Babich-Das Problem Der Wissenschaft-2 Sided

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  • 8/8/2019 Babich-Das Problem Der Wissenschaft-2 Sided

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    Wissenschaft

    Das "Problem der Wissenschaft" oder Nietzschesphilosophische Kritik wissenschaftlicher Vernunf t

    Babette Babich

    "ein Problem mit H rnern ... (Im Folgenden mchte ich mich mit Frage nach Nietzsches Wissenschaftsverstndnis beschftigen. Es gilt dabei im Voraus zu bemerken, dassdie Art und Weise, wie Nietzsche die Wissenschaf t auffasst, als eine solche demphilosophischen Diskurs, insbesondere der Wissenschaftstheorie,fremder sein knnte, und zwar von der Geburt Tragdie an, wo

    "als problemat isch, als fragwrdig" Versuch einer2) bezeichnet wird, d. h. als das zentrale Problem eines Buches,Nietzsche selbst retrospektiv als von Grund auf "fragwrdig"

    Versuch einer Selbstkritik 1) betrachtet hat. In der modernen postmodernen und "globalisierten" Welt der Gegenwart nimmt die Wissenschaft ungeachtet gewisser Ausnahmen 1nicht nur unhinterfragt, sondern inwachsendem Mae Platz der Philosoph ie ein, ein Wechselspiel insofern,

    die etablierte Philosophie lange durch das besetzt war, was Richa rd"Physikneid"2 nannte und als die "Sorge, auch ja ausreichend wissenschaftlich vorzugehen "3 charakterisierte.

    Doch die meisten Forscher, ob nun Spezialisten oder nicht, si nd relativdass Nietzsche nur unzureichend "wissenschaftlich" ist, undZusammenhang nicht ganz unerheblich, dass sein

    von Anfang an nicht als Philosophie im wahren Sinne betrachtet

    kritische Auffassungen der Wissenschaft sind in der akademischen Philoselten; Autoren wie Th. W Adorno oder Martin Heidegger, die sich hier

    erwhnen lieen, blieben einander fremd.Richard Rorty, A Tale of "Iwo Disciplines , in: Callaloo, 1 1994, S.Siehe weiter B. Babich, Politik un d die analytisch-kontinentalePhilosophie: Zu Heideggers sprechender Nietzsches

    ophie, in: Gottes Glck, voller Macht undzu Nietzsche, Hlderlin, Weimar 2009, S. 209 -- 2.12."Iwo Discipli nes, S. 576.

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    12524 Babette BabichDiese Grenzlage mag der Grund dafr sein, dass es an den PhilosophischenSeminaren fast aller Universitten in Deutschland und auch anderswowirklichen Nietzscheforscher gibt.4 Wenn Nietzsehe berhaupt auf derphilosophischen Bhne erscheint, dann als ein "moralischer", kultur-kritischer Denker oder mit Bezug aufseine Hinweise fr die sthetik, vor allemdie Literatur.Bereits im Rckblick auf sein erstes Buch, besti mmt Nietzsehe sein ei-Vorhaben jedoch nich t als ein moralisches oder kulturelles, sonderneine kritische Untersuchung der "Wissenschaft selbst, unsere[r] Wissenschaft" (GT, Versuch einer Selbstkritik 1), wobei er unter"Wissenschaft"Wissenschaft als Ganze und nur in einer besonderen Hinsicht die Wissenschaftler der klassischen Philologien im Auge hat. ,,Ja", so seineFrage, "was bedeutet berhaupt, als Symptom des Lebens angesehen, alleWissenschaft? Wozu, schlimmer noch, woher alle Wissenschaft?" (Ebd.)Die Frage, die Nietzsehe hier aufwirf t, ist als die fr ihn prototypische Frageder Genealogie populr geworden. Charakterisiert man sein Fragenjedoch in dieser Weise, tendiert man dazu, die kritische Schrfe seinerberlegungen zu bergehen: Was genau ist die Bedingung der Mglichkeitder Wissenschaft und was ist es, was sie f r uns ntig sein lsst?Zugleich ist es aufschlussreich, dass Nietzsehe diese Frage aufwirft, undein nachdrcklich wissenschaftlicher und historischer Beweis seiner Zeitund seiner eigenen wissenschaftlichen Arbeit, wenn er dann in seinemAntichrist unter Bercksichtigung dieser Fragestellung hinterfragt, warum

    moderneWissenschaft so lange braucht , um sich innerhalb dieser Kritikzu etablieren.Durch Erwgung der Frage nach Entstehung un d Entwicklung

    modernen Wissenschaftskultur von Beginn bis zum Ende seinesreichen Lebens,5 greift Nietzsehe die progressiven Konventionen modernen4 Selbstverstndlich gibt es Ausnahmeflle, aber wie stets besttigen die Ausnahmendie Regel. Im Falle Deutschlands macht es dieses Defizit schwierig, Studen ten ausaller Welt, die wie viele andere, mit Nietzsche befassen m chten, diesbezglichKollegen zu empfehlen. Eine vergleichbare Herausforderung bildet natrlichHeidegger.5 PH G 1, KSA 1, S. 804,813; N 1876, KSA8, 23 [8] usw. zustzlich zudem hierstehenden Abschnitt aus Der Antichrist, der mit der beginnt: "Dieganze der antiken Welt umsonst" (AC 59). Der Mathematiker und Historiker Lucio Russo hat diese Perspektive krzlich fr eine moderne Aufmerksamkei twiedergewonnen, wenn e r auch sonst Nietzsches Reserviertheit gegen den Triumphder Alexandrinischen Kultur kaum teilt, und Nietzsche wiederum fr seinen Teil dieKontinuitt zu Platon und Aristoteles betont; vgl. Lucio Russo, Die vergessene

    Revolution ode r die Wiedergeburt des antiken Wissens, bers. von Brbel Deninger,

    Das "Problem der Wissenschaft"wissenschaftlichen Forschens sowie das Thema ihrer Ausweitung kritischSo bemerkt er mit auf Wissenschaft und Technik imGriechenl and, dass sich die obgleich "alle wissenschaftlichenMethoden [.. . ] bereits da" (AC 59) waren, nichts aus vonentwickelten Methodenspektrum und seinen theoretischen,sehen und - in einem fr uns heure berraschenden Ausma technologischen Raffinessen 6 Zu r Veranschaulichung knnte man z. B.in Nietzsches Todesjahr (1900) entdeckte "Radictwerk von Antikythcra"

    also die Frage dem Entstehen der Wissenschaft alsgerade die Griechen, Quelle von so vielem, was wir denKern westlicher Wissenschaftskulrur betrachten, stellen in dieser Hinsichtein Rtsel dar. Wessen bedurfte es zur Entf;lltung der Wissenschaft, vor allemder Naturwissenschaft solcher? Der Mathematik? Der Theorie? DerTechnik? Wenn ja, so scheint Nietzsehe hier zu haben indrei Fllen - Mathematik,Kopernikus, KepleroderGalile i, LeibnizVoraussetzung die Entwicklung Wissenschaft insoweit Desessensie ber smtliche technischen und methodologischen Voraussetzungendie "Einheit der Wissenschaft", also fr "die Naturwissenschaft im Bundemit Mathematik und Mechanik" (AC 59) verfgten. Aus unserer kontempor ren Perspektive betrachtet bede utet das, die h ~ t e n berei ts

    Heidelbe rg2005 . ber griechische Wissenschaft ill einem weiteren SinneSzabo, Das geozentrische Weltbild, Mnchen 1992, CharIes Kahn,and the Origins of Creek New York 1960, Fritz Kraft, Geschichte derNaturwissenschaft 1. Die einer Geschichte der Wissenscha ft VOll derNatur durch die Griechen Dirk Couprie, Hahn ll. GerardNaddaf (Hg.), Anaximander in Context: New Studies in the of Creek'hilosophy, Albany 2003 .6 Vgl., nicht mit auf Nietzsche, aher im Allgemeinen zu diesem ThemaGerhardt Drachmann, Th e Mechanical Technology ofGreek and RomanMadison 1963, John P. OIeson, (Hg.), The Oxford Handbook of EngineeringTechnology in the Classical World, New York 2008 und Russo, Die vergesseneRevolution.7 Zu m Mechanismus von Anti kythera siehe Derek de Solla Price, An Anci ei l t GreekComputer, in: ScientificAmerican (June S. 60-67, ders., Gears From the

    The Antikythera Mechanism A Calendar Computer horn ca. 80 B.C.,New York 1975 sowie aktueller und J. R. Minke!, Uniaue ?vLuvel ofAncient Greekvember 29,prediction on the617.

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    127aberte Babich"auf dem allerbesten Wege" (ebd.) zu unserem modernen Wissenschaftsverstndnis sein knnen. Lngst aufgeschlossen fr den "ThatsachenSinn ", htte ihre empirische Sensibilitt das Zeug dazu gehabt, in so etwaswie die moderne technologisierte Wissenschaft einzumnden. Un d dies istschon deshalb bemerkenswert, als sowohl die griechische als auch rmische Wissenschaft durch keine an ti -ern p iristische ode r klerikale Tradi ti0 nunterdrckt wurden, sondern, so der Altphilologe Nietzsehe, "bereitsJahrhunderte" (ebd.) bestanden und eine Vielzahl von ,Schulen' und ,Traditionen' hervorgebracht hatten. 8

    Der Punkt, auf den Nietzsehe hier aufmerksam machen mchte, liegtheutigen berlegungen zur Wissenschaftsphilo sophie der Griechen, die zurUntersttzung seiner Behauptungen herangezogen werden knnten, eherUn d hier, in seiner damals unverffentlichten Schrift 'Der Antichrist(obgleich ma n hnliche berle gungen in seinem ganzen Werk findet), ist esbezeichnend, dass Nietzsehe sogar weniger Quellenmaterial fr seine Be

    hauptungen heranzieht als in seiner frheren, verffentlichten Diskussionzum Ursprungder Tragdie "aus dem Geis te der M usik"9. In diesem spterensoll die Behauptung nmlich als eine Herausforderung verstandenwerden, un d wenn Nietzsehe seine berlegung mi t der Frage abschliet"Versteht man das? Alles Wesentliche war gefunden, um an die Arbeitgehn zu knnen" (AC 59),10 dann ist der Leser gut beraten, zur Kenntnis zunehmen (was gar ni cht so einfach ist in einem Text ber de n Antichrist), dassdiese Herausforderung sich von seiner frhen Bezugnahme auf die Sokratische Erfindung der Vernunft und das, was er das AlexandrinischeZeitalternennt, kaum entfernt hat. Ich werde unten auf einige Fragen im Einzelneneingehen.

    Warum Wissenschaft? Warum Vernunft und Rationalitt? Warumtechnische Weiterentwicklung un d was wir in unserer fortwhrendenMissdeutung von Technologie als Wissenschaft die typischen Zeichen destechnischen Fortsch rittes nennen? Was in uns ntigt uns dazu, WissenschaftRationalitt, Logik un d Wahrheit derart un d zunehmend ber alles zufeiern? Mit anderen Worten: Was ist der Unterschied zwischen dem, wasNietzsehe "das tragische Wissen" nennt und dem modernen, wissenschaftlichen Wissen? In demselben Sinne, in dem Nietzsehe fragt: Was in

    8 Siehe wieder Couprie/Hahn/ Naddaf, Anaximander in Context sowie Russo, Dievergessene Revolution.9 In einer kritischen Parallele beginnen wir erst heute, die wrtliche tledeutune: vonNietzsches Titelbehauptung im Hinblic k auf die Tragdie zu entdecken.10 Ve:l. auch PHG 1, KSA 1, S. 804, 813; N 1876/1877, KSA 8, 23f81 usw.

