23
Populismus oder Moderne Autor: Dieses Dokument wurde heruntergeladen bei ArchiNoah, http://www.archinoah.de der interaktive Informationsserver für Architekturstudenten. Wir bieten auf unseren Seiten z.Z. folgendes an: - Einen architekturbezogenen Veranstaltungskalender - Referate und Hausarbeiten zum Thema Architektur - Texturen und andere Grafikelemente für CAD und Visualisierung - eine Datenbank für Modellbaumaterialien - ein Forum und vieles mehr Dieser Service ist kostenlos! Bitte unterstütze das ArchiNoah Projekt, indem Du eigene Dokumente bei archinoah.de hochlädst! Das ArchiNoah Team, März 2002 Jahr: Titel: Florian Illenberger, Samsarah Lilja, Ben Rinkens 2000

Autor: Florian Illenberger, Samsarah Lilja, Ben Rinkens ... · Populismus oder Moderne Popular Culture zwischen Disney und Archigram 2000/2001 Florian Illenberger, Samsarah Lilja,

  • Upload
    doquynh

  • View
    220

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Populismus oder Moderne

Autor:

Dieses Dokument wurde heruntergeladen bei ArchiNoah,

http://www.archinoah.de

der interaktive Informationsserver für Architekturstudenten.

Wir bieten auf unseren Seiten z.Z. folgendes an:- Einen architekturbezogenen Veranstaltungskalender - Referate und Hausarbeiten zum Thema Architektur- Texturen und andere Grafi kelemente für CAD und Visualisierung- eine Datenbank für Modellbaumaterialien- ein Forum und vieles mehr

Dieser Service ist kostenlos! Bitte unterstütze das ArchiNoah Projekt, indem Du eigene Dokumente bei archinoah.de hochlädst!

Das ArchiNoah Team, März 2002

Jahr:

Titel:

Florian Illenberger, Samsarah Lilja, Ben Rinkens

2000

Populismus oder ModernePopular Culture zwischen Disney und Archigram

2000/2001 Florian Illenberger, Samsarah Lilja, Ben Rinkens

Populismus oder Moderne

Inhaltsverzeichnis

Populismus oder Moderne

Populismus 2Kluft 3Kritik 3Gesellschaftspolitischer Druck 3Ziellosigkeit 4Suche 4Neuer Ansatz 4

Pop

Pop-art 5Entstehung 5Kultur des Alltags 5Meiserwerke 6Pop-Phänomene in der Architektur: Am Beispiel Archigram 7

Der Mythos Disney

Der Begründer 10Der architektonische Ansatz 10Eine Märchenwelt zum Anfassen 10Überreste einer Idealstadt 11Der Versuch eines Vergleiches 11Der soziale Zusammenhang 12Wo also liegt die Faszination in Bezug auf die Architektur 12Die Folgen 13Und was ist nun mit Pop? 13

Robert Venturi

Die Sache mit der Glasschachtel 13Der Pionier, der das Spiel beherrscht 15Die Thesen 15Learning from Levittown 16Learning from Las Vegas 16Die Struktur 16Die Ente und der dekorierte Schuppen 17Der Trugschluß der Moderne 17Was ist also Poparchitektur 18

Literaturnachweis 20

2

Populismus oder Moderne

Populismus

Hält man sich an die Zuordnung von Heinrich Klotz, der die „Moderne [...] als zeitübergreifend ansieht, Stilwechsel transzendie-rend“1 bestimmt, dann geht der Populismus als Teil der Moderne in dieser auf. Bleibt die Frage, wo und wie dieser Teil genau einzu-ordnen ist:

Populismus in der Architektur läßt sich grob den sechziger Jahren zuordnen. Kündigten in den fünfziger Jahren nur wenige Anmer-kungen dieses Thema an, ging der Populismus schon in den sieb-ziger Jahren differenzierter in den Ideen der Postmoderne auf. Allerdings ist der Umkehrschluß, daß das Architekturgeschehen dieser Zeit mit diesem Ismus Umfassend beschrieben nicht rich-tig. Die sechziger Jahre sind vielmehr von der Suche nach neuen Ansätzen und neuen Lösungsversuchen geprägt, so dass sich ver-schiedene, auch sich gegenseitig ausschließende Tendenzen aus-machen lassen. Dem Populismus selber lassen sich nur wenige Architekten eindeutig zuordnen, so daß wir in dieser Zusam-menfassung eher versuchen wichtige Fragestellungen dieser Zeit exemplarisch zu beleuchten, als einen linearen geschichtlichen Abriß zu formulieren.

Populismus per Defi nition: Populismus wird meist als politischer Begriff verwendet und besagt per Defi nition nach dem Duden: „von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Poli-tik mit dem Ziel, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen“2, wobei populär als: „gemeinver-ständlich, volkstümlich; beliebt, allgemein bekannt“ defi niert ist.Der Populismus kann demnach nur in einem politischen System ansetzen, in dem zwischen einer Elitären Oberschicht, und dem breiten Volk unterschieden werden kann, wobei die Weisungsrich-tung von Oben nach Unten verläuft, also von der Elite zum Volk. Die Elitäre Schicht ist dazu befugt jene Regeln zu erlassen, nach denen das Volk zu handeln hat.

Der Populist arbeitet im gleichen System, wobei er zur Meinungs-bildung Stimmungen und Themen aus dem Volk abgreift, um diese in sein politisches Programm einzuarbeiten. Im heutigen Sprach-gebrauch ist „Populismus“ vorwiegend negativ konnotiert und wird meist als „Populismus-Vorwurf“ verwendet. Danach ist der Populist nicht inhaltlich an Fragestellungen interessiert, sondern übernimmt aus machtpolitischen Überlegungen heraus opportun die Volksmeinung. Dieses Verhalten wird unter dem Deckmantel „Volksnähe“ argumentiert.Aus dem Populismus-Vorwurf wird ein anderes strukturelles Prin-zip des Machterhaltes dieses Systems sichtbar. Diejenigen, die den Populismus-Vorwurf erheben, begreifen „sich selbst als Elite von Weisen“, wobei „sie der Masse die Einsicht in die Vollkommenheit ihres Wertesystems nicht zutrauen“. Gerade deshalb ist sie durch den „Populisten leicht - gerade auch zu ihrem eigenen Schaden - verführbar“ 3.Die Position des Populisten ist also an sich paradox: er argumen-tiert mit seiner Volksnähe und gegen die elitäre Abgehobenheit, handelt aber selbst in diesem Systems, das auf der klaren Unter-scheidung, also dem top-down Prinzip entsprechend, einer Kluft zwischen einer bestimmenden Elite und den geleiteten Volksmas-sen aufsetzt.4

Abb. 1

3

Populismus oder Moderne

Kluft

Tatsächlich fi ndet sich diese „tiefe Kluft zwischen Architekten und den Bedürfnissen und Gepfl ogenheiten des Benutzers“5 in der Pla-nungskultur der späten Nachkriegsarchitektur wieder, und zwar bezogen auf die Architekten, die Vorgaben setzen, und die Bevöl-kerung, die sich in diese einzufügen hat. In den sechziger Jahren rückt dieser Zustand ins Bewußtsein der Architekten und wird kritisch als elitäre Abgehobenheit wahrge-nommen. Tom Wolfe beschreibt dies rückblickend folgenderma-ßen:

“Das Volk war jetzt der Mittelstand, [...]. Sie waren die ‚breiten Volksmassen‘ - im Gegensatz zu den engen wahrscheinlich. Wenn man sich ihnen gegenüber wie ein Snob aufführte, war man elitär. Und was konnte in dieser unserer neuen Zeit elitärer sein, wollte Venturi wissen, als Mies Tradition des International Style mit dem gesteigerten Wert, den er auf ‚heroische und originelle‘ Formen legte?“6

Die ursprünglich in der Moderne „anvisierte Identität von Kunst und Leben“7, also auch die von Architektur und Leben, wurde verfehlt und rückt jetzt wieder, wenn auch wie wir später sehen werden unter anderen Gesichtspunkten, ins Blickfeld.

