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Hirmer SM B Staatliche Museen zu Berlin BABYLDN WAHRHEIT Eine Ausstellung des Vorderasiatischen Museums Staatliche Museen zu Berlin mit Unterstützung der Staatsbibliothek zu Berlin Herausgegeben von [oachirn Marzahn und Günther Schauerte in Zusammenarbeit mit Bernd Müller-Neuhof und Katja Sternitzke Eine Ausstellung unter der Schirmherrschaft des Bundesministers des Auswärtigen Frank-Walter Steinmeier

Babilonia

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Historia Antigua

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HirmerS MB Staatliche Museenzu Berlin

BABYLDNWAHRHEIT

Eine Ausstellung des Vorderasiatischen MuseumsStaatliche Museen zu Berlin

mit Unterstützung derStaatsbibliothek zu Berlin

Herausgegeben von[oachirn Marzahn und Günther Schauerte

in Zusammenarbeit mit Bernd Müller-Neuhofund Katja Sternitzke

Eine Ausstellung unter der Schirmherrschaftdes Bundesministers des Auswärtigen

Frank-Walter Steinmeier

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AS BABY'LDNISCHE KÖNIGTUMGebhard J. Selz, Wien

Die Bedeutung des ThemasAls Jacques de Morgan (1857-1924) 1902, nur drei Jahre nachdemRobert Koldewey (1855-1925) seine Ausgrabungen in Babylori be-onnen hatte, mit einer französischen Expedition in Susa die so-genannte Gesetzesstele des Hammurapi auffand, rückten die An-:änge des babylonischen Königtums endgültig in den Blick derÖffentlichkeit. Die Stele hatte der südwest-iranische (elamische)Herrscher Schutruk-Nachunte im 12. Jahrhundert v.Chr. mit zahl-reicher Beute nach Susa verschleppt, ein frühes Zeugnis für das-'-echselspiel von Kultur- und Machtpolitik. Mehr und mehr wur-Gen nunmehr nicht allein die biblischen Berichte und andere auscer Antike überlieferten Nachrichten, sondern v.a. die durch He-rodots Babuloniaca erheblich beeinflussten Auffassungen über diefrühe Geschichte des Zweistromlandes in geradezu revolutionärer-"eise überprüfbar und modifizierbar, Auch die noch in ihrer Pio-aierphase steckende, kaum fünfzig Jahre alte Wissenschaft der As-syriologie bekam, inmitten zahlreicher »Sensationen«, mit derHammurapi-Stcle eine neue Quelle von noch heute unschätzba-rer Bedeutung. Auch wenn die Erforschung der altbabylonischen::='pochedurch Funde aus Babylori selbst aufgrund des hohenGrundwasserspiegels nicht befördert wurde, so machten doch-=-extfundeaus anderen Ausgrabungsorten deutlich, wie in Baby-_on - ursprünglich allenfalls eine mittlere Residenzstadt - durch:::amm~rapi die Grundlage für eine der bedeutendsten Metropo-.en der antiken Welt gelegt wurde. (Abb. 37)

Das Interesse daran, wer dieser herausragende König war undauf welchen Konzepten sein Königtum beruhte, hatte einen ak-nellen Hintergrund. Die monarchische Tradition des abendlän-aschen Gottesgnadentums war - trotz der durch Friedrich denCroßen erfolgten prinzipiellen Abkehr davon - an der Wende

20. Jahrhundert noch durchaus lebendig. Die Frage nach dem=esopotamischen bzw. assyrischen und babylonischen Königtum-.::J.dseinen jeweiligen besonderen Ausformungen in Verbindungit den oft sagenhaften Nachrichten über noch ältere Herr-

scherpersönlichkeiten der »Staaten von Sumer und Akkad« besaß=-=.sodurchaus noch politische Relevanz. Darüber hinaus ist der~tische Blick auf die geschichtlichen Akteure und die Begrün-::!:lllgihres Handeins letztlich eine staatsrechtliche Problematik

und nicht nur für die Geschichtsschreibung des 19. [ahrhunderrsvon herausragender Bedeutung. Man kann sogar sagen, dass- trotz der vielfach veränderten Perspektiven innerhalb der Ge-schichtsschreibung - die res gestae, die »Taten« gesellschaftlicheFührungen noch immer ein bedeutsames geschichtliches For-

schungsfeld darstellen.Es war also keinesfalls nur die Orientbegeisterung von Kaise

Wilhelm 11., die sich übrigens selbstverständlich ebenfalls -einem politischen Rahmen entwickelte, gewiss auch nicht nur derzeitweilig die Tagespresse beherrschende Streit um die altorien-talischen Hintergründe der biblischen Erzählungen (der soge-nannte Babel-Bibel-Streit, siehe den Beitrag von Klaus Herr-mann/Tal Ilan in diesem Katalog), sondern es war ganz allgemeidie Frage nach der Legitimation monarchischer Herrschaft, überdie hier älteste Nachrichten ans Licht gekommen waren. Noch inseinen späten Lebensjahren im Exil setzte sich der Kaiser selbsin der Schrift Das Koniqtum im alten Mesopotamien durchaus kennt-nisreich mit den altorientalischen Traditionen auseinander.

Der Platz der babylonischen KönigsideologieIm Zentrum der nachfolgenden Betrachtungen stehen die ideo-logischen Aspekte des babylonischen Königtums und der Versuch,seine weitreichende historische Bedeutung zu skizzieren. AlleIdeologie steht jedoch mit ganz konkreten Daseinsbedingungenin unauflöslicher Verbindung. Dies betrifft die natürlichen Grund-lagen und das technische Niveau einer Gesellschaft ebenso wiedie verschiedensten Bereiche sozialer Organisation. Es scheint un-bestreitbar, dass auch die Spitze eines politischen Systems, wie allenatürlichen, sozialen und ideologischen Bereiche, nur schwerisoliert betrachtet werden kann, da diese verschiedenen Aspektefortwährend aufeinander einwirken, also in einem dialektischeVerhältnis zueinander stehen. Wünschenswert ist daher ein his-torischer Blickwinkel, der von genauester Einzelbeobachtung biszum Versuch der Beschreibung von (vermeintlichen) Konstante.oder Gesetzmäßigkeiten in der historischen Entwicklung reichenkann. Das babylonische Königtum ist sicher ein solches »makro-historisches« Phänomen, und die Beobachtung von Parallelen __Herrschaftskonzepten unseres Kulturkreises ist gewiss erhe.iecc,

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BONISCHE KÖNIGTUM

-37 Kopf einer Herrscherstatuette, sog. Kopf des Hammurapi [Kat, 7)

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Abb.38 Inschriftkegel mit einer Rezension der SumerischenKönigsliste (Kat. 41)

Sie kann jedoch differenzierte Einzelbetrachtungen, auch wennsie im vorliegenden Rahmen nur sehr eingeschränkt möglich sind,nicht ersetzen.

