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3 Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert Herausgegeben von Lucile Dreidemy / Richard Hufschmied / Agnes Meisinger / Berthold Molden / Eugen Pfister / Katharina Prager / Elisabeth Röhrlich / Florian Wenninger / Maria Wirth Band 1 2015 BÖHLAU VERLAG · WIEN · KÖLN · WEIMAR DIESER eSONDERDRUCK DARF NUR ZU PERSÖNLICHEN ZWECKEN UND WEDER DIREKT NOCH INDIREKT FÜR ELEKTRONISCHE PUBLIKATIONEN DURCH DIE VERFASSERIN ODER DEN VERFASSER DES BEITRAGS GENUTZT WERDEN. BEITRAG aus: BANANEN, COLA, ZEITGESCHICHTE: OLIVER RATHKOLB UND DAS LANGE 20. JAHRHUNDERT ISBN 978-3-205-20091-8 © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR

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Bananen, Cola, Zeitgeschichte: Oliver Rathkolb und das lange 20. Jahrhundert

Herausgegeben von

Lucile Dreidemy / Richard Hufschmied / Agnes Meisinger / Berthold Molden / Eugen

Pfister / Katharina Prager / Elisabeth Röhrlich / Florian Wenninger / Maria Wirth

Band 1

2015

BÖHLAU VERLAG · WIEN · KÖLN · WEIMAR

DIESER eSONDERDRUCK DARF NUR ZU PERSÖNLICHEN ZWECKEN UND WEDER DIREKT NOCH INDIREKT FÜR ELEKTRONISCHEPUBLIKATIONEN DURCH DIE VERFASSERIN ODER DEN VERFASSER DES BEITRAGS GENUTZT WERDEN.

BEITRAG aus: BANANEN, COLA, ZEITGESCHICHTE: OLIVER RATHKOLB UND DAS LANGE 20. JAHRHUNDERTISBN 978-3-205-20091-8 © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR

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Andreas Kuchler

Förderer und Verhinderer

Franz Hintermayer und Engelbert Broda beeinflussten maßgeblich die Entwicklung der heimischen Wasserkraft1

I. Verbund-Generaldirektor Franz Hintermayer verzögerte Österreichs Kernenergie-Engagement zugunsten der Wasserkraft

I.1 Einleitung und Überblick

Dem technischen Vorstand und Bundeslastverteiler der Verbund-Gesellschaft, Franz Hin-termayer, war es Anspruch und Motivation in den ersten Nachkriegsjahren ein zuverlässiges Versorgungsnetz als infrastrukturelles Rückgrat der Wiederaufbauzeit herzustellen. Und dies gelang ihm ab 1947 innerhalb von fünf Jahren: Die Anzahl der Blackouts konnte dras-tisch reduziert werden.2

In den 1960er Jahren stieg der Druck der Politik für einen raschen Einstieg in die Kern-energie. Vor allem die Bundesländer, aber auch die Industrie, drängten die Bundesregierung zum Bau mehrerer Kernkraftwerke.3 Franz Hintermayer war am Beginn des Atomzeitalters – trotz allgegenwärtiger Euphorie – der neuen Technologie gegenüber eher skeptisch eingestellt. Er sah in erster Linie in der Wasserkraft das Rückgrat der österreichischen Stromversorgung. Erst ab Beginn der 1970er Jahre und mit dem Baubeschluss für Österreichs erstes Atomkraft-werk beugte er sich dem internationalen, aber auch dem innenpolitischen Druck, arrangierte sich mit der Kernenergie4 und wurde sogar zum Präsidenten des Aufsichtsrates der Ge-meinschaftskraftwerk Tullnerfeld GmbH, der Planungsgesellschaft für das Atomkraftwerk Zwentendorf, bestellt.5 Franz Hintermayer argumentierte in der Kernenergie-Kontroverse,

1 Der Beitrag ist ein Auszug aus der Dissertation von Andreas Kuchler „Die Entwicklung der österreichischen Was-serkraft nach Zwentendorf und Hainburg“, die von Univ.-Prof. Mag. DDr. Oliver Rathkolb betreut wurde.

2 Franz Hintermayer: 5 Jahre Bundeslastverteiler, in: Österreichische Zeitschrift für Elektrizitätswirtschaft (1952) 10, 414.3 Peter Weish (2014): Die Atomenergie und (Nieder)österreich, URL: http://homepage.univie.ac.at/peter.weish/

(abgerufen am 16.4.2014).4 Interview mit Franz Hintermayer jun., geführt am 28. August 2013, Audio-Dateien beim Autor, Transkription, 3.

Franz Hintermayer (*1946) ist der jüngste von drei Söhnen von Franz Hintermayer.5 Wilhelm Erbacher (1973): Franz Hintermayer in den Ruhestand getreten, in: Österreichische Zeitschrift für Elek-

trizitätswirtschaft (1973) 9, 395.

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BEITRAG aus: BANANEN, COLA, ZEITGESCHICHTE: OLIVER RATHKOLB UND DAS LANGE 20. JAHRHUNDERTISBN 978-3-205-20091-8 © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR

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trotz seiner anfänglichen Atomskepsis, immer wieder diplomatisch bis lösungsorientiert. Um die Wirtschaftlichkeit eines Kernkraftwerkes zu verbessern, könne er sich Stromexporte ins Ausland vorstellen. Außerdem brachte der langjährige Verbund-Generaldirektor als Einziger die Möglichkeit einer gemeinsamen Errichtung einer Anlage mit einem Nachbarland in Er-wägung, um die Kostenunsicherheit zu verringern.6

Hintermayer agierte im Kalten Krieg sehr offen gegenüber der Sowjetunion und den ost-europäischen Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs. Vor allem zu Jugoslawien und zum slowenischen Energieversorger baute Hintermayer gute Kontakte auf, um den grenzüber-greifenden Aufbau von Infrastruktur – insbesondere transnationale Netze – zu forcieren.7