Kritik

Dabei wird nicht nur, wie von Venturi, diese top-down Haltung als unzulässig empfunden, sondern gleichzeitig die Architektur selbst als nicht mehr zulänglich und stößt zum Teil auf vehemente Kritik. Schon 1958 beschreibt der Architekturkritiker Douglas Haskell die zeitgenössische Architektur als „öde, korrupt, verächtlich, infantil und hoffnungslos“. Diese werde von dem einfachen Volk und den gewöhnlichen Leuten in ihrer „Fremdheit und Neuartigkeit“ nicht länger akzeptiert. Kenneth Frampton attestiert rückblickend eine „Verarmung der städtischen Umgebung“, sowohl aufgrund der abstrakten Tendenzen der kartesischen Rationalität, als auch der enormen Bauproduktion unter hohem ökonomischen Druck. Selbst aus heutiger Sicht bezeichnet Heinrich Klotz die Architektur der Nachkriegsjahre als „funktionalistische Deformation der Moderne“8, und Hans Ibelings beschreibt sie folgendermaßen:

„it had degenerated since 1945 into an anonymous product for the biggest common denominator: visually impoverished, technocra-tic, large-scale and indifferent to people and context alike“.9

Dabei ist die moderne Architektur gerade dort nicht mehr glaub-würdig, wo sie „Wahrheit, Objektivität, Entwicklung und gesell-schaftliches Wohlergehen für sich in Anspruch“10 nahm, in ihren Grundannahmen also.

Gesellschaftspolitischer Druck

Zusätzlich wächst der Druck aus einer anderen Richtung: Im Zuge der Revolte Ende der 60er Jahre werden die westlichen Gesell-schaften als Massen und Konsumgesellschaften, Gesellschaften des Spektakels und der „Selbstherrschaft der Warenwirtschaft“

4

Populismus oder Moderne

politisch attackiert. Der Architektur wird hierbei eine prominent Rolle zugedacht, da die „Moderne Architektur und Städtebau [..] als Ausdruck der Leistungs- und Konsumgesellschaft“11 galten. In den Manifesten des „Mai ´68“ ist die Architektur das „Terrain, auf dem der Angriff auf das Establishment vorgetragen wurde; in ihr ließ sich das Elend und die Entfremdung der modernen, von der Technik beherrschten Zivilisation exemplarisch zeigen [..]“. Archi-tektur wurde als Zeichen gelesen, die ideologischen Botschaften wie Macht oder Interessen transportieren. Der Architekt galt als „Knecht der herrschenden Klasse“.

Ziellosigkeit

Die Architektur der Nachkriegsjahre steckte in einer Legitimations-krise. Colin Rowe faßt dies so zusammen:

„Die moderne Architektur war zwar arriviert, aber das neue Jeru-salem war nicht gerade eine gutgehende Sache; und langsam begann zu dämmern, daß etwas schief gegangen war. Die moderne Architektur hatte nicht (ipso facto) zu einer besseren Welt geführt; und als die utopischen Phantasien entsprechend verkümmerten, folgte aus der Trübung des entscheidenden Ziels eine gewisse Ziellosigkeit, [..] Konnte er sich noch länger als Vorkämpfer für eine neue Integration der Kultur verstehen?“12

Suche

In dieser Zeit beginnt die Suche nach neuen Ideen und Ansätzen, wobei in dem beschriebenen Klima die aktuelle Architekturpraxis keine besonders geeignetes Inspirationsquellen zu sein scheint. Auf dieser Suche entdecken die Architekten recht unterschiedliche Themen, die alle von einem veränderten Architekturverständnis zeugen. Von high-technology, Science-Fiction Utopien über direk-tem sozialem Engagement, der Arbeit aus Kontext und Situation heraus, dem Blick auf die kommerzielle Populärkultur bis hin zur Alltags- Realität scheint jede Anregung willkommen zu sein. Ein-zige durchgängige Gemeinsamkeit scheint es zu sein, die Architek-tur fi ktional aufzuladen, über die Architektur in Kommunikation mit dem Nutzer zu treten, und somit die diagnostizierte Kluft zwischen Nutzer und Planer überbrücken zu können. Diese Refi ktionalisie-rung trifft auf Archigram gleichermaßen zu wie auf Venturi oder die Situationisten und die Partizipationisten.

Neuer Ansatz

Die Neuorientierung spielt sich vor dem Hintergrund der Erfolge anderer Disziplinen ab, die sich der Populärkultur und dem erleb-ten Umfeld oder den Wünschen der Bevölkerung zuwenden, wie zum Beispiel der Durchbruch der Pop-art in der Kunstszene oder Disney´s beliebte Parks. Nun beginnen auch Architekten, sich mit diesem Phänomenen auseinanderzusetzen und stoßen auf eine ganze Reihe von Argumenten für die Zuwendung zu diesen Themen. Schon sehr früh wird beklagt, daß die vitale kommerzi-elle Kultur, wie zum Beispiel die Außenwerbung, einfach ignoriert wird, angeblich deshalb, weil sie nicht von Fachleuten produziert wird, sondern ohne universale visuelle Ordnung auskommt.13 Es

Abb. 2 Studentenunruhen

5

Populismus oder Moderne

wird mokiert, daß Motels, Supermärkte, Kegelbahnen, Kioske usw. keine Beachtung fi nden, schließlich seien sie „unbefangenes und erfreulich emotionales Bauen“, das die Realität so akzeptieren kann wie sie ist.14 Wobei ironischer Weise allgemein populäre Vorstellungen ausgerechnet bei jenen nicht populär sind, die die Entscheidungsmacht über Stadtentwicklung und Wohnungsbau haben.15 In „der Epoche der Souveränität des Konsumenten galt die Autorität des Architekten als Anachronistisch.“16

Argumente für ein populistisches Schöpfen aus Themen und Bedingungen der alltäglichen Realität der „breiten Masse“.

Pop-art Als Hintergrund, vor dem sich der Populismus in der Architektur zu entwickeln beginnt, muss auch die Pop-art betrachtet werden, da diese in „der Architektur zu Beginn der sechziger Jahre neue Impulse“17 setzte. Wir begeben uns also, gegenüberliegend der kommerziell motivierten Verwertung populärer Themen bei Disney, an das scheinbar entgegengesetzte Ende der Skala und betrachten die Auseinandersetzung mit der Alltagskultur in der Kunst. Interes-sant ist dies auch deshalb, da sich in den 60er Jahren für Kunst und Kommerz, das heisst für vermeintlich gegensätzliche Pole, deutli-che Überschneidungen zeigen.

Entstehung

Pop-art entsteht in zwei unabhängigen Keimzellen, in den USA und in England, Mitte der 50er Jahre. Als Geburtsstunde wird für Eng-land die Ausstellung „This is Tomorrow“ genannt, für die Richard Hamilton 1965 die Collage „what is it that makes today´s homes so different, so appealing?“ anfertigte, in der bereits das ikonogra-fi sche Bildmaterial der Pop-art programmatisch zusammenfasst ist. In Amerika werden die Fahnenbilder des Amerikaners Jasper Johns (1955) als erste Werke der Pop-art beschrieben. Die zwar mit abstrakt-expressionistisch und gefühlsstarkem Pinselstrich gemalt sind, aber einen allgemeinen, emblematischen und noch dazu emotional aufgeladenen Gegenstand abbilden. Diese Konfronta-tion ist im etablierten, abstrakten Expressionismus nicht denkbar. Die Pop-art kann als Befreiung der „art pour l´arte“ , des abstrakten Expressionismus gelesen werden, und scheint Ausweg aus dem Dilemma, daß dieser Malstil „nicht mehr weiterentwickelt werden kann“18. Es ist die Rückkehr zu einer neuen Figuration, und zwar mit dem Ziel, „einen frischen Dialog zwischen Leben und Kunst“19 zu ermöglichen. Robert Rauschenberg drückt dies folgendermas-sen aus: „Malen hat mit Kunst und Leben zu tun. (Ich versuche in dem Spalt zwischen beiden zu handeln)“.

