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Ausgabe 2/2017, 9. Jg. DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK thema: offener austausch | klima: buchhalter des eises | pharma: phytovalley tirol labor: bohrkernanalysen | soziologie: pflege in der zukunft | recht: demokratie und effizienz | mathematik: wörterbuch aus daten | physik: nanomagnete in der schwebe OFFENES WISSEN zukunft forschung

Ausgabe 2/2017, 9. Jg. zukunft - uibk.ac.at

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Ausgabe 2/2017, 9. Jg.

DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK DAS MAGAZIN FÜR WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK

thema: offener austausch | klima: buchhalter des eises | pharma: phytovalley tirollabor: bohrkernanalysen | soziologie: pflege in der zukunft | recht: demokratie undeffizienz | mathematik: wörterbuch aus daten | physik: nanomagnete in der schwebe

OFFENES WISSEN

zukunftforschung

Page 2: Ausgabe 2/2017, 9. Jg. zukunft - uibk.ac.at

zukunft forschung 02/172 Foto: Andreas Friedle

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zukunft forschung 02/17 3

EDITORIAL

E s gibt keine österreichische, englische oder israelische Wissenschaft“, sagte der Chemie-Nobelpreisträger Dan Shechtman, als er im Oktober an der Universität Inns-

bruck über seine Forschungen zu Quasikristallen erzählte. Wis-senschaft war immer schon grenzüberschreitend; sie lebt von der Offenheit und dem freien Austausch von Wissen. An der Universität Inns bruck wird diese Offenheit sehr intensiv gelebt, entstehen doch beinahe drei Viertel der Forschungsarbeiten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern im Ausland.

Dieser globale Austausch erfordert aber auch einen freien Zugang zu den Forschungsergebnissen, zu den Daten aus Ex-perimenten und zur entsprechenden Software. Aktuell gibt es in der Wissenschaftsgemeinde eine breite Initiative zur Stär-kung der freien Veröffentlichung von Forschungsergebnissen. Auch die Universität Inns bruck hat in diesem Jahr eine Open-Access-Policy in Kraft gesetzt. Mit der Einrichtung einer Koor-dinationsstelle Open Access an der Universitäts- und Landes-bibliothek bietet die Universität den Forschenden überdies eine Anlaufstelle für alle Fragen rund um dieses Thema. Auch der Universitätsverlag innsbruck university press unterstützt bereits seit Langem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Realisierung von Open-Access-Publikationen und gibt meh-rere frei zugängliche Zeitschriften heraus. Wir stellen Ihnen im

Schwerpunkt dieser Ausgabe einige ausgewählte Projekte vor, die auf dem offenen Austausch von Wissen beruhen oder die Offenheit in der Forschung direkt thematisieren.

Diese Ausgabe gibt Ihnen darüber hinaus wieder einen brei-ten Überblick über aktuelle Forschungsvorhaben und Ergeb-nisse aus der Grundlagenforschung und angewandten For-schung an der Universität Inns bruck. Der Transfer zwischen Grundlagen und Anwendung wird auch ein zentraler Aspekt des neuen Michael-Popp-Forschungsinstituts für die Entwick-lung von pflanzlichen Wirkstoffen sein. Gestiftet wird das In-stitut vom Vorstandsvorsitzenden von Bionorica SE, Michael A. Popp, und dem Land Tirol. Damit entsteht ein weiterer wichtiger Baustein für ein „Phytovalley Tirol“, das Tirol zum Zentrum der Entwicklung von hochwirksamen und nebenwir-kungsarmen Wirkstoffen aus Pflanzen machen soll.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre und freuen uns über Ihre Fragen und Anregungen!

TILMANN MÄRK, REKTOR ULRIKE TANZER, VIZEREKTORIN FÜR FORSCHUNG

IMPRESSUMHerausgeber & Medieninhaber: Leopold-Franzens-Universität Inns bruck, Christoph-Probst-Platz, Innrain 52, 6020 Inns bruck, www.uibk.ac.at Projektleitung: Büro für Öffentlichkeitsarbeit und Kulturservice – Mag. Uwe Steger (us), Dr. Christian Flatz (cf); [email protected]: KULTIG Corporate Publishing – Koch & Partner KG, Maria-Theresien-Straße 21, 6020 Inns bruck, www.kultig.at Redaktion: Mag. Melanie Bartos (mb), Mag. Eva Fessler (ef), Mag. Andreas Hauser (ah), Mag. Stefan Hohenwarter (sh), Daniela Pümpel, MA (dp), Mag. Susanne Röck (sr) Layout & Bildbearbeitung: Florian Koch, Lara Hochreiter Fotos: Andreas Friedle, Universität Inns bruckDruck: Gutenberg, 4021 Linz – Dieses Produkt stammt aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern und kontrollierten Quellen.

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,

Foto: Uni Inns bruck

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BILD DERWISSENSCHAFT

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INHALT

Wissenschaft ist Kunst und Kunst ist Wissenschaft. Für seine neue Ausstellung hat sich der Tiroler Künstler Thomas Feuerstein mit stein-fressenden Bakterien beschäftigt und wurde in der Vorbereitung und Umsetzung von Thomas Pümpel und seinem Team vom Institut für Mikrobiologie unterstützt. Kultiviert in einem Bioreaktor produzie-

ren die vom Eisenerz Pyrit und von Kohlendioxid lebenden Bakterien Schwefelsäure, die durch Schläuche in die Replik einer klassischen Marmor skulptur eingeleitet wird und langsam beginnt, die Oberfläche zu zersetzen. Die Verbindung von Wissen, Erfahrung und Kunst macht diese Kooperation zu etwas Besonderem.

TITELTHEMA ASTRONOMIE. In der Weltraumforschung haben der offene Zugang zu Daten und weltweite Kooperationen Tradition, um gemeinsam Blicke in ferne Galaxien zu werfen. 8

INTERVIEW. Eva Ramminger und Justus Piater über den freien Zugang zu Wissen und die Macht der Wissenschaftsverlage. 12

ROMANISTIK. Das Archiv für Textmusik in der Romania setzt auf ATeM, eine kulturwissenschaftliche Open-Access-Fachzeitschrift. 14

STATISTIK. Quelloffene Software spielt in der Statistik eine bedeutende Rolle – die Programmiersprache R ganz besonders. 16

DIGITALISIERUNG. Leonhard Dobusch, Experte für digitale Rechts-fragen, sagt: „Auch digitale Offenheit braucht Organisation.“ 18

FORSCHUNGGEOLOGIE. Ein neues Labor an der Uni Inns bruck ermöglicht Michael Strasser eine präzise Analyse von Bohrkernen, die Hinweise auf künftige Klimabedingungen und Extremereignisse liefern. 26

RECHTSWISSENSCHAFT. Wie Effizienz als verfassungsrechtlicher Begriff und Demokratie zusammengehen, erforscht Maria Bertel. 30

MATHEMATIK. Jeder von uns erzeugt Unmengen an Daten. Karin Schnass arbeitet daran, diese Daten auch optimal auszuwerten. 32

QUANTENPHYSIK. Quantenphysiker um Oriol Romero-Isart lassen Nanomagnete über einem Magnetfeld schweben. 37

SOZIOLOGIE. Abhängigkeit im Alter muss gesellschaftsfähig werden, damit das Pflegesystem neu aufgesetzt werden kann. 38

PHYSIK. Ein Forscherteam präsentiert eine Gesamtschau der orga-nischen Kohlenstoffe in der Atmosphäre über einem Waldgebiet. 39

PHYTOWISSENSCHAFT. Michael A. Popp und Günther Bonn über das neue Forschungsinstitut für die Entwicklung pflanzlicher Wirk-stoffe und die Stärkung des „Phytovalley Tirol“. 39

EDITORIAL/IMPRESSUM 3 | BILD DER WISSENSCHAFT: KUNST & BAKTERIEN 4 | NEUBERUFUNG: MARTINA KRAML 6 | FUNDGRUBE VERGANGEN HEIT: HUGO RAHNER 7 | BILDGLOSSAR:

CITIZEN SCIENCE PROJEKTE 20 | MELDUNGEN 24 + 40 | WISSENSTRANSFER: PROTOTYPEN: SCHAUMBETON, SPIEGELLAMELLE, OBERFLÄCHENBESCHICHTUNG 34 | KARRIEREGIPFEL 42 |

PREISE & AUSZEICHNUNGEN 45 | ZWISCHENSTOPP: JAMES FERREIRA 48 | SPRUNGBRETT INNS BRUCK: SIMON BRANDL 49 | ESSAY: HEIMLICHE WISSENSCHAFT? von Timo Heimerdinger 50

RUBRIKEN

TITELTHEMA. Wissenschaft ist grenzüberschreitend und lebt von der Offenheit sowie dem freien Aus-tausch von Wissen. ZUKUNFT FORSCHUNG geht der Frage nach, wie diese Offenheit an der Universität Inns bruck gelebt wird.

STANDORT. Bruno Buchberger konzipierte Ende der 1990er-Jahre in Innsbruck das neue Informatik institut und -studium. Immer im Fokus hatte er dabei drei Achsen: Logik, Mathematik und Anwendung.

KLIMA. Am Langenferner bestimmt Stephan Galos jährlich die Massenbilanz, für den Meteorologen ein wichtiger Link zwischen atmosphärischen Verhältnis-sen und der Entwicklung der Gletscher.

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Fotos: Andreas Friedle (1), Stephan Galos (1), Aleksandra Pawloff (1) COVERFOTO: AdobeStock/Mopic (1), NASA/JPL-Caltech/2MASS (1); BILD DER WISSENSCHAFT: Thomas Feuerstein

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zukunft forschung 02/176 Foto: Andreas Friedle

NEUBERUFUNG

GRENZGÄNGERINMartina Kraml, seit März 2017 Professorin für Katechetik,

Religionspädagogik und Religionsdidaktik beziehungsweise Fachdidaktik, bewegt sich sowohl an fachlichen als auch an religiösen Grenzen.

I n ihrer Funktion als Professorin für Reli-gionspädagogik und Religionsdidaktik ist Martina Kraml zu jeweils 50 Prozent

an der Katholisch-Theologischen Fakultät und der School of Education tätig. „Die Ar-beit an zwei Fakultäten ist eine besondere Herausforderung, befruchtet sich aber ge-genseitig sehr“, erklärt Martina Kraml. „Ein weiterer Bereich, in dem ich mich gerne über Grenzen hinweg bewege, ist die interreligi-öse Zusammenarbeit.“ So ist die Theologin sowohl Studienbeauftragte für Katholische als auch für Islamische Religionspädagogik. Als praktische Theologin beschäftigte sich Kraml schon früh mit dem Thema Interreli-giösität, betont aber, dass es dabei um einen Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern an-

derer Religionen geht und nicht um ein Ge-spräch über sie. „2008 war es uns im Rahmen des Kongresses ‚Kommunikative Theologie‘ in Telfs ein Anliegen, das Zusammenleben von Christen, Muslimen und säkularisierten Menschen zu erforschen. Schon damals ha-ben wir gemerkt, wie wichtig es ist, dass die Perspektiven gleichgewichtig vertreten sind.“ Seitdem engagiert sich Kraml in zahlreichen Projekten der interreligiösen Zusammenarbeit für diese Art des Miteinanders. Den eigenen Glauben sieht sie dabei als Vorteil: „Eine Ver-ständigung der Religionen funktioniert mei-ner Ansicht nach nicht von einem neutralen Standpunkt aus, da hier die Sensibilität für den Glauben an sich verloren geht. Der invol-vierte Standpunkt – die Innensicht – ist un-verzichtbar, wenn es um Dialog geht. Wenn es kompliziert wird – und das ist dieser Dialog auf jeden Fall –, tendiert man oft dazu, etwas ganz zu vermeiden. Ein Standpunkt, der Religion immer weniger öffentlichen Raum zugesteht, ist meiner Meinung nach aber der falsche Zugang.“ Ängste vor einer Vermi-schung der Religionen sollten laut Kraml be-arbeitet werden. „In ‚dritten Räumen‘, in dem man manche festgefahrene Positionen aufge-ben kann, wäre ein guter Dialog möglich“, so die Theologin: „Die Universität kann hier eine wichtige Rolle spielen.“

Kompetenz für VielfaltEinen Weg des Miteinanders der Religionen will Martina Kraml auch ihren Studierenden mit auf den Weg geben. Gemeinsame mit dem Institut für Islamische Religionspädagogik organisierte religionsübergreifende Lehrver-anstaltungen, in denen Vertreterinnen und Vertreter beider Religionen zu Wort kommen, sollen die künftigen Religionspädagoginnen und Religionspädagogen für ein selbstver-ständliches Miteinander sensibilisieren „Eines meiner wesentlichen Ziele in der Lehre ist es, meinen Studierenden die Kompetenz mitzu-geben, mit Vielfalt umgehen zu können. Denn als Lehrerinnen und Lehrer sind sie auch Mul-tiplikatorinnen und Multiplikatoren, die weit in die Gesellschaft wirken können.“ sr

MARTINA KRAML, gebür-tige Vorarlbergerin, war erst als Volksschullehrerin tätig, bevor sie ihr Studium der Selbst-ständigen Religionspädagogik und Christlichen Philosophie in Inns bruck begann. Nach einigen Jahren der Unterrichts-tätigkeit an verschiedenen Schultypen begann sie 1998 ihr Doktoratsstudium im Fach-bereich Katechetik/Religionspä-dagogik und Religionsdidaktik an der Uni Inns bruck, das sie 2001 abschloss. Nach einer Zeit als Universitätsassistentin und später als assoziierte Pro-fessorin am Institut für Prak-tische Theologie folgte 2013 die Habilitation. Am 1. März 2017 wurde Kraml als Universi-tätsprofessorin berufen.

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zukunft forschung 02/17 7Fotos: Universitätsarchiv Inns bruck

FUNDGRUBE VERGANGENHEIT

EUROPÄISCHER THEOLOGEHugo Rahner erforschte die Kirchenväter, sah das Christentum als gemeinsame Vergangenheit Europas und lebte eine Theologie der Verkündigung – im Dezember 2018 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.

S ind Sie der Bruder des berühmten Rahner?“, soll Hugo Rahner oft ge-fragte worden sein, ähnlich oft soll

er ironisch geantwortet haben: „Nein, das ist mein Bruder.“ Hugo war der ältere der zwei Rahner-Brüder, die sich beide dem Studium der Theologie (Promotion und Habilitation an der Universität Inns-bruck) verschrieben hatten, die beide dem Jesuitenorden beigetreten waren und die beide Professoren an der The-ologischen Fakultät der Uni Inns bruck wurden. In allem war Hugo etwas früher dran als der um vier Jahre jüngere Karl, bis in die 1960er-Jahre hinein war er auch der bekanntere Theologe.

„Die Bedeutung von Hugo Rahner liegt einerseits in seiner Rolle als Patristiker, als einer, der sich mit der Zeit der Kirchen-väter, mit der Bildtheologie der frühen katholischen Kirche und mit dem Wei-terleben der antiken in der christlichen Welt wissenschaftlich auseinandersetzte“, sagt Thomas Karmann vom Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert herrschte in der katholischen Kirche eine starke Zurückhaltung gegen-

über biblisch-historischer Forschung, sie sei gefährlich und würde den Glauben in Frage stellen. „Ein Ausweg für Kir-chenhistoriker war, sich mit theologisch problemlosen Themen zu beschäftigen“, weiß Karmann. Das tat auch Hugo Rah-

ner, „doch er erzeugte mit ihnen eine große theologische Relevanz.“

Als Kirchenhistoriker und Jesuit be-fasste sich Rahner mit dem Ordensgrün-der Ignatius von Loyola (1491 – 1556), seine Forschungen über dessen Spirituali-tät und Rolle als Mann der frühen Neuzeit sind für Karmann „bahnbrechend“, Rah-ner als „europäisch Denkender“ auch heu-te relevant. Eine Relevanz, die ein von Karmann organisiertes Symposium zu dessen 50. Todestag (17.–18. Jänner 2019) beleuchten soll. Zur Sprache wird dabei auch ein weiterer Aspekt in Rahners Wir-ken kommen, das ihn weit über Inns bruck hinaus bekannt machte. „Untypisch für Patristiker verknüpfte er seine Forschun-gen mit der theologischen Praxis, nutzte seine Funktion als Seelsorger sowie Reden an der Universität oder auf Tagungen, um kirchenhistorische Erkenntnisse der Öf-fentlichkeit mitzuteilen“, berichtet Kar-mann. Diese Theologie der Verkündigung war ein Markenzeichen Inns brucks zwi-schen den 1930er- und 1950er Jahren, ge-tragen von Theologen wie Andreas Jung-mann, Karl Rahner – und seinem be-rühmten Bruder Hugo. ah

HUGO RAHNER SJ (1900-1968) trat 1919 in den Jesuitenorden ein. Von 1926 bis 1931 studierte er in Inns-bruck Philosophie und Katholische Theologie,

1929 wurde er zum Priester geweiht. Nach der Promotion (1931) folgte ein Stu-dium der Geschichte in Bonn (Promotion 1934), die Habilitation (1935) und die Pro-fessur für Kirchen- und Dogmengeschichte und Patrologie (1937) in Inns bruck. Nach der Aufhebung der Fakultät durch die Nationalsozialisten dozierte er bis 1945 an der Päpstlichen Theologischen Fakultät in Sion. Zurück in Inns bruck wurde er zweimal Dekan der Theologischen Fakul-tät, einmal Rektor der Universität. Eine schwere Krankheit erzwang 1963 seine vorzeitige Pensionierung.

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zukunft forschung 02/178 Foto: Andreas Friedle

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OFFENE UNENDLICHE

WEITENDie Messung von Gravitationswellen und Lichtsignalen nach der Kollision zweier

Neutronensterne in einer fernen Galaxie bedeutete im Sommer 2017 eine wissenschaftliche Sensation. An der Entdeckung waren weltweit mehr als 70 Observatorien beteiligt, über 3900 Forscherinnen und Forscher publizierten die Ergebnisse. Nicht der einzige offene Zugang zu

Wissen in der Welt der Astrophysik.

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S eit Juni 2008 umkreist das Fermi Gam-ma-ray Space Telescope unsere Erde und soll in den unendlichen Weiten

des Weltalls Quellen hochenergetischer Gammastrahlen finden und ihre Eigenschaf-ten untersuchen. Olaf Reimer, Professor für Astro- und Teilchenphysik an der Universität Inns bruck, ist seit mehr als 15 Jahren Teil des Fermi-Teams. Auch wenn am Team rund 100 Forscherinnen und Forscher aus zwölf Län-dern beteiligt sind, sei man, so Reimer, in der Auswertung der Daten, die über das NASA-Weltraumteleskop generiert werden, limitiert. Daher ist es Usus und von Seiten der NASA Bedingung, diese Daten derart aufzubereiten, dass sie auch für externe Forscher zugänglich und verwertbar sind. Was man mit diesen Daten machen kann, zeigte 2010 ein Team rund um den Harvard-Astronomen Doug Finkbeiner. Es kitzelte aus den Daten eine un-bekannte gigantische Struktur innerhalb der Milchstraße heraus, die von ihnen entdeckten Fermi-Bubbles schafften es als wissenschaft-liche Sensation ins NASA News Release und auf das Cover von Scientific American.

„Als Mitglied des Fermi-Teams war ich natürlich beschämt, dass wir das nicht selbst entdeckt haben, als Forscher bin ich aber er-freut, dass unsere Daten von anderen für die-se fundamentale Entdeckung genutzt werden

konnten“, sagt Reimer. Dieser offene Zugang zu Daten ist für den Weltraumforscher (fast) selbstverständlich, er hat in seiner Disziplin Tradition – so einigte man sich etwa schon zu Beginn der 1980er-Jahre auf die Datenformate für den öffentlichen Gebrauch.

„Ein Grund für den offenen Umgang mit Daten liegt darin, dass in den USA Funding Agencies wie z. B. die NASA das öffentliche Zur-Verfügung-Stellen fordern, da mit Steu-ermitteln, und zwar mit beträchtlichen, ge-forscht wird“, berichtet der Astrophysiker. Schon in Projektanträgen müssen Anteile am Gesamtbudget für Public Outreach reserviert werden, will man Projektdaten exklusiv pu-

TITELTHEMA

Fotos: NSF/LIGO/Sonoma State University/A. Simonnet (Seite 8/9), G. Pérez/IAC/SMM (1), Andreas Friedle (1)

BILD SEITE 8/9: Das Univer-sum sehen und zugleich auch zu hören gelang Astronomin-nen und Astronomen im Som-mer 2017, gemessen wurden die Gravitationswellen und das Aufleuchten eines Zusam-menstoßes zweier Neutro-nensterne. Die Beobachtung gelang am 17. August mithilfe der Gravitationswellen-Obser-vatorien LIGO in den USA und VIRGO in Italien sowie von rund 70 Observatorien. An der Daten-Auswertung war auch das Team von Olaf Reimer beteiligt.Die Illustration der Neutro-nensternenkollision stammt von Aurore Simonnet von der Sonoma State University.

OLAF REIMER (Jahrgang 1965) studierte an der Universität Leipzig Physik. Danach war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni-versität Siegen, wo er 1995 promovierte. Es folgten Forschungsaufenthalte am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, am NASA Goddard Space Flight Center sowie am Institut für Theoretische Weltraum- und Astrophysik der Uni Bochum. 2005 wechselte Reimer an die Stanford University (Hansen Experimen-tal Physics Laboratory und Kavli Institute for Astroparticle Physics and Cosmology). 2009 übernahm er an der Universität Inns bruck die Professur für Astro- und Teilchenphysik.