I.2 Kurzbiografie Franz Hintermayer

Franz Hintermayer wurde am 17.8.1906 geboren. Er wuchs im typischen Wiener Arbeiter-familienmilieu auf, war ein begabter Schüler und talentiert in Fremdsprachen. Das ermög-lichte ihm die Aufnahme ins Gymnasium. Nach dem Abschluss des Studiums der Elekt-rotechnik8 an der Technischen Hochschule Wien im Jahr 19309 nahm Franz Hintermayer eine Stelle bei der AEG-Union sowie bei den Städtischen Elektrizitätswerken der Gemeinde Wien an.10 Während seiner Studienzeit in den 1920er Jahren engagierte er sich im Netzwerk Bund sozialistischer Akademiker (BSA). Hier lernte er den gleichaltrigen späteren Minister für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft, Dr. Karl Waldbrunner, seinen späteren Kollegen im Vorstand der Verbund-Gesellschaft, Karl Kölliker, und den Vater von Bundespräsident Dr. Heinz Fischer, Dr. Rudolf Fischer kennen, zu denen er während seiner gesamten berufli-chen Laufbahn gute Kontakte hatte.11 Ab 1938 und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges12 arbeitete er bei der Österreichischen Brown-Boveri-Werke AG in Wien.13 Hintermayer war stark kurzsichtig, wodurch ihm eine Einberufung zur Wehrmacht erspart blieb.14 Eine etwa-ige NSDAP-Mitgliedschaft Franz Hintermayers konnte nicht nachgewiesen werden.15 Vier

6 Franz Hintermayer (1968): Energiewirtschaftliche Voraussetzungen zur Errichtung eines Kernkraftwerkes in Ös-terreich, in: Österreichische Zeitschrift der Elektrizitätswirtschaft (1968) 1, 27.

7 Interview mit Friedrich Hintermayer, geführt am 14. Jänner 2014, Audio-Dateien beim Autor, Transkription, 3. Friedrich Hintermayer (*1940) ist der zweite von drei Söhnen von Franz Hintermayer.

8 Ludwig Weiss, Generaldirektor Diplom-Ingenieur Franz Hintermayer in den Ruhestand getreten, in: Der Kon-takt – Werkszeitschrift des Verbundkonzerns (1973) 7–8, 3.

9 Erbacher (1973), 395.10 Weiss (1973), 3.11 Brief von Dr. Heinz Fischer, Schriftliche Beantwortung von Fragen, 27. Juni 2014, Brief beim Autor.12 Franz Hintermayer, Arbeitsbuch Deutsches Reich, ausgestellt am 6. März 1939, Familiennachlass Friedrich Hin-

termayer.13 Hintermayer (1952), 414.14 Friedrich Hintermayer (2014), 10.15 Eine NSDAP-Mitgliedschaft Franz Hintermayers konnte nach Überprüfung der NS-Registrierungsakten in der

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Wochen nach Kriegsende16 wurde Hintermayer zum öffentlichen Verwalter der Alpen-Elek-trowerke AG, der Rechtsvorgängerin der Verbund-Gesellschaft und des Donaukraftwerks Ybbs-Persenbeug, bestellt.17 In folgenden Unternehmen hatte der Verbund-Vorstand ein Auf-sichtsratsmandat inne: Österreichische Draukraftwerke AG, Donaukraftwerke Jochenstein AG, Ennskraftwerke AG und Vorarlberger Illwerke AG, Österreichische Donaukraftwerke AG, Tauernkraftwerke AG und Österreichisch-Bayerische Kraftwerke AG, weiters bei der Gemeinschaftskraftwerk Tullnerfeld GmbH, außerdem war er Präsident beim Verband der Elektrizitätswerke Österreichs.18

Aufgrund seiner ausgeprägten Fremdsprachenkenntnisse und fachlichen Qualifikatio-nen wurde Hintermayer in zahlreiche nationale und internationale Gremien berufen. Der Verbund-Vorstand wurde Vizepräsident des Fachverbandes der Elektrizitätswerke des Ös-terreichischen Nationalkomitees der Weltkraftkonferenz, der Internationalen Konferenz der großen elektrischen Netze (CIGRE) in Paris und österreichischer Delegierter bei fast allen energiewirtschaftlichen internationalen Organisationen wie zum Beispiel dem Elektrizitäts-komitee der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) in Paris, dem Elektrizitätskomitee der Wirtschaftskommission der UN (ECE) in Genf, der Union pour la Coordination de la Production et du Transport de l’Electricité, der Europäischen Elektrizitäts-Union (UCPTE) in Paris sowie der Internationalen Union der Erzeuger und Verteiler elektrischer Energie (UNIPEDE) in Paris.19

Die österreichische und europäische Energiewirtschaftsbranche wusste Hintermayers En-gagement zu schätzen. Insbesondere in den großen europäischen Industrienationen genoss der Österreicher große Anerkennung.20 Dadurch konnte er Österreichs Interessen, wie den grenzüberschreitenden Stromtransport sowohl im west- als auch im osteuropäischen Um-feld, leichter und verständlicher positionieren.21

Franz Hintermayer war Träger des „Großen Ehrenzeichens für Verdienste um die Repu-blik Österreich“.22 1960 wurde er Generaldirektor der Verbund-Gesellschaft.23 Hintermayer erhielt für sein Engagement beim grenzüberschreitenden Aufbau eines europäischen Ver-

Fachbibliothek am Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien (6. Juni 2014) und in den Gau-Akten beim Wiener-Stadt-Landesarchiv (2. Juli 2014) nicht nachgewiesen werden.

16 Hintermayer (1939).17 Direktor Dipl.-Ing. Hintermayer – 50 Jahre alt, in: Österreichische Zeitschrift für Elektrizitätswirtschaft (1956) 9,

484.18 Erbacher (1973), 395.19 Hintermayer (1952), 414.20 Ebd., 414.21 Hintermayer (1956), 484.22 Personalnachrichten, in: Österreichische Zeitschrift für Elektrizitätswirtschaft (1956) 1, 32.23 Dipl.-Ing. F. Hintermayer – Generaldirektor der Verbundgesellschaft, in: Österreichische Zeitschrift für Elektri-

zitätswirtschaft (1960) 7, 504.

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bundnetzes und den Energieaustausch sowie für seine Lösungen bei Fragen der Netzrege-lung, der Frequenzhaltung und der bilateralen Abrechnung24 das „Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland“ überreicht.25 Unter der Beleg-schaft galt Hintermayer als bescheidener Chef. Er begegnete seinen MitarbeiterInnen sehr kollegial. Viele sahen in ihm weniger den „General“ als vielmehr den „ersten Mitarbeiter“.26 Franz Hintermayer kaufte eine Villa in der Sebastian-Brunner-Gasse in Wien-Hietzing.27 Im Erdgeschoß wohnte von 1950 bis 1956 die Familie des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Fischer verbrachte während seiner Schulzeit am Gymnasium bis zur Matura einen Großteil seiner Freizeit mit den fast gleichaltrigen drei Söhnen von Franz Hintermay-

24 Interview mit Heinz Hintermayer, geführt am 10. Februar 2014, Audio-Dateien beim Autor, Transkription, 7. Dipl.-Ing. Heinz Hintermayer (*1939) war Kernkraftwerker und ist Franz Hintermayers ältester Sohn. Ab 1974 war er in der Kernkraftwerksplanungsgesellschaft tätig und plante Österreichs zweites Atomkraftwerk St. Pan-taleon/Stein an der Donau. 1976 wechselte er zum Schweizer Planungsunternehmen Elektrowatt und betreute Kernkraftwerksprojekte in Südafrika. Im Jahr 2000 trat er in den Ruhestand.

