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Auszüge aus den Mail-Berichten der Kinderärztin Dr. Anne ... · PDF filebeobachtet, Wanderungen an "magische Orte" mit Felszeichnungen gemacht, ... Am Freitag ist dann die Einweihung

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Page 1: Auszüge aus den Mail-Berichten der Kinderärztin Dr. Anne ... · PDF filebeobachtet, Wanderungen an "magische Orte" mit Felszeichnungen gemacht, ... Am Freitag ist dann die Einweihung

Ansprechpartnerin: Karin Gleixner, Tel. 0911-231 5043, [email protected] -1-

Auszüge aus den Mail-Berichten der Kinderärztin Dr. Anne Muckelbauer aus San Carlos im August/September 2010:

Erste Eindrücke (21. August 2010): (…) Ich höre, dass bei euch das Wetter so schlecht ist. Ich glaube zwar, dass es bei euch nur ein viertel so viel regnet wie hier bei uns, aber hier ist es schließlich normal. Allerdings hatte ich doch nicht mehr in Erinnerung, dass es sooooo viel regnet; eigentlich täglich ab 18 Uhr und dann die ganz Nacht. Tagsüber ist es nur bewölkt, heiß und schwül; na ja, ich glaube, es war beim letzten Mal doch genauso. Meine erste „Mission“ war eigentlich eine komplette Wiederholung von vor fünf Jahren; beschwerliche Anreise mit dem Boot, das gar nicht an Land anlegen kann. Entweder man watet durch hüfthohes Wasser, oder man hat Glück und ein freundlicher Bootsbesitzer fährt einen mit einem kleinen Kahn ans Ufer. Dann muss man nur noch durch knöchelhohen Schlick ans Ufer waten. Das Wasser am Ufer hat mir schier die Füße verbrannt. Ich habe schnell mein Badethermometer gezückt: 39 Grad! Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht hätte messen können. Zum Glück hat es geklappt, dass Pferde für uns – wir waren zu dritt – bestellt waren, denn nicht hatte ja wegen der Medikamente besonders viel Gepäck. Also ging es nochmals 1 3(4 Stunden per Pferd zu dem Dorf, die Hälfte davon mal wieder durch pferdekniehohen Schlamm. Also der erste Tag war Anreise, Unterkunft beziehen und sich ab viertel vor sechs vor Milliarden Mücken schützen. Der Ort hat ja eh keinen Strom, aber die Taschenlampe habe ich sofort wieder ausgemacht, weil es mich vor den tausenden Insekten im Lichtstrahl gegruselt hat. Dank dem Nobite von Martin habe ich aber kaum Stiche abbekommen. Also was macht man abends? Man kriecht um 19 Uhr unter sein Moskitonetz, hört den Regen auf das Blechdach trommeln und schläft. Der nächste Tag war dann Arbeitstag: in einem freien Schulraum mit Lehmboden habe ich Sprechstunde gehalten. Die Buschtrommel hat funktioniert und es waren massenhaft Mütter mit ihren Kindern da. Im Großen und Ganzen war das Krankheitsspektrum wie beim letzten Mal, so dass ich gut vorbereitet war und alle Nötige dabei hatte, denn vor Ort gibt es gar nichts. Wer sonst wirklich Hilfe braucht, schlägt sich nach Costa Rica durch ist von dem Ort aus über Land erreichbar). Aber es sterben auch viele Kinder, wie man erzählt hat. Auf jeden Fall wäre ich an dem Abend auch ohne Mückenplage schon so früh ins Bett gegangen, so kaputt war ich. Am nächsten Tag mussten wir schon wieder zurück, weil das Boot nur zweimal die Woche fährt. Diesmal bekamen wir nur ein Pferd. Ich durfte mit dem ganzen Gepäck darauf reiten, meine Mitstreiter, ein Psychologe und eine Sozialarbeiterin, mussten laufen. Eine nette Beobachtung hat uns den Weg versüßt: wir konnten eine ganze Affenfamilie mit Kindern und Babies direkt am Wegesrand beobachten. Das war goldig. Am Montag geht’s es dann in meine alte „Heimat“. Erst hieß es, die Straßen seien jetzt sehr gut, dann hieß es, doch wieder nicht. Man wird sehen, was sich oder auch nicht in sieben Jahren verändert hat…. Dass sich in San Carlos selber sehr viel getan hat, habe ich schon geschrieben, oder? Es sind wirklich im Zentrum bis zu den Wohnvierteln alle Straßen sehr ordentlich gemacht. Ich wohne ja ganz in der Nähe wie beim letzten Mal und muss durch keine einzige Schlammpfütze mehr laufen. Es gibt deutlich mehr Mülltonnen und weniger Abfall auf den Straßen. Und auch weniger Kinder, die verkaufen, d. h. sichtbar arbeiten. Der Strom, na ja, war auch schon wieder öfters für Studnen weg, aber das sei seltener, immerhin. Ihr seht, mir geht es gut. (…) Ganz liebe Grüße Anne