In Mesopotamien finden wir zu Beginn des 2. Jahrtausendsv. Chr. bereits eine Fülle von teils recht verschiedenen Antwortenvor, die sich die Menschen seit vielen Jahrhunderten in der Aus-einandersetzung mit ihrer Umwelt erarbeitet hatten. Am auffäl-ligsten ist zunächst eine zunehmende Individualisierung, die na-hezu sämtliche Bereiche der Gesellschaft, Religion, Wirtschaftund Politik erfasste. Kaum überraschend ist daher, dass in dem inder Geschichtsschreibung ausführlich diskutierten und bearbei-teten System der Wirtschaft der Rolle des Individuums eine vor-nehmliche Bedeutung zukommt. Besonders bemerkenswert sindin der altbabylonischen Epoche der zunehmende Umfang könig-lichen Landbesitzes, die direkten Eingriffe des Herrschers in des-sen Verwaltung und die dadurch gewonnene Möglichkeit, dendem König verantwortlichen Beamten- und Militärapparat über:.Versorgungsfelder« zu entlohnen und so dauerhaft an das Herr-scherhaus zu binden. In Babylonien konnte man dabei auf Mo-delle aus der altakkadischen Tradition (ca. 2334-2193 v.Chr.) zu-

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Abb.39 Inschriftkegel des Uru-inimgina mit einem Text überSozialreformen (Kat. 40)

rückgreifen: Der Prozess der Individualisierung, die Frage des Zen-tralstaates, die fortschreitende Verrechtlichung und die erhöhteBedeutung von Familie und persönlicher Loyalität gewannenschon seit Jahrhunderten zunehmende Bedeutung. Die altbaby-lonische Gesellschaft fußte hier auf altakkadischem Vorbild, in-korporierte aber auch ältere sumerische Konzepte. Dies gilt selbstfür jene königlichen Edikte, mit denen die altbabylonischen Kö-nige zur Abwendung der durch individuelle Überschuldung ent-standenen ökonomischen Krisen in die bestehende Rechtserdnuneingriffen. Analoge Maßnahmen sind unter dem altsumerischenHerrscher Uru-inimgina' bereits vor der Mitte des 3. [ahrtausencsv. Chr. bezeugt. (Abb. 39) Am folgenreichsten für die weitere ge-schichtliche Entwicklung war vielleicht die Etablierung einer »Pa-lastwirtschaft« in der altbabylonischen Zeit, die den tendenzielleund bis in unsere Gegenwart hinein wirkenden Antagonismusvon Palast und Tempel dauerhaft etablierte.

Die Rolle der naturräumlichen Konstanten, die Rohstoffarmutund die Abhängigkeit von künstlicher Bewässerung, kann in ihrerBedeutung für die Geschichte Babyloniens nicht hoch geal1gveranschlagt werden. Allein die Antworten der babylonische-

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S BABYLONISCHE KÖNIGTUM

Abb. 0 Detail des Codex Hammurapi (Kat. 134)

GeseJschaft hierzu sind wesentlich vorgeprägt durch die über-~'o~enen gesellschaftlichen und ideologischen Systeme, die Tra-- uon, Spezifische Veränderungen erfolgten hier in der altbaby-::!sc en Zeit wohl v.a. durch die von einer neuen semitischen

~ -ö~erungsschicht, den westsemitischen Amurritern, einge-:..~ . ten Konzepte. Es ist vielleicht nur wenig überspitzt formu-~ ~enn man feststellt, dass mit dieser Bevölkerungsgruppe tri-~--: - . urelemente in vielen Bereichen der Gesellschaft einen- =--;;'C!52::>endenEinfluss gewannen. Hammurapi selbst stammte;:.-= =::1a::nurritischen Milieu. Dass er sich in durchaus kompe-:=:e:: T-eise oersönlich um das Funktionieren seines Staates be-=:::':e. ::ci in einmaliger Weise die umfangreiche überlieferte:: ::::-=S?O.:J.ce mit seinen Beamten, die die eher traditionellen--- =-_~e.::lQuellen, die offiziellen Repräsentations- und Weih-

e irtschafts- und Rechtsurkunden sowie die lite-~ reliaiösen und (vor)wissenschaftlichen Texte hervorra-

Der »König der Gerechtigkeit«Auch forschungsgeschichtlich von höchster Bedeutung war undist die auf der genannten Hammurapi-Stele eingemeißelte In-schrift, die fast zwei Drittel der skulpierten Oberfläche der 2,25

Meter hohen Basaltstele einnimmt. Sie befindet sich unterhalbeines Reliefs, das den König in grüßend-betendem Gestus vor demthronenden Sonnengott zeigt, welcher ihm mit seiner Rechten dieKönigsinsignien entgegenstreckt. (Abb. 40) Diese werden üb li-eherweise als »Ring« und »Stab« angesprochen, Bezeichnungen,auf die noch zurückzukommen sein wird. Eingerahmt von einemumfangreichen Pro- und Epilog, handelt der darunter befindlichezentrale und fast vollständig erhaltene Textteil (Parallelüberliefe-rungen erlauben zusätzliche Ergänzungen) von rechtlichen Rege-lungen, die modern in 282 Paragraphen unterteilt wurden." Siealle beschreiben Vergehen und die dazugehörigen abwehrendenRechtsfolgen in kasuistischer Form. So lautet z. B.§ 109: »Wenn daeine Schankwirtin ist, in deren Haus sich Kriminelle versammeln,und sie diese Kriminellen nicht .packt: und zum Palast führt -dann soll diese Schankwirtin getötet werden.« Es ist bezeichnend,dass dieselben sprachlichen Strukturprinzipien auch in der empi-risch basierten »Vorzeichenliteratur« verwendet werden, die abder altbabylonischen Zeit zur wichtigsten (vor)wissenschaftlichenLiteraturgattung Mesopotamiens avanciert.

Eine Betrachtung des babylonischen Königtums kann ohneRekurs auf die philologischen und archäologischen (ikonographi-schen) Informationen der Hammurapi-Stele nicht auskommen;sie erfolgt hier allerdings ausschließlich unter königsideologi-schem Gesichtspunkt. Es sind die rechtlichen Regelungen, die denAnlass gaben, die Inschrift insgesamt als »Codex Hammurapi« zubezeichnen. Die Beispielhaftigkeit dieser Regelungen - Hammu-rapi nennt sie »rechtleitende Urteile« - wird unterstrichen:

»Einer, dem Unrecht geschah und der einen Rechtsfall hat,möge vor die Stele von mir, dem .König der Gerechtigkeit<,kommen und meine beschriftete Stele (vor)lesen (lassen);meine wertvollen Worte möge er hören und meine Stelemöge ihm den Rechtsfall offenlegen; sein Urteil möge er(er)sehen, sein Herz möge er beruhigen.«