    Das "Problem der Wissenschafc"uns will die Wahrheit, fragt er: Was in uns braucht die Wissenschaft? Manbemerke, dass Nietzsche sich nicht anmat, ber den Wert vonoder Wissenschaft generell zu urteilen; demzufolge unterstellt er auchsowohl Wahrheit als auch Wissenschaft erstrebenswert sindsollten. In seinem "Versuch einer Selbstkritik" NietzscheSchrittweirer, wenn er suggeriert, dass Wahrhei t Lge ist (dassdas ist, was er vorgibt, zu sein) und zugleich hinsichtlichandeutet, dass sie - wider ihre viel gerhmte Neutralitt - "moralisch gesprochen" nicht mehr sein knnt e ein Stck undUnmoralisch geredet, eine Schlauheit?" (GT,Nietzsche schliet diesen Rckblick-er fr den Rest seines Lebens mehr un d mit solchen Rckblickenbefasst sein wird mi t der tanzenden, spttischen Ironie Zarathustras, derseine Jnge r ermuntert: ",Erhebt eure Herzen, meine Brder,Und mir auch die Beine nichtl Erhebt auch eure Beine, ihr gutenTnzer, und besser noch: ihr steht auch aufdem Kopf!'" (Za, Vom hherenMenschen 17) Nietzsches Zarathustra ldt uns zum ein, und wirlachen mit, aber wie die Herde zu Beginn seiner zweiten UnzeitgemenBetrachtung vergessen wir sofort wieder, worber wir gelacht haben. Vorallem vergessen wir die ursprng liche Frage von NietzschesWie ist das Zusammenwirken von Apoll un d Dionysos zu verstehen? Wasdiese Zweiheit mir "aesthetische[r] Wissenschaft" (GT, Versuch einerSelbstkritik 1) zu tun? Inwiefern ist die Tragdie die aus ihrerentsprungene Tochter? Und warum stirbt die Tragdie, sogleich Antigone und Kassandra" (GT 4, KSA 1, S. 42),Aber Nietzsche wiederholt seine Frage undin dieser Reprise (denn es gibt nichts BesseresThese): "Worauf weist Synthesis von Gottwelchem Selbsterlebnis, aufwelchen Drang hin musste sichdionysischen Schwrmer und Urmenschen als Satyrbanden die Griechen Jugend und Kraft mit dem(GT, Versuch einer Selbstkritik 4)Voller Jugend, voller Hrte und tragisch gestimmt - ist also dieBedeutung von Nietzsches Unterscheidung zwischen dem "Pe s s im i sm u s

    Strke" und dem "Pessimismus als Niedergang" (N 1887, KSA9[126])? Was bedeutet der "Wille zu mgische berha upt? Mssen wir Hlder lin zurckgreifen,mindestens so oft zitiert wie Sophokles oder Schopenhauer, wenn er dieFrage nac h dem Tragischen aufwirft, die sich in die Sprache des Pessimismus

    Strke verwandelt? Un d verlangt nicht wiederum, Empedok les ins

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    12928 Babette BabichSpiel zu bringen? Aber diese Frage ruft das Problem Schopenhauer in Erinnerung, das seinen eigenen epistemologischen Bruch impliziert; dasProblem der tragischen Weisheit wird hier zum Problem des tragischenWissens, d. h. zu einem Prob lem, das die auch Kant betreffende Fragedem philosophischen Nihilismus zur Voraussetzung

    Knnen wir das heutzutage verstehen, wir modernen Freidenker undWissensverfolger?Denn zusammen mit dem Fragekomplex der Geburtoderdes Ursprunges der Tragdie vergessen wir die Frage nach der Wissenschaft,

    mit Hrnernversehene Frage nach der Wissenschaft, d. h. die Frage nachder Wissenschaft als solcher - und hier kann man sich wieder gu t vorstellen,dass Nietzsche im Grunde fast ausschlielich mit sich selbst geredet

    Fest steht, dass bis heute relativ wenig Forscher die Frage nach Nietzscheund der Wissenschaft ernst genommen haben, und von den wenigen, die estaten, haben noch weniger es gewagt, die Wissenschaft selbst in Frage zustellen- und nur dies, die Wissenschaf t selbst als problematisch darzustellen,gilt fr Nietzsche! Die Mehrzahl derer, die sich mit diesen oder verwandtenFragen beschftigen, neigen dazu, Nietzsche zu verbessern bzw. zu korrigieren, indem sie die Frage aufwerfen, welche Art von NaturwissenschaftNietzsche gemeint und rechtmig gekannt haben knnte, oder aber bzw.darber hinaus verweisen sie au f seine Bewunderung der Wissenschaft. 11Statt Nietzsches Kritik der Wissenschaft aufzugreifen, haben die meisten,dieses Thema berhaupt behandelt haben, es fr produktiver erachtet,Nietzsches eigenesWissenschaftsverstndnis zu kritisieren12 oder- vor allem

    11 Fr zustzliche Lesarten des Themas Nietzsche und die Wissenschaft vgl. BabetteBabich u. Robert S. Cohen (Hg.), Nietzsche, Theories of Knowledge and CriticalTheory: Nietzsche and the Sciences, Dordrech t 1999 I und II sowie Gregory Moor eu. Thomas Brobjer (Hg.), Nietzsche and Science, Aldersho t 2004. Das Thema ziehtjedoch langsam mehr Interesse auf sich, wie die Beitrge der Ausgabe 2008 vonEstudios Nietzsehe: Nietzschey La Ciencia zeigen E. de Santiago Guervos (Hg.),Estudios Nietzsehe: Nietzsehe y La Ciencia 8 [2008]) sowie der Kongress der UKFriedrich Nietzsche Society im September 2009 in Oxford, der, wenn auch sehranalytisch, zum Thema Nietzsehe and nMind" (was nicht unbedingt mit "Geist"bersetzt werden sollte) tagte.

    12 V gl. , um nur ein Beispiel zu nenn en, Wolfgang Dreyer u. Wol f Weiss, Geschichtender Thermodynamik und obskure Anwendungen des zweiten Hauptsatzes, in:Weierstra-Institut fr Angewandte Analysis und Stochastik, 1997, Nr. 330; publiziert auch unter W Dreyer, W Mller und W Weiss (Hg.), Tales of Thermodynamics and Obscure Applicationsof the Second Law, in: Continuum Mechanicsand Thermodynamics, Volume 12, 2000, Number 3, S. 151-184, aber auchFriedrich Ulfers u. Mark Cohen, Friedrich Nietzsche as Bridge from NineteenthCentury Atomistic Science to Process Philosophy in Twentieth-Century Physics,

    Das "Problem der Wissenschaft"in jngster Zeit - es wegzuerklren, es aus der kritischen philosophischenBetrachtung zu eliminieren, ind em sie Nietzsche mit der, Geschichte derWissenschaft implizierenden, Ideengeschichte in Verbindung brachten. l'Meine eigene Studie als eine differenziert ausformulierte Deutung Nietzsches von Heidegger her bildet offensichtlich eine Ausnahme von dieserLesart, und ich darf wohl behaupten, ich Verbndete hier allein inDominiqueJanicaud und Rainer Schrmann gefunden habe,die Frage nach Wahrheit mit einbeziehen,nier. 14

    Anstelle der modernen Konstellation,Handlanger der WissenschaftWissenschaft als eine philosophische auf; ferner will er \.-1 " \ . -11 \ . - 'die Mittel der Kunst als einer selbstbewusstenTuschung gebraucht - ein Schachzug, der essenschaft als einer "Schlauheit" zu sprechen

    Die Grundlage der Kunst ist fr Nietzsche methodologisch insofernunverzichtbar, als "das Problem Wissenschaft nicht auf dem Boden derWissenschaft erkannt werden [kann] -. " Versuch einer Selbstkritik 2)Wie angedeutet, rckt Nietzsche die Wissenschaft in die N ~ i h e der Kunst un dunterscheidet beide allein durch die Begriffe des reflexiven Bewusstseins bzw.der Redlichkeit. Anders als bei Wissenschaft Religion, handelt es

    Kunst um eine Tuschung mit ,gutem Gewissen'. Darber hinausentbehrt sie der Feindseligkeit gegen das Leben, die sowohl die Religion als

    Literature, and Ethics, in: WestS. 21 - 29 sowie Capeks ltere BeitrJge in: Th e

    Princeton 1961 und Alwin Mit tasch zur --'ll\.!lU'-.man auch ale derzeitig expandierende Literturzu Hausdorff und Nierzsche. Siehedazu Erhard Schulz, Felix Hausd orff and the Hausdorff Edition, in: Newsletter ofthe European Mathematical Society, Issue 55, 2005, S. 23-25 sowie WernerStegmaier, Ein Mathematiker in der Landschaft Zarathustras. Fclix Hausdorff alsPhilosoph, in: Nietzsche Studien 31, 2002, S. 195-240.

    13 V gl. z. B. Robin SmalI, Nietzsche in Conrex t, Aldershot2001 sowie Gregory M oore,Nietzsche, Biology and Metaphor, Cambridge 2002.

    14 Siehe Babette Babich, Nietzsche's Phi losophyof Science: Reflecting Science on theGround of Art and Albany 1996 (- dt. Nietzsches wissenschaftstheorerischeBetrachtungen. Die Wissenschaft illuminiert als Kunst und die Kunst als Leben,Zrich 2009). Zu Deutung von Nietzsche und die Wissenschaft B.Problem in Nietzsche and Heidegger, in: Revisra Portllguesa de la Filosofia 63, 2007, S. 205 237. Andere Ausnahmen finden sich beiAlwin Mittasch, Nietzsehe als Naturphilosoph, Stutttgart 1952 und,Datums, SmalI, Nietzsche in Context.

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    13130 Babette Babichauch die Wissenschaft auszeichnet, insofern "alles Leben auf Schein, Kunst,Tuschung, Optik, Nothwendigkeit des Perspektivistischen und desIrrthums" (GT, Versuch einer Selbstkritik 5) beruht. Anders als es das IdealwissenschaftlicherWahrheit will, braucht das Leben "Illusionen", d. h. "frWahrheiten gehaltene Unwahrheiten" (N 1872/1873, KSA 7, 1

    Die Wahrheit ist, wie Nietzsche uns erinnert, nicht immer oderzwangslufig ein Nutzen fr das Leben, un d manche Wahrhei ten sind, wie esin dem Nachlassfragment Ueber Wahrheit und Lge im aussermoralischenSinne heit, s ogar gefhrlich und dem Leben feindlich. An anderer Stellemacht er darauf aufmerksam, dass manche Wahrheit bitter, voller oderabstoend usw. ist (z. B. GM I, 1). Kurz, es ist nach Nietzsche

    ic h [ .. . ] m it de r Wahrhei t zu leben" (N 1888, KSA 13,16[40]7). Daher brauchen wir die Kunst, und das bedeutet auch, dass wir derWissenschaf t als einer Kunst bedrfen, um nicht an der Wahrheit zugrundezu gehen. 15 Die Wissenschaft als eine Art "Notwehr ", wie Nietzsche sagt,- die Wahrheit" (GT, Versuch einer Selbstkritik 1) zu begreifen,stimmt auch mi t seiner Definition der Wissenschaft als dem "jngste[n]vornehmste[n]" (GM 111, 23) asketischen Ideal am Ende von Zur Genealogieder Moral berein.

    "Wozu schlimmer noch, woher alle Wissenschaft?"Was macht die Wissenschaft zur Wissenschaft? Im modernen Sinne desorganisierten Wissens oder des mit der empirischen Welt, der Natur oderdem Sozialen befassten Lern- oder Forschungsprozesses, wird dieschaft blicherweise fr ein methodisches Verfahren (im Sinne der quantifizierenden Analyse) gehalten. Eben dies charakterisiert die Wissenschaftals eineMethode, wie auch Nietzsche es vor Augen hatte: "aufder Einsicht indie Methode beruht der wissenschaf tliche Geist" (MA I, Folglichbezieht er sich im Kontext seiner frhen berlegungen zu seinem Erstlingswerk ber die griechische Tragdie und Kunst, in dem er dasWissenschaft aufwirft, au f sie in diesem sehr weiten Sinne. Nietzschebeschwrt hier den spezifisch szientifischen Charakter der Wissenschaft.Seine Rede von Wissenschaft im Hinblickaufsthetik und Philologie inseinem ersten Buch ber die Tragdie geht somit sowohl von der Anlage herwie auch tatschlich ber die "aesthetische Wissenschaft" (ob mit Blick au f15 , ,[W]ir haben di e Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zuGrunde gehen."

    1888, KSA 13, 16[40] 6)

    Das "Problem der Wissenschaft"die klassische Literaturtheorie im Besonderen oder Kunst immeinen) hinaus. 16 Folglich spricht Nietzschein seinem ersten Buch ni cht nurber Logik un d Vernunft, sondern auchschinen, unddiesnichtnurallegorischund historisch, sondern, wo au fdie mechanisierte Lebensart Moderne bezieht, in einem wrtwie aktuellen Sinn. Wenn der frhe Nietzsche mit Philologiedem methodischen Instrumentarium einer ,Wissenschaft' von derseinen Anfang nimmt, beschrnkt er sich deshalbklassische Weise von Kritik, wie sie in seinen spt en Texten vorherrscht, indenen er seine Beispiele ausdrcklich aus der Physik, der derBiologie, der Psychologie der Wahrnehmung usw. nimmt.

    F r Nietzsche stellt sich das Problem d er Wissenschaft von Anf ang anein Problem dar, das von den Grenzen wissenschaftlichen Selbstbegrndung herrhrt . Weder Aristoteles Newton oder Kant (und nochweniger Gdel mit seinen berlegungen zu den formalen Einschrnkungenformal-systematischer Begriffsbildung) htten mit Sprache einer solchenUmgrenzung gerungen. 17 Aber Nietzsche geht die FrageFundaments un d das Prinzip der Methode hinaus und erweitert seineber die eigene Disziplin hinaus konsequent zu ei ner an Naturwissenschaft solcher. Dabei ist es ist wichtig zu bemerken, die historischenReferenten der von Nietzsche kritisierten wissenschaftlichen Disziplinennicht den heutigen entsprechen. 18 So spricht er etwa von Psychologie (ich

    16 Siehe B. Babich, promessede bonheur" -Schnheit und Kultur, Weimar 2009,S. 7 -43.17 Dass diese Bemerkung sich gegen die politisch richtige Epistemologie richret,au f der Hand. dazu den Schlussteil von B. Babich, Earl" Conrincnralsophy of Science: 890-1930, in: Keith Ansell-Pearson (Hg:), Th e NewVolume Three: Hisrory of Continenral Philosophy, Chesham, UK 2009 sowie imAllgemeinen und mit besonderem BezugaufThomas Kuhn, Ludv'iik Fleck undverabend und die Politik von Denkarten: Babette Babich, From Fleck's DcnkstilroParadigm: Schemes and Incommensurabilirv, in: ImcrnarionalStudies in the Philosophy of Science, 7 1/18 V gl. zu Nietzsche und den wissenschaftlichen Einflssen seiner Zeit (AfricanEugen Dhring, Gustav Teichmller und Friedrich Lange, aber auch ErnstRichardAvenarius SmalL Nietzschein Conrexr. DerChemiker Alwin Miuaschbietet eine verstndnisreiche Deutung von Nietzsches Verhltnis zur Naturwissenschaft in Alwin Mittasch, Nietzsches zur Chemie, Berlin 1944, ders.,Friedrich Nietzsches Verhltnis zu Roben in: Bltter fr deutsche Philo16, 1943 und ders., Der Kraftbegriffbei Leibniz, Roben in: Proteus 3, 1942, S. 139-161. Neben den Hinweisen in Philosophy of Science vgl. auch die umfangreiche

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    13332 Babetre Babicherinnere an seine ambivalente Anspielung auf die ,englischen Psychologen'und ihr mechanistisches Interesse am Altruismus zu Beginn der Genealogieder Morab und bezieht sich dabei offensichtlich immer wieder au f dieBiologie oder Medizin usw.