Kultur des Alltags

Das allgemeine, das täglich präsente, die massenmedial verbrei-tete Volks- und Trivialkultur, die Lebensform der modernen Zivili-sation sind die Themen, mit denen die Pop-art Künstler arbeiten. Sie spielen mit dem Vergnügen am banalen, „fl üchtigen, ver-schwenderischen Leben“20. Sie greifen Phänomene wie die allseits präsente Unterhaltungs- und Konsumkultur auf, die großstädti-sche „Collage - Umwelt“, Technologie und Kommerz. Die Popu-

Abb. 3 Andy Warhol: Do it yourself landscape

Abb.4 Roy Lichtenstein: M-Maybe

6

Populismus oder Moderne

lär- Kultur ist aber nicht nur Inspiratonsquelle, sondern auch Lieferant des Bildmaterials. Comic-strips, Hot-dogs, Autos, Flug-zeuge und Tankstellen, Pop-stars, Suppendosen und Geldscheine... sind die Bildinhalte. Die Künstler verwenden kurzlebige Handels-objekte, frisch vom Fliessband, die möglichst unverändert ein-gesetzt werden. Sie entdecken „die Ikonografi e des Kinos, des Fernsehens, der Illustrierten und der Zeitungen als Bildquelle für die Kunst“. Mit dem verwendeten Bildmaterial sind einige der grossen Pop-art Künstler bestens vertraut, da sie, vor ihrem Durchbruch als Künstler, wie Rosenquist kommerzielle Werbeta-feln malten, wie Lichtenstein als Dekorateur oder Warhol als Wer-begrafi ker arbeiteten.Dieses Bildmaterial ist, wie bereits erwähnt, schon in dem frühen Pop-art Werk „what is it that makes today´s homes so different, so appealing?“ von Richard Hamilton zusammengefaßt. Diese „Collage enthält alle Klischees, die das Herz des Konsumbürgers erfreuen [...] Reklame für Reizwäsche, Welt der Autos, des Pin-up und Bodybuilding, des Fernsehens und der Illustriertenrepor-tage“21

Die verwendeten Gegenstände sind allgemein verbreitet, stehen immer mit der Umgebung des alltäglichen Lebens in Beziehung. So sind die Arbeiten assoziativ mit dem Erleben des Betrachters verknüpft, da sie Teil des alltäglichen Erfahrungsschatzes sind. Hier läßt sich die Identifi kation von Kunst und Leben realisieren: Die Kunstwerke sind der Realität nahe und gleichzeitig bleiben sie sichtbar künstlich. Dies ist der Spalt von dem Rauschenberg spricht.

Meisterwerke

Besonders prägnant werden einige Vorstellungen der Pop-art nicht nur im Werk Andy Warhols, sondern gerade auch in seiner Person deutlich. Sein Selbstverständnis als Künstler baut nicht mehr auf dem Genius, sondern gründet sich auf Qualitäten eines Super-stars. Er sagt „der Künstler selbst müsse das Meisterwerk sein“22. In diesem Sinne treten dann auch formale und inhaltliche Fragen der Arbeit in den Hintergrund. Warhol verzichtet auf persönliche Sujets. So scheint es gleichgültig zu sein, ob die Druckreihe Cola-Flaschen oder Marilyn-Monroes oder Dollar-Noten abbildet, sofern sie Teil des amerikanischen Lebens sind. Gleichzeitig fehlt den Bil-dern jeglicher individueller Duktus des Meisters. Zur Herstellung seiner Arbeiten bedient er sich mechanisierter und standardisier-ter Produktions- und Reproduktionsmethoden, wie der Siebdruck. Diese Haltung wird dadurch noch überspitzt, daß er viele seiner Werke nicht selber anfertigt. Er läßt sie vom Mitarbeiterstab seiner „factory“ herstellen. Einmal überstellte er einem Galeristen sogar lediglich einen bedruckten Stoffballen, sodass dieser sowohl die Bestimmung des Bildausschnitts als auch die Gestaltung der Aus-stellung übernimmt.

Kritisch? Allerdings wurde die Pop-Kunst nicht ohne Kontrover-sen in die den Kunstbetrieb, „traditionelle Hochkultur“, aufgenom-men. Vielen schien sie zu unkritisch gegenüber gesellschaftlichen Zusammenhängen, im Gegenteil, sie bestätige die thematisierten anti-individualistischen Tendenzen noch, die bearbeiteten Klischees seien zu oberfl ächlich. Diese Kunst erschien einigen ungeeignet „die bestehende Ordnung zu erschüttern“. Andere bemerken wie-derum:

Abb. 5 Richard Hamilton: Just what is it that makes today‘s homes so different, so appealing?

Abb. 6 Andy Warhol: Marilyn Monroe

7

Populismus oder Moderne

„Es sind die allgemeinsten Klischees, die allgemeinsten Redensar-ten, mit denen wir uns zuerst befassen müssen, wenn wir zu eini-gem Verständnis für die neuen Möglichkeiten gelangen wollen, die uns in dieser schönen und nicht ganz hoffnungslosen neuen Welt zur Verfügung stehen.“23

Daß die Pop-art so konträr wahrgenommen wird, ist vielleicht symptomatisch, da die Haltung gegenüber der thematisierten Populärkultur uneindeutig bleibt. Sie schwankt zwischen „Ver-ehrung und ironischer Distanz“24, zwischen unvoreingenommen, ohne Kommentar und polemischem Fingerzeig. Letztendlich bleibt „Jegliche Gesellschaftskritik [...] dem Betrachter überlassen. Der amerikanische Pop-Künstler beobachtet nur [...]“25.Und so ist die „Hard Core-Pop Art“, auch angesichts des Umstan-des, daß sie selbst volkstümlich wurde, was ihre anhaltend hohe Popularität belegt, möglicherweise schlicht „Bestandteil der USA-Produktion für eine Gesellschaft der Massenkultur.“26

Pop-Phänomene in der Architektur: Am Beispiel Archigram

Archigram war ursprünglich der Titel einer Zeitschrift, die von jungen Architekten oder z.T. nur Architekturinteressierten aus Großbritannien ins Leben gerufen wurde.Die Herausgeber dieser Zeitschrift beschäftigen sich anfangs besonders mit Werken anderer Künstler, faßten sie in Kollagen zusammen und erarbeiten somit neue Entwürfe. Mit der vierten Ausgabe von Archigram bekam diese Zeitschrift den Charakter eines Comics. In diesen Fiktionen erschuffen sie neue Welten und spielten mit potentiellen Chancen, die durch neue Entwicklungen bewerkstelligt werden könnten.Aus dem ursprünglichen Zeitschriftentitel wurde eine Architekten-gruppe. In Ihren eigenen Werken verarbeiteten sie neue Errungen-schaften und Leistungen ihrer Zeit, wie z.B. die Raumfahrt und erste Mondlandung 1969. Die Analogie des „Living Pod“ mit einer Mondfähre ist unverkennbar. Die Idee, das Lebensnotwendige auf minimalem Raum zu reduzieren, um eine maximale Ausbeute an Freiräumen zu schaffen, scheint auch ein durchaus sinnvoller Rückschluß aus den steigenden Bevölkerungszahlen auf der Erde.Betrachtet man Ihre Zeichnungen und vergleicht sie mit den Werken einer anderen Kunstgattung Ihrer Heimat, verwundert der Name, den die Medien den jungen Architekten gaben, nicht. Man nannte sie die „sechs Beatles der Architekturszene“27. Ver-gleicht man die Bilder von Archigram und den Beatles, könnte man meinen, der Künstler sei der selbe. Der Einfl uß der Pop-art ist bei den Büchern und Filmen der Beatles, wie auch bei Archigram, nicht zu vernachlässigen. Bei einer Kategorisierung würden die Darstellungen der beiden Britischen Gruppen vermutlich an der selben Stelle aufgeführt werden, wie auch die Kunstwerke Andy Warhols.Die Zukunftsvisionen Archigrams bedeuteten aber nicht, daß sie sich ausschließlich mit den neusten Errungenschaften der Gegen-wart beschäftigten. Zu ihren Vorbilden gehörte u.a. auch das Wichita House von Buckminster Fuller.Dennoch ergaben sich gerade durch die moderne Forschung neue Möglichkeiten. Neu entwickelte Stoffe ließen sich häufi g als moderne Baumaterialien mit neuartigen Eigenschaften nutzen.Als Resultat aus ihrem Enthusiasmus für Science-fi ction und gegenwärtiger Bewegungen, entstanden die Instant Cities - zumin-