Der Zweck dieser Sammlung von Rechtssprüchen des »Königs derGerechtigkeit« wird im Epilog dann auch in Form allgemeinerGrundsätze formuliert: »Auf dass der Starke den Schwachen nichtunterdrücke, um Witwen und Waisen zum Recht zu verhelfen ... ,habe ich meine wertvollen Worte aufgeschrieben.«

Die Selbst bezeichnung Hammurapis als »König der Gerechtig-keit« beruht, wie auch andere Elemente der babylonischen Kö-nigsideologie, auf einer jahrhundertealten Tradition. Die akkadi-sehe Form des Titels Scharru mischarim entspricht dem schon drei

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Abb·41 Kopf einer Statue des Fürsten Puzur-Ischtar von Mari (Kat. 4)

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AS BABYLONISCHE KÖNIGTUM

.\bb.42 Detail einer Wandmalerei mit Opferzug aus dem Palast des Zimri-Lim in Mari/Syrien (Kat. 9)

jahrhunderte älteren sumerischen Luqal-niq-si-sa, das als Titel des. önigs Schulgi (2095-2047 v.Chr.) bezeugt ist. Dieser nennt sichauch sipa-zi niq-si-sa-da hul-la (»rechter Hirte, über die Gerechtig-kei erfreut«) und verbindet somit das Thema der Gerechtigkeitzai der altüberlieferten Herrschaftsmetapher des Hirten. Wenndann im 2. Jahrhundert n. Chr. der in Phrygien lebende Aberkios~ seiner Grabinschrift sagt, er sei »Schüler eines heiligen Hirten,..oe::- .. e Schafherde weidet«, und zwar eines »mit großen Augen, die~es sehen«, der »mich gelehrt (hat) verlässlichesWissen«, sowirkt-..,.er, für jeden Kenner desAlten Orients unmittelbar einsichtig, die~ e mesopotamische Verbindung von Hirtentum und wahrneh-::::~ gsgebundener Weisheit fort. In der paulinischen Verbindung-' ießlich von itm~111vxcl oLöcioxaAo~, von »Hirtenamt« und=-ehramt«,beeinflussen diese altorientalischen Herrscherepitheta::oc..:: unser heutiges Denken und unsere Bilderwelt.

_-:.:.1 • Ger Gesamttext des Codex Hammurapi hat, wie litera-·~5~chiliche Überlegungen zeigen, einen mehr als drei Jahr-~-=::.e:-e~~eren Vorläufer: Ur- amma,! der Gründer der 3. Dy-

eine auch im Aufbau ganz ähnliche Inschrift

abgefasst, die bis dato allerdings nur bruchstückhaft bekanntgeworden ist.! Letztlich modifiziert und adaptiert aber auchUr-Narnrna noch ältere Überlieferungen, insbesondere die be-rühmten »Restaurationsedikte« des altsumerischen HerrschersUru-inimgina.

Altes und Neues in der babylonischen KönigsideologieFür den legitimatorischen Hintergrund des babylonischen Königssind die in den Inschriften häufigen Selbstbezeichnungen vonentscheidender Bedeutung. Auffällig ist zunächst der Wegfall derexpliziten älteren Konzeption des Königs als einer lebenden Gon-heit. Weder das Gottesdeterminativ noch die Hörnerkrone, diewährend des Reiches der 3. Dynastie von Ur und den frühalt-babylonischen »Übergangsdynastien« von Isin und Larsa die Zu-gehörigkeit eines Herrschers zur Klasse der Götter markierten,werden noch verwendet. (Abb.41) Den Unterschied zeigt folgen-des Beispiel:Während sich König Amar-Su'eria (2046- 2038 v.Chr.)der 3.Dynastie von Ur noch als »rechterllegitimer Gott, Sonnen-gott seines Landes« bezeichnen lässt, heißt es von Hammurapi in

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deutlicher Betonung der Bildhaftigkeit der Aussage nur, er sei die»Sonne von Babylon, der aufgehen lässt das Licht über das LandSumer und Akkad«. Dementsprechend trifft weder seine Be-hauptung, er sei »der Gott unter den Königen«, noch ein damalsgebräuchlicher Personenname etwa der Form »Hammurapi (ist)mein Gott« eine wesensmäßige Aussage über den göttlichen Cha-rakter des Herrschers.

Auch wenn sich viel später dann Nebukadnezar 1. (1126-1104v.Chr.) wieder als »Sonnengott seines Landes« bezeichnet, ist diesv.a. als ein Zeugnis von Traditions bewusstsein zu verstehen. Viel-leicht waren damals die mit solchen Titeln verbundenen Assozia-tionen nicht mehr allzu fern von jenen, die wir mit der Benen-nung Ludwigs XlV. als Roi Soleil verbinden.

Dagegen gewinnt die Betonung der Abkunft, letztlich das dy-nastische Prinzip mit wahrscheinlicher Primogenitur, das im Erb-recht dieser Zeit seine Parallele besitzt, große Bedeutung. Man hatdies sicher zu Recht mit dem tribalen Hintergrund des arnurriti-schen Milieus in Zusammenhang gebracht. Besonders beredtesZeugnis dafür ist die sogenannte Hammurapi-Genealogie, in Wirk-lichkeit ein Text, der den Ahnenkult der Vorfahren des altbabylo-nischen Herrschers Ammi-saduqa (1647-1626 v.Chr.) zum Gegen-stand hat. Ähnliche Befunde bieten auch Texte aus dem ammittleren Euphrat gelegenen Mari, wo Könige amurritischen Ur-sprungs, auch Hammurapis einstiger Verbündeter und späterer Wi-dersacher Zimrilim, erst seit wenigen Generationen sesshaft waren.

Zwar erscheinen Filiationsangaben wie »Hammurapi, derNachkomme des Surnu-la-El, der starke Erbsohn des Sin-muballit«keinesfalls erstmals in mesopotamischen Königsinschriften, jedochhat die These, dass sich hier vor dem Hintergrund postnomadischerGesellschaftsstrukturen ein Legitimationsparadigma dauerhaftneu etablierte, vieles für sich. Unübersehbar angesprochen wirddie königliche »Legitimation des Blutes« auch, wenn Hammurapials »ewiger Same/Spross des Königtums« bezeichnet wird. Beianderen Herrschertiteln scheint sich die - allerdings bereits aufaltakkadische Traditionen zurückgehende - Tendenz der Säkula-risierung der königlichen Legitimationsstrategien fortzusetzen:Wenn sich Hammurapi »Starker«, »heldenhafter König« oder»Weiser«, »Befrieder aller vier Weltgegenden« bzw. »König dervier Weltgegenden« nennt, dann bleibt der religiöse Charakterdieser Aussagen oft undeutlich.