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Ansprechpartnerin: Karin Gleixner, Tel. 0911-231 5043, [email protected] -2-

Zweite Arbeitswoche (31. August 2010): Ihr Lieben Daheimgebliebenen und auch Weitgereiste, diese mail schreibe ich nun zum dritten Mal. Zweimal ist sie vom Stromausfall vernichtet worden. Ich muss jetzt öfters zwischenspeichern. Also, hier der Bericht meiner zweiten Woche im Einsatz: Es waren 5 Tage mit 5 verschiedenen Dörfern, die wir aufgesucht haben. Die ganz nette Sozialarbeiterin von letzter Woche war wieder dabei. Mit dem Reisen von Ort zu Ort hat soweit alles gut geklappt; d. h. Anreise per Schnellboot in 1 Std. (war früher gut 2 Stunden), dann weiter mit den verschiedensten "Buschtaxis". Das sind immer uralte, gebrechliche Toyota Landcruiser , 5-Sitzer mit mindestens 10 Passagieren vollgestopft. Fehlende Federungen werden durch gepolsterte Nachbarn ersetzt. Wir haben immer relativ gut geführte Gesundheitsposten mit allem Personal angetroffen. Wir waren auch immer angemeldet. Die überwiegend engagierten Gesundheitshelfer haben mir die Arbeit auch gut erleichtert, so konnten wir 30 bis 40 Kinder täglich sehen. Die Krankheiten reichten wie üblich von "nur" Wurmbefall mit leichter Unterernährung bis zu schweren Lungenentzündungen, Asthma, diversen Hautinfektionen usw. Zwei Babies habe ich ins Krankenhaus überwiesen, davon später. Nur an einem Tag musste ich mich ganz alleine ohne Helfer durchkämpfen. Eigentlich hätte auch immer ein Allgemeinarzt dazu kommen sollen, aber es war nie einer da. Wenn man gefragt hat, wo der Arzt sei, hieß es; in Managua. Wann er denn komme: Morgen. Aber natürlich war "morgen" auch keiner da. Geschlafen haben wir in dieser Woche in der Finca, wo ich früher schon war. Das war natürlich ein freudiges Wiedersehen. Das kleine Mädchen Franzi ist jetzt 9 und ganz lieb, interessiert, wollte von mir dauernd Englisch lernen, und hat eine gute Fremdenführerin abgegeben. Sie hat mir die ganze Finka gezeigt, alle Bäume, Früchte, Tiere, Blumen usw.; sogar ein Faultier habe ich gesehen, und die Brüllaffen haben sogar auf mein deutsches Gebrüll geantwortet. Ich bin dann auch am Wochenende zur Erholung noch geblieben, und war mit den Kindern im Fluss baden. Auf jeden Fall regnet es dieses Jahr hier bedeutend heftiger, als damals zur gleichen Jahreszeit, und der Fluss war sehr angeschwollen und ganz voller bräunlichem Lehm. Wir konnten nur am Rand ins Wasser und haben uns an herabhängenden Zweigen in der Strömung festgehalten. Die beiden Mädchen haben wie 2 kleine Äffchen ausgesehen und hatten einen Riesenspaß. Am Sonntagnachmittag bin ich dann zurück nach San Carlos und habe mich schon auf die Zivilisation gefreut mit Licht abends und email. War aber nichts, denn es war mal wieder Stromausfall. Und dann läuft hier erst mal gar nichts: kein Strom, kein Wasser (außer wer Speicher zu Hause hat), kein Brot, kein email, kein Geld vom Automat etc. Erst Montagnachmittag nach 30 Stunden war wieder Strom da (leider nicht lange genug, um meine zweite email rechtzeitig abzuschicken). Jetzt speichere ich nach jedem Absatz!!! Nachmittags war ich dann im Krankenhaus, um nach den zwei Babies zu sehen, die ich eingewiesen hatte: das erste sechs Wochen alte absolut unterernährte, kachektische Kind war gar nicht eingetroffen, das zweite sechs Wochen alte Baby mit schwerer Lungenentzündung war erst nach 14 !!! Stunden im Krankenhaus eingetroffen und dann kurz darauf gestorben. Wir hatten für die Mutter ein Fahrzeug gefunden, das direkt in den nächst größeren Ort fuhr (2 Std. Fahrt), wo ein Arzt, eine Ambulanz, d. h. ein Fahrzeug und ein Boot, waren. Dort hat man scheinbar nur getrödelt. Anstatt Mutter mit Kind im Schnellboot (siehe oben 1 Stunde!) nach San Carlos zu schicken, wollte man es erst mit dem Fahrzeug bringen (über Land selbst in der Trockenzeit dreimal so lange!), musste dann umkehren wegen Hochwasser und nicht