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zukunft forschung 02/17 11

CHERENKOV TELESCOPE ARRAY: Moderne Cherenkov-Teleskop-Experimente wie H.E.S.S., MAGIC oder VERITAS bestehen aus bis zu fünf Teleskopen, teilweise sogar verschiedener Teleskoptypen. Diese Experimente haben in den letzten Jahren gezeigt, dass unser Himmel von einer Vielzahl von Gammaquellen bevölkert ist und haben damit Gammaastronomie als innova-tiven und spannenden Zweig der Astronomie etabliert. Um diese Gammaquellen im Detail zu studieren (hochaufgelöst und über einen breiten Ener-giebereich) und neue, weniger helle Quellen und Quelltypen zu detektieren, stoßen diese Experimente jedoch bereits an die Grenzen ihrer Möglich-keiten. Das Projekt „Cherenkov Telescope Array – CTA“ ist nun eine Initiative zum Bau des nächsten bodengebundenen Instruments zur Beobachtung von sehr hochenergetischer Gammastrahlung. „Wir sehen uns nicht mehr als H.E.S.S., MAGIC oder VERITAS und somit als Konkurrenz, sondern bauen CTA gemeinsam“, sagt H.E.S.S.-Mitglied Olaf Reimer. Die Standorte von CTA werden auf La Palma/Kanaren und in der chilenischen Atacama-wüste sein. Als ein offenes Observatorium wird es einer breiten Astrophysik-Commu-nity zur Verfügung stehen und wird tiefe Einsichten in das nichtthermische hochener-getische Universum bieten. Österreich ist mit dem Institut für Astro- und Teilchenphysik der Universität Inns bruck an CTA beteiligt.

blizieren, ist das von Seiten der NASA ein Ausschließungsgrund. Ähnliches plant die EU, eine Entwicklung, die Reimer begrüßt. „Wenn uns schon so viel Geld zur Verfügung gestellt wird, um unsere Experimente durch-zuführen, haben wir die moralische Verpflich-tung, unseren Kollegen Ergebnisse und Da-ten, der Öffentlichkeit auch Bilder und Him-melskarten zur Verfügung zu stellen.“

Wobei, das mit den Daten sei so eine Sache, räumt Olaf Reimer ein: „Im Fermi-Team hat uns die Diskussion, welche Art von Daten wir veröffentlichen, viel Zeit gekostet.“ Die Roh-daten kann fast niemand verwerten, daher bringt das Instrumenten-Team „nach bestem Wissen und Gewissen“ diese in eine Form, mit der externe Forscher etwas anfangen können. „Der Prozess, aus gemessenen Rohdaten In-formationen zu erhalten, ist aber kein objek-tiver“, gibt der Inns brucker Forscher zu. Um die notwendige Transparenz zu gewährleisten, wird das Prozedere regelmäßig überdacht und gegebenenfalls verbessert. Ein anderes Modell ist die Arbeit mit Externen. „Bei komplizierten Experimenten laden wir Wissenschaftler zur Zusammenarbeit ein. Solche Kooperationen eröffnen die Chance, in Bereiche vorzudrin-gen, für welche die Expertise unseres Teams nicht ausgereicht hätte“, sagt Reimer.

Weltweites BeobachternetzEingeladen zur Kooperation wurden im heu-rigen Sommer auch die Betreiberteams von rund 70 Weltraumteleskopen. Im August fin-gen die Detektoren VIRGO (Italien) und LIGO (USA) Signale von Gravitationswellen ein, die durch den Zusammenstoß zweier Neutronen-sterne verursacht wurden. Den Experten ge-

lang es auch, grob den Ursprungsort zu loka-lisieren – in einer Galaxie, die 130 Millionen Lichtjahre entfernt ist. Die Information ging innerhalb kürzester Zeit an die 70 Observa-torien weiter, die daraufhin den Weltraum beobachteten – und quasi das „Nachglühen“ der Kollision einfangen konnten. „Die Daten, die von VIRGO und LIGO gemessen wurden, sind nicht öffentlich“, schränkt Reimer den Open Access ein, „offen war aber die Infor-mation, wo etwas stattgefunden hat.“ Ein extremer Zeitdruck habe danach geherrscht, das Ereignis schnellstmöglich zu veröffentli-chen, ein Termin wurde für Oktober festge-setzt, wissenschaftliche Publikationen zum Thema mussten zeitgerecht fertig sein. „Bei über 70 beteilig ten Kollaborationen mit ihren vielen Mitgliedern braucht es normalerweise Monate, wenn nicht Jahre, bis eine Publika-tion fertig ist“, weiß Reimer. Doch es klappte, rund 3900 Forscherinnen und Forscher waren schlussendlich an den Veröffentlichungen be-teiligt, selbst Nature passte wegen der Presse-konferenz zur Astro-Sensation den Erschei-nungstermin der Publikationen an.

Natürlich, sagt Reimer, sei es auch von Vor-teil, „dass meine Disziplin Grundlagenfor-schung am Rande der Verwertung ist“. Bis Entwicklungen aus der Weltraumforschung wie z. B. GPS oder Teflon reif für einen breiten Markt waren, vergehen Jahre bis Jahrzehnte, der Konflikt zwischen Verwertung und Öffent-lichkeit sowie Reproduzierbarkeit sei daher nicht so groß wie in anderen Wissenschaftsdis-ziplinen. Doch es geht auch um ein gemein-sames Ziel der Community: „Am Ende wollen wir alle das Gleiche, nämlich das verstehen, was wir im Moment nicht verstehen.“ ah

TITELTHEMA

Page 12: Ausgabe 2/2017, 9. Jg. zukunft - uibk.ac.at

zukunft forschung 02/1712 Fotos: Andreas Friedle

TITELTHEMA

FRAGE DER TRADITIONEva Ramminger, Leiterin der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol, und Informatiker Justus

Piater über den freien Zugang zu Wissen, die Macht der Wissenschaftsverlage, Probleme rund um das Copyright von Daten und die Unterstützung der Open-Access-Bewegung.

ZUKUNFT: Herr Piater, Sie treten bei Pu-blikationen für eine Open-Access-Kultur ein. Wird die Forschercommunity von Wissenschaftsverlagen ausgebeutet?JUSTUS PIATER: Die Antwort hängt, glaube ich, etwas von der Domäne ab. Fakt ist, dass der größte Teil der Arbeit von Wis-senschaftlern unentgeltlich gemacht wird: Der Peer Review und in den mathematik-lastigen Wissenschaften das Typesetting und die elektronische Verteilung. In der Informatik und Physik sowie in tech-nischen Wissenschaften bleibt nicht mehr viel übrig, was Verlage zu tun hätten.ZUKUNFT: Auch keine zu zahlende Ar-beit…PIATER: Richtig. Es kann sogar kontra-produktiv sein, bei vielen Artikeln wird das Typesetting nochmals durchgeführt, das Ergebnis ist oft schlechter als jenes, das man hingeschickt hat. Um es auf den

Punkt zu bringen: Verlage verdienen damit, dass sie der Welt Informationen vorenthalten. Wissenschaft wird öffent-lich finanziert. Um sie zu veröffentlichen, ist man auf Verlage angewiesen, die da-mit Geld verdienen, dass man sich bei ihnen das öffentlich finanzierte Wissen wieder mit Geld holen muss, ohne dass ein wahrnehmbarer Mehrwert entsteht. In meinem Fachgebiet brauchen wir Ver-lage überhaupt nicht mehr, wir brauchen Sponsoren, welche die Kosten von On-line-Fachjournalen z. B. für die Online-Infrastruktur finanzieren. ZUKUNFT: Frau Ramminger, wie sehen Sie diese Thematik?EVA RAMMINGER: In den Wissenschafts-disziplinen schreitet die Entwicklung sehr unterschiedlich voran. In den Fä-chern Informatik, Astronomie, Physik ist Open Access schon seit Langem ein

Thema. Es gibt aber auch Fachbereiche, vor allem die Geistes- und Sozialwissen-schaften, in denen dieser Wandel anders erfolgt, in denen die Fachcommunity mit Literatur anders umgeht. Bei eini-gen Wissenschaften ist die Halbwertszeit von Information viel kürzer, in den Geis-teswissenschaften wird auch Literatur verwendet, die 100 Jahre alt ist. Für uns als Bibliothek ist es nun die Herausfor-derung sowohl neue Publikationstradi-tionen als auch noch sehr printbetonte mit einem umfassenden Angebot zu ver-sorgen. Das ist die Bandbreite, in der wir uns bewegen.ZUKUNFT: Geht es nicht auch um Tradi-tion?

Das gesamte Interview finden Sie auf der Homepage der Uni Inns bruck unter:www.uibk.ac.at/forschung/magazin/19/

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zukunft forschung 02/17 13

TITELTHEMA

RAMMINGER: Ja. In manchen Fachbe-reichen war das Publizieren bereits früh international ausgerichtet, während an-dere einen regionalen Wirkungsraum bevorzugen, was auch mit der Thematik zusammenhängt. Es gibt Traditionen, die brauchen unbedingt ein Peer Review, andere sagen, für uns ist das nicht mehr wichtig, wir wollen unsere Forschungs-ergebnisse möglichst schnell und breit kommunizieren.PIATER: Ich muss an dieser Stelle auch klarstellen, dass das Publikationsmedium von der Publikationsqualität vollkom-men unabhängig ist. Was die Qualität in unserem Umfeld sichert, ist der Peer Review, wobei diskutiert wird, ob sich das überlebt hat. Bis heute jedenfalls ist es der goldene Standard, der die Qualität sicherstellt – und dann kann es entweder elektronisch oder in Papierform, Open Access oder nicht publiziert werden.ZUKUNFT: Qualität wird durch die Pu-blikationsarbeit, wie man sie z. B. in der Belletristik von Verlagen gewohnt ist, und nicht durch die Publikationsform bestimmt…PIATER: Genau. Wenn ich mit einer neuen Zeitschrift konfrontiert werde und ein-schätzen will, wie gut die Artikel wahr-scheinlich sind, schaue ich als erstes auf die Editoren.RAMMINGER: Es gibt unterschiedliche Verhaltensweisen im Belletristik- und Wissenschaftsmarkt. Qualität heißt bei Zweiterem, wie gut und anerkannt die Editoren sind, wie hoch die Impact Fac-tors sind. Und je mehr diese Bewertungs-kriterien eine Rolle spielen, desto mehr lassen sich die Verlage das bezahlen. Die Top-Zeitschriften Nature und Cell gehö-ren beispielsweise in diese Liga.ZUKUNFT: Stoßen die Kosten in Dimensi-onen vor, die das Budget einer Bibliothek sprengen können?RAMMINGER: Ja.ZUKUNFT: Sind die Kosten in den letzten Jahren gestiegen?RAMMINGER: Die Lizensierung von Zeit-schriften war schon immer ein großer Budgetposten. Die Tatsache, dass qua-litativ hochwertige wissenschaftliche Forschung und der Zugang zu ihr für Universitäten überlebenswichtig sind, macht es zu einem Wirtschaftsfaktor. Nachdem Unis die Hauptabnehmer von wissenschaftlicher Literatur sind, sind wir in einem Kreislauf, der stark über

Geld reguliert wird. Wir steuern inzwi-schen stark dagegen, in dem wir unter anderem die Open-Access-Bewegung aktiv unterstützen, uns koordinieren und Einkaufskonsortien gründen. ZUKUNFT: Besteht die Gefahr, dass durch eine Trennung von Printprodukten Wis-sen nicht mehr auffindbar wird?PIATER: Da sehe ich keine Gefahr. Auch bei Papiermaterial muss man sich Ge-danken machen, wie man es organisiert. In elektronischer Form hat man aber die Möglichkeit, den Datenbestand gleich-zeitig mehrfach zu organisieren. Die Herausforderung ist, das Material mit

aktueller Software verfügbar zu halten. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, elektronische Archive immer wieder auf aktuelle Technologien zu konvertieren. ZUKUNFT: Womit wir wieder ein neues Betätigungsfeld für Bibliotheken hätten.RAMMINGER: Ja, es gibt bezüglich Lang-zeitarchivierung große internationale Be-mühungen – mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten. Es geht auch um die Ei-gentümerschaft dieser Daten – was gerade für die Wettbewerbsfähigkeit von Univer-sitäten elementar sein kann. Das Problem der Urheberschaft ist ein riesiges, wobei es auch ein Bestreben von Verlagen gibt, auf diese Daten Zugriff zu erhalten. ZUKUNFT: Wo liegt das Copyright wissen-schaftlicher Forschungsleistungen und Publikationen?PIATER: Wir werden mehr oder weniger gezwungen, unser Copyright auf die Ver-lage zu überschreiben. In meinen Augen ist das skandalös, wir haben die Arbeit, sie haben das Verwertungsrecht. In der Praxis habe ich dieses Problem aber nie als so wichtig angesehen, da ich noch keinen Fall gesehen habe, in dem so ein Copyright eingeklagt wurde. RAMMINGER: An der Universität wurde ein Open-Access-Netzwerk gebildet, wo unter anderem Autoren in Vertragsver-handlungen mit den Verlagen beraten werden. So ist es nicht zwingend notwen-dig, dass sie sämtliche Rechte am Text ab-geben, dass z. B. das Archivieren auf einer Forschungsplattform möglich ist. PIATER: Das ist in meinem Bereich schon der Fall, praktisch sämtlich topklas-sige Konferenzen mit Proceedings oder Journals erlauben das. Auch die EU hat erkannt, dass es da ein Problem gibt, und setzt durch, dass z. B. bei Horizon-2020-Projekten öffentlich finanzierte For-schung auch öffentlich zugänglich sein muss.ZUKUNFT: Wo wird die Reise hinführen?PIATER: Aus meiner Sicht hoffe ich, dass in zehn Jahren Verlage – zumindest in meinem breiten Umfeld – bei der Verbrei-tung wissenschaftlicher Literatur keinerlei Rolle mehr spielen, dass alle Zeitschriften Open Access sind und von Freiwilligen – so wie schon jetzt, aber ohne Verlagsho-heit – gemanagt werden. Ich hoffe, dass diese Zeitschriften gesponsert werden wie z. B. durch die Uni Inns bruck, die für Open-Access-Gründungen die Infrastruk-tur zur Verfügung stellt. ah

JUSTUS PIATER studierte in Braun-schweig sowie Magdeburg und schloss 1994 mit dem Diplom ab. An der Uni-versity of Massachusetts machte er einen MSc und einen PhD in Computer Science, danach war er beim Forschungsinstitut INRIA Rhône-Alpes. 2002 wurde er Pro-fessor für Informatik an der Université de Liège in Belgien. Seit 2010 ist er Professor am Institut für Informatik, Schwerpunkt Intelligente Systeme.

EVA RAMMINGER begann ihre beruf-liche Tätigkeit 1985 an der Universität Inns bruck, wo sie 1988 ihre Bibliotheks-ausbildung und 1993 ein Studium der Kunstgeschichte abschloss. 2003 wechselte sie an die Bibliothek der ETH Zürich, 2010 übernahm sie die Leitung der Universitätsbibliothek der TU Wien. Seit Februar 2016 leitet sie die Universi-täts- und Landesbibliothek Tirol.

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GERHILD FUCHS: „Wem ist schon bewusst, dass aus dem Ohrwurm ‚O sole mio’ später ‚It’s now or never’ von Elvis Presley wurde?“

Foto: Andreas Friedle

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KLANG DER WORTE„La vie en rose“ und „Aux Champs-Élysées“ sind nur zwei der bekanntesten französischen Chansons,

dem Herzstück des Archivs für Textmusik in der Romania an der Uni Inns bruck. Die vielfältigen Verbindungen von Text und Musik werden unter anderem auch in ATeM, einer kulturwissenschaftlichen

Open-Access-Fachzeitschrift, beleuchtet.

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Ü ber 6.000 Tonträger, mit mehr als 60.000 Einzeltiteln von über 1.000 Interpretinnen und Interpreten,

umfasst die Allgemeine Sammlung des Textmusikarchivs, ergänzt durch eine umfassende Fachbibliothek. Dazu kom-men noch zahlreiche Werke von spezi-ellen Sammlungen wie etwa jene von Pierre Seguy zum französischen Chanson oder Albert Gier zur Librettoforschung. Jaques Brel, Georges Brassens oder Edith Piaf sind nur einige der bekannten Ver-treterinnen und Vertreter des Chansons, das die größte Sammlung im Textmusik-archiv an der Uni Inns bruck ausmacht.

„In den Pariser Vierteln Saint-Ger-main-des-Prés bzw. an der Rive Gauche hatten die Chansonniers und Chanson-nières ihre Lokale, in denen sie aufge-treten sind. Das Chanson ist im 20. Jahr-hundert in Frankreich die wichtigste Form der Populärmusik“, erklärt Ger-hild Fuchs, Professorin am Institut für Romanistik und Leiterin des 1985 von Ursula Mathis-Moser gegründeten und kontinuierlich ausgebauten Archivs. Die Wissenschaftlerin betont zudem, dass diese Künstlerinnen und Künstler stark von literarischen und philosophischen Strömungen der Zeit, wie etwa dem Existentialismus, beeinflusst wurden. Text und Musik verschmelzen im Chan-son wie in allen Formen der Textmu-sik in ganz besonderer Art und Weise, vor allem dann, wenn die betreffenden Künstlerinnen und Künstler ihre Texte selbst schreiben, die Musik komponie-ren und ihr Werk selbst auf der Bühne interpretieren.

„Das sogenannte Autorenlied ist zu einer Kunstform geworden, die nicht die Würden der ernsten, klassischen Musik hat, aber im Bereich der Populärmusik etwas Elitäres darstellt“, verdeutlicht Fuchs. Das französische Chanson beein-flusste und beflügelte auch die Entwick-lung des Autorenliedes beispielsweise in Italien, Spanien oder Portugal.

Gesungene LyrikWie der Fado in Portugal ist in Italien etwa das Neapolitanische Lied weit über die Landesgrenzen hinaus be-kannt. „Wem ist schon bewusst, dass aus dem Ohrwurm ‚O sole mio’ später ‚It’s now or never’ von Elvis Presley wurde?“, weist die Romanistin auf ei-nen prägnanten kulturellen Transfer

in diesem Bereich hin. Doch weder die Musik noch der Text sollen in den For-schungen im Archiv im Vordergrund stehen. „Es ist die Kombination aus beidem, denn Text und Musik bedingen sich gegenseitig, dazu kommt noch die Kunst der Interpretation – wir interes-sieren uns für dieses komplexe Zusam-menspiel“, so Fuchs.

Neben dem Autorenlied beschäftigen sich die Wissenschaftlerin und ihr Team auch mit traditionellen Mischformen von Text und Musik wie Oper, Operet-te oder Musical, im Mittelpunkt stehen aber vor allem Liedformen der Populär-kultur, auch in der Gestalt von Schlager, Pop, Rock oder Rap. „Auch als Literatur-wissenschaftler haben wir die Musik im-

mer im Ohr, auch wenn wir diese nicht musikwissenschaftlich untersuchen kön-nen. Auffallend ist für uns, dass die Texte der französischen Chansons und der italienischen Canzone hohe literarische Qualitäten haben, da die Textbasis im-mer Lyrik ist“, betont die Wissenschaftle-rin, die verdeutlicht, dass Lyrik bis über die Renaissance hinaus immer im Zu-sammenspiel mit Musik gedacht wurde. „Die Scuola Siciliana war im frühen 13. Jahrhundert die erste große italienische Lyrikschule, die stark von den Trouba-dours beeinflusst wurde. Lyrik und Mu-sik waren in diesen frühen Dichtungen untrennbar miteinander verbunden“, erläutert die Romanistin.

Offen für alleDas Archiv für Textmusikforschung stellt sich den Herausforderungen der digitalen Zukunft und ist offen für Neues. Offen ist auch die seit Dezember 2016 bestehende Open-Access-Fachzeit-schrift ATeM, das Publikationsorgan des Archivs für Textmusikforschung, verlegt von innsbruck university press. „Aus einer interdisziplinären Perspektive wollen wir uns den vielfältigen Verbindungen von Text und Musik widmen. Unser Anliegen ist es, ein zeitgemäßes Format zu bieten, das den in der Wissenschaft etwas randständigen Bereich der Text-

musikforschung in ein modernes Licht rückt“, so Fuchs, die als Herausgeberin der Online-Zeitschrift gemeinsam mit Ursula Mathis-Moser und Birgit Mertz-Baumgartner darauf Wert legt, dass der Zugang zum untersuchten Medium auf wissenschaftlichen Theorien basiert. „Alle eingereichten Artikel werden an zwei externe internationale Wissen-schaftlerinnen oder Wissenschaftler zur Begutachtung geschickt. Das Peer-Re-view-Verfahren liegt uns besonders am Herzen, um die Qualität der Beiträge und der Zeitschrift noch einmal zu erhö-hen“, betont Gerhild Fuchs.

Offen müssen die Wissenschaftlerin und ihr Team auch im Hinblick auf die laufende Anschaffung von Tonträgern

sein. Wurden bisher hauptsächlich CDs oder LPs angeschafft, muss mit den digi-talen Medien auch ein neuer Zugang zur Archivierung von Musik ausgearbeitet werden. „Ein Teil der zeitgenössischen Populärmusik ist mittlerweile haupt-sächlich elektronisch verfügbar. Dieser Herausforderung müssen wir auch als Archiv begegnen und die Chancen der neuen Verfügbarkeiten ergreifen“, so Fuchs. Das größte Problem bei der An-schaffung neuer Tonträger ist jedoch, wie sie betont, die Begrenztheit der zur Ver-fügung stehenden Mittel. „Eine derart große Sammlung wirklich aktuell zu hal-ten, ist nur schwer möglich, wir sind da-her ständig auf der Suche nach Spon-soren.“ So sollen neben dem Schwer-punkt im französischen und frankokana-dischen Chanson sowie dem relativ gut ausgebauten Bereich der italienischen Canzone zukünftig auch Lücken im Spa-nischen und Portugiesischen geschlossen werden. „Ein Anlass zu großer Freude ist für die Betreiber und die Nutzer des Archivs auf jeden Fall die Tatsache, dass die Archiv räume im letzten Jahr um- und ausgebaut werden konnten und nunmehr in neuem Glanz erstrahlen“, so Fuchs. Ein Besuch des neuen Archivs ist für alle interessierten Personen möglich und der Leiterin sowie ihrem Team äu-ßerst willkommen. dp

„ Mit der Open-Access-Fachzeitschrift ATeM wollen wir uns aus einer interdisziplinären Perspektive den vielfältigen Verbindungen von Text und Musik widmen.“ Gerhild Fuchs, Archiv für Textmusikforschung

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zukunft forschung 02/1716 Fotos: Achim Zeileis (1), Uni Innsbruck/Eva Fessler (1)

OFFENE STATISTIKQuelloffene Software spielt in der Statistik eine

bedeutende Rolle – die Programmiersprache R ganz besonders. Sie wird auch in Innsbruck weiterentwickelt.

D ie Ausbreitung und Gefährdung des tropischen Regenwalds, die Gewinn-wahrscheinlichkeit von Nationalteams

bei Fußball-Großereignissen oder die Wahr-scheinlichkeit von Nebel auf Flughäfen: Nur drei Beispiele von Fragestellungen, an denen der Statistiker Achim Zeileis arbeitet. So un-terschiedlich die einzelnen Anwendungsge-biete anmuten, gemeinsam ist ihnen, dass sie statistische Methoden erfordern und nur mit entsprechender Software umgesetzt werden können – und dass dabei die Open-Source-Programmiersprache R eine bedeutende Rolle spielt, wie Achim Zeileis erklärt: „R ist eine Programmiersprache, die von Anfang an entworfen wurde, um mit Daten und Statistik zu arbeiten. R ist erweiterbar und quelloffen, jeder und jede kann daran mitarbeiten und selbst Erweiterungspakete für konkrete An-wendungen schreiben.“ Österreichische For-scherinnen und Forscher sind ganz zentral an der Weiterentwicklung von R beteiligt (siehe

Kasten), darunter auch Achim Zeileis selbst. Aus seiner wissenschaftlichen Arbeit ist R für den Statistiker nicht mehr wegzudenken: „Wenn ich statistische Methoden entwickle, möchte ich auch praktisch sehen, ob die funk-tionieren – ich schreibe also ein R-Paket dafür, um das empirisch zu überprüfen. Das kommt auch vor, wenn ich mit Kolleginnen und Kol-legen aus anderen Disziplinen an deren Fra-gestellungen arbeite. Und daneben gibt es Fälle, wo ich ohne ganz konkrete Anwendung Software als Forschungsoutput habe, wo es nur darum geht, eine Methode umzusetzen, die es vielleicht in anderen Software-Umge-bungen schon gibt, aber für R noch nicht oder nicht in der gewünschten Qualität.“

Open SourceUm R hat sich seit Entwicklung der Sprache in den 1990ern eine weltweite Community entwickelt, die Pakete für unterschiedliche Anwendungsfälle schreibt und die Sprache

R-CODE für Modellierung zensierter Daten und darauf basierende Niederschlags-prognose für Nordtirol.