25 Hohe Auszeichnung für Persönlichkeiten der österreichischen Energiewirtschaft, in: Österreichische Zeitschrift für Elektrizitätswirtschaft (1962) 4, 142.

26 Erbacher (1973), 395.27 Friedrich Hintermayer (2014), 12.

Franz Hintermayer (rechts) begrüßt Nikita Chruschtschow im Donaukraftwerk Ybbs-Persenbeug, 1960

Bildquelle: Friedrich Hintermayer, Familiennachlass Franz Hintermayer.

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er.28 Nach seinem Pensionsantritt im Jahr 1973 wechselte Franz Hintermayer als stellvertre-tender Vorsitzender in den Aufsichtsrat der Verbund-Gesellschaft.29 Hintermayer verstarb am 18.6.2000 im Alter von 94 Jahren in Wien.30

I.3 Desolates Stromnetz: Schwieriger Start für Österreichs Elektrizitätswirtschaft

Hintermayer schaffte es – trotz rasantem Stromverbrauchsanstieg – dennoch, die notwendi-gen technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen herzustellen und die Anzahl der Netzzusammenbrüche – sogenannte Blackouts – innerhalb von fünf Jahren von 23 auf zwei zu reduzieren. Zum fünfjährigen Bestehen des Bundeslastverteilers bedankte sich Minister Karl Waldbrunner persönlich bei Hintermayer und beglückwünschte ihn zu seinen Leistungen und Verdiensten rund um die Stabilisierung des österreichischen Stromnetzes.31

Hintermayers Engagement hatte entscheidenden Anteil am (Wieder-)Aufbau der öster-reichischen Elektrizitätswirtschaft.32 Bereits Anfang der 1950er Jahre hatte Österreich, trotz massiver Kriegsschäden und schwieriger geografischer Voraussetzungen durch die Alpen, ei-nes der stabilsten Stromleitungsnetze im europäischen Verbund.33

I.4 Einstieg in die Kernenergie: Starker Druck aus der Politik

Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) forcierte den Einstieg Österreichs in die Kernenergie. Der Politiker legte 1966 ein innovatives Regierungsprogramm vor, das zahlreiche Reformen beinhaltete und der Alpenrepublik den ersten großen Modernisierungsschub in der Nach-kriegsgeschichte bescheren sollte.34 Zu den vielfältigen Maßnahmen gehörte unter anderem die Verabschiedung eines Energieplanes.35 Der politische Druck war schon zu Beginn der österreichischen Kernenergie-Kontroverse groß. Hintergrund war folgender: Hinter den Landesgesellschaften standen zum überwiegenden Teil ÖVP-dominierte Landesregierungen, die auf die ÖVP-Bundesregierung des Kabinetts Josef Klaus entsprechend Druck ausübten. Die SPÖ-dominierte Verbund-Gesellschaft wollte aber ebenso in der Debatte ein Wörtchen mitreden, um sich Absatzanteile zu sichern.36 Als Folge entstanden Gesellschaften, wie die Gemeinschaftskraftwerk Tullnerfeld GmbH, mit Verbund-Beteiligung und Beteiligung aller

28 Fischer (2014).29 Weiss (1973), 3.30 Friedrich Hintermayer (2014), 12.31 Hintermayer (1952), 414.32 Hintermayer (1956), 484.33 Hintermayer (1952), 414.34 Josef Klaus: Frommer Reformer – vor Kreisky, in: Die Presse, URL: http://diepresse.com/home/zeitgeschich-

te/587435 (abgerufen am 6.6.2014). 35 Robert Kriechbaumer (1998): Die Ära Josef Klaus, Wien/Köln/Weimar, 63. 36 Anton Pelinka (1987): Populismus in Österreich, Wien, 151.

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Landesgesellschaften außer Burgenland und Vorarlberg37 – ein typisch österreichischer Polit-Kompromiss.38 Erst später stellte sich heraus, dass diese unter starkem politischen Einfluss entstandene spezielle Gesellschaftskonstellation für Atomkraftwerke für einen effizienten Projektverlauf nicht förderlich war. Die Verbund-Gesellschaft unter Generaldirektor Hin-termayer beteiligte sich zwar bei den Kernenergie-Gesellschaften und trug auch ab 1967 die Grundsatzentscheidung der österreichischen Elektrizitätswirtschaft über den Einstieg in die friedliche Nutzung der Kernenergie mit, forcierte aber weiterhin den Donau-Ausbau mit Wasserkraftwerken und blieb bei den Projektvorbereitungen zum AKW Zwentendorf stets auf der Bremse.39

Je näher ein möglicher Baubeschluss für das Kernkraftwerk im niederösterreichischen Tullnerfeld rückte, suchte Generaldirektor Hintermayer Argumente für eine Verschiebung. So etwa im Jänner 1970:40 Die Landesgesellschaften reagierten prompt und fassten einen Beschluss, dass sie im Falle einer Verschiebung des Baustarts den Verbund mit Schadens-ersatzansprüchen klagen würden.41 Ein gutes Jahr später – im Februar 1971 – versuchte die Verbund-Gesellschaft einen weiteren Aufschub des Baustarts, um beim Bau des Donaukraft-werks Altenwörth die Kräfte bündeln zu können. Auch dieser Versuch scheiterte am Willen der Manager der Landesenergieversorger.42

I.5 Vorrang für die Wasserkraft: Hintermayer zögerte beim Atomkraftwerksbau

Hintermayer versuchte in seiner Funktion als Verbund-Generaldirektor, die Einführung der Kernenergie in Österreich so lange als möglich zugunsten des Wasserkraftausbaus hinauszu-zögern.43 Ab Ende der 1960er Jahre begannen Industrie und Wirtschaft44 – wie zum Beispiel die Vereinigten Österreichischen Eisen- und Stahlwerke (VÖEST)45 – den raschen Bau eines Atomkraftwerks zu fordern, um mit der neuen Technologie46 neue Geschäftsfelder zu beset-zen.47 Zu Beginn waren drei AKW-Standorte in Österreich im Gespräch. Mit Zwentendorf

37 Gemeinschaftskraftwerk Tullnerfeld GmbH (1970): Geschäftsbericht, 5.38 Interview mit Dipl.-Ing. Karl Hönigmann, geführt am 12. März 2014, Audio-Dateien beim Autor, Transkription,

5f. Karl Hönigmann war von 1968 bis 1973 Assistent von Generaldirektor Franz Hintermayer. Später leitete er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1996 das Büro für internationale Beziehungen in der Verbund-Gesellschaft.

