit am vierten Tag des Digital Legal Counsel.

LEHRGANG DIGITAL LEGAL COUNSEL

Der fünftägige interdisziplinäre Zertifikatslehrgang Digital Legal Coun-

sel wurde vom Deutschen Institut für Rechtsabteilungen und Unterneh-

mensjuristen (diruj) konzipiert und vermittelt Wissen an der Schnittstelle

von Technik und Recht. Thema des vierten Lehrgang-Tags, über den wir

hier berichten, ist „Sicherheit und Datenschutz“. Referenten sind Rechts-

anwalt und Partner Detlef Klett von Taylor Wessing und Rechtsanwalt

Dr. Friedrich Popp von Debevoise & Plimpton. Details, Termine und

Anmeldung zum Lehrgang unter:

www.diruj.de/fortbildungen

und Ergänzungen. Grundsätzlich unterscheidet die elDAS drei Arten elektronischer Signaturen, die sich in ihren tech­nischen Spezifikationen und Sicherheitsmaßnahmen zur Authentifizierung des Absenders voneinander unterscheiden: Die einfache, die fortgeschrittene und die qualifizierte elek­tronische Signatur. Die einfache elektronische Signatur reicht vom Namen unter einer E­Mail bis zum Einfügen einer zuvor gescannten Unterschrift. Die fortgeschrittene elektronische Signatur erfordert weitere technische Maßnahmen, insbe­sondere eine digitale ID und eine individuelle PIN. Sie ist üblicherweise mit einem Zertifikat versehen. Die qualifizierte elektronische Signatur wird von einer zertifizierten Stelle aus­

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JOB & KARRIERE unternehmensjurist

gegeben, etwa der Bundesdruckerei. Hierfür ist eine erstmalige Verifizierung erforderlich, etwa über Postident oder Videoident – und dies individuell für jeden einzelnen Unterzeichner. Die Signatur erfolgt mittels eines externen Kartenlesers oder ei­ner Datei. Nur die letztgenannte Form ersetzt die gesetzliche Schriftform in fast allen Rechtsgeschäften mit Ausnahme von Grundstückskaufverträgen und öffentlichen Ausschreibungen (siehe auch Grafik oben). Grundsätzlich können die Vertrags­parteien die einzuhaltende Form weiterhin frei bestimmen. Bei internationalen Verträgen richtet sich der Beweiswert einer elek­tronischen Signatur aber weiterhin nach nationalem Recht – und der ist umso größer, je höher die technischen Anforderungen an die elektronische Signatur sind. Deshalb hat die persönliche Unterschrift auch in Zukunft zweifelsfrei ihren Wert für den Abschluss von Rechtsgeschäften.

GESCHÄFTSGEHEIMNISSE MÜSSEN ANGEMESSEN GESCHÜTZT WERDEN

Der Zugang zu Geschäftsgeheimnissen und deren Verwer­tung wird im Zuge der Digitalisierung immer mehr zu einem Risiko, gegen das sich Unternehmen schützen müssen. Nicht zuletzt, weil Vorstände und Geschäftsführer für Mängel in der IT­Sicherheit persönlich zur Verantwortung gezogen wer­den können (siehe Kasten „IT­Sicherheitsrecht: Haftung und Pflichten“ links). Doch auch Arbeitnehmerwechsel und der zunehmende Technologietransfer stellen diesbezüglich eine Herausforderung dar. Weil der Schutz von Geschäftsgeheim­nissen lange Zeit nur rudimentär und lückenhaft geregelt war, schlossen Unternehmen umfangreiche Vertraulichkeits­vereinbarungen, die unter ihrem englischen Akronym NDA

Quelle: Detlef Klett,

Taylor Wessing

IT-SICHERHEITSRECHT: HAFTUNG UND PFLICHTEN

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gibt in

seinem Bericht über die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2019

einen umfassenden und fundierten Überblick über die Bedrohungen,

die der Wirtschaft im Cyber-Raum durch Schadprogramme drohen. Er

kann unter www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/

Publikationen/Lageberichte/Lagebericht2019.pdf heruntergela-

den werden. Mit 11,5 Millionen Schadprogramm-Infektionen sowie

rund 900.000 bekannten Malware-Varianten ist die Bedrohung im

Vergleich zu den Vorjahren weiter gestiegen.

