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ISSN 0035-7812 IM AUFTRAGE des Priesterkollegs am Campo Santo Teutonico in Rom und des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft IN VERBINDUNG MIT Wolfgang Bergsdorf,Thomas Brechenmacher, Jutta Dresken-Weiland, Pius Engelbert, Rudolf Schieffer und Günther Wassilowsky HERAUSGEGEBEN VON Theofried Baumeister, Dominik Burkard, Hans-Peter Fischer und Stefan Heid BAND 107, HEFT 3–4 2012 HERDER ROM FREIBURG WIEN

· BAND 107 (2012) HEFT 3–4 - msu.ru · 2013. 12. 2. · auf der Grundlage von über 160 griechischen Handschriften des 11.–16. Jh. ist: A. A. Dmi-trievskij, Opisanija liturgicˇeskich

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RQ 2/12 / p. 1 / 20.3.

ISSN 0035-7812

IM AUFTRAGE

des Priesterkollegs am Campo Santo Teutonico in Romund des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft

IN VERBINDUNG MIT

Wolfgang Bergsdorf, Thomas Brechenmacher, Jutta Dresken-Weiland,Pius Engelbert, Rudolf Schieffer und Günther Wassilowsky

HERAUSGEGEBEN VON

Theofried Baumeister, Dominik Burkard,Hans-Peter Fischer und Stefan Heid

BAND 107, HEFT 3–4

2012

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Geschichte der Christlichen Archäologie in Russlandvom 18. bis ins 20. Jahrhundert

(3. Folge)*

Von LJUDMILA G. KHRUSHKOVA1

III. Das „Goldene Zeitalter“ (2. Hälfte 19. Jh. bis Anfang 20. Jh.)

8. Kirchenarchäologie

a. Geistliche Akademien der Russisch-Orthodoxen Kirche

Die russische Kirchenarchäologie erlebte ihren Aufschwung in den letztenJahrzehnten des 19. Jahrhunderts. 1844 wurde sie in das Curriculum der Geist-lichen Akademie von Moskau eingeführt und am Lehrstuhl für Liturgie undArchäologie angesiedelt. Gleiche Lehrstühle gab es auch an anderen Akade-mien2. Laut Akademiestatuten von 1869 musste die Archäologie ein eigen-ständiges Fach sein. Dennoch dominierte die Liturgie mit dem Hilfsfach derArchäologie, das den künftigen Priestern eine genaue Vorstellung vom christ-lichen Kultgebäude und seinen Einrichtungen vermitteln sollte. Damit sollte dieKenntnis und das Verständnis der Liturgie im Geist der Liturgiekommentare derbyzantinischen Theologen vertieft werden. Die Professoren waren somit in derRegel Liturgiker wie etwa Ivan Danilovic Mansvetov (1843–1885) an der Geist-lichen Akademie von Moskau3. An der Geistlichen Akademie von Kiew (Kievs-kaja duchovnaja akademija – KDA) war der Lehrstuhlinhaber für Liturgie undKirchenarchäologie das Akademiemitglied (1903) Aleksej Afanas’evic Dmi-trievskij (1856–1929). Er war ein herausragender Kenner und Herausgeber litur-gischer Handschriften aus den Beständen der Bibliotheken in Istanbul, Smyrna,Trapezous auf dem Athos, in Kairo, Alexandria, Athen, Thessaloniki, Pathmos

* Aus dem Französischen übersetzt von Stefan Heid. Transliteration des Russischen vonAlberto Gerosa. Die ersten beiden Folgen siehe RQ 106 (2011) 229–252; 107 (2012) 74–119.1 Eine Kurzform dieses Überblicks siehe L. G. Khrushkova, Istorija christianskoj i cerkov-noj archeologii v Rossii, in: V. V. Simonov (Hg.), Vvedenie v istoriju Cerkvi 2. Istoriografija[Einführung in die Kirchengeschichte 2. Historiographie] (im Druck).Abkürzungen: Heid, Dennert = S. Heid, M. Dennert (Hg.), Personenlexikon zur Christ-lichen Archäologie 1–2 (Regensburg 2012); IRAIK = Izvestija Russkogo archeologiceskogoinstituta v Konstantinopole [Bulletin des Russischen Archäologischen Instituts von Konstan-tinopel].2 M. Kozlov, Duchovnoe obrazovanie v Rossii. XVII-XIX vv. [Die geistliche Ausbildung inRussland, 17.–20. Jh.], in: Pravoslavnaja enciklopedija. Tom: Russkaja Pravoslavnaja Cerkov’(Moskau 2000) 407–426.3 A. Lebedev, Professor Moskovskoj duchovnoj akademii Ivan Danilovic Mansvetov (†16dekabrja 1885 goda) [Der Prof. an der Geistlichen Akademie von Moskau I. D. Mansvetov(† 16. Dezember 1885)], in: Pravoslavnoe obozrenie aprel’ (1886) 789–813; A. Musin, I. D.Mansvetov, in: Heid, Dennert 2, 859f.

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und auf dem Sinaï sowie in Rom, Neapel, Grottaferrata, Florenz, Turin, Mai-land, Venedig, Wien, Paris und Dresden4. Er war es auch, der erstmals die Ikonendes Katharinenklosters inventarisierte (bezeichnenderweise war dort nie vorhereine solche Aufstellung gemacht worden)5. Dmitrievskij wurde 1907 nach 23Jahren Tätigkeit an der Akademie von Kiew Sekretär der Orthodoxen Palästina-Gesellschaft. Er verfasste einige Arbeiten zur Archäologie in Palästina und zurGeschichte der Gesellschaft6.

Nikolaj Vasil’evic Pokrovskij (1848–1917) ist die Einführung der Kirchen-archäologie in die historischen Wissenschaften und ihre Etablierung als eigenesakademisches Fach zu verdanken. Sein ganzes Leben war mit der GeistlichenAkademie von Sankt Petersburg (Peterburgskaja duchovnaja akademija – PDA)verbunden: er promovierte 1874, war dann Privatdozent am Lehrstuhl für Kir-chenarchäologie und Liturgie und in der Folge ordentlicher Professor (1893),nachdem er seine Doktoratsthese (Habilitation) über das Evangelium in derbyzantinischen und russischen Ikonographie eingereicht hatte, die einschlägigzu diesem Thema ist7.

Der Name Pokrovskij ist in einem Atemzug mit Kondakov zu nennen. Beidesahen Fedor I. Buslajev als ihren eigentlichen Lehrer an. Pokrovskij betrachtetedie byzantinische und russische Kirchenkunst als Ausdruck des geistigen, mora-lischen und ästhetischen Wesens des östlichen Christentums und der besonderenMentalität der Völker des Mittelalters. Der Methode Buslaev’s folgend konfron-tierte er die Schriftquellen mit den Denkmälern und Bildern, um den wahrenSinn der Bilder zu entschlüsseln. Pokrovskij erkannte richtig die Verbindungen

Geschichte der Christlichen Archäologie in Russland 203

4 A. Musin, V. Tsamakda, A. A. Dmitrievskij, in: Heid, Dennert 1, 424f. Das Hauptwerkauf der Grundlage von über 160 griechischen Handschriften des 11.–16. Jh. ist: A. A. Dmi-trievskij, Opisanija liturgiceskich rukopisej, chranjascichsja v bibliotekach pravoslavnogoVostoka 1–2 [Beschreibungen der liturgischen Handschriften aus den Bibliotheken des or-thodoxen Ostens] (Kiew 1895–1901), 3 (Petrograd 1917). Er verfasste eine Studie über dasEuchologion des Jacob Goar, dessen Edition in Russland verbreitet war: J. Goar, Eucholo-gion sive Rituale Graecorum (Paris 1647, Nachdrucke: Venedig 1730, Graz 1960). Diese un-veröffentlichte Arbeit Dmitrijevskijs befindet sich in der Handschriftenabteilung der Ros-sijskaja nacional’naja biblioteka [Russische Nationalbibliothek] in Sankt Petersburg: F. 253;O. Michail Arranc, A. A. Dmitrievskij: iz rukopisnogo nasledija [A. A. Dmitrijevskij –sein Handschriftennachlass], in: I. P. Medvedev (Hg.), Archivy russkich vizantinistov vSankt-Peterburge [Archive der russischen Byzantinisten in Sankt Petersburg] (Sankt Peters-burg 1995) 120–133; B. I. Sove, Russkij Goar i ego skola [Der russische Goar und seineSchule], in: Bogoslovskie trudy 4 (1968) 39–84; L. Machno, Spisok trudov prof. AleksejaAfanas’evica Dmitrievskogo [Liste der Arbeiten von Prof. A. A. Dmitrievskij], in: ebd. 95–108; G. van Aalst, Alexius Afanas’evic Dmitrievsky (1856–1929). Biographische gegevensen zijn liturgische leer vooral over het liturgisch typikon, in: Het Christelijk Oosten 7 (1955)29–37, 212–225; 8 (1956) 163–176; ders., Die Bibliographie des russischen Liturgikers A. A.Dmitrievsky, in: OrCPhr (1960) 108–140.5 A. Dmitrievskij, Putesestvie na Vostok i ego naucnye rezul’taty (oficial’nyj otcet) [Orient-reise und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse. Offizieller Bericht], in: Trudy Kievskoj du-chovnoj akademii (Juli 1889) 422–444.6 Siehe Anm. 90, 95, 104, 110, 112.7 L. G. Khrushkova, N. W. Pokrovskij, in: Heid, Dennert 2, 1030–1032.

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zwischen der russischen, byzantinischen und frühchristlichen Ikonographie. Erwar sensibel für die stimmige Synthese von Malerei und Architektur des liturgi-schen Raumes der Kirchengebäude. Mehrfach hat er seine Sicht der Archäologiein diesem Sinne dargelegt8.

Pokrovskij’s Forschungsaufenthalt 1876–1877 in Deutschland, Frankreich,der Schweiz und in Italien schenkte ihm viele neue Einsichten. In Berlin besuch-te er das Christliche Museum Ferdinand Pipers, in Straßburg hörte er Vorlesun-gen von Franz-Xaver Kraus, in Rom lernte er Giovanni Battista de Rossi ken-nen. Zurück in Petersburg, schlug er die Aufteilung des Lehrstuhls für Liturgieund Archäologie vor, um so einen eigenständigen Lehrstuhl für Kirchenarchäo-logie zu schaffen. Auch seine Idee, ein Archäologisches Museum bei der Aka-demie einzurichten, wurde vom Heiligen Synod bewilligt.

Pokrovskij war ein aktiver und aufgeschlossener Kopf, der sich nicht in dieGeistliche Akademie einschloss. Er war Direktor des Archäologischen Institutsvon Sankt Petersburg, Mitglied der Archäologischen Gesellschaft von Moskau,der Archäologischen Gesellschaft Russlands, der Archäologischen Kommission,der Gesellschaft der Freunde alter Literatur und des Komitees zum Schutz derrussischen Ikonenmalerei. Durch populäre Bücher wusste er seine Vorstellungenunter das Volk zu bringen. Eine Kurzfassung seines Handbuchs der Kirchen-archäologie war für die Oberkurse für Frauen (Vyssie zenskie kursy) in SanktPetersburg bestimmt, die erste Einrichtung für höhere Bildung für Frauen inRussland9. Pokrovskij veröffentliche eine gekürzte Übersetzung der „Roma sot-terranea“ de Rossis10.

Über 30 Jahre lang nahm er an den archäologischen Kongressen Russlandsteil; auf dem 6. Kongress referierte er über die Ikonographie des Jüngsten Ge-richts11. Sein Referat über die griechische und russische Wandmalerei auf dem

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8 N. V. Pokrovskij, Novejsie vozzrenija na predmet i zadaci archeologii [Die jüngsten Stel-lungnahmen zum Objekt und Ziel der Archäologie], in: Sbornik Archeologiceskogo instituta4 (1880) 13–28.9 Ders., Ocerki pamjatnikov pravoslavnoj ikonografii i iskusstva [Studien zu orthodoxenIkonographie- und Kunstdenkmälern] (Sankt Petersburg 1893–1894, 900), Rez.: E. Dob-bert, in: ByZ 5 (1896) 587–600; 3. Auflage: Ocerki pamjatnikov christianskogo iskusstva iikonografii [Studien zu den Denkmälern der christlichen Kunst und Ikonographie] (SanktPetersburg 1910); gekürzter Neudruck: Sankt Petersburg 1999; ders., Cerkovnaja archeolo-gija v svjazi s istoriej christianskogo iskusstva [Die Kirchenarchäologie in Hinsicht auf diechristliche Kunstgeschichte] (Petrograd 1916).10 G. B. de Rossi, Ocerki drevnego christianskogo iskussta po pamjatnikam podzemnogoRima [Studien zur altchristlichen Kunst nach den Denkmälern der Roma sotterranea] (SanktPetersburg 1879). Der russische Leser erhielt durch populäre Bücher Auskunft über die rö-mischen Katakomben: A. von Friken, Rimskie katakomby i pamjatniki pervonacal’nogochristianskogo iskusstva I. Rimskie katakomby [Die römischen Katakomben und Denkmälerder frühchristlichen Kunst 1. Römische Katakomben] (Moskau 1872); A. Zav’jalov, Rims-kie katakomby [Römische Katakomben] (Sankt Petersburg 1903).11 N. V. Pokrovskij, Strasnyj Sud v pamjatnikach vizantijskogo i russkogo iskusstva [DasJüngste Gericht in den Denkmälern der byzantinischen und russischen Kunst], in: Trudy VIArcheologiceskogo s ’’ezda v Odesse (1884) 3 (Odessa 1887) 285–381.

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7. Kongress erschien später in monographischer Ausarbeitung12. Auch seinHauptwerk über die Ikonographie des Evangeliums erschien in der Reihe derArbeiten des 8. Kongresses13. Ein Aufsatz Pokrowskijs fällt aus dem Rahmen:die Veröffentlichung einer Silberplatte, die 1891 am Bosporus entdeckt wordenwar, in Zusammenarbeit mit Josef Strzygowski. Dieses einzigartige Objekt wur-de von beiden Forschern als Schild aus justinianischer Zeit bestimmt14.

Andere große Namen lehrten an der Geistlichen Akademie von Moskau(Moskovskaja duchovnaja akademija – MDA). Dazu gehörte der Kirchenhis-toriker Evgenij Evstigneevic Golubinskij (1834–1912), Schüler und dann Pro-fessor an der MDA15. Sein Hauptwerk ist die Geschichte der russischen Kirchevon den Anfängen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts16. Die zweite Auflage weistals wichtige Ergänzungen Kapitel über Liturgie, Architektur und Archäologiesowie einen archäologischen Atlas auf. Das Werk fand breite Aufnahme trotzmancher Diskussionen über seine Interpretationen. Ferner schrieb er über dieGeschichte der russischen Ikonostase17. Golubinskij wurde als einziger Profes-sor einer Geistlichen Akademie in die Akademie der Wissenschaften gewählt(1881 korr., 1903 ord.). Als Historiker erkannte er den Wert der materiellenQuellen. Als Museologe profilierte er sich in der Einrichtung des Archäologi-schen Museums der Akademie.

Ein Schüler Golubinskij’s war Aleksandr Petrovic Golubcov (1862–1911),Liturgiker, Archäologe und ordentlicher Professor an der MDA (1907)18. Inseiner Doktoratsthese (Habilitation) bearbeitete er die Liturgiesammlungender russischen Kathedralen u. die Besonderheiten ihrer Offizien („Cinovniki“).Golubcov behandelte die Besonderheiten der russischen Liturgie im Kontext derArchitektur und der liturgischen Einrichtungen der Bischofskirchen. Er gingden Unterschieden zwischen russischer Kirchenarchäologie und westlicher

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12 Ders., Stennye rospisi v drevnich chramach greceskich i russkich [Die Wandmalereien inden alten griechischen und russischen Kirchen], in: Trudy VII Archeologiceskogo s’’ezda vJaroslavle 1 (Moskau 1890) 135–305.13 Ders., Evangelie v pamjatnikach ikonografii, preimuscestvenno vizantijskich i russkich[Das Evangelium nach den bedeutendsten byzantinischen und russischen Bilddenkmälern](Trudy VIII Archeologiceskogo s’’ezda v Moskve 1890. 1) (Sankt Petersburg 1892); Nach-druck: Moskau 2001.14 N. V. Pokrovskij, I. Strzigovskij [J. Strzygowski], Vizantijskij pamjatnik: scit, najden-nyj v Kerci; Der Silberschild aus Kärtsch, in: Materialy po archeologii Rossii 8. DrevnostiJuznoj Rossii 3 (1892) 1–37 (russ. und deutsch). In den jüngeren Publikationen spricht manvon einer Platte bzw. Patene mit der Abbildung Constantius’ II.: A. Bank, L’art byzantindans les musées de l’Union Soviétique (Leningrad 1977) 271.15 L. G. Khrushkova, E. E. Golubinskij, in: Heid, Dennert 1, 590f.16 E. E. Golubinskij, Istorija russkoj cerkvi I,1–2 [Geschichte der russischen Kirche] (Mos-kau 1880–1881); II,1 (Moskau 1900); II,2,1 (Moskau 1911); 2. Auflage: I,1,2 (Moskau 1901,1904); Archeologiceskij Atlas ko vtoroj polovine I toma [Archäologischer Atlas zur 2. Hälftedes 1. Bandes] (Moskau 1906); Nachdruck: I-II (Moskau 1997–1998).17 Ders., Istorija altarnoj pregrady ili ikonostasa v pravoslavnych cerkvach [Geschichte derEinfriedung des Presbyteriums oder die Ikonostase in den orthodoxen Kirchen], in: Pravos-lavnoe obozrenie 2 (1872) 570–589.18 L. G. Khrushkova, A. P. Golubcov, in: Heid, Dennert 1, 590.