39 Theodor Venus (2008): Die erste Ölkrise 1973/74 und ihre Folgen – eine Fallstudie zur österreichischen Energie-politik in der Ära Kreisky, Veröffentlichung des Kreisky-Archivs, Wien, 194.

40 Venus (2008), 194.41 Kurt Heindl (1978): Stenografisches Protokoll, 97. Sitzung des Nationalrates, Wien, 9490.42 Venus (2008), 194.43 Heinz Hintermayer (2014), 4.44 Dieter Pesendorfer (2007): Paradigmenwechsel in der Umweltpolitik, Wiesbaden, 88.45 Friedrich Hintermayer (2014), 3.46 Pesendorfer (2007), 88.47 Friedrich Hintermayer (2014), 3.

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und St. Pantaleon/Stein befanden sich bereits zwei davon in der Planungsphase.48 Der dritte Standort war in Kärnten im Bezirk Völkermarkt in der Nähe des Draukraftwerkes Edling ge-plant.49 Die ÖVP-Regierung unter Bundeskanzler Josef Klaus sprang auf den schon in voller Fahrt befindlichen Atomzug auf. „Speicherkraftwerke und Flusskraftwerke sind passé. Die Zukunft gehört der Kernenergie“, so Klaus in einem Gespräch mit dem langjährigen österrei-chischen Gewerkschaftschef Anton Benya.50

Bei einer Enquete zum Thema „Atomenergie in Österreich“ am 18.10.1967 im Festsaal des Ingenieur- und Architektenvereines sprach sich Franz Hintermayer in seiner Funktion als Verbund-Vorstand auch öffentlich klar gegen den voreiligen Bau eines Atomkraftwerkes aus. Der Meiler müsste mindestens eine Leistung von 350 Megawatt haben, der erzeugte Strom würde noch keinen Absatz finden und wäre erst ab 1980 – also mehr als zehn Jahre spä-ter – wirtschaftlich rentabel gewesen.51 Der Verbund-Generaldirektor stufte die frühzeitige Entwicklung eines Kernkraftwerkes in Österreich als „wirtschaftlich problematisch“ ein.52 Hintermayer verwies auf das in Österreich „wirtschaftlich ausbaufähige Wasserkraftpotential von knapp 40 Terrawattstunden pro Jahr“ und auf die „Unmengen an Wasser, die energetisch ungenutzt die Donau hinabfließen“ würden. Franz Hintermayer argumentierte, trotz seiner anfänglichen Atomskepsis, immer wieder diplomatisch bis lösungsorientiert. Er könnte sich eine wirtschaftliche Verbesserung eines Kernkraftwerkes durch Stromexporte ins Ausland vorstellen. Außerdem brachte der langjährige Verbund-Vorstand als Einziger in der Debatte die Möglichkeit einer gemeinsamen Errichtung einer Anlage mit einem Nachbarland in Er-wägung, um die Kostenunsicherheit zu verringern. Ernstzunehmende Planungsoffensiven in Richtung Auslandsbeteiligungen wurden aber öffentlich nie konkret.53

I.6 Politischer Druck: Hintermayer distanzierte sich von Regierungsmitgliedern

Als Verbund-Vorstand pflegte Hintermayer auch einen guten Kontakt zu Bundeskanzler Bruno Kreisky. Der Kanzler war auch in Hintermayers Villa in Wien-Hietzing zu Gast. Ins-besondere bei Themen rund um die umstrittene Atomtechnologie gingen aber die Meinungen von Hintermayer und Kreisky auseinander. Nicht alle Entscheidungen Kreiskys – insbeson-dere rund um Österreichs Engagement beim Bau des AKW Zwentendorf – wurden von Hintermayer gut geheißen. Als linientreuer Sozialdemokrat beugte sich Hintermayer dem

48 Johannes Straubinger (2009): Ökologisierung des Denkens, Norderstedt, 215.49 60-er Jahre: Atomkraftwerk in Kärnten geplant, URL: http://kaernten.orf.at/news/stories/2625407/ (abgerufen

am 14.1.2014).50 Christian Dirninger (1995): Wirtschaftspolitik zwischen Konsens und Konflikt, Wien/Köln/Weimar, 138.51 Atomstrom fände keine Abnehmer, in: Arbeiter-Zeitung, 19.10.1967, 4.52 Hintermayer (1968), 23.53 Ebd., 27.

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politischen Druck und trug letztendlich auch unpopuläre politische Entscheidungen mit. Grundsätzlich war Hintermayer aber der Meinung, dass dem Ausbau der Wasserkräfte in Österreich der Vorrang gegeben werden musste.54 Hintermayers Zugang zur Bundespolitik war aufgrund seiner Position als Vorstand eines staatlichen Unternehmens natürlich notwen-dig. Sein Verhältnis zu Spitzenpolitikern wird von seinen Söhnen im Nachhinein aber als „distanziert“ und „gespalten“ eingestuft. Dem Techniker und energiewirtschaftlichen Fach-mann Hintermayer waren vor allem „politisch motivierte Postenbestzungen in der Verbund-Gesellschaft stets zuwider“.55 Die gesamte österreichische Energiewirtschaftsbranche – die zum überwiegenden Teil monopolisiert war und in öffentlicher Hand stand – war aber vom „parteipolitischen Proporz“ geprägt.56

II. Engelbert Broda verhinderte im Windschatten der Projekte Zwentendorf und Hainburg ein Kraftwerk in der Wachau

II.1 Einleitung und Überblick

Mitte der 1950er Jahre bescherte der wirtschaftliche Aufschwung Österreichs Elektrizitäts-wirtschaft jährliche Steigerungsraten beim Strombedarf von rund 9,9 Prozent.57 (2012: ein Prozent).58 Der Auftrag für Österreichs Stromversorger lautete: Ausbau der Wasserkraft auf den großen Flüssen.59 Der Donau-Ausbau galt in den 1970er und 1980er Jahren als eines der „größten wirtschaftlichen Projekte“ der österreichischen Elektrizitätswirtschaft.60 Die freien Fließstrecken zwischen den einzelnen Staustufen sollten soweit minimiert werden, dass der erhöhte Wasserspiegel eine Schifffahrt auch für schwere Transportkähne mit großem Tief-gang und nach europäischem Standard zulässt.61 Eine durchgehende Mindestwassertiefe von über zwei Metern war dafür notwendig. Beim lückenlosen Aufstau der Donau wären die für die Schifffahrt ungünstigen Stromschnellen sogar bei Niedrigwasser weggefallen.62 Groß-kraftwerke begünstigten also die große internationale Donauschifffahrt.63