Unternehmen sind in Deutschland durch zahlreiche Rechtsnormen zur

Sicherstellung von IT-Sicherheit verpflichtet – auch dort, wo dies nicht

explizit genannt wird. Das Gesellschaftsrecht nimmt Vorstände und

Geschäftsführer in Haftung, sollten sie Risiken mit wesentlicher Auswir-

kung auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft

missachten. Der allgegenwärtige IT-Einsatz in Unternehmen führt hier

zu einem erheblichen Risikopotenzial. Hinzu kommt, dass auch das

Handelsrecht jeden Kaufmann bei der Führung seiner Handelsbücher

und der Aufbewahrung seiner Unterlagen in elektronischer Form im

Rahmen der Revisionssicherheit zum Schutz der IT-Systeme verpflichtet

– bei Zuwiderhandlung drohen empfindliche Strafen. Gleiches gilt für

den Schutz personenbezogener Daten von Mitarbeitern und Kunden

über die Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO). Für die Betreiber

sogenannter kritischer Infrastrukturen wie der Strom- oder Wasserver-

sorgung gelten noch weitergehende IT-Sicherheitsanforderungen, die

unter anderem durch das BSI-Gesetz erheblich ausgeweitet wurden.

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JOB & KARRIERE unternehmensjuristJOB & KARRIERE unternehmensjurist

Kann die Fälschung einer elektronischen Signatur eigent-lich zuverlässig ausgeschlossen werden?Da es sich bei elektronischen Signaturen um ein tech­nisches Verfahren handelt, kann eine Fälschung niemals gänzlich ausgeschlossen werden. Der Schutz vor Miss­brauch hängt allerdings von der Art der elektronischen Signatur ab. Während die einfache Signatur keinen zu­sätzlichen Schutz bietet, ist das Schutzniveau bei der qua­lifizierten elektronischen Signatur (QES) ziemlich hoch. So wird neben einem technischen Schutz auch über das Post­ oder Videoidentifikationsverfahren die Identität des Inhabers der Signatur festgestellt.

Vergessene Geheimzahlen und verlorene Signaturkarten lassen die digitale Signatur wenig praktikabel erscheinen. Gibt es neue, bessere Verfahren?Auch klassische Signaturverfahren können praktikabel aus­gestaltet werden. So benötigt man bei der QES nicht unbe­dingt ein Lesegerät. Es besteht auch die Möglichkeit, sich das entsprechende Zertifikat als Datei schicken zu lassen und diese dann auf dem eigenen Rechner zu speichern. Der Si­gnierungsvorgang ist dann sehr praktikabel. Nach der eIDAS Verordnung sind sogar cloudbasierte Signaturen zulässig.

Wie „wasserdicht“ ist Ihrer Einschätzung nach das im April 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäfts-geheimnissen (GeschGehG)? Nach § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG müssen „angemessene Ge­heimhaltungsmaßnahmen“ ergriffen werden, damit über­haupt ein Geschäftsgeheimnis vorliegt. Diese Voraussetzung führt in der Praxis zu Schwierigkeiten. Unklar ist nämlich, welche Anforderungen an die Geheimhaltungsmaßnahmen zu stellen sind. Die Literatur und die Gesetzesbegründung erachten neben diversen technischen und organisatorischen Maßnahmen auch den Abschluss von Geheimhaltungsver­einbarungen als notwendig. Da im deutschen Recht aber der Grundsatz „Vertrag vor Gesetz“ gilt, fragt man sich, wo dann überhaupt noch der Anwendungsbereich des Geschäftsge­heimnisgesetzes sein soll.

Die Digitalisierung verändert viele Bereiche des Lebens und die damit verbun-denen rechtlichen Voraussetzungen. Autonomes Fahren, künstliche Intelli-genzen oder Maschinen, die Verträge schließen, gehören zum Spezialgebiet von Rechtsanwalt Detlef Klett, Partner im Düsseldorfer Büro von Taylor Wessing und Fachanwalt für IT-Recht.

„Fälschungen bei der elektronischen Signatur sind möglich.“

(Non­Disclosure Agreement) bekannt sind. Zur Förderung eines einheitlichen und standardisierten Geheimnisschut­zes erließ die Europäische Union (EU) 2016 die Richtlinie 2016/943 zum Schutz vertraulichen Know­hows und vertrau­licher Geschäftsinformationen vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie mit dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), das im April 2019 in Kraft getreten ist, umgesetzt. Die bisher üblichen Vertrau­lichkeitsvereinbarungen bleiben jedoch auch in Zukunft von Bedeutung, denn das neue Stammgesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen bietet keinen ausreichenden Schutz.