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passierbarer Brücken(hätte man sich ja denken können). Dann musste man erst Benzin besorgen, um letztendlich Mitternacht mit dem Boot in San Carlos anzukommen. Ich bin schon sehr frustriert darüber, denn alles ist Bürokratie. Den Transport im normalen Boot hätte die Behörde nicht bezahlt, aber das viel teurere Benzin für die "eigene Ambulanz" zahlt ja "der Staat". Dafür will der Staat demnächst die kostenlose Familienplanung (Empfängnisverhütung) einstellen... Also, das sind die unerfreulichen Seiten hier. Aber keiner regt sich wirklich darüber auf, bringt ja nichts. Genauso wenig wie man sich über den Regen aufregt, der wie aus Kübeln herunterschüttet; es wird trotzdem weiter auf der Straße Volleyball gespielt, liebe Volleyballer! (Ich gebe zu, bei 28 Grad C auch nicht unbedingt heroisch!) (…) Morgen geht es "ins Paradies" auf die Inseln Solentiname. Da hoffe ich, Olivia anzutreffen. (…) Eure Anne Urlaub! (7. September 2011): Liebe Freunde, Familie, Kollegen etc. zunächst einmal Danke an alle, die mir geschrieben haben. Es ist doch schön, so ein paar Nachrichten aus seinem normalen Leben zu bekommen. Hier nun der Bericht meiner letzten Woche: Ich hatte jetzt eine seeehr schöne Woche: nur zwei Arbeitstage und vier Tage totale Erholung: so richtig als Tourist auf Solentiname, im Hotel von Olivias Tante. Olivia selber war leider doch nicht da, das war das einzige, was schade war. Ich habe mich richtig schön erholt, gut gegessen, gefaulenzt, gelesen, geschwommen, Kanu gefahren, Vögel und Schildkröten beobachtet, Wanderungen an "magische Orte" mit Felszeichnungen gemacht, immer begleitet von total netten Jungen. Solentiname strahlt schon an sich eine besondere Ruhe aus. Die zwei Arbeitstage vorher waren auch nicht zu anstrengend, denn die Inseln sind doch sehr dünn besiedelt, es waren also nicht allzu viele Patienten. Außerdem sind alle scheinbar irgendwie verwandt, der Zusammenhalt ist relativ gut, und wer wirklich ernstlich krank ist, wird mit einem der vielen privaten Boote nach San Carlos gebracht. So geschehen in der ersten Nacht, als ich dort war. Der öffentliche Bootsverkehr geht nur zweimal die Woche, ist dafür natürlich viel billiger. Ich bin also heute früh mit dem Linienboot in San Carlos eingetroffen, habe jetzt schon geduscht, meinen Rucksack für den nächsten Einsatz gepackt, denn heute Nachmittag geht es gleich weiter auf die nächste Tour: Wieder erst mit Boot, diesmal Richtung Norden an die Küste des Sees, dann weiter mit Bus? oder Jeep? Am Freitag ist dann die Einweihung von ARETES neuem "Frauenhaus" für misshandelte Frauen. Da bin ich dann auch in San Carlos, weil natürlich Hilde Duevels ganzes Team dabei sein soll. Also, heute war der Bericht etwas kürzer, ich muss bald wieder los. Liebe Grüße an alle, Anne Vierte Woche (11. September 2011) : Wie ich es gedacht hatte, war die Woche in meiner alten Region (oberhalb von Boca de Sábalos, Anm. KG) wirklich die härteste. Die Touren danach waren doch einiges zivilisierter. Diese Woche war ich also nur 3 Tage unterwegs, wovon der erste nur Anreise war: natürlich mit dem Schiff. Es war das Schiff, das zweimal die Woche ganz über den See bis