Abb. 7 Archigram: Titelbild der Zeitschrift Archigram 2

Abb. 8 Archigram: Titelbild im Comicstil Archigram 4

8

Populismus oder Moderne

Abb. 9 Buckminter Fuller: Wichita House

Abb. 12 Illustration von Archigram

Abb.10 Erste Mondlandung

Abb. 13 Cover des Beatles Buches: Yellow Submarine

Abb. 11 Archigram: Living Pod

9

Populismus oder Moderne

dest auf dem Papier. Hierbei griff Archigram auf die Technik der Collage zurück, mit deren Hilfe sie in kleinen Szenen „Geschich-ten“ erzählen. Wie auch bei anderen Pop-art Künstlern werden hier aktuelle gesellschaftliche Klischees „konzentriert“ mit eingearbei-tet. In einem ihrer Instant City Bilder wird das nächtliche Leben dargestellt, welches die Fun Generation widerspiegelt. Der zeitge-nössische Kritiker Heinrich Klotz ließ dieser Auseinandersetzung mit der Zukunft scharfe Kritik zukommen:

„Der Mensch wird zum reinsten Optimisten und baut seine Häuser als Kapseln [...], umgibt sich mit Wachsmann- und Buckminster-Fuller-Strukturen, lädt zusätzlich seine Umwelt auf mit Farbenspek-tren der Pop-art und bevölkert lächelnd und zukunftsgläubig diese schöne neue Welt.“28

Unbeirrt vieler solcher Kritik wurden aus kleinen „Vergnügungs-parks“ ganze Urbane Systeme, die sie die „Walking Cities“ tauf-ten.Diese Mega-Strukturen standen eigentlich in Divergenz zu Ihrer Kritik an der Moderne, in der die Architektur nur noch als rein „physische Erscheinung gesehen wird“ und es zu einem „kano-nisiertem Funktionalismus“29 kam, da gerade dort solche Mega-strukturen gepriesen wurden.Durch die Dimensionen und die Art ihrer Entwürfe umging Archi-gram die wirkliche Auseinandersetzung mit einem Städtebau der auf die bereits vorhandenen Strukturen einging. Aber eine solche Art zu entwerfen war nicht neu. Le Corbusier hatte es bereits in seiner Neuplanung für die Pariser Innenstadt vorgemacht und Hil-besheimers Entwurf von 1924 für die Hochhausstadt Berlin, schien bereits von einem Krieg mit einer Komplettzerstörung der existie-renden Struktur auszugehen.Die Herangehensweise von Archigram wird vielleicht auch durch Cooks Aussage „[...] Die Phrase „ein Kommen und Gehen“ paßt in diesem Zusammenhang sehr gut, insofern, als die Collage keine festgelegte Collage ist - psychologische Collagen sind nicht festge-legt, die Gedanken kommen und gehen. Sie sind wie ein Irrlicht - schttt, und schon sind sie vorbei.[...]“30 klarer. Er geht davon aus, daß die Welt immer schnellerem Wandel unterzogen wird und es damit auch einer besonders großen Dynamik der Architektur bedarf. Eine Dynamik, der die „Plug-In Cities“ entsprechen sollen. Genauso metaphorisch und z.T. umgangssprachig wie sich Cook auch heute noch verbal ausdrückt, sind auch die Entwürfe von Archigram.Trotz der Unwirklichkeit möchte Archigram nicht, daß man bei Ihren Entwürfen von Utopien spricht, da sonst die Ernsthaftigkeit verloren gehen würde. Daraus folgend, würde man durch diese Werke auch nicht mehr zum Denken angeregt werden. Anders als bei Entwürfen der meisten Architekten versteht jeder Betrachter die Bilder und kann sich die Szenen selber weiterden-ken. Archigram hatte es begriffen, mit Zeichnungen zu reden.

Abb. 14 Archigram: Instant City

Abb. 15 Archigram: Instant City

Abb. 16 Archigram: Cities: Moving

Abb. 17 Archigram: Walking Cities

Abb. 18 L. K. Hilbersheimer: Hochhausstadt Berlin 1924

10

Populismus oder Moderne

Der Mythos Disney

Der Begründer

Walt Disney, geboren 1901 in Chicago, Illinois, zeichnete sich abge-sehen von seinem Ergeiz und ausgeprägtem Geschäftssinn auch durch einen ungebrochenen Idealismus aus, die Menschen mit seinen Mitteln, dem Kreieren einer verzaubernden Märchenwelt, glücklich zu machen. Er wollte an die Möglichkeit glauben, die Welt, oder doch zumindest die USA, im moralischen Sinne verbes-sern zu können.

Der architektonische Ansatz

Die Idee einer zukunftsorientierten Idealstadt hatte Disney bereits Ende der 30er Jahre, einer Zeit, in der er noch ausschließlich durch seine animierten Zeichentrickfi lme voll Herz und Humor bekannt war. Er nannte diesen Entwurf Experimental Prototype Community of Tomorrow, kurz EPCOT. 20 000 Menschen sollten dort wohnen, zunächst Angestellte von Disney World, das erst 20 Jahre später realisiert wurde, später sollten dann neue Wohn- und Gewerbe-gebiete gebaut werden, um ein konstantes und ausgewogenes Wachstum der Stadt zu ermöglichen.Das städtebauliche Konzept wurde in Anlehnung an die Garten-stadtbewegung des ausklingenden 19. Jahrhunderts entwickelt. Ziel war es, Wohnen, Arbeiten und Freizeit räumlich voneinander zu trennen, aber gleichzeitig durch ein gut funktionierendes Nah-verkehrssystem, die so genannte MONORAIL, einer auf einem (MONO) aufgeständerten Mittelgleis (RAIL) fahrenden Hochbahn, wieder miteinander zu verbinden. Neben dem städtebaulichen Konzept gehörte zu Disneys Zukunfts-stadt vor allem die Schaffung eines Gemeinschaftswesens, dessen Grundlage eine umfassende Kontrolle der Bewohner vorausge-setzt hätte. Diese beinhaltete Verhaltensregeln gleichermaßen wie eine umfassende Kleiderordnung.

Eine Märchenwelt zum Anfassen

1955 wurde Disneys erster Themenpark in Annaheim, Kalifornien, eröffnet, heute noch bekannt als Disneyland. Geplant und realisiert durch sogenannte Imageneers (sinngemäß: Ingenieure der Vor-stellung). Entgegen dem in den 50ern üblichen Weg, hatte Disney keine elitären Architekten mit seiner neuen Märchenwelt beauf-tragt, die dem Besucher ihre Vorstellung aufgezwungen hätten, sondern dafür Sorge getragen, daß die Reise in seine Welt als Illu-sion perfekt funktionierte.Die Figuren aus seinen Zeichentrickfi lmen bildeten die Grundlage bzw. die Ankerpunkte für Disneyland. So ist noch heute das Cinde-rella-Schloß das Wahrzeichen aller Disneyparks weltweit. Es steht im Zentrum der Anlage, umgeben von weiteren Themenbereichen, wie z.B. dem Adventureland, das an den Helden in uns appellie-ren will oder dem Frontierland, das die Aufarbeitung der amerika-nischen Ursprungslegenden wieder lebendig werden läßt.

„In einem Auszug einer Werbekampagne in der Zeit der Eröffnung von Disneyland, stellte sich die Disney Coorporation als Träger der

Abb. 19 Walt Disney

Abb. 20 Der architektonische Ansatz bei EPCOT

Abb. 21 Lageplan von Disneyland, Annahei CA

11

Populismus oder Moderne

wahren amerikanischen Werte dar; Disneyland begründet sich auf und widmet sich den Idealen, den Träumen und den harten Fakten, die Amerika konstituieren. Und es wird in einzigartiger Weise dafür geeignet sein, diese Träume und Fakten zu dramatisieren und sie der ganzen Welt als Quelle von Glauben und Inspiration zu über-bringen.Disneyland wird etwas wie eine Messe sein, eine Ausstellung, ein Spielplatz, ein Gemeinschaftszentrum, ein Museum lebender Tat-sachen und eine Bühne für Schönheit und Magie. Es wird reichhal-tig sein an den Errungenschaften, den Freuden und Hoffnungen der Welt, in der wir leben. [...]“ 31

Disneyland wurde ein Riesenerfolg - ist es bis heute geblieben - und wurde 1971, fünf Jahre nach Disneys Tod, durch einen zweiten Themenpark ergänzt. Im expandieren Orlando, Florida, in der wirt-schaftlich wachsenden Ostregion des Sunbelt, entstand eine per-fektionierte und noch größere Traumweltvariate der Walt Disney Coorporation. Disney World - Hochtechnisiert, mit einem komple-xen unterirdischen Ver- und Entsorgungssystem, um die Illusion der Besucher durch nichts zu beeinträchtigen.