Wichtige Themen der babylonischen KönigstitulaturDie angedeuteten Säkularisierungstendenzen in der Titulatur- sie haben ihre Entsprechung im oben skizzierten gesellschaftli-chen Befund - können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in denSelbstprädikationen der babylonischen Herrscher der religiösen

DAS BABYLDNISCHE KÖNIGTUM

Legitimationsstrategie nach wie vor höchste Wichtigkeit zu-kommt. Am ausführlichsten dokumentiert dies die Hammurapi-Stele. Etwas vereinfacht lassen sich nach ihr die Herrschaftsvo-

raussetzungen babylonischer Könige, wie sie in deren Inschrifteverschiedentlich variiert und konkretisiert werden, thematischetwa so gruppieren:

1. Der Herrscher ist der »Hirte der Schwarzköpfigen«(Letzteres eine alte Selbstbezeichnung der Bewohner dessüdmesopotamischen Sumer).

2. Er ist Baumeister und Ausstatter sowie Haushälter vonHeiligtümerniKultzentren, aber auch von Kanälen unddamit Sicherer des Wohlstandes: »der aufhäuft Hülle undFülle«; das gipfelt - bei Harnmurapi bezeugt - in der Aus-sage »der das Land (wieder) aufbaut«.

3. Er ist kompetent und weise.

Abb.43 Brief des babylonischen Königs Burnaburiasch 11.anden Pharao (Kat. 37)

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Zwei Keulenköpfe als Prunkwaffen, davon einer mit Inschrift des Ulaburariasch von Babyion (Kat. 19, 20)

Er ist Diener - auch Priester - von (verschiedenen) Gott-heiten.

5. Er ist Wahrer kultischer/ritueller Traditionen.6. Er ist Krieger, Starker und Mächtiger und damit auchBeschützer des Landes.

-. Er ist göttlicher Abkunft.=.=: Grunde sind alle diese Herrscherbilder nicht neu, sondern der=esoootamischen Tradition verhaftet und waren zur Zeit Ham-= ra:?isoft schon über eintausend Jahre alt. Obwohl diese Titel- erschiedlichem Maße auch in die assyrische Königsideolo-';e Eingang fanden (insbesondere bei Assurbanipal [668-627-.C"'r l), so ist insgesamt auffällig, dass sich die Tradition in der~ :"-ch e Babyloniens kohärenter zeigt, auch dann, wenn neu

~ -;' -~=ce Yö:"''<erwie die Kassiten (seit dem 16. Jahrhundert-~r s_;i-e cie Aramäer (seit dem 10. Jahrhundert v.Chr.)

=_ - -=--=-= -=-==':::'55;<.!:' cas Leben des Landes und das König-g, die die Kassiten für die ba-

o und das darin ein-

gebettete Königtum besitzen, wird nur selten ausreichend ge-würdigt. Sieberuhte ursprünglich vielleicht auf einem verstärktenLegitimationsbedürfnis der Neuankömmlinge, geht aber auch aufden zeitweiligen Großreichsstatus und die Rolle der Kassiten inder internationalen Politik zurück, wie dies durch die Korres-pondenz kassitischer Könige mit dem äygptischen Pharao, z.B.von Burnaburiasch 11. (1359-1333 v.Chr.) mit Echnaton, doku-mentiert wird. (Abb.43)

Selbst Niederlagen in kriegerischen Auseinandersetzungenkonnten die Vermittlung babylonischer Traditionen nach Assy-rien nicht unterbinden: »Ein ironischer Aspekt des Siegesvon Tu-kulti-Ninurta I. (1244-1207 v.Chr.) über Babylori ist, dass sichunter der assyrischen Beute auch Manuskripte von wichtigenWerken der babylonischen Literatur befanden, die die bereits be-gonnene .Babylonisierung: der assyrischen Kulturbeschleunigte- ein Prozess, der letztendlich dazu führte, dass Assyrien im1. Jahrtausend kaum eine eigene Literatur unabhängig von derbabylonischen Tradition entwickelte.«!

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Bereits zur Zeit des Hammurapi haben viele der in seiner Ti-tulatur anzutreffenden Bilder für die Zeitgenossen gewiss nurnoch metaphorische Bedeutung besessen. Die Gotteskindschaftdes Herrschers etwa, in den vorausgegangenen Epochen zentralfür das Konzept des sumerisch-mesopotamischen Gott-König-tums, war, soweit wir wissen, im Wesentlichen zur puren Meta-pher verblasst. Dies gilt ähnlich für andere dieser Herrschafts-bezeichnungen, die zum Teil aber eine Tradition aufweisen, diegelegentlich noch heute unsere Vorstellungen von Herrschaftformt und deren Ausdifferenzierung sich in den Keilschriftquel-len nachvollziehen lässt.

Im Nachfolgenden werden zwei besonders WirkungsmächtigeHerrschermetaphern des babylonischen Königtums näher be-trachtet: die Metapher des Hirten und die des Baumeisters. Dabeiwird deutlich werden, wie sich die wichtigsten Züge der Herr-scherlegitimation um diese Bilder gruppieren, insbesondere auchder Titel »König der Gerechtigkeit«, d. h. die Auffassung vomHerrscher als (vermittelter) Rechtsquelle und als Rechtsgarant.

Der Hirte

Die Selbstprädikation des Hammurapi als »Hirte« hat auffälliger-weise mehr zu tun mit einer Übernahme von (sumerischen) Vor-stellungen des 3. Jahrtausends v.Chr. als mit dem Ursprung derHerrscherfamilie im Bereich der als Nomaden nach Mesopota-mien eingesickerten Bevölkerungsgruppe der Amurru; vielleichtliegt hier auch der Grund, dass sich dieses Bild so folgenreich inder weiteren Geschichte durchsetzte. Bis heute hat sich diese

Abb.45 Rekonstruktion eines Zepters aus Onyx (Kat. 15)

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Metapher ihre Wirkkraft bewahrt, zurückgedrängt allerdings a .:die Sphäre der Religion. Offenkundig sind die damit verbunce-nen Assoziationen von »Hirten und Herden« bzw. von »Schafendoch politisch schon seit längerem inakzeptabel."

Nun ist zwar nach den mesopotamischen Quellen das Berufs-bild des Hirten Vielfältig: Es kann nach der Gattung der Tiere, jasogar nach deren Alter oder dem Aufgabenbereich spez ifizierrwerden. Keinesfalls lässt sich jedoch in den Inschriften eine Rollenamhaft machen, die seine ideologische Bedeutung einfach er-klärt. Nur in manchen literarischen Texten ist das Hirtenturn fastgleichbedeutend mit dem Königtum; gelegentlich wirdsogar ver-sucht, ein herrscherliches »Hirtenturn« dem Königtum gegen-überzustellen. Ungeachtet dessen erweist sich in der bildlieheDarstellung der Hirte als eine in die Frühzeit zurückreichendeMetapher, deren Bedeutung weniger mit vermeintlichem Klein-tiernomadismus als vielmehr mit der ökonomischen Bedeutunder frühgeschichtlichen Tempelherden zu tun haben dürfte. Diemit dem Hirten assoziierte Aufgabe des Herrschers ist es deshalb,dafür zu sorgen, dass »die Bevölkerung auf den Auen (wie das Viehin Frieden und Wohlbefinden) lagere«. Nicht erst bei Hammurapiist diese Vorstellung mit Schutz und Verteidigung assoziiert. Hir-tenwaffen, Keule und Stab, verweisen seit dem 4. Jahrtausendv.Chr. emblematisch auf diese Funktion des Herrschers. Insbe-sondere die v.a. in der Frühzeit weiterverbreiteten »Keulenköpfecoder »Keulenknäufe«, die sich nicht nur in Mesopotamien, son-dern auch in Ägypten, Palästina und dem Iran finden, sind kon-textuell als Kriegs- und insbesondere als Götterwaffen belegt und