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Christlichen Archäologie nach: In Russland war der Zeitumfang viel größer,indem die Kirchenarchäologie die frühchristliche, byzantinische und mittelalter-liche Epoche umfasste. Anders als andere russische Archäologen interessiertesich Golubcov besonders für das frühe Christentum. Er schrieb über die Haus-kirche der ersten Jahrhunderte, die Geschichte des Kreuzbildes, die Einstellungder Christen des 2.–3. Jahrhunderts zu Kunst und Bildern, die römischen Kata-komben19 u.a. Einige jüngst nachgedruckte Arbeiten dienen noch heute als Stu-dienhandbücher.

Der Liturgiker, Kirchenhistoriker und Archäologe Nikolaj Fomic Krasno-sel’cev (1845–1898) war Professor an der Geistlichen Akademie von Kazan’,später außerordentlicher Professor an der Universität Novorossijsk (Odessa),wo er zur selben Zeit wirkte wie Kondakov20. In Kazan’ arbeitete Krasnosel’cevan der Veröffentlichung der Handschriften des Klosters Soloveckij (Solovki)21,das eine bedeutende Rolle in der russischen Geschichte spielte. Er schrieb einensehr hilfreichen Beitrag über die Kirchenarchäologie auf den russischen archäo-logischen Kongressen, in dem er den Wert archäologischer Quellen für die Kir-chengeschichte unterstrich22. Er erforschte auch das Konstantinopeler Typikondes 11. Jahrhunderts unter Berücksichtigung der Architektur der Hagia Sophiaund der städtischen Topographie23.

Die Professoren der Geistlichen Akademien veröffentlichten vor allem in denhauseigenen theologischen Zeitschriften. In Petersburg war dies die „ChristlicheLektüre“ (Christianskoe Ctenie), in der Pokrovskij mehrfach zu frühchristli-chen Themen schrieb: Guter Hirte, Lamm Gottes, die Symbolik der Hochzeits-kronen u.a.24. Hier erschien auch sein Bericht über den 6. archäologischen Kon-

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19 A. P. Golubcov, Sbornik statej po liturgike i cerkovnoj archeologii [Aufsatzsammlungzur Geschichte der Liturgie u. Kirchenarchäologie] (Sergiev Posad 1911); ders., Iz ctenij pocerkovnoj archeologii i liturgike [Vorlesungen über Kirchenarchäologie und Liturgie-geschichte] 1–2 (Sergiev Posad 1917–1918), Neudruck: 1. Bd. Archäologie (Sankt Petersburg1995); 2. Bd. Liturgie (Moskau 1996).20 A. Musin, V. Tsamakda, N. F. Krasnosel’cev, in: Heid, Dennert 2, 757 f.21 [I. Ja. Porfir’ev, A. V. Vadkovskij, N. F. Krasnosel’cev], Opisanie rukopisej Soloveck-ogo monastyrja, nachodjascichsja v biblioteke Kazanskoj duchovnoj akademii [Beschreibungder Handschriften des Klosters Soloveckij in der Bibliothek der Geistlichen Akademie vonKazan’] 1–3 (Kazan’ 1881–1896).22 N. F. Krasnosel’cev, Cerkovnaja archeologija na russkich archeologiceskich s’’ezdach[Die Kirchenarchäologie auf den russischen archäologischen Kongressen] (Kazan’ 1887);ders., O znacenii archeologiceskich otkrytij dlja obrabotki drevnej cerkovnoj istorii [DieBedeutung archäologischer Entdeckungen für die Arbeit zur Alten Kirchengeschichte](Odessa 1889).23 N. F. Krasnosel’cev, Tipik cerkvi sv. Sofii v Konstantinopole (XI v.) [Typikon der So-phienkirche von Konstantinopel (11. Jh.)] (Letopis’ Istoriko-filologiceskogo obscestva 2)(Odessa 1892). Andere Arbeiten von ihm behandeln archäologische und liturgische Fragen:Ocerki po istorii christianskogo chrama [Studien zur Geschichte des christlichen Tempels](Kazan’ 1881); Bogosluzenie Ierusalimskoj cerkvi v konce IV v. [Das Offizium der Jerusale-mer Kirche am Ende des 4. Jh.] (Kazan’ 1888).24 N. V. Pokrovskij, Simvoliceskie formy agnca v drevnechristianskom iskusstve [Die sym-bolischen Formen des Lammes in der frühchristlichen Kunst], in: Christianskoe Ctenie 1

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gress in Odessa25. Golubcov hingegen veröffentlichte regelmäßig seine Beiträgezur frühchristlichen Kunst im „Theologischen Monitor“ (Bogoslovskij vestnik),der Zeitschrift der MDA26. Die Akademie von Kazan’ veröffentliche das Organ„Orthodoxer Gesellschafter“ (Pravoslavnyj Sobesednik)27, mit der es eine be-sondere Bewandtnis hatte. Auf dem Gebiet der Eparchie von Kazan’ wohntenAltgläubige (staroobrjadcy), islamische Tartaren und zum Teil heidnische Völker(mari, cuvasi). Daher findet man in der Zeitschrift Beiträge zur Mission, Ethno-graphie, zum Islam, Buddhismus u.a. Das Supplement war Publikationen ausder Kirchengeschichte vorbehalten. Über 15 Jahre war der Hauptredakteur Ser-gej Alekseevic Ternovskij (1848–1916), Professor für Hebräisch und biblischeArchäologie an der Akademie von Kazan’28.

Die Geistliche Akademie von Kiew veröffentlichte ihre „Arbeiten“ (Trudy);darin finden sich viele archäologische Beiträge wegen der großen Zahl an christ-lichen Denkmälern in Kiew und Umgebung.

b. Museen

Entsprechend dem Statut von 1869 der Geistlichen Akademien wurden dortkirchenarchäologische Museen eingerichtet29. Die meisten russischen Professo-ren kannten aus eigener Anschauung derartige Museen in Europa: in Italien undvor allem Pipers Museum in Berlin. Die russischen Reisenden bemerkten, dassdieses Museum viele Kopien enthielt, während man in Russland Originale be-vorzugte und erst später – vor allem für den Unterricht – Kopien schätzen lernte.

Das erste kirchenarchäologische Museum wurde 1872 von Professor FilippAlekseevic Ternovskij (1838–1884) an der Akademie von Kiew eingerichtet.Damals gründete Ternovskij die Gesellschaft für Kirchengeschichte und -ar-chäologie bei der Akademie von Kiew. Ins dortige Museum gelangten wichtige

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(1878) 743–782; ders., „Dobryj Pastyr’“ v drevnechristianskom iskusstve [Der „Gute Hirte“in der frühchristlichen Kunst], in: Christianskoe Ctenie 2 (1878) 483–498; ders., Bracnyevency i carskie korony: istorija formy bracnych vencov i ich simvoliceskoe znacenie [DieHochzeitskronen und Zarenkronen. Formengeschichte der Hochzeitskronen und ihre sym-bolische Bedeutung], in: Christianskoe Ctenie 2 (1882) 127–160.25 Ders., Sestoj archeologiceskij s’’ezd v Odesse (pamjatniki christianstva) [Der 6. archäolo-gische Kongress in Odessa (Christliche Denkmäler)], in: Christianskoe Ctenie 1 (1885) 179–229.26 A. P. Golubcov, Proischozdenie, naznacenie i ustrojstvo rimskich katakomb [Ursprünge,Bestimmung und Einrichtung der römischen Katakomben], in: Bogoslovskij Vestnik 2,4(1897) 68–91; ders., Ob otnosenii christian II-III st. k iskusstvu [Zur Haltung der Christendes 2.–3. Jh. gegenüber der Kunst], in: ebd. 3,10 (1903) 173–196.27 L. G. Khrushkova, Pravoslavnyj sobesednik [Orthodoxer Gesprächspartner], in: Ency-klopedia Katolicka 16 (Lublin 2011) 160.28 S. A. Ternovskij, Istoriceskaja zapiska o sostojanii Kazanskoj duchovnoj akademii posleee preobrazovanija [Historische Denkschrift zum Zustand der Geistlichen Akademie nachihrer Umwandlung] (Kazan’ 1892).29 I. Mansvetov, Ob ustrojstve cerkovno-archeologiceskich muzeev [Zur Organisation derkirchlich-archäologischen Museen], in: Pravoslavnoe obozrenie 1 (1872) 259–282.

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Sammlungen: jene des Kaufmanns Andrej Efimovic Sorokin und des Orient-reisenden und Schriftstellers Andrej Nikolaevic Murav’ev (1806–1874). Nachdem Tod des Erzbischofs Porfirij [Konstantin Aleksandrovic Uspenskij](1804–1885) erhielt das Kiewer Museum 43 Ikonen aus dessen Sammlung, da-runter vier wertvolle Enkausten des 6.–7. Jahrhunderts vom Sinaï. Diese bliebenglücklicherweise erhalten, während fast die gesamte übrige Sammlung des Mu-seums während des Zweiten Weltkriegs verloren ging. Zu Beginn des 20. Jahr-hunderts hatte es fast 30.000 Objekte30. Der Konservator, der die ersten archäo-logischen Sammlungen der Akademie in ein echtes Museum umwandelte, warder Professor an der Kiewer Akademie Nikolaj Ivanovic Petrov (1840–1921)31.Er unterrichtete Literatur, war aber ein fähiger Museograph. Er verfasste eineGeschichte der Gesellschaft für Kirchengeschichte und -archäologie und desMuseums32 und mehrere Beschreibungen der Sammlungen33. Die meisten Iko-nen Porfirij’s wurden auch von Kondakov beschrieben34.

Noch eine andere bedeutende Kiewer Sammlung enthielt zahlreiche christli-che Objekte. Bogdan Ivanovic Chanenko (1848–1917), erfolgreicher Fabrikant,Mäzen und Sammler, Absolvent der Universität Moskau, Ehrenmitglied derAkademie der Schönen Künste und Präsident der Gesellschaft für Altertümerund Kunst in Kiew, hatte eine Kunstsammlung und Bibliothek aufgebaut. Derarchäologische Teil umfasste 3.145 Objekte. 1918 richtete seine Frau Varvara

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30 G. I. Vzdornov, Istorija otkrytija i izucenija srednevekovoj zivopisi. XIX vek [Geschich-te der Entdeckung und Erforschung der russischen mittelalterlichen Malerei. 19. Jh.] (Mos-kau 1986) 181–184. Auf wunderbare Weise blieben die enkaustischen Ikonen erhalten. Insowjetischer Zeit wurden sie ins Staatsmuseum für westliche und östliche Kunst gebracht.Heute befinden sie sich im Nationalen Kunstmuseum Bogdan und Varvara Chanenko: O. E.Etingof, Vizantijskie ikony VI- pervoj poloviny XIII veka v Rossii [Byzantinische Ikonendes 6. Jh. bis zur ersten Hälfte des 13. Jh. in Russland] (Moskau 2005) 539–559 (reiche Lit.).31 A. Musin, N. I. Petrov, in: Heid, Dennert 2, 1011 f.32 N. Petrov, Zapiska o sostojanii Cerkovno-archeologiceskogo muzeja i Obscestva priKievskoj duchovnoj akademii za pervoe desjatiletie ich suscestvovanija (1872–1882) [Denk-schrift zum Zustand des Museums für Kirchenarchäologie und der Gesellschaft bei der Geist-lichen Akademie von Kiew während des ersten Dezenniums ihres Bestehens (1872–1882)], in:Trudy Kievskoj duchovnoj akademii (Dez. 1882) 421–448; ders., Tridcatiletie Cerkovno-is-toriceskogo i archeologiceskogo obscestva pri Kievskoj duchovnoj akademii [30. Jahrestagder Gesellschaft für Kirchengeschichte und -archäologie bei der Geistlichen Akademie vonKiew], in: ebd. (Januar 1903) 134–151. Siehe auch E. K. Redin, Professor N. I. Petrov (popovodu ispolnivsegosja tridcatipjatiletija ego ucenoj dejatel’nosti) [Prof. N. I. Petrov anläss-lich 35 Jahren Forschertätigkeit], in: Archeologiceskaja letopis’ Juznoj Rossii 4–5 (1904) 125–127.33 N. Petrov, Al’bom dostoprimecatel’nostej Cerkovno-archeologiceskogo muzeja priKievskoj duchovnoj akademii [Album der Kuriositäten des Museums für Kirchenarchäologiean der Geistlichen Akademie von Kiew] 1–3 (Kiew 1912–1913); Ders., Ukazatel’ Cerkovno-archeologiceskogo muzeja pri Kievskoj duchovnoj akademii. Izd. 2 [Index des Archäologi-schen Museums bei der Geistlichen Akademie von Kiew, 2. Auflage] (Kiew 1897); ders.,Istoriko-topograficeskie ocerki drevnego Kieva [Studien zur Geschichte und Topographievon Alt-Kiew] (Kiew 1897).34 N. P. Kondakov, Ikony Sinajskoj i Afonskoj kollekcij [Ikonen der Sammlungen auf demSinaï und Athos] (Sankt Petersburg 1902).

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Nikolaevna Chanenko (?–1922) das Museum der Künste von B. u. V. Chanenkoein, das bis 1924 bestand, als die Sammlungen ins Staatsmuseum für westlicheund östliche Kunst in Kiew (Gosudarstvennyj Muzej zapadnogo i vostocnogoiskusstva, seit 1992 Nacional’nyj Muzej iskusstv imeni B. I. i V. N. Chanenko[Nationales Kunstmuseum Bogdan und Varvara Chanenko]) gelangten. Mitglie-der der Familie Chanenko veröffentlichten christliche Gegenstände seinerSammlung, die zahlreiche Pektoralkreuze und eine Sammlung von etwa 80 by-zantinischen (sog. „syrischen“) Kreuzen umfasste, die beim Bau der Eisenbahnin Syrien gefunden worden waren. B. Chanenko konnte sie in Damaskus erwer-ben35. Sie befinden sich heute im Historischen Nationalmuseum der Ukraine(Nacional’nyj muzej istorii Ukrainy – so der Name seit 1991).

Die Museen der Geistlichen Akademien von Sankt Petersburg (1879) undMoskau (1880) waren wesentlich bescheidener ausgestattet als jenes von Kiew.Das Museum von Sankt Petersburg unter Leitung von Pokrovskij erhielt dieIkonensammlungen von Novgorod36. Das Museum der Akademie in Moskauwar 1871 von E. E. Golubinskij eingerichtet worden, seit 1891 wurde es vonGolubcov, Professor der Kirchenarchäologie, geleitet37.

Daneben gab es noch Sammlungen christlicher Altertümer diverser Herkunft.Eine der ältesten war die „Kammer der Ikonen“ (Obraznaja palata), eine staat-liche Sammlung im Kremlpalast mit 2.500 Ikonen und anderen kirchlichen Ob-jekten. Darunter befanden sich auch Schenkungen auswärtiger Kirchenmissio-nen. Schon 1669 war ein Inventar der Kammer erstellt worden38. Auch dieSchatzkammer (riznica) der russischen Kirche befand sich im Kreml im Glo-ckenturm Ivans des Großen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde sie in einöffentliches Museum umgewandelt. Der Hieromonachus Sabba (russisch Savva),später Archimandrit und Erzbischof von Tver’ und Kasin (1819–1896), erwiessich als befähigter Museumsleiter. Als Schatzmeister (1850–1859)39 brachte er dieSammlung in beste Ordnung und veröffentlichte ihren Katalog40.

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35 B. I. Chanenko, Russkie christianskie drevnosti [Russische christliche Altertümer] (Kiew1899); B. I. Chanenko, V. N. Chanenko, Drevnosti russkie. Kresty i obrazki 1–2 [RussischeAltertümer. Kreuz und kleine Ikonen] 1–2 (Kiew 1899–1900).36 N. V. Pokrovskij, Cerkovno-archeologiceskij muzej S.-Peterburgskoj Duchovnoj aka-demii 1879–1909 [Das Museum für Kirchenarchäologie der Geistlichen Akademie von SanktPetersburg 1879–1909] (Sankt Petersburg 1909).37 A. P. Golubcov, Cerkovno-archeologiceskij muzej pri MDA [Das Museum für Kirchen-archäologie der Moskauer Geistlichen Akademie], in: Bogoslovskij Vestnik 2,4 (1895) 120–140.38 A. I. Uspenskij, Cerkovno-archeologiceskoe chranilisce pri Moskovskom dvorce v XVIIveke [Die Sammlung für Kirchenarchäologie beim Palast von Moskau im 17. Jh.], in: Ctenijav Obscestve istorii i drevnostej rossijskich 3,1 (1902) 1–92.39 Savva, archiepiskop Tverskoj i Kasinskij, Chronika moej zizni [Chronik meines Lebens](Sergiev Posad 1898–1911).40 Ders., Ukazatel’ dlja obozrenija moskovskoj Patriarsej (nyne Sinodal’noj) riznicy i biblio-teki [Index der Schatzkammer und der Bibliothek der Patriarchen von Moskau (jetzt desSynod)], 3. Auflage (Moskau 1858). Dieser Index erfuhr fünf Auflagen und eine franz. Über-setzung: Arch. Sabbas, Guide de la Bibliothèque patriarcale de Moscou (Moskau 1858).

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Daneben gab es noch regionale Sammlungen alter Kirchenobjekte genannt„drevlechranilisca“, die den Eparchialverwaltungen der Regierungsbezirke un-terstanden. Die meisten von ihnen wurden in den 1880er und 1890er Jahreneingerichtet. Wie viele andere Institutionen dieser Zeit zeugen sie für das breiteöffentliche Interesse für die nationale Geschichte und ihre Denkmäler. Das äl-teste und bekannteste Museum war das Museum für Altertümer der EparchieTula (Tul’skoje eparchial’noe drevlechranilisce), später „Kammer der Alter-tümer“ (Palata drevnostej) genannt41.