    Um Nietzsches Bezugnahme au fdie "Psychologie" - die englische oderwelche auch immer, ganz offenbar bezieht er sich au f die Wissenschaftsolche - hier angemessen zu fassen, ist viel interpretatives Einfhlungsvermgen vonnten. Im Grunde bentigt man die gesamten Mittel der hermeneutischen und phnomenologischen Tradition der Philosophie. 19 Seinem Gebr auch des Wortes ,Psychologie' kommt noch die Kognitionstheorieam nchsten, insofern er sich au f die Analyse des Bewusstseins sowohl vonseinen organischen wie seinen berorganischen ,psychologischen' Schichtenher bezieht als auch im Sinne der gegenwrtigen Kulturtheorie. Auch der

    philosophisch ausgerichtete Bibliographie zur Frage ,Nietzsche und die Wissenschaft' in Babich u. Cohen (Hg.), Nietzsche's Theories ofKnow ledge, S. 341-358.19 Zu einer Deutung der Verwirrungen, die eine ein fache bersetzung dieses Bef!'; n ~ c in seinem gegenwrtigen Gebrauch mit sich bringt, vgl. Robert C. Holub, The

    of Psychoanalysis from the Spir it of Enmity : Nietzsche, Ree and Psychology in theNineteenth Century, i n: Jacob Golomb, Weaver Santaniello u. Ronald Lehrer (Hg.),Nietzsche and Depth Psychology, Albany 1999, S. 149-170. Insofern Holub aufeiner prsentischen Definition von Naturwissenschaft beharrt, schliet er ihreVerwendungdurch Nietzsche aus. Vgl. auch Grah am Parkes, Com posin g the SoulReaches of Nietzsche's Psychology, Chicago 1994. Sowohl Holub als auch Parkesrichten ihre Aufmerksamkeit bedauerlicherweise darauf, was Nietzsche imSinn gehabt hab en knnte, wenn er sich selbst einen Psychologen nannte,seine Rezeption dessen zu verfolgen, was Holub den "Kanon" psychologischerLehrbcher und die psychoanalytische Tradition nennt. Jenseits solcher Ideengeschichte sollten Leser, die der Frage nach der Psychologie mchten, mitder Lektre von Marti n Kusch, Psychologism: A Case Study the Sociology ofKnowledge, London 1995 beginnen und (im Geist der Kontextualisierung) miteiner Lektre Ernst Machs und seiner "Psychologie der Forschung" fortfahren. HansKleinpeter, Der Phnomenalismus: Eine naturwissenschaftliche Weltanschauung.Leipzig 1913 hebt S. 209 ff. die Verbindung zu Mach hervor, indem er ihm aufS. 239 seines 1912 entstand enen Essays zu Nietzsches Theorie des Wissens zitiert(Hans Kleinpeter, Der Pragmatismus im Lichte der machsche Erkenntnislehre, in:Wissenschaftliche Rundschau 2, 1912). Carl F. von Weizscker, Nietzsche: Perceptions of Modernity, in: Babich u. Cohen (Hg.), Nietzsche, Epistemology, andPhilosophy of Science II, S. 221- 240 betont, dass Mach Nietzsches radikalenSkeptizismus teilte, S.227. Vgl. auch Renate Denku mbr che mitNietzsche. Zur anspornenden Verachtung der Zeit, Berlin 2000, S. 187 ff. und B.Continental Philosophy of Science: Mach, Duhem, and Bachelard, in:Richard Kearney Routledge Histo ry of Philosophy, Bd. VIII, London 2003.Neue Auflage, S.

    Das "Problem der Wissenschaft"Begriff "Physiologie" impliziert eine doppelte Herausforderung fr denInterpreten. Wenn Nietzschevon der Physiologie des Menschen als der Basisfr seine Bedrfnisse im Blick auf Ernhrung und Klima spricht, scheint erseiner Zeit und ihren voreingenommenen Vorstellungen zu folgen; LU51L1Lllverlangt gerade sein Gebrauch dieser damals gelufigen VorstellungenSorgfalt einer grndlichen Lektre.2o Die Aufgabe einer historischen Herangehensweise ergibt sich aus unseren eigenen, allzu beharrlich der Gegenwart verpflichteten Begriffen, vor allem dann, wenn die Rede vomKrper zu der ber das Geschlecht bergeht, wie es Nietzsche inZusammenhngen theoretisch wie affektiv schnellNeben der Untersuchung der historischen Ideen alS GeSCl1lcnte WISsenschaftlicher Begriffeun d Konzepte ergeben sich auch Probleme aufgr undvon Nietzsches Ansichten, hufig verwirrend sind, was sich jedoch nurzum Teil auf seine Rhetorik zurckfhren lsst. So irritieren bekanntlichseine Bemerkungen ber Darwin Kommentatoren; die einen halten20 Sehr generell zum Thema Leib Guid ohistorischen Perspektiven, von Renate ) Nietzscheforschung, Bd. 5/6, Berlin 2000, S. 135 fEAnthropologie und Therapeutik FriedrichGrtzel, Physiologie der Kunst. EineNietzsche-Srudien 13, 1984, S. 394 - 398. Zum Thema Bauch vgl. Michel

    Le ventredes philosophes, Paris 1989. Heute, nach Foucault, ist es leichter vomsprechen sowie nach Hadotvom in und als Philosophie, und sowir allmhl ich auch wieder Am Leitfaden des Leibes lesenknnen. Whrend ich frher das bewnt habe hinsichtlich desnic ht wegzuden kenden Verhltnisses zwischen und Umwelt bei Nietzsehe,spricht Gnter Abel, Interprewrische Vernunf t und menschlicher Leib, in: MihailoDjuric (Hg.), Nietzsches Begriffder Philosophie, 1990, S. 100 - 130 ehervon Interpretati on, auch Silvano Die der leiblichen Ver-nunft bei Friedrich Wrzbur g . Neben anderen Autoren, die (meis(aus literarischer Perspektive) zu diesem merkwrdig schwierigen Thema gesch riehenhaben, vgl. Moore, Nietzsche, Biology and Metapho r sowie Mare Weiner, Ri-chard Wagner and the Anti-Semitic Imagination, Lincoln, NE 1997,sein 5. Kapitel "Icons of Degeneration" und den Abschnitt ber derberschrieben ist mit "Eyes of the Onani st or the who l'v1asrurba(ed".

    21 Zu einer ausfhrlichen Diskussion mit weiteren Hinweisen B. Babich, Nietzscheund Wagner: Sexualitt, bers. von Marti n Suhr, in: H.J. Birx, N. Knoepffler u. S. L.(Hg.), Wagner und Nietzsche. Kultur Werk - Wirkung. Ein1'-1..c11llJl..cl:\. b. Hamburg 2008, S. 323 - 341. leh komme wei (er unten auf meine Be-hauptung zurck, dass Nietzsehe Sexualitt als ein Mittel wissenschaftlicher Forschung betrachtete, vor allem in Bezug auf seine Wissenschaft, B.Babich, David B. Allisol1, in: New Nietzsehe Bd. 6, 2005, und ,2006,S. 241 S.252.

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    3534 Babette Babichdaher fr einen Darwinisten, die anderen fr einen Anti-Darwinisten.Nietzsche selbst wies au f Darwin eher im Allgemeinen und als VertreterwissenschaftlicherModernitt hin oder er beschimpfte ihn und nicht nur inschein:bar negativem Sinne. In einem mi t "Anti-Darwin" berschriebenenAbschnitt in der Gtzendmmerung kann Nietzsche durchaus sptteln, dassdie Idee des survival o[ the ittest es fertigbringe, den Geist vollstndig auer

    zu lassen (wobei die Klugheit evolutionr betrachtet jede Form derfitness bertrumpft, ohne deswegen weniger ,dekadent' zu sein: "Darwin hatden Geist vergessen das ist englisch!), die Schwachen haben mehrGeist. [.. . ] Ma n muss Geist ntig haben, um Geist zu bekommenStreifzge14).22 Dementsprechen d betrachtet Nietzsche Darwin zusammenmit John Stuart Mill und Herbert Spencer als respektables Mittelma (J G B253). Auf diese Weise klrt er den soeben im Zusammenhang mit seinenErkenntnissen genannten Punkt zur berlegenheit der Sklavenmoral undder demnach unaufhaltsamen Wirkung eines Sklavenaufstands au f dieMoral: "Nichts steht bis bermorgen, eine Art Mensch ausgenommen",

    es da voller Reue: "die unheilbar Mittelmssigen" (JGB 262).23Worum es dabei Q:ehc ist das falsche begriffliche Schlitt ern zwischen dem

    22 Gegen einige andere Auffassungen reimt er auf przise, provokative Weise: "A n diedeutschen Esel. Dieser braven Engelnder / Mittelmige Verstnder / Nehmtihr als ,Philosophie'? 1 Darwin neben Goethe setzen 1 Heit: di e Majesttverletzen 1majestatem Genii! aller mittelmigen Geister 11 Erster das sei einMeister, I und vor ihm auf die Knie !I Hher ihn her auf zu setzen I Heit - - - " (N1884, KSA 11,28[45]); in der folgenden N otiz offeriert er eine weitere Variante (vgl.ebd., 28[46]).23 Zu einer reprsentativen ,pro-darwinistischen' Deutung von Nietzsches Denkenvgl. Scott H. Podolsky u. Alfred L Nietzsche's Concept ion of Health: TheIdealization of Struggle, in: Babich u. Cohen, Nietzsche, Epistemology and Philosophy H, S. 299 - 311. Zu beachten ist auch Daniel Dennetts beilufige Randbemerkung: "Nietzsche's ideaof a will to power is one of the stranger incarnations ofsky hook hunger." Dennet ts Bemerkung gehrt in den Kontext seiner These vonNietzsches ,evolutionrem Darwinismus', die erfolgreich an Nietzsche als eine ArtAutoritt appelliert, vgl. Daniel Dennett, Darwin's Dangerous Idea, London 1996.Carl Friedrich von Weizscker weist auf Georg Pichts Behauptung hin, dassNietzsches Darwini smus bestenfalls ein Lamarckismus war, vgl. von Weizscker, in:Babich u. Cohen, Nietzsche, Epistemology and Philosophy n, S. 223. Vf!1. auchNietzschesin: Nietzsche-Studien 13, 1984, S. 189-210 sowiechardson, Niensche's New Darwinism, Oxford 2004. GegenwrtigNietzsches Anti-Darwinismus hervorgehoben, vgl. Babich, Nietzsche's Philosophyof Kap. 5.

    Das "Problem der Wissenschaft"Gedanken der fitness und Selbsterhaltung und dem der Erhaltung derGattung.