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R ist eine freie Programmier-sprache und ein interaktives System für statistische Berech-nungen, das genau wie das freie Betriebssystem Linux unter der GNU General Public Licence (GPL) veröffentlicht wird. R ist in den 1990er-Jahren aus der in den 1970ern an den Bell-Labs entwickelten Programmierspra-che S hervorgegangen. Der Name der Sprache geht zurück auf den Anfangsbuchstaben der Vornamen der beiden ursprünglichen Designer: Ross Ihaka und Robert Gentleman. Über ein Paketsystem kann jede und jeder R-Entwicklerin oder -Entwickler werden und eigene Erweiterungspakete schreiben. R wird heute von einer weltweiten Community weiterentwickelt, wobei Öster-reich hier eine bedeutende Rol-le spielt – so befindet sich das zentrale Archiv für R-Pakete wie auch der Sitz der R Foundation an der Wirtschaftsuniversität Wien. Teams an mehreren österreichischen Universitäten (wie um Achim Zeileis an der Universität Innsbruck) tragen wesentlich zur Weiterent-wicklung bei. Die seit 2004 jährliche größte Konferenz für R-Nutzerinnen und -Nutzer, „useR!“, wurde ebenfalls in Österreich ins Leben gerufen.

weiterentwickelt. Die gemeinsame Arbeit erleichtert auch den Austausch: „Das Tolle an Open-Source-Software mit einer Commu-nity ist, dass Zusammenarbeit leichter ent-steht und auch für junge Wissenschaftler die Überwindung nicht so groß ist, Leute einfach anzuschreiben und die eigene Mitarbeit an-zubieten. Es kommt natürlich auch vor, dass das jemand ablehnt, aber sehr häufig funkti-oniert das.“ So werden Pakete dann auch auf ganz unerwarteten Gebieten zum großen Er-folg: „Ein Bereich, der vor Jahren in R noch nicht gut umgesetzt war, ist die Analyse von Zähldaten. Die modellierte Variable ist dabei Ergebnis eines Zählprozesses. Ein klassisches wirtschaftswissenschaftliches Beispiel wäre, wie häufig ein Patent in einem bestimmten Zeitraum zitiert wird, was als Maß für den Innovationsgehalt eines Patents verwendet wird – das sind meistens niedrige Werte, oft auch Null. In der Literatur gab es dafür viele Modelle, aber nur ein Teil war damals in R umgesetzt. Deshalb habe ich den Autor eines dieser R-Pakete kontaktiert und das mit ihm erweitert. Der Kollege ist Politikwissenschaft-ler, wir haben dann auch gemeinsam ein Pa-per dazu publiziert, das sehr regelmäßig und recht häufig zitiert wird. Die Zitationen kom-men aber in einem nur sehr geringen Ausmaß aus den Wirtschaftswissenschaften oder der Politikwissenschaft, sondern viel mehr aus den Umweltwissenschaften. Dort setzen For-scherinnen und Forscher unsere Software ein, um zu modellieren, von welchen Umweltfak-toren die Anzahl der Sichtungen bestimmter Tiere abhängt. Das ist eines der Pakete, zu dem ich sehr viele Anfragen bekomme und das recht erfolgreich ist, wenn auch auf einem ursprünglich nicht erwarteten Fachgebiet.“

MotivationR ist heute in der Statistik-Community die am weitesten verbreitete Software – und durch die Quelloffenheit und die große Zahl an Menschen, die an und mit R arbeiten, entste-hen auch Möglichkeiten für Zusammenarbeit über Disziplingrenzen hinweg. „Eine Motiva-

tion für mich ist, dass ich Leute beeinflussen kann in der Art, wie sie ihre Daten analysie-ren, und ich ihnen Werkzeuge zur Verfügung stellen kann, die ihnen dabei helfen. Manch-mal klappt das nicht und niemand verwendet das Paket – und manchmal trifft man genau die Bedürfnisse der Anwender. Die Zitationen und direktes Feedback sind dann eine starke Motivation, die Software weiterzuentwickeln und zu verbessern“, sagt Achim Zeileis.

Offenes JournalEng mit offener Statistik-Software und deren Verbreitung verknüpft ist das Open-Access-Journal of Statistical Software (JSS), dessen Co-Editor in Chief Achim Zeileis ist. „Das JSS wurde 1996 an der University of California, Los Angeles von Jan de Leeuw gegründet. Damals waren Software-Autoren in der aka-demischen Gemeinschaft nur wenig sichtbar, es gab keine wissenschaftlichen Publikations-plattformen dafür. Vor diesem Problem stan-den wir auch Anfang der 2000er-Jahre, als ich selbst meine ersten Papers geschrieben habe. Mein erstes Paper mit Peer-Review war eins im JSS und unsere damalige Arbeitsgruppe an der WU Wien hat sich in der Folge stark im JSS eingebracht. Das Journal ist seither enorm gewachsen, der Impact Factor ist gestiegen, ebenso die Zahl der Einreichungen.“

Um im JSS veröffentlicht zu werden, muss ein wissenschaftlicher Beitrag und die dazu-gehörige Software eingereicht werden, beides unter offenen Lizenzen – das Paper unter ei-ner Creative-Commons-Lizenz, die Software unter einer GPL-kompatiblen Lizenz. „Der Peer-Review-Prozess ist relativ aufwendig, weil beide Teile, Software und Paper, begut-achtet werden. Auch Revisionen dauern län-ger als bei anderen Journalen, weil der Re-view auch darin bestehen kann, dass große Teile der Software neu geschrieben werden müssen“, erklärt Achim Zeileis. Etwa 80 Pro-zent aller Einreichungen im JSS sind R-Pakete, wobei das Journal nicht auf R beschränkt ist – auch quelloffene Pakete für andere Statistik-Umgebungen sind möglich. sh

PROGRAMMIERSPRACHE R:

„ Wenn ich statistische Methoden entwickle, möchte ich auch praktisch sehen, ob die funktionieren – ich schreibe also ein R-Paket dafür, um das empirisch zu überprüfen.“ Achim Zeileis, Institut für Statistik

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zukunft forschung 02/1718 Fotos: Andreas Friedle

ZUKUNFT: Das Thema Digitalisierung spielt in vielen Bereichen Ihrer Arbeit eine große Rolle. Welche Bedeutung hat das „Netz“ Ihrer Meinung nach für die Wissenschaft?LEONHARD DOBUSCH: Um die Bedeutung deutlich zu machen, lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern hat geradezu zu einer Wissensexplosion geführt. Wissen konnte dadurch Einzug in die Gesellschaft halten und hat zum Beispiel die Schulpflicht ermöglicht. Die Bedeutung des Internets sehe ich ähnlich groß: Die prinzipiell sofortige, globale Verfügbarkeit von Wissen hat die „Ex-plosion“ nochmals multipliziert. Diese Entwicklung ist absolut wünschenswert, denn Wissenschaft ist ihrem Wesen nach dadurch gekennzeichnet, dass sie offenen Zugang zu Wissen voraussetzt. Erkennt-nisfortschritt kann nur über Auseinan-dersetzung mit Bestehendem erfolgen. Offenheit ist aber immer auch mit He-rausforderungen verknüpft.ZUKUNFT: Wo liegen die großen Heraus-forderungen?DOBUSCH: Sowohl im Wissenschaftsbe-reich als auch in vielen anderen Bereichen, mit denen wir uns in der Organisations-forschung auseinandersetzen, sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: Einerseits ermöglicht die Digitalisierung mehr Of-fenheit – im Guten wie im Schlechten. Es gibt mehr Vielfalt an Wissensquellen und Meinungen, auf der anderen Seite ver-breiten sich auch Falschmeldungen und Hassbotschaften einfacher und schneller. Digitalisierung bedeutet auch Kontrollver-lust, mit dem umgegangen werden muss, um zweifellos vorhandene Potenziale auch ausnutzen zu können. Daher ist der

zweite Aspekt ganz wesentlich: Offenheit will organisiert werden. Die Potenziale größerer Offenheit stellen sich durch Di-gitalisierung nicht von selbst ein.ZUKUNFT: Hält man sich die Entwick-lungen rund um Open Access in der Wis-senschaft vor Augen, verläuft die Orga-nisation dieser Offenheit zumindest nicht ganz reibungslos.DOBUSCH: Richtig. Seit mehr als zehn Jahren ist es aus technischer Sicht völlig problemlos möglich, wissenschaftliche Publikationen sofort und weltweit zur Verfügung zu stellen. Das heißt aber na-türlich noch lange nicht, dass das auch so geschieht: Eine technisch mögliche Of-fenheit ist noch lange keine intellektuelle oder kreative Offenheit. Wir haben es mit etablierten gesellschaftlichen Strukturen zu tun, die sich auch im wissenschaftli-chen Publizieren in traditionellen Ab-läufen zeigen. Es bestehen sogenannte Pfadabhängigkeiten, die viele Akteure in diesem Prozess im Moment noch zu Profiteuren machen. Profit bedeutet das Handeln mit wissenschaftlichen Publika-tionen vor allem für große Verlagshäuser, die trotz sinkender Produktionskosten durch die Digitalisierung sehr hohe Sub-skriptionsgebühren einheben. Dagegen regt sich aber immer mehr Widerstand – zu Recht. Öffentlich finanzierte For-schung sollte öffentlich zugänglich sein. Und für Lehr- und Lernunterlagen gilt eigentlich dasselbe. Aber während wir bei wissenschaftlichen Publikationen mit dem Konzept von Open Access auf einem guten Weg sind, gibt es beim freien Zu-gang zu Lehr- und Lernmaterialien noch sehr viel Aufholbedarf.ZUKUNFT: Wie könnte eine gelungene Or-ganisation von Offenheit aussehen?

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OFFENHEIT ORGANISIEREN

Jederzeit und überall: Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen revolutioniert. Was technisch längst möglich ist, stellt die Gesellschaft aber immer wieder vor

neue Herausforderungen. Denn: Auch digitale Offenheit braucht Organisation, sagt der Organisationsforscher und Experte für digitale Rechtsfragen Leonhard Dobusch.

„ Die Erfindung des Buchdrucks hat geradezu zu einer Wissensexplosion geführt. Wissen konnte dadurch Einzug in die Gesellschaft halten. Die Bedeutung des Internets sehe ich ähnlich groß: Die prinzipiell sofortige, globale Verfügbarkeit von Wissen hat die ‚Explosion‘ nochmals multipliziert. Diese Entwicklung ist absolut wünschenswert, denn Wissenschaft ist ihrem Wesen nach dadurch gekennzeichnet, dass sie offenen Zugang zu Wissen voraussetzt.“

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DOBUSCH: Meiner Ansicht nach gibt es hier verschiedene Werkzeuge. Auf recht-licher Seite stehen mit Creative Commons Urheberrechtslizenzen zur Verfügung, die sehr viele Dinge vereinfachen – oder überhaupt erst möglich machen. Crea-tive-Commons-Lizenzen erlauben die freie Weiterverwendung von verschie-densten Inhalten und die Zusammenar-beit von vielen Menschen, ohne ständig Rechte klären zu müssen. Dass es heute eine offene, weltweit zugängliche Enzy-klopädie wie die Wikipedia gibt, ist stark auf diese offenen Lizenzen zurückzufüh-ren. Die Wikipedia ist aus dieser Sicht eine große Errungenschaft, sozusagen eine Oase digitalen Gemeinguts in einem Meer kommerziell getriebener Angebote. Aber auch die Wikipedia hat natürlich mit Problemen zu kämpfen. Aus einer Management-Perspektive lassen sich am Beispiel der Enzyklopädie viele interes-sante Fragestellungen zur Organisation von Offenheit ableiten, z. B. wie sich Vielfalt in Communities aus Freiwilligen erreichen lässt. Was den Wissenschaftsbe-reich betrifft, würde ich für einen weite-ren Ausbau des universitäts- und biblio-theksbasierten Veröffentlichungswesens

plädieren, das gerade ein Comeback erlebt. Universitäten und Bibliotheken können sich dadurch von den Praktiken der Großverlage emanzipieren und über andere Wege Zugang zu Wissen ermögli-chen. In Inns bruck besteht dank der inns-bruck university press die Möglichkeit von Open-Access-basierten Publikationen. ZUKUNFT: Welche Perspektiven sehen Sie für diesen Weg hin zu mehr Öffnung?DOBUSCH: Um bei dem Beispiel mit Uni-versitätsverlagen zu bleiben: Früher war die Rolle von Universitätsbibliotheken vor allem, ihren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Zugang zum Weltwissen zu organisieren. Vielleicht ist es jetzt umgekehrt: Die Bibliothek muss der Welt Zugang zum Wissen der Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlern ihrer Einrichtung ermöglichen. Da findet eine Redefinition von Rollen statt. Auch wenn die Organisation von Offenheit mit Auf-wand verbunden ist, lohnt es sich auf je-den Fall: Gerade der offene Zugang zu Wissen ist gesamtgesellschaftlich von sehr großem Wert. Meiner Ansicht nach geht es nicht mehr um die Frage, ob wir offen sein sollen, sondern wie wir diese Offenheit gestalten. mb

LEONHARD DOBUSCH (*1980) pro-movierte nach Abschluss der Studien der Betriebswirtschaft und der Rechtswissen-schaften in Linz an der Freien Universität Berlin. Nach Forschungsaufenthalten in Köln, Stanford und Wien war er von 2012 bis 2016 als Juniorprofessor für Management an der FU Berlin tätig. Im Februar 2016 folgte Dobusch dem Ruf nach Inns bruck, wo er Professor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Organisation am Institut für Organisation und Lernen ist. Dobusch bringt sich regelmäßig in Gastbeiträgen und Kommentaren in öffentliche Diskurse ein. Als Mitgründer der Momentum-Kongressreihe versucht er außerdem, wis-senschaftliche Ideen mit politischer Praxis zusammenzubringen. Mitte 2016 wurde Dobusch als Vertreter für den Bereich Internet in den ZDF-Fernsehrat berufen. Er betreibt mehrere Blogs und äußert sich als regelmäßiger Autor auf netzpolitik.org zu verschiedenen netzpolitischen Themen.

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MITFORSCHEN AN DER UNI INNSBRUCK

03 | HERBSTLAUBDer Abbau des grünen Blattpigments Chlorophyll verursacht einmal im Jahr ein farbenprächtiges Naturschauspiel. Dahinter steckt ein komplexer Recyclingprozess der Pflanze, der einer Wiedergewinnung wesentlicher Mineralien dient. Mittels chemischer Analyse und Strukturaufklärung haben Tiroler Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Thomas Müller die Abbauprodukte des Chlorophylls in Pflanzen aus der Tiroler Bergwelt untersucht. Dabei suchten sie auch Antworten auf die Frage, inwiefern Stressfaktoren wie extreme Witterungsbedingungen und erhöhte Strahlen-belastung diese Abbauprozesse beeinflussen.

02 | GLETSCHERSCHMELZEGletscherskigebiete nutzen industrielles Vlies, um Pisten im Sommer abzudecken.

Das kann bis zu 1,5 Meter Schneegewinn bedeuten. Der wirtschaftliche Nutzen ist belegt, aber nicht die ökologische Unbedenklichkeit. Ein Team um die Öko-login Birgit Sattler untersuchte mit Schülerinnen und Schülern, welche Auswir-kungen die Gletscherabdeckung auf Mikroorganismen und Vielzeller in Schnee

und Eis hat. Die jungen Menschen wurden in der interdisziplinären Untersuchung für den alpinen Lebensraum und dessen Gestaltungsmöglichkeiten sensibilisiert.

Mehr unter www.coverup.at.

01 | SCHMETTERLINGEIm Projekt Viel-Falter können Interessierte beim Spazieren die bunte Welt der Schmetterlinge erforschen. Tagfalter reagieren empfindlich auf Umwelt- und Klima-veränderungen und sind deshalb gute Indikatoren für den Zustand der Natur. Ziel ist ein österreichweites von Wissenschaft, Freiwilligen und Schulen getragenes Tagfal-ter-Monitoring, das in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden einen wich-tigen Beitrag zu einem dauerhaften und finanzierbaren Biodiversitäts-Monitoring in Österreich leisten soll. Für die Beobachtung benötigt das Team rund um Johannes Rüdisser vom Institut für Ökologie Unterstützung aus der Bevölkerung.Mehr unter www.viel-falter.at. 01

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Die Universität Inns bruck fördert den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesell-schaft auf vielen Ebenen. In verschiedenen Projekten werden Bürgerinnen und Bürger auch aktiv in den Forschungsprozess miteinbezogen. „Citizen Science“, also Bürgerwissenschaft, lautet hier das Motto. Daneben werden auch immer wieder Schülerinnen und Schüler an Forschungsprojekten beteiligt.

Unterstützt wird dies unter anderem vom österreichischen Wissenschaftsministerium über das Sparkling-Science-Forschungsprogramm.

Fotos: Uni Innsbruck (2), Viel-Falter (1), colourbox.de (1), pixabay.com/Thomas Hendele (1), COVER.UP (1), pixabay.com/Catta Kvarn (1)

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04 | BAUMWACHSTUMIn Inns bruck und Dornbirn tragen einige Bäume eine Art Maßband um ihren

Stamm. Dahinter steckt ein Projekt von Stefan Mayr vom Institut für Botanik, bei dem die Bevölkerung zum Mitmachen eingeladen ist. Alles, was man benötigt,

ist ein Smartphone: Im Projekt CITREE wird das Wachstum von städtischen Bäu-men genauer unter die Lupe genommen. Denn Bäume erfüllen vielfältige Funk-tionen in der Stadt: Sie verbessern das Mikroklima und die Luftqualität, spenden

Schatten und fungieren als Sicht- und Lärmschutz. Bäume haben es aber auch nicht leicht in der Stadt: Große Hitze und Trockenheit, Luftschadstoffe, wenig

Wurzelraum oder viel Salz im Winter machen ihnen das Leben schwer. Mehr unter: www.citree.net.

06 | KLEINVIEHDer positive Einfluss von Dünger auf den Pflanzenertrag ist weithin bekannt und

auch gut untersucht. Weniger bekannt sind allerdings dessen Auswirkungen auf die Artenvielfalt und -zusammensetzung der wirbellosen Tiere. Im Projekt „Kleinvieh

braucht auch Mist“ untersuchten Wissenschaftler um Daniela Sint gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern auf mehreren Getreidefeldern in Kematen im Lauf von

zwei Feldjahren den Einfluss verschiedener Dünger. Sie arbeiteten von der Beprobung bis zur Auswertung mit. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den Regenwürmern.

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05 | BAKTERIENWELTDer Artenvielfalt der Bakterien in heimischen Gewässern sind Schülerinnen und Schüler aus sechs Salzburger Gymnasien auf der Spur. Sie isolieren und beschrei-ben am Forschungsinstitut für Limnologie am Mondsee neue Bakterienarten aus Gewässern der Umgebung. Die Charakterisierung der neuen Arten schließt auch die Sequenzierung der Genome ein. Genomsequenzen sind für die Verbindung der taxonomischen Forschung mit der Erforschung der mikrobiellen Diversität und Ökologie von großer Bedeutung. Für die Schüler gibt es viel zu tun, denn einigen Schätzungen nach sind von den ungefähr einer Million Bakterienarten 99 Prozent noch nicht wissenschaftlich beschrieben.

07 | LUFTSAMMLERGemeinsam mit Schülerinnen und Schülern haben Inns brucker Physiker einen einzigartigen Datensatz zur Zusammensetzung und Quellstärke von flüchtigen organischen Verbindungen in einem ländlichen, inneralpinen Gebiet erstellt. Mit meteorologischer Hightech-Ausrüstung wurde an den Gymnasien in Mittersill und Zell am See die Außenluft gemessen. Außerdem sammelten die Schüler mit Kanistern im ganzen Tal Luft und analysierten sie anschließend im eigens einge-richteten Labor. So konnten sie feststellen, welche flüchtigen Substanzen vom Straßenverkehr stammen, welche von den Wäldern in die Luft abgeben wurden und wie sich diese Substanzen im Salzachtal ausbreiten.

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zukunft forschung 02/1722 Fotos: Aleksandra Pawloff (1), privat (1)

STANDORT

MANN DER DREI ACHSENAls Werkstudent programmierte Bruno Buchberger in den 1960er-Jahren das erste „Elektronengehirn“

an der Universität Inns bruck, Ende der 1990er konzipierte er das neue Informatikinstitut und -studium in Inns bruck. Immer im Fokus hatte er dabei drei Achsen: Logik, Mathematik und Anwendung.

ZUKUNFT: Während Ihres Studiums haben Sie an der Universität Inns bruck als Pro-grammierer gearbeitet, unter anderem an einem „raumgroßen“ Zuse Z23. War für Sie damals die Entwicklung der Compu-tertechnologie, auf die wir heute zurück-blicken, vorstellbar?BRUNO BUCHBERGER: Ich habe mir sogar noch sehr viel mehr vorgestellt, z. B. habe ich darüber nachgedacht, ob man Com-puter nicht gänzlich aus Plastik machen kann. Ich konnte mir auch deshalb viel vorstellen, weil ich immer in den drei

wesentlichen Koordinatenachsen der „Computerei“ gedacht habe: die ma-thematische Logik, die grundsätzlichen Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen des formalen mathematischen Denkens; die Mathematik selbst, die sich bemüht, Verfahren zu finden, um belie-bige Probleme aus der Realität so syste-matisch zu lösen, dass man die Lösung in einen Algorithmus überführen kann; und die Anwendung. In diese drei Achsen Lo-gik-Mathematik-Anwendung wurde ich sozusagen hineingedrückt, in zwei durch

meine Situation als Werkstudent. Mein Fach war Mathematik, mein Geld dafür verdiente ich am „Elektronengehirn“, dem ersten Computer an der Universität Inns bruck. Es brauchte einen Program-mierer, ich meldete mich, damit ich kei-ne fachfremden Dinge machen musste, um mein Geld zu verdienen. In die erste Achse, die mathematische Logik, habe ich mich im Selbststudium vertieft, aus heutiger Sicht ist das das, was „artificial intelligence“ genannt wird. Insofern war für mich klar, wohin es mit der Compu-

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STANDORT

tertechnologie gehen wird und dass es nach oben keine Grenze gibt.ZUKUNFT: Spielen diese drei Achsen heute auch noch eine Rolle?BUCHBERGER: Ja, es ist immer noch wich-tig, sie sollen auch in die Ausbildung einfließen, damit die Absolventen in Per-sonalunion in allen drei Achsen arbeiten können. Beim Aufbau des RISC habe ich auf internationale Doktoratsstudenten gesetzt, die diese drei Achsen vereinen können.ZUKUNFT: Ende der 1980er-Jahre haben sie als Universitätsprofessor den Soft-warepark Hagenberg gegründet, heute arbeiten dort mehr als 1.000 Menschen in über 80 Unternehmen und Forschungs-instituten. Wie war damals die Reaktion auf Ihre Initiative?