Dieses Museum wurde 1884 von Nikolaj Ivanovic Troickij (1851–1920) ge-gründet, Absolvent der Geistlichen Akademie von Moskau42. Er trug eineSammlung christlicher und kirchlicher historischer Objekte aus dem Re-gierungsbezirk Tula im Herzen Russlands zusammen. Ferner gründete er dieGesellschaft für Geschichte und Archäologie von Tula, die eine kleine Reihe„Altertümer von Tula“ (Tul’skaja Starina) herausgab. Als Mitglied der MAOnahm Troickij regelmäßig an den archäologischen Kongressen Russlands (Mos-kau, Vil’no, Char’kov, Cernigov, Riga) und an den regionalen archäologischenKongressen teil. Er schrieb nicht nur die Geschichte der Eparchie Tula43, son-dern veröffentlichte auch über alte Kreuzformen, russische christliche Architek-tur, die russische Ikonostase, Ikonographie, Numismatik u.a. Bis heute vielgelesen ist seine Studie über die theologische Bedeutung des orthodoxen Kir-chenbaus44. Das Historische Museum von Tula trägt heute seinen Namen. Einigeseiner Aufsätze wurden in nachsowjetischer Zeit nachgedruckt45.

Ein weiteres wichtiges Museum für Kirchenaltertümer war die Sammlung(drevlechranilisce) im nordrussischen Archangel’sk. Iustin Michajlovic Sibircev(1853–1932) war Präsident des Organisationskomitees und über vier Jahrzehntehinweg Konservator des Museums. Ihm gelang es, eins der besten Regionalmu-seen zu schaffen. Es vereinigte Ikonen, Schmuckstoffe, alte Klosterbibliotheken,darunter die reichhaltige Bibliothek des Antoniusklosters von Sijsk („Antonie-

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41 P. Nikol’skij, Tul’skoe eparchial’noe drevlechranilisce [Die Sammlung der Eparchie Tula](Tula 1898).42 L. G. Khrushkova, N. I. Troickij, in: Heid, Dennert 2, 1245f.43 N. I. Troickij, Sto let bytija Tul’skoj eparchii. Istoriceskij vzgljad na eparchial’nuju zizn’ s1799 po 1899 god [100 Jahre Eparchie von Tula. Ein Blick in die Geschichte des Lebens derEparchie 1799–1899] (Tula 1899). Siehe auch den Katalog: ders., Cerkovno-archeologiceskiepamjatniki, chranjasciesja v riznice Tul’skogo archierejskogo doma [Die in der Sakristei desHauses des Erzpriesters von Tula aufbewahrten kirchlichen und archäologischen Objekte],in: Drevnosti. Trudy MAO 11,1, 1886, Issledovanija 1–38.44 Ders., Christianskij pravoslavnyj chram v ego idee [Der christlich-orthodoxe Tempel undseine Idee] (Tula 1916).45 Ders., Ikonostas i ego simvolika [Die Ikonostase und ihre Symbolik], in: Pravoslavnoeobozrenie 4 (1891) 696–719; Nachdruck: T. N. Kudrjavceva, V. A. Fedorov (Hg.), Vysokijrusskij ikonostas [Die russische Hochikonostase] (Moskau 2004) 137–162; N. I. Troickij,Krest Christa – Drevo Zizni [Kreuz Christi – Lebensbaum], in: Tul’skaja starina 16 (1904)43–65; Nachdruck in: S. V. Gnutova (Hg.), Stavrograficeskij sbornik 2. Krest v pravoslavii[Staurographische Sammlung 2. Das Kreuz in der orthodoxen Tradition] (Moskau 2003) 5–11.

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vo-Sijskij“) mit illuminierten Handschriften des 14. Jahrhunderts46. In ihrer Ge-samtheit boten die Objekte ein breites Panorama der historischen Lebenskulturder Eparchie Archangel’sk.

Das Jahr 1884 sah die Gründung der Gelehrten Archivkommissionen derRegierungsbezirke (Gubernskie ucenye archivnye komissii – UAK), die beiden Eparchialverwaltungen eingerichtet wurden, zunächst in den Städten Orel,Tambov, Rjazan’ und Tver’47. Diese Kommissionen widmeten sich den Archiva-lien, darunter auch Handschriften, aber auch alten Objekten aus Kirchenbesitz.In den „Arbeiten“ (Trudy) oder „Bulletins“ (Izvestija) veröffentlichten sie vielemittelalterliche Quellen und Beschreibungen von Denkmälern wie Kirchen undKlöstern, Kunstwerken und Gegenständen des Kunsthandwerks. Die Kommis-sion von Vladimir, einer alten Stadt, war besonders rege publizistisch tätig –1899–1918 erschienen 18 Bände „Arbeiten“ – und fand starkes Echo in derÖffentlichkeit. 1900–1905 wurde durch die finanzielle Unterstützung einhei-mischer Mäzene im Zentrum von Vladimir ein repräsentatives Gebäude fürMuseum und Archiv des Regierungsbezirks errichtet. Tatsächlich verfolgtendie Kommissionen und die regionalen kirchenarchäologischen Museen ein ähn-liches Ziel: die Erforschung der Geschichte ihrer Landesteile48.

Vasilij Timofeevic Georgievskij (1861–1923) war eine typische Erscheinung.Sohn eines Priesters und Förderer der Geistlichen Akademie von Kiew (1885),befasste er sich leidenschaftlich mit den kirchlichen Altertümern der Klöster vonVladimir und Suzdal’. Das Museum von Vladimir mit dem Namen „Drevlech-ranilisce [Kirchenaltertümersammlung] der Bruderschaft des hl. AleksandrNevskij“ war 1886 von dem Erzpriester Vasilij Vasil’evic Kasatkin gegründetworden. Georgievskij veröffentlichte als Bibliothekar und Konservator denKatalog dieses Museums49. Obwohl Mitglied der Russischen ArchäologischenGesellschaft (RAO) und anderer gelehrter Gesellschaften, erwarb er nie einenakademischen Grad, war aber ein glücklicher Entdecker und Reisender. Er ent-deckte die bedeutenden Fresken des großen russischen Malers Dionisij aus demEnde des 15. Jh.-beginnenden 16. Jh., die dieser 1502 in der Geburtskirche derGottesmutter im Therapontos-Kloster bei Vologda gefertigt hatte, und sorgte

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46 XXV-letie Archangel’skogo eparchial’nogo cerkovno-archeologiceskogo komiteta[25. Jahrestag des Komitees für Kirchenarchäologie der Eparchie von Archangel’sk] (Archan-gel’sk 1913).47 V. S. Ikonnikov, Gubernskie ucenye archivnye komissii.1884–1890 [Gelehrte Archiv-kommissionen des Regierungsbezirks] (Kiew 1892); N. V. Pokrovskij, Gubernskie ucenyearchivnye komissii [Gelehrte Archivkommissionen des Regierungsbezirks] (Sankt Peters-burg 1908). Ein Beispiel: die Gelehrte Taurische Archiv-Kommission veröffentlichte 57 Bän-de des Bulletin (ITUAK) 1897–1920 (jetzt: http//www.library.chersonesos.org).48 Vzdornov (Anm. 30) 192–194.49 V. Georgievskij, Kratkoe opisanie cerkovno-istoriceskogo drevlechranilisca pri Bratstvesv. Aleksandra Nevskogo vo Vladimirskoj gub. [Kurze Beschreibung des historischen Muse-ums und der Kirche der Bruderschaft des hl. Alexander Nevskij im Regierungsbezirk Vladi-mir] (Vjazniki 1896).

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für ihre Restaurierung50. 1900 besuchte Georgievskij zusammen mit Kondakovund Graf Sergej D. Seremetev die Dörfer von Mstera, Palech, Choluj im Regie-rungsbezirk Vladimir, Zentren der Ikonenmalerei. In der Folge wurde von ZarNikolaj II. 1901 das Komitee zum Schutz der russischen Ikonenmalerei (Komi-tet popecitel’stva o russkoj ikonopisi) gegründet, für das Georgievskij sehr aktivwar.

1910–1914 unternahm er drei ertragreiche Reisen zum Athos, wo er die selteneGelegenheit bekam, eine Reihe guter Fotos der Fresken von Manuil Panselin imKloster von Protat zu machen. Zudem konnte er einige Ikonen des 14. Jahr-hunderts für das Russische Museum des Zaren Alexander III. in Sankt Peters-burg erwerben51. Diese Reisen waren mit Hilfe der Russischen ArchäologischenGesellschaft und der Zarenfamilie realisiert worden. 1911 reiste Georgievskijnach Serbien, wo er Kirchenfresken mehrerer Klöster fotografierte. 1913 konnteer dank seiner Stellung im Heiligen Synod und seiner Bekanntschaft mit ZarNikolaj II. 46 Ikonen des 15.–16. Jahrhunderts aus dem Kloster Pokrovskij inSuzdal’ ins Russische Museum des Zaren Alexander III. bringen. 1913–1917 hielter Kurse in Ikonenmalerei am Institut der Schönen Künste in Sankt Petersburg(„Zubovskij Institut“, eine 1912 von Graf V. P. Zubov gegründete private Ein-richtung)52.

1917–1918 begründete Georgievskij, Sekretär des Lokalsynod (Pomestnyj so-bor) der Russisch-Orthodoxen Kirche, die Abteilung für Kirchenkunst undschlug die Gründung einer Kammer für Kunstaltertümer am Patriarchat vor.Die Zeitumstände erlaubten jedoch die Umsetzung dieser Projekte nicht. Biszu seinem Tod arbeitete Georgievskij in verschiedenen Restaurationswerkstät-ten Moskaus und Petrograds, soweit es in den ersten Jahren der Sowjetherrschaftnoch möglich war.

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50 V. T. Georgievskij, Freski Ferapontova monastyrja [Fresken des Therapontos-Klosters](Sankt Petersburg 1911). Dieses Buch mit seinen opulenten Abbildungen gewann den PreisSergej S. Uvarov; das Vorwort schrieb N. P. Kondakov. Siehe auch I. J. Danilova, Dionissi(Dresden 1970).51 V. T. Georgievskij, Freski Panselina v Protate na Afone [Die Panselin-Fresken in Protat aufdem Athos] (Sankt Petersburg [1913]). Bei der Erforschung der Athosmalerei besteht dasProblem, dass die Mönche keine Fotografien erlauben, weil die hl. Väter auf den Konziliensolche angeblich untersagt haben. 1898 wiesen die Mönche Kondakov trotz der Autorisie-rung durch den Patriarchen von Konstantinopel ab. In seinem Buch über die Athosmalerei(1902) musste er sich mit Zeichnungen von Sevastjanov von 1860 begnügen. Auch GabrielMillet, Charles Bayet u.a. wurden keine Fotografien erlaubt.52 Ju. A. Pjatnickij, V. T. Georgievskij i ego poezdki na Afon v 1911–1913 godach v pis’machk N. P. Kondakovu [V. T. Georgievskij und seine Athos-Reisen 1911–1913, nach seinen Brie-fen an N. P. Kondakov], in: V. N. Zalesskaja, Ju. A. Pjatnickij (Hg.), Balkanskij sbornik. KXXII Mezdunarodnomu kongressu vizantinistov. Sofija, 22–27 avgusta 2011 goda (TrudyGosudarstvennogo Ermitaza 57) (Sankt Petersburg 2011) 294–353. 16 Briefe von Georgievs-kij an Kondakov (1908–1914) im Filialarchiv der Akademie der Wissenschaften Russlands inSankt Petersburg (f. 115, inv. 2) hg. von Ju. A. Pjatnickij: ebd. 354–378.

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Altertumssammlungen, die auch Kirchenaltertümer umfassten, bestandenebenso bei den zwanzig statistischen Komitees der Regierungsbezirke; in den1880er Jahren gab es etwa 80 derartige Komitees53.

Unter den Würdenträgern der russischen Kirche gab es durchaus anerkannteHistoriker. Der Archimandrit Makarij [Nikolaj Kirillovic Miroljubov] (1817–1894), 1860–1866 Rektor des Seminars von Novgorod und später Erzbischofvon Don und Novocerkassk, interessierte sich für historische und archäologi-sche Fragen54. Als Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften veröffentlichte ermit Unterstützung der RAO ernstzunehmende Studien zu den christlichen Al-tertümern (Klöster, Kirchen, Ikonen, Handschriften, Kreuze u.a.) zweier alterStädte und ihrer Eparchien: Niznij Novgorod55 und Novgorod56. Sein Werküber Novgorod fand besondere Anerkennung. Durch seine ausführliche unddetaillierte Darstellung und die beigegebenen Archivalien (Kircheninventareu. a.) wurde es eine der besten Arbeiten dieser Art von Regionalstudien. Ähnlicharbeitete Ivan Ivanovic Vasilev über die Denkmäler einer anderen altrussischenStadt: Pskov und Umgebung; diese Arbeit wurde ebenfalls in der Reihe derRAO veröffentlicht57. Seit 1853 veranlasste Makarij als Mitglied des Synodalko-mitees die Inventarisierung der Bibliotheken und Schatzkammern der Kirchenund Klöster. Er selbst arbeitete in verschiedenen Eparchien Zentralrusslands: inVologda, Jaroslavl’, Kostroma und Vladimir.

c. Archäologische Institute

Themen der Kirchenarchäologie spielten eine wichtige Rolle in der Arbeitzweier archäologischer Institute in Sankt Petersburg und in Moskau. Sie dientender nach-universitären Spezialausbildung in Archivistik und Archäologie58.

Geschichte der Christlichen Archäologie in Russland 213

53 P. S. Uvarova, Gubernskie ili oblastnye muzei [Regierungsbezirks- und Regionalmuseen](Moskau 1888) 9–12.54 Pjatidesjatiletie cerkovno-obscestvennoj i naucno-literaturnoj dejatel’nosti vysokopre-osvjascennejsego Makarija, archiepiskopa Donskogo i Novocerkasskogo. Jubilejnoe izdanie[Der 50. Jahrestag der kirchlichen, öffentlichen, gelehrten und literarischen Tätigkeit vonMakarios, Bischof von Don und Novocerkassk] (Novocerkassk 1893).55 Makarij, archim. Pamjatniki cerkovnych drevnostej v Nizegorodskoj gubernii [DieDenkmäler der Kirchenaltertümer im Regierungsbezirk von Niznij Novgorod] (Zapiski Im-peratorskogo Russkogo Archeologiceskogo Obscestva 10) (Sankt Petersburg 1857).56 Makarij (Miroljubov), archim. Archeologiceskoe opisanie cerkovnych drevnostej vNovgorode i ego okrestnostjach [Archäologische Beschreibung der Kirchenaltertümer vonNovgorod und Umgebung] 1–2 (Moskau 1860). Zum selben Thema siehe M. Tolstoj, Svja-tyni i drevnosti Velikogo Novgoroda [Sakralgegenstände und Altertümer aus Groß-Novgo-rod] (Moskau 1862).57 I. I. Vasilev, Archeologiceskij ukazatel’ g. Pskova i ego okrestnostej [ArchäologischerIndex der Stadt Pskov und Umgebung], in: Zapiski Imperatorskogo Russkogo Archeologi-ceskogo Obscestva X,1–2, Trudy Otdelenija slavjanskoj i russkoj archeologii 3 (1898) 211–309.58 V. N. Samosenko, Archeologiceskie instituty [Archäologische Institute], in: Otecestven-naja istorija. Istorija Rossii s drevnejsich vremen do 1917 g. Enciklopedija 1, A-D [National-

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Das Institut in Sankt Petersburg (Peterburgskij archeologiceskij institut) be-gann seine Arbeit 1877 unter dem angesehenen Historiker und Archivar NikolajVasil’evic Kalacov (1819–1885). Nikolaj V. Pokrovskij, einige Jahre lang Direk-tor, gab Kurse in Kirchenarchäologie. Seit 1914 war Aleksandr Andreevic Spicyn(1858–1931) Professor am Institut. Er war Mitglied der Russischen Archäologi-schen Gesellschaft (RAO) und später korrespondierendes Mitglied der Aka-demie der Wissenschaften der UdSSR (1927). Als Kenner der russischen undslawischen Altertümer trug Spicyn wesentlich zur wissenschaftlichen Metho-denentwicklung der Archäologie in Russland bei. Er gründete 1910 das archäo-logische Kabinett der Universität Sankt Petersburg. Der Architekt und Restau-rator Konstantin Konstantinovic Romanov (1882–1942), 1918–1921 Professoram Institut, gab Kurse über byzantinische Architekturgeschichte. 1922 wurdedas Institut in die archäologische Abteilung der Fakultät für Sozialwissenschaf-ten der Universität Petrograd umgeformt.

Das Archäologische Institut in Moskau (Moskovskij archeologiceskij institut)wurde 1907 mit privaten Finanzmitteln gegründet. Sein Direktor AleksandrIvanovic Uspenskij (1873–1938) war ein anerkannter Fachmann auf dem Gebietder Kirchenarchäologie59. Er war aktives Mitglied der 1863 gegründeten Gesell-schaft der Freunde der geistlichen Bildung (Obscestvo ljubitelej duchovnogoprosvescenija) in Moskau, in der sich Laien und Kleriker zusammenfanden,darunter eine Reihe von Sammlern. Die Abteilung für Kirchenarchäologie unddas Museum der Gesellschaft kümmerten sich insbesondere um die religiöseMalerei und Ikonographie. Die Gesellschaft veröffentlichte die Zeitung „Mos-kovskie cerkovnye vedomosti [Moskauer Kirchenblatt]“60 und die Zeitschriften„Ctenija [Vorlesungen]“ und „Trudy cerkovno-archeologiceskogo otdela [Ar-beiten der Abteilung für Kirchenarchäologie]“. Allein zwischen 1900 und 1917wurden über 200 archäologische Berichte gegegeben. Im Vysokopetrovskij-Kloster im Herzen Moskaus richtete die Gesellschaft eine große Bibliothek derEparchie ein und 1870 eine Abteilung für Ikonologie, die eine Ikonensammlunganlegte61. A. I. Uspenskij verfasste den Ikonenkatalog des Museums der Gesell-schaft62. Die Gesellschaft, die Filialen in anderen Städten unterhielt, bestand bis

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geschichte. Die Geschichte Russlands von der ältesten Zeit an bis 1917. Enzyklopädie 1,A-D] (Moskau 1994) 120.59 N. B. Strizova, Moskovskij archeologiceskij institut po materialam Otdela pis’mennychistocnikov Gosudarstvennogo Istoriceskogo muzeja [Das Archäologische Institut in Moskaunach den Materialien der Handschriftenabteilung des Staatlichen Historischen Museums], in:V. I. Guljaev, A. A. Formozov (Hg.), Ocerki istorii russkoj i sovetskoj archeologii (Moskau1991) 102–120; A. Musin, A. I. Uspenskij, in: Heid, Dennert 2, 1258f.60 Die vollständige Mitgliederliste siehe in: Moskovskie Cerkovnye Vedomosti 5 (1910) 32–35.61 Vzdornov (Anm. 30) 189 f.62 A. Uspenskij, Ikony cerkovno-istoriceskogo muzeja Obscestva liubitelej duchovnogoprosvescenija [Die Ikonen des Museums für Kirchenarchäologie bei der Gesellschaft derFreunde der geistlichen Ausbildung], in: Moskovskie Cerkovnye Vedomosti 37, 38, 40, 47,48, 50, 51, 52 (1900); 1, 8, 11, 13, 17, 19, 21, 40, 41, 42, 43 (1901); 37, 40, 51–52 (1904); 37, 40–41,

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1917. Das Archäologische Institut wurde 1922 der Fakultät für Sozialwissen-schaften der Universität Moskau angegliedert.