    Schicksale des Menschen am meistenzu sehen von was heureoder sehen I :die Selektion zu GUllsten der

    den Fortschritt der Gerade das'- ' '-:F,'-lJlLIH_ll greift s i c h ~ m i t Hnden: das Durchstreichen der dieUnntzlichkeit der hher Typen, das unvermeidliche Herr-werdendermittleren,selbstderuntermittlerenTypen. (N 1888, KSA 13,14[1

    Wir haben schon bemerkt, dass das, was Nietzsche einen Mangel an Wis-sensehaftnennen wrde, vor allem ein "Mangel an Philologie" (JGB 47)erweitert um Geschichte und, wie ich hinzufgen mchte, Wissenschafts-!!eSCf)lCfJte. Unsere eigene Wissenschaftlichke it Erfah rung inBezug auf die Frage nach Wissenschaft hat sich inzweifellos verbessert, und wir wissen in der Folge neuester S m ~ l O j L O ~ ; l S c n e I anthropologischer Studien bezglich der Wissenschaft und ihren Technologien mehr als jede frhere Historikergeneration (einschlielich der Ideenund Wissenschaftsgeschichtler).24 Aber es ist ebenso klar, dass wi r gerade erstam Anfang einer solchen Neubewertung eines alten und noch immer "anerkannten" Blickes auf die und Entfaltung der Wissenschaft ste

    25 T -1 __ angemessenen Einschtzung des Themas und diemuss daher eine Erhellung der Zusammenhnge von Nietzeigener Zeit vorausgehen, und inGange. Aber die Dauerhaftigkeit der anAuffassungen ("Prsentismus", d. h. die sog. ,whiggische Geschichtsint erpretation', wobei, wie Ernst Mayr es beschreibt, "die neuere Geschichteein fortschreitendes Ausdehnen der Menschenrechte zu verstehen [ist],wobei gute, vorwrtsblickende Liberale sich in best ndigem Karnpfmit denrtsblickenden befanden")26 der aueror

    24 Vgl. Steven Shapin u. Simon JUI . l lC I ,and the Experimental Princeron 1985; Peter Dear, andThe Mathematical Way in the Scientific Revolution, '-JIllLeL>'UFleck, The Genesis and Development ofa Scientific f act,Trenn, Chicago 1979/1935.25 Vgl. fleck, The Genesis and Development oF a Scientific Fact und, allgemein, dieDiskussion bei B. Babich, Continental Philosophy of Science: 1890 - 19,,0,in: Keith Ansell-Pearson The New Century Volume Three: Hisrory ofContinental Philosophy, UK 2010.26 Ernst Mayr, Die Entwicklung der hiologischen Gedankenwelt: Vielfalt, hu,lllnnnund Vererbung, Frankfurt am Main 1982, S. 10. Butterfieid war sehr

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    13736 Babette BabichSchwierigkeit, herrschende oder moderne Werte infrage zustellen. Dies zu tun jedoch betrachtete Nietzsehe als fr wissenschaftliche Forschung fundamental: uns selbst mitsamt unseren Annahmen undberzeugungen infrage zu stellen. Eine solche kritische Selbstreflexionbildet die Essenz jeder Kritik, und zwar deshalb, weil wir als die Infragestellenden uns in der Reflexion selbst im Wege stehen. Wie die Kulturanthropologen, ob nun aus anderen Wissensdiskursen, wie Latour, Pickering

    usw. ,27 oder von anderen Gesellschaften, wie Geertz, Levi-Strauss usw.schmerzvoll gelernt haben (oder besser gesagt: noch immer im Begriff desErlernens sind), kann man sich zwar bemhen, seinen Studien und Themengegenber Neutralitt aufzubringen, aber dennoch immer wieder daranscheitern, diese auch zur Anwendung zu bringen.Wie in allen anderen Dingen auch, existiert hier eine Kluft zwischendem, was wir wissen, und dem, was wir tun. Dab ei handelt es sich nicht nur

    um eine Sache des Wissens, dem wir unser Handeln nicht anzupassen inLage sind. Zugleich wissen wir nicht, was wir zufllig, ungewollt uno sounvermeidl ich in unsere eigene Wissensanstr engung hineinschm uggeln,zwar nicht nur in Bezug au f das, was sich aue rhalb unserer selbstfindet, sondern (und das war Nietzsches eigentliche philosophische Einsicht) ebenso in die Wissensbemhung in Bezug au f uns selbst.

    Wissenschaft "als problematisch, als fragwrdig"In Bezug aufdie Frage nach der Bedeutung der ,Wissenschaft' fr Nietzsehe,bestand mein Anliegen bis jetzt darin, Nietzsches Kritik der Wissenschaft sozu erhellen, dass sich diese kritische Perspektive mglicherweise in dieberlegene Position philosophis chen Disziplin der Wissenschaftstheorie

    nur fr Kuhn, wie viele Forscher es betonen, sondern auch fr Feyerabend. Vgl. freinen allgemeinen berlick Carlos Spoerhase, Anachronism und Prsentismus inder Methodologie der historischen Wissenschaft: in Lutz Danneberg u. a.Scientia Poetica. Jahrbuch fr Geschichte der Literatur und Wissenschaften Iarbook forthe History ofLiter ature, Humanities and Sciences Berlin 2004, S. 169240. Vgl. Herbert Butterfield, Die Gefahren der Geschichte, in: Geschichte inWissenschaft und Unterricht 1,1950, S. 525-539.27 Ein Beispiel ist Bruno Latours beinahe widerruf rtiges Buch PandorasHope: Essayson the Reality o/Science Studies, vgl. Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora:Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. bers. v. Gustav Roler,Frankfurt am Main 2006,2. Aufl. [- engl. Pandora's Hope: Essays on the Realitv ofScience Studies, 1999].

    Das "Problem der Wissenschaft"berfh ren lsst. Mit Heidegger halte ich Nietzsches Verstndnis (und seinevon Wissenschaft und Logik bzw. Wahrheit essenziellphiseh, und zwar eben aus dem Grund, weil Nietzsehe, bevor er den Wert derWissenschaft einfach fr gegeben hlt, die nach der Wissenschaft alsaufwirft. Zusammengefasst stellt Nietzsches philosophischeder wissenschaftlichen Vernunf t die kritische Rationalitt der Wissenschaftinfrage. Aufdiese Weise glaubt e rdie Frage nach der Wissenschaft eher als einlebendiges und dynamisches denn als ein offensichtliches undProblem zu stellen. 28 Sein Projekt impliziert die Artikulation desder Wissenschaft als solcher, was bedeutet, Nietzsehe um wesent-Schwierigkeit einer Hinterfragung der WissenschaftTatschlich nmlich bildet die Wissenschaftthode' die bliche Basis fr Mittel Kritik oder kritischen Hinte rfragung berhaupt. Aus dieser Einsicht heraus hlt Nietzsehe das Unterfangen, "das Problem de r Wissenschaft selbst [.. als problemati sch,als fragwrdig" (GT, Versuch einer Selbstkritik 2) aufzuwerfen, fr eineAufgabe, die erst im Laufe Zeit zu bewltigen ist, und nur fr einengeltend zu machend en Aspekt oder ein Rtsel, seiner Lsung harrt.Ausgehend von einer so langfristigen Prognose des ,Problems derWissenschaft', nimmt Nietzsehe zugleich in Anspruch, de r erste zu sein, derFrage nach der F ragwrdigkeit der Wissenschaft aufwirft. Wenn er gernebehauptet , er wolle noch ber Descartes hinausgehen ,,,Es m urs bessergezweifelt werde n als Descartes !'" (N 1885 , KSA 11,40[25]) 2'\lIld wenn erkritischer als Kant war in Suche nach dem entsche idendenPunkt, an dem das kritische Projekt gegen sich selber gewendet werdenknnte, unterscheidet sich Nietzsehe jedoch vom Projekt philosophischerAufklrung im Allgemeinen dadurch , dass er seine vorstzlich provokative Aufklrung als ein Problem an der Gre nze kritischer Reflexiondavon ausnimmt. Auf Weise unterstreicht erWichtigkeit der Selbstkritik. Das heit allerdingsbeansprucht, seine Selbstkritik jemals zu einem Ende zu bringen. Erschreibt sein spter verfasstes Vorwort zur zweiten Auflage der der]}agdiemitdenWorten "Vers uch eine r SeI bstkr i tik", WIr tu n28 Freine Diskussion mit weiteren

    of Science, in: Constantin Boundas (Hg.), The EdinburghTwentieth Century Philosophies, Edinburgh 2007, S. 545- 558.29 Nietzsche behauptet: "Es giebt keine unmittellbaren Gewiheiten:setzt voraus, da man wei, was ,denken' ist und zweitens was ist [.. (N1885, KSA 11,40[241) und hlt fest: "Der Glaube an die unmittelbare Gewiheitdes Denkens ist ein Glaube mehr, und keine Gewiheit!" (ebd., 40[25])

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    13938 Babette Babichdaran, den provisorischen Charakter einer solchen Unternehmung zu betonen. Auf dieselbe Weise spricht Nietzsche davon, ein "Fragezeichen" nachsich selbst und nicht nur nach den eigenen "Leibworten und Lieblingslehren" OGB 25) anzubringen, und rt seinen Lesern ,[ihr solltet] lachen lerne n'(GT, Versuch einer Selbstkritik 7), wobei er empfiehl t, so lange ber sichselbst lachen zu lernen wie man lachen msste, "um au s der ganzenWahrhei t heraus zulachen" (F W 1, KSA 3, S. 370). Zu kritisieren setztstets bestimmte Annahmen voraus, weshalb es dem Kritisierenden nichtgestattet ist, sich selbst von der Krit ik auszunehmen. Ei ne solche Exklusion,so wirft Nietzsche den Ansprchen der Mchte-gern-"fr eien Geister" vor,ein bloes Sich-verleitenlassen vo n Kritik.Selbstkritik, Kr itik eigener stillschweigender Voraussetzungen, muss e instndiger Begleiter philosophischer Krit ik sein, aber - und daran erinnertuns Nietzsche ebenso schnell wo kann man sich um willen einer solchenSelbstkritik eigentlich positionieren? Indem er die Frage nach dem Subjektaufwirft, indem er herausfordernd behauptet, es gebe niemanden, der denkt,wird der vom Cartesianismus bereitgestellte Archimedische Punkt einesdenkenden Subjekts dort suspendiert, wo er auftaucht : im Nirgendwo, unddas ist, gelinde gesagt, ein sehr fragwrdiger Grund. Das Resultat ist ebenjenes Gefhl von Beschwingtheit, das Nietzsche als fr die Moderne charakteristisch beschreibt, einer ra ohne genau bestimmbares Oben und

    (und das daran ausgerichtete Orientierungsvermgen) ohne Glauben an Gott, und zunehmend in Ermangelung sicheren Grundesmenschlicher Subjektivitt als letzter Zuflucht. Daher legt Nietzsche unsnahe, das Projekt eines solchen ,grundstzlichen Misstrauens' auch dort zuverfolgen, wo es fr eine Art allgemeinerUnbedarftheiterklrtwird. 30DiesesMisstrauen, dieses radikale Hinterf ragen ist der beste Rat, den Nietzsche uns30 DasheitNierzsches"Blindhei t zu zweien" (MAI, Vorrede 1). PaulRicceurha tNietzsehe sehr wirkungsvoll mit Marx und Freud zu einem Triumvirat zusammengestellt. Whrend er "Consciousness and the Unconscious" schrieb, dachte erber das Wort ,Verdacht' nach, indem er Nietzsehe mit La Rochefoucauld verband(eine Verbindung, die wiederum Lacan fr treffend hielt); siehe Paul Ricceur, Del'int erpretati on: Essai sur Freud, Paris 1965, S. 40-44. Vgl. auch Michel Foucault,Nietzsehe, Freud, Marx, in: Martial Guerolr (Hg.), Nietzsehe. Cahiers de Royau

    mont, Paris 1967, S. 183-192. Indem er Nietzsehe (zusammen mit Marx undFreud) einen "Meis ter des Verdachts" nannte, bernahm Ricceur Nietzsches bereitseingebrgerten Aufruf zum "Verdacht"; Nietzsehe hatte den Leser in einem sptgeschriebenen Vo rwort zu Menschliches Allzumenschlicheserinnert: "Man hat meineSchriften eine Schule des Verdachts genannt ... " (MA 1, Vorrede 1). Ricceurs koordinierte Bezugnahme ist in der Zwischenzeit Standard geworden, vgl. Tean-LllcMarion, L'Idole et la distance, Paris 1991 [1977].

    Das "Problem der Wissenschaft"als Philosophen, als Argonauten der Gefa hr zu geben vermag. Die Gefahr isthier wesensmig insofern, als es sich bei dem Projekt des Misstrauens umeinen stndigen Imperativ handelt und Kri tik nich t ihre eigene Widerrufungimpliziert: zu wissen, dass man nichts wei, bedeutet nicht, diesesNichtwis sen zu einem Wissen ber sich selbst wird. Sich Zweifels bewusstzu sein, entbindet einen nicht von der Hinterfragung.