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Abb.46 Ur-Namrna-Stele (Kat. 3)

sind Zeugnis einer sich sukzessive verselbständigenden Bildtradi-tion. (Abb.44)

Zunächst wohl eine eher alltägliche Hirtenwaffe, wird dieKeule durch die Funktion des Hirten als »Hüter der Herde« zumSymbol seiner schützenden Funktion, welche in einer Darstellungdes Zepters ihren bildhaften Ausdruck finden kann. (Abb.45) DerSchutz vor den wilden Tieren verbindet sich dann weiter mit demTypus des Jägers - die Löwenjagd z.B.bleibt bis in die neuassyri-sche Zeit ein zentrales Herrscherritual. Den Schutz vor den ge-fährlichen Bestien verbindet analoges Denken mit der Ideologiedes Krieges, der Abwehr des Feindlichen insgesamt.

Unmittelbar mit dem Bild des Hirten verbunden ist im Bildeder ordentliche Zug der Tempelherden, und dieses Ordnen und Re-geln - sumerisch si-sa, eigentlich »die Hörner (der Tiere) regelmä-ßig ausrichten«, akkadisch schuteschurum, »in Ordnung halten, brin-gen, (ge)recht leiten« - erscheint als das eigentliche Wesen vonHerrschaft. Dabei werden diese Bezeichnungen für Regeln und

Ordnen extensiv gebraucht, sie weisen weit über die Tempelher-den und die damit verbundenen ökonomischen Aspekte hinaus;sie umfassen auch die Regelung von Maßen und Gewichten - überJahrtausende hinweg ein wichtiges herrscherliches Prärogativ- und die normative Sphäre, wie sie im oben behandelten Titel»König der Gerechtigkeit« ihren umfassenden Ausdruck findet.Zudem verbindet sich hier, wie wir noch sehen werden, die Hir-tenmetapher unmittelbar mit jener des Baumeisters. Der »guteHirte«, der pastor bonus unserer christlichen Tradition, ist gewisseine Weiterentwicklung oder Nuancierung des alten sumerischen»rechten Hirten«; Ägyptisches kommt wohl dazu, wo der Begriffwörtlich-bereits lange vor seiner christlichen Ausformung schonzur Zeit der Pyramidentexte existiert hat. In Mesopotamien ver-wendet die persönliche Frömmigkeit, die in der altbabylonischenZeit ihre individuelle Ausformung erfährt, das Bild des Hirten auchfür die den Einzelnen leitende »persönliche« Gottheit. In der chris-tologischen Tradition hat es dann insbesondere durch das Gleich-nis vom guten Hirten bei Johannes 10,1-16 seine Wirkkraft ent-faltet.

Der Bauarbeiter und BaumeisterDie überlieferte, auch die bildlich gut bezeugte Selbstdarstellungdes Herrschers als Bauarbeiter erinnert nicht zufällig an den mo-dernen paradigmatischen »ersten Spatenstich«, bei dem unserePolitiker gelegentlich bildlich von der Rolle des Bauherrn zumBauarbeiter mutieren. Es handelt sich hier um eine Figur derDemut, die in Babylonien selbstverständlich an den eigentlichenSouverän, die Gottheiten, in unseren Gesellschaften an das Volkadressiert ist. Dabei schreibt das Bild des Bauarbeiters, in seinerwenig angesehenen Form des Trägers, bereits in Babylonien dieIdeologie des Herrschers als »erster Diener« des Staatswesens fest.Anders formuliert, der Herrscher erfüllt beispielhaft den mit Er-schaffung des Menschen verbundenen Zweck, für die Götter zuarbeiten; im Schöpfungsmythos Atra-hasis wird dies ausdrücklichals Zweck der Menschenschöpfung benannt.

Die Bedeutung, die dem Bild des Bauarbeiters zukam, lässt sichdaran ermessen, dass sich die entsprechende bildliehe Traditionallein in Mesopotamien über zwei Jahrtausende verfolgen lässt.So lässt sich etwa der erste König des südmesopotamischen Klein-staates von Lagasch, Ur-Nansche (ca.2550v.Chr.), inmitten seinerUmgebung als Korbträger darstellen. Dieses Bildthema verwen-det noch zwei Jahrtausende später der neuassyrische König As-surbanipal, wenn er in Babylori selbst auf die einheimische Tradi-tion zu rekurrieren sucht. (Kat.80)Damit verbunden und in seinerscheinbaren Widersprüchlichkeit letztlich nur den umfassendenAnspruch des babylonischen Königtums dokumentierend, ist das

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Bild des Baumeisters, das aller Wahrscheinlichkeit nach in der Zeitder ersten Staats gründungen im ausgehenden 4. Jahrtausend inMesopotamien exemplarisch geformt wurde. Der Baumeister istdamit eine zweite Ursprungsmetapher von Herrschaft, wie dienachfolgenden Darlegungen erläutern werden.

Die Königsinsignien, die Regalia, die der Sonnengott demKönig im Kopffeld der Hammurapi-Stele überreicht und die meistmit »Ring« und »Stab« bezeichnet werden, sind ihrem Ursprungnach Messleine (sumerisch esch, akkadisch aschlum) und Messrohroder -stab (sumerisch qi, akkadisch qani1m), wobei Letzteres überdas griechische xnvorv noch in unseren Worten »Kanon« und »Ka-none« weiterlebt. (Abb.46)

Konzeptuell gehören hierher auch die Ursprünge unsererWörter »Regel« und »Norrn«, deren lateinische Etyma regula undnorma ja bekanntlich ebenfalls Werkzeuge des Bauhandwerks be-zeichnen. Wir sehen also die babylonischen Könige als Baumeis-ter, wobei ein deutlicher Zusammenhang mit der Prosperität desLandes und dem Wohlergehen der Bevölkerung besteht. Hier fin-det auch die große Zahl von Inschriften ihren Platz, in der die alt-mesopotamischen Herrscher sich insgesamt - nicht erst und nichtnur jene von Babyion - als Baumeister preisen. Bautätigkeiten ins-gesamt, nicht allein an Tempeln und Palästen, sondern ebenso anStadtmauern und auch an Kanälen - modern gesprochen die In-frastruktur - gehören zu den vornehmsten Aufgaben der Könige.Auch ikonographisch ist dies gut dokumentiert.