„Der Schutz vor Missbrauch hängt von der Art der

elektronischen Signatur ab.“

Damit es für Unternehmen überhaupt eine positive Wirkung entfaltet, müssen zwingend angemessene Geheimhaltungs­maßnahmen eingerichtet werden. Wie diese im Einzelnen konkret aussehen müssen, hängt von der Art des Geschäfts­geheimnisses und von den genauen Umständen der Nutzung ab. Auch sein Wert und seine Entwicklungskosten sowie die Bedeutung für das Unternehmen spielen dabei eine Rolle. Geheimhaltungsmaßnahmen können technische und orga­nisatorische Maßnahmen wie Zutrittsbeschränkungen zu Gebäuden und Räumen, Zugangsbeschränkungen zu Syste­men über biometrische Benutzeridentifikation und weitere IT­Sicherheitsmaßnahmen sowie Zugriffs­ und Nutzungs­

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unternehmensjurist JOB & KARRIERE

Welche Kundendaten dürfen Unternehmen erfassen, spei-chern und verwenden? Und dürfen sie diese straflos an Dritte weitergeben?Unternehmen dürfen solche Daten ihrer Kunden verarbeiten oder an Dritte weitergeben, die sie zur Erfüllung ihrer vertrag­lichen oder gesetzlichen Pflichten benötigen oder bei denen das Unternehmensinteresse an der Verarbeitung die Kunden­interessen übersteigt. Welche Daten dies im konkreten Fall sind, hängt vom Unternehmen und der Kundenbeziehung ab: Ein Arzt darf andere Daten sammeln als ein Schreiner. Und auch der Arzt darf nur solche gesundheitsbezogenen In­formationen an ein Labor weitergeben, die für eine konkrete Behandlung erforderlich sind. Was erforderlich ist, bestimmt sich demnach auch durch die unternehmerische Freiheit, die Datenschutzrechte durchaus beschränken kann.

Ist ein Unternehmen überhaupt von der DS-GVO betroffen, wenn es gar keine personenbezogenen Daten erhebt?In der Tat müsste sich ein Unternehmen ohne personenbe­zogene Daten nicht um die DS­GVO kümmern, denn die Verordnung knüpft gerade an die Verarbeitung personenbezo­gener Daten an. Wie aber will ein Unternehmen mit mensch­lichen Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden der Verordnung

entkommen? Der Begriff der personenbezogenen Daten ist denkbar weit definiert und erfasst sämtliche Informationen, die sich auf eine identifizierbare Person beziehen. Ganz klar können Name, Geburtsdatum und Adresse einen Menschen identifizieren. Unbemerkt bleibt manchmal, dass selbst ein inhaltsleeres elektronisches Dokument in seinen Metadaten Informationen über seinen Ersteller preisgeben kann.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der DS-GVO war die Un-sicherheit in der Geschäftswelt mit Händen zu greifen. Hat sich das zwischenzeitig gelegt?Die Unsicherheit im Umgang mit der Verordnung hat sich sicherlich noch nicht zur Gänze gelegt, weil Behörden und Unternehmen weiter in das Regelwerk hineinwachsen müs­sen und weil sich zu einigen Fragen noch keine gesicherte oder einheitliche Praxis entwickelt hat. Jedenfalls hat die sehr umsichtige Vollzugspraxis der deutschen Behörden der ursprünglichen Panikmache den Wind aus den Segeln ge­nommen und die Diskussion versachlicht. Soweit ersichtlich, haben die Behörden dann auch nur in solchen Fällen maßvolle Bußgelder verhängt, bei denen der Datenschutz von vorn­herein im Argen lag und beharrliche Uneinsichtigkeit oder fehlende Kooperation eine staatliche Reaktion erforderten.

Die Interviews führte Christine Demmer.

Das Internet ist alles andere als ein rechtsfreier Raum. Vor allem das Daten-schutz- und das Urheberrecht sind strengstens zu beachten. Darüber informiert Dr. Friedrich Popp, Mitglied des Litigation Departments der Kanzlei Debevoise & Plimpton am Standort Frankfurt/Main.

beschränkungen („Need­to­know­Prinzip“) sein. Flankierend können personelle Maßnahmen wie die Schulung von Mitar­beitern und Weisungen zum Umgang mit Geschäftsgeheim­nissen getroffen werden.

DIE DS-GVO VEREINHEITLICHT DAS DATENSCHUTZRECHT

Datenschutz ist für alle Unternehmer, das heißt für alle Dienstleister sowie Betreiber von Websites und Webshops, ein wichtiges Thema. Ob Nutzertracking, Kundenbestellungen

oder E­Mail­Kampagnen: Immer spielt der Datenschutz eine wesentliche Rolle. Mit der seit 25. Mai 2018 in der gesamt­en EU verbindlichen neuen Datenschutz­Grundverordnung (DS­GVO) wurden viele Grundsätze des Datenschutzrechts nach dem alten Bundesdatenschutzgesetz fortgeschrieben, aber auch detailliert und mit Sanktionen unterlegt. Vor allem die hohen Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro und viele offene Fragen sorgten bei den Unternehmen zumindest anfänglich für erhebliche Unruhe. Auf der anderen Seite vereinheitlicht die DS­GVO das Datenschutzrecht innerhalb der EU, da bisher länderindividuelle Datenschutzgesetze und damit unterschiedliche Standards galten. Unternehmer