Überreste einer Idealstadt

Aus Disneys einst so schimmerndem Traum einer hightech Zukunftsstadt für die reale Welt, blieb nach seinem Tod nicht viel übrig. Zu groß waren die Zweifel seiner Nachfolger an der Lukrati-vität des Vorhabens. Ehrenhalber gibt es heute noch einen gleichnamigen Bereich in Disney Worlds Themenpark Tomorrowland, der mehr oder weni-ger als Ausstellungsfl äche für Neuheiten von Firmen wie General Motors, ITT oder Kodak fungiert.Das ehemalige Nahverkehrssystem von EPCOT, die MONORAIL, befördert heute Touristen von ihren Hotels zu den Attraktionen des Parks, und die ursprünglich futuristische Architektur fi ndet man nur noch im so genannten Contemporary Hotel, dessen 1450 Gästeräume samt Innenausstattung als Fertigteile in ein großes Stahlgerüst eingehängt wurden, um einen überdachten, klimati-sierten Innenhof einzuschließen, in den die MONORAIL direkt ein-fährt.

Der Versuch eines Vergleiches

In ihrem Buch Collage City32 versuchen Colin Rowe und Fred Koetter einen zunächst nicht gerade naheliegenden Vergleich zwi-schen den Themenparks der Disney Coorporation und einer klei-nen Gruppe junger Architekten und Künstler, die 1966 in Florenz an gemeinsamen Entwürfen arbeiteten. Die Gruppe nannte sich Superstudio und ihr Konzept für eine neue Weltordnung könnte man folgendermaßen zusammenfassen: Die Welt wird überspannt mit einem Kartesianischen Raster, dessen enorme - und nicht weiter ausdifferenzierte - unterirdische Infra-struktur es den auf dem Raster lebenden Menschen ermöglicht, durch eine Art Einklinken, in eine virtuelle Welt einzutauchen, die alle ihre Bedürfnisse befriedigen kann.Es gibt also eine Art großer Bühne oder Plattform, auf der spon-tane Ereignisse stattfi nden können. Es entsteht dadurch eine Los-lösung vom Objekt.

Abb. 22 Das Zentrum des Parks, das Ciderella-Schloß

Abb. 23

Abb. 24 Die MONORAIL fährt aus dem Contemporary Hotel

Abb. 25 Die Heile Welt in der Vorstellung von Superstudio

12

Populismus oder Moderne

Disney erzeugt ebenfalls eine perfekte Illusion, die zwar nicht vir-tuell entsteht und auch nur mäßig Spontaneität zuläßt, die aber letztlich auch nur unser Bedürfnis nach einer heilen Welt, nach Abenteuer oder Kitsch befriedigen soll. Auch hier gibt es eine aufwendige, unterirdische Infrastruktur, die dafür sorgt, das zuge-müllte Ecken oder luftverpestende LKW den Träumer nicht aufwa-chen lassen.

Der soziale Zusammenhang

„[...] und um genauso einen Zustand, wie er Superstudio vor-schwebt, erträglich zu machen, ist DW entstanden. Ohne alle Frage gibt es in Iowa tatsächlich keine Schlösser und Plätze [beruft sich auf ein Zitat von Superstudio, ‚kein Bedürfnis mehr für Städte oder Schlösser besteht, kein Grund mehr für Strassen und Plätze. Jeder Punkt wird gleich wie jeder andere sein...‘]; aber es ist von Bedeutung, daß das Fehlen dieser Dinge (manchmal) als Mangel empfunden werden kann; es ist von Bedeutung, daß dort, wo der „ideale“ kartesianische Raster schon lange zum Alltag gehört, viel-leicht (manchmal) Linderung gesucht wird - was den allgemeinen Erfolg von DW gewährleistet hat.“33

Wo also liegt die Faszination in Bezug auf die Architektur?

Worauf Rowe und Koetter mit diesem Vergleich hinauswollen, wird einem erst deutlich, wenn man sich ausgiebiger mit der Faszi-nation beschäftigt, die Disneys Themenparks auf Architekten aus-zuüben scheint. Und diese Faszination besteht letztlich darin, daß Disney World funktioniert, und weshalb. Es ist Symbol eines ame-rikanischen Ideals von Wertvorstellung und auch Architektur, mit dem sich offenbar jeder Amerikaner identifi zieren kann. Ein präg–nantes Beispiel hierfür ist der Eingangsbereich der Parks - Main Street. Man tritt ein in eine Welt der amerikanischen Vorstellung einer kleinstädtischen Hauptstraße um 1900. Kleine zweigeschos-sige, pastell-getünchte Häuschen aus Holzlatten, mit kleinen Dach-gauben, Veranda oder einer Ladenfassade, hinter denen sich Souvenirshops oder Fastfood-Restaurants anbieten. Wer schon einmal in einer amerikanischen Kleinstadt aus der Kolo-nialzeit war, wird wissen, daß die Main Street in der Realität nie so existiert hat.

„Main Street war nie hübsch noch, wahrscheinlich, je sehr prospe-rierend; aber sie verkörperte eine Haltung der Welt gegenüber, in der sich Unabhängigkeit und Unternehmungslust verbanden, und es fehlte ihr nie an Rauheit pathetischer Würde. Ihre ungeschickte, möchtegern-großstädtische Tünche ist Anzeichen eines gewissen Stoizismus, einer Art erbitteten Überladenheit, die ihre entschei-dende Würde schließlich wegen ihrer eigentlichen Erfolglosigkeit erhält.“34

Sie ist aber ein Mythos in den Köpfen der Leute, der sich dort ein-geprägt hat und den Disney direkt anspricht.Vielleicht ist die Faszination auch ein unausgesprochener Egokom-plex der Architektenwelt, denn schließlich wurden sie bei der Ent-wicklung und Realisation weitgehend außen vorgelassen. Und sie fragen sich, wie sie dieses Niveau an Annerkennung je erreichen können.

Märchenwelt

Ver- und EntsorgungTechnik etc.

undefinierteInfrastruktur

Menschen als Mobiliar für spontane Ereignisse

Bühne

Abb. 27 Main Street in Disney World

Abb. 28 Main Street: irgendwo in Amerika

Abb. 26

13

Populismus oder Moderne

Die Folgen

Disney machte viele Architekten und Stadtplaner darauf aufmerk-sam, daß es, um Erfolg zu haben, vor allem darum geht, die Bedürfnisse der Menschen anzusprechen. In einer Zeit, in der der Glaube an die Technik überwiegt, entdeckte man den Themenpark als Testgelände für die städtische Wirklichkeit.Vielleicht, so erkannte man, war ja gerade die „fehlende“ Architek-tur in Disney World das, was so sehr faszinierte. Robert Venturi for-mulierte es pointiert:

„Disney World kommt näher an die Träume der Menschen heran, als alles, was die Architekten ihnen jemals gegeben haben.“ - „Es ist eine symbolische amerikanische Utopie.“35

Das Konzept des Themenparks wird bis heute auf weite Felder der Realität projiziert. Die meisten amerikanischen Einkaufszentren, sogenannte Shoppingmalls kreieren eine künstliche Atmosphäre, in der der Käufer sich sicher und glücklich glaubt - denn ein glück-licher Kunde ist immer auch der kauffreudigere Kunde.Die Lehre, die man aus Disneys Themenparks ziehen kann, ist, daß die Chance, zumindest jemand anderes spielen zu können, genau das ist, was unseren Städten fehlt. Charles Moore erklärte:

„[...] Disneyland ist als öffentliches Umfeld lobenswert, weil es eine Zurschaustellung ermöglicht, um gesehen zu werden und auch teil-zunehmen an einer heilen Welt, voller Ereignisse, großer und klei-ner Dramen, ganzer Hierarchien von Bedeutung und Spannung...In diesen Märchenphantasien, Pionierabenteuern, im Gewühl und in der Welt von morgen [...].“36

Und was ist nun mit Pop?

So wie Pop-art und Popmusik zwei Kategorien sind, die Einfl uß genommen haben auf die Herangehensweisen der Architekten der 60er Jahre, so ist Disney World ein Phänomen, das uns bis heute beschäftig. Damals mag es einigen der Moderne-hörigen, elitären Architekten eine neue Sicht auf die Dinge eröffnet haben. Nämlich sich die Frage zu stellen: Was eigentlich sind die Bedürfnisse derer, für die wir bauen? UndWie leben denn die Menschen tatsächlich?