54 Franz Hintermayer jun. (2014), 3.55 Heinz Hintermayer (2014), 6.56 Venus (2008), 125.57 Donaukraftwerke AG (1958): Die Kraftwerkskette der österreichischen Donau, Internes Papier, Historisches Ar-

chiv der VERBUND Hydro Power AG, Europaplatz 2, 1150 Wien, 1.58 Esther Steiner (2012): Veränderung des Stromverbrauchs, in: Quarterly, Unternehmenszeitschrift der Energie-

Control Austria 4 (2012), 5.59 Donaukraftwerke AG (1958), 1.60 Friedrich Hermann / Robert Fenz / Josef Kobilka (1973): Forcierung des Donauausbaues, in: A. F. Koska (Hg.):

Donau-Strom, Wien, 9.61 Donaukraftwerke AG (1958), 1.62 Ebd., 3.63 Ebd., 1.

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Der Donau-Rahmenplan der Donaukraftwerke AG (DOKW) sah vor, in Österreich bis 1995 insgesamt 13 Kraftwerksanlagen zu errichten. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die Donau auch vollständig ins Wasserstraßennetz „Rhein-Main-Donau-Kanal“ integriert sein.64 Gegen Ende der 1960er Jahre, als auch die Planungen und der Bau von Österreichs ersten Atom-kraftwerken ins öffentliche Bewusstsein rückte, wurden die großen Donau-Kraftwerke mit modernen Atomkraftwerken auf eine konkurrierende Leistungsstufe gestellt. Die Befürwor-ter für einen weiteren Donau-Ausbau unterstrichen in der Diskussion beharrlich die Mehr-fachfunktion von Flusskraftwerken: Schifffahrtsstraßen von internationaler Bedeutung und Stromerzeugung in einem könnten die modernsten Atommeiler nicht bieten.65

Ein Faktum, das die DOKW als brauchbaren Argumentationsbaustein gegenüber Aus-baukritikern gerne einsetzte. Wasserkraft-Ingenieure sahen in der aufstrebenden Kernenergie eine direkte Gefahr für Österreichs „bewährtem Strom aus Wasserkraft“.66 Später wurde sei-tens der Energiewirtschaft bekräftigt, dass sowohl „Donau-Energie“ als auch Kernenergie für die zuverlässige Stromversorgung benötigt würden.67

Im Zusammenhang mit dem verhinderten Donau-Kraftwerk in der Wachau nahm der Wissenschaftler Dr. Engelbert Broda, Professor für physikalische Chemie an der Universität Wien,68 als „Umweltschützers der ersten Stunde“ eine besondere Rolle ein. Sein Engagement als Mitbegründer der österreichischen Umweltbewegung zeigt auf anschauliche Weise Mög-lichkeiten zur Einflussnahme bei Genehmigungsverfahren von Großprojekten am Beispiel der Wasserkraft auf.69 Eine der ersten öffentlichen Aktionen Brodas war ein in der Tages-zeitung „Die Presse“ abgedruckter Leserbrief. Hier warnte er vor der unwiederbringlichen Zerstörung der „einzigartigen Landschaft mit ihren Kulturwerten“.70

II.2 Kurzbiografie Professor Engelbert Broda

Engelbert Broda wurde 1910 in Wien geboren.71 Er dissertierte 1934 an der Universität Wien. Als Studierender war er aktiver Widerständler gegen den aufkeimenden Nationalsozialismus.

64 Mord an der Donau, in: Profil 10 (1972), 40.65 Ortrun Veichtlbauer (2008): Die Donau – Strom ohne Eigenschaften, in: Peter Melichar / Ernst Langthaler /

Stefan Eminger (Hg.): Niederösterreich im 20. Jahrhundert, Bd. 2: Wirtschaft, Wien, 119.66 L. Fellner (1970): Die wirtschaftliche Bedeutung der österreichischen Donaukraftwerke, in: Österreichische Zeit-

schrift für Elektrizitätswirtschaft (1970) 11, 667.67 Hermann et al. (1973), 9.68 Othmar Preining / Engelbert Broda (2004), in: Friedrich Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II, Emigration und

Exil österreichischer Wissenschaft, Teilband 2, Münster, 706. 69 Der Arbeitskreis für die Wachau, arbeitskreis-wachau.at, URL: http://www.arbeitskreis-wachau.at/html/ak.html

(abgerufen am 10.12.2012).70 Engelbert Broda (1971): Die Wachau ist bedroht, in: Die Presse, 16./17.10.1971, 18.71 Preining et al. (2004), 706.

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1938 flüchtete Broda nach Großbritannien ins Exil (bis 1947).72 Im University College in Lon-don fand Broda eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter.73 Der ausgebildete Che-miker und Physiker arbeitete federführend bei einem streng geheimen Nuklearwaffenprojekt mit.74 Er nutzte sein Wissen rund um die Kernspaltung, um in der Folge als geheimer Spion der UdSSR die neuesten Forschungskenntnisse zu übermitteln. Broda – bekennender Kom-munist – unterstützte so die Sowjets im Kampf gegen Hitler-Deutschland.75 Broda nahm für seine Spionagetätigkeiten für den KGB kein Geld an – er handelte aus rein ideologischen Gründen. Von 1968 bis 1980 war Broda Professor für Angewandte physikalische Chemie an der Universität Wien.76 Erst 2009 wurde vom ehemaligen Geheimdienstmitarbeiter Alex-ander Vassiliew nach Recherche im russischen KGB-Archiv Brodas Spionage-Hintergrund nachgewiesen.77

Engelbert Broda erhielt für sein Engagement beim Umweltschutz und insbesondere für seinen Einsatz zum Schutz der Wachau den „Österreichischen Naturschutzpreis“ 1979.78 Im zwölften Jahresbericht des Arbeitskreises zum Schutz der Wachau wurde explizit fest-gehalten, dass die von Prof. Broda intensiv gepflegten Kontakte zu Naturfreunde-Präsident Heinz Fischer, Bundesminister für Gesundheit und Umweltschutz, Dr. Kurt Steyrer, und Staatssekretär Dr. Erich Schmidt eine vorzeitige Entscheidung gegen den Kraftwerksbau in der Wachau bewirkt haben.79 Für den Arbeitskreis wurde Prof. Broda einer der wichtigsten „Botschafter der Wachau“ in Wien.80

II.3 Broda initiierte Bürgerinitiative: Arbeitskreis zum Wachau-Schutz formierte sich

Die DOKW startete 1971 konkrete Planungen für ein Kraftwerk in der Wachau. Zahlreiche BewohnerInnen erfuhren über Mundpropaganda frühzeitig über das Vorhaben. Die Unge-wissheit förderte Spekulationen in der Bevölkerung.81

Das projektierte Laufwasserkraftwerk Rossatz/Wührsdorf hätte je nach Positionierung

72 Peter Graf (2011): Der österreichische Atomspion Engelbert Broda, URL: https://medienportal.univie.ac.at/up-loads/tx_ttmedienportal/files/Broda_Engelbert_1980.jpg (abgerufen am 21.8.2013).