    Wenn man sagen kann, dass der erkenntnistheoretisc he Kern der Geburtder Tragdie in dem tragischen Wissen besteht, dass sich die kritischeSchlange als logisches Ouroborus des theoretischen Wissensselbst in den Schwanz beit, deutet ein Argument in der Gtzendmmerungau f die eher verzweifelten denn blinden Umstnde dieser Errungenschaft

    Mi t dem Verlust der Wahrheit sind wir auf gleiche Weisedazu, au fdie Rubrik der "s cheinbaren" Welt zu verzichten.31 Zugleich ist es,wie Nietzsche sagt, klar, dass Einsic ht in ihre n illusorischen Charakternichts an ihr ndert (N 1881, KSA 9, 11 [162]). Ersche [nJ Pro blem Kan ts!" (N 1 1873, KSA 7, 19[ 104]; vgl.und was er hier als den "tragi schen Conflikt" bezeichnet, ist die Einsicht, dassdie menschliche Gemeinsc haft und Kultur ohne Kunst, d. h. ohne die Lgeoder Illusion der Kunst, nicht leben kann. Dabei handel t es sich weniger umeinen Kantianismus Nietzsches als vielmehr um seine Bereitschaft, die nihilistischen Konsequenzen der Einsichten Kants ans Licht zu bringen (vgl.SE 3) eine Bereitschaft von nich t minderer Ernsthaftigkeit, wenn auch auseiner anderen Sensibilitt hervorgegangen, das Bemhen Jacobis undKleists: "Wahrheit tdtet - ja td tet sich selbst (insofern sie erkenn t, daFundament der Irrthum ist)" (N 1873, KSA 7,

    Es handelt sich dabei um tragischen Sackbahnhof der Wissenschaftoder des Wissens berha u pt. Der logische En twurfsowohl der Wissenschaft des tragischen Mythos' geht dabei, zerstrt von derselben und ihren Konsequenzen (GT 15 and GT 18), unter. Die Schwachstelle ist

    31 Reiner Schrmann nimmt diese Nietzscheanische sowie ,',eine frhereEinsicht in das Wesen des tragischen Wissens als Ausgangspunkt fr sein posthumverffentlichtes Buch Des Hegemonies briste:i, Mauvezin 1996. Eine Lektre vonSchrmanns Darstellung dieser zwischen Wittgenstein, undArendt, Augustin und vielleicht und vor allem: Meister Eckhart, ist zu32 Das metaphorische Bild eines abgedrifteten SchiHes findet sich wieder inanalytischer Metapher des Planke fr Planke vollzogenen Wiederaut baus eines au foffener See sinkenden Schiffes und taucht wieder bei Blumenberg mit Bezug au fneue Welten in einem skularen Sinne auf. jedoch Gnrer Abe!, Nietzsehe. Die

    der Willen zur Macht und die Wiederkehr. Berlin 1998, S. 199 in

    http:///reader/full/Unbedarftheiterkl%E4%B2%B4wird.30http:///reader/full/Unbedarftheiterkl%E4%B2%B4wird.30http:///reader/full/Unbedarftheiterkl%E4%B2%B4wird.30http:///reader/full/verzichten.31http:///reader/full/Unbedarftheiterkl%E4%B2%B4wird.30http:///reader/full/verzichten.31
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    4abette Babichdabei die nach der grundlegenden Transparenz; sie taucht erneut indem auf, was Nietzsche als die Grenze der subjektiven Selbsterkenntnis thematisiert. In diesem Sinne stellt das Problem des Subjekts daseigentliche Problem der Kritik dar, ganz so, wie Martin HeideggerHannah Arendt sowie Theodor Adorno und Herbert Marcuse die Frageaufgenommen haben. Das kritische Vorgehen, ja jedes kritische Projekt,untersteht unabweisbar der Verflschung, eben deshalb, weil auch ein Organon der Reflexion nicht vollstndig auf den Kopf gestellt werden kann.Aufgrund der reflexiven Grenze einer jeden Form von Kritik, betontNietzsche, dass "das Probl em der Wissenschaft" ni cht aus sich selbst heraus,d. h. vom Boden der Wissenschaft selbst (GT, Versuch einer Selbstkritik 2)erkannt (konzipiert un d durchdacht) werden kann. Wir sind dazu bestimmt

    kennen die Antwort bereits!), das Licht der Kunst zu gebrauchen. Aberwie sieht das aus? Was erscheint in diesem Licht?

    "Wissenschaft unter der Optik des Knstlers": EpistemologischeRichtigkeit und der Wider stand gegen Nietzsches Kritik als einerAnti-WissenschaftWie wir es bereits als Nietzsches Ambition vernommen haben, bedeutetzu zweifeln als Descartes (N 1885, KSA 1 L 40[23-26]), die fundamentale, das denkende Subjekt begr ndende Kraft des zweifelnden Subjektsinfrage zu stellen. Nietzsche notiert : " - Descartes ist mir nicht radikal genug.Bei seinem Verlangen, Sicheres zu haben und ,ich will nich t betrogen werden' thut es Noth zu fragen ,warum nicht ?'" (N 1885, KSA 11,40[1Diese Kritik wurde fr Heidegger richtungsweisend, und HannahArendt (wobei ich behaupte, dass es sich dabei mehr um eine fr Heideggerbestimmte Anspielung handelt) weist auf die Stichhaltigkeit eben dieserKritik hin, wo sie in ihren Notizen zu Vita activa oder Vom ttigen LebenNietzsches Entdeckung zitiert, dass das Cartesische "cogito ergo sum einenlogischen Fehler beinhaltet [ .. ] . Es msste he ien: cogito, ergo cogitationessunt, und das geistige Bewusstsein, das im cogito ausgedrckt wird,dass ich bin, sondern nur, dass das Bewusstsein ist. "33

    einem deutlicher in Nietzsches kritischem Sinne emphatischem erkenntnistheoretischem Zusammenhang.33 Hannah Arendt, Vita activa oder Vom ttigen Leben, Stuttgart 1960, S. 367.",Es wird gedacht: folglich giebt es Denkendes": darauf luft die argumentatioCartesius hinaus. Aber das heit, unsern Glau ben an den Subst anzbegriff schon als

    Das "Problem der Wissenschaft"ein unaufhrliches Fragen wie er sagen wrde, als einelosophische und wissenschaftliche Annherung an das Problem der Wissenschaft, verfolgt Nietzsches grundstzliche Infragestellung des theoretischen szientifischen Wissens das Kantische Unternehmen der Kritik ineinem nochweitergehenden Sinne als Kantselbst. Nietzsche weigert sich, dieLegitimitt der synthetischen Urteile apriori als gegeben vorauszusetzen,

    er weist nicht nur einige zurck, sondern alle (vgl. JGB 4). Streng genommen, so sollten Urteile wie diese dem unmgl ichsein: "wir haben kein Recht auf sie", und daher sind es "in unserm Munde[... ] lauter falsche Urtheile" OGB 4; vgl.auch Kant in seiner ersten WIe ale Urteile derNaturwissenschaften mglich weit entfe rnt dieWissenschaft selbst infrage zu Kam nicht andersvorstzlich unkritisch im Hinblickwir heute, wie Nietzsche uns in einem viel umfassenderen SinneWie bereits erwhnt, wird tatschlich jede Forrn der K r i t i l ~ anWissenschaft fr anti-wissenschaftlich und damit anti-modern und damitirrational gehalten. Aus berze ugung erinnert die Auto ritt einesPhysikers wie Alan Sokal (der zusammen mit Jean Bricmontschaftlichen Forderungen nach Dekonstruktion um willen derGerechtigkeit un d der belgisch-amerikanischen Wissenschaftde-konstruiert hat) 34 ,die er als ein Mann der Wissenschaftan nichts so sehr wie an Auto ritt eines Priesters zu Zeiten desGlaubens. 35Aber in auf die gegenwrtige Wissenschafrsphilosophie

    ,wahr apriori' ansetzen: - da, wenn wird, es erwasist aber einfach eine Formuli rung unserer grammatischen welche zueinem Thun einen Thter setzt. Kurz, es wird hier bereits ein logisch-met

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    142 Babette Babichbedeutet das, dass die philosophische Rezeption von SokalsSchwindel (sowohl seines Artikels als auch seiner SelbstinterpretationBeitrages) mi t Kritik gezielt zurckhielt, un d stattdessen den Versuch unternahm, sie zu erklren oder zu rechtfertigen.36

    Eine unweigerlich unkritische Verherrlichung der Wissenschaft (derenWerke durch die imposanten Leistungen des wissenschaftlich-technischenKonstruktionswesens in Gestalt von Straen, Aqudukten und Brckenoder in den damof- un d lbetriebenen Erfindungen aus Nietzsches Ma

    oder dem heutigen sogenannten Informationszeitalterha t die intellektuelle Kultur nicht erst den

    Tagen Newtons, sondern schon seitEs gibt tatschlich mi t

    bereits erwhnte aufwirft, warum SICh ales soWissenschaft die rechtmige Erbin vo n Platonseine proto-cartesische Idealisierung der Geometrie eine condltwnon fr die Weisheit sel bst.38 Unter den WissenschaftstheoretikernFeyerabend, wenngleich er kein Advokat von Nietzsches Kritik wissenschaftlicher Vernunft ist, allein da mi t seinem Ru f nach radikaler Skepsisbezglich der Ansprche un d Ttigkeiten der Wissenschaft: Ein im Namender Wissenschaftselbst aufgerufener Skeptizismus, wie Nietzsche ihn bereitszuvor als radikales Hinterfragen eingefordert hatte.39 Eben dies war das36 dass kein Wissenschaftsphilosoph etwas fr oder gegen

    pvpUlan::ll anti-dekonstruktiven Schwindel bezglich der kulturellen kritiLeichtglubigkeit und Schuldhaftigkeit zu sagen hat. Die meisten etablierten'issenschaftshistoriker, wie etwa Gerald Holton oder auch PeterCaws, Dieses Debakeleinen ,Wissenschaftskrieg' zu nennen

    Dummheit, denn keine einzige Instanz Ce:eschweie:eSchlacht kme jemals zustande. SowohlMedien bemhten sich dabei, die Seite des wissenschaftlichen Establishments zureprsentieren, indem sie dieser Perspektive ausschlielich die freien Assoziationenund berbeanspruchten Absichten der Wissenschaftssoziologen und andere Formender Kulturkritik entgegensetzten und eine philosophisch Kritik undDebatte im Groen und Ganzen ausklammerten. Das Schweigenanerkannter Wissenschaftsphilosophen ist demnach eines, das auf eindrcklicheWeise sein volles Einverstndnis kundtut.37 Zu beachten ist, dass diese Hinweise nicht die theoretischen Leistungen der Wissenschaft auflisten, sondern Errungenschaften moderner Technik.

    38 Siehe David The Ethics of Geometry, London 1993.39 Paul Feverabend, Farewell to Reason, London 1987. Feyerabend besttigt, dass erer sei ihm unsympathisch. (Persnliche

    Das "Problem der Wissenschaft"

    war, b e ~ ) c h t t l g t Wissenschafthaben dagegen (nochsucht die nach der Mglichkeit smtlichen Wissens(epistemischer) Begrndungen der Wissenschaftdessen aufzuwerfen, was er Kunst nennt.

    Als Kunst aufgefasst, stellt sich die Wissenschaft als eine Art vonheraus (Heideggers kritische Philosophie der Technik einehnlich aufschlussreiche Syntaxanalyse moderner Wissenschaft und Technik). Di e Wissenschaft stellt als eine solche knstlerische Praxis ein Mitteldar zur Konstruktion dessen, was fr wissenschaftlich und damit fr wahrgehalten soll. Sie richtet sich gegen die Physiker, die davon sprechen,

    ",Gesetzmigkeit der Natur'" zu entschlsseln als wrde\..Jeset:zen folgen, wie

    undwie nebc;lwc;l genommen,so der fundamentale nur aut Kosten einer unverlvokanon mit Sozial

    setzen gleichzusetzen; doch wir neigen stndig zu"berall Gleichheit vor dem Gesetz, - die Natur hat es darinun d nicht besser als wir" (JGB 22). Fr Nietzsche die Idee einersolchen Gesetzmigkeit "nur Dank eurer Ausdeutung und schlechten,Philo logie' , sie ist kein Thatbestand, kein (ebd.).

    Als eine Kunst oder techneiTechnik ist die Wissenschaft ein Instrumentzur Herstellung dessen, was als wissenschaftliche Wahrheit gelten kann.

    Nietzsche im dritten Buch (und nicht nur hier) von ZurVergleich zwischen den Praktikender wissenschaftlichen Weltenrwrfe.

    Denn statt von einer Ll lH

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    14544 Babette Babichdern. Dies knnen wir als Nietzsches Protagoreisches Prinzip qua Prokrustesprinzip von Delphi betrachten: "Der Mensch als Maa der Dinge istebenfalls der Gedanke der Wissenschaft" (ebd., vgl. JGB 3). Oder, wie er esan anderer Stelle fasst: "Alle Naturwissenschaft ist nur ein Versuch, denMenschen, das Anthropologische zu verstehen: noch richtiger, auf denungeheuersten Umwegen immer zum Menschen zurckzukommen." (N1872/1873 , KSA 7,19[91])Nietzsches berlegungen zu Wahrheit und Lge kehren immer wiederzum Problem der Logikals Folge von Sokrates' Umwer tung der Philosophiezurck, da mit Sokrates das Ideal der Wahrheit und "die Wahrhaftigkeit inden Besitz der Logik" gerieten (N 1872/1873, KSA 7,19[216]). Wenn wirzuAristoteles weitergehen, findet die Herausforderung der "unendliche[n]Schwierigkeit des richtigen Rubrizirens" (ebd.) ihre Lsung im Prinzip vomausgeschlossenen Widerspruch , insofern Aristoteles dieses erste Prinzip ganzabgesehen von jeder Notwendigkeit (oder besser: Mglichkeit) seiner Demonstrationals eine grundstzliche Voraussetzung herausstellt (Met. 1005b15-25). Dasselbe Prinzip legt die Bed ingungen fest fr das, was Nietzscheden Konflikt zwischen Kunst und Wissen nennt. Folglich endet die Auflistung philosophischer Schlsselbegriffe der alten Griechen in Nietzschesfrhem Nachlass mit einem lateinischen Wort, das in seiner scholastischenAusblhung zu einem vorherrschenden Instrument der Philosophie aufgestiegen ist: ,quidquid est est: quidquid non est, non este (N 1873, KSA 7,26[1]).