9. Schutz und Restaurierung der Denkmäler

Noch um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Russland keine eigeneInstitution zur Erhaltung und Restaurierung gefährdeter Denkmäler; die ar-chäologischen Einrichtungen selbst mussten sich dieser Aufgabe annehmen. Al-lerdings wurden auf legislativer Ebene Restaurierungen historischer Denkmälerdurch eine Reihe von Dokumenten geregelt63. Nach dem Willen des Zaren wur-de die Kontrolle über alle Renovierungsarbeiten an Kirchen, Fresken und ande-ren Elemente der Innenausstattung alter Kirchen dem Heiligen Synod übertra-gen. Die Synodenbeschlüsse von 1842 und 1843 verlangten vor Beginn derArbeiten eine Autorisierung seitens des Synod. 1853 ordnete Metropolit Filaretan, in allen Eparchien Listen zum Schutz der Denkmäler und Kunstwerke mithistorischem Wert zu erstellen. 1878 schrieb der Synod vor, dass Restaurierungs-arbeiten mit der nächstgelegenen archäologischen oder historischen Gesellschaft(in Moskau, Petersburg, Kiew, Odessa) abzusprechen seien. Damit griff derSynod einen Vorschlag des 2. archäologischen Kongresses 1871 auf. 1889 kames zu einer weiteren Präzisierung: Auf kaiserliche Anweisung mussten alle Res-taurierungen mit der Archäologischen Kommission (IAK) und der Akademieder Schönen Künste koordiniert werden. Schließlich richtete die KaiserlicheArchäologische Kommission 1901 mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrerGründung die Kommission für Denkmalschutz ein64.

Die archäologischen Gesellschaften entfalteten eine rege Tätigkeit. Dabeispielte die Moskauer Gesellschaft eine besondere Rolle. In ihr wurden die Pro-bleme der Restaurierung erstmals 1869 lebhaft diskutiert65. Auf dem 2. Kongress1871 wurde das Gesetzesvorhaben zum Schutz der Denkmäler ausgearbeitet.1876 wurde von der RAO ein ähnliches Vorhaben dem Synod, der Akademieder Wissenschaften und der Akademie der Schönen Künste vorgestellt, das manaber verwarf. Schließlich wurde das Projekt 1913 der Duma vorgeschlagen, aber

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43, 47, 51–52 (1905); 14–15 (1906). Eine dreibändige Kurzfassung des Katalogs erschien inMoskau 1900–1906.63 G. G. Anisimov, Ochrana pamjatnikov istorii i kul’tury. Sbornik dokumentov [Schutz derGeschichts- und Kulturdenkmäler. Dokumentensammlung] (Moskau 1973); R. E. Al’tsuleru.a., Ochrana pamjatnikov istorii i kul’tury v Rossii. XVIII-nacalo XX vv. Sbornik doku-mentov [Schutz der Geschichts- und Kulturdenkmäler in Russland, 18.-Anfang 20. Jh. Do-kumentensammlung] (Moskau 1978); S. S. Pod’’japol’skij, G. B. Bessonov u.a., Restavra-cija pamjatnikov architektury [Restaurierung der Architekturdenkmäler] (Moskau 2000).64 M. V. Medvedeva u.a., Ocerk istorii dejatel’nosti Imperatorskoj archeologiceskoj ko-missii b 1859–1917 gg. [Studie zur Geschichte der Tätigkeit der Kaiserlichen ArchäologischenKommission 1859–1917], in: E. N. Nosov, A. E. Musin (Hg.), Imperatorskaja archeologi-ceskaja komissija (1859–1917). K 150-letiju so dnja osnovanija [Kaiserliche archäologischeKommission (1859–1917). Zum 150-jährigen Bestehen] (Sankt Petersburg 2009) 128–152.65 A. A. Formozov, Russkoe obscestvo i ochrana pamjatnikov kul’tury [Die russische Ge-sellschaft und der Schutz der Kulturdenkmäler], 2. Auflage (Moskau 1990) 74.

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nun verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine Umsetzung der Ini-tiative.

Die Archäologische Gesellschaft in Moskau (MAO) hatte eine eigene Kom-mission für Denkmalschutz initiiert. 1910 wurde von Architekten und Malerndie Gesellschaft zum Schutz der Kunstdenkmäler und Antiquitäten gegründet.Diese Gesellschaft unternahm die Restaurierung des Klosters Ferapontov, des-sen Hauptkirche von Dionisij, einem bekannten Künstler aus dem Anfang des16. Jahrhunderts, ausgemalt worden war. Zu den Mitgliedern gehörte auch derArchitekt Aleksej Viktorovic Scusev (1873–1949), der mehrere Kirchen im neu-russischen Stil entwarf. In der sowjetischen Ära machte er sich durch bedeutendeBauten einen Namen und errichtete das Lenin-Mausoleum (1929–1930)66.

In dieser Epoche nahmen anerkannte Architekten häufig auch Restaurierun-gen altrussischer Denkmäler vor und taten sich zugleich als Forscher und zu-weilen als Archäologen hervor. Zu ihnen gehörte Vladimir Vasil’evic Suslov(1857–1921)67, Historiker altrussischer Architektur68, der vor allem durch seineArbeiten an der Hagia Sophia von Novgorod und im Norden Russlands bekanntwar (Provinzen Archangel’skaja und Oloneckaja), wo er zugleich Architektur-und Malereirestaurationen vornahm. Nikolaj Vladimirovic Sultanov (1850–1908)69, Akademiemitglied für Architektur, Architekturhistoriker, Direktor desInstituts für Bauingenieure (Institut grazdanskich inzenerov) und Verfasserwichtiger Fachbücher, restaurierte mehrere russische Gebäude in Moskau, Um-gebung und anderswo70.

Petr Petrovic Pokryskin (1870–1922), Akademiemitglied für Architektur undMitglied der IAK, wurde zu sowjetischer Zeit Priester (1921)71. Er führte Auf-nahmen und Vermessungsarbeiten von Denkmälern durch, auch in Zentralasien.Als Erster veröffentlichte er eine Anleitung („Ratschläge“) für Archäologen, wieman genaue Vermessungen von Architekturdenkmälern vornimmt72. KonstantinKonstantinovic Romanov (1882–1942), Mitglied der RAO und Professor amArchäologischen Institut von Petersburg (Petrograd), wurde durch seine Arbei-ten in Jur’ev-Pol’skij in der Gegend von Vladimir und in Pskov bekannt73. Dmitrij

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66 K. N. Afanas’ev, A. V. Scusev (Moskau 1978).67 A. V. Suslova, T. A. Slavina, Vladimir Suslov [Vladimir Suslov] (Leningrad 1978).68 V. V. Suslov, Pamjatniki drevnego russkogo zodcestva [Denkmäler der altrussischen Ar-chitektur] 1–7 (Sankt Petersburg 1895–1901).69 Ju. R. Savel’ev, Nikolaj Sultanov (Architektory Sankt-Peterburga) [N. Sultanov (Archi-tekten aus Sankt Petersburg)] (Sankt Petersburg 2003).70 N. V. Sultanov, Istorija architektury. Kurs lekcij s atlasami certezej [Geschichte der Ar-chitektur. Vorlesungsreihen mit Zeichenatlanten] 1–2 (Sankt Petersburg 1879).71 M. V. Medvedeva, Petr Petrovic Pokryskin i problemy ochrany pamjatnikov (po materia-lam archivov IIMK RAN) [P. P. Pokryskin und Probleme des Denkmalschutzes nach Mate-rialien der Archive des Instituts für Geschichte der materiellen Kultur der Russischen Aka-demie der Wissenschaften], in: Archeologiceskie vesti 11 (2004) 379–387.72 P. P. Pokryskin, Kratkie sovety dlja proizvodstva tocnych obmerov v drevnych zdanijach[Kurze Hinweise zur korrekten Vermessung alter Gebäude], in: Izvestija Imperatorskoj Ar-cheologiceskoj Komissii 16 (1905) 120–123.73 M. V. Medvedeva, Dejatel’nost’ K. K. Romanova v oblasti izucenija i ochrany pamjatni-

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Vasil’evic Mileev (1878–1914), der viel in Nordrussland und Kiew gearbeitethatte, hat die Grabungsmethoden an Architekturdenkmälern wesentlich verbes-sert. Seine Grabungen der ersten russischen Steinkirche („Desjatinnaja“, 996) undder Hagia Sophia in Kiew74 gelten heute als methodisch vorbildlich75. Damals warbekanntlich die Geburtsstunde der später sogenannten „Architekturarchäolo-gie“, ein Zweig der Archäologie, der vor allem in sowjetischer Zeit avancierte.

Die restaurativen Maßnahmen haben nicht wenig die Kenntnis der altrussi-schen Architekturgeschichte vertieft. Seit 1895 veröffentlichte die Akademie derSchönen Künste die Reihe „Denkmäler russischer Architektur“, deren Gegen-stand nur die erhaltenen Denkmäler waren76. Dieses Interesse hatte aber abge-sehen von der Wissenschaft noch eine andere Seite: In der Zeit nach den Refor-men wurde der neo-russische Stil in der wohlhabenden Bourgeoisie sehr beliebt.Die Architekten nahmen dabei gern Anleihen am reichen Dekor der spätmittel-alterlichen russischen Architektur vor. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts er-schienen dann Arbeiten, die von der Beschreibung einzelner Denkmäler zu einergeschlossenen Schau der russischen Architekturgeschichte in ihrer Entwicklunggelangen wollten77. Den ersten seriösen Versuch dieser Art veröffentlichte Alek-sej Michajlovic Pavlinov (1852–1897), Mitglied der Akademie der SchönenKünste78. Später schrieb der Maler, Kunsthistoriker und Restaurator altrussi-scher Malerei Igor’ Emmanuilovic Grabar’ (1871–1960) seine Studie über dieGeschichte der russischen Kunst; im ersten Band bilanziert er die Forschungenüber die altrussische Architektur zu Beginn des 20. Jahrhunderts79.

Die Restaurierungen der Monumentalmalerei geschahen parallel und häufigauch in Verbindung mit den Bauerneuerungen. Die Malerei stellte vor großeProbleme. Zunächst stimmten damals die Ziele der Restauratoren und ihrer Auf-traggeber, der Kirchenautoritäten, überein: nämlich die Fresken zu „erneuern“,damit sie weiterhin dem Monumentaldekor der Kirche dienen, aber auch ihrerliturgischen Funktion gerecht werden. So geriet häufig das wissenschaftlich-ar-

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kov monumental’nogo zodcestva po dukumentam iz sobranija naucnogo archiva IIMK RAN[Die Tätigkeit von K. K. Romanov auf dem Gebiet der Forschung und des Schutzes derArchitekturdenkmäler nach den Dokumenten der Wissenschaftsarchive der IIMK RAN],in: Archeologiceskie vesti 12 (2005) 291–301.74 D. V. Mileev, Drevnie poly v Kievskom sobore sv. Sofii [Alte Fußböden in der Sophien-kathedrale von Kiew] (Sankt Petersburg 1911).75 D. D. Elsin, Imperatorskaja Archeologiceskaja Komissija i raskopki v Kieve 1908–1914gg. [Die Kaiserliche Archäologische Kommission und die Grabungen in Kiew 1908–1914], in:Nosov, Musin (Anm. 64) 909–937.76 V. V. Suslov (Hg.), Pamjatniki drevnego russkogo zodcestva [Denkmäler der altrussischenArchitektur] 1 (Sankt Petersburg 1895).77 P. A. Rappoport, Drevnerusskoe zodcestvo [Altrussische Architektur], in: Chudozest-vennaja kul’tura X-pervoj poloviny XIII v. (Moskau 1988) 7–12.78 A. M. Pavlinov, Istorija russkoj architektury [Geschichte der russischen Architektur](Moskau 1894); ders., Atlas po istorii drevnerusskogo iskusstva [Atlas zur Geschichte deraltrussischen Kunst] (Odessa 1905–1907).79 I. Grabar’, Istorija russkogo iskusstva [Geschichte der russischen Kunst] 1–2 (Moskau1910).

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chäologische Ziel, alte wertvolle Freskenreste zu erhalten, ins Hintertreffen:Teams fachkundiger Maler „renovierten“ die Fresken. Man versuchte, die ikono-graphischen Kompositionen zu wiederzugeben, und ergänzte dabei Fehlstellen,ohne auf den alten Stil, die alte Technik oder die alten Materialien Rücksicht zunehmen. Die bekannteste und aktivste Malergruppe Russlands bestand um Ni-kolaj Michajlovic Safonov. Unter solchen Bedingungen wurden die alten Freskendazu verdammt, zugunsten der neuen Malereien zu verschwinden, als Freskound zuweilen sogar in Öl ausgeführt80. Die Ergebnisse dieser in der zweitenHälfte des 19. Jahrhunderts sich häufenden Arbeiten fielen je nach den Umstän-den sehr unterschiedlich aus und waren nicht selten auch von Zufällen bestimmt.

Der Archäologe, Kunsthistoriker und Restaurator Nikolaj Ivanovic Repnikov(1882–1940) führte Forschungen und Restaurierungen in den Regionen Nord-russlands durch, in der alten Stadt Ladoga mit ihren Kirchen und Fresken81. Inder Erlöserkirche des Klosters Miroz (Mirozskij) in Pskov wurde die Malereides 12. Jahrhunderts gut konserviert. Sie wurde dann 1889–1893 durch das er-wähnte Atelier Safonov „renoviert“. In diesem Fall war es möglich, die neueMalschicht zu entfernen, wie es dann sehr viel später geschah. Dagegen verliefendie Arbeiten in der Sophienkathedrale von Novgorod nicht ganz glücklich. Siewurden unter der Aufsicht der IAK und der Akademie der Schönen Künste1893–1894 von V. V. Suslov durchgeführt; beteiligt waren Kondakov und Po-krovskij. Während sich die Gelehrten über den besten Weg der RestaurierungGedanken machten, wurden Safonov’s Arbeiter beauftragt, die Gewölbe undMauern der Kirche von allen alten Malereien zu befreien einschließlich dermeisten Fresken des 11.–12. Jahrhunderts. So erlitt die Sophienkathedrale vonNovgorod in sieben Jahren Restaurierung nicht weniger Schaden als in achtJahrhunderten zuvor82.

Ein anderes Beispiel betrifft die Malerei der Verkündigungskirche im Mos-kauer Kreml. Die Arbeiten dort wurden von der MAO anlässlich der KrönungAlexanders III. vorgenommen. Das Akademiemitglied Viktor DorimantovicFartusov renovierte sehr unglücklich die Malerei des 15. Jahrhunderts. Natürlichgab es auch gelungenere Arbeiten. 1881 begann Erzbischof Feognost unter Kon-trolle der MAO mit der Restaurierung der Wandmalerei der Mauern der Ent-schlafungskirche des 12. Jahrhunderts von Vladimir. Diese berühmte Kirche warzweimal ausgemalt worden: zum Ende des 12. Jahrhunderts und im Jahr 1408durch Andrej Rublev und Daniil Cernyj. Ein Teil der Fresken wurde durch dasAkademiemitglied F. G. Solncev 1859 entdeckt, als er mit der IAK zusammen-arbeitete. Die meisten heute bekannten Fresken wurden jedoch bereits 1881–1882 von der Gruppe um Safonov entdeckt. Die Kommission der MAO bestandzum Glück darauf, dass dieses Mal originaltreue Kopien der alten Fresken ange-fertigt wurden.

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80 Vzdornov (Anm. 30) 146–163.81 V. I. Ravdonikas, Pamjati N. I. Repnikova [In Memoriam N. I. Repnikov], in: StarajaLadoga (Leningrad 1948) 6–10; A. Musin, N. I. Repnikov, in: Heid, Dennert 2, 1068f.82 Vzdornov (Anm. 30) 161.

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Adrian Viktorovic Prachov (1846–1916), Professor an der Universität SanktPetersburg, Archäologe, Kunsthistoriker und Maler, Mitglied der RAO undMAO seit 186783, wurde vor allem durch seine Untersuchungen über die Kir-chen von Kiew bekannt. Dabei entdeckte er die wichtigen Fresken der Kirchedes hl. Kyrill84. Ebenfalls in Kiew untersuchte er die Mosaiken und Fresken inder Sophienkirche und die Mosaiken des Michaelklosters Michajlovo-Zlatover-chij (Michael „mit dem goldenen Dach“). In Kiew fertigte er zahlreiche präziseZeichnungen archäologischen Charakters an, etwa der Malereien von Kiew, be-sonders jener der Kirche des hl. Kyrill85, aber auch in Cernigov und VladimirVolynskij (von Volyn’). Er nahm ferner an Restaurierungsarbeiten teil, die nichtimmer gelangen. Die Ausstellungen seiner mehr als 200 Zeichnungen in SanktPetersburg (1883) und Odessa auf dem 6. archäologischen Kongress (1884) wa-ren ein Erfolg. Anschließend gelangten die Bilder ins Russische Museum Ale-xanders III. in Sankt Petersburg86.