73 Preining et al. (2004), 706.74 Graf (2011).75 Chapman Pincher (2012): Treachery – the true story of MI5, Edinburgh, 24.76 Graf (2011).77 Glenmore S. Trenear-Harvey (2011): Historical Dictionary of Atomic Espionage, Maryland, 59.78 Österreichischer Naturschutzpreis, naturschutzbund.at, URL: www.naturschutzbund.at/ausgezeichnet/articles/

oesterreichischer-naturschutzpreis.htm (abgerufen am 3.3.2013).79 Franz Hirtzberger (1984): Jahresbericht des Arbeitskreises zum Schutz der Wachau, URL: http://www.arbeits-

kreis-wachau.at/downloads/Bericht_12_1983.pdf (abgerufen am 23.9.2013).80 Hirtzberger (1984).81 Arbeitskreis Wachau (2012).

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und Ausführungsvariante eine geplante Leistung zwischen 15082 Megawatt (MW) und 17083 MW sowie ein Regelarbeitsvermögen zwischen 80084 Millionen Kilowattstunden (Mio. KWh) und 1.040 Mio. KWh.85 Die Projektwerber planten als Bauzeit für das Wachau-Kraft-werk die Jahre 1982 bis 1986 ein.86

Broda sah in den geplanten Kraftwerksprojekten auch eine Gefahr für den Wachau-Tourismus. Schnell hatte der Wiener Professor die Wachau-Touristiker auf seiner Seite. Im Leserbrief, der in der Tageszeitung „Die Presse“ am 16.10.1971 abgedruckt wurde, stellte er die Frage, ob „bei Realisierung eines Wachau-Kraftwerks der Preis nicht zu hoch wäre, um eine der schönsten Stromlandschaften Mitteleuropas zu denaturieren“.87

Broda nahm schriftlichen Kontakt mit den Bürgermeistern der Wachau-Gemeinden auf. Er unterstrich nochmals seine Ausführungen aus dem „Presse“-Leserbrief. Die Idee zur Gründung einer Bürgerinitiative ging von Broda aus. Er schlug den Gemeindeoberhäuptern vor, ein Komitee zum Schutz der Wachau zu gründen, um stärker und koordinierter gegen die Kraftwerkspläne auftreten zu können. Broda wollte zu Beginn aber keine aktive Rolle in

82 Robert Fenz (1973): Wasserkraftnutzung an der Donau, in: Koska (Hg.), 11.83 Robert Fenz (1972): Fortsetzung und Vollendung des Donauausbaues, in: Österreichische Zeitschrift für Elektri-

zitätswirtschaft (1972) 8, 285.84 Fenz (1973), 11.85 Fenz (1972), 285.86 Hans Baumgartner (1975): Gefahr für die Wachau, in: Kurier, 21.5.1975, I.87 Engelbert Broda (1971): Die Bedrohung der Wachau, Leserbrief im Original, Engelbert-Broda-Nachlass, Österrei-

chische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, Box 25, Mappe 3.

Engelbert Broda, 1980. Bildquelle: Peter Graf, Pressearchiv der Universität Wien, Österreichische Zent-ralbibliothek für Physik.

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einem Komitee spielen.88 Im November 1971 sendete Broda Kopien des Leserbriefes aus der Tageszeitung „Die Presse“ an zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, um für den Schutz der Wachau zu werben und möglichst breit zu informieren. Sektionsrat Kurt Skalnik sagte Broda umgehende Unterstützung zu und vermittelte ihn zum Weingutbesitzer und Wachau-Opinion-Leader Josef Jamek, der später zu einer Schlüsselfigur in der Bürgerin-itiative gegen den Kraftwerksbau werden sollte.89

Im Herbst 1971, im Zuge einer Exkursion von Landschaftspflegern und Naturschützern aus dem In- und Ausland, die vom Leiter des Naturschutzinstitutes des Naturschutzbundes, Prof. Dr. Lothar Machura (†1982), begleitet wurden, entstand die Idee, umgehende Maßnah-men gegen die Kraftwerksplanungen im Wachau-Abschnitt zu starten.90

Einige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens schlossen sich zum Arbeitskreis zum Schutz der Wachau zusammen. Ziel war es, aktiv Informationen zu den DOKW-Planungen einzuho-len und die „einmalige Wachau-Landschaft“ vor Eingriffen der Energiewirtschaft zu bewahren.91

Im November 1972, starteten die Mitglieder der Initiative die erste öffentlichkeitswirksame Aktion in der Wiener Innenstadt.92 Burschen und Mädchen in Tracht – begleitet von zwei Musikkapellen aus der Wachau – sammelten auf Anhieb 5.000 Unterstützungsunterschrif-ten für das Wachau-Komitee.93

Rasch schlossen sich zahlreiche Persönlichkeiten aus der Wachau, aber auch Wachau-Liebhaber aus Wien dem Personenkomitee an.94 Die Arbeitskreis-Mitglieder konnten Un-terstützerInnen aus einem breiten Spektrum an Branchen für ihre Aktionen gewinnen. Un-ter ihnen KünstlerInnen wie zum Beispiel Staatsoper-Kammersänger Hans Braun, Gerhard Bronner, Hilde Krahl oder den Maler Prof. Ernst Fuchs. Prominente Vertreter aus Wissen-schaft und Forschung waren beispielsweise Univ.-Prof. Dr. Herbert Hunger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Univ.-Prof. Dr. Siegfried Kerninger, Rektor der Universität Wien, oder Prof. Gustav Peichl von der Akademie der Bildenden Künste. Darüber hinaus standen Umweltschützer und Ökologen hinter den Forderungen der Kraft-werksgegner: Nobelpreisträger DDr. Konrad Lorenz, Prof. DDr. Bernd Grzimek, Präsident der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt am Main, oder Prof. Otto Kornig.95

88 Engelbert Broda (1971): Brief an die Bürgermeister der Wachau-Gemeinden, Engelbert-Broda-Nachlass, Österrei-chische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, Box 25, Mappe 1.