Die Sache mit der Glasschachtel

Zu Zeiten als die Pop-art und Popmusik bereits zum Alltag der Kon-sumentenwelt gehörten, befand sich die Welt der Architekten noch immer auf dem geistigen Stand der 30er Jahre in Europa. Die Architekturfakultäten amerikanischer Universitäten wie Yale oder Princeton formierten sich zu intellektuellen „Verbünden“, die ihren Leitfi guren Gropius, Le Corbusier und Mies ewige Treue geschworen hatten.Kein junger Architekt konnte sich etablieren, indem er durch Origi-nalität oder gar Genie hervorstach, wenn er sich außerhalb der Ver-bünde bewegte. Es war ein Gesellschaftsspiel mit festen Regeln, innerhalb derer der Ermessensspielraum deutlich eingeschränkt

Abb. 29

Abb. 30 Willkommensgruß an die Einwohner von Celebration, Flo-rida, einer Kleinstadt für 20 000 Menschen. Celebration ist der zeit-genössische Prototyp einer Stadt der Disney Coorporation, der die heile Welt der Themenparks endlich in die Realität holen will. S. a. „Die Disneyfi zierung der Städte“, Frank Roost, Berlin 2000

Abb. 31 Bürohochhaus von Ludwig Mies v.d. Rohe

14

Populismus oder Moderne

war. Wer sich dennoch wagte, einen anderen Weg einzuschlagen, wurde als Abtrünniger nicht mehr ernst genommen und verhöhnt, wenn er Glück hatte, lediglich seine Existenz ignoriert.Man präsentierte der Welt den Inbegriff der modernen Architektur: Die Glasschachtel. Während von der ersten Generation Schach-telbauer noch intellektuell und auch räumlich anspruchsvoll ent-wickelte Schachteln eine damals tatsächlich innovative Wende in der Architektur ankündigten, waren Folgegenerationen nicht mehr in der Lage, die Originalität zu erfassen und begannen, die Glas-schachtel und die damit verbundenen Manifeste „moderner Archi-tektur“ ohne Sinn und Verstand in hundertfacher Ausführung zu kopieren und auf alles anzuwenden. Sie drängten ihre Schach-teln jedem Lebensbereich auf. Und die Amerikaner ließen es zu, obwohl es ihnen nicht gefi el. Tom Wolfe beschreibt die Situation wie folgt:

„[...] Sie ziehen ein, ohne ‚piep‘ zu sagen -, obwohl die Glasschach-tel sie alle entsetzt.Das sind nicht nur meine Eindrücke, ich versprech‘s Ihnen. Wer detaillierte Beweise will, braucht nur die Konferenzen, Symposien und Preisgerichte aufzusuchen, bei denen sich heutzutage Archi-tekten versammeln, um die Lage der Kunst zu diskutieren. Sie bekennen, selbst entsetzt zu sein. Ohne zu erröten werden sie Ihnen sagen, daß die moderne Architektur erschöpft ist, ausge-laugt, am Ende. Sie machen selber Witze über die Glas-Schachteln. Sie kichern, wenn sie den Ausdruck in den Mund nehmen. Philip Johnson, der sich 1949 ein Glas-Schachtel-Haus in Connecticut gebaut hat, spricht diese Redensart wie ein mäßig belustigter Anti-quitätenhändler aus, oder wie einer ein altes Messing-Bettgestell erwähnt, das er auf dem Dachboden gefunden hat. [...]“ 37

Man baute in der Fünfzigern Arbeitersiedlung nach dem Vorbild der Bauhaus & Co.-Bewegungen der Zwanziger Jahre. Man fragte auch hier die Menschen nicht, wie sie sich ihr Heim eigentlich vor-stellten, sondern ging weiter vom geistig minderbemittelten Arbei-ter aus - dessen amerikanische Version sich historisch betrachtet mit der Situation (und den daraus folgenden Motivationen) des europäischen Arbeiters kaum vergleichen läßt - für den der Archi-tekt entscheidet, was gut und schön ist.

„[...]Hier wurden sie public housing projects genannt. Aber irgend-wie gelang es den Arbeitern, intellektuell unentwickelt, wie sie waren, dem public housing zu entgehen. Sie nannten es einfach „the projects“ und mieden es, als hätte es einen üblen Geruch. Die Arbeiter - wenn wir mit „Arbeiter“ Leute meinen, die einen Job haben - wandten sich stattdessen den Vororten zu. [...] und sie kauften sich Häuser mit Giebeldächern und Ziegeln und Seitenver-kleidungen aus Schindeln [...] - je hübscher und auf alt gemacht, desto besser -, Und sie stopften diese Häuser mit ‚Drapierware‘ voll, die jeder Beschreibung spottete, und mit Auslegware von Wand zu Wand, in der man einen Schuh verlieren konnte.[...] Die einzigen Leute, die heute in Amerika in Arbeitersiedlungen in der Falle sitzen, sind Leute, die gar nicht arbeiten [...] - und natür-lich die städtischen Reichen, die zum Beispiel im Olympic Tower an der 5th Avenue in New York wohnen. [...]“ 38

Die Architektur hatte sich so weit von den Bedürfnissen der Men-schen, die mit und in ihr leben sollten, entfernt, wie sich es sich zum Ziel gemacht hatte, die Welt zu verbessern. Aber die Archi-

Abb. 32 Ernst-Reuter-Platz, Berlin

15

Populismus oder Moderne

tekten und ihr Nachwuchs waren so in ihr Verbundsystem einge-schworen, daß sie wohl nicht in der Lage waren, dies träge Elend aus eigener Kraft zu beenden. Oder doch?

Der Pionier, der das Spiel beherrscht

„Welcher Architekt wagte es, [...] für Amerika etwas anderes zu entwerfen als eine Hommage an den mitteleuropäischen Sozialen Wohnungsbau der 20er Jahre? [...] die einzige Möglichkeit, erfolg-reich zu rebellieren, seine Originalität zu etablieren und dafür respektiert zu werden, lag darin, mit unendlicher Subtilität und vollendete Respekt vor Umgangsformen vorzugehen. Der neue Ton wurde 1966 von Robert Venturi vorgeführt [...]“ 39

Als Teil einer Serie für das Museum of Modern Art über den theo-retischen Hintergrund der modernen Architektur, brachte Venturi 1966 sein „freundliches Manifest“ 40, wie er es nannte - Complexity and Contradiction - heraus, das den entscheidenden Wendepunkt für die leiernde Architekturdiskussion bringen sollte. Venturi war ein angesehner Architekt und Professor an der Univer-sität Yale, dessen wenige realisierte Bauten in der Tradition der Moderne standen, und keinem Verbund Anlaß zur Skepsis boten. Für ihn stellte sich die Frage, wie es nun weitergehen sollte, jetzt, da die Moderne offensichtlich gescheitert war. In seinem „Mani-fest“ - ebenfalls ein Begriff, der in der alten Tradition stand und für Vertrauen sorgte - plädierte Venturi als erster für eine realitäts-nahe Architektur. Eine Architektur, die sich vom Leben inspirieren sollte und in der es zwar nicht um Extravaganzen geht, aber die die begründbaren Konfl ikte des Alltags in sich widerspiegelt und zu einer gehaltvollen, eben komplexen und widersprüchlichen Inter-pretation führen soll.Er hielt sich an die Regeln, die von den Verbünden überwacht wurden und schlug sie mit ihren eigenen Argumenten. Er war am Rande der Abtrünnigkeit, verstand es aber auf perfekte Weise, eben diese Grenze nicht zu übertreten. Er argumentierte mit viel Ironie und Witz, so daß die jungen Architekten an den Universitä-ten seinem Charme kaum widerstehen wollten. So nahm er z.B. Mies v.d. Rohes Ausspruch „Less is more“ und machte daraus ein leicht polemisches „Less is a bore“ 41. Man konnte ihm nicht böse sein. Er amüsierte und verschaffte sich so Gehör und schnell eine Schar Gefolgsleute.

Die Thesen

Venturis Erfolg soll aber nicht auf seine Persönlichkeit allein zurück-geführt werden. Auch heute noch gilt Complexity and Contradic-tion als einer der wichtigsten Texte des 20. Jahrhunderts. Anhand zweier Extreme hat er, zusammen mit Denise Scott Brown und Steven Izenour, in den darauf folgenden Analysen Learning from Las Vegas und Learning from Levittown versucht deutlich zu machen, worauf es in der Architektur eigentlich ankommt.Levittown übernimmt hierbei die Rolle der überzogenen „gemüt-lichen“ Spießigkeit eines „typischen“, amerikanischen Suburbs. Las Vegas trägt als Beispiel des in jedem Maße Überdimensionier-ten zur Analyse bei.Die Eigenheiten dieser Orte erforderten neue Methoden der Ana-lyse.