Die Untersuchungen über die alte Malerei fand ihre Nutzanwendung im Ma-lereidekor der Vladimirkathedrale von Kiew, die 1885–1896 im byzantino-rus-sischen Stil errichtet und von den bekannten Malern Viktor Michajlovic Vasne-cov (1848–1926) und Michail Vasil’evic Nesterov (1862–1942) ausgestaltetwurde. In diesem Zusammenhang gehören auch die Restaurierungsarbeiten inLublin (Polen), wo Pokryskin die Malerei der Kapelle Hl. Dreifaltigkeit imSchloss des Königs Ladislas Jagellon erneuerte; die Fresken des Jahres 1418stammen von dem russischen Maler Andrej (aufgrund einer kyrillischen In-schrift), der nach byzantinischen Vorbildern der Paläologenzeit malte.

Eine besondere Leistung, die 1898–1902 von der MAO erbracht wurde, wardie Restaurierung der Ikonostase mit fünf Registern in der Kirche der TheotokosSmolenskaja im Kloster Novodevicij in Moskau aus dem Anfang des 16. Jahr-hunderts. Dort wie vielerorts sonst gilt, dass die damaligen Methoden der Iko-nenrestaurierung nicht reichten, um die alte Malerei wirkungsvoll zu konservie-ren und zu erhalten. Alle namhaften Forscher der Zeit waren stark auf demGebiet der Restaurierung engagiert. So nahm zum Beispiel Pokrovskij als Ex-perte an Arbeiten in bedeutenden Kirchen teil: in der Kathedrale des hl. Vladimirin Kiew, der Sophienkathedrale in Novgorod, der Erlöserkirche in Pskov, derGeorgskirche in Ladoga, der Kirche des hl. Johannes des Theologen in Kerc’ aufder Krim u.a. Aber ihre Autorität und Kompetenz vermochten nicht alle Pro-bleme auszuräumen, da bei solchen Arbeiten oft praktische Lösungen den wis-senschaftlichen Erkenntnissen vorgezogen wurden87.

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83 A. V. Prachov. Nekrolog, in: Zodcij 20 (1916) 195f.84 A. V. Prachov, Otkrytie fresok Kievo-Kirillovskoj cerkvi XII veka [Die Entdeckung derFresken der Kirche Kyrills (Kirillovskaja) in Kiew] (Sankt Petersburg 1883).85 Katalog vystavki kopij s pamjatnikov iskusstva v Kieve, X, XI et XII v., ispolnennych A. V.Prachovym v tecenie 1880, 1881 i 1882 gg. [Katalog zur Ausstellung von Kunstdenkmälerko-pien in Kiew, 10., 11. und 12. Jh., angefertigt von A. V. Prachov über die Jahre 1880, 1881 und1882] (Sankt Petersburg 1882).86 Vzdornov (Anm. 6) 132–138.87 In seinen in der Emigration verfassten Erinnerungen beschreibt Kondakov die allgegen-

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10. Palästina

In Russland genossen Forschungen im christlichen Orient Vorrang88. Kon-dakov hielt ausdrücklich die Kenntnis der Altertümer und der Kunst des ortho-doxen Orients für zwingend zum Studium der russischen Archäologie89. Dierussische Kirche verfolgte religiöse und politische Interessen im Orient. Russi-sche Christen pilgerten zu den Heiligen Stätten. Das historische Gedächtnis inBesug auf lange währende und vielfältige Bindungen zwischen Russland undPalästina war lebendig. Für die russischen Forscher war Palästina mehr als einForschungsgebiet: Es besaß eine außergewöhnliche spirituelle Anziehungs-kraft90.

Die alte Tradition der Pilgerfahrt ins Heilige Land bestand noch in der Mittedes 19. Jahrhunderts. Die Beschreibungen dieser Reisen tragen aber zum Teilden Charakter wissenschaftlicher Studien. Avraam Sergeevic Norov (1795–1869) reiste nach Jerusalem und auf den Sinaï91. Andrej Nikolaevic Murav’ev(1806–1874) besuchte Konstantinopel, Griechenland, Jerusalem, den Sinaï undItalien92. Häufig betätigten sich die Orientreisenden auch als Sammler. Mu-rav’ev’s Sammlung von Ikonen und anderer Objekte (über 200) gelangte nachseinem Tod ins Archäologische Museum der Geistlichen Akademie in Kiew93.

Zu den Pionieren gehörte Archimandrit Porfirij (Konstantin AleksandrovicUspenskij), seit 1865 Bischof von Cigirin (Cigirinskij), Ostkirchenhistoriker,Archäologe, Archäograph und Sammler (1804–1885)94. 1843–1844 übertrugihm der Heilige Synod die erste Jerusalemmission. Er begründete die RussischeGeistliche Mission in Jerusalem (Russkaja duchovnaja missija), um Beziehungen

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wärtige Aktivität des Ateliers Safonov so: „Dieser Anführer aller Ikonenmaler, der seinengroßen Erfolg hatte, ist so eine Art archäologisches Ungeheuer oder Herostrat“ (russ.), in:I. L. Kyzlasova (Hg.), Mir Kondakova. Publikacii. Stat’i. Katalog vystavki (Moskau 2004)86.88 V. N. Chitrovo, Palestina i Sinaj. Bibliograficeskij ukazatel’ russkich knig i statej o svja-tych mestach Vostoka, preimuscestvenno palestinskich i sinajskich [Palästina und Sinaï. Bi-bliographischer Index russischer Bücher und Aufsätze über die heiligen Stätten des Orients,besonders die palästinischen und sinaitischen] (Sankt Petersburg 1876).89 N. P. Kondakov, Vizantijskie cerkvi i pamjatniki Konstantinopolja [Die byzantinischenKirchen und Denkmäler Konstantinopels] (Odessa 1886) V (Nachdruck: Moskau 2006).90 A. A. Dmitrievskij, Dejateli Russkoj Palestiny [Menschen der Tat im russischen Palästi-na] (Sankt Petersburg 2010).91 A. S. Norov, Ierusalim i Sinaj. Zapiski vtorogo putesestvija na Vostok [Jerusalem undSinaï. Erinnerungen der zweiten Orientreise] (Sankt Petersburg 1878).92 M. Tolstoj, Pamjati Andreja Nikolaevica Murav’eva (Pis’mo k M. M. Evreinovu) [InMemoriam A. N. Murav’ev (Briefe an M. M. Evreinov)], in: Dusepoleznoe ctenie (nojabr’,1874) 278–296. Sonderdruck: Moskau 1874.93 [A. N. Murav’ev], Opisanie predmetov drevnosti i svjatyni, sobrannych po Svjatym mes-tam [Beschreibung der Antikenobjekte und Sakralgegenstände, gesammelt an den HeiligenStätten] (Kiew 1872); N. Petrov, Murav’evskaja kollekcija v Cerkovno-archeologiceskommuzee pri Kievskoj duchovnoj akademii [Die Sammlung Murav’ev im Kirchenarchäologi-schen Museum bei der Geistlichen Akademie von Kiew], in: Trudy Kievskoj duchovnoj aka-demii (Juli 1878) 193–211. Sonderdruck: Kiew 1878.94 L. G. Khrushkova, P. Uspenskij, in: Heid, Dennert 2, 1261 f.

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mit den Ostkirchen aufzubauen und historisch-archäologische Forschungen an-zuregen95. Porfirij war der erste Leiter dieser Mission (1847–1854). Währenddieser Zeit in Jerusalem und später führte er mehrere Reisen in Palästina, aufdem Sinaï, in Syrien, Ägypten, Griechenland, Italien und in Rom, dann erneutdurch den Orient durch. Begeistert vom Reichtum der Bibliotheken, Hand-schriften- und Ikonensammlungen arbeitete er häufig in den Klöstern des Ori-ents. Er katalogisierte die griechischen Handschriften des Sinaï96 und veröffent-lichte mehrere Arbeiten zur Geschichte der Ostkirchen, über seine Reisen, überdie Sammlungen, Handschriften und Denkmäler97. Sein achtbändiges „Buchüber mein Leben“ beschreibt das religiöse Leben des christlichen Orients98.Während seiner Reisen trug Porfirij seine wertvolle Ikonen, Handschriften, alteBücher und andere Objekte zusammen. 1850 entdeckte er 26 Ikonen im Glo-ckenturm des Katharinenklosters, darunter auch Enkausten, deren Alter undWert man damals verkannte. Den besten Teil seiner Sammlung vermachte erdem Archäologischen Museum der Geistlichen Akademie von Kiew99.

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95 Nikodim (Rotov), mitr., Istorija russkoj duchovnoj missii v Ierusalime [Die Geschichteder Russischen Geistlichen Mission in Jerusalem] (Serpuchov 1997); Russkaja Duchovnajamissija v Ierusalime: novye dokumenty i materialy [Die Russische Geistliche Mission inJerusalem. Neue Dokumente und Materialien] (Moskau 2001); N. N. Lisovoj, Russkoe du-chovnoe i politiceskoe prisutstvie v Svjatoj Zemle i na Bliznem Vostoke v XIX-nacale XX vv.[Die russische geistliche und politische Präsenz im Heiligen Land und im Nahen Osten im 19.bis Anfang 20. Jh.] (Moskau 2006); A. A. Dmitrievskij, Russkaja Duchovnaja Missija v Ie-rusalime [Die Russische Geistliche Mission in Jerusalem] (Nachdruck: Moskau / Sankt Pe-tersburg 2009).96 Herausgegeben von V. N. Benesevic mit Korrekturen und Ergänzungen: V. N. Benesevic,Opisanie greceskich rukopisej monastyrja sv. Ekateriny na Sinae [Beschreibung der grie-chischen Handschriften des Katharinenklosters vom Sinaï] (Sankt Petersburg 1911).97 Porfirij (Uspenskij), ep. Pervoe putesestvie v Sinajskij monastyr’ v 1845 godu [ErsteReise zum Sinaïkloster 1845] (Sankt Petersburg 1856); ders., Vtoroe putesestvie v Sinajskijmonastyr’ v 1850 godu [Zweite Reise zum Sinaïkloster 1850] (Sankt Petersburg 1856); ders.,Egipet i Sinaj – vidy, eskizy, plany i nadpisi [Ägypten und Sinaï. Ansichten, Skizzen, Pläneund Inschriften] (Sankt Petersburg 1857). Porfirij konnte den Codex Sinaiticus (4. Jh.) 1845einsehen – ein Jahr nach Constantin Tischendorf – und nahm an den Verhandlungen teil, inderen Folge das Manuskript 1859 als Geschenk des Katharinenklosters an Zar Alexander II.nach Russland gelangte. Einige Fragmente der Handschrift wurden von V. N. Benesevic wäh-rend dessen Sinaïreisen wiederentdeckt (1907, 1908, 1911). Sie befinden sich heute in der Na-tionalbibliothek Russlands in Sankt Petersburg: A. V. Zacharova, Istorija priobretenija Si-najskoj Biblii Rossiej v svete novych dokumentov iz rossijskich archivov [Die Geschichte derErwerbung der Sinaïbibel durch Russland im Licht neuer Dokumente in russischen Archi-ven], in: Monfokon: issledovanija po paleografii, kodikologii i diplomatike 1 [Montfaucon:Studien zur Paläographie, Kodikologie und Diplomatik] 1 (Moskau / Sankt Petersburg 2007)209–266. 1933 verkaufte Stalin den Codex Sinaiticus an das Britische Museum in London.98 Ders., Kniga bytija moego. Dnevniki i avtobiograficeskie zametki 1–8 [Buch meines Le-bens. Tagebücher und autobiographische Notizen] 1–8 (Sankt Petersburg 1894–1902).99 O. Etinhof, Middle Byzantine icons from Sinai in the collection of Porphyry Ouspenski,in: XXe Congrès international des études Byzantines. Collège de France-Sorbonne, 19–25août 2001. Pré-actes III. Communications libres (Paris 2001) 422. Etingof (Anm. 30) 24–28, 36f., 500–505.

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Ein anderer bekannter Orientforscher der russischen Jerusalem-Mission warArchimandrit Leonid (Lev Aleksandrovic Kavelin) (1822–1891), Historiker, Ar-chäologe, Archäograph und Mitglied verschiedener gelehrter Gesellschaften(korr. Mitglied der Akademie der Wissenschaften)100. Er war Mitglied der Geist-lichen Mission (1857–1859) und übernahm später ihre Leitung (1863–1965).Auch wenn er nicht lange in Jerusalem lebte, so wurde seine Arbeit wichtig zurErforschung des Heiligen Landes, denn er veröffentlichte die russischen Pilger-berichte des 12.–16. Jahrhunderts. Die Pilger beschrieben Jerusalem und denSinaï, andere Orte in Palästina, aber auch Konstantinopel, den Athos und Salo-niki101. Durch seine Kommentare erschloss Leonid die Geschichte, Geographieund Topographie der wichtigsten Städte des christlichen Orients. Der Archi-mandrit stützte sich auf seine hervorragende Kenntnis des konstantinischenJerusalems, als er Superior des Auferstehungsklosters in Neu-Jerusalem (NovyjIerusalim) vor den Toren Moskaus war. Dieses 1656 durch Zar Aleksej Michajlo-vic (1629–1676) und den Patriarchen Nikon (1605–1681) gegründete Kloster wareine Kopie der Jerusalemer Topographie und der Architektur der Anastasiskir-che, letzteres nach den Plänen und Zeichnungen von Bernardino Amico. Leonidorganisierte die Restaurierung der Anlage, um ihren ursprünglichen Zustandwiederherzustellen. Aus seiner Feder stammen eine Darstellung über die Anas-tasiskirche und über die Geschichte des Klosters102.

In eine wichtige Phase trat die russische Jerusalem-Mission mit ArchimandritAntonin Kapustin (1817–1894), Mitglied mehrerer gelehrter Gesellschaften inRussland und Westeuropa; er leitete die Mission 1865–1894103. Als einer der

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100 L. G. Khrushkova, L. A. Kavelin, in: Heid, Dennert 2, 721.101 Leonid (Kavelin), Ierusalim, Palestina i Afon po russkim palomnikam XIV-XVI vv.[Jerusalem, Palästina und Athos nach den russ. Pilgerberichten des 14.–16. Jh.] (Moskau1871); ders., Chozdenie v Ierusalim i Car’grad [Die Pilgerfahrt nach Jerusalem und Kon-stantinopel] (Sankt Petersburg 1882); ders., Istorija i opisanie sv. Zemli i sv. grada Ierusalima,Chrisanfa, patriarcha ierusalimskogo [Geschichte und Beschreibung des Heiligen Landesund der Heiligen Stadt Jerusalem durch den Jerusalemer Patriarchen Chrysantes] (SanktPetersburg 1887); ders., Proskinitarij sv. Mest sv. grada Ierusalima. [Führer zu den Ver-ehrungsstätten der Heiligen Stadt Jerusalem] (Sankt Petersburg 1883). Von den zahlreichenÜbersetzungen ist eine der jüngsten: T. G. Stavrou, P. R. Weisensel, Russian Travellers tothe Christian East from the Twelfth to the Twentieth Century (Columbus/Ohio 1986) (he-bräisch und englisch).102 Leonid (Kavelin), archim., Opisanie sobornogo chrama Voskresenija Christova, post-roennogo po Ierusalimskomu obrascu svjatejsim patriarchom Nikonom v Voskresenskom,Novym Ierusalimom imenuemym, monastyre [Beschreibung der Großen Kirche der Auf-erstehung Christi, von Patriarch Nikon nach dem Jerusalemer Vorbild im Auferstehungs-kloster „Neu-Jerusalem“ errichtet] (Moskau 1870); ders., Istoriceskoe opisanie stavropigi-al’nogo Voskresenskogo, Novyj Ierusalim imenuemogo monastyrja, sostavlennoe pomonastyrskim aktam [Historische Beschreibung des Stavropigial’nyi-Klosters der Auferste-hung, genannt Neu-Jerusalem, nach den Klosterakten] (Moskau 1876).103 N. N. Lisovoj, Archimandrit Antonin [Archimandrit Antonin], in: Cerkov’ v istorii Ros-sii [Die Kirche in der Geschichte Russlands] 4 (Moskau 2000) 197–225; B. L. Fonkic, E. P. G.Antonin (Kapustin), archim. [Archimandrit Antonin Kapustin], in: Pravoslavnaja enciklope-dija 2 (Moskau 2001) 684–686; Archimandrit Antonin (Kapustin), Iz Ierusalima. Stat’i, ocer-

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Ersten erforschte er die griechischen Handschriften in Konstantinopel, auf demAthos und dem Sinaï. Er katalogisierte die griechischen Handschriften des Gäs-tehauses des Heilig-Grab-Klosters in Konstantinopel104 und des Katharinen-klosters auf dem Sinaï105. Von den Schriften Antonins ist sein „Journal“ in14 Bänden besonders interessant; es ist eine Fundgrube zum religiösen, wissen-schaftlichen und politischen Leben des christlichen Orients106. Kapustin trugzahlreiche Kunstobjekte und archäologische Funde zusammen, darunter grie-chische, römische, byzantinische und arabische Münzen (etwa 5.000). Er ver-machte seine Sammlung der russischen Mission; die Münzsammlung fiel teilsan die Palästina-Gesellschaft107, teils stiftete er sie der Russischen Archäologi-schen Gesellschaft.