89 Kurt Skalnik (1971): Brief an Engelbert Broda, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, Box 26, Mappe 2, 2.11.1971.

90 Franz Hirtzberger (1975): Keine Staustufe Wachau, Spitz, 19.91 Mord an der Donau (1972), 50.92 Arbeitskreis Wachau (2012).93 Baumgartner (1975), I.94 Arbeitskreis Wachau (2012).95 Hirtzberger (1975), 5f.

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Energischer Kraftwerksgegner war der Journalist und langjährige Pressesprecher der Bun-despräsidenten Franz Jonas und Dr. Rudolf Kirchschläger, Sektionschef Dr. Kurt Skalnik.96 Im Laufe der Jahre wuchs die Anhängerschaft der Widerstandsgruppe enorm an. Oberste Priorität des Aktionskomitees war, die Wachau aus dem bevorstehenden Donau-Ausbauge-setz des Verkehrsministeriums auszuklammern.97

II.4 Hilfe von höchster Stelle: Broda schaltete Kreisky ein

Broda erkannte rasch, dass die Kraftwerkspläne von der Basis aus schwer zu verhindern sein würden und setzte seine Initiative sehr früh an höchster Stelle an: Er schrieb an Bundes-kanzler Bruno Kreisky seine Bedenken zur Wachau-Verbauung durch Kraftwerke.98 Broda machte darauf aufmerksam, dass sich ein baulicher Eingriff in die Flusslandschaft der Wa-chau eine weitaus größere Dimension mit sich ziehen würde, als eine örtliche „Verschandelung der Landschaft“.99 Die Antwort des Bundeskanzlers folgte zwei Monate später zum Jahres-beginn 1972. Zu diesem Zeitpunkt war Kreisky starker Befürworter für den Donau-Ausbau. Die Befürchtungen von Prof. Broda wurden vom Bundeskanzler weitestgehend relativiert. Kreisky bezog sich auf eine Information von Bundesminister für Verkehr, Erwin Frühbauer, und auf eine Info-Veranstaltung der DOKW bei den Wachau-Gemeinden. Der Bundeskanz-ler argumentierte, dass der exakte Standort des Wasserkraftwerkes von Ortschaften nicht sichtbar hinter der Donauschleife verborgen bliebe. Ein „wohldurchdachter“ Ausbau der Do-nau zur Kraftwerks- und Schifffahrtsstrecke wäre auf lange Sicht kostengünstiger, weil schon zu Beginn der 1970er Jahre wegen zu geringer Wassertiefen in den freien Fließstrecken ein geschätzter Schaden für die Schifffahrt in Höhe von 30 Millionen Schilling entstand.100

Im Antwortschreiben an den Bundeskanzler brachte Broda zum Ausdruck, dass er be-fürchte, dass keinerlei Natur- und Landschaftsschutzprojekte miteinbezogen sein würden. Broda schlug Kreisky außerdem vor, dass die Bundesregierung oder das Verkehrsministerium eine öffentliche Enquete über die Wachau-Frage einberufen möge, um möglichst vielschichtig zu informieren und tragbare Lösungen zu finden.101

96 Arbeitskreis Wachau (2012).97 Andreas Gressel (1972): Für mehr Strom weniger Donau, in: Süddeutsche Zeitung, 3./4.6.1972, 3.98 Engelbert Broda (1971): Brief an Bruno Kreisky, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, 3.11.1971.99 Engelbert Broda (1971): Brief an Bruno Kreisky, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, 5.11.1971.100 Bruno Kreisky (1972): Brief an Engelbert Broda, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, Box 26, Mappe 2, 13.1.1972. 101 Engelbert Broda (1972): Brief an Bruno Kreisky, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, 24.1.1972.

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Broda bat Kreisky um eine Sonderlösung für den Wachau-Abschnitt.102 Ende Mai 1972 traf Broda Bundeskanzler Kreisky zu einer gemeinsamen Erörterung der Kraftwerksfrage in der Wachau. Broda warnte den Bundeskanzler konkret vor den Gefahren des Ausbaus: Zerstörung des Landschaftsbildes durch das Kraftwerk mit Begleitanlagen wie Hochspan-nungsleitungen, Errichtung von Uferdämmen, welche die Sicht auf die Donau minimieren würden, Wegfall der freien Fließstrecke und dadurch Verschlechterung der Wasser- und Grundwasserqualität, ebenso daraus bedingte lokale Klimaverschlechterung auf Kosten des Weinbaus und der Obstbaukulturen. Broda pochte auf die umfassende Einbindung aller Be-teiligten und Betroffenen und forderte alternative Lösungen, die nicht am „technokratischen Reißbrett“ geplant werden sollten. Broda im Brief an Kreisky: „Unsere Nachkommen würden uns verfluchen, wenn wir um der Wirtschaftlichkeit dieses barbarischen Projektes willen, wie sie von den Donaukraftwerken einseitig gesehen wird, die Kulturlandschaft der Wachau auf alle Zeiten verpatzen würden.“103

Nach dem persönlichen Gespräch schien der Bundeskanzler durch Brodas Argumente zu-mindest gegenüber dem Wachau-Kraftwerksprojekt neutral gestimmt zu sein.104

II.5 Der Arbeitskreis profitierte von Brodas Kontakten zur Politik

Broda konnte bei seinem Einsatz für die Wachau auf direkte Vermittlungen durch seinen Bru-der, Innenminister Christian Broda, zu Schlüsselpersonen der Regierung bauen. Engelbert Broda band auch seinen Freund, den späteren Bundespräsidenten Heinz Fischer – der im Frühling 1972 neuer Bundesobmann der Naturfreunde wurde – aktiv für sein Engagement pro Wachau ein und bat um „moralische Unterstützung“ im Sinne des Naturschutzes. Bis Mitte 1972 hatte der Arbeitskreis – vor allem über die persönliche Initiative und die guten Kontakte von Broda – bei Politikern mit Schlüsselfunktionen gegen die Ausbaupläne interveniert. Neben Kreisky wurden auch Bautenminister Josef Moser, Staatssekretär Dr. Ernst Eugen Veselsky, Verkehrsminister Erwin Frühbauer,105 Ministerin für Wissenschaft und Forschung Dr. Herta Firnberg,106 Bundesminister für Unterricht und Kunst Fred Sinowatz107 sowie Niederöster-

102 Engelbert Broda (1972): Brief an Bruno Kreisky, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, 24.2.1972.

103 Engelbert Broda (1972): Brief an Bruno Kreisky, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, 8.5.1972.

104 Thomas Nowotny (1972): Brief im Auftrag von Bruno Kreisky an Engelbert Broda, Österreichische Zentralbibli-othek für Physik, Universität Wien, Box 26, Mappe 4, 29.5.1972.