16

Populismus oder Moderne

Learning from Levittown 42

Jeder Mensch wohnt. Deshalb liegt es für Venturi, Scott Brown und Izenour nahe, daß jeder Mensch auch ein Experte in Sachen Wohnen ist.Sie haben in Levittown eine Art Bestandsaufnahme gemacht und die unterschiedlichen Gebäudetypen und Stilrichtungen in einer Matrix festgehalten, mit deren Hilfe die Analyse erleichtert werden soll.Dabei haben sie festgestellt, daß bestimmte formelle architekto-nische Elemente häufi ger vorkommen als andere. Jedes der Ele-mente steht für das Image einer bestimmten Zeitepoche oder ist Statussymbol einer sozialen Schicht. Sie nennen es „alltägli-che stereotype Symbole amerikanischer Vorstädte und Wohnun-gen“43.Es gibt also ganz deutlich einen Symbolismus, den man in der Architektur nicht weiter ignorieren darf. In ihrer Darstellung kommen sie auch der Pop-art wieder deutlich näher. Sie haben sogar eine Ausstellung daraus gemacht: In einem Innenraum oder z.B. einem Vorgarten wird gezielt mit Sprechblasen auf den iden-titätsstiftenden Gehalt der einzelnen Gegenstände hingewiesen. Sie decken so den Symbolismus auf, stoßen den Betrachter unver-blümt mit der Nase in den Gehalt des Banalen. Kann man sie da noch ernst nehmen? Venturi sagt, man muß!

Learning from Las Vegas 44

Las Vegas ist wohl vergleichbar mit Disneyland. Eine Traumwelt, die die Besucher der Realität entlocken will und ihren Geldbörsen den Inhalt. Gigantische Hotels und ein Meer an Lichtern. Heute hat sich Vegas im Vergleich zum Zeitpunkt der Analyse um ein Vielfa-ches selbst übertroffen, aber genau das ist ein Zeichen dafür, daß Venturi & Co. wohl im Recht sind mit ihren Vermutungen.

Die Struktur

Las Vegas ist ein extrem kommerzialisierter Strip. Casinos, Hotels, Parkplätze, Tankstellen und Heiratskapellen reihen sich im ständi-gen Konkurrenzkampf um die Gunst der Gäste aneinander.Um sich auch in Zukunft gegen diese Konkurrenz behaupten zu können, müssen die Unternehmen ständig neue Veränderungen vornehmen, noch größer, leuchtender und auffälliger werden. Das verleiht Las Vegas eine gewisse Dynamik. Die Stadt verändert sich kontinuierlich, läuft dadurch nie Gefahr, träge zu werden. Auch in der Nacht verliert sie diese Dynamik nicht. Im Gegenteil, besonders nachts entfalten die leuchtenden Zeichen ihre Wirkung, und bieten einen kaum wiederzuerkennendes Anblick.Die Fortbewegung ist, wie häufi g in den USA, fast ausschließlich auf das Auto beschränkt. Die Maßstäbe der Gebäude und Werbe-schilder sind daran angepaßt und orientieren sich an der hohen Geschwindigkeit. Das bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Stadt-struktur.Überdimensionierte Werbetafeln stehen orthogonal zur Straße, damit der Autofahrer sie gut sehen kann. Gigantische Parkfl ächen erstrecken sich entlang der von der Straße abgerückten Gebäude-komplexe, deren Distanz für ein längeres Verweilen im Blickfeld des Fahrers sorgt.

Abb. 35 Learning from Las Vegas: parkende AutosAbb. 36 Learning from Las Vegas: GebäudeAbb. 37 Learning from Las Vegas: Nolli PlanAbb. 38 Learning from Las Vegas: freie Parzellen

Abb. 34 Analytische Matrix

Abb. 33 Ausstellung zum Symbolismus in Learning from Levittown

17

Die Stadtstruktur ist verzerrt, angepaßt an die optische Verzerrung eines Autofahrers und im graphischen vergleich mit anderen typi-schen Stadtstrukturen einmalig.Die Anordnung der Gebäude und Schilder scheint willkürlich, fast chaotisch. Venturis Analyse zufolge unterliegt sie aber einem klaren kommerziellen Ordnungsprinzip.Neben der Orientierung der Gebäude zugunsten einer besseren Einsicht für den Autofahrer, sind Schilder verschiedener Dimen-sionen den unterschiedlichen Phasen der Annäherung angepaßt. Eine optische Konstante bilden die öffentlichen Straßen mit ihrem kontinuierlichen Mittelstreifen und den Rhythmus gebenden Later-nen. Um die prägenden Merkmale in der Stadtstruktur von Las Vegas klarer hervor zu bringen, arbeitet Venturi neben fotographischem Material vor allem mit Schwarzplanvarianten.Die klassische Analyse der bebauten Flächen zeigt die unregelmä-ßige Zerstreuung der Casinos und Hotels entlang des Strip. Ergän-zend dazu zeigt der Plan der ungenutzten Parzellen die optische Verzerrung für den Verkehr, dessen Bedeutung noch stärker im Plan der geparkten Autos zum Tragen kommt.

Die Ente und der dekorierte Schuppen

Las Vegas ist, wie bereits erwähnt, in jeder Hinsicht ein Extrem. Aber welche weiterführende Aussage will Venturi mit seiner Ana-lyse letztlich überhaupt machen?Das Las Vegas seiner Zeit verkörpert für ihn einen Typus von amerikanischer Architektur - oder eben Stadt ohne Architektur im Sinne von Disney -, die er im folgenden 2. Teil seines Buches den „dekorierten Schuppen“ nennen wird. Die Funktionsweise eines „dekorierten Schuppens“ ist einfach zu erläutern: Man braucht dazu einen Kasten, in dem die gewünschte Nutzung optimiert untergebracht werden kann. An der Fassade werden entsprechend Applikationen, die einen aussagekräftigen, symboli-schen Gehalt haben, angebracht. Diese vermitteln dem vorbeifah-renden Autofahrer den Inhalt des Kastens. Nach bedarf können am Straßenrand angebrachte Schilder die Aussagen verstärken oder detaillieren. So funktioniert Las Vegas.Wie sieht die alternative aus?Die Alternative ist die Variante einer Fastfood Gesellschaft in Long Island, die ihre Filiale in Form einer Ente nach außen darstellte - aus der einfachen Logik heraus: Hier gibt es Ente. Die im Gebäude vorhandene Nutzung wird als Symbol in der Form ausgedrückt, nicht als Applikation, wie im oberen Fall. Das Gebäude ist selbst Symbol - Venturi betitelt Gebäude dieser Art im weiteren als „Ente“.

Der Trugschluß der Moderne

Glaubt man Tom Wolfe, so sahen sich die modernen Architekten in den Sechzigern noch immer mit den sozialen und architekturtheo-retischen Inhalten ihrer Pioniere im Europa der Zwanziger verbun-den. Sie lehnten jeden Formalismus, und noch deutlicher jeden Expressionismus ab. Sie wollten immer noch „bei Null anfan-gen“44, die Architektur von allem Kitsch und alten Traditionen bereinigen. Das größte Problem dabei scheint schon darin zu liegen, daß die Motivation des damaligen Europas mit denen der

POPULISMUS ODER MODERNE. POPULAR CULTURE ZWISCHEN DISNEY UND ARCHIGRAM

Abb. 39 Schilderwald

Abb. 40 Long Island Duckling

Abb. 41 Mini-Megastrukturen sind meistens Enten

Abb. 42 Venturi: Wie man Monumente bauen sollte

18

Populismus oder Moderne

Amerikaner so gar nichts gemein hatten. Und die Folge daraus war, daß die amerikanischen Architekten zu großen Teilen Kon-zepte übernahmen, deren geistige Hintergründe sie gar nicht zu verstehen in der Lage waren. So wurde z.B. aus Le Corbusiers eindrucksvollem Kloster „La Tourette“ in Evreux, ein Bostoner Rathaus, die Architekturfakultät in Yale, die Landwirtschaftliche Fakultät an der Cornell Universität und sogar ein großes amerika-nisches Kaufhaus. 45