Antonin war ein Organisator und Verwalter von großer Energie. Während der1860er und 1870er Jahre erwarb er mehrere Grundstücke an den Heiligen Stät-ten, die für die biblische und christliche Geschichte bedeutsam waren: in Jerusa-lem bei der Anastasis, in Shiloach (Siloam), auf dem Ölberg (11 Grundstücke aufdem Hügel, 53.748 m2), bei Getsemane, sowie außerhalb Jerusalems in Hebron(Mambre), Jericho und andernorts. Auf diesen Grundstücken errichtete er Klös-ter und Kirchen, Schulen und andere religiöse, kulturelle und karitative Einrich-tungen. Seine Absicht war die Förderung seriöser wissenschaftlicher Forschun-gen an diesen Stätten108. Seit 1883 unternahm er Ausgrabungen bei der Anastasis– dieser „russische Ort“ war 1859–1861 erworben worden – in Zusammenarbeitmit Melchior de Vogüé, Konrad Schick und anderen Archäologen; dabei ent-

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ki, korrespondencii. 1866–1891 [Aus Jerusalem. Aufsätze, Studien, Briefwechsel 1866–1891](Moskau 2010); A. Musin, V. Tsamakda, A. I. Kapustin, in: Heid, Dennert 2, 710–712.104 Veröffentlicht in: A. A. Dmitrievskij, Putesestvie po Vostoku i ego naucnye rezul’taty[Orientreise und ihre wissenschaftlichen Ergebnisse] (Kiew 1890) 119–148.105 In Übersetzung veröffentlicht: W. Gardthausen, Catalogus codicum graecorum Sinaiti-corum (Leipzig 1886). Das von P. Antonin griechisch geschriebene Original des Katalogswurde von I. P. Medvedev in den Archiven wiedergefunden: I. P. Medvedev, V. N. Benesevic:sud’ba ucenogo, sud’ba archiva [V. N. Benesevic. Schicksal eines Gelehrten, Schicksal derArchive], in: Medvedev (Anm. 4) 373 f.106 L. A. Gerd, Archim. Antonin Kapustin i ego naucnaja dejatel’nost’ (po materialam peter-burgskich archivov) [Archimandrit Antonin Kapustin und sein wissenschaftliches Werk nachden Archivmaterialien in Sankt Petersburg] in: Medvedev (Anm. 4) 8–35.107 I. V. Pomjalovskij, Opisanie drevnich i srednevekovych monet, prinesennych v dar Pra-voslavnomu Palestinskomu obscestvu archimandritom Antoninom. Palestina i Sinaj I,2 [Be-schreibung antiker und mittelalterlicher Münzen, der Orthodoxen Palästina-Gesellschaftvermacht von Archimandrit Antonin. Palästina und Sinaï] I,2 (Sankt Petersburg 1886).108 Avgustin (Nikitin), Russkaja biblejskaja archeologija v Palestine [Die russische Bibel-archäologie in Palästina], in: Bogoslovskie trudy 35 (1999) 64–91; L. A. Beljaev, Tradicijarusskich archeologiceskich issledovanij v Svjatoj Zemle [Die Tradition russischer archäologi-scher Forschungen im Heiligen Land], in: Pravoslavnyj palestinskij sbornik 105 (Moskau2007) 16–42.

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deckte man die Propyläen109. Die Grabungen auf dem Ölberg wurden von An-tonin begonnen110; später forschte hier Elisabeth Loukianoff111.

Eine neue wichtige Etappe der Palästina-Forschungen markiert die Gründungder Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft (Imperatorskoe Pravoslav-noe palestinskoe obscestvo – IPPO) durch Dekret des Zaren Alexanders III. am8. Mai 1882 (Approbation der Statuten) in Sankt Petersburg112. Die Gesellschaftwurde von Vasilij Nikolaevic Chitrovo (1834–1903) gegründet; ihr erster Prä-sident war Herzog Sergej Aleksandrovic (1882–1905)113. In einigen Eparchiengab es lokale Ableger der IPPO. Um 1914 unterstanden ihr in Palästina undSyrien über 100 kostenfreie Schulen und zwei Seminare mit über 11.000 Schü-lern. Als Sekretär der IPPO amtierte 1907–1918 der renommierte Historiker undLiturgiker und Professor an der Geistlichen Akademie in Kiew AleksejAfans’evic Dmitrievskij. Zu den Mitgliedern zählten N. P. Kondakov, D. V.Ajnalov, V. N. Benesevic und viele andere Gelehrte. Die Gesellschaft besaß 35Grundstücke mit Immobilien in Betlehem, Nazaret, Jericho, Haifa und anderenStädten in Palästina, Syrien und auch Bari (Italien); auf diesen Gebieten wurdeneinige Grabungen durchgeführt.

Die IPPO regte Expeditionen in Syrien und Palästina an. Nikodim PavlovicKondakov (1844–1925)114 unternahm zwei archäologische Reisen im Orient.

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109 Raskopki na russkom meste bliz chrama Voskresenija v Ierusalime, proizvedennye podrukovodstvom archimandrita Antonina v 1883 g. [Die Grabungen auf russischem Geländebei der Anastasis in Jerusalem durchgeführt unter der Leitung des Archimandriten Antonin1883], in: Pravoslavnyj palestinskij sbornik III,1[7] (1884); V. N. Chitrovo, Naucnoe znace-nie raskopok, proizvedennych Pravoslavnym Palestinskim Obscestvom na Russkom mestebliz chrama Voskresenija Gospodnja v Ierusalime [Der wissenschaftliche Wert der von derOrthodoxen Palästina-Gesellschaft auf russischem Gelände bei der Anastasis in Jerusalemdurchgeführten Grabungen] (Sankt Petersburg 1885).110 A. A. Dmitrievskij, Russkie raskopki na Eleonskoj gore [Die russischen Grabungen aufdem Ölberg], neu herausgegeben von N. N. Lisovoj (Moskau 2006).111 E. Loukianoff, „� Elaiðn“, in: Mémoires présentés à l’Institut d’Egypte 42 (Caire1939) 38–41; dies, Le musée du couvent russe du Mont des Oliviers à Jérusalem (Kairo 1931).112 I. V. Malinovskij, Imperatorskoe Pravoslavnoe Palestinskoe obscestvo [Die KaiserlicheOrthodoxe Palästina-Gesellschaft] (Ctenie IPPO 35) (Sankt-Petersburg 1900); A. A. Dmi-trievskij, Imperatorskoe Pravoslavnoe palestinskoe obscestvo i ego dejatel’nost’ za isteksujucetvert’ veka (1882–1907). Istoriceskaja zapiska, sostavlennaja po poruceniju Soveta Obscest-va [Die Kaiserliche Orthodoxe Palästina-Gesellschaft und ihre Tätigkeit 1882–1907. Histori-sche Denkschrift] (Sankt Petersburg 1907), neu herausgegeben von N. N. Lisovoj] (Moskau /Sankt Petersburg 2008); A. G. Grusevoj, Imperatorskoe Palestinskoe obscestvo (po peter-burgskim archivam) [Kaiserliche Palästina-Gesellschaft (nach den Archiven von Sankt Pe-tersburg)], in: Medvedev (Anm. 4) 134–156; K. N. Juzbasjan, Palestinskoe obscestvo – stra-nicy istorii [Die Palästina-Gesellschaft. Seiten ihrer Geschichte], in: Istoriceskij Vestnik 2,6(2000) 102–140; 3–4/7–8 (2000) 132–154; L. G. Khrushkova, Prawosłavne TowarzystwoPalestinskie [Orthodoxe Palästina-Gesellschaft], in: Encyklopedia Katolicka 16 (Lublin2011) 153 f.113 Velikij Knjaz’ Sergej Aleksandrovic Romanov na postu Predsedatelja ImperatorskogoPravoslavnogo Palestinskogo obscestva [Herzog Sergej Aleksandrovic Romanov als Prä-sident der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft] (Moskau 2009).114 L. G. Khrushkova, N. P. Kondakov, in: Heid, Dennert 2, 751–754.

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1881 beschrieb er die Altertümer vom Sinaï, während der Photograph J. K.Raoul fast 1.500 Aufnahmen machte115. 1891–1892 reiste Kondakov in Beglei-tung seines Lieblingsschülers Jakov I. Smirnov116 nach Jerusalem über Beirut,Baalbek und Transjordanien. In Jericho sondierte er eine Basilika mit Boden-mosaiken. In Jerusalem studierte er die Grabeskirche; seine detaillierten Be-schreibungen sind noch heute lesenswert117. 1902 unternahm auf Einladung derIPPO der Linguist, Orientalist, Historiker und Archäologe Nikolaj JakovlevicMarr (1864–1934) eine Expedition zum Sinaï und nach Jerusalem118. Er wolltevor allem die georgischen Handschriften des Katharinenklosters und im Jerusa-lemer griechischen Patriarchat studierten. An der Expedition nahmen IvanAleksandrovic Dzavachov (Ivane Dzavachisvili [1876–1940]), später ein bedeu-tender georgischer Historiker, und Aleksandr Aleksandrovic Vasil’ev (1867–1953), später ein großer Byzantinist und Orientalist, teil119. Die von Marr erstell-ten Handschriftenkataloge wurden erst lange nach seinem Tod veröffentlicht120.

Bei der Gesellschaft bestanden ein Museum und eine Bibliothek mit 21.000Bänden. Sie gab zwei wissenschaftliche Periodika heraus: die Orthodoxe palästi-nische Sammlung (Pravoslavnyj palestinskij sbornik – PPS) und das Bulletin derIPPO (Soobscenija IPPO – SIPPO), letzteres seit 1886. In beiden Reihen er-schienen zahlreiche Studien zur Geschichte und Archäologie des christlichenOrients. Zudem publizierte die IPPO die „Ctenija o Svjatoj Zemle [Vorlesungendes Heiligen Landes]“, eine unregelmäßig erscheinende Sammlung121. Genanntseien die wichtigen Quellensammlungen zur frühchristlichen und mittelalterli-chen Zeit von Ivan Vasil’evic Pomjalovskij (1845–1906), Philologe, Historiker,Archäologe, Epigraphiker, Archäograph und Mitglied der Akademie der Wis-senschaften122. Pomjalovskij zählt zu den Gründern der lateinischen Epigraphikin Russland. Die zweite Hälfte seiner Laufbahn widmete er byzantinischenForschungen, eine Wandlung von der Epigraphik zur Byzantinistik, die man

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115 N. P. Kondakov, Putesestvie na Sinaj v 1881 godu. Iz putevych vpecatlenij. DrevnostiSinajskogo monastyrja. Tekst i al’bom [Die Sinaïreise 1881. Reisenotizen. Altertümer desSinaïklosters. Text und Album] (Odessa 1882).116 L. G. Khrushkova, J. I. Smirnov, in: Heid, Dennert 2, 1172f.117 N. P. Kondakov, Archeologiceskoe putesestvie po Sirii i Palestine [Archäologische Reisein Syrien und Palästina] (Sankt Petersburg 1904) 143–301.118 O. D. Golubeva, N. Ja. Marr (Sankt Petersburg 2002).119 N. Ja. Marr, Predvaritel’nyj otcet o rabotach na Sinae, v sotrudnicestve s I. A. Dzava-chovym, i v Ierusalime, v poezdku 1902 goda [Vorläufiger Bericht der Arbeiten auf dem Sinaï,in Zusammenarbeit mit I. A. Dzavachov, und in Jerusalem auf der Reise 1902], in: Soobs-cenija Imperatorskogo Pravoslavnogo palestinskogo obscestva [Mitteilungen der Kaiserli-chen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft] 14,2 (1903) 1–51.120 Ders., Opisanie gruzinskich rukopisej Sinajskogo monastyrja [Beschreibung der georgi-schen Handschriften des Sinaïklosters] (Moskau 1940); ders., Kratkoe opisanie gruzinskichrukopisej biblioteki greceskogo patriarchata v Ierusalime [Kurzbeschreibung der georgi-schen Handschriften der Bibliothek des griechischen Patriarchats in Jerusalem] (Tbilisi 1955).121 G. Z. Pumpjan u.a., Ukazatel’ trudov Imperatorskogo Pravoslavnogo PalestinskogoObscestva (1881–2006) [Werkindex der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft1881–2006] (Moskau 2006).122 L. G. Khrushkova, I. V. Pomjalovskij, in: Heid, Dennert 2, 1032 f.

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nicht selten in Russland beobachtet. In der PPS stößt man auf seine Quellen-übersetzungen mit minutiösen vergleichenden Analysen der griechischen, latei-nischen und slawischen Versionen samt historischem, archäologischem, geogra-phischem und topographischem Kommentar. Näherhin bearbeitete er diePilgerberichte des Anonymus von Bordeaux, der Egeria, des Theodosius, Textevon Eusebius von Cäsarea, Hieronymus, Antoninus Placentinus, Arkulf u.a.123.Pomjalovskij veröffentliche eine Reihe von palästinischen Heiligenviten; grund-legend ist zweifellos seine Studie über den Hl. Sabas124. Wie viele andere For-scher trug er eine bedeutende Sammlung an Handschriften und seltenen Bücherndes 16.–17. Jahrhunderts zusammen. Die PPS veröffentlichte daneben eine Reihevon „Reisen“ („chozdenija“) altrussischer Pilger.

Auch die biblische Archäologie, insbesondere des Alten Testaments, gehörtezum russischen Forschungsgebiet. In den 1880er Jahren fand die Geschichte desAlten Orients Eingang in die Geschichtsfakultäten der Universitäten. Bibel-archäologie und Hebräisch wurden auch Pflichtdisziplinen an den GeistlichenAkademien. Professor Sergej Aleksandrovic Ternovskij (1847–1916), Mitgliedder IPPO, hielt entsprechende Vorlesungen an der Akademie von Kazan’.1897–1903 und 1907–1916 redigierte er den „Orthodoxen Gesellschafter“ (Pra-voslavnyj sobesednik), eine der besten geistlich-theologischen ZeitschriftenRusslands; hier veröffentlichte er mehrere Arbeiten zur Bibelarchäologie undzur Geschichte der Ostkirchen. Auch sein Hauptwerk galt der Bibelarchäo-logie125. Der große russische Hebraist Akim Alekseevic Olesnickij (1842–1907)war ordentlicher Professor (1883) an der Geistlichen Akademie von Kiew126.Seine archäologischen Reisen ins Heilige Land 1873–1874 erbrachten ihm dasreiche Material für sein Hauptwerk über die biblische Archäologie Jerusalemsund Palästinas127. Nach seinen langen Reisen in Palästina in den Jahren 1886,

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123 Pravoslavnyj palestinskij sbornik 1,2 (1882); VII,2,20 (1889) I-XV, 1–312; X,1,28 (1891)I-IV, 1–147; XIII,1,37 (1894) I-III, 1–548; XIII,3,39 (1895) 1–121; XVII,1,49 (1898) 1–117.124 I. V. Pomjalovskij, Zitie Savvy Osvjascennogo, po rukopisi Imperatorskogo obscestvaljubitelej drevnej pis’mennosti [Das Leben des hl. Saba nach einer Handschrift der Kaiserli-chen Gesellschaft der Freunde alter Literatur] (Sankt Petersburg 1890).125 S. A. Ternovskij, Kratkij ocerk biblejskoj archeologii [Kurzgrundriss der Bibelarchae-ologie] 1–2 (Moskau 1891–1896), von der IPPO neu herausgegeben unter dem Titel Bi-blejskaja starina [Bibelaltertümer] (Ctenija o Svjatoj Zemle Imp. Pravoslavnogo Palestins-kogo Obscestva 1–8, 31–50, 66, 72) (Sankt Petersburg 1896–1912). Diese Ctenija[Vorlesungen] waren eine unregelmäßig erscheinende Sammlung, in der mehrere Arbeitenüber die Geschichte Palästinas und über die Tätigkeit der IPPO veröffentlicht wurden: M. I.Osipov, Chram Voskresenija v Ierusalime [Anastasiskirche in Jerusalem] (Ctenie IPPO 46)(Sankt Petersburg 1902); V. N. Chitrovo, Russkie palomniki Svjatoj Zemli [Russische Pilgerim Heiligen Land] 1–7 (Ctenie IPPO 38–44) (Sankt Petersburg 1900–1902); N. N. Tri-pol’skij, Vifleem i ego okrestnosti [Betlehem und seine Umgebung] (Ctenie IPPO 47) (SanktPetersburg 1900–1902).126 V. Rybinskij, Professor Akim Alekseevic Olesnickij, in: Trudy Kievskoj duchovnoj aka-demii 10 (1907) 308–322.127 A. A. Olesnickij, Svjataja Zemlja. Otcet o komandirovke v Palestinu i prilegajuscie k nejstrany, 1873–1874 [Das Heilige Land. Bericht der Mission in Palästina und angrenzendenLändern 1873–1874] 1–2 (Kiew 1875–1878).

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1889 und 1891 (dieses Mal mit der Kondakov-Expedition auf Kosten der IPPO)veröffentlichte Olesnickij ein grundlegendes Werk über den salomonischenTempel mit reichem graphischem Material128. Er befasste sich auch mit denGrabungen der Anastasis-Kirche129.

Die derart vielfältigen und erfolgreichen Unternehmungen der IPPO führtenzur Idee eines russischen archäologischen Instituts in Jerusalem analog demrussischen Institut in Konstantinopel. Wie viele andere Initiativen fiel auch diesedem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum Opfer130. 1914 beschlagnahmten dietürkischen Behörden das Eigentum der Palästina-Gesellschaft; die Kirchenkonnten nicht mehr aufrechterhalten werden. Seit 1918 besteht die Gesellschaftunter dem Namen „Palästinische Gesellschaft Russlands“ (Rossijskoe palestins-koe obscestvo – RPO) bei der Akademie der Wissenschaften. Ihre Tätigkeit fieljetzt in die sowjetische und nach-sowjetische Epoche131.