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Ansprechpartnerin: Karin Gleixner, Tel. 0911-231 5043, [email protected] -4-

Granada/Managua fährt, und wir sind am zweiten Hafen (nach 5 1/2 Std.) ausgestiegen. Als Ausländer MUSSTE ich 1. Klasse fahren für 3,20 Euro mit Aircondition, als Einheimischer hätte man auch 2. Klasse für 1,20 Euro fahren können. Der kleine Ort El Morrito wirkte sehr gepflegt, drei gepflasterte Hauptstraßen und Gehwege, geschnittene Straßenbäume, Uferpromenade, wirklich hübsch. Genauso ordentlich war auch das Gesundheitszentrum, an dem ich am nächsten Tag gearbeitet habe. Und nachdem dort wirklich anscheinend immer Ärzte sind (zwei Jungärzte im sozialen Jahr), kamen die Patienten nicht wie bisher, weil sie sonst nie einen Arzt haben, sondern weil sie spezielle Fragen an einen Facharzt hatten. Zum Teil hatten sie die Ärzte extra dafür einbestellt. So konnte ich doch in einigen Fällen bei der richtigen Diagnose behilflich sein. In anderen Fällen, z.B. bei einem behinderten Kind, konnte ich natürlich auch erst mal nicht viel ändern. Da war es aber hilfreich, dass in unserem Team ja immer ein Sozialarbeiter ist, und er da eher helfen kann, soweit es in dem Land überhaupt soziale Hilfen für behinderte gibt. Am nächsten Tag sind wir dann mit der leitenden Ärztin in der Ambulanz ! zu einer entfernteren Ortschaft gefahren; ich habe fast einen Geschwindigkeitsrausch erlebt, denn wir sind mit bis zu 70 km/h über eine wirklich gute Schotterpiste geglitten. In dem dortigen Gesundheitszentrum war auch alles sehr gut organisiert, fast nobel. Es war zum größeren Teil durch eine Spende eines dort ansässigen Reisproduzenten finanziert. Ich bekam das "beste" Sprechzimmer mit Klimaanlage, ein Raum ohne Fenster (warum?) mit künstlichem Licht. Und prompt war nach 5 Min. Stromausfall, so dass ich in einem " normalen" Sprechzimmer weitergemacht habe. Vom Ablauf war es wie am Tag vorher, eher Beratung und Mitbehandlung, was mir ja nur recht war. Haben mir richtig gut gefallen die zwei Tage. Abends sind wir dann mit dem Bus nach Hause, denn das Schiff wäre erst spät in der Nacht gefahren. Allerdings war die Fahrt dagegen eine echte Qual: VierStunden in einem überfüllten, uralten klapprigen Bus, zum Teil stehend ( zum Umfallen war kein Platz!) auf der "Hauptstraße“ nach San Carlos, die trotz vielfacher Behauptung für meine Begriffe weit davon entfernt ist, "fertig" zu sein. Immerhin hat man viele Straßenbaufahrzeuge gesehen. Zum Glück konnte ich im Dunkeln die alten, schmalen Holzbrücken nur erahnen. In San Carlos war mittlerweile wieder alles Leben erlahmt: seit 2 Tagen kaum Strom, also auch kein Wasser, kein Geld, keine Arbeit (am Computer) etc. Aber ich will mich nicht wiederholen. Heute war dann die Eröffnung des "Frauenhauses" von ARETE. Es ist tatsächlich auf die letzte Minute noch alles fertig geworden, obwohl es vor einer Woche noch gar nicht danach aussah. Ist aber nur dem massiven Druck von Hilde Duevel zu verdanken. Und dabei musste zur Reinigung Wasser aus dem Fluss herangeschafft werden, wegen dem Stromausfall, s.o. Aber kaum war ich wieder zurück, kam auch wieder Strom, und ich konnte heute sogar meine Wäsche mit der elektrischen Waschmaschine waschen. Also Ihr seht, Ihr braucht jetzt weniger Mitleid mit mir zu haben. Mir geht es jetzt richtig gut hier. Heute in 2 Wochen bin ich schon auf der Rückreise nach Costa Rica. So schnell verfliegt jetzt die Zeit. Bis bald also, herzliche Grüße Anne