BUCHBERGER: Solche Dinge sind zum Teil geplant, zum Teil Zufall. Von Anfang an war beim RISC eine eigene Firma von mir dabei, damit die Studierenden einen nahtlosen Übergang in die Praxis haben. Da kam viel Geld herein, wir brauchten Platz, in den Räumlichkeiten der Uni konnten wir aber nicht expandieren. Da entstand die Idee, für dieses Geld von au-ßen auch einen Ort außerhalb zu finden. Im Auge hatte ich ein freies Areal direkt neben der Uni, der damalige Linzer Bür-germeister wollte es nicht genehmigen, da es Agrarland war. Heute stehen dort drei große Gebäude, der Science Park der Uni Linz.BUCHBERGER: Wie kamen Sie dann in das kleine Hagenberg, 25 Kilometer außer-halb von Linz?ZUKUNFT: Ich habe nahe der Uni rund 15 Standorte angeschaut, es gab aber immer irgendein Hindernis. Eines Tages erhielt ich einen Anruf des damaligen ober-österreichischen Landeshauptmanns Josef Ratzenböck: „Herr Professor, ich höre, Sie suchen was? Ich helfe Ihnen, ich hätte da eine alte Ruine, die richten wir her.“ Für mich war die Entfernung kein Problem, die Studenten leiden heu-te schon etwas, dass sie weit vom Schuss sind. Ratzenböck meinte später noch, wenn ich in Hagenberg schon gemütlich forschen könne, könne ich mir doch auch

etwas einfallen lassen, damit in dieses Gebiet Arbeitsplätze kommen. Worauf ich den Softwarepark konzipiert habe, wieder angelehnt an den drei Achsen, mit starker Betonung der dritten – An-wendung, Gründerfirmen etc. Ich hätte mir nicht gedacht, dass ich dann viel Zeit damit verbringen würde, Arbeitsplätze ins Mühlviertel zu bringenZUKUNFT: Um das Jahr 2000 erarbeiteten Sie für die Universität Inns bruck ein Konzept für ein neues Informatik-Institut und ein entsprechendes Studium. Legten Sie die Schwerpunkte auch hier auf die drei Achsen?BUCHBERGER: Ja, mir ist – auch bei der Er-stellung anderer Konzepte – immer klarer geworden, wie wichtig diese drei Achsen sind. Daher versuchte ich auch in Tirol,

dieses Konzept aufzubau-en. Einerseits die Lehr-stühle, die Forschung und Lehre in diesem Sinne betreiben. Bei der Beset-zung der Lehrstühle, bei

der Findung und Evaluierung geeigneter Kandidaten habe ich noch mitgewirkt. Ein Lehrstuhl etwa geht tief in die Logik, andere decken die angewandte Seite da-von ab, andere Grundlagen, sowohl in der Forschung als auch in der Lehre. Hier ist es wichtig, dass es sich durch alle Ebe-nen zieht, Bachelor, Master und Doktorat, Postdocs, internationale Studierende etc. Und natürlich die dritte Achse, Anwen-dung und Arbeitsplätze. Daher habe ich damals eine enge, in Österreich aber als problematisch gesehene Kooperation mit der Fachhochschule vorgeschlagen, um in der Lehre das breite Spektrum

von der Grundlage bis zur Anwendung abzudecken. Ein weiterer Vorschlag war das Transfercenter zwischen IT und Wirt-schaft, da habe ich einige Jahre später jedoch festgestellt, dass das Gebäude in-zwischen von Physikern besetzt ist. Das freut mich für die Physiker, war aber ei-gentlich nicht die Idee.ZUKUNFT: Wie beurteilen Sie die Entwick-lung der Inns brucker Informatik?BUCHBERGER: Im Detail habe ich die Entwicklung nicht beobachtet, ich weiß nur, dass etliche der Professoren in ihren Forschungsbereichen international ganz vorne sind und weltweit bekannt sind. Das ist eine Basis, die ich auch von außen feststellen kann. Inwieweit sie motiviert sind, für Firmen etwas zu tun oder wel-che zu gründen, kann ich nicht beurtei-len. Das Potenzial ist hundertprozentig da, für Technologietransfer braucht es auch nicht unbedingt eine eigene Struk-tur, es braucht die Motivation, entweder selbst etwas zu machen oder die Absol-venten dazu anzuregen.ZUKUNFT: Aus heutiger Sicht: Würden Sie die gleichen Vorschläge für die Inns-brucker Informatik machen oder etwas ändern?BUCHBERGER: Das Drei-Achsen-Modell ist so aktuell wie nie, andere Universi-täten, die es nicht haben, versuchen es in Schwung zu bringen. Es geht aber nicht nur um die drei Achsen, sondern darum, in allen dreien ganz vorne zu sein. Also keinen Mittelweg, ein bisschen For-schung, ein bisschen Anwendung. Die Dynamik kommt nur, wenn die Beteilig-ten in allen Bereichen, in der Forschung und im Business, Spitze sind. ah

„ Ich hätte mir in meinem Leben nie gedacht, dass ich viel Zeit damit verbringen würde, Arbeitsplätze ins Mühlviertel zu bringen.“

BRUNO BUCHBERGER kam 1942 in Inns bruck zu Welt. In seiner Heimatstadt studierte er Mathematik und promovierte 1966 bei Wolfgang Gröbner. Mit der Dissertation begründete er die Theorie der Gröbnerbasen, die in mathematischen Softwaresystemen als Standard-Methode zur exakten Behandlung nicht-linearer Systeme eingesetzt wird. Der von ihm erfundene Algorithmus zur Konstruktion von Gröbner-Basen trägt seinen Namen. Seine akademische Karriere führte ihn 1974 als ordentlicher Professor für Computer-Mathematik an die Johannes Kepler Universität Linz. 1987 gründete er dort das Forschungsinstitut für Symbolisches Rechnen (RISC), 1989 den Softwarepark Hagenberg. Der mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftler ist Ehrendoktor von derzeit sechs Universitäten, darunter auch die Universität Inns bruck, für die er Ende der 1990er-Jahre das 2001 gestartete Informatikstudium konzipierte.

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KURZMELDUNGEN

D er literarische Raum Nord-, Ost- und Südtirols seit dem 19. Jahrhun-

dert bis in die Gegenwart kann in einem neuen Online-Portal von verschiedenen Seiten her erkundet werden: Das gegen-wärtige literarische Leben, topografische Lektüren, historische Perspektiven, das Rezensionenmagazin LiLit etc. bilden die grundlegenden Ressourcen, die lau-fend aktualisiert und ergänzt werden. „Aufbauend auf jahrzehntelanger Grundlagenforschung präsentiert das Forschungsinstitut Brenner-Archiv in einer interaktiven Online-Plattform ein umfangreiches Literaturlexikon, eine Landkarte zum Literaturraum Tirol, Do-kumentationen und Rezensionen sowie einen Veranstaltungskalender. Damit stellt die Wissenschaft ihre Ergebnisse der interessierten Öffentlichkeit frei zur Verfügung“, erläutert Ulrike Tanzer, Lei-terin des Brenner-Archivs und Vizerek-torin für Forschung. Das Portal wurde und wird neben der Universität Inns-bruck von den Ländern Tirol und Südti-rol, von der Stadt Inns bruck und dem Wissenschaftsfonds FWF durch Förde-rungen ermöglicht.

DIGITALE LITERATURPLATTFORM W ährend des Astronomie-Studi-

ums an der Uni Inns bruck hat sich Werner Benger bereits mit

der Relativitätstheorie beschäftigt. Dieses Interesse führte ihn dann auch an das Albert-Einstein-Institut in Potsdam und später an die Louisiana State University, wo er mit dem bekannten Computerwis-senschaftler und Physiker Ed Seidel zu-sammenarbeitete und Software zur Ver-arbeitung sehr großer Datenmengen entwickelte. Daraus entstanden erste Vi-sualisierungen zu den Gravitationswel-len. Die Software aus der Astrophysik nutzt Benger heute beim Spin-off-Unter-nehmen AHM Software GmbH, an dem die Uni Inns bruck über die Uni-Holding beteiligt ist, um große Datenmengen aus der luftgestützten Vermessung zu verar-beiten. Nach der ersten experimentellen Beobachtung von Gravitationswellen

2016 erhielt die Firma den Auftrag, Simu-lationsdaten zum Experiment zu visuali-sieren. Daran betei ligt war auch Dominik Steinhauser, Doktorstudent am Institut für Astro- und Teilchenphysik. Mit der Bekanntgabe der wissenschaftlichen Sen-sation, die heuer auch mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigt wurde, gingen die in Inns bruck produzierten Bilder um die Welt. „Die Fähigkeiten, mit extrem groß-en Datenmengen umzugehen, kommen aus der Erfahrung mit dem Supercompu-ting für Gravitationswellen“, erzählt Werner Benger. „Diese nutzen wir bei AHM nun sehr erfolgreich für die Verar-beitung von Erdbeobachtungsdaten.“ Ein Beispiel ist die interaktive Darstellung eines zehn Terabyte großen Datensatzes, der ganz Bayern in einer Auflösung von weniger als 40 Zentimeter dreidimensio-nal beschreibt.

DATENZAUBERNach der Entdeckung der Gravitationswellen gingen die Bilder

von der Kollision zweier Schwarzer Löcher um die Welt. Produziert wurden sie von einem Spin-off der Uni Inns bruck.

ULTRAKALTE MIKROSKOPIE HAT WURZELN IN INNS BRUCK

D er Chemie-Nobelpreis ging in diesem Jahr an Jacques Dubochet, Richard Henderson und Joachim Frank für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie zur hochauflösenden

Strukturerkennung von Biomolekülen in Lösung – eine Erfolgsgeschichte für die Biochemie, die auch Wurzeln an der Universität Inns bruck hat. Der 2011 verstorbene Chemiker Erwin Mayer hat in den 1980ern am Institut für Allgemeine, Anorganische und Theoretische Chemie ein Verfahren entwickelt, das heute als „Hyperquenchen“ bekannt ist. Wässrige Proben können damit abgekühlt werden, ohne dass sich Eiskristalle bilden und damit die Struktur der im Wasser gelösten biologische Probe verändert wird – genau das, was in der Kryo-Elektronenmikroskopie gebraucht wird. Mayer und sein Team arbeiteten dabei auch direkt mit dem nunmehrigen Nobelpreisträger Jacques Dubochet von der Universität Lausanne zusammen – in Inns bruck hergestellte Proben wurden in der Schweiz im Kryo-Elektronenmikroskop untersucht.

Fotos: S. Ossokine, A. Buonanno (Max Planck Institute for Gravitational Physics) | Simulating eXtreme Spacetimes project | D. Steinhauser (Airborne Hydro Mapping GmbH); Martin Högbom/The Royal Swedish Academy of Sciences (1), Pixabay/Pexels (1)

Mehr über die Tiroler Literaturland-schaft in ihrer ganzen Vielfalt gibt‘s auf www.literaturtirol.at

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Steigen Sie jetzt ein.

Gemeinsame Forschungs-

und Entwicklungsprojekte

von Tiroler Betrieben und

Forschungseinrichtungen können

ab sofort wieder Fördergelder im

Programm K-Regio einwerben.

Das Land Tirol fördert gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte von Wissenschaft und Wirtschaft im regionalen Kompetenzzentrenprogramm K-Regio.

Im Rahmen der aktuellen Ausschreibung können Förderanträge bis zum 30. Jänner

2018 bei der Standortagentur Tirol eingereicht werden. Informieren Sie sich jetzt.

Projekte:

Kooperative F&E-Projekte mit hohem Entwicklungsrisiko, die von Konsortien partnerschaftlich durchgeführt werden und Produkt- oder Verfahrensinnovationen mit hohem Technologiesprung ermöglichen.

Fördernehmer:

Konsortien aus mindestens drei Partnern, davon eine Forschungseinrichtung und zwei Unternehmen (mindestens ein KMU) aus Industrie, produzierendem Gewerbe oder der produktionsnahen Dienstleistung.

Förderung:

Projekte erhalten bis zu 900.000 Euro an Fördermitteln bei maximaler Laufzeit von drei Jahren. Förderquoten bis 100 % sindmöglich. Für den aktuellen Call stehen insgesamt 2,7 Millionen Euro zur Verfügung. Das Programm wird aus Mitteln des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) kofinanziert.

· www.standort-tirol.at

· www.tirol.gv.at· Standortagentur Tirol· K-Regio

Kooperationzahlt sich aus

Beratung: Die Standortagentur Tirol hilft bei der Suche nach den passenden Partnern für Ihr Projekt und berät und begleitet Sie bei der Einreichung.

Antragsstelle: Standortagentur Tirol

Information:

www.standort-tirol.at/k-regio

Standortagentur Tirol

Bereich FörderprogrammeDI Rudolf Stoffner, PhD

Ing.-Etzel-Straße 17

6020 Innsbruck · Österreich+43.512.576262.241

[email protected]

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MIT HOCHTECHNOLOGIE IN DIE VERGANGENHEIT

Ein neues Labor an der Uni Inns bruck ermöglicht Forscherinnen und Forschern eine hochaufgelöste, schnelle und präzise Analyse von Bohrkernen. Die so gewonnenen Daten könnten wichtige Hinweise

auf künftige Klimabedingungen und Extremereignisse liefern.

B ohrkerne dienen Wissenschaftlern als hochaufgelöste Archive: Die einzelnen Sediment-Schichten, die

sich Jahr für Jahr in subaquatischen Bö-den, Höhlen oder Gesteinsformationen ablagern, geben Aufschluss über klima-tische und ökologische Bedingungen, Mensch-Umwelt-Beziehungen und Na-turereignisse wie Bergstürze oder Erdbe-ben zu Zeiten, die weit über historische Aufzeichnungen hinausreichen. Mit dem neuen Forschungslabor „Austrian Core Facility für wissenschaftliche Bohrkern-analysen“ steht den Forscherinnen und Forschern in Inns bruck nun das erste Kompetenzzentrum seiner Art zur Verfü-gung, das mittels modernsten Messver-fahren das Scannen von Bohrkernen und damit hochauflösende wissenschaftliche Analysen ermöglicht.

„Die neuen Scanner ermöglichen uns Analysen, die früher rund zwei Monate gedauert haben, in zehn Stunden vorzu-nehmen“, erläutert Michael Strasser, Ge-ologe und Leiter des neuen Kompetenz-zentrums. „Ein zwei Meter langer Bohr-kern aus einem Bergsee liefert uns Daten über einen Zeitraum von 10.000 Jahren. Mussten wir diesen früher Schicht für Schicht bearbeiten, um chemische und physikalische Eigenschaften für die ein-zelnen Zeitskalen zu erhalten, können wir ihn nun in seinem Originalzustand scannen“, beschreibt er die Vorgangswei-se. „Dies bedeutet für uns nicht nur eine enorme Zeitersparnis, sondern auch eine wesentlich größere Auflösung, was die Zeitskalen betrifft.“

Im Rahmen seiner Forschungsarbeit untersucht Michael Strasser subaqua-

GEOLOGIE

MICHAEL STRASSER: „Die neuen Scanner ermöglichen uns Analysen, die früher rund zwei Monate gedauert haben, in zehn Stunden vorzunehmen.“

Mehr über die Arbeit von Michael Strasser in „Zeit für Wissenschaft“, dem Podcast der Uni Inns bruck: www.bit.ly/bohrkern

Fotos: Andreas Friedle

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tische Bohrkerne aus alpinen Seen oder dem Meer, um darin nach Hinweisen auf Erdbeben oder Bergstürze zu suchen. Erdbebenwellen und Erschütterungen während eines Erdbebens induzieren Sedimentumlagerungen, Deformationen im Sediment und auch Unterwasser-Schlammlawinen.

Erdbeben vorhersagen„Wenn wir in Bohrkernen aus Seeböden systematisch nach diesen Ablagerungen von subaquatischen Rutschungen suchen, können wir einerseits feststellen, dass ein Erdbeben stattgefunden hat, und es da-tieren. Gleichzeitig kann mithilfe mecha-nischer und physikalischer Modelle rück-gerechnet werden, wie stark die Bodener-schütterung war“, beschreibt Strasser die Vorgangsweise. Auch das Epizentrum des Erdbebens kann berechnet werden: „Die Seen fungieren dabei als prähistorische Seismografen – mithilfe ihrer Daten kann man durch physikalische Berechnungen der Wellenausbreitungsgeschwindig-keiten räumliche Analysen durchführen.“ So hat sich Strasser in den letzten Jahren

für die Schweiz und Österreich ein Ar-chiv aus Bohrkernen in Seen aufgebaut, anhand derer er nachweisen kann, dass es in der Vergangenheit starke Erdbeben gab, diese aber weiter zurückreichen als die Geschichtsbücher. „Daraus lernen wir viel über die aktive Tektonik des Alpen-raums“, erläutert Strasser.

Neben Bohrkernen aus alpinen Seen untersucht der Geologe aber auch ozea-nische Bohrkerne. So ist er am Internatio-nal Ocean Discovery Program beteiligt, bei dem Wissenschaftler aus der ganzen Welt zusammenarbeiten, um in neue Welten vorzudringen: Im Rahmen einer Forschungsexpedition auf dem deut-schen Forschungsschiff Sonne entnahm

der Wissenschaftler 2016 Bohrkerne aus rund sieben Kilometern Tiefe. „Je mehr wir über vergangene Erdbeben wissen, umso wahrscheinlicher wird es, mögliche Indikatoren zur Prognostizierbarkeit von Erdbeben zu erkennen“, erklärt Strasser. „Die Vergangenheit liefert hier sozusagen die Schlüssel für die Zukunft.“

Neuland betretenDass das neue Labor neben Geologen auch anderen Disziplinen helfen kann, neue Aspekte in der Mensch-Umwelt-Beziehung zu erhalten, zeigte bereits der Testlauf im Labor. „Bei den Tests der Scanner, für die wir Bohrkerne aus dem Milstätter See verwendet haben, zeigten sich in diesen Spuren eines dort nicht ver-muteten Schwermetalls“, beschreibt Strasser. „Darauf anschließende Recher-chen zeigten, dass diese Hinweise auf historische Bergwerke im Einzugsgebiet geben“, verdeutlicht der Geologe das Po-tenzial des neuen Bohrkern-Labors, das ab November allen Wissenschaftsdiszipli-nen aller österreichischen Universitäten zur Verfügung steht. sr

GEOLOGIE

„ Je mehr wir über vergangene Erdbeben wissen, umso wahrscheinlicher wird es, mögliche Indikatoren zur Prognostizierbarkeit von Erdbeben zu erkennen.“ Michael Strasser, Institut für Geologie

AUSTRIAN CORE FACILITY FÜR WISSENSCHAFTLICHE BOHRKERNANALYSEN: Im neuen Kompetenzzentrum stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller österreichischen Universitäten und Disziplinen österreichweit einzigartig drei Hochleistungs-scanner mit einem Gesamtwert von rund 750.000 Euro zur Verfügung.Der GEOTEK MULTI-SENSOR CORE LOGGER (MSCL-S) ist ein Messgerät zur automa-tisierten und qualitätskontrollierten Erfassung wichtiger gesteinsphysikalischer Kennwerte mittels nicht-invasiver Messverfahren: So wird die Dichte und Porosität, die Ausbreitungs-geschwindigkeit von Kompressionswellen und die Magnetisierbarkeit des Bohrkernma-terials in hoher vertikaler Auflösung – Messung bis zu alle 0,1 Zentimeter entlang der Bohrkernachse – bestimmt. Der Scanner ermöglicht Messungen mit einer Geschwindigkeit zwischen 0,5 bis zwei Stunden pro Kernmeter je nach vertikaler Auflösung. (Bild Seite 38)Der SMARTCUBE CAMERA IMAGE SCANNER (SMART CIS) ist ein Bohrkernfoto-scanner, der Foto-Linescans geteilter Sedimentkerne oder abgerollte 360°-Mantel ober-flächen-Fotoaufnahmen ganzer Gesteinsbohrkerne in hoher Auflösung bis zu 1.000 dpi ermöglicht. (Bild 1)Der COX ANALYTICS XRF CORE SCANNER (ITRAX) ist ein Röntgenfluoreszenz-Kern-scanner mit digitaler Radiografie und liefert ein 22 Millimeter breites digitales Durchlauf-Röntgenbild mit bis zum 50 µm Auflösung für Mikrostruktur- und Textur-Analysen der Bohrkerne. Der Bohrkern wird der Länge nach automatisch gescannt, wobei mittels Rönt-genfluoreszenzspektroskopie für jeden Messpunkt (Messung bis zu 200 µm entlang der Bohrkernachse) gleichzeitig Gehalt und Verteilung der chemischen Elemente zwischen Al und U gemessen wird. Dies liefert innerhalb fünf Stunden pro Kernmeter hochauflösende, geochemische Proxy-Daten, um Umwelt- und Klimaveränderungen, Mensch-Umwelt-Beziehungen, extraterrestrische Impacts sowie die Wechselwirkungen und Zusammenhän-ge zwischen Geo- und Biomaterialien und geo- und umweltdynamischen Prozessen, die in der chemischen Signatur der Bohrkernarchive gespeichert sind, zu analysieren bzw. zu rekonstruieren. (Bild 2)Finanziert wurde der Aufbau des neuen Forschungslabors durch das Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) und die Universität Inns bruck.