Dass der Herrscher nicht nur Bauarbeiter, sondern auch Bau-meister und Architekt sein muss, ist letzlieh nur durch eine un-terschiedliche Perspektive bestimmt. Der den Göttern gebührende»Gottesdienst«, wie er in den mythologischen Erzählungen desAlten Orients als menschliche Aufgabe allgemein bestimmt ist, isteine paradigmatische Aufgabe des Herrschers. Er erfüllt hier eineVorbildfunktion. Zugleich aber ist der Herrscher auch jener, deraufgrund seiner Weisheit und Tüchtigkeit und insbesondere sei-nes Organisationstalents in der Lage ist, einen ursprünglich vonder Gottheit erteilten Bauauftrag umzusetzen: Der Herrscherwird zum Baumeister, zum Architekten. Aufgrund seiner Weis-heit hat er Verbindung zum Göttlichen. Die Baumeistermetapherverweist damit auf den urbanen Ursprung mesopotamischer Herr-schaft; sie ist unauflöslich mit jenem in der Folge so bedeutsamenVorgang der Urbanisierung verbunden.

Dreh- und Angelpunkt für unsere heutigen Kenntnisse vondiesen Vorgängen bilden nach wie vor die noch kurz vor dem Ers-ten Weltkrieg begonnenen deutschen Ausgrabungen von Uruk,allzumal die dort ausgegrabenen Monumentalbauten aus dem4. Jahrtausend v.Chr. und die dazu notwendigen komplexenOrganisationsstrukturen, die sich auch in den aus Uruk stam-

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menden ältesten Urkunden der Menschheitsgeschichte wider-spiegeln. Allein die Größe der Stadt mit einem Umfang '02

5,5 Quadratkilometern an der Wende zum 3. Jahrtausend v.C ~macht den ungeheuren Organisations- und Verwaltungsbeä.ar:dieses Gemeinwesens deutlich, und es ist erst das unter den c.ha:.-däischen Herrschern Nabopolassar (626-605 v.Chr.) und V,CL

Nebukadnezar II. (605-562 v.Chr.) konzipierte neubabylonischeBabylon, das mit ca. 8,5 Quadratkilometern Uruk noch an Aus-dehnung übertreffen sollte." Es muss jedoch angemerkt werden,dass die Stadt Babyion zwar unter Hammurapi den Crundsteir;für ihre spätere Bedeutung legte, jedoch ihre schiere Größe in neu-

Abb.47 Fragmentarische Tontafel mit einer Zeichnung der BabylonischenWeltkarte. Der Weltenozean ist als .umlaufender Doppelkreis gezeichneihn durchzieht von oben nach unten der Euphrat, an dem zu beiden Seit=(oberhalb des Loches) die Stadt Babylori liegt; bezeichnet: TIN.TIR. DieKreise geben bedeutende Orte oder Regionen wieder, von denen u, a, Der,Susa, Urartu und Assyrien bezeichnet sind. London, British Museum,Department of the Middle East, BM 92687 (nicht in der Ausstellung)

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DAS BABYLONISCHE KÖNIGTUM

, a3y~onischer Zeit mit demographischen Prozessen in Verbin-C' g gebracht werden muss. Zu Beginn der altbabylonischenEpoche jedenfalls lässt sich eher ein Rückgang des Urbanisie-rangsgrades beobachten und Babylori umfasste sicherlich nureinen Bruchteil seiner späteren Fläche.

Wichtig ist hier festzuhalten, dass nach Aussage der mesopo-ramischen Quellen das Konzept der Stadt schon vor aller Zeitrorhanden war. Es geht in manchen Quellen sogar der Idee des Kö-nigtums mythologisch voraus. Im babylonischen Weltschöpfungs-epos Enuma elisch sind es denn auch die Götter, die den Triumphdes Marduk krönen, indem sie Babylori und seine Heiligtümererrichten. Diese Vorstellung bildet wohl auch den Hintergrund:'ÜI das Konzept des »Himmlischen oder Neuen Jerusalem« in derOffenbarung des Johannes (Offb 21-22), das nach der Erneuerungvon Himmel und Erde aus dem Himmel herabkommen werde.Babylori steht also für den geordneten Kosmos, ist sein Abbild undsein Kern, gerade so,wie sich Babylori nach der berühmten Baby-lonischen Weltkarte aus dem 6. Jahrhundert v.Chr. (mappa mundi)im Zentrum der Welt befindet. (Abb.47) Dieses Zentrum wurdemarkiert durch den siebenstufigen Tempelturm - die ZikkurratBabyloris, »das Band von Himmel und Erde«; in horizontalerEbene verweisen die Namen mancher Stadtviertel wie Kulaba undKumar auf altberühmte Heiligtümer Babyloniens. Die Kulttopo-graphie der Stadt steht stellvertretend für die Kulttopographie desLandes. Damit besitzt das babylonische Königtum letztlich eineosmologische Dimension.Aber auch auf der realen, praktischen Ebene weist das Bild des

mesopotamischen oder babylonischen Königs als Baumeister, wiebereits oben angedeutet, weit über den engeren Bereich der (öf-:entlichen) Bautätigkeiten hinaus. Normierte und kontrollierteMaße und Gewichte sind für das wirtschaftliche Gefüge einer Ge-sellschaft von zentraler Bedeutung. Messleine und Messrohr bzw.Messlatte verweisen auch auf den Bereich der Vermessung von:::ddern, von höchster Bedeutung für eine wesentlich agrarisch?:lasierteWirtschaft. Somit findet sich schon vor der Mitte des3-Jahrtausends v.Chr. ein qi-si-sa (»genormtes Rohr«) als verlässli-c es Längenmaß in Texten über Feldervermessungen. Mit etwarei Metern Länge war dieses »Rohr« eine Basiseinheit im Bereich, er Vermessungsarbeiten. Vermessung (Geometrie) und Normie-_' g (Rechtsprechung) erweisen sich hier als verbunden. Regelnd _[ormieren - einfach das Sicherstellen und Überwachen staat-

~ . er Funktionen - sind daher zentrale Aufgaben des mesopota-.::::!.SChenHerrschers, und das bereits seit dem 3.Jahrtausend v.Chr.

Insbesondere mit dem Bild des Herrschers als Baumeister undArchitekt verbunden ist seit dieser Zeit auch die Selbstbezeich-

g des Herrschers als »weise« und »kornpetent«. Weisheit ist

dabei im ganzen Alten Orient, nicht nur in Mesopotamien, unge-schieden: Der Begriff umfasst Technisches wie Mantisches; Nor-menverständnis wie Denkvermögen; v.a. die einschlägigen sume-rischen Begriffe sind zudem ganz eindeutig der Sphäre derWahrnehmung, der Empirie entnommen. Dies gilt auch für jeneGegenstände, die unser klassisch geschultes Denken in den Be-reich der Metaphysik verweisen möchte," Für Babylonien ist eskein Widerspruch, dass dieses Expertenturn urprünglich den Göt-tern verdankt war. Physik und Metaphysik waren noch langenicht geschieden.