„Auch ein leeres Dokument enthält Daten.“

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48 Ausgabe 6/2020

JOB & KARRIERE unternehmensjurist

ZUM WEITERLESEN

DATENSCHUTZ BEI M&A

Kaum ein Aspekt bei Übernahmen und Zusammenschlüssen von Unter-

nehmen ist so heikel wie die Prüfungs- und Verhandlungsphase. Hier

entscheidet sich, ob und in welcher Weise die Transaktion zustande

kommt. Während potenzielle Übernahmekandidaten und Partner

im Rahmen der normalen Marktbeobachtung in den Blickpunkt des

Interesses rücken, gilt es bei der Due Diligence, ihre geschäftlichen

Grundlagen und ihre Performance auf Herz und Nieren zu prüfen.

Wer dabei kleine, aber wichtige Details übersieht, gefährdet den

Erfolg des gesamten Deals. Dabei muss gerade aus Sicht der Zielge-

sellschaft sichergestellt werden, dass sensible Daten nur stufenweise

offengelegt und anschließend nicht zweckentfremdet werden können.

Aus Sicht des erwerbenden Unternehmens stellt sich die Proble-

matik völlig anders dar. Hier geht es vor allem um die möglichst

reibungslose Integration wertvoller Datenbestände in das eigene

Unternehmen. Zudem müssen Kunden-, Lieferanten- und Mitarbei-

terdaten, die vielleicht sogar den wesentlichen Wert des Unter-

nehmens darstellen, gegenüber Dritten geschützt werden. Dabei

müssen die relevanten Rechte der Betroffenen beachtet werden.

Das reicht von der bloßen Auskunft bis zur Berichtigung, Löschung

und Einschränkung von Daten.

Technisch und organisatorisch stellt allein der Datenschutz bei

M&A-Transaktionen eine Herausforderung dar. Im gemeinsamen

Interesse sollten daher die Datenflut aufs Notwendige reduziert und

gemeinsame Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Datenüber-

mittlungen in Drittstaaten müssen dabei abgesichert und daten-

schutzrelevante Entscheidungen zum Nachweis der Compliance

unbedingt dokumentiert werden.

„Was mir besonders gut gefallen hat: Viele Vorträge waren mit Beispielen aus der Praxis

unterlegt, was die spätere Umsetzung erleichtert. Auch was man im Umgang mit

Inf luencern, bei der Gestaltung von Websites und im Online-Marketing beachten muss,

fand ich spannend. Sehr zielführend waren auch die Vorträge zum Datenschutz, zum

Wettbewerbsrecht und zum Cloud-Computing. Die Vermittlung von technischen Aspekten

und rechtlichen Fragestellungen hat mir sehr gut gefallen.“

– Sina Rintelmann, Leiterin Konzerndatenschutz und Informationssicherheit,

VHV Vereinigte Hannoversche Versicherung a.G.

unternehmensjurist Ausgabe 3/20, S. 40: „Was Unter-

nehmensjuristen über Informationstechnik wissen sollten“.

unternehmensjurist Ausgabe 4/2020, S. 44: „Wie Hase

und Igel – das Recht und die Technik“.

können also künftig darauf vertrauen, dass innerhalb der EU ein weitgehend einheitliches Datenschutzrecht gilt. Die Ver­ordnung betrifft auch Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, wenn diese Daten von Personen aus der EU verarbeitet werden. Cloud­Dienste oder soziale Netzwerke, etwa aus den USA, müssen sich daher ebenfalls an die Regeln halten. Neben der Vereinheitlichung des Datenschutzes soll er vor allem den betroffenen Nutzern Verbesserungen bringen, denn der wichtigste Anknüpfungspunkt im Anwendungsbe­reich der DS­GVO sind die personenbezogenen Daten. Das sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare Person beziehen. Wann immer eine Person direkt oder indirekt mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, einer Kennnummer, Standortdaten oder anderen besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, wird sie durch die DS­GVO geschützt. Die Möglichkeit der Identifizierung einer Person reicht dafür bereits aus. Deshalb betrifft die DS­GVO nicht nur Unternehmen, die im Internet aktiv sind, sondern alle, die Daten über Mitarbeiter oder Kun­den digital erfassen – was nur theoretisch nicht für sämtliche Unternehmen gilt. Daher kommt dem Datenschutz und der Einhaltung der DS­GVO auch im sensiblen Bereich von Merger & Acquisitions eine wachsende Bedeutung zu (siehe Kasten links). π Christine Demmer/ Christoph Neuschäffer