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E in Gang auf den Langenferner gehört für Stephan Galos schon zur Routine. Fünf- bis siebenmal

im Jahr ist er oben in der Südtiroler Ortlergruppe, bohrt im Talschluss des Martelltales auf rund 3.000 Meter Pe-gelstangen zehn bis zwölf Meter tief ins Eis, grabt metertiefe Schächte in den Schnee, der den Winter über gefallen ist. Für den Mitarbeiter des Instituts für Atmosphären- und Kryosphärenwissen-schaften der Universität Inns bruck ist dies Teil seiner wissenschaftlichen Ar-beit, erstellt er doch eine Massenbilanz des Langenferners, misst die Zuwächse und Abgänge am Gletscher, setzt sie in ein Verhältnis. „Es funktioniert ähnlich einer finanziellen Bilanz“, meint Galos und fügt lachend hinzu: „Am Gletscher ist es aber einfacher, die Umsätze sind überschaubarer.“

Erstmals gemessen wurde die Diffe-renz zwischen dem Massenzufluss (Ak-kumulation) und dem Massenverlust (Ablation) eines Eiskörpers im Jahr 1874 am Schweizer Rhonegletscher. Es waren lediglich punktuelle Messungen, erst der Schwede Hans Ahlmann führte in den 1920er- und 1930er-Jahren jährliche Mes-sungen auf unterschiedlichen Gletscher-flächen durch, im Norden Schwedens, am Storglaciären, wird seit 1945 jedes Jahr eine Massenbilanz ermittelt.

„Weltweit gibt es gut 150 solcher Messprogramme, sie sind aber nicht gleichmäßig verteilt. Die meisten gibt es in Gegenden mit guter Infrastruktur, in den Alpen und in Skandinavien. In Österreich gibt es dreizehn Massenbi-lanzgletscher, die Universität Inns bruck betreut drei, zwei in den Ötztaler Alpen und seit 2004 jene am Langenferner“,

berichtet Stephan Galos. Wie gemessen wird, hängt vom Gletscher und der Fra-gestellung ab, es können fünf bis zehn, aber auch mehr Messpunkte sein. Am Langenferner, der sich von 2.711 Hö-henmeter bis hinauf auf 3.370 Meter er-streckt und dessen vergletscherte Fläche rund 1,6 Quadratkilometer beträgt, sind es 30 Messstationen.

An tief ins Eis gebohrten Pegelstangen wird an der Oberfläche am freien Stan-genteil der Eiszuwachs beziehungsweise -schwund gemessen, in den Schächten wird die Dichte und Höhe des ange-sammelten Schnees analysiert. Schnee-fall, erklärt Stephan Galos, mache den größten Teil der jährlichen Akkumula-tion aus, Massengewinn könne ein Glet-scher aber auch durch die Winddrift von Schnee, eventuell auch durch Lawinen erfahren. Die Ablation wird neben Ver-

BUCHHALTER DES EISESSchneefall und Eisschmelze bestimmen nicht nur das Leben der Gletscher, sondern auch jenes

von Stephan Galos. Am Langenferner misst er jährlich die Massenbilanz, für den Meteorologen ein wichtiger Link zwischen atmosphärischen Verhältnissen und der Entwicklung der Gletscher.

Fotos: Stephan Galos (4), Andreas Friedle (1)

KLIMAFORSCHUNG

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dunstung, Kalben und Lawinen vor allem durch das Schmelzen von Eis und Schnee bestimmt.

Langenferner-Bilanz„Im heurigen September gab es am Lan-genferner keinen Winterschnee mehr, in den wir Schächte graben und messen konnten“, erzählt Galos. Das Team der Uni Inns bruck erstellt am Langenferner auch eine Winterbilanz, kann daher den winterlichen Schneezuwachs messen und einen langjährigen Vergleich anstellen. „Nur im Frühjahr 2007 lag noch weni-ger Schnee am Langenferner“, verpackt der Meteorologe den äußerst schneear-men Südtiroler Winter 2016/17 in sach-liche Worte und ergänzt: „Daraus kann man aber keine Rückschlüsse ziehen. Im langjährigen Vergleich zeichnet sich kein Trend im winterlichen Schneefall in den hohen Gletscherregionen ab. Der letzte Winter war eine Ausnahme.“ Keine Aus-nahme aber, das zeigen die Messungen, sind die heißen Sommer mit früheren und längeren Hitzewellen. „Der Sommer 2015 war in den Ötztaler Alpen wärmer als der sogenannte Rekordsommer 2003, 2017 war vergleichbar“, weiß Galos. In Kombination mit dem geringen Winter-schnee ergibt das die negativste Jahresbi-

lanz seit 2003: ein Minus von 2.000 Kilo-gramm Eis pro Quadratmeter Eisfläche, „umgerechnet“, so Galos, „ist das eine 2,2 Meter dicke Eisschicht, die – gemittelt auf die Gletscherfläche – abgeschmolzen ist.“ Diese negative Massenbilanz von 2.000 Kilogramm pro Quadratmeter ist für den Forscher ein „direkt messbarer Link zwischen den atmosphärischen Verhält-nissen, also dem Wettergeschehen, und der Veränderung der Gletscher“. Einen Link, den er noch besser verstehen will.

„Als Wissenschaftler will man mehr als Verlust und Zuwachs quantifizieren, man will die Zusammenhänge besser verstehen“, sagt der gebürtige Vorarlber-ger. Ein solcher Zusammenhang ist der Anstieg des Meeresspiegels, „das welt-weite Schmelzen der Gebirgsgletscher liefert momentan den größten Anteil“. Sein Institutskollege Fabien Maussion etwa modelliert Zukunftsszenarien für Gletscher auf globaler Ebene. „Mit dem Prozessverständnis, das man aus den Auswertungen von Massenbilanzen ge-winnt, kann man Modelle entwickeln. Kombiniert mit Klimaszenarien erlaubt dies Berechnungen für die Zukunft, z. B. den Anstieg des Meeresspiegels.“ Galos und andere Buchhalter des Eises liefern dazu das Datenmaterial. „Wir arbeiten

auch an der Verbesserung unserer Me-thoden, um Fehler zu minimieren bzw. ‚Störgeräusche‘ zu filtern“, so Galos. „Darüber hinaus interessieren wir uns für die Prozesse, welche die Massen-bilanz bestimmen.“ Ein solcher ist der Wind am Berg, der Schnee vom oder auf den Gletscher bläst, der warme Luft mit sich bringt und Schneeverlagerungen verur sacht: „Am Langenferner haben wir unsere Messungen so designt, dass wir diesen Prozess besser verstehen lernen.“

Näher als das Meer ist dem Langenfer-ner der Vinschgau, ein Tal mit wenig Nie-derschlag und intensiver Landwirtschaft, bewässert wird dort seit Jahrhunderten. „Der Langenferner entwässert in den Vinsch gau, in heißen trockenen Sommern kommen bis zu 50 Prozent des Wassers der Etsch vom Gletscher“, macht Galos auf einen lokalen Zusammenhang auf-merksam, könnte doch der Gletscher-schwund in solch trockenen Alpentälern eine direkte Auswirkung auf die Bewäs-serung und den Wasserverbrauch haben. Und das relativ zeitnah. Stephan Galos: „Durch unser Verständnis über die Be-obachtungen und in Kombination mit den Messungen kann man sagen, dass der Langenferner in wenigen Jahrzehnten verschwunden sein wird.“ ah

STEPHAN GALOS studierte in Inns bruck Meteorologie und Geophysik. Er arbeitet als PhD am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften, zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Mas-senbilanzen des Langenferner, ein Gletscher des Cevedale-Massivs in den Ortler-Alpen. Auf rund 3.000 Meter Höhe werden dafür jährlich die Akkumulation und Ablation des Gletscher gemessen, für das „Bilanzjahr“ Oktober 2016 bis September 2017 ergab dies ein Minus von 2.000 Kilogramm Eis pro Quadratmeter Gletscherfläche.

KLIMAFORSCHUNG

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RECHTSWISSENSCHAFT

Foto: Andreas Friedle

MARIA BERTEL (*1987 in Bezau, Vorarlberg) ist seit Mai 2016 Elise-Richter-Stellenin-haberin des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF am Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre. Sie arbeitet dort an ihrem Habilitationsprojekt „Das Effizienz prinzip der österrei-chischen Verfassung“. Ihre ver-fassungsrechtliche Dissertation zum Thema „Dezentralisierung in Peru: die (verfassungs-)rechtliche Stellung der Regi-onen und Kommunen“ schloss sie 2012 ab. Neben dem Studium der Rechtswissen-schaften hat Maria Bertel auch ein Bakkalaureats-Studium der Philosophie in Innsbruck abgeschlossen.

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RECHTSWISSENSCHAFT

EFFIZIENTE DEMOKRATIE?Wie Effizienz als verfassungsrechtlicher Begriff und Demokratie zusammengehen,

erforscht die Innsbrucker Juristin Maria Bertel.

E ffizient soll er handeln, sparsam, wirtschaftlich: Nicht erst, aber verstärkt seit der Wirtschaftskrise

stehen der Staat und sein Handeln unter Beobachtung, insbesondere hinsichtlich der Effizienz. Aber was heißt das eigent-lich, effizientes Handeln? Lässt es sich in ein juristisches Schema bringen, an dem staatliche Aktionen gemessen und be-urteilt werden können? Und was heißt ein verfassungsrechtliches Gebot von effizientem Handeln für demokratische Prozesse, die oft per Definition wenig ef-fizient sind, gilt es doch, viele Meinungen einzubinden? Diese Fragen beschäftigen

die Juristin Maria Bertel: „In den letzten Jahren fanden Forderungen in Zusam-menhang mit einer höheren Wirtschaft-lichkeit und Sparsamkeit des Staates, wie zum Beispiel der Ruf nach Schulden-bremsen und ähnlichen Instrumenten, vermehrt Eingang in die öffentliche Dis-kussion. Für das Budgetrecht legt die Verfassung allerdings schon jetzt explizit die Beachtung des sogenannten budget-rechtlichen Effizienzgebotes fest.“ Nun kennt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) darüber hinaus auch ein allgemeines ver-fassungsrechtliches Effizienz gebot, das er insbesondere aus den Bestimmungen über Prüfungen durch den Rechnungs-hof ableitet. „Die Rechnungshof-Bestim-mungen legen fest, dass der Rechnungs-hof die Staatswirtschaft im Hinblick auf die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen hat. Daraus leitet der VfGH ein allgemeines Effi-zienzgebot ab, das sich nicht nur auf Rechnungshof-Prüfungen bezieht.“

Zentrale Frage ist, ob sich ein Effi-zienzgebot auch an den Gesetzgeber rich-tet – falls ja, wären Gesetze vom VfGH nämlich unter Umständen mit dem Argu-

ment der Ineffizienz aufhebbar: „Die Lite-ratur weist, gestützt durch die Rechtspre-chung des VfGH, überwiegend darauf hin, dass sich das Effizienzgebot auch an den Gesetzgeber richtet. Bislang hat der VfGH jedoch noch kein Gesetz aufgrund von Ineffi zienz aufgehoben.“

Effizienz und DemokratieSeit mehreren Jahren findet dieses vom VfGH so eingeführte Effizienzgebot auch regelmäßig Eingang in die einschlägige Fachliteratur, sagt Maria Bertel: „Kaum ein Lehrbuch der vergangenen Jahre kommt ohne dieses Effizienzgebot aus.

Eine exakte Definition gibt es bislang jedoch noch nicht und die versuche ich nun. Die für mich momentan span-nendste Frage ist, inwieweit sich das Effizienzgebot an den Gesetzgeber rich-tet und ihn bindet, weil das unmittelbar Auswirkungen auf demokratische Pro-zesse hat.“ Wenn sich das verfassungs-rechtliche Effizienzprinzip auch an den Gesetzgeber richtet, kann das zum einen bedeuten, dass Gesetze Effizienzvorga-ben entsprechen müssen. Zum anderen könnte jedoch auch der demokratische Prozess selbst unter Effizienz-Gesichts-punkten betrachtet werden. „Effizienz gilt grundsätzlich meist nicht als rechtliches, sondern als wirtschaftliches Konzept. Die Demokratie mit wiederkehrenden Wahl-en und Verhandlungen in Parlamenten ist unter diesem Blickwinkel jedoch nicht unbedingt effizient. Wenn man Effizienz also eng auslegt, kann das auf Kosten der Demokratie gehen oder sie sogar ge-fährden“, sagt Maria Bertel. Sie arbeitet deshalb an einer offener gefassten Defi-nition des Begriffs: „Ich will mich dem Effi zienzbegriff eben nicht ausschließlich wirtschaftlich, sondern unter anderem

auch philosophisch nähern und untersu-chen, ob es hier nicht für den Rechtsstaat einen anderen Effizienzbegriff braucht.“

Der VfGH bezieht sich konkret in Ent-scheidungen zu Privatisierungen auf das Effizienzgebot, erklärt die Juristin: „Der VfGH bleibt sehr vage. Aus seinen Ent-scheidungen ergibt sich kein fixes Raster, nach dem man alle künftigen Fälle ab-prüfen könnte. Im Bereich von Privatisie-rungen lese ich die VfGH-Erkenntnisse so, dass die Ausgliederung von Aufga-ben im Vergleich zur Besorgung durch den Staat nicht teurer kommen oder in-effizienter sein darf. Das heißt: Für den Staat sollte sich kein schwerwiegender Nachteil aus einer Ausgliederung erge-ben.“ Andere Fälle, die vom Forschungs-projekt umfasst sind, sind zum Beispiel Gemeindezusammenlegungen, für die vielfach mit einer gesteigerten Effizienz argumentiert wird, oder die Frage nach der Effizienz des Bundesstaates – Forde-rungen nach Reformen der föderalisti-schen Struktur sind praktisch immer mit Effizienz-Argumenten verbunden.

TransparenzWie könnte nun ein Effizienzbegriff aus-sehen, der auch rechtlich anwendbar ist? Für Maria Bertel spielt Transparenz hier eine wichtige Rolle: „In den Wirtschafts-wissenschaften gibt es den Begriff des Minimal- und des Maximalprinzips: Wie kann man mit möglichst geringem Mittel-einsatz einen bestimmten Nutzen erlan-gen? Und wie mit gegebenen Mitteln ein möglichst gutes Ergebnis erlangen? Ich denke, im Verfassungsrecht könnte man auf dieser Sichtweise aufbauen, ohne je-doch damit einen Optimierungszwang zu verbinden. Sinnvoll scheint mir, den Mit-teleinsatz und das erwartete Ergebnis sichtbar und damit auch besser abschätz-bar zu machen.“ Bertels Projekt wird vom Fonds zur Förderung der wissenschaftli-chen Forschung (FWF) im Rahmen des Elise-Richter-Programms unterstützt und läuft noch bis 2020. sh

„ Die für mich momentan spannendste Frage ist, inwieweit sich das Effizienzgebot an den Gesetzgeber richtet und ihn bindet, weil das unmittelbar Auswirkungen auf demokratische Prozesse hat.“ Maria Bertel

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zukunft forschung 02/1732

D ie Fotos vom letzten Urlaub in den Anden, zwei Staffeln „Brea-king Bad“ als Netflix-Download,

drei unfertige Text-Dokumente und eine ganze Reihe weiterer fertiger, gefühlte 5.000 E-Mails, alle Nirvana-Alben als MP3, und das ist nur der private Com-puter: Wir alle sammeln und erzeugen nahezu täglich Unmengen an Daten. Manche davon relevant, andere weniger; manche komplex, andere einfach struk-turiert. Insgesamt gibt es Schätzungen,

dass vom weltweiten Datenvolumen –inzwischen zumindest einige Billionen Gigabyte – maximal ein Viertel auch nützlich ist und nur etwa ein Prozent tatsächlich analysiert werden kann.

Mit Methoden dieser Analyse be-schäftigt sich die Mathematikerin Karin Schnass in ihrem vom österreichischen Wissenschaftsfonds FWF mit einem START-Preis geförderten Projekt: „Viele stellen sich die Analyse von Daten rela-tiv einfach vor: Schlagworte sind dann Deep Learning, Machine Learning, das passiert alles automatisch und dann machen wir wunderbare Dinge damit. Leider ist es nicht so einfach: Daten sind nämlich leider nie wirklich sauber und liegen praktisch nie so vor, wie man sich das theoretisch überlegt hat. Nehmen wir als Beispiel die Auswertung von Fo-tos: Sie haben Bilder von Leuten, da ist dann einmal der Kopf schief, einmal ist die Person bei den Ohren, einmal bei der Stirn abgeschnitten. Aber man hätte ger-ne, dass der Kopf immer die gleiche Grö-ße hat und zentriert am Bild ist – dabei ist aber die Tatsache, dass jemand einen sehr großen Kopf hat, auch ein Merkmal

WÖRTERBUCH AUS DATENJeder und jede von uns erzeugt nahezu täglich Unmengen an Daten.

Am Institut für Mathematik arbeitet START-Preisträgerin Karin Schnass mit ihrem Team daran, diese Daten auch optimal auszuwerten.

Fotos: Karin Schnass (4), Andreas Friedle (1)

MATHEMATIK

„ Daten liegen praktisch nie so vor, wie man sich das theoretisch überlegt hat.“ Karin Schnass

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zukunft forschung 02/17 33

MATHEMATIK

ZWEI BEISPIELE für automatisch erstellte Dictionarys: Das Dictionary des Affen (4. Bild von links) enthält mehr Atome, weil das Bild komplexer ist. Das Dictionary der Paprikas hingegen kommt mit weniger Atomen aus (2. Bild von links).

und das gehört berücksichtigt. Bis man die Daten einmal soweit hat, dass das alles passt, hat man extrem viel Zeit in-vestiert.“

Dictionary LearningDie Methode, die Schnass und ihr Team für die Auswertung von Daten – Bilder, Audio, aber theoretisch jede Art von Datenquelle – verwendet, heißt „Dictio-nary Learning“: Ein Bild wird in Stücke zerschnitten, diese Bildstücke bilden die Datenquelle. „Üblich ist dabei eine Größe von 8 x 8 Pixel, also 64 Pixel pro Stück. Was wir wollen, ist, dass alle denkbaren Formen, die im Bild vorkommen, auch in den Stücken repräsentiert sind“, er-klärt Schnass. Diese Stücke werden dem Lern-Algorithmus übergeben, der am Ende ein Dictionary, ein Wörterbuch, der gewünschten Größe ausspuckt, aus dem sich das Ausgangsbild wieder zu-sammensetzen lässt. Wie viele einzelne Teile – in der Fachsprache „Atome“ – ge-braucht werden, hängt natürlich von der Komplexität des Ausgangsbilds ab (siehe Bilder). „Es gibt eine Reihe von Bildern, an denen die Algorithmen weltweit ge-testet werden, unter anderem eines von Paprikas und eines von einem Affen. Der Affe ist aufgrund der feinen Fellstruktur schwieriger, da werden insgesamt mehr Atome gebraucht als bei den Paprikas, die aus vielen glatten Flächen bestehen“, sagt die Mathematikerin.

Anwendung findet die Methode aller-dings weniger in der Kompression von Daten – dafür gibt es effizientere Verfah-ren – als in der Wiederherstellung von beschädigten Portionen. „Stellen Sie sich ein zerknülltes Foto vor: Die Risse, die beim Zerknüllen entstehen, sind Leer-stellen, die wir aber gerne gefüllt hätten. Nun kommt uns zugute, dass Bilder ja nie komplett zufällig zusammengesetzt sind, sondern immer etwas zeigen – wir können also unseren Algorithmus sogar

über das zerstörte Foto laufen lassen und erhalten unbeschädigte Atome.“ Mit die-sen unbeschädigten Atomen können die Forscherinnen und Forscher dann beschä-digte Teile des Bilds wiederherstellen.

„Daten, egal welcher Form, kann man sich als Punkte in hochdimensionalen Räumen vorstellen. Aber es ist nicht so, dass diese Räume voll sind, also dass ein Datenpunkt tatsächlich ein ganz belie-biger Punkt im Raum sein kann – meis-tens sind diese Punkte in irgendwelchen Strukturen angeordnet, etwa auf einer Linie“, sagt Karin Schnass. Diese Eigen-schaft von Daten machen sich die For-scherinnen und Forscher zunutze: „Wenn ich jetzt nicht die gesamten Informationen habe, kann ich dennoch von vorhandenen Informationen auf das Gesamtbild schlie-ßen. Ich habe zum Beispiel ein Compu-tertomografie-Gerät, will aber Patienten nicht einer hohen Strahlenbelastung aus-setzen und viel Energie verbrauchen, al-

so mache ich weniger Messungen. Dann habe ich zwar weniger Informationen, aber ich weiß, dass die Daten auf einer bekannten Struktur liegen. Ich verwende also bekannte Zusatzinformationen, um Daten zu rekonstruieren und von weniger Punkten auf das Gesamtbild zu schlie-ßen. Bei der Magnetresonanztomografie wird das bereits verwendet: Man spart sich Messungen, weil man weiß, dass die Daten eine niedrigdimensionale Struktur haben, und das verwendet man, um die Anzahl der Messungen zu reduzieren. Auch ein Dictionary ist eine Art einer niedrigdimensionalen Struktur.“

Denkbar ist ein Einsatz auch in Szena-rien, wo Energie nur begrenzt zur Verfü-gung steht: Wenn etwa ein Mars-Rover nur die nötigsten Messungen vornimmt, hält die Batterie länger. Der Aufwand, die gesendeten Daten dann auf der Erde um-zurechnen, ist größer, hier spielt der En-ergieverbrauch aber auch eine geringere Rolle. „Das gleiche Phänomen haben wir übrigens auch bei handelsüblichen Ka-meras, wenn in JPG gespeichert wird: Die Kamera macht derzeit das Foto und rechnet dann selbst auf das komprimierte JPG-Format runter. Das benötigt natürlich auch Energie. Ein anderer Zugang wäre, wenn man wirklich viele Bilder speichern will und die Batterie lang halten soll, auch hier mit der Kamera nur die nötigsten Messungen für ein Foto zu machen und den Rest erst später am Computer rech-nen zu lassen. Aber das ist derzeit noch Zukunftsmusik.“

Karin Schnass und ihr Team arbeiten im Moment an der Verbesserung ihrer ei-genen Dictionary-Learning-Algorithmen und an möglichen Einsatzgebieten – so ist es etwa alles andere als trivial, automa-tisch festzustellen, wie viele Atome im Dictionary tatsächlich gebraucht werden, vor allem, wenn die Ausgangsdaten schon Fehler aufweisen. Das Projekt ist derzeit bis 2021 angesetzt. sh

KARIN SCHNASS (*1980 in Klosterneu-burg) erwarb 2004 ihr Diplom in Mathe-matik an der Universität Wien, bevor sie im Jahr 2009 an der ETH Lausanne in der Schweiz promovierte. Nach Geburt ihres ersten Kindes und einer Karenz 2009 forschte die Mathematikerin als Postdoc am Johann Radon Institute for Computa-tional and Applied Mathematics (RICAM) in Linz. Nach Geburt ihres zweiten Kinds 2011 und einer Karenz arbeitete sie als Erwin-Schrödinger-Stipendiatin des Wissenschaftsfonds FWF an der Univer-sità degli studi di Sassari in Italien, bevor sie im Oktober 2014 an die Universität Innsbruck wechselte. Für ihr Projekt „Op-timierung, Modelle und Algorithmen für Dictionary Learning“ erhielt Karin Schnass 2014 einen START-Preis, mit bis zu 1,2 Millionen Euro die höchstdotierte Aus-zeichnung für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Österreich.