Das Expertenturn des Königs war tendenziell äußerst vielfältig,auch wenn die Inschriften die entsprechenden Fachkompetenzennicht immer ausdrücklich aufzählen. Vielleicht das umfassendsteBild lässt sich wiederum bereits vom neusumerischen KönigSchulgi gewinnen: Dieser ist Weiser, Soldat, Sportler, Mantiker,Diplomat und Patron der Künste, insbesondere der Schreibkunstund der Musik. Er ist, ganz wie der frühaltbabylonische HerrscherIschme-Dagan (1954-1934 v.Chr.),einfach qal-zu-niq-nam-ma, »Ex-perte aller möglichen Dinge«.

Genau dieses Expertenturn wurde denn auch beim letztenHerrscher des neubabylonischen Reiches, Nabonid (556-539v.Chr.), bezweifelt, wodurch dieser sich einmal mehr als illegiti-mer König erwiesen habe. (Abb.48) Seine Vernachlässigung desMarduk-Kultes und des zentralen babylonischen Neujahrsfestes,sein unerklärter, rund zehn Jahre währender Aufenthalt in derinnerarabischen Oase Tayma sowie seine Förderung des Mond-gott-Kultes hatten in weiten Teilen der Marduk-Priesterschaft inso hohem Maße zu seiner Ablehnung geführt, dass Letztere diekampflose Einnahme Babyloris am 29. Oktober 539 v.Chr. durchKyros 11. (559-530 v.Chr.) durchaus begrüßte. Diesem perser-freundlichen Milieu entstammt auch das berühmte Strophengedichtdes Nabonid, in dem die Taten Kyros' glorifiziert, die RegierungNabonids aber herabgesetzt wird. Mit dem Paradigma der Ge-rechtigkeit wird hier der Untergang des neubaylonischen Reicheserklärt. Als Ursache dafür werden Nabonids Störung der Kultsat-zungen, der heiligen Ordnungen, also letztlich des Bauplans derWelt angegeben, dessen Bewahrung im Zentrum des babyloni-schen Verständnisses von königlicher Weisheit stand. Der Zusam-menhang wird auch im Text explizit hergestellt: »(Ein Urteil derWahrheit und) Gerechtigkeit erging nicht unter ihm ...einen Gott,den früher niemand im Land gesehen, ...ließ er auf einem PodestPlatz nehmen.« Zur Kennzeichnung seiner Hybris werden ihmu.a. folgende Worte unterlegt: »Weise bin ich (und) gebildet, habeVer(borgenes geschaut), (jedoch) die Keilschrift kenne ich nicht.«Dennoch habe er den Anspruch besessen, eine Weisheit jenseitsder göttlichen zu besitzen, und Dinge gemacht, »von denen weder

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:'~ete sumerische Herrscherstatue aus dem Staat':.o.;?=- ::.S.~",=='li-ch den Fürsten Gudea darstellt (Kat. 2)

(der Gott) Ea die Gestalt ersonnen noch der Weise Adapa denNamen gekannt habe«. Dies steht in eklatantem Gegensatz zu derSelbstbeschreibung des Herrschers in der sogenannten Ebabbar-Zylinder-Inschrift, in der der Bau dieses Sonnengott-Heiligtumsthematisiert wird:

»Ich versammelte dann die Ältesten der Stadt, die Söhne vonBabil, die Architekten, die Gelehrten, die im Bit Mummu sit-zen, die das Geheimnis der großen Götter bewahren, die festgründen die Kultordnung(en) des Königtums, zur Beratungschickte ich sie, und so sprach ich zu ihnen: sDie alte Grün-dung sucht, und schaut an die Cella des Richters Schamasch(des Sonnengottes).<<<

Das gewissermaßen archäologische Interesse Nabonids an der rne-sopotamischen (baugeschichtlichen) Tradition steht zum einen inder Nachfolge jener Auffassung, die die Gründung heiliger Orteund ihrer Bauten - und hier allzumal von Babylori - auf göttli-chen Plan und Anordnung zurückführte, zum anderen auch inVerbindung mit dem gewiss erheblichen Legitimationszwang,unter dem Nabonid nach dem Sturze seines Vorgängers Neriglis-sar (560- 556 v.Chr.) gestanden hat.

Die fast eineinhalb Jahrtausende andauernde babylonischeÜberlieferung dokumentiert die hier diskutierten Aspekte des me-sopotamischen Königtums augenfällig. Dabei bleibt sie in ausge-prägter Weise der Vorstellung eines religiösen Ursprungs verhaf-tet, weit deutlicher, als dies im nördlichen Assyrien der Fall ist. InBabylonien lässt sich sogar beobachten, dass ab der mittelbabylo-nischen Zeit religiöseAspekte wieder verstärkt in den Vordergrundtreten. Solche fehlen zwar in den assyrischen Königsinschriftennicht völlig, sie sind jedoch von annalistisch strukturierten Ereig-nis- und Tatenberichten »überschattet«. Gewiss nahm auch das as-syrische Königtum auf gemeinsame Herrschaftskonzepte Bezug,jedoch sind erhebliche Modifikationen auffällig. Dies ist umso be-merkenswerter, als die kulturrelevanten Haupttexte der Traditionauch in Assyrien weitestgehend auf südlichen Vorbildern beruh-ten. In Assyrien tritt in den Inschriften der Könige der kriegeri-sche Aspekt des Herrschers in den Vordergrund, der im Südenzwar nicht unbekannt, jedoch vergleichsweise wenig ausgestalteterscheint. (Abb.44) Selbst wenn ein solcher genannt wird, bleibtdie ideologische Verhaftung Babyloniens in alten Vorstellungenunübersehbar: Als Garant für das Wohlergehen seines Volkes or-ganisiert der Herrscher auch dessen militärischen Schutz. In Ba-bylonien hat das Kriegerische bis in die Spätzeit hinein nie die Be-deutung oder den Darstellungsumfang, wie ihn die assyrischenHerrscherinschriften dokumentieren. Auch Assyrien schließt sichallerdings an ältere Traditionen an, und zwar an die der altakka-dischen Herrscher, die Aufbau und kriegerische Sicherung jenes

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ersten historischen »Weltreiches« in ihren Königsinschriftenebenfalls in ausgeprägt martialischer Weise darstellten.