    Der Ausgang dieses Identittskonfliktes war dabei von Anfang an entschieden.40 Es gibt keine artikulierbare oder logische Basis fr den Streitzwischen irrationalen und rationalen oder logischen (d. h. rationalen)Grnden. Aus dem gleichen Grund gibt es keinen Disput (keine ratio; keineAnalogie oder keinen Vergleich) zwischen der (irrationalen) Kuns t und demWissen oder der Wissenschaft. Die blichen Wissenschaftsphilosophenzusammen mit einer berwltigenden Mehrheit von Forschern aus anderenDisziplinen einschlielich der Naturwissenschaftler vernehmen die Behauptungen Nietzsches bezglich der Wissenschaft lediglich als wirrenEindruck dessen, was sie gelegentlich, fasziniert genug, als das ,Dionysische'40 Die Logizitt von Philosophie un d Wissenschaft wurde traditionell als ein (eristischer) Kampfbetrachtet, bei dem das besteArgument gewinnt und die ,verlierenden'Behauptungen als irrational oder irrelevant konsequent zum Schweigen gebrachtwurden. Die Standards fr diesen Wettkampf werden durch die Logik bestimmt.

    Daher musste auch der Streit, den Nietzsehe zwischen Kunst und Wissen entzndete, zu den Bedingungen eines solchen logischen Gefechtes ausgetragen werden.

    Das "Problem der Wissenschafr"(das per definitionem oder aber notgedrungen irrational ist) zu charakterisieren pflegen.41 Diese Demen tieru ng ist nicht das Ergebnis philosophischerReflexion und wissenschaftlicher Argumente, sondern eine, um NietzschesWort zu gebrauchen, bereits im Voraus bestehende, berzeugung'. DieWissenschaftsphilosophen nehmen es schlicht als gegeben hin, dass dieNaturwissenschaftler genau wissen, was sie tun, dass sie wissen, was Wis-senschaft ist, und dass es der Gegenstand bzw. das Ziel der Wissenschaft ist,die reine und einfache Wahrheit ans Licht zu bringen.Neuere Arbeiten innerhalb der Geschichte und Soziologie der Wissenschaften untersttzen den Geist von Nietzsches Fragen, insofern sie dieBedingungen wissenschaftlicher Urteile und Forschung betrachten; aber,und wie oben angedeutet werde ich zu diesem Punkt am Schluss zurckkommen, Wissenschaftsgeschichte und -soziologie dieser Art macht um denSinn dieser Fragestellung ziemlich eindeutig einen groen Bogen.42 Naturwissenschaftler, Wissenschaftsphilosophen wie Nietzsche sie unte rsttz thtte, wren ebenso gut Philosophen der Zukunft wie ,Wissenschaftler' derZukunft (in demselben strengen und zwingenden Sinne wie Nietzsche einWissenschaftler war). Und nur als Wissenschaftler knnten sie Philosophen,der Gefahr' sein, fhig nicht allein zu Gedankenexperimenten, sondernvoller Wage mut fr die Mglichkei t, dass die Wahrhei tsel bst sich als wen igerwert denn der Irrtu m erweisen knnte, und, was vielleicht von noch grere rhermeneutischer Bedeutung ist, dass die Wahrheit mglicherweise einerkomplexen Aufmerksamkeit fr ihre jeweiligen Umstnde und ihrenKontext bedarf, und dass man sich als Forscher einer solchen wissenschaftlichen Unte rsuchung willig zeigt, sich selber einer hnlich rad ikalen und immer neuen - Selbstkritik zu unterwerfen.

    41 Der Wissenschaftshistoriker Gerald Holton unterscheidet demzufolge (auf AlbertSzent-Gyorgyis Vergleich zwischen sich und Einstein anspielend) zwischen apollinischen und dionysischen Tendenzen in der Geschichte lind Philosophie Je rWissenschaft. Siehe Gerald Holron, The Scientific Imagination: Case Studies,Cambridge 1978, S. 87- 110.42 Soziologische Studien zur Wissenschaft, verbunden mitder frherzitierren jngerenWissenschaftsgeschichte, machen hier zwar einen konzeptionellen Unterschied,aber nicht radikal genug, so dassman schlicht voraussetzen darf, was Nietzsehe als dieFrage nach dem Problem der Wiss enschaft als solcher aufwarf. Fr ein Resmee undAusblick bezglich der Relevanz solcher soziologischen Studie n siehe Rom Harre,Th e PhilosophiesofScience, Oxford 1972, S. 219-229 sowieJohn Ziman, No Man1s An 1sland, in: B. Babich (Hg.), Hermeneutic Philosophy of Science, Van Gogh'sEyes and God, Dordrecht 2002. S. 203-217.

    http:///reader/full/schieden.40http:///reader/full/schieden.40http:///reader/full/pflegen.41http:///reader/full/pflegen.41http:///reader/full/Bogen.42http:///reader/full/Bogen.42http:///reader/full/schieden.40http:///reader/full/pflegen.41http:///reader/full/Bogen.42
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    1Babette Babich146Alexandrinische Kultur und Wissenschaft: Gttliche MaschinenNietzschehat sich mi t der Wissenschaft von Anfang an befasst. Folglich stell tseine Schrift ber die Tragdie allenthalben eine Parallele dar zwischen

    zuerst in der Person des Sokrates an's Licht gekommenen Glaubenan die Ergrndlichkeit der Natur und an die Universalheilkraft des Wissens"(GT 17, KSA 1,S. 111)-dasheit,wieeresmitanderen, heute vertrauterenBegriffen ausdrckt: zwischen dem "Geist der Wissenschaft" (ebd.) unddem "Geiste der Musik" 43

    Mi t dem "Rstzeug der Wissenschaft selbst" umreit die Kritikwissenschaftlichen Vernunft, wie Nietzsche Kant hier liest, im Grunde "dieGrenzen und die Bedingtheit des Erkennens berhaupt", um schlielich"den Anspruch der Wissenschaft auf universale Geltung und universaleZwecke entschieden zu leugnen" (GT 18, KSA I,S. 118).Aufdiese Weise, soNietzsche, bedeu tet Kants philosophisches Erbe die logische Destruktion der"zufriedne[n] Daseinslust der wissenschaftlichen Sokratik, durch denNachweis ihrer (GT 19, KSA 1, S. 128).

    Zentrum von Kants kritischer Philosophie entdeckt Nietzsche das,was er die "Sokratische" oder auch Alexandrinische Kultur des Wissensnennt. Mi t Nietzsches Begrifflichkeit aus der Genealogie der Moral, ist dieAlexandrinische Kultur der Hhepunkt der in der Sklaven-Moral ausge

    rckten optimistischen Gutglubigkeit, die auch die wissenschaftliche,speziell die wissenschaftlich-technische Kul tur charakterisiert.

    diese optimistische Wissenskultur mit Leben zu erfllen, stellt sichdie Wissenschaft nicht einfach als grenzenloser Wissensdrang dar, sondernviel mehr als die idealisierte dessen, was Nietzsche einen "unum44schrnkt sich whnende[n] Optimismus" (GT 18, KSA 1, S. 117) nennt.

    Ideal bzw. die phantastische Vorstellung einer durch Wissenschaftverwirklichten unbeschrnkten Macht beschreibt die moderne Kultur au fder tausendjhrigen Basis des "Glauben[s] an das Erdenglck Aller" (ebd.)und bietet so eine erste Genealogie der modernen technologischen undverbraucherorientierten "Forderung eines solchen alexandrischen Erden43 Siehe B. Babich, Wort und Musik in der antiken Tragdie. Nietzsches FrhlicheWissenschaft, bers. von Harald Seubert u. Heidi Byrnes in Zusammenarbeit mi t der

    Autorin, in: Nietzsche-Studien 37,2008, S. 230-257.44 Ich verbinde diesen Punkt mi den zen ralen Aspekten von HeideggersEinfhrung indie Metaphysik und seinen Beitrgen zurPhilosophie in B. Babich, Heidegger's Will to

    Power, special issue on Nietzsehe, in: Journal of the British Society for Phenomenology, 3811, 2007, S. 37 -60.

    Das "Problem der Wissenschaft"glcks", ihren zeitgemen Ausdruckeines Euripideischen deus ex

    Heute fhrt man fort, die Maschine als einenGttliche zu eine Substit ution, die Jean-Paul Sanre an

    Seite von Heidegger und Jacques Ellul als ein ,den Menschen an dieGottes setzen' beschrieben hat. Im Zusammenhang seines ersten Buchesbeschwrt Nietzsche die mechanischen zur Herstellung einer maschinellen Gottheit. Dieser "Mechanismus" ist der Zusammenhang der Ideeeiner "irdischen Consonanz" (GT 17, KSA 1, S. 115), an die Stelle desmetaphysischen der vergangenen Generati onen, sei es dem

    sei es dem mehr kirchlichen mittelalterlichen EuroDa, tritt. Indiesem Sinne ist der mechanische Gott der derschaft, der technologisierten Welt des 19. ebenso wie des 20.des 21. Jahrhunderts.45

    Folglich taucht das Bild von Nietzsches "Gott der MaschinenSchmelztiegel", das in der Geburt der Tragdie verwendet wird, nicht nur in

    ersten Unzeitgemen Betrachtungwieder auf, sondern wird im DrittenBuch der Genealogie der Moral zu seinem Hhepunkt getrieben, woNietzsche Ganze unserer moder nen "Stellung zur Natur, unsre Natur-Vergewaltigung mit Hlfe der Maschinen un d der so unbedenklichenTechniker- und Ingenieur-Erfindsamkeit" (GM III, 9, KSA 5, S. 357)verurteilt. Dieselbe mechanistische und maschinentechnische Gesi nnungdurchdringt unsere wissenschaftliche Haltung uns selbst gegenber: wir"schlitzen uns vergngt und neugierig die Seele bei lebendigem Leibe auf', soNietzsche, und)) [h] interdrein heilen wir uns [.. . ] wir Nussknacker derSeele, wir Fragenden und Fragwrdigen, wieals Nsseknacken" (ibid.). Durchdachter, ironischer beschwrt

    e machinale Thtigkeit" (GM III, 18, KSA 5, S. 382) alsvorzugte moderne Mittel, das Empfindungsvermgen zu betuben: "mannenntheutedieseThatsache, etwas unehrlich, ,den der Arbeit'" (ehd.).Das Mechanische kann durchaus als eine Weise der Narkotis ierung wirken,d'enn, wie Nietzsche "SIe 1st eng,lichen Bewusstseins!" (Ebd.) Die heutige vernetzte45 Friez Langs Moloch-Maschine in seinem Film Afetropo!i::;von 1927 zeigt uns,

    solcher religiser Kult der Maschine aussehen knnte. Siehe dazu Lynn Whitt,Medieval Religion andTechnology, Berkeley 1968 und David Noble, 'I'he Religionof Technolo2Y: The Divinitv of Man and the of Invention, New York 1997

    Selbstbegrenzung: Eine Dolitische Kritik der

    http:///reader/full/Jahrhunderts.45http:///reader/full/Jahrhunderts.45http:///reader/full/Jahrhunderts.45
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    14948 Babette Babich(Internet, Mobiltelefone usw.) hat die Metaphorizitt von Nietzsches Anrufung einer solchen Beschwrung gottgleicher Vorzge der Maschinetransformiert; sie schiene unter der Voraussetzung perfekt, dass wir die Fragenach der "Realitt" berhaupt beiseite lassen (wie wir es tatschlich tun). Ichspreche hier natrlich vom Internet: dem realen und zugleich virtuellenRaum, der das moderne Leben so sehr beschftigt, dem gaming-Lebenebenso wie dem Leben als andere Identitt, aber auch der alltglichenKommunikation, dem Austausch un d Ausdruck - banking, Einkufe,Flugtickets, downloads von Filmen und Musik usw.46

    In Anbetracht dessen, was die Phnomenologie uns ber uns selbstgelehrt hat, bedeutet die Kraft der Intentionalitt des Bewusstseins, dass wiruns selbst schpferisch darstellen knnen (und dies auch tun), aber es bedeutet zugleich, dass dies in virtuellen Verwandlungen geschieht, die wir inzunehmendem Mae als "real" wahrnehmen: unsere Leidenschaften oderzumindest das, was wir fr "uns selbst" halten, werden zunchst auf denBildschirm projiziert und dann dort wiederentdeckt, au feinen Bildschirm,der in keiner Hinsicht so etwas wie eine tragische skene darstellt, einenWelten traum oder ein Netz von Fantasie und irrealer Rumlichkeit: jedeTiefe wie alle Greifbarkei vllig unnt ig, nicht mehr als ein perspektivischesMerkmal. Diese un- oder hyperreale Wel tala Baudrillard, einer nur durchdie oder in den gesellschaftlichen Medien zugelassenen oder anerkanntenWirklichkeit, lsst sich auch in konomischen Begriffen umreien: Werbung und Profit, als Unterhaltung verbreitet und mit dem Reiz augenblicklicher Kommunikation versehen, mit jedem, berall, au f Abruf.