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zukunft forschung 02/1734 Fotos: Uni Inns bruck (2), Bartenbach

WISSENSTRANSFER

BETON, LICHT UND ÖLDer Förderkreis 1669 der Uni Inns bruck unterstützt die Entwicklung von drei Prototypen, mit denen Forschungsergebnisse in konkrete Anwendungen umgesetzt werden sollen.

D er Großbrand im Londoner Grenfell Tower hat auf dramatische Weise deut-lich gemacht, wie wichtig Brandschutz

auch bei Fassadenkonstruktionen ist. Am häu-figsten werden heute kunststoffbasierte Mate-rialien verwendet. Forscher um Roman Lack-ner vom Arbeitsbereich Materialtechnologie arbeiten nun an einer vielversprechenden Alternative. Zementgebundene Systeme, die sich durch den gezielten Eintrag eines Poren-systems auszeichnen, zeigen hervorragende Eigenschaften hinsichtlich des Brandschutzes und können gut wiederverwertet werden. Bisher eingesetzter Schaumbeton weist aller-dings noch schlechtere Wärmedämmeigen-schaften als herkömmliche Materialien auf. Mit Unterstützung des Förderkreises will Lackner dies nun mit seinem Team durch die thermomechanische Optimierung des Poren-raums im Beton ändern.

MesstechnologieMit komplexen Fassadensystemen lassen sich auch in stark verglasten Gebäuden an-genehme Lichtverhältnisse erzielen und die notwendige Kühlung reduzieren. Trotz der Vorteile werden diese modernen Fassadensys-teme heute nur zögerlich eingesetzt. Ein we-sentlicher Grund dafür ist, dass nur spärlich Daten aus Messungen zur Verfügung stehen und reine Simulation für die Produktentwick-lung nicht ausreicht. Für die Bestimmung der Leuchtdichteverteilung werden sogenannte

Goniophotometer eingesetzt. Ein Team um Rainer Pfluger vom Arbeitsbereich Energieef-fizientes Bauen entwickelt derzeit ein neu-artiges Goniophotometer, das die Nachteile vorhandener Messgeräte überwindet und so neue Möglichkeiten für die Vermessung von Fassaden etablieren könnte. Die Innovation liegt dabei in der direkten optischen Mes-sung der Dichteverteilung des von einem Objekt ausgehenden Lichtstroms. Mit dieser Entwicklung soll die Basis für die Herstellung von Goniophotometern mit niedrigen Kosten und hoher Auflösung bei kurzer Messdauer gelegt werden.

TrennverfahrenInge Hackl vom Institut für Allgemeine, An-organische und Theoretische Chemie arbeitet an einer neuen Möglichkeit zur Trennung von Öl und Wasser. Fettabscheideanlagen finden in der Wasseraufbereitung, nach Ölkatastro-phen oder in der Industrie Anwendung. Ba-sierend auf einer von ihrem Kollegen Herwig Schottenberger kürzlich entwickelten und von der Uni Inns bruck patentierten Verbindungs-klasse arbeitet die Chemikerin an einer Alter-native zu herkömmlichen Wasseraufberei-tungssystemen. Grundlage dafür ist eine gleichzeitig wasseranziehende und ölabwei-sende Oberflächenbeschichtung. Mit den Mit-teln des Förderkreises will sie das Verfahren weiterentwickeln und für die Markteinfüh-rung vorbereiten. cf

THERMOMECHANISCH optimierter Schaumbeton als alternatives Fassadenelement (li.), eine Spiegellamelle der Firma Bartenbach (mi.), deren Eigenschaften mit einem neu entwickelten Messgerät einfacher untersucht werden können, und eine neue ölabweisende Oberflächenbe-schichtung (re.), die in Zukunft zur Trennung von Öl und Was-ser eingesetzt werden soll.

Die Mitglieder unterstützen die Universität als Netzwerk von Verbündeten, als Brücke in die Gesellschaft – sowohl ideel als auch materiell. Infos: www.uibk.ac.at/foerderkreis1669

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zukunft forschung 02/17 35Fotos: Stephan Elsler (1), colourbox.de (1), Aria Sadr-Salek/www.photography.snow.at (1)

WISSENSTRANSFER

D as Spin-off Txture GmbH der Uni Inns bruck unterstützt global agie-

rende Unternehmen dabei, ihre welt-weiten Cloud-Systeme erfolgreich zu planen und zu optimieren. Das junge Unternehmen hat sich für das Finale des European Venture Contest im De-zember in Düsseldorf qualifiziert. Über 1.000 europäische Technologie-Start-ups bewarben sich für die elfte Ausga-be des European Venture Contest, die besten 100 haben sich in Vorveranstal-tungen in ganz Europa für das Finale qualifiziert.

Trends wie Industrie 4.0, Internet der Dinge oder smarte Systeme verändern die Unternehmenswelt. Viele promi-nente Sicherheitsvorfälle, darunter ge-hackte, fremdgesteuerte Autos, massen-

haft gestohlene Kundendaten oder ge-schäftskritischer Ausfall von IT-Syste-men, machen aber auch deutlich, dass IT-Innovation die Beherrschbarkeit der neuen Technologien voraussetzt. Das Team um die Informatik-Professorin Ruth Breu hat diese neuen Erforder-nisse an das IT-Qualitätsmanagement sehr früh erkannt und arbeitet bereits seit 2009 im Kompetenzzentrum QE LaB in Kooperation mit Industriepart-nern wie Infineon, Siemens und der Porsche Holding an neuen Methoden und Werkzeugen. Das Gründungsteam der Txture GmbH, Matthias Farwick, Thomas Trojer und Ruth Breu, ver-marktet ein Werkzeug am internationa-len Markt, das die planerische Abbil-dung von IT-Assets grundlegend neu interpretiert. Inspirieren ließ sich das Team dabei von interaktiven Landkar-ten wie beispielsweise Google Maps.Die Universität Inns bruck ist über die Uni-Holding an dem erfolgreichen Technologieunternehmen beteiligt.

ERFOLGREICHES SPIN-OFF

H inter Campus Tirol Motorsport (CTM) steht eine Vereinigung en-gagierter Studierender von den

Hochschulen Tirols. Im Oktober vergan-genen Jahres haben sie erstmals mit einer Konstruktion eines mit Elektromotoren ausgestatteten Rennwagens begonnen, den sie ein Jahr später erfolgreich präsen-tierten. „Vor nur einem Jahr haben wir mit unseren Ideen auf einem weißen Blatt Papier begonnen und uns gemein-sam alle weiteren Schritte erarbeitet. Erst-mals ein Team in Inns bruck aufzubauen, war ein großer Reiz, und wir sind bereits in den Vorbereitungen für die Konstruk-tion eines neuen Autos, mit dem wir im kommenden Jahr in Spielberg an den Start gehen wollen“, sagt Lukas Dür, Mechatronik-Student an der Universität

Inns bruck und Projektleiter von CTM. Ganz im Sinne des Ziels von Tirol 2050 soll das elektrisch fahrende Auto nicht nur schnell, sondern auch effizient sein. „Das ist die Zukunft und wir möchten mit unseren Ideen einen innovativen Bei-trag für weitere Entwicklungen leisten“, freut sich das CTM-Team mit dem Ziel, ein Auto von 0 auf 100 km/h unter drei Sekunden beschleunigen zu können. Das innovative Antriebskonzept des Rennwa-gens mit vier Elektromotoren zeigt die Möglichkeiten zukünftiger Technologien auf und bringt der Region umweltscho-nende Mobilität näher. „Dieses Zeichen wollen wir gemeinsam mit den uns un-terstützenden Unternehmen setzen, um nachhaltige Antriebskonzepte zu för-dern“, betont Dür.

GRÜNES RENNAUTOTirol hat ein Motorsportteam. Studierende konstruierten ein

Elektro-Rennauto zur Teilnahme an der Formula Student.

EIN JAHR UNTERNEHMERSCHMIEDE INNCUBATOR

Aufgrund der sehr guten Auslastung des InnCuba-tors und der bewährten Kooperation zwischen

der Tiroler Wirtschaftskammer und der Universität Inns bruck wurde das vor einem Jahr gegründete gemeinsame Gründerzentrum ausgebaut. Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern wurde auf dem WIFI Campus die Basis für neue Lern- und Arbeitsräume geschaffen. „Durch die Erweiterung soll ein pulsierendes Ökosystem entstehen, in dem Innovationen und Start-ups weiterentwickelt werden“, erklärt WK-Präsident Jürgen Bo-denseer. Von Lehrlingen über Studierende bis hin zu Quereinsteigern – das Angebot des InnCubators steht allen unternehmerisch denkenden Menschen in Tirol offen. „Wir haben die Kompetenzen und Ressourcen der Wirtschaftskammer und der Universität zusammen-gefasst und diese um ein zusätzliches Angebot erweitert“, sagt Rektor Tilmann Märk. Im ersten Jahr unterstützte die Unternehmerschmiede über 15 Start-ups.

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Aktuelles aus den Weiterbildungsangeboten an der Universität Innsbruck

▪ Wirtschaftskriminalität, Korruption & Recht▪ Library and Information Studies▪ Frieden, Entwicklung, Sicherheit und internationale Konfl ikttransformation▪ Pädagogische Qualität und Qualitätsentwicklung im Kindergarten▪ Textile & Polymere Science

Die wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Innsbruck vermittelt Zusatz- und höhere Fachqualifi kationen in den an der Universität vertretenen Studienrichtungen. Dabei werden Forschung auf höchstem Niveau und aktueller Praxisbezug miteinander verbunden.

19 Universitätslehrgänge | 27 Universitätskurse und Seminare

55 Unternehmenspartner | 850 Teilnehmende

fachspezifi sche Kompetenzen erweitern | aktueller Praxisbezug

berufsbegleitend studieren

Leben & Lernen – universitäre Weiterbildung

www.uibk.ac.at/weiterbildung

Koordinationsstelle für universitäre Weiterbildung

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QUANTENPHYSIK

NANOMAGNETE IN SCHWEBEQuanteneigenschaften lassen Nanomagnete über einem Magnetfeld schweben, obwohl das laut dem klassischen Earnshaw-Theorem eigentlich unmöglich ist.

M it Dauermagneten kann man keine stabil schwebende Kon-struktion errichten, das hat

der Brite Samuel Earnshaw bereits 1842 nachgewiesen. Lässt man einen Ma-gneten über einem anderen schweben, genügt die kleinste Störung, um ihn ab-stürzen zu lassen. Der Magnetkreisel, ein beliebtes Spielzeug, umgeht dieses Earn-shaw-Theorem. Bei einer Störung richtet die Kreiselbewegung ihn wieder so aus, dass die Stabilität erhalten bleibt. Nun haben Physiker um Oriol Romero-Isart vom Institut für Theoretische Physik der Universität Inns bruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninforma-tion der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gemeinsam mit Forschern am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching erstmals gezeigt, dass Nano-magneten auch in Ruhe über einem sta-tischen Magnetfeld schweben können. „In der Quantenwelt können winzige Nano-teilchen ruhend über einem Magnetfeld schweben“, sagt Romero-Isart. „Verant-wortlich dafür sind Quanteneigenschaf-

ten, die in der makroskopischen Welt nicht wahrnehmbar sind, bei Nanoob-jekten aber stark hervortreten.“

Stabil schweben lassenAlbert Einstein hat gemeinsam mit dem niederländischen Physiker Wander Jo-hannes de Haas 1915 nachgewiesen, dass der Magnetismus auf ein quantenmecha-nisches Phänomen zurückgeht, nämlich den Drehimpuls von Elektronen, den sogenannten Elektronenspin. Die Phy-siker um Romero-Isart zeigen nun, dass dieser Elektronenspin es einem Nano-magneten erlaubt, im Ruhezustand über einem statischen Magnetfeld zu schwe-ben, obwohl das nach dem klassischen Earnshaw-Theorem eigentlich unmöglich ist. Die Theoretiker haben ausführliche Stabilitätsanalysen abhängig vom Radius des Objekts und der Stärke des externen Magnetfelds gemacht. Diese zeigen, dass in Abwesenheit von Reibungsverlusten (Dissipation) sich ein Gleichgewichtszu-stand einstellt. Verantwortlich dafür ist der gyromagnetische Effekt: Bei Ände-

rung der Magnetisierung tritt wegen der Kopplung der magnetischen Momente mit dem Spin der Elektronen ein mecha-nisches Drehmoment auf. „Dadurch wird der magnetische Schwebezustand des Nano magneten stabilisiert“, erklärt Cosi-mo Rusconi. Darüber hinaus konnten die Forscher auch zeigen, dass die Freiheits-grade des schwebenden Nanomagnets miteinander quantenverschränkt sind.

Romero-Isart ist optimistisch, dass die-se schwebenden Nanomagnete bald auch im Labor beobachtet werden können. Sie machen Vorschläge, wie dies unter realis-tischen Bedingungen gelingen könnte. Schwebende Nanomagnete bieten ein völlig neues Experimentierfeld für die Physiker. Unter instabilen Verhältnissen könnten sie exotische Quantenphäno-mene offenbaren. Auch könnten mehrere Nanomagnete miteinander gekoppelt und die Ausbreitung der Magnetisierung im Labor simuliert und studiert werden. Technisch sind schwebende Nanomagne-te zum Beispiel auch als hochsensible Sensoren interessant. cf

Foto: IQOQI Inns bruck/M.R.Knabl

FASZINIERENDE QUANTENWELT: Cosimo Rusconi und Oriol Romero-Isart (re.) lassen einen Magnetkreisel schweben.

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W ir haben sie im Kopf: die ausge-lassen tanzenden Seniorinnen und Senioren, die älteren, gepflegten

Paare, die sich bedeutungsvoll lächelnd zu-prosten, die Fußball spielenden Großmütter und die verwegenen, grauhaarigen Radfah-rer aus der Werbung. Die Gesellschaft sug-geriert uns laufend, wie schön aktives Altern sein kann. Im Gegenzug wird Pflegebedürf-tigkeit negativ bewertet. Das zeigt sich ganz besonders, wenn man genau zuhört, wie im öffentlichen Diskurs über Pflege gesprochen wird. Und das macht Bernhard Weicht vom Institut für Soziologie seit über zehn Jahren. „Als um das Jahr 2005 in Österreich die Dis-kussion um die 24-Stunden-Betreuung auf-poppte, habe ich mit meinen Diskursanalysen begonnen“, berichtet Bernhard Weicht. „Ich fand es irrsinnig spannend, welche Sprache verwendet wurde, um die Betreuerinnen zu bezeichnen, welche Geschichten erzählt und welche Bilder geschaffen wurden.“ So war „Pflegenotstand“ damals ein Lieblingsbegriff in Medien und Politik und diente häufig, um Schreckensszenarien zu übertiteln, die im Zusammenhang mit künftig notwendigen Pflegekosten gezeichnet wurden.

Weicht beschäftigt sich seither mit ver-schiedenen Aspekten der Diskussion um Pflege, sowohl im informellen als auch im in-stitutionellen Bereich. Neben der Analyse der öffentlichen Diskurse und deren Reprodukti-on durch die Politik sind auch zahlreiche In-terviews mit Pflegebedürftigen, Pflegenden, Pflegekräften und weiteren Fokusgruppen Basis seiner Forschungsarbeit.

Abhängigkeit als TabuEin Kernthema von Bernhard Weicht ist Abhängigkeit im Alter, die seinen Unter-suchungen zufolge als „schlimmste Phase“ des Lebens konstruiert wird. „In einer Ge-sellschaft, wo Autonomie so wichtig ist,

will niemand abhängig sein.“ Obwohl die Lebenserwartung steigt und es immer mehr alte Menschen gibt, sind Abhängigkeiten im Alter ein großes Tabu. Pflegeheime entwi-ckeln sich zunehmend zu Alternativen, die nur in Betracht gezogen werden, wenn der Pflegeaufwand extrem hoch ist. Möglichst

lange zu Hause zu wohnen, ist ein viel ge-hegter und häufig auch gesellschaftlich sug-gerierter Wunsch. Diese Ansprüche finden jedoch keine entsprechenden Rahmenbedin-gungen im System, das in den Augen von Bernhard Weicht in der aktuellen Form so nicht funktioniert und in Zukunft noch we-niger funktionieren wird.

Ein Blick auf das in Österreich beliebte Modell der 24-Stunden-Betreuung ist bei-spielhaft: Waren es früher im Bereich der informellen Pflege vor allem weibliche Fa-milienmitglieder, die die Alten-Betreuung unentgeltlich übernommen haben, so er-möglicht seit 2007 die im Hausbetreuungs-gesetz verankerte 24-Stunden-Betreuung den Traum vom Altern in vertrauter Umgebung. „Die 24-Stunden-Betreuung, die vorwiegend durch Pflegekräfte aus dem Ausland getragen wird, wurde geschaffen beziehungsweise ge-setzlich legalisiert, ohne das Pflegesystem grundsätzlich zu ändern“, kritisiert Weicht. Er führt eine Reihe von Problemen an, die diese besonderen Beschäftigungsverhält-nisse mit sich bringen, unter anderem die Abgrenzung von Privatleben und gemein-schaftlichem Leben, die Frage, was alles Teil des Beschäftigungsverhältnisses ist und was nicht mehr, oder die Frage, ob und wann es Freizeiten gibt. „Es gibt kaum Regelungen.

DAS ALTER NEU DENKEN

Abhängigkeit im Alter muss gesellschaftsfähig werden. Dann erst kann laut Bernhard Weicht vom Institut für Soziologie

das Pflegesystem neu aufgesetzt werden.

SOZIOLOGIE

„ Abhängigkeit im Alter wird als schlimmste Phase des Lebens konstruiert.“ Bernhard Weicht, Institut für Soziologie

BERNHARD WEICHT, geboren 1981 in Wien, studierte (Sozial-)Wirtschaft in Wien sowie Sozialpolitik an der University of Nottingham, wo er 2010 promovierte. Als Marie Curie Fellow forschte er an der Universität Utrecht, anschließend war er Dozent am Leiden University College. Seit 2015 arbeitet er am Institut für Soziologie der Universität Inns bruck. Der Themenkreis Alter, Altern und Pflege ist Schwerpunkt seiner Forschungsarbeit.

Fotos: Colourbox/ Oleg Mikhaylov (1), privat (1)

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SOZIOLOGIE

Hinzu kommt, dass das ganze System auf un-terschiedlichen Lohnverhältnissen aufbaut. Anders würde es gar nicht funktionieren.“ Was Weicht an der 24-Stunden-Pflege aller-dings positiv sieht, ist, dass sie den Aspekt der Beziehung zwischen Betreuerinnen und Betreuten in den Mittelpunkt rückt.

Radikales UmdenkenNeue Wege in der Pflege können nur auf der Basis eines radikalen Kurs- und Diskurs-wechsels gefunden werden, ist der Wissen-schaftler überzeugt. „Wir sind unser ganzes Leben lang von anderen abhängig. Manch-mal mehr, manchmal weniger. Wir müssen beginnen, viel mehr darüber zu sprechen, dass Altern und Abhängigkeiten Teil unseres Lebens sind, sonst wird es keine positiven Lösungen geben.“ Dieses Umdenken muss auch die Arbeitswelt miteinschließen, sodass neben dem Arbeitsleben auch Betreuungsauf-

gaben zu Hause Platz haben, meint der So-ziologe. „Während einem in der Berufswelt die Betreuung kleiner Kinder noch irgendwie zugestanden wird, ist die Pflegekarenz eher tabuisiert und wird kaum in Anspruch ge-nommen.“

Auch das Schaffen neuer Wohnformen ist ein wichtiger Schritt. Wohngemeinschaften, generationenübergreifendes Wohnen, aber auch ganz neue Wohnarten sind denkbar. So erzählt Bernhard Weicht vom Demenzdorf Hogeweyk in den Niederlanden, das altes Denken radikal aufbricht. Dort wird mehr Augenmerk auf die Bedürfnisse und weniger auf die Einschränkungen gelegt, wodurch sich viele andere Probleme erledigen. Einmal mehr betont Weicht, dass die für solche Ideen erfor-derlichen organisatorischen Entscheidungen ein anderes Begreifen von Altern vorausset-zen. „Das ist ebenso eine politische wie auch gesellschaftliche Thematik.“ ef

24-STUNDEN-BETREUUNG basiert auf einem Beschäf-tigungsverhältnis, wird aber oft mehr als Ersatzfamilie gesehen. Eben deshalb ist dieses Modell mit all seinen Nachteilen so beliebt.

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zukunft forschung 02/1740 Fotos: Ieva Saudargaitė (1), Uni Inns bruck (1), pixabay.com/Wolfgang Sojer (1)

KURZMELDUNGEN

K limawandel und Risikomanagement sind zentrale Herausforderungen

unserer Zeit und beeinflussen ganz we-sentlich Leben und Wirtschaft in Gebirgs-räumen und den von diesen abhängigen Vorländern. Seit 2002 hat alpS zahlreiche Projekte mit vielen Wirtschafts- und Wis-senschaftspartnern, Behörden, Vereinen und NGOs erfolgreich umgesetzt. „Der Erfolg von alpS lag immer im ausgegli-chenen Mix aus angewandter, praxis-naher Forschung und dem Einbringen dieser Forschungs- und Entwicklungser-gebnisse in die Beratung“, sagt die Ge-schäftsführerin Sara Matt-Leubner.

In den vergangenen sieben Jahren war alpS auch Träger eines von Bund und Land Tirol geförderten COMET-K1-Zen-trums, dessen Förderung nun im April 2018 ausläuft. alpS wird aber weiterhin ein verlässlicher Partner für bereits beste-hende Kooperationen sein, zugleich seine Aktivitäten mit weiteren Partnern und Auftraggebern deutlich ausbauen. Nach Abschluss der COMET-Phase wird alpS aus zwei sich synergetisch ergänzenden Einheiten bestehen: alpS Consulting als eigene GmbH und alpS Research als Teil der Universität Inns bruck. „So stellen wir sicher, dass die Leistungen sowohl im Bereich der wissenschaftlichen als auch der beratenden Tätigkeitsfelder weiter-hin die gewohnt hohe Qualität haben“, erklärt Matt-Leubner. Weitere Ansprech-personen und verantwortlich für die stra-tegische Entwicklung und operative Um-setzung sind die AbteilungsleiterInnen Daniela Hohenwallner-Ries (Klimawan-delanpassung), Matthias Huttenlau (Was-serressourcen- und Risikomanagement) und Paul Stampfl (Energieraumplanung). Sie werden dabei von einem engagierten Team unterstützt.