Fassen wir hier mit den Worten Hammurapis selbst nochmalsdie wesentlichen Züge des babylonischen Königtums zusammen.Der Epilog seines Codex formuliert es so:

»(Dies sind) Rechtssprüche der Gerechtigkeit, die Harnrnu-rapi, der tüchtige König, festgesetzt hat und (dadurch) dasLand eine feste Ordnung und eine gute Führung ergreifenließ. Hammurapi, der vollkommene König, bin ich: Für dieSchwarzköpfigen, die Enlil mir geschenkt hat, deren Hirten-amt Marduk mir gegeben hat, ermüdete ich nicht, ließ mei-nen Arm nicht ruhen, einen Ort des Heils suchte ich ihnenimmer wieder; drängende Niederlage löste ich, das Licht ließich ihnen aufgehen, durch die starke Waffe, die (die Kriegs-gottheiten) Zababa und Inanna mir zu eigen gaben, durchdie Weisheit, die (der Weisheitsgott) Enki mir bestimmte,durch das Können, das (der Gott von Babylon) Marduk mirgab, habe ich die Feinde oben und unten ausgerissen,Kämpfe habe ich gelöscht, den Menschen des Landes ließ iches gut gehen; die Bevölkerung ließ ich auf den Auen lagern,einen Erschrecker ließ ich sie nicht haben.«

Die vorstehenden Überlegungen versuchten nicht nur die Wur-zeln wichtiger Herrschaftsmetaphern in den Konzepten des ba-bylonisch-mesopotamischen Königtums zu skizzieren; auch ihrWeiterwirken bis in die Gegenwart kam in den Blick. Man magversucht sein einzuwenden, dass mit der Abschaffung oder Mar-ginalisierung des Königtums bzw. mit dem Wandel zu konstitu-tionell-parlamentarischen Monarchien die Bedeutung dieser Me-taphern nur noch gering sei. Dennoch bedarf die propagierte undgeglaubte Legitimation von Herrschaft durch Vorbildlichkeiteben jener Bilder, auch dann, wenn diese die Monstrosität vonHerrschaft kaum übertünchen. Von ferne erinnert sogar die Ti-tulatur Stalins an jene des Alten Orients: Er ließ sich bezeichnenals »Führer der ganzen fortschrittlichen Menschheit«, »die Hoff-nung der Arbeiter in aller Welt«, »Vater des Sowjetvolkes«, aberauch als »die große Koryphäe der Wissenschaft«, »genialer Feld-herr« und - ganz einfach - als »das größte Genie der menschlichenGeschichtee.? In der Stalin- Panegyrik des weißrussischen Dich-ters Jakub Kolas präsentiert sich der Stalin-Kult dann geradezu»babylonisch«: »Licht der Freude, der Wahrheit und des Willens ...Stolz der Völker, ... stolzer Fels, ... der große Erbauer, weitsichtigund kühn, der weise, weite, grenzenlos Geliebte, schafft unserGlück mit seiner Arbeit« usw. Die Hohlheit solcher Bezeichnun-gen zeitigte nichtsdestominder eine beachtliche historische Wir-kung,'? da sie in größerem Umfange von wem auch immer geglaubtwurden. Ein allenfalls vergleichbarer, wenn auch sicher anders ge-

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Abb.50 Bronzestatuette einesköniglichen Prinzen (Kat. 8)

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arteter Glaube bildete - um mit Max Weber zu sprechen - auchdie Grundlage des babylonischen Königtums.

Die Bilder des babylonischen Königtums stehen wie alle öf-fentlichen Bilder und ins Endlose reproduzierten Abbilder imSpannungsfeld zwischen imaqo und imaqe; wir erfahren manchesvom Selbstverständnis der Herrschenden und von der beabsich-tigten Wirkung der erzeugten Bilder. (Abb.49) Diese beruht aufdem emotionell basierten Wissen, dass das Idol- gemeint in seinerumgangssprachlichen Verwendung - das imaqe voraussetzt. Dieserklärt die bis in die Gegenwart andauernde Wirkung der babylo-nischen Königsmetaphorik. Im Alten Orient dürfte die Macht derVorstellung über die Produzenten oder Propagandisten der Herr-scherbilder, im Zweifelsfalle über den Herrscher selbst, wohl nochgrößer gewesen sein, als dies heute der Fall ist. Die Bilder warenmehr als schiere Propaganda oder plumpes Machtinstrument, er-funden allein zu dem Zwecke, die Volksrnassen, in der Sprachedes Alten Orients »die Herde«, problemlos zu führen. (Abb. 50)Gewiss, diese Absicht gab es auch, und sie war sicherlich von gro-ßer Bedeutung. In unterschiedlichem Maße aber war und ist eineSelbstanpassung an das Bild oder die Bilder vonnöten; in vorzüg-licher Weise gilt dies auch für die Bilder der Macht. Siewirken alsoin zwei Richtungen: Geschaffen mit dem Ziel der MachtSicherung,unterwerfen sie gleichzeitig auch den Mächtigen diesen Bildern."

Damit gewinnt die Beschäftigung mit einem welthistorischscheinbar so abgelegenen Thema wie dem Konzept des babyloni-schen Königtums eine erstaunliche Aktualität.

Lireraturhinweise

Borger 1982; Cancik-Kirschbaum 1995; Charpin 2004; GundlachlWeber

-992; Jursa 2004a; Klengel 1991; Oates 1983; Oberländer 1992; Renger

999;Roth 1995;Sallaberger 2007;Schaudig 2001;Schilson 1992;Selz 2001;

ders. 2006; ders. 2007; Seux 1967;Wilhelm Ir. 1938

1 Dieser Herrschername wird in der Fachliteratur auch als Iri-KA-gina

oder Urukagina gelesen.

2 Siehe auch den Beitrag von Hans Neumann in diesem Katalog.

3 An anderem Ort auch Ur-Narnrnu gelesen.

4 Seit kurzem bekannt geworden ist ein in der Sammlung Seheyen in

Oslo befindliches Exemplar (MS 2064) des »Codex Ur-Namrna«, das

ursprünglich nicht nur den ganzen Text umfasste, sondern das auch

den König namentlich nennt.

5 Jursa 2004a, S.27·

6 Obwohl sich die Rede vorn »Landesvater«, welche wohl auf das parerpatriae der römischen Kaiserzeit zurückgeht, trotz ähnlich bedenkli-

cher Assoziationen bis heute hält.

7 Zum Vergleich: Die namengebende Hauptsadt der 3.Dynastie von Ur

umfasste ca. 0,55 Quadratkilometer, die neuassyrische »Welthaupt-

stadt« Ninive ca. 7,5 Quadaratkilometer.

8 Undifferenzierte Übernahmen moderner Kategorien sind ein Haupt-

grund für Irrwege in der Interpretation der antiken Quellen. Auch

Dichotomien, soweit vorhanden, werden im Altertum letztlich in ein

holistisches Weltbild geordnet.

9 Siehe Oberländer 1992, S.339-346.

10 Aufgrund seiner »Weisheit« galt Stalin als die primäre Autorität der

Interpretation der marxistischen und leninistischen Tradition. In der

Folge wurde der Zugang zu deren »Wahrheit« nur über die »Weis-

heit« Stalins möglich. Andere Auffassungen wurden als unzulässig

verfolgt.

11 Anders formuliert: Die Punktionalltat von Macht, aber auch von Cha-

risma wird durch konsensuale Grenzen eingeschränkt. Es herrscht erst

recht keine vollkommene Beliebigkeit des Handeins.