    Das ist freilich ein Thema fr einen anderen Aufsatz; unser gegenwrtiges menschliches Dasein wird jedoch, o b arm, ob reich, in welchem Teil derWelt auch immer, mehr un d mehr durch die Technik bestimmt, durchdieselbe Technik, deren Zerstrungen rasant fortschreiten, was uns imWesentlichen entgeht, da wir so von den Welten unserer eigenen Phantasie-unseren Erfindungen und technischen Rumen eingenommen sind - dasswir uns um die "Natur" nicht lnger kmmern: d. h. um die reale Welt derFische, Vgel, Tiere und der Lebewesen, di e so rasant dezimiert werden, alsgbe es Armageddon schon lngst, vor allem auch, wenn wir uns (was wir inder Regel nicht tun) die Armen Mrikas, Asiens, Sdamerikas und nichtzuletzt Europas oder Amerikas vor Augen fhren. Aber nur wenige Wissenschaftler befassen sich mit dieser Welt, und die Medienwissenschaftscheint - in der Folgevon Donna Haraway oder Kittler oder auch manchen46 Baudrillard, aber auch Adorno und Horkheimer sowie EHul und Illich deuten diese

    Ablenkungen in ihrer Kritik der Kulturindustrie als Schein oder Lebensersatz.

    Das "Problem der Wissenschaft"Texten von Deleuze, Foucault und vor allem Lyotard, und dazu Agambenund Badiou un d natrlich Vattimo - davon berzeugt, dass eben dieser"Zusammenhang" zuknftig das Versprechen des wissenschaftlichen Op -timismus erfllen wird.47

    Irrtum, Chaos un d der Gedanke des wissenschaftl ichen" Gesetzes"Ich habe die Gefahren des Trends aufgezeigt, das, was Nietzsche als "alexandrinische Cultur" bezeichnet, seinen Bezug auf das Wissen, die Wissenschaft und den" theoretischen Menschen", als bertrieben zu betrachten, wie z. B. in seiner Anrufung Schopenhauers und insbesondereKants, der die Grenzen der wissenschaftlichen Vernunft mit dem "Rstzeugder Wissenschaft selbst" artikuliert (GT 18, KSA 1, S. 118), wenn wir diesePunkte ablehnen oder einfach auer Acht lassen: wie die Logik, wie wir esschon am Anfang betont haben, um sich selbst kreist, bis sie "endlich sich inden Schwanz beisst" (GT 15, KSA 1, S. 101) usw. Ich habe auch die Be-harrlichkei t des Vorurteils aufgezeigt, dass Nietzsche, der - anscheinend unddeshalb sehr hufig bemerkt - nur wenig von Wissenschaft un d noch weniger von Mathematik verstand, sich kaum auf diesem Gebiet habe bewhren knnen. Nietzsche wendet sich also, mit oder ohne seinen Zarathustra, an Laien, die es gewohnt sind, Experten innerhalb derNaturwissenschaften ausschlielich Verehrung entgegenzubringen. Dennnur der Experte verfgt ber Kompetenz. Oder so scheint es uns zum indest.So fahren wir in der Unterstellung fort, Nietzsche irre, wo er von Wissenschaft spricht. Und lesen also seine Betrachtungen zur Moralphilosophieoder Kunst oder gelegentlich Politik, und whnen uns zugleich davon befreit, uns mit seinen Auffassungen von Wissen, Wahrheit un d speziellWissenschaf t zu befassen. Also doch: Nietzsche lag in diesen Dingen ralschund wir versuchen lediglich ihn in der Vorstellung zu lesen, er !?nnte richtiggelegen habe n.

    Dass solche Vorurteile nur schwer zu brechen sind, liegt in der Natur desVorurteils. Aber selbst nach den etablierten Termini der "allgemein akzeptierten" Ideen- oder Wissenschaftsgeschichte, ist historisch betrach tet nichtsfalsch an Nietzsches Beobachtung, dass ber die

    47 I ndiesem Zusammenhang siehe B. Babich, ,Thus Spoke Zara h ustra'. Nietzsehe andHermeneutics in Gadamer, Lyotard, and Vattimo, in :JeffMalpas LI. Santiago Zabala(Hg.), Consequences of Hermeneutics, Northwestern University Press 2010.

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    15150 Babette BabichletztenJahrhunderte die Wissenschaft gefrdert [wurde] , theils weil man mi t ih rund durch sie Gottes Gte und Weisheit am besten zu verstehen hoffte [.,.] (wieNewton) [.. . ] theils weil man an die absolute Ntzlichkeit der Erkenntnissglaubte, namentlich an den innersten Verband von Moral, Wissen und Glck(wie Voltaire). Theils weil ma n in der Wissenschaft etwas Selbstloses, HarmSich-seIber-Gengendes,wahrhaft Unschuldie:es z u haben und zu liebenmeinte, an de m die bsen Triebe des Menschen berhaupt betheIligt selen[.. . ] der sich als Erkennender gttlich fhlte [Spinoza]

    Fr Nietzsche gbe es die modernen mitsamtan technischen Fortschritten, die viele von uns als fr mi t der Wissenschaftidentisch halten, nicht, "wenn ihnen nicht die Zauberer, Alchymisten, Astrologen und Hexen vorangelaufen wren als die, welche mit ihren Verheissungen und Vorspielungen erst Durst, Hunger und Wohlgeschmack anverborgenen un d verbotenen Mchten schaffen mussten" (FW 300).49

    : .....r. ..:crh betrachtet ist auch nichts Falsches an seiner berlegungin wissenschaftliche Revolutionen unddeckungen involviert zu sein, sondern in ihre Gleichfrmigkeitspezifische Weise des Fortschritts, also

    48 Es gibt eine wichtige Tradition in der Geschichte der Wissenschaft, vorbereitetinsbesondere durch Frances Yates und Betty Jo Teeter Dobbs sowie heute und geradein letzter Zeit u. a. Lawrence Principe, die die berwiegend alchemistische Basisdessen erforscht hat, was Nietzsche die "Vorspiele der Wissenschaft" (FW 300)nennt und unseren allzu menschlichen, allzu alexandrinischen, wie wir sagenknnten, Geschmack an magischen und geheimnisvollen Krften, ein Geschmack,als Hemmnis oder Vorurteil herausstellt als vielmehr als unabultivierung nicht so sehr des Gedankens oder der theoretischen Konder Naturwissenschaft als eben praktischer Techniken. den i i inaprpnpopulren Beitrag von Arth ur Greerlberg,and Story, Cam bridgeChemistry, and the Scientific Revolution, Cambridge 2005 ebenso wie diestellung gesellschaftlicher Fortschri tte von Allen G. Debus (Hg.), Alchemy and EarlyModern Chemistr y: Papers fromAmbix, Huddersfield 2004. Fr weitere Hinweisevgl. Principe, The Aspiring Adept.49 Wie unter anderen der Wissenschaftshistoriker Peter Dear Nietzsches Geschichteder Wissenschaft (welche Nietzsche als eine Geschichte der " Irrtmer" be2,el(:hnlet)erhrten kann, dass die Grnde fr das Streben der Wissenschaft in der Vergansowie die Wertschtzune: des wissenschaftlichen Obiektes in Antike und

    Eamon Nietzsches Auffassung von den alchemistischen u nd verbotenender Wissenschaft"; vgl. William Eamon , Science and the Secrets ofNature:Secrets in Early Modern Culture, Princeton 1996 und Dear, The Intelligibility ofNature.

    Das "Problem der Wissenschaft"ermittelt, die Stand haI te n und die immer wieder den \..Jruna zu neuenErmittelungen abgeben-es knnte ja sein!" (FW 46) Tatschlichdie schiere Mglichkeit einer wissenschaftlichen Revolution und das Wesendes Wandels, der Teil solcher Revolutionen wre, genau das, wassein knnte, worauf sich wiede rum bezieht. In dieser Hinsichtverwandelte Einstein die Naturwissenschaften, transformierte Gdel

    Mengenlehre in Philosophie usw. 50 Abgesehen vonin Einmitzentralen, und das bedeutet nichts weniger, alS aass er LAUl1Hn.... -...'torischen, die gesellschaftlichen, ja alltglichen ,Fakten' Seitehat. Nietzsches Anliegen ist, wie das Philosophen, der ber Wissenschaft nachdenkt, solche faktischen Details zu verstehen und zu interpretieren.Vor allem fllt Nietzsche dabei auf, dass die moderne Wissenschaft, diesich ursprn glich gegen die Religion richtete , selbst den Status einer Religion

    51 Daher bezeichnet er christliche Urteil ber Wissenzweitem Range, nichts Letztes, (FW 123). Wenn die Wissenschaft im Altertum als "das Tugend" (ebd.) gepriesen wurde, verlangt die beispiellose . . L a ~ " a " ' H , " " moderne Wissenschaft jenseits einer solchen Beziehung zur Vollkommenheit der Tugend "mehr sein will als ein Mittel" (ebd.), nach Nietzsche einer weiterfhrenden historischen Reflexion. 52

    Wie feinfhlig er hinsichtlich Geschichte auch sein mag Nietzsehedie Wissenschaftsglubigen unter uns nur irritieren, wenn wir bei ihm

    50 Siehe weiter B. Babich, Continenral l l I lU . )UPl l ' y of Science: 1 930. in:Keith Ansell-Pearson (Hg,), New Three: of Continental Philosophy, Chesham, UK 2010.51 Diese noch heute schwer zu sehende Verwandtschaft hat immer wiederzur Kenntnis genommen. Siehe dazu Paul Valadier, Science as Religion, in:Babich u. Cohen (Hg.), Nietzsche and the Sciences II, S. 211-2'52,52 In diesem Geiste charakterisiert Dear speziell die moderne Wissenschaft (die, wie CI'festhlt, von gegenwrtigen Forschern oft als "Techno-Wissenschaft" beschriebenpraktischen oder anwendunf!sorientierten Charakter hervorzuhe

    dener als Nietzsche, diesen Punkt mit einer geWIssen er in seinen verschiedenen frheren Bchern trotz wlederholter sprliche Resonanz gestoen war.

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    15352 Babette BabichMathemat ik Wir wollen die Feinheit und Strenge der Mathematik in alleWissenschaften hineintreiben, soweit diess nu r irgend mglich ist, nicht imGlauben das wir au f diesem Wege die Dinge erkennen werden, sondern umdamit unsere menschliche Relation zu den Dingen festzustellen. Die Mathe-matik ist nur das Mittel der allgemeinen un d letzten Menschenerkenntnis. (FW246)

    Mit diesen Worten wiederholt und verfeinert Nietzsehe nur seine frhereKritik an de r Idealisierung der Natur als einem Ausdruck des Gttl ichen perse: "Wann werden wir die Natur ganz entgttlicht haben! Wann werden wiranfangen drfen, uns Menschen mit der reinen, neu gefundenen, neu erlsten Natur zu vernatrlichen !" (FW 109) Wir missverstehen diesenPunkt, auch wenn es eine ziemlich populre Fehldeutung gewordenwenn wir Nietzsches ,vernatrlichte' Menschlichkeit fr Naturalismus imheutigen Sinne halten und unabhngig von seinen kritischen Betrachtungenwissenschaftlicher Erkenntnis als einem Mittel fr die Vermenschlichungder Natur: "Es ist genug, die Wissenschaft als mglichst getreue Anmenschlichung der Dinge zu betrachten, wir lernen immer genauer unsselber beschreiben, indem wirdie Dinge und ihr Nacheinander beschreiben"(F W 112) - und dabei lgen, sowohl konventionell (Herde) als auch (wiepraktisch!) in Bezug auf uns selbst.Nichts davon bedeutet, dass Nietzsehe selbst von der Wissenschaftunberhrt blieb. Er hat sich selber als Wissenschaftler betrachtet; demzufolge schreibt er im Namen der Wissenschaft und bezeichnet seine ursprng licheArbeit innerhalb der Klassischen Philologieals wissenschaftlich,ebenso wie er die wissenschaftliche Atmosphre als sein ureigenstes Elementbegreift: "U n s e r e Lu f t Wi r wissen es wohl: wer nur wie im Spazierengehen einmal einen Blick nach der Wissenschaft hin thut, nach Art derFrauen und leider auch vielen Knstlern ... " (FW 293). Aber zugleich zeigtNietzsehe sich von der Wissenschaft nicht eingeschchtert und hlt eher imKantischen Sinne dafr, dass eben diese kritische Sichtweise den Schlssel zuihr bildet. So variiert er eine Sichtweise Vicos: "Wir erst haben die Welt, di eden Menschen etwas angeht, geschaffen!" (FW 301)

    Im fnften Buch der Frhlichen Wissenschaft, fnf Jahre nach Abschlussdes vierten Buches verfasst, kehr t Nietzsehe zu de r kritischen Frage nachberzeugungen zurck, genauer zu den Vorurteilen, die der wissenschaftliche Geist eigentlich ausschlieen sollte. Aber das Prob lem ist, dass "auch dieWissenschaft au f einem Glauben [ruht], es giebt gar ,voraussetzungslose' Wissenschaft" (FW 344). Es kann sie auch nicht geben. Ohneirgendwelche Annahmen, seien sie nun mythischer oder axiomatischer Art,ohne philosophische Voraussetzungen, kann es fr die Wissenschaft keinen

    Das "Problem der Wissenschaft"Ausgangspunkt geben. Nietzsehe ist noch radikaler: "DieWahr hei t noth thue, muss nicht nur schon bejaht, sondern in demGrade bejaht sein, dass der der Glaube, die Ueberzeugung darin zumAusdruck kommt, ,es thut nichts m r noth als Wahrhei t , und imVerhltniss zu ihr hat alles Uebrige nur einen Werth zweiten Rangs'."