11. Das Russische Archäologische Institut in Konstantinopel

Die Geschichte der IPPO ist eng verbunden mit einer anderen russischenAuslandsinstitution, dem Russischen Archäologischen Institut in Konstantino-pel (Russkij archeologiceskij institut v Konstantinopole – RAIK) (1894–1914).Man kann sagen, dass die Bemühungen des Archimandriten Kapustin in Paläs-tina das RAIK vorweggenommen haben. Das Institut bestand nur 20 Jahre, aberseine Leistungen waren beachtlich132. Das erste Projekt eines Instituts in Kon-

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128 Ders., Vetchozavetnyj chram v Ierusalime. Issledovanie [Der alttestamentliche Tempel inJerusalem. Eine Studie] (Sankt Petersburg 1889).129 Ders., Po voprosu o raskopkach v 1883 godu na russkom meste v Ierusalime [Zur Frageder Grabungen 1883 auf russischem Gelände in Jerusalem], in: Zapiski Imperatorskogo Russ-kogo Archeologiceskogo Obscestva 2 (1887) 187–245.130 E. Ju. Basargina, K istorii proekta Palestinskogo komiteta [Zur Geschichte des Projektseines Palästina-Komitees], in: Vspomogatel’nye istoriceskie discipliny XXX. K 70-letiju I. P.Medvedeva (Sankt Petersburg 2007) 434–439.131 Imperatorskoe Pravoslavnoe Palestinskoe Obscestvo.1882–2007. Istorija. Chronika. Sov-remennost’ [Die Kaiserliche Orthodoxe Palästina-Gesellschaft 1882–2007. Geschichte,Chronik, Jetztzeit] (Moskau 2007); A. Krylov, N. Sorokina, Imperatorskoe PravoslavnoePalestinskoe Obscestvo i otecestvennoe vostokovedenie [Die Kaiserliche Orthodoxe Paläs-tina-Gesellschaft und die nationalen Orientforschungen] (Moskau 2007).132 Ustav Russkogo archeologiceskogo instituta v Konstantinopole [Das Statut der RAIK](Odessa 1894); F. Uspenskij, Notes sur l’histoire des Études byzantines en Russie. Traduitsur le manuscrit russe par H. Grégoire, in: Byzantion 2 (1926) 1–53; K. K. PAPOULIDHS,To Rwsik� arcaiologik� institoÐto Konstantinoup�lew@ (1894–1914) (Thessaloniki1984; 1987); E. Ju. Basargina, Russkij archeologiceskij institut v Konstantinopole. Ocerkiistorii [Das Russische Archäologische Institut in Konstantinopel. Studien zur Geschichte](Sankt Petersburg 1999); A. P. Palmieri, L’Istituto Archeologico Russo a Costantinopoli,in: Bessarione 2 (1897–1898) 51–56; ders., Gli studi bizantini in Russia, Roma 1900;K. Krumbacher, Das Russische Archäologische Institut in Konstantinopel, in: ByZ 4 (1895)239 f.; 5 (1896) 381 f.; 6 (1897) 470f.; 7 (1898) 502–504; 8 (1899) 717; 9 (1900) 311f., 716f.; 10(1901) 369–371, 461f., 739 f.; 11 (1902) 682f.; 12 (1903) 441, 716; 13 (1904) 680 f.; 15 (1905)441 f.; 16 (1907) 764; 19 (1910) 256.

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stantinopel wurde 1887 von dem Diplomaten Pavel Borisovic Mansurov (1828–1910) vorgeschlagen, der als Sekretär an der russischen Botschaft in Istanbularbeitete. Der Vorschlag wurde vom Botschafter Aleksandr Ivanovic Nelidov(1835–1910) unterstützt. Konkret wurde das Projekt von den Professoren derUniversität Novorossijsk F. I. Uspenskij, N. P. Kondakov und A. I. Kirpicnikovausgearbeitet. Hauptziel des Instituts waren byzantinische Forschungen in Is-tanbul, Kleinasien, im Nahen Osten und in Griechenland. Am 23. Mai 1894bestätigte Alexander III. die Statuten.

Zu den Gründern gehörte Professor und Akademiemitglied Fedor IvanovicUspenskij (1845–1928)133, der auch schon die IPPO mitgegründet hatte. DerByzantinist Uspenskij leitete das RAIK während seines gesamten Bestehensund redigierte das Bulletin (Izvestija IRAIK)134. Er arbeitete viel in den ArchivenIstanbuls, des Athos, Jerusalems sowie in den slawischen Ländern. In den Ar-chiven des Topkapi-Palastes in Konstantinopel entdeckte er seltene Handschrif-ten, darunter den Oktateuch aus dem Besitz der Komnenen mit 450 Minia-turen135.

Die Institutsmitglieder B. A. Pancenko und F. I. Smit führten Grabungen inIstanbul durch; es waren die ersten Bodenforschungen in der byzantinischenHauptstadt. Boris Amfianovic Pancenko (1872–1920) war 1904–1914 Sekretärund Bibliotheksverantwortlicher des RAIK136. Er erforschte die Archäologie,Topographie, Epigraphik und Sigillographie Konstantinopels. Er trug eine um-fangreiche Siegelsammlung zusammen, die sich heute in der Ermitage befindet;sein Katalog ist bis heute grundlegend137. Pancenko gehört zu den Pionieren derarchäologischen und topographischen Erforschung Konstantinopels. 1906–1909grub er in der Basilika Johannes’ des Täufers des Studios-Klosters (ImrahorCamii)138 und in den Archtekturanlagen des Stadtteils „Eugenia“ (1909–1910).1914 begann er Grabungen im Großen Palast der byzantinischen Kaiser und in

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133 L. G. Khrushkova, F. I. Uspenskij, in: Heid, Dennert 2, 1259f.134 B. T. Gorjanov, F. I. Uspenskij i ego znacenie v vizantinovedenii (K stoletiju so dnjarozdenija: 1845–1945) [Uspenskij und seine Bedeutung für die byzantinischen Studien (ZurHundertjahrfeier 1845–1945)], in: VV 1[26] (1947) 83–96; E. Ju. Basargina, F. I. Uspenskij:obzor licnogo fonda [Uspenskij. Überblick über die persönlichen Nachlässe], in: Medvedev(Anm. 4) 45–57. Das Bulletin (Izvestija) der RAIK (16 Bände und 3 Alben, 1901–1918) siehenun http://www.library.chersonesos.org.135 F. I. Uspenskij, Konstantinopol’skij seral’skij kodeks vos’miknizija [Der Oktateuch-Ko-dex aus dem Serail in Konstantinopel], in: IRAIK 12 (1907) 1–255.136 L. G. Khrushkova, B. A. Pancenko, in: Heid, Dennert 2, 986.137 B. A. Pancenko, Katalog molivdovulov. Kollekcija Russkogo archeologiceskogo institu-ta v Konstantinopole [Bleisiegelkataloge. Die Sammlung des IRAIK], in: IRAIK 8 (1903)199–246; 9 (1904) 341–396; 13 (1908) 78–151.138 Ders., Otcet o dejatel’nosti Russkogo archeologiceskogo instituta v Konstantinopole v1909 godu [Tätigkeitsbericht der RAIK für 1909], in: IRAIK 15 (1911) 250–257; ders.,Rel’efy iz baziliki Studija v Konstantinopole [Reliefs aus der Studios-Basilika in Konstanti-nopel], in: IRAIK 16 (1912) 1–359; ders., Note sur les reliefs d’Imrahor Djamissi, in:G. Mendel, Catalogue des sculptures grecques, romaines et byzantines 2 (Constantinople1914) 453–468.

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der Kirche Chalkoprateia; die Arbeiten mussten durch den Ausbruch des ErstenWeltkriegs abgebrochen werden. Pancenko konnte seine Arbeit über die Kon-stantinopeler Topographie nicht abschließen; die meisten seiner Unterlagen gin-gen in Istanbul verloren.

Der Kunsthistoriker Fedor Ivanovic Smit (1877–1937)139 nahm 1901–1904einen Forschungsaufenthalt im RAIK wahr; 1908–1912 kehrte er dann als Insti-tutssekretär nach Istanbul zurück. Sein vorrangiges Interesse galt der byzanti-nischen Wandmalerei, sein Hauptwerk war der Geschichte des Klosters KahrieCamii und seinen Mosaiken gewidmet140. Ferner bearbeitete er die Mosaiken derKirche Panaghia Angeloktistos auf Zypern141. Roman Christoforovic Leper(1865–1918), Sekretär des RAIK 1901–1908, erforschte die Topographie Athensund Konstantinopels. Er widmete sich intensiv dem Institutsmuseum und dernumismatischen Sammlung. Das Institutsmitglied Boris Vladimirovic Farma-kovskij (1870–1928)142 veröffentlichte eine Arbeit über eine byzantinischeHandschrift des 12. Jahrhunderts143. Der Ajnalov-Schüler Nikolaj L’vovic Oku-nev (1885–1949) befasste sich mit der Architektur der Hagia Sophia144.

Das RAIK arbeitete auch außerhalb Konstantinopels archäologisch. Uspens-kij leitete archäologische Expeditionen in die slawischen Länder Mazedonien,Bulgarien und Serbien. In Mazedonien gelang Uspenskij die Identifizierungeiner Inschrift des Jahres 993 des bulgarischen Königs Samuil (Samuel), derältesten datierten slawischen Inschrift. Die Grabungen in Bulgarien (1899–1902, 1905) waren besonders ertragreich. Hier führte Uspenskij zusammen mitKarel Václav Skorpil (1859–1944), einem bulgarischen Archäologen tsche-chischer Herkunft145, und anderen bulgarischen Archäologen wichtige Arbeitenbeim Dorf Aboba durch, wo Pliska lag, die erste Hauptstadt (vor Preslav) des

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139 L. G. Khrushkova, F. I. Smit, in: Heid, Dennert 2, 1173 f.140 F. I. Smit, Kachrie Dzami 1. Istorija monastyrja Chory: architektura meceti. Mozaikinarfikov [Kahrie Camii 1. Geschichte des Chora-Klosters. Die Architektur der Moschee.Mosaiken des Narthex], in: IRAIK 11 (1906) 1–306.141 Ders., Panagffla Aggel�ktisto@, in IRAIK 15 (1911) 206–239; ders., La „Renaissance“de la peinture byzantine au XIVe siècle, in: Revue Archéologique 4,20 (1912) 127–142; ders.,Die Koimesis-Kirche von Nikaia. Das Bauwerk und die Mosaiken (Berlin / Leipzig 1927).142 Basargina (Anm. 132) 92–97.143 B. V. Farmakovskij, Vizantijskij pergamennyj rukopisnyj spisok s miniatjurami, prinad-lezascij Russkomu archeologiceskomu institutu v Konstantinopole [Ein illuminierter byzan-tinischer Pergamentkodex im Besitz des RAIK], in: IRAIK 6,2–3 (1901) 253–359.144 N. L. Okunev, Chram Sv. Sofii v Konstantinopole [Die Sophienkirche in Konstantino-pel], in: Starye gody 11 (1915) 3–29. Genannt sei noch ein wichtiges Buch von Dmitrij Fedo-rovic Beljaev (1846–1901), klassischer Philologe, Byzantinist und Professor an der Univer-sität Kazan’, der zwar kein Mitglied der RAIK war, dessen Arbeit ihr aber thematisch nahestand: Byzantina I. Obzor glavnych castej Bol’sogo dvorca vizantijskich carej [Byzantina 1.Überblick der Hauptteile des großen byzantinischen Kaiserpalasts] (Sankt Petersburg 1891);Byzantina II. Ezednevnye i voskresnye priemy vizantijskich carej i prazdnicnye vychody ichv chram s. Sofii v IX-X veke [Byzantina 2. Die Alltags- und Sonntagsempfänge der byzanti-nischen Kaiser und ihre Festprozessionen der Kirche der Hagia Sophia im 9.–10. Jh. (SanktPetersburg 1893). Beljaev behandelt hier „De Cerimoniis“ von Constantin Porphyrogenetos.145 H. Preshlenov, K. V. Skorpil, in: Heid, Dennert 2, 1171.

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ersten bulgarischen Königreichs (Ende 7. Jh. bis 983). Man stieß auf den Palast,die Palastkirche, eine Basilika, zahlreiche römische, byzantinische und slawischeInschriften u.a. Uspenskij berichtete über die Basilika von Aboba auf dem 2. In-ternationalen Kongress für Christliche Archäologie in Rom 1900146. Die vomIPPO angestoßene Syrienexpedition 1900 war ebenfalls ein Erfolg147. 1902 er-forschte Uspenskij mittelalterliche Mosaiken der Kirche Johannes’ des Evan-gelisten in Ravenna im historischen Kontext des 4. Kreuzzugs. In Saloniki stu-dierte er die Mosaiken des 5.–8. Jahrhunderts der Demetrioskirche, als dortRestaurierungen vorgenommen wurden148. 1916–1917 ging Uspenskij nach Tra-pezunt, um byzantinische Denkmäler zu bewahren und zu studieren einschließ-lich der Architektur und Malerei der Hagia Sophia (erbaut 1238–1263, die Fres-ken aus der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden auf dieser Expedition entdeckt).Er grub auch bei der Kirche der Panhagia Chrisokefalos (Kathedrale, gegründetim 10. Jh.), wo Uspenskij das Grab des Kaisers Alexios IV. Komnenos entdeckte,das 1917 restauriert und 1918 von den Türken zerstört wurde; die Gebeine ge-langten nach Griechenland.

Die Mitglieder des RAIK waren meist Gelehrte, darunter M. I. Rostovcev, derOrientalist Pavel Konstantinovic Kokovcov (1861–1942), der Historiker undPolitiker Pavel Nikolaevic Miljukov (1859–1943), der bulgarische Gelehrte Ka-rel V. Skorpil, die Assumptionistenpatres Jules Pargoire, Louis Petit, SiméonVailhé, Jean-Baptiste Thibaut, andere westliche Byzantinisten, die in Konstanti-nopel arbeiteten wie Guillaume de Jerphanion, Raymond Janin und Oskar Wulff(1864–1946), gebürtig aus Sankt Petersburg und später Direktor der Abteilungfür frühchristliche und byzantinische Altertümer des Berliner Museums. 1895hielt er sich am RAIK auf, später veröffentlichte er Beiträge im Bulletin desRAIK und in der „Byzantinischen Chronik“ (Vizantijskij Vremennik – die rus-sische Übersetzung der Byzantinischen Zeitschrift)149, die ebenso wie das RAIK1894 gegründet worden war. In den zwanzig Jahren seines Bestehens zählte dasInstitut 210 Mitarbeiter.

Zum Erfolg des RAIK trug maßgeblich auch der Maler und Zeichner NikolajKarlovic Kluge (1869–1947) bei. Er nahm an der Expedition der IPPO in Trans-jordanien teil150. Der Professor an der Universität Novorossijsk Aleksej Andree-vic Pavlovskij (1856–1913) veröffentlichte zusammen mit Kluge einen Beitrag

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146 Th. Ouspensky, Les fouilles d’Aboba, in: Atti del II Congresso internazionale di Archeo-logia cristiana tenuto a Roma nell’aprile 1900 (Roma 1902) 305–307.147 F. I. Uspenskij, Archeologiceskie pamjatniki Sirii [Die archäologischen Denkmäler Sy-riens], in: IRAIK 7,2–3 (1902) 94–212.148 Ders., O vnov’ otkrytych mozaikach v cerkvi sv. Dimitrija v Soluni [Die neu entdecktenMosaiken der Demetrios-Kirche in Saloniki], in: IRAIK 14,1 (1909) 1–61.149 O. Wul’f [O. Wulff], Sem’ cudes Vizantii i chram Sv. Apostolov (s planom cerkvi) [Diesieben Wunder von Byzanz und die Apostelkirche (mit Plan)], in: IRAIK 1 (1896) 35–76;ders., Architektura i mozaiki chrama Uspenija Bogorodicy v Nikee [Architektur und Mo-saiken der Entschlafungskirche in Nizäa], in: VV 7 (1900) 315–425, deutsche Übersetzung:Die Koimesiskirche in Nikaia und ihre Mosaiken (Strassburg 1903).150 N. K. Kluge, Zaiordan’e [Das Transjordanland], in: Soobscenija Imperatorskogo Pravos-lavnago palestinskogo obscestva (1900) 264–279.

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über die Denkmäler von Madeba (Madaba)151. Kluge arbeitete am RAIK 16 Jahrelang und garantierte so die hervorragende Dokumentation: Pläne, Aufrisse,Zeichnungen, Kopien der Malereien u.a. Er arbeitete in Kahrie Camii, Salonikiund Nizäa, auf Chios und Zypern und 1916–1917 in Trapezunt. Diese Erfahrun-gen kamen ihm in den Jahren seiner Zusammenarbeit mit dem amerikanischenbyzantinischen Institut in Istanbul 1930–1947 zugute152.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs musste das RAIK Istanbul verlassen. 1914wurden Bibliothek und Museum mit reichen Beständen an Handschriften,Skulpturen, Ikonen und Objekten der Kleinkunst von den türkischen Behördenbeschlagnahmt. Das Eigentum des Instituts wurde in wesentlichen Teilen 1929nach langen Verhandlungen an das sowjetische Russland rücküberstellt. Heutebefinden sich diese Sammlungen in der Ermitage.

Für die russischen Historiker und Archäologen sowie die Sammler und Pilgerumfasste der christliche Orient Palästina und Syrien, Konstantinopel (Car’grad)und Griechenland einschließlich des Athos und Salonikis (Solun’). So verteiltePorfirij Uspenskij seine Interessen und Arbeitszeiten auf Palästina und Grie-chenland. Er besuchte und beschrieb, wie es seine Art war, bis ins letzte Detailmehrere Klöster und Kirchen Salonikis, Thessaliens153 und natürlich auf demAthos154, wo er Handschriften und Raritäten studieren durfte, die nur wenigenzugänglich gemacht wurden. F. Smit veröffentlichte Handschriften des Vatope-di-Klosters155. Kondakov und andere Kunsthistoriker erforschten die athoniti-sche Malerei. Die russischen Forscher interessierten sich in Griechenland auchfür die klassische Epigraphik und Archäologie. Zu Beginn des 19. Jahrhundertsdiskutierte man in den höchsten gelehrten und diplomatischen Kreisen die Ideeeines russischen archäologischen Instituts in Athen. Ein Projekt sah eine Abtei-lung des RAIK in Athen vor156, ein anderes – 1909 von V. N. Benesevic und M. I.Rostovcev vorgeschlagen – die Gründung eines eigenständigen Instituts inAthen. Der letztere Vorschlag wurde von der Russischen Archäologischen Ge-sellschaft unterstützt. Trotz langer Diskussionen157 wurde aber keiner der beidenVorschläge realisiert.