Die Ente ist ein Vorwurf an die modernen Architekten seiner Zeit. Er wirft ihnen Heuchelei vor, in dem Maße, als daß die Moderne an sich ihre einstigen Inhalte aufgegeben hat, und von ihr nichts anderes übrig geblieben ist als „moderner“ Formalismus. Tom Wolfe interpretiert sehr treffend:

„Moderne Architekten waren von modernen Formen besessen. Venturi verglich die Mies-Schachtel mit einer entenförmigen Ver-kaufsbude in Coney Island. Die gesamte Baulichkeit war dem Aus-druck eines einzigen Gedanken geweiht: ‚Hier gibt´s Enten.‘ So auch die Mies-Schachtel. Sie drückt nur das eine aus: ‚Hier gibt´s moderne Architektur.‘“46

Die Ente als Bauwerk kann nach Venturi den sich kontinuierlich ändernden Bedürfnissen der Gesellschaft und der Wirtschaft nicht gerecht werden. Sie hat natürlich, vor allem historisch gesehen, ihre Berechtigung, sollte aber eine Ausnahme bleiben. Statt dessen proklamiert er den „dekorierten Schuppen“, der jede Nut-zung optimal bedienen kann, schnellen Veränderungswünschen nachkommt, indem Applikationen einfach kostengünstig erneuert werden und dem Symbolismus den Widereinzug in die Welt der Architektur erlaubt. Vielfalt udn Widersprüchlichkeit!

Was ist also Poparchitektur?

Man könnte nun glauben, Venturi wolle eine neue Ära der Volksar-chitektur einleiten. Dem ist nicht so. Er übt zwar deutliche Kritik an der Volksentfremdung seiner zeitgenössischen Kollegen aus, die aber vor allem auch, weil sie ihren selbstgewählten Symbolismus als solchen verleumden.Der Architekt muß nach den Bedürfnissen derer fragen, die in seiner Architektur leben sollen. Er muß sich aus dem Alltag inspi-rieren lassen, wie es die Pop-art Künstler seiner Zeit getan haben. Er muß endlich anfangen, die städtebaulichen Phänomene, die sich ohne des Architekten Zutun entwickelt haben (so wie eben Las Vegas, Disney World oder der amerikanische Suburb-symbo-lismus), ernst nehmen und sich zunutze machen.Wichtig zu betonen ist dabei, daß Venturi die Rolle des Architekten weder im Weltverbesserer sieht, noch im Volkshelden. Er nimmt für sich immer noch die Rolle des Gestaltenden und Entscheiden-den in Anspruch, der aber eben die Realität dabei nicht aus den Augen verlieren darf.47

Venturi hat aus heutiger Sicht die Wende zum sogenannten „Post-modernismus“ eingeleitet. Völlig hat er sich dabei aber nie von seinen einst modernen Wurzeln lösen können, was auch noch deutlich an seinen realisierten Bauten zu erkennen ist. Aber wahr-scheinlich hat er den einzig möglichen Weg beschritten, indem er im Rahmen des „Verbundspieles“ die Grenzen ausgeschöpft und somit um ein vielfaches erweitert hat. Tom Wolfe schreibt:

Abb. 43 Guild House - Dekorierter Schuppen

Abb. 44 Paul Rudolph - Crawford Manor - „moderner Expressionis-mus“ = Ente

Abb. 45 Le Corbusier - Plan Voisin - die Rolle des Architekten

19

Populismus oder Moderne

„Es war Venuris Strategie das Tabu zu brechen - ohne es zu bre-chen“ - „Wenn er sich vom Modernismus entfernte, dann gestal-tete er seinen Abschied sehr behutsam, mit kleinen Schritten auf leisen Sohlen.“48

20

Populismus oder Moderne

Literaturnachweis

1 Nikolaus Kuhnert/ Angelika Schnell, Die Moderne der Moderne, Arch+ 143 2 Fremdwörterbuch, Dudenverlag Mannheim/ Wien/Zürich 19823 Horst Rodemer, Über das Wesen des Populismus-Vorwurfs; Auszug aus der Vorlesung Staatsphilosophie, http://hongkong.rz.fh-offenburg.de/wi/aendern.htm 4 A.d.A: Die Situation Haiders in Österreich belegt dieses Prinzip recht eindrucksvoll. Refl ektiertere Parteien wie die Grünen in Deutschland ringen Jahre mit dieser Problema- tik.5 Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne 1983 Deutsche Verlags-Anstalt6 Tom Wolfe , From Bauhaus to our House - Mit dem Bau haus leben, New York 19817 Hans Friesen, An den Grenzen der Kunst der Moderne; Wolkenkuckucksheim; Oktober 1996 Heft1 - Internationale Zeitschrift für Theorie und Wissenschaft der Architektur8 Heinrich Klotz, Moderne und Postmoderne, Wiesbaden 19849 Hans Ibelings, Supermodernism, NAI Publishers, Rotter dam, 1998 10 Alexander Tzonis/ Liane Lefaivre, Architektur in Europa seit 1968, Campus Verlag Frankfurt 199211 ebd. 12 Colin Rowe/ Fred Koetter - Collage City, 1978 Cambridge, Mass/ London13 Godon Cullen, 1949 zitiert aus Tzonis, Alexander Tzonis/ Liane Lefaivre, Architektur in Europa seit 1968, Frankfurt 199214 Reyner Banham, 1965 ebd.15 Denise Scott-Brown, 1971 Learning from Pop16 Alexander Tzonis/ Liane Lefaivre, Architektur in Europa seit 1968, Frankfurt 199217 Alexander Tzonis/ Liane Lefaivre, aus: Arch+ 139/140 30 Jahre Arch+18 Mario Amaya, Pop Art in Amerika, aus: Seit 45 Die Kunst unseres Zeit BandII 1970 La Conaissence, Brüssel19 ebd.20 ebd. 21 bis heute, DuMont Verlag Köln 1971 7. Aufl age 198622 ebd.23 G.R. Swenson in; bis heute, DuMont Verlag Köln 1971 7. Aufl age 1986, 24 bis heute, DuMont Verlag Köln 1971 7. Aufl age 1986, 25 ebd. 26 Mario Amaya, Pop Art in Amerika, aus: Seit 45 Die Kunst unseres Zeit BandII 1970 La Conaissence, Brüssel27 Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne 1983 Deutsche Verlags-Anstalt28 ebd.29 ebd.30 Archigram - Symposium zur Ausstellung, Hsg. E. Louis und T. Stoones, Wien 199731 Internet - Seite nicht mehr vorhanden32 Colin Rowe/ Fred Koetter - Collage City, 1978 Cambridge, Mass/ London

21

Populismus oder Moderne

33 ebd., S.6134 ebd., S.6835 Artikel von Paul Goldberger „Mickey Mouse Teaches the Architects“, New York Times Magazine, 22.10.197236 Kenneth Frampton, Die Architektur der Moderne 1983 Deutsche Verlags-Anstalt37 Tom Wolfe, From Bauhaus to our House - Mit dem Bau- haus leben, New York 1981, S.938 ebd., S.61-6239 ebd., S.9040 Robert Venturi, Complexity and Contradiction in Architec- ture, , Museum of Modern Art 1966, Dt. Ausgabe Nach- druck 1993 der Originalausgabe von 197841 ebd.42 A.d.A.: Learning from Levittown war ein Seminar über den Symbolismus in amerikanischen Klein- bzw. Vorstädten an der Yale Universität 1970. Die Ergebnisse wurden in einer Ausstellung publik gemacht und teilweise in Learn- ing from Las Vegas abgedruckt.43 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Learn- ing from Las Vegas: The Forgotten Symbolism of Architec- tural Form, Cambridge (Mass.) 1972, Dt. Ausgabe: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt, Bauwelt Fundamente 53 197844 ebd.45 ebd. , S.16546 Tom Wolfe, From Bauhaus to our House - Mit dem Bau- haus leben, New York 1981, S.9647 Robert Venturi, Denise Scott Brown, Steven Izenour, Dt. Ausgabe: Lernen von Las Vegas. Zur Ikonographie und Architektursymbolik der Geschäftsstadt, Bauwelt Funda mente 53 1978, S.19048 Tom Wolfe, From Bauhaus to our House - Mit dem Bau- haus leben, New York 1981, S.92