    Der Glaube an den Wert der Wahrhe it somit an erster Stelle. Diesiederholt eines seiner frhesten und bleibensten Anliegen. Knnte der",Wille zur Wahrheit''', so deutet Nietzsehe an, nicht "ein versteckterzum Tode sein?" (Ebd. ). Vor allem istes eine grundlegende undberzeugung der Wissenschaft, sie sei gerade dadurch ausgezeichnet, dasssie mehr darstelle als ein Ausdruck der ,Anmenschlichung'. Das zeigt sichNietzsehe in

    Glauben, mi t dem sich so viele materialistische Naturforscher zugeben, dem Glauben an eine Weh, welche im menschlichen Denken, inmenschlichen Werthbegriffen ihr quivalent un d Maass haben soll, an eine,Welt der Wahrheit', der man mit Hlfe unsrer viereckigen kleinen Menschenvernunft letztgltig beizukommen vermchte. (FW 373)Dennoch verficht Nietzsehe: "Eine ,wissenschaftliche' Welt-Interpretationknnte [ .. ] immer noch eine dm msten, das heisst sinnrmstenaller mglichen Welt-Interpretationen sein. (FW 373) Irritierend odernicht (Wissenschaftler neigen wie gesagt dazu, solche E r k l ~ i r u n g e n als persnliche Angriffe zu verstehen) - Ni etzsches Behauptung ist nicht gegenWissenschaft ode r Wissenschaftler gerichtet. Es hande lt sich im Grunde umdie Einsicht Occams, verpackt in aufgeklrte, moderne, kritische, aberebenso lehrhafte Begriffe: denn "eine essentiell mechanische Welt wre eineessentiell sinnloseWelt!" (Ebd.) Aufdiese Weise kann Nietzsehe dafrdass der mechanistische Reduktioni smus (und bedeutet L" ... 5 " - - ' ~ H formalistische Vorgehen de r Wissenschaft) das Ziel des Verstehens unte rminieren kann. Und um dies zu erlutern, gibt er uns mit Blick auf seinefrhere Hinweise auf die "Chladnischen Klangfiguren"53 ein Beispiel, das,53 Siehe WL 1, KSA 1, S. 879. Vgl. Ernst Florens Friedrich '-"uuU'' ' 'ber die Theorie des Klangs sowie mir systematischerje nach Ton, ausgetattet Chladni, Diedie Physiker Michael Faraday, Uber eine elgemhmlakustischer Figuren, und ber gewisse Formen, welche Gruppen von Theilchen aufschwingenden elastischen Flchen annehmen, in: Annalen der Physik und Chemie,Bd. 102, Sr 2 (1832), S. 193-251 plus Tafel VI sowie Hans Christian 0rsted, Onin: SelectedSciemific Works of Hans Christian 0rsted, hers. von

    u. Oie Knudsen, Princeton NJ 1807, S. 261 f. Siehedazu Ernst H. Weber u. Wilhelm Weber, Wellenlehre auf Experimente gegrndet,

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    15554 Babette Babichwenn wir an die heutige Psychologie (und nicht nur an diese) denken,immer sein Gewicht behlt: "Gesetzt, man schtze den Werth einer Musikdarnach ab, wie viel von ihr gezhlt, berechnet, in Formeln gebracht werdenknne - wie absurd wre eine solche ,wissenschaftliche' Abschtzung derMusik! Was htte man von ihr begriffen, verstanden, erkannt! Nichts, geradezu Nichts vo n dem, was eigentlich an ihr ,Musik' ist! .. . " (Ebd.)54

    Es handelt sich dabei um ein zu Recht bestechendes Bild: Was ist die,Musik' an der Musik? Was hat die Wissenschaft uns in dieser Hinsicht zusagen ?55 Die Klangfiguren bieten uns nichts weniger als ein Bild: Man kannau fdiese Weise sehen, wassonstnurzu hren ist. Hervorgerufen durch die denjeweiligen Tnen entsprechende akustische Welle knnte man wohl derFantasie nachhngen, dass mittels dieser Formen eine Tauber "hren"knnte, beinahe, wie Nietzsehe es ausdrcken wrde, mit dem Auge.

    Wie eine "gezhlte, berechnete, in Formeln" gebrachte Musik ist auchdas durch mechanistische Begriffe zum Ausdruck gebrachte Ideal der Objektivitt; daher schreibt Nietzsehe ber" unser neues Unendliches",dass "der menschliche Intellekt bei dieser Analysis nicht umhin kann, sichselbst unter seinen perspektivischen Formeln zu sehn und nur in ihnen zu. "Wir knnen nichtum unsre Ecke sehn [ .. ]. " (FW374) Der Schluss,Leipzig 1825 und allgemein zu akustischen Vibrationengestalten, Mary Waller,Chladni Figures, A Study in Symmetry, London 1961. Neuerdings sind die Figurenin der Mikrowelt wieder von Interesse, vgl. M. Dorrestijn, A. T. AS;lkalm, A.Raman, M. Hegner, E. Meyer u. Ch. Gerber, Chladni Figures Revisi ted Based onNanomechanics, in: Physical Review Letters, Bd.9812, 2, 2007, S.026102-1026102-4. Jenseits der Physik, etwa fr eine historische Untersuchung der Metaphe roder bertragung in die Physiologie und die Wirkung derselben in der Naturwissenschaft, siehe Laura Otis, The Metaphoric Cir cuit: Organic and TechnologicalCommunication in the Nineteenth Century, in: Journal of the History of Ideas,2002, S. 105 -128. Otis schliet, obgleich eher analytisch gesinnt, sogar einenHinweis auf Nietzsche ein (ebd. S. 125 f.). Eine weiterfhrende und grndlicheUntersuchung findet man bei Thomas Hankins u. Robert Silverman, Instrumentsand the Imagination, Princeton 1999.54 Man knnte meinen, dass wir diesen Punkt Nietzsches begriffen haben; die Tendenzzur Quantifizierung in fast allen Bereichen, in der Musikwissenschaft nicht wenigerals in der politischen Theorie, Soziologie oder Philosophie deutet jedoch auf andereshin.55 Am nchsten kommt hier noch Ado rno wenn er die Grenze der Notation bespricht,das heit einer notierten, jedoch nie getnt habenden Musik. Vgl. Adorno zuChladni und Ritter in: Nadelkurven, in: Gesammelte Schriften, Frankfurt am MainBd. 19,5. 525-529 sowie: DieFormderSchallplatte,in:ebd.,S. 530-534.im Allgemeinen vgl. Mark Katz, Captur ing Sound: How Technology Has ChangedMusic, Berkeley 2004.

    Das "Problem der Wissenschaft"den Nietzsehe aus dieser Einsicht ist keinePerspektive, sondern die sehr wissenschaftliche Bescheidenheitschrnkung.Nietzsches wissenschaftlichste, kritischste Hoffnung ist diedenke, wir sind heute zum Mindesten ferne von derUnbescheidenheit, von unsrer Ecke aus zu dekretiren, dass man nur vondieser Ecke aus Perspektiven haben d r fe. " (Ebd.) Ich diese Perspektive der Perspektive einmal als Nietzsches "perspectivalism" oder "meta-Perspektivismus" bezeichner56 und es ist dieser meta-perspektivischeperspektivistische noch relativistische) Blickwinkel, der Nietzsehe sagen lsst:"Die Welt ist uns vielmehr noch einmal ,unendlich' geworden: insofern wirdie Mglichkeit nicht abweisen knnen, dass sie unendliche Interpretationen in sich schliessr." (Ebd.) Derselbe [ M e t a - ] P e r s p e k t i ~ mus kommt zum Ausdruck, wo Nietzsche hinsichtlich des "Bewusstseins derLebewesen" anmerkt, dass "die Welt, deren wir bewusst werden kn nen, nureine Oberflchen- und Zeichenwelt ist, eine verallgemeinerte, eine vergemeinerte Welt, - dass Alles, was bewusst wird, ebendami flach, dnn, relativdumm, generell, Zeichen, Heerden-Merkzeichen wird" (FW 354), ebensowie er behauptet, dass alles, worber gesprochen wird, durch die \["'1"''' ' ' ' ' ' 'dung eines und desselben Zeichens nivelliert

    Indem er erklrt: "Wir haben eben gar kein Organ fr das Er k e n ne n "(ebd.), fordert Nietzsche uns auf, ber das, was wir fr Wissen halten,nachzudenken, was die Frage nach sich zieht, was Wissen aus einerkaIe ren Perspektive betrachtet sein knnte;philosophische Perspektive au f die Frage nach dem Wissenvon der Antike bis zu Kant zu werfen. Aus dieser kritischen Perspektive bedeutet der Anspruch zu wissen oftsch licht und einfach, dass etwasFremdes "auf etwas Bekanntes zurckgefhrt [ .. ]" wird (FW

    Die askesis WissenschaftIn Zur Genealogie der Moral: Eine Streitschrift gehttisierungen der Sklaven-Moral, ihre Einschrfung von Schuldelliptisch, die gnzliche Undefinierbarkeit des souvernen56 Siehe Nietzsches eigene Diskussion dieses Aspektes in seiner Genealogie der Moral;vgl. auch Babich, Nietzsche's Philosophy of Science, S. 46 ff.57 Hannah Arendt verweist in The Human Condition auf die

    sches Betonung des Versprechenknnens und der Souvernitt. h ~ o d Q " , r l ,

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    156 Babette Babichan. Von Anfang an macht sein Programm deutlich, worin erdieGefahren desasketischen Ideals sieht. Wie der Hinweis au f den alexandrinischen, gegendas Leben gerichteten Aspekt verdeutlicht haben sollte, korrespondiert dasasketische Ideal der modernen und vernunftorientierten Empfnglichkeitunseres gegenwrtigen wissenschaftlichen Zei alters.Obgleich wir ihn von Nietzsches Kritik her kennen, wird dieser Aspektder Sicherheit, Gebo rgenheit und Zweckmigkeit sonst weder aus einermoralischen oder kulturellen, geschweige denn religisen oder pdagogischen Perspektive mit dem asketischen Ideal verbunden, es beruht au fdieser konservativen Vernunft, dass Nietzsche behauptet, das asketischeIdeal habe uns "die Gesundheit und den Geschmack verdorben" (GM III 23,KSA 5, S. 395) und, wie er andeutet, eigentlich alles andere

    Das Prob lem ist bekanntl ich, dass das asketische Ideal alle Widersprchedes Lebens ausschliet: "es glaub t daran, dass Nichts auf Erden von Macht dadas nicht von ihm aus erst einen Sinn, ein Daseins-Recht, eine n Werth zuempfangen habe, als Werkzeug zu seinem Werke, als Weg und Mittel zuseinem Ziele, zu Einem Ziele." (Ebd.) Wir erkennen "geschlosseneSystem von Wille, Ziel und Interpretation" als fr die Religion charakteristisch wieder, und Nietzsche ist der Auffassung, dass dieser geschlosseneSystem charakter aufgleiche Weise die Wissensc haft auszeichnet. Aber ebendiese Parallele zur Wissenschaft ist das, was immer wieder Verblffunghervorruft: man unterstellt, die Religion das asketische Ideal auf exemplarische Weise darstellt, un d man unterstellt auch, dass die Wissenschaftdieses Ideal als seinen erfolgreichsten und lngsten Widersacher buchstbin der Luft z e r r e l l ~ t . Nietzsche, der in den ersten beiden Abhandlungen der Genealogie derMoral das asketische Ideal zweier historischer Epochen (der antik-mittelalterlichen ra sowie der frhen Neuzeit) kritisch hinterfragt, meint in derdrittenAbhandlungdie Vorherrschaft e ben dieses asketischen Ideals auch imkulturellen Leben der Gegenwart, der modernen Gesellschaft, voll und ganzaufweisen zu knnen. Wir knnen allerdings und natrlich httensich das alle seine fragen knnen: War das die Mhe wert? Htte

    Mhe machen sollen? Ist der Geist nicht schon in alle Bereichevorgedrungen? Sind wir nicht die Kinder einer erfolgreichen Aufklrung?Wissen wir es nicht besser?Dana Villa und andere haben Arendts Nietzsche-Deutung erst krzlich ihre Aufmerksamkeit geschenkt, aber das Thema ist kontrovers, nicht nur aufgrund derKomplexitt von Nietzsches Kontext, sondern auch, weil Arendt hier Andeutungber Andeutung schichtet.

    Das "Problem der Wissenschaft" 157Wir sind mehr als davon, die Antwort diese Fragen zubesitzen. Sc hon Nietzsche verfasst den gesamten dritten Teil der Genealogie

    der Moral als eine ausgedehnte Wiederholung seiner Behauptung,wie er im Vorwort zu diesem Text mehr oder weniger "Un2:euDt 111der Kunst Lesens sind. 58Da dies bereitspasseist, kann m an leich t unterstellen, das asketische

    sei ein Problem vergangener Generationen gewesen, zu Nietzsches Zeitenvielleicht das des frhen 19. Jahrhunderts, heute wrde man sich au fgesamte 19. Jahrhundert beziehen. Deshalb sprechen w