105 Engelbert Broda (1972): Brief an Heinz Fischer, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, 14.6.1972.

106 Engelbert Broda (1972): Brief an Herta Firnberg, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, 19.6.1972.

107 Engelbert Broda (1972): Brief an Fred Sinowatz, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

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reichs Landeshauptmann Andreas Maurer und sein Stellvertreter Hans Czettel in die Aktivi-täten des Wachau-Komitees eingebunden.108 Neben Engelbert Brodas persönlichen Kontakten zu den politischen Vertretern der Bundesregierung versuchte der Arbeitskreis parallel dazu an den höchsten Stellen der Republik seine Bedenken zum Wachau-Projekt zu präsentieren.109

II.6 Kraftwerksplanung berücksichtigte erstmals flächendeckend die Umweltsituation

In Schreiben an Kreisky forderte Broda stärkeres Mitspracherecht für Landschafts- und Na-turschützer sowie der Öffentlichkeit im Wasserrechtsverfahren.110 Eine Forderung, die viele Jahre später im „Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz“ (UVP-G) 1993 und in der Novelle 2000 gesetzlich verankerte Berücksichtigung fand.111

Auch nach dem öffentlichen Bekenntnis Kreiskys gegen einen Kraftwerksbau in der Wa-chau blieb der Arbeitskreis weiter in Alarmbereitschaft. DOKW-Vorstandsdirektor Robert Fenz stellte die Kraftwerkspläne vor und versuchte zu überzeugen, dass die baulichen Ein-griffe in die Umwelt und die Landschaft „keineswegs so krass sein werden“.112

Engelbert Broda überzeugte Naturfreunde-Präsident Heinz Fischer, dass ökologische Eingriffe in die Donau-Fließstrecke in der Wachau „eine Katastrophe“ wären. Ende 1972 in-formierte Fischer per Brief persönlich die Wachau-Gemeinden, dass er in dieser Frage die Wachau mit allen Möglichkeiten als Kulturlandschaft schützen wolle und dass er bereits von allen Bundesministern positives Feedback erhalten habe.113

Daraufhin kündigte Kreisky eine weitere, für damalige Genehmigungsverfahren kaum üb-liche Vorgehensweise an: Zu den erarbeiteten Vorprojekten sollten erstmals Vertreter der Wachau-Gemeinden die Möglichkeit einer direkten Stellungnahme erhalten. Diese Art einer ersten integrierten Bürgerbeteiligung war bei einem österreichischen Infrastrukturprojekt dieser Größenordnung revolutionär.114

Physik, Universität Wien, 19.6.1972.108 Engelbert Broda (1972): Brief an Heinz Fischer, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, 14.6.1972.109 Franz Hirtzberger (1972): Brief an Engelbert Broda, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbiblio-

thek für Physik, Universität Wien, Box 25, Mappe 5, 8.8.1972.110 Engelbert Broda (1972): Brief an Andreas Maurer, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek

für Physik, Universität Wien, 11.11.1972.111 Erfolgsgeschichte Umweltverträglichkeitsprüfung, URL: http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2003/

PK0466/ (abgerufen am 25.6.2003).112 Alternativen zu Kraftwerk Wachau, in: Die Presse, 23.11.1972, 4.113 Heinz Fischer (1972): Brief an Dr. Kurt Preiss, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für

Physik, Universität Wien, Box 25, Mappe 5, 19.12.1972.114 Franz Hirtzberger / Josef Jamek / Karl Plaschko / Kurt Preiß, Vorsprache beim Bundeskanzler, Gedächtnisproto-

koll, Engelbert-Broda-Nachlass, Österreichische Zentralbibliothek für Physik, Universität Wien, Box 25, Mappe 6, 12.1.1973.

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Im Sommer 1980 wurde die Beratungskommission, bestehend aus Vertretern der zustän-digen Bundesministerien, der DOKW und des Arbeitskreises, ins Leben gerufen. Broda ge-hörte immer wieder zu den vier ständigen Vertretern des Arbeitskreises in dem Beratungs-gremium. Die geplante Wachau-Stufe wurde schließlich im Zeitplan des Donau-Ausbaus an die letzte Stelle gereiht.115 Der Arbeitskreis übernahm in diesem Beratungsgremium aber auch im Genehmigungsverfahren Pionierarbeit im österreichischen Umweltschutz. Der geforderte Landschaftsplan wurde Realität und galt als wesentlicher Schrittmacher für die ersten Um-weltverträglichkeitsprüfungen.116

II.7 Weltkultur statt Wasserkraft: Das Kraftwerksprojekt wurde gestoppt

Die neue Bundesregierung unter Kanzler Fred Sinowatz beschloss, auf den Bau eines Wachau-Kraftwerkes zu verzichten. Der Arbeitskreis konnte durch das Lobbying von Broda Bundesminister Kurt Steyrer auf seine Seite bringen. Bei der Zehn-Jahre-Feier der Wachau-Initiative sprach Steyrer sogar von „barbarischen Plänen“ der Energiewirtschaft.117

Engelbert Broda, der durch seine guten Kontakte zu Regierungsmitgliedern maßgeblich für die letztendlich rasche Entscheidung gegen das Kraftwerk in der Wachau verantwortlich war, wurde von den langjährigen Mitkämpfern entsprechend gewürdigt. Nur wenige Wochen nach der endgültigen Entscheidung, kein Kraftwerk zu bauen, verstarb Broda 74-jährig an Herzversagen.118 Er wurde 1983 auf dem Wiener Zentralfriedhof in einem Ehrengrab beige-setzt. Die endgültige Entscheidung, die Wachau vorerst für eine Tabu-Zone des Kraftwerks-baus zu erklären, wurde schließlich im Energiekonzept der Bundesregierung festgehalten.119 Die Befahrung des Wachauer Donau-Abschnittes mit großen Transportschiffen konnte Mitte der 1980er Jahre – so Expertisen – mit alternativen flussbaulichen Maßnahmen und ohne Aufstau erreicht werden. Ein weiterer Meilenstein, der auf das Engagement der Ini-tiative zurückgeht, war im Jahr 2000 die Aufnahme der Wachau in die begehrte Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.120

115 Hirtzberger (1979), 2.116 Hirtzberger (1980), 2.117 Hirtzberger (1984), 3.118 Ebd.119 Hirtzberger (1985), 4.120 Arbeitskreis Wachau (2012).

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