SOMMERTECHNIKUM

D ie diesjährige Weltausstellung in der kasachischen Hauptstadt Astana stand ganz im Zeichen

der zukünftigen Energieversorgung und möglicher Maßnahmen für weltweite Nachhaltigkeit. Auf dem 25 Hektar gro-ßen Ausstellungsgelände wurden inno-vative Ideen aus der ganzen Welt präsen-tiert. Zwei davon kamen von der Uni Inns bruck und wurden im zentralen Pa-villon der Ausstellung gezeigt. Rames Najjar, Professor für Hochbau am Institut für Experimentelle Architektur, hat ge-meinsam mit seinem Bruder Karim Naj-jar, Professor an der American University of Beirut, bewegliche Strukturen entwi-ckelt, die an der stark verbauten Küste Beiruts den Fischern wieder Zugang zum Meer verschaffen sollen. Über einen Schwimmer im Wasser wird die Wellen-

bewegung auf die Konstruktion übertra-gen. „Diese Bewegung wollen wir für die Energiegewinnung nutzen, indem wir einen Generator damit betreiben, und die Häuser der Fischerfamilien mit Strom versorgen“, erzählt Rames Najjar. Für die Präsentation in Astana verband Najjar diese Idee mit einem Konzept zum Spei-chern von Energie, das seit einigen Jah-ren am Arbeitsbereich für Wasserbau der Fakultät für Technische Wissenschaften entwickelt wird. Markus Aufleger, Ro-bert Klar und Bernd Steidl wollen große, schwimmende Plattformen bauen, um Energie sehr effizient zu speichern. „Die-se schwimmenden Speicher funktionie-ren sehr ähnlich wie Pumpspeicherkraft-werke hier in den Alpen“, erklärt Klar. „Sie liefern dann Energie, wenn sie tat-sächlich gebraucht wird.“

ZUKUNFTSIDEEN Inns brucker Forscher präsentierten auf der EXPO 2017 zwei innovative Projekte für die Energieversorgung der Zukunft.

AUCH WEITERHIN EIN VERLÄSSLICHER PARTNER

Im Juli und August bot die Uni Inns bruck zum ersten Mal Schülerinnen die Mög-

lichkeit, in technische und naturwissen-schaftliche Studien hineinzuschnuppern. 18 Mädchen aus Tirol besuchten ein bezahltes Praktikum in Betrieben oder Universitätsin-stituten sowie eine Sommerschule an der Universität. „Mit dem neuen Sommertechnikum setzt die Universität Inns bruck eine wich-tige Maßnahme, um Frauen nachhaltig für die MINT-Fächer zu begeistern“, sagt Bernhard Fügenschuh, Vizerektor für Lehre und Studierende. „Mit der einzigartigen Kombination aus Praktikum und Sommerschule erhalten die Schülerinnen einen guten Einblick in einzelne Studienrichtungen, sowohl in praktischer Hinsicht als auch auf theoretischer Ebene.“

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zukunft forschung 02/17 41

ATMOSPHÄRE

„FEHLENDER“ KOHLENSTOFFLuftqualität und Klima werden durch chemische Prozesse in der Atmosphäre beeinflusst,

biogenem Kohlenstoff kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

Im Sommer 2011 versammelte das National Center for Atmospheric Re-search in den USA die modernsten

Messinstrumente in Colorado, um dem gesamten aus biologischen Quellen stam-menden Kohlenstoff in der Atmosphäre auf die Spur zu kommen. Mit dabei wa-ren Forscher der Universität Inns bruck. Sie installierten ihre elektronische Spür-nase – ein hoch spezialisiertes Gerät zur Messung von flüchtigen organischen Ver-bindungen – am Fuß eines 26 Meter ho-hen Messturms. Der Feldversuch fand in einem weitgehend unberührten Kiefern-wald in den Rocky Mountains statt. Das Inns brucker Team um Armin Hansel und Thomas Karl arbeitete mit einem Pro-tonen-Tausch-Reaktions-Time-of-Flight-Massen-Spektrometer (PTR-ToF-MS), mit dem sich zeitlich hoch aufgelöste Messungen durchführen lassen und das die Kohlenstoffflüsse in der Atmosphäre aufzeichnen kann. Dieses Gerät wurde in Inns bruck entwickelt und kam bei dem Feldversuch zum ersten Mal zum Ein-satz. „Das PTR-TOF-MS kann winzigste Mengen organischer Spurenstoffe in der Luft messen“, erklärt Hansel vom Insti-

tut für Ionenphysik und Angewandte Physik. Es eignet sich daher besonders, um die von den Bäumen abgegebenen Kohlenstoffverbindungen zu erfassen. Denn bei der Photosynthese wird rund ein Prozent des von der Pflanze aufge-nommenen Kohlendioxids als flüchtige organische Verbindungen wieder in die Atmosphäre abgegeben. „Mit unserer Methode können wir diese flüchtigen Spurenstoffe besonders gut messen, während die anderen Instrumente eher auf die weniger volatilen Verbindungen spezialisiert waren“, erzählt Hansel.

Den Luftströmungen folgenMit einer speziellen Messmethode – dem sogenannten Eddy-Covariance-Verfahren – konnten die Inns brucker Forscher die Konzentration der verschiedenen Koh-lenstoffverbindungen laufend überwa-chen. Dazu wurden pro Sekunde bis zu zehn Messungen durchgeführt und die Daten später mit der Windgeschwindig-keit korreliert. „Auf diese Weise können wir die Luftbewegungen in der Atmo-sphäre analysieren und den Transport der Kohlenstoffverbindungen quasi in

Zeitlupe mitverfolgen“, sagt Thomas Karl vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften. So ermit-telten die Forscher je nach Windrichtung die über einem bestimmten Waldgebiet vorhandenen flüchtigen Kohlenstoffver-bindungen.

Aus den Daten konnten die Forscher auch ablesen, was mit den von den Bäu-men emittierten Kohlenstoffen in der At-mosphäre passiert. „Wir wollten wissen, welche Verbindungen die Kohlenstoffe eingehen und wie nach und nach immer weniger flüchtige Moleküle entstehen, die später an Aerosolen anhaften oder am Boden und an Pflanzen kondensieren.“ Das ist keine leichte Aufgabe, denn diese Kohlenstoffverbindungen bilden sehr viele unterschiedliche Oxidationspro-dukte. Die Forschungsarbeit liefert nun erstmals ein detailliertes Bild, was der Nadelwald an organischem Kohlenstoff abgibt, wie dieser in der Atmosphäre oxi-diert wird und wo er am Ende landet. Überraschender Weise macht der Anteil der bisher nicht gemessenen Kohlenstoff-verbindungen ein ganzes Drittel der ins-gesamt erfassten Menge aus. cf

Foto: colourbox.de

IN EINEM WEITGEHEND unberührten Waldgebiet in den Rocky Mountains wurde nach organischen Spurenstoffen in der Luft gesucht.

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PHYTOWISSENSCHAFT

ZUKUNFT: Mit Bionorica Research hat Ihr Unternehmen schon seit 2005 eine For-schungseinheit in Inns bruck. Warum en-gagieren Sie sich nun mit einer zweiten in Tirol?MICHAEL A. POPP: Was wir vorhaben, gibt es in diesem Stil noch nicht. Es gibt ei-ne Pharmakognosie, die Pharmakologie, es gibt die Arzneiformenlehre. Auf der anderen Seite ist es so, dass die ideale Ergänzung von dem, was Günther Bonn und ich machen, fehlt. Man muss es auch etwas historisch betrachten. Ich habe in Inns bruck promoviert, ich habe mich bei Günther Bonn habilitiert, ich habe Stu-denten hier, wir haben im Bereich der Analytik sehr viel gemeinsam entwickelt und zum Patent gebracht. Es ist durch Günther Bonns Arbeit ein Center of Ex-cellence in der Phytoanalytik entstanden – das war das erste Schritt. ZUKUNFT: Und die weiteren Schritte?POPP: Ende der 1990er-Jahre kam es in Inns bruck mit Hartmut Glossmann und Professoren aus München zur Gründung von Biocrates, unser erstes Biotech-Start-up. Es folgte die Bionorica Research, da wir in Inns bruck einen idealen Standort haben – alle unseren wissenschaftlichen Führungskräfte sind Urgewächse der Universität. Heute haben wir bei Bio-norica Research das modernste Labor weltweit. Ein weiterer Schritt war die Gründung des Austrian Drug Screening Institute, des ADSI, an dem wir für Phy-toforschung exklusiver Partner sind. Dazu kommt ein Vorteil von Österreich – die Forschungsförderung für Unterneh-men, die 2018 sogar noch erhöht wird. Wenn man das alles betrachtet, kann man schon von einem Phytovalley spre-chen. Deswegen war es naheliegend zu sagen, gründen wir doch hier auch das Forschungsinstitut.

PHYTOVALLEY FÜR TIROL

Michael A. Popp, Vorstandsvorsitzender von Bionorica, und Chemiker Günther Bonn über das neue Forschungsinstitut für die Entwicklung pflanzlicher Wirkstoffe, die Stärkung des Phytostandorts Tirol

und die Akzeptanz von Bionorica-Produkten in der Schulmedizin

MICHAEL A. POPP, 1959 in Nürnberg geboren, studierte Pharmazie an der Universität Erlangen. Zwischen 1987 und 1991 promovierte er an der Universität Inns bruck. 1988 über-nahm er die Leitung von Bionorica, das sein Großvater 1933 gegründet hatte. Er positionierte das Unternehmen als einen der weltweit führenden Hersteller von pflanzlichen Arzneimitteln und machte es zu einem global agierenden Unternehmen und Schrittmacher im Bereich des Phytoneering. Die Bionorica-Gruppe erzielte 2016 mit über 1.500 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 253 Millionen Euro. Michael Popp habilitierte sich an der Universität Inns bruck und hält seit 1999 Vorlesungen für Analytische Phytochemie und Pharmazeutische Biologie.

Fotos: Andreas Friedle

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PHYTOWISSENSCHAFT

ZUKUNFT: Warum ein universitäres For-schungsinstitut?POPP: Wenn wir klinische Studien ma-chen, heißt es oft: Pflanzliche Arznei-mittel sind mild oder schwach wirksam. Das geht so überhaupt nicht: Wir sind wirksam, genauso wie ein chemisch-synthetisches Arzneimittel wirksam ist. Dafür brauchen wir klinische Studien mit Patienten, die richtig krank sind – nur so können wir den Unterschied zu einem Placebo zeigen. Es herrscht im-mer noch ein gewisses Denken von frü-her: Nimm’s, schaden kann’s nichts und wenn es hilft, ist es gut. Davon ist Bio-norica weit entfernt, wir sind die einzige Firma, die mit ihren pflanzlichen Arz-neimittel in der Schulmedizin angekom-men ist. Es hat noch niemand aus un-serem Mitbewerb geschafft, dass er auf Weltkongressen von Pulmologen oder Urologen auftreten kann. Wir sind fest verankert und voll akzeptiert, deswegen die Idee, ein Michael-Popp-Institut mit dieser Zielrichtung und Forschungsstan-dards auf höchstem internationalen Ni-veau zu gründen. Natürlich hilft es auch der Universität und der Region, da wir weltweit mit Instituten und Universi-täten vernetzt sind.ZUKUNFT: Wo wird das Insitut angesie-delt sein?GÜNTHER BONN: Es ist ein vollwertiges Forschungsinstitut an der Fakultät für Chemie und Pharmazie, es wurde dafür der Organisations- und Entwicklungs-plan geändert. Angesiedelt ist es am Mitterweg, Bionorica hat im Gebäude der Bionorica Research zusätzlich Raum angemietet, stellt auch die Infrastruktur.ZUKUNFT: Wie wird das Institut aufge-stellt sein?POPP: Das Institut umfasst eine neue Professur, zwei wissenschaftliche Assis-tenten, zwei Dissertanten, eine Labor-stelle und ein Sekretariat. Für die ersten fünf Jahre bedeutet dies ein Investitions-volumen von fünf Millionen Euro, 1,5 Millionen davon kommen vom Land Tirol für eine zweite Stiftungsprofessur.BONN: Es handelt sich um eine Stärkung des Standorts, es kommt etwas Neues dazu. Die Professur der Michael-Popp-Stiftung wurde von allen Gremien ge-nehmigt und wird ausgeschrieben. Die Stiftungsprofessur des Landes ist zuge-sagt, die genaue inhaltliche Ausrichtung wird noch so diskutiert werden, dass sie

eine zusätzliche Stärkung ist und in das gesamte Bild passt.ZUKUNFT: Welche Ausrichtung soll das Institut haben?POPP: In erster Linie wollen wir neue pflanzliche Wirkstoffe finden, am An-fang gegen das metabolische Syndrom und Adipositas. Danach werden wir schauen, in welche zusätzliche Richtung es geht. Klares Ziel ist angewandte For-schung mit Ergebnissen. Wir wollen uns an Einrichtungen wie dem Weizmann-Institut für Wissenschaften oder den Max-Planck-Instituten orientieren, Ziel ist auch, dass weitere Institute entstehen, z. B. in Russland, vom Absatz her der größte Markt für Bionorica. ZUKUNFT: Sie sprechen vom Phytovalley. Wer wohnt schon in diesem Tal?BONN: Es hat sicherlich zwei Nuklei, ein Nukleus ist Bionorica Research, der an-dere das ADSI. An der Universität ist in den Jahren auch ein Umfeld entstanden, an der Chemie, der Pharmazie und der Botanik. Wir haben auch schon exakte Vorstellungen für ein Christian-Doppler-Labor, wissen auch schon, welche Pro-jekte wir durchführen wollen und wer-den das CD-Labor beantragen. Zudem gibt es unter anderem Gespräche mit Cura Cosmetics.ZUKUNFT: Was ist mit Cura Cosmetics an-gedacht?POPP: Wir haben durch unser Forschung sehr viele Ergebnisse, wir haben etwa anti-bakterielle und anti-entzündliche Wirkungen nachgewiesen. Wir kennen auch die Bedürfnisse der Dermatologen sowie der Haut an sich und sind daher am Forschen, ob manche Heilpflanzen,

Extrakte oder Wirkstoffe für eine Pro-blemhaut nützlich sein können – nicht als Arzneimittel, sondern eher als Kosmeti-kum. Eine Richtung, in die auch Cura Cosmetics geht, daher denken wir zurzeit gemeinsam intensiv nach.BONN: Ich möchte auch festhalten, dass es ein Michael-Popp-Institut, kein Bio-norica-Institut ist. Popp ist als Geschäfts-mann auch Wissenschaftler geblieben. Ich bin mir sicher, dass aufgrund seiner Beziehungen andere Firmen Interesse zeigen werden.ZUKUNFT: In Deutschland mussten viele Institute und Lehrstühle für Pharmako-gnosie der Biotechnologie weichen. Ist Ihr Institut auch ein Weg, dieses For-schungsgebiet nachhaltig zu etablieren?POPP: Ich sehe keine Anzeichen, dass sich das, was in Deutschland passiert ist, in Österreich wiederholen wird. Ich denke, dass der Lehrstuhl von Hermann Stupp-ner in Inns bruck erhalten bleiben wird genauso wie jene in Graz und Wien. Da-her war es schon auch die Idee, dies in Österreich zusätzlich zu stärken, nicht zu schwächen und jemanden etwas wegzu-nehmen. ah

GÜNTHER BONN, Jahrgang 1954, studierte in Inns bruck Chemie sowie Lehramt Chemie und Physik. Ab 1977 war er Gymnasial-Professor und wissenschaft-licher Mitarbeiter am Institut für Analy-tische Chemie und Radiochemie, ab 1983 Universitätsassistent. Danach folgten Habilitation (1985), Yale University (1988), Berufung an die Uni Linz (1991) und die Berufung als Professor für Analytische Chemie an die Uni Inns bruck (1995).

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zukunft forschung 02/1744 Foto: Uni Inns bruck

KARRIEREGIPFEL

UNTERNEHMERISCHES DENKEN STÄRKEN

Mit zahlreichen Initiativen stärkt die Universität Inns bruck das unternehmerische Denken ihrer Studierenden und Mitarbeiter. Koordiniert werden die Maßnahmen von der

Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft.

M itte November fanden an der Universität Inns bruck zum zweiten Mal die Karrieregip-

fel statt. Hier konnten sich Studierende persönlich über Berufschancen in den Bereichen IT & Technik, Chemie & Life Sciences sowie Wirtschaft informieren. „Wir bringen bei den Karrieregipfeln Studierende und Unternehmen verschie-dener Branchen und Fächer zusammen“, sagt Annemarie Larl von der Transferstel-le der Universität. „Knapp 50 Unterneh-men nutzten dieses Jahr die Gelegenheit, direkt mit unseren zukünftigen Absol-ventinnen und Absolventen in Kontakt zu kommen.“ An den drei Standorten am Campus Technik, dem Centrum für Chemie und Biomedizin und der SoWi fanden sich nicht nur mögliche Arbeit-geber, es gab auch eine Gründerbera-tung durch die Transferstelle, die Uni-Holding und den InnCubator. Wer eine Idee für ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung hatte, konnte sich

hier informieren und von Expertinnen und Experten individuell beraten lassen. „Neben dem Berufsweg als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in einem Unternehmen steht unseren Studierenden auch der Weg zur Gründung eines eigenen Unterneh-mens offen“, sagt Sara Matt-Leubner, die Leiterin der Transferstelle Wissenschaft – Wirtschaft – Gesellschaft an der Uni-versität Inns bruck. „Mit einem Lehrstuhl für Innovation und Entrepreneurship und entsprechenden Kursen für Studie-rende aller Fachrichtungen stärken wir das unternehmerischen Denken bei den Studierenden. Wollen sie den Schritt wa-gen, dann steht ihnen in Inns bruck eine umfassende Struktur für Beratung und Unterstützung zur Verfügung.“

Neue Postdoc-SocietyNicht jeder erfolgreiche Wissenschaftler wird irgendwann einmal Professor. Nur rund zehn bis 20 Prozent der Postdocs schlagen am Ende eine wissenschaftliche

Karriere ein – alle anderen arbeiten spä-ter außerhalb der Universität. „Hier liegt ein enormes Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft“, sagt Sara Matt-Leubner. „Deshalb haben wir an der Universität Inns bruck auch eine Initiative zur Förde-rung des Entrepreneurship-Denkens bei dieser Personengruppe gestartet.“ Mit der Postdoc-Society soll bei erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-lern das Bewusstsein für Karrieremög-lichkeiten in der Wirtschaft gestärkt wer-den. Mit regelmäßigen Vernetzungstref-fen, Informationsangeboten und ver-schiedenen Veranstaltungsformaten sol-len die unterschiedlichen Anforderun-gen, Rahmenbedingungen, Strukturen, Prioritäten und Blickwinkel auf Wissen-schaft und Wirtschaft aufgezeigt werden. Begleitet wird die Postdoc-Society durch die Transferstelle der Universität, die auch Alumni-Service, Career-Service und die Beteiligungsgesellschaft Uni-Holding in sich vereint. cf

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PREISE & AUSZEICHNUNGEN

Fotos: Uni Inns bruck (1)

D er mit 1,5 Millionen Euro do-tierte Wittgenstein-Preis wird an etablierte Spitzenforscherinnen

und Spitzenforscher zur weiteren Stei-gerung ihres wissenschaftlichen Leis-tungspotenzials verliehen. In diesem Jahr wurde Hanns-Christoph Nägerl vom Institut für Experimentalphy-sik der Universität Inns bruck ausge-zeichnet. Er ist nach Peter Zoller und Rudolf Grimm der dritte Inns brucker Quantenphysiker, der diesen höchsten österreichischen Preis erhalten hat. „Die Inns brucker Quantenphysik ge-nießt weltweit einen hervorragenden Ruf und ist eines unserer Stärkefelder. Das wird durch diese Auszeichnungen einmal mehr unterstrichen. Mit Hanns-Christoph Nägerl haben wir nun bereits den dritten Wittgenstein-Preisträger in unseren Reihen“, freute sich auch Rek-tor Tilmann Märk. Ein weiterer Grund zur Freude war der START-Preis für den Nachwuchsforscher Wolfgang Lechner vom Institut für Theoretische Physik der

Universität Inns bruck und dem Institut für Quantenoptik und Quanteninforma-tion der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Ultrakalte QuantenmaterieHanns-Christoph Nägerl ist einer der weltweit führenden Quantenphysiker auf dem Gebiet der ultrakalten Quan-tenvielteilchensysteme. Er ist besonders für seine Arbeiten zu atomaren Quanten-drähten und zu molekularen Quantenga-sen bekannt. Der Wittgenstein-Preis wird es Hanns-Christoph Nägerl ermöglichen, seine Arbeiten zur Quantenkontrolle von Vielteilchensystemen auf eine neue Ebene zu heben. Sein Ziel ist es, aus den molekularen Quantengasen heraus die Moleküle einzeln und zustandsselektiv zu detektieren und in weiterer Folge auch einzeln zu manipulieren. Mögliche Anwendungen liegen in der Präzisi-onsmesstechnik und der Beantwortung der Frage, ob fundamentale Naturkon-stanten wirklich konstant sind.

Spezieller QuantencomputerWolfgang Lechners Forschung zielt da-rauf ab, theoretische Grundlagen für eine bestimmte Art von Quantencomputer zu entwickeln, der Optimierungsprobleme effizient lösen kann. Optimierungspro-bleme sind in der Wissenschaft und auch im Alltag allgegenwärtig. Sie reichen vom Finden der Grundzustands-Elektro-nenstruktur von Molekülen, der Faltung von Proteinen bis hin zu logistischen Pro-blemen in der Industrie. Der Kern seiner Forschung ist eine neue Architektur für Quantencomputer, die Lechner in der Ar-beitsgruppe von Peter Zoller in Inns-bruck entwickelt hat. Diese Architektur erlaubt es, einen voll programmierbaren Quantencomputer für Optimierungspro-bleme zu bauen. Diese Idee wurde als Patent angemeldet und weckt bereits re-ges Interesse. Mit der Unterstützung aus dem START-Programm will Lechner die-se Architektur verwenden, um neue An-sätze von Quantencomputern für künst-liche Intelligenz zu entwickeln. cf

SPITZENPREISEDer Wittgenstein-Preis, Österreichs höchstdotierter und prestigeträchtigster

Wissenschaftspreis, ging in diesem Jahr an den Quantenphysiker Hanns-Christoph Nägerl.Einen START-Preis erhielt der Nachwuchsforscher Wolfgang Lechner.

TOP-FORSCHUNG: Höchster heimischer Wissenschaftspreis für Hanns-Christoph Nägerl (li.), Nachwuchspreis für Wolfgang Lechner.

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zukunft forschung 02/1746 Fotos: Andreas Friedle (2), privat (2), Uni Inns bruck (1), Martin Vandory (1), Land Tirol/Kathrein (1), Angelika Winkler (1), BM für Bildung (1)

PREISE & AUSZEICHNUNGEN

D ie Accademia dei Lincei, die na-tionale Akademie der Wissen-schaften Italiens, verlieh Mitte

November im Rahmen der alljährlichen Eröffnung des akademischen Jahres die Antonio-Feltrinelli-Preise an herausra-gende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kunst. Es sind dies die höchsten der-artigen Auszeichnungen in Italien. In diesem Jahr erstmals vergeben wurden vier Nachwuchspreise in der Höhe von je 50.000 Euro in den Fachgebieten Astro-nomie, Mathematik, Medizin und Phy-sik. Die in Neapel geborene Quanten-physikerin Francesca Ferlaino erhielt den Preis für ihre herausragenden Leistun-gen auf dem Gebiet der ultrakalten Quantengase. Ferlaino ist Professorin am Institut für Experimentalphysik der Uni-versität Inns bruck und wissenschaftliche Direktorin am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissen-schaften. Die Experimentalphysikerin erforscht ultrakalte Quantenmaterie, in

der die Teilchen den Regeln der Quan-tenmechanik gehorchen. Die Eigenschaf-ten dieser Teilchen können heute im La-bor sehr gut kontrolliert werden. Dies ermöglicht die Untersuchung von quan-tenmechanischen Phänomenen, die sonst kaum zugänglich sind. Ferlainos Schwer-punkt liegt in der Erforschung von dipo-laren Quantenphänomenen. Gemeinsam mit ihrem Team war sie die erste, die ul-trakalte Quantengase aus Erbiumatomen erzeugt hat. Die relativ schweren Atome der seltenen Erden bieten eine neue Spielwiese zum Studium des komplexen Quantenverhaltens, wo Wechselwirkung über große Distanzen und Richtungsab-hängigkeit ins Spiel kommen. Damit will sie ein grundlegendes Verständnis von komplexen, geometrieabhängigen Quan-tensystemen schaffen und in bisher uner-forschte Gebiete der Physik vordringen. Als Quantensimulator kann dieser An-satz dazu genutzt werden, um ein tie-feres Verständnis der Quanteneigen-schaften von Materie zu erlangen.

HABILITATION AUSGEZEICHNETFür ihre Habilitations-schrift über Mensch-Objekt-Beziehungen im Mittelalter und in der Renaissance am Beispiel der fürst-lichen Höfe des süd-deutschen und ober-

italienischen Raums erhielt die Historikerin Christina Antenhofer einen der diesjährigen Kardinal-Innitzer-Förderungspreise. Die gebürtige Südtirolerin ist assoziierte Profes-sorin für Geschichte des Mittelalters an der Universität Inns bruck. Bereits im vergange-nen Jahr wurde ihre Habilitationsschrift mit dem Forschungspreis der Stiftung Südtiroler Sparkasse ausgezeichnet.

GOLDMEDAILLE FÜR ZOOLOGENDer erste Preis der Edmund Optics Edu-cational Awards für Europa geht in diesem Jahr an den Zoologen Thorsten Schwerte, der den Stechmücken den

Kampf angesagt hat. Viele Studien zeigen, dass Stechmücken dem Geruch folgen, wenn sie auf der Suche nach einem neuen Opfer sind. Relativ wenige Erkenntnisse gibt es allerdings darüber, welche Rolle das Sehen dabei spielt. Thorsten Schwerte vom Institut für Zoologie versucht genau dies nun mit einem ausgeklügelten Experiment herauszufinden. Das innovative Studien-konzept wurde vom Unternehmen Edmund Optics mit dem Gold Award ausgezeichnet.

DREI AUSZEICHNUNGENHochwasser und Überflutungen zu si-mulieren und weiter-führend unterschied-liche Manöver zur Umleitung des Was-sers oder zur Siche-rung von Bereichen

darzustellen, ist der Forschungsgegenstand des schon mehrfach ausgezeichneten Daniel Winkler vom Arbeitsbereich Umwelt-technik am Institut für Infrastruktur. Heuer gewann er den begehrten Poul-Harremoës-Award auf der diesjährigen ICUD-Konferenz in Prag, den Best-Student-Paper-Award der Universität Inns bruck sowie den Euregio-JungforscherInnenpreis.

FELTRINELLI-PREISFrancesca Ferlaino erhielt den Antonio-Feltrinelli-Nachwuchspreis in Physik. Diese Auszeichnung geht an italienische Gelehrte unter

40 Jahren für außergewöhnliche Erfolge in ihrem Fach.

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PREISE & AUSZEICHNUNGEN

LANDESPREIS FÜR TEXTILFORSCHER

Die Forschungen an dem von Thomas Bechtold geleiteten Institut für Textilchemie und Textilphysik in Dornbirn machen neue

innovative Produkte und Verfahren möglich.

W issenschaftslandesrat Bernhard Tilg überreichte Ende Oktober den mit 14.000 Euro dotierten

Wissenschaftspreis des Landes Tirol an den Textilforscher Thomas Bechtold. Der Preisträger ist Leiter des Instituts für Textilchemie und Textilphysik. Die im Jahr 1982 gegründete Außenstelle der Universität Inns bruck befindet sich in Dornbirn.

Das Institut zählt zu den international erfolgreichen „Think-Tanks“ für textile Forschung und Entwicklung. „Wissen-schaft und Forschung sind Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg, das be-legt das herausragende Lebenswerk des Chemikers Thomas Bechtold. Seit 35 Jahren wirkt er an diesem Institut, das seit 20 Jahren unter seiner Leitung steht. Durch die enge Verknüpfung der Außenstelle mit der heimischen Tex-tilindustrie hat Universitätsprofessor Bechtold nationale wie auch internati-onale Leitbetriebe bei der Erforschung und Umsetzung von neuen innovativen Produkten, Verfahren und Dienstleis-tungen wirksamst unterstützt. Das be-trifft die Bereiche der Fasermodifikation, textilen Färbungsprozesse, technischen Textilien, Funktionsbekleidung ebenso

wie die Nachhaltigkeit und das Recy-cling dieser Materialien. Ich gratuliere einem beliebten Universitätslehrer und genialen Forscher, der mehrere Pa-tente hält und auch interdisziplinär zu Höchstleistungen fähig ist“, würdigte Landesrat Tilg den Preisträger.

Den mit 4.000 Euro dotierten Förder-preis für Wissenschaft erhielt Noemí Aguiló-Aguayo. Die Textilchemikerin ist Mitarbeiterin von Thomas Bechtold am Forschungsinstitut in Dornbirn.

KÄTHE-LEICHTER-PREISNikita Dhawan erhielt für ihre Forschun-gen zu Gender und Postkolonialismus, Menschenrechten, Demokratie und De-kolonisierung sowie für ihrer Analyse der

Instrumentalisierung des Feminismus im Zuge der Fluchtbewegungen nach Europa den Käthe-Leichter-Preis der Arbeiterkam-mer.

HOCHKARÄTIGE AUSZEICHNUNGDer Asahiko Taira International Scien-tific Ocean Drilling Research Prize ging in diesem Jahr an den Inns brucker Geologen Michael Strasser. Der Preis

wird von der American Geophysical Union und der Japan Geoscience Union vergeben und geht an Persönlichkeiten mit heraus-ragenden transdiziplinären Forschungsleis-tungen im Bereich von Tiefseebohrungen. Mehr zu Strassers Forschungsarbeiten lesen Sie auf den Seiten 38 und 39.

BERNARD-BRODIE-PREISDen Bernard-Brodie-Preis für den besten Artikel des Jahres 2017 im Fachmaga-zin Contemporary Security Policy erhielt der Inns brucker Sicherheitsforscher

Martin Senn vom Institut für Politikwissen-schaft. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jodok Troy befasste er sich in dem Artikel mit dem Konzept der gezielten Tötungen und dessen aktueller Transformation.

INTERNATIONALE AUSZEICHNUNGDer Pharmazeut Hermann Stuppner forscht an der Ent-wicklung von pflanz-lichen Arzneistoffen. Für seine wegwei-senden Beiträge auf diesem Fachgebiet

wurde ihm in Italien der Bruker Award ver-liehen. Es ist dies die höchste Auszeichnung der Phytochemical Society of Europe.

THOMAS BECHTOLD (re.) wurde 1956 in Dornbirn geboren und studierte von 1974 bis 1981 an der Universität Inns-bruck Chemie. Von 1982 bis 1992 war er Lehrer an der HTL Dornbirn und gleich-zeitig freier Mitarbeiter am Institut für Textilchemie und Textilphysik. Nach seiner Habilitation im Jahr 1993 wurde er wis-senschaftlicher Mitarbeiter, seit 1997 ist er Leiter des Instituts. Im Jahr 2010 wurde Thomas Bechtold Universitätsprofessor für Angewandte Chemie und Textilchemie. Seit 1984 hat er über 260 wissenschaft-liche Publikationen veröffentlicht und über 20 Patente angemeldet. Die Auszeich-nung wurde Thomas Bechtold vom Tiroler Landesrat Bernhard Tilg (li.) überreicht.

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zukunft forschung 02/1748 Foto: Andreas Friedle

ZWISCHENSTOPP INNS BRUCK

METALLURGIE VERSTEHEN

Mit kristallografischen Untersuchungen an der Uni Inns bruck will der Südafrikaner James Ferreira Probleme bei der Produktion von Vanadium überwinden helfen.

Im Bushveld-Komplex im Nordosten von Südafrika liegen reiche Lager-stätten von Platin, Chrom, Kupfer

und Nickel. Auch das vor allem in der Stahlproduktion eingesetzte Vanadium findet sich in den Erzen. Es verbessert die Zähigkeit von Stahl und erhöht dessen Widerstandsfähigkeit. Bei der Produktion im Schmelzofen kann es allerdings passie-ren, dass die Erzbrocken verkleben und deshalb das gesamte Material entsorgt werden muss. Schmelzen die Erze regel-recht zusammen, dauert es allein zwei Wochen, bis das Material abgekühlt ist und der Ofen ausgeräumt werden kann. Der ökonomische Schaden in einem sol-chen Fall ist enorm.

Verbindungen analysierenJames Ferreira forscht am Department of Materials Science and Metallurgical En-gineering der University of Pretoria. Die dortige Arbeitsgruppe kooperiert bereits seit Jahren mit den Materialwissenschaft-

lern um Volker Kahlenberg an der Uni-versität Inns bruck. Mit Unterstützung des Österreichischen Austauschdiensts kam James Ferreira im Herbst für drei Monate nach Inns bruck, um das hier vorhandene Know-how in der Kristallografie mit sei-nem Wissen über die Metallurgie frucht-bar zu verbinden. Die Proben brachte James Ferreira aus Südafrika mit. „Hier am Institut für Mineralogie und Petrogra-phie analysiere ich mit kristallografischen Methoden die Struktur und chemische Zusammensetzung von synthetisch her-gestellten Proben und von Erzen aus den Produktionsstätten in Südafrika“, erzählt James Ferreira. „Diese bestehen aus einem komplexen Gemisch von Vanadium, Stickstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff.“ Gelingt es dem jungen Süd-afrikaner, die in den Pellets vorhandenen Verbindungen besser zu verstehen, lassen sich damit vielleicht auch die in den Pro-duktionsstätten beobachteten Probleme vermeiden.

AnwendungsbezugIm Rahmen des zwischenstaatlichen Austauschprogramms reisen auch Wis-senschaftler der Uni Inns bruck nach Südafrika. So war Klaus Zöll aus der Ar-beitsgruppe von Volker Kahlenberg im August in Pretoria, um dort Experimente durchzuführen, die an der Uni Inns bruck nicht möglich sind. Der Nachwuchsfor-scher untersucht das Sintern von Eisen-erzen.

Beim Sintern wird das sehr feinkörnige Abbaumaterial der Erzgewinnung durch eine 1300 Grad Celsius heiße Flammen-front geführt. Dabei entstehen jene Pel-lets, die später im Hochofen weiterverar-beitet werden. Die Erzpartikel in den Pellets werden in eine sogenannte Matrix eingebaut, die wie ein Kleber funktio-niert. „Die darin enthaltenen Verbin-dungen sind noch nicht sehr gut charak-terisiert“, erklärt Klaus Zöll. In Südafrika hat er zu den Erzen äquivalente synthe-tische Mischungen unter verschiedenen Gasatmosphären gesintert und unter-sucht nun deren strukturelle Eigenschaf-ten in den hochmodernen Labors an der Uni Inns bruck. „In beiden Projekten be-treiben wir Grundlagenforschungen mit einem sehr starken Anwendungsbezug“, freut sich Volker Kahlenberg über die ge-lungene Kooperation. cf

„ Am Institut für Mineralogie und Petrographie analysiere ich mit kristallografischen Methoden die Struktur und chemische Zusammensetzung von synthetisch hergestellten Proben und von Erzen aus den Produktionsstätten in Südafrika.“ James Ferreira, University of Pretoria

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zukunft forschung 02/17 49Fotos: Jordan Casey

SPRUNGBRETT INNS BRUCK

FISCHFORSCHER IM RIFFDie Rolle verschiedener Fischarten im Ökosystem von Korallenriffen untersucht der Biologe Simon Brandl und hofft, damit zum Erhalt dieser einzigartigen Lebensräume beizutragen.

T auchen findet Simon Brandl eigent-lich „zu kalt und unbequem“, um es in seiner Freizeit zu betreiben. Für

seine Arbeit ist es aber absolut notwendig, denn der Ökologe hat sich den Fischen in Korallenriffen verschrieben. Korallen-riffe sind eines der artenreichsten und biomassereichsten Ökosysteme der Welt. „Wir verstehen noch immer nicht, wie Korallenriffe tatsächlich funktionieren“, sagt Simon Brandl, der an der Universität Inns bruck Biologie studiert hat. „Beson-ders die Frage, wie diese Systeme so viel Biomasse produzieren können, obwohl sie in nährstoffarmen Ozeanen liegen,

ist noch immer weitgehend unerforscht. Am Ende meiner Forschungslaufbahn hoffe ich, dass ich diese Frage beantwor-ten und dadurch auch zum Schutz dieser einzigartigen Systeme beitragen kann.“ Brandl untersucht die ökologische Rolle von unterschiedlichen Arten von Koral-lenriff-Fischen und setzt diese dann im Bezug zu übergreifenden ökologischen Prozessen. „Ich interessiere mich beson-ders dafür, wie wir funktionelle Aspekte verschiedener Arten erfassen können, wie sich dies auf die Artengemeinschaften der Korallenfische auswirkt und in welchem Ausmaß die Zusammensetzung dieser Gemeinschaften fundamentale Prozesse in Korallenriff-Ökosystemen beeinflusst“, so der gebürtige Deutsche.

Nahrungsnetz ergründen Brandl interessiert sich hauptsächlich für kleine, den Meeresboden bewohnende Fische, wie Grundeln, Schleimfische oder Schildfische. Diese hatte er schon wäh-rend seiner Zeit in Inns bruck erforscht, wo er eine Bachelor-Arbeit zu Schild-fischen im Mittelmeer verfasst hat. Nach dem Abschluss in Inns bruck wollte Brandl sich weiter in der Marinbiologie vertiefen und zog ein Masterstudium in Townsville in Australien jenem in Groningen in den Niederlanden vor: „Obwohl ich eine Zu-sage von beiden Universitäten hatte, war

die Entscheidung nicht besonders schwer, da die James-Cook-University eine der führenden Einrichtungen für die Erfor-schung von Korallenriffen ist.“ Nach nur einem Semester konnte er hier bereits mit einem eigenen Forschungsprojekt starten. Im anschließenden Doktoratsstudium widmete er sich vor allem pflanzenfres-senden Fischen wie Papageifischen, Dok-torfischen und Kaninchenfischen.

Simon Brandl arbeitet mit einem breiten Repertoire an Methoden, von Verhaltens-beobachtungen, Ökomorphologie und In-situ-Experimenten über DNA-Barcoding bis zur Physiologie. Diese wird er auch einsetzen, wenn er sein neues Forschungs-projekt an der Simon-Fraser-University in Vancouver beginnt, wo Brandl seine Ar-beit mit den kryptischen, kleinen Riff-Fi-schen vertiefen will. „Wir wollen versu-chen, ein komplettes Nahrungsnetz in Korallenriffen der Insel Moorea in Franzö-sisch-Polynesien zu rekonstruieren und vermuten, dass diese häufig übersehenen kleinen Fische eine wichtige Rolle darin spielen“, erzählt der Biologe. Danach möchte er sich auf Professuren in den USA, in Kanada oder Europa bewerben, um weiterhin Korallenriffe und deren ökologische Prozesse zu erforschen und so eine Antwort auf seine Forschungsfra-ge nach dem Ursprung der Biomasse in Korallenriffen zu finden. cf

SIMON BRANDL, geboren 1988 in Mün-chen, studierte Biologie an der Universität Inns-bruck und absolvierte im Anschluss ein marinbiologisches Mas-

terstudium an der James-Cook-University in Townsville in Australien. Ebendort promovierte Brandl sich auch 2016. In den vergangenen zwei Jahren war er Forschungsstipendiat am Tennenbaum Marine Observatories Network der Smith-sonian Institution. Im Herbst hat Brandl ein zweijähriges Forschungsstipendium an der Simon-Fraser-University in Vancouver, Kanada, angetreten.

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50 Foto: Andreas Friedlezukunft forschung 02/17

ESSAY

D as Wesen der Wissenschaft liegt – über alle Disziplinen hinweg – im freien Spiel der Argumente im Streben nach

Erkenntnis. Eine Voraussetzung für diesen kol-lektiven und offenen Prozess ist die Publikati-on und Zugänglichkeit wissenschaftlicher Ar-

beiten. Je einfacher und um-fassender – umso besser. Al-le Formen der Erschwerung von Zugänglichkeit zu For-schungsliteratur sind in die-sem Sinne unwissenschaft-lich. Daher buchstabiert der Open- Access-Gedanke das Publikationsprinzip unter

den Bedingungen der Digitalisierung neu. Natürlich bleiben einige technische, rechtliche und ökonomische Fragen, deren Beantwortung nicht trivial ist. Aber im Grundsatz sind sich alle einig, dass die möglichst freie Zugänglich-keit von Forschungsergebnissen unverzichtbar und zu fördern ist.

So weit, so gut – doch bei genauerer Betrach-tung der österreichischen Gepflogenheiten zeigen sich Ungereimtheiten, die insbesonde-re den Umgang mit Dissertationen betreffen. Es besteht Modernisierungsbedarf von alten Regelungen, die ein fragwürdiges Verständnis der Dissertation an sich offenbaren.

Dissertationen sind im akademischen Qua-lifikationsweg die ersten wissenschaftlichen Arbeiten, die „dem Nachweis der Befähigung zur selbstständigen Bewältigung wissen-schaftlicher Fragestellungen dienen“ (BGBl. I Nr. 74/2006, vgl. auch § 51, UG 2002). Da-mit sind Dissertationen so etwas wie die Ge-sellenstücke in der akademischen Vita und viel mehr als reine Prüfungsleistungen: Sie sollen als veritable Beiträge im wissenschaft-lichen Diskurs Bestand haben. Gerade in den Geistes- und Kulturwissenschaften mit ihrer Tradition der Individualforschung im Format der wissenschaftlichen Monografie kommt der Dissertation eine besondere Bedeutung zu. Wesentliche und für die Fächer insgesamt relevante Forschung spielt sich in Disserta-tionen ab. Daher ist es auch so wichtig, dass diese Arbeiten veröffentlicht werden, denn nur so können sie zum Bestandteil des Dis-kurses werden. Konsequenterweise gibt es in

Österreich daher auch eine Veröffentlichungs-pflicht für Dissertationen (§ 86, UG 2002). Al-lerdings atmet dieser Paragraf noch den Geist des vordigitalen Zeitalters, denn dieser Ver-öffentlichungspflicht ist bereits dann Genüge getan, wenn zwei (!) ausgedruckte Exemplare des Manuskriptes abgegeben werden, eines für die jeweils lokale Bibliothek und eines für die Nationalbibliothek. Und zudem besteht die Möglichkeit, die Ausleihe für bis zu fünf Jahre zu sperren. Die digitale Veröffentlichung in einem Repositorium ist nur fakultativ. Ge-genwärtig sind in der ULB Inns bruck 65 Dis-sertationen gesperrt (Okt 2017), viele andere existieren nur als kopiertes Manuskript. Zwar sind die Texte auch unter diesen Bedingungen – zumindest irgendwann – öffentlich zugäng-lich, aber es handelt sich doch um eine Ver-öffentlichung mit angezogener Handbremse. Diese Verhältnisse muten antiquiert wenn nicht gar verdruckst an. Die Kombination aus minimalem Verbreitungsgrad und langer Sperrmöglichkeit löst bei internationalen Kol-legInnen im besten Fall Kopfschütteln und im schlechtesten Fall Schmunzeln aus:

Wer oder was soll durch diese Regelungen eigentlich vor zu viel Öffentlichkeit und Sicht-barkeit geschützt werden? Und warum?

Wir empfangen widersprüchliche Signale: Auf der einen Seite wird immer mehr interna-tionale Sichtbarkeit in peer reviewed Journals erwartet, auf der anderen Seite werden Dis-sertationen weiterhin wie bessere Seminarar-beiten behandelt. Das passt nicht zusammen.

Die Universität Inns bruck hat mit 1.10.2017 einen klaren Schritt in die richtige Richtung unternommen und verpflichtet alle Disser-tantInnen dazu, eine digitale Version ihrer fertigen Arbeit ins Repositorium hochzuladen. Die Sperrmöglichkeit bleibt jedoch bestehen. Hoffen wir, dass diese Option möglichst selten und nur dann genutzt werden wird, wenn die Arbeit sowieso als Buch erscheint.

Der Gesetzgeber ist gefragt, hier endlich zeitgemäße und auch in internationaler Per-spektive überzeugende Verhältnisse zu schaf-fen. Wir brauchen eine Veröffentlichungs-pflicht, die diesen Namen auch verdient. Sie sollte nicht als lästige Hürde gelten, sondern als Chance und Selbstverständlichkeit.

TIMO HEIMERDINGER wur-de 1973 in Tübingen geboren. Er studierte Volkskunde, Neuere Deutsche Literaturge-schichte und Deutsche Philo-logie in Freiburg i.Br., Pisa und Kiel. Seit 2009 ist er Professor für Europäische Ethnologie an der Universität Inns bruck und seit 2015 Sprecher des Forschungsschwerpunktes „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“. Er sieht im Open-Access-Gedanken insbesondere auch für Nach-wuchswissenschaftlerInnen eine Chance auf bessere Sichtbarkeit und Rezeption ihrer Arbeiten.

HEIMLICHE WISSENSCHAFT?Timo Heimerdinger über die halbherzige Veröffentlichungspflicht

für österreichische Dissertationen

„ Wesentliche und für die Fächer insgesamt relevante Forschung spielt sich in Dissertationen ab. Daher ist es auch so wichtig, dass diese Arbeiten veröffentlicht werden, denn nur so können sie zum Bestandteil des Diskurses werden.“

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