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151 A. A. Pavlovskij, N. K. Kluge, Madeba, in: IRAIK 8,1–2 (1902) 79–115.152 N. Kluge [Nekrolog], in: Byzantion 18 (1948) 352–353.153 Porfirij (Uspenskij), Vostok Christianskij. Putesestvie v Meteorskie i Osoolimpijskiemonastyri v Fessalii v 1859 godu [Der christliche Orient. Reise zu den Klöstern der Meteoraund des thessalischen Olymps 1859] (Sankt Petersburg 1896).154 Ders., Istorija Afona [Die Geschichte des Athos] 1–2 (Kiew 1877), 3 (Sankt Petersburg1892); ders., Pervoe putesestvie v Afonskie monastyri i skity v 1845 i 1846 g. [Erste Reise zuden Athos-Klausen 1845 und 1846] (Kiew 1877); ders., Vtoroe putesestvie po Svjatoj goreAfonskoj v gody 1858, 1859 i 1861, i opisanie skitov afonskich [Zweite Reise zum Berg Athos1858, 1859 und 1861 und Beschreibung der Athos-Klausen] (Moskau 1880); ders., Afonskieknizniki [Athonitische Buchliebhaber] (Moskau 1885).155 F. I. Smit, Katalog kniznych rukopisej Vatopedskogo monastyrja na Afone [Katalog derhandschriftlichen Bücher des Klosters Vatopedi auf dem Athos], in: IRAIK 8,3 (1903) 264–298.156 Basargina (Anm. 132) 97–101.157 Dies., Imperatorskaja Akademija Nauk na rubeze XIX-XX vekov. Ocerki istorii [Die

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Es gab noch ein anderes Projekt: die Gründung eines russischen archäologi-schen Instituts in Rom mit einer Abteilung in Athen. Darüber diskutierte manauf dem 8. archäologischen Kongress in Moskau 1890158. Der 9. archäologischeKongress in Kiew 1899 brachte die Idee einer russischen historischen Missionbei den Vatikanarchiven auf. 1903 ernannte die Akademie der WissenschaftenEvgenij Francevic Smurlo (1853–1934), ordentlicher Professor für russische Ge-schichte an der Universität Jur’ev (Derpt/Tartu), zum „gelehrten Korresponden-ten“ in Rom. Smurlo arbeitete in den Archiven zum Thema „Russland undItalien“. 1917 schlug er die Gründung eines russischen historischen Instituts inRom vor. S. S. Abamelek († 1917) vermachte seine Villa in Vatikannähe der Aka-demie der Wissenschaften bzw. der Akademie der Schönen Künste; es sollte dortdas Institut Abamelek-Lazarev entstehen. Die sowjetischen Behörden respek-tierten das Testament nicht und richteten stattdessen dort die Botschaft ein(heute die Botschaft Russlands). 1924 wurde die Stelle des Korrespondenten inRom unterdrückt; Smurlo setzte nun seine Arbeit in Prag fort159. So waren ins-gesamt die russischen Institutionen in Palästina, Konstantinopel und Griechen-land viel aktiver als in Rom.

12. Krim

Das alte Chersonesos – Korsun’ in den mittelalterlichen russischen Quellen –war für viele russischer Historiker in erster Linie der Ort der Bekehrung desFürsten zum Christentum, des apostelgleichen heiligen Vladimir, der anschlie-ßend 988 sein Land taufen ließ. Der Metropolit von Moskau und KolomnaMakarij (Bulgakov) (1816–1882)160 schrieb die Geschichte der russischen Kirchein zwölf Bänden161. Die Einleitung bildet die Geschichte des Christentums inRussland vor Vladimir nach den schriftlichen und archäologischen Zeugnisseder Krim und des Kaukasus samt Publikation einiger Quellen162. Daneben wur-

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Kaiserliche Akademie der Wissenschaften zum Ende des 19.–20. Jh. Studien zur Geschichte](Moskau 2008) 246–249.158 V. Modestov, Ob otkrytii russkogo archeologiceskogo instituta v Rime s otdeleniem vAfinach [Zur Gründung eines Russischen Archäologischen Instituts in Rom mit Abteilung inAthen], in: Trudy VIII archeologiceskogo s’’ezda v Moskve, 1890 III (Moskau 1897) 303–306.159 Basargina (Anm. 157) 249–255; D. I. Demina, „Avtobiograficeskie zametki“ E. F. Smur-lo o ego naucnoj dejatel’nosti v Italii (1903–1924) [„Autobiographische Notizen“ von E. F.Smurlo über seine wissenschaftliche Arbeit in Italien (1903–1924)], in: Archeograficeskij eze-godnik AN za 1992 g. (Moskau 1994) 248–254.160 F. I. Titov, Makarij (Bulgakov), mitropolit Moskovskij i Kolomenskij. Istoriko-biografi-ceskij ocerk [Makarij (Bulgakov). Metropolit von Moskau und Kolomna. Skizze zur Ge-schichte und Biographie] 1–3 (Kiew 1895–1903).161 Makarij (Bulgakov), mitropolit Moskovskij i Kolomenskij, Istorija Russkoj Cerkvi[Geschichte der russischen Kirche] 1–12 (Sankt Petersburg 1857–1884), Nachdruck: Moskau1994–1996. Nach dem Tod des Metropoliten wurde der „Preis Makarios“ für Arbeiten zurKirchengeschichte gestiftet (1883–1918); seit 1995 wird er wieder ausgelobt.162 Ders., Istorija christianstva v Rossii do ravnoapostol’nogo knjazja Vladimira kak vvede-nie v istoriju russkoj cerkvi [Geschichte des Christentums in Russland vor dem apostelglei-

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den die christlichen Denkmäler von Chersonesos in einer historischen Studie desLiturgikers I. D. Mansvetov beschrieben163.

Die Lage von Chersonesos außerhalb des heutigen Sevastopol’ macht dieStadt zu einem idealen archäologischen Forschungsgebiet besonders für die by-zantinische Zeit. Allerdings bestehen institutionelle und organisatorischeSchwierigkeiten, ganz abgesehen von persönlichen Konflikten. Zweifelsohnewar die Gründung eines Klosters 1861 auf dem Gebiet der antiken Stadt aufdem Hauptforum keine glückliche Entscheidung. Das klösterliche Lebenbraucht seine räumliche Entfaltung, aber genau hier liegen dicht gedrängt antikeund mittelalterliche Ruinen164. Die Bauarbeiten der großen Vladimirkirche(1861–1891) in Erinnerung an die Bekehrung Russlands165 über den Resten derfrühchristlichen Kirche Nr. 27 und anderer frühchristlicher Strukturen verhin-derte eine genaue Erforschung des Terrains. Seit 1876 führt die Gesellschaft fürGeschichte und Altertümer von Odessa (OOID) die Grabungen in Chersonesosunter der Leitung von N. N. Murzakevic durch. Dies geschieht in Zusammen-arbeit mit dem Kloster auf Kosten des Ministeriums für Öffentliche Bildung unddes Heiligen Synod166. Seither wurde die Nordbasilika (Nr. 22) ergraben, dasBaptisterium der Bischofsbasilika, die unterirdische Kirche, einige Kapellenund andere Bauten. Freilich befindet sich die Gesellschaft von Odessa zu weitvom Grabungsgebiet entfernt; vor allem aber interessierte sie sich vornehmlichfür die klassische Antike.

Seit 1884 wurden die Arbeiten praktisch vom Kloster allein durchgeführt.Aber dessen Niveau war niedrig und vor allem wurden häufig archäologischeObjekte entwendet. Am 5. Juni 1887 richtete Praskov’ja Uvarova einen Brief anZar Alexander III., in dem sie diese Situation beklagte und Vorschläge zur Lö-sung unterbreitete. Die Reaktion folgte rasch: Seit 1888 organisierte und kon-trollierte die Archäologische Kommission die archäologischen Arbeiten inChersonesos167. Dennoch blieb das Hauptproblem: Es fehlte an Spezialisten

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chen Fürsten Vladimir, zugleich eine Einleitung in die Geschichte der russischen Kirche](Sankt Petersburg 1846), Nachdruck: Istorija Russkoj Cerkvi 1 (Moskau 1994).163 I. D. Mansvetov, Istoriceskoe opisanie drevnego Chersonesa i otkrytych v nem pamjat-nikov [Historische Beschreibung des antiken Chersonesos und der dort gefundenen Denk-mäler] (Moskau 1872).164 A. V. Samanaev, Raskopki Chersonesa i monastyr’ Sv. Vladimira: konflikt i kompromissinteresov (1895–1896 gody) [Die Grabungen in Chersonesos und das Vladimir-Kloster. Kon-flikt und Kompromiss der Interessen (1895–1896)], in: Istoriceskoe nasledie Kryma 24 (2009)5–15.165 F. F. Laskov, Istoriceskaja zapiska o sooruzenii v Chersonese chrama sv. ravnoapostol’no-go knjazja Vladimira i archivnye dannye, otnosjasciesja k istorii sooruzenija etogo chrama[Denkschrift zur Errichtung der Kirche des hl. apostelgleichen Fürsten Vladimir und dieArchivalien zur Baugeschichte der Kirche], in: Izvestija Tavriceskoj ucenoj archivnoj komissi5 (1887) 5–18.166 A. V. Samanaev, Dejatel’nost’ Odesskogo obscestva istorii i drevnostej po izucenijuChersonesa [Die Tätigkeit der OOID für die Studien in Chersonesos], in: Anticnajadrevnost’ i srednie veka 34 (2003) 415–425.167 K. E. Grinevic, Sto let chersonesskich raskopok (1827–1927) [100 Jahre Grabungen in

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vor allem der „Architekturarchäologen“, es fehlte an einem dauerhaften Teamvor Ort mit einem langfristigen Konzept. Die IAK bat Kondakov, die Grabun-gen zu leiten, aber er kam nur für zwei oder drei Kampagnen; die Arbeiten inChersonesos interessierten ihn nicht sonderlich.

Die Zentralfigur der Archäologie in Chersonesos war Karl (Nikolaj) Kazimi-rovic Koscjusko-Valjuzinic (1847–1907), ein polnischstämmiger Ingenieur undBankmanager in Sevastopol’168. 1882 organisierte er dort eine Gruppe vonFreunden der Geschichte der Krim, 1885 wurde er Mitglied der OOID, 1892der IAK. Er selbst war ein leidenschaftlicher Freund der Archäologie („fana-tisch“, so er selbst über sich)169. Seine archäologische Aktivität war immens:Während der Jahre 1888–1907 erforschte er Mauern und Türme, zwölf Basilikenund Kapellen, 2.000 Gräber der Nekropole, und er schrieb mehrere Bände Be-richte. Seine Grabungsmethoden werden heute häufig kritisiert, aber seine Be-richte finden auch aufmerksame Leser. Diese sehr detaillierten Berichte sind eherGrabungstagebücher und bilden heute trotz allem eine Quelle aus erster Hand.

Grabungsmethoden für Architekturdenkmäler war zur Zeit von Koscjusko-Valjuzinic mehr oder weniger überall gleich: Man interessierte sich für Reste derKonstruktionen, des Marmors, der Mosaiken, der Inschriften und Münzen,nicht jedoch für Amphorenfragmente. Die größten Defizite zeigte Koscjusko-Valjuzinic in seinen Angaben über die Lage der Fundobjekte und ihren strati-graphischen Kontext, die fast immer fehlen; die Archäologische Kommission,die seine Berichte anforderte, hat auf diesen Punkt zu wenig geachtet. Die Gra-bungsdokumentation in Chersonesos war nicht einfach. Der Topograph undZeichner Martin Ivanovic Skubetov (1872–1921?), der 1896–1914 in Chersone-sos arbeitete, war mit vielerlei Aufgaben überlastet, so dass er nicht alle Pläneund Aufrisse hinreichend genau erstellen konnte. Zweifellos hätte es bei demhohen Tempo, mit dem Architekturdenkmäler ergraben wurden, eines Teamsvermessungstechnisch erfahrener Architekten bedurft. Koscjusko-Valjuzinicselbst erklärt die außerordentliche Geschwindigkeit seiner archäologischen Ar-beiten trotz aller Ehrenhaftigkeit mit einer gewissen Naivität: Er wollte so inte-ressante Fundstücke wie möglich zusammentragen, damit die IAK ihm weiter-

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Chersonesos 1827–1927] (Sevastopol’ 1927) 9–40; A. I. Romancuk, Studien zur Geschichteund Archäologie des byzantinischen Cherson (Leiden / Boston 2005) 7–38; Dies., Issledova-nija Chersonesa-Chersona. Raskopki. Gipotezy. Problemy 2. Vizantijskij gorod [Erfor-schung von Chersonesos-Cherson. Grabungen. Hypthesen. Probleme 2. ByzantinischeStadt] (Tjumen’ 2008) 12–59; R. V. Stojanov, Imperatorskaja Archeologiceskaja Komissijai izucenie Chersonesa Tavriceskogo [Die IAK und die Forschungen im taurischen Chersone-sos], in: Nosov, Musin (Anm. 64) 522–556.168 T. M. Sevcenko, I. G. Tarasenko, Pam’jati K. K. Koscjuska-Valjuzinica – vidatnogodoslidnika Chersonesa [In Erinnerung an K. K. Koscjusko-Valjuzinic, den bekannten Erfor-scher von Chersonesos], in: Archeolohija 3 (2007) 4–7; L. O. Grinenko, Koscjusko-Valju-zinic Karl (Nikolaj) Kazimirovic [K. (Nikolaj) K. Koscjusko-Valjuzinic], in: Sevastopol’.Enciklopediceskij spravocnik, 2. Auflage (Sevastopol’ 2008) 410 f.; L. Grinenko, K. N. K.Koscjusko-Valjuzinic, in: Heid, Dennert 2, 756 f.169 Romancuk, Issledovanija (Anm. 167) 519.

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hin Finanzkredit gewähre170. Heute verstehen wir, dass das Ziel, die Topographieder alten Stadt in ihrer historischen Entwicklung und im Kontext der Entwick-lung der materiellen Kultur zu erforschen, an den damaligen Grabungsmetho-den sowie der mangelnden Kompetenz der Ausgräber von Chersonesos schei-tern musste. Das ist der Grund, weshalb heutige Archäologen einerseits dendamaligen Enthusiasmus bewundern, den es heute so nicht mehr gibt, anderer-seits bedauern, dass dieser leidenschaftliche Eifer in Chersonesos fast alles aus-gegraben hat.

Koscjusko-Valjuzinic entdeckte bei seinen Grabungen eine wichtige Gruppevon Kirchen mit Mosaikfußböden und unzähligen Fragmenten in prokonnesi-schem Marmor, aber es fehlte eine Synthese. Die ersten Versuche in dieser Rich-tung waren zwei Arbeiten von Aleksandr L’vovic Berthier-Delagarde (De La-garde) (1842–1920)171. Der Militärbauingenieur in Sevastopol’ war Mitglied undspäter Vizepräsident der Gesellschaft für Geschichte und Altertümer in Odessa,Mitglied der Archäologischen Gesellschaft von Moskau und der Taurischen ge-lehrten Archivkommission. Er versuchte, die protobyzantinischen Kirchen vonChersonesos zu datieren172, eine bis heute schwierige Frage173.

Koscjusko-Valjuzinic hatte das Verdienst, unter schwierigen Bedingungendas Museum von Chersonesos zu gründen (Abb. 1). Einerseits bestand dasKloster darauf, alle Sakralgegenstände in seinem eigenen „Christlichen Mu-seum“ aufzubewahren174, andererseits wollte die IAK, dass alle wichtigerenFunde in die Ermitage oder ins Historische Museum von Moskau kämen. Wäh-rend all der Jahre verfocht Koscjusko-Valjuzinic, dieser einfache Ausgräber –sein offizieller Titel war „Grabungsleiter“ – ohne akademischen Grad und ohneeinflussreiche Stellung, die Idee, die archäologischen Funde vor Ort im Kontextder historischen Architektur und Landschaft auszustellen und so das örtlicheKulturerbe bekannt zu machen, das so sehr mit der Christianisierung Russlandsverbunden war. 1892 organisierte er das „Magazin der Lokalaltertümer“ (Skladmestnych drevnostej), das gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein veritables Mu-seum wurde175.

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170 Stojanov (Anm. 167) 532.171 L. G. Khrushkova, A. L. Berthier-Delagarde, in: Heid, Dennert 1, 168f.172 A. L. Berthier-Delagarde, Drevnosti Juznoj Rossii. Raskopki Chersonesa [Die Alter-tümer Südrusslands, Grabungen in Chersonesos] (Sankt Petersburg 1893); ders., O Cherso-nese. Krestoobraznyj chram, krescal’nja, krepostnaja ograda [Chersonesos. KreuzförmigeKirche, Baptisterium, Befestigungsanlage] (Sankt Petersburg 1907).173 L. G. Khrushkova, Krim (Chersonesus Taurica), in: RAC 22 (2007) 108–113.174 L. O. Grinenko, Predteca archeologiceskogo muzeja v Chersonese: Muzej archimandri-ta Evgenija [Vorläufer des Archäologischen Museums in Chersonesos: das Museum des Ar-chimandriten Eugenios], in: Vostok-Zapad. Mezkonfessional’nyj dialog. Tezisy dokladov(Sevastopol’ 2002) 12 f.175 I. A. Antonova, K. K. Koscjusko-Valjuzinic – osnovatel’ Chersonesskogo muzeja [K. K.Koscjusko-Valjuzinic. Gründer des Museums von Chersonesos], in: Nomos 28–29 (Kraków1999–2000) 29–40; Romancuk, Issledovanija (Anm. 167) 494–520. Die Archive Koscjusko-Valjuzinic mit seiner Biographie sind russisch und englisch veröffentlicht: http://www.kostsyushko.chersonesos.org.

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Die Professionalität der Grabungen war in Chersonesos ein Dauerproblem.1902 schlug Uvarova in einem Brief an Zar Nikolaus II. vor, das Kloster zuverlegen und systematische Grabungen nach einem detaillierten Plan durch-zuführen, grundlegende Restaurierungsarbeiten vorzunehmen, das Museum zuordnen und einen Katalog zu erstellen176. Damit war sie ihrer Zeit voraus: DasKloster wurde unter den Sowjets unterdrückt (1924). Was Kataloge betraf, soerschienen solche noch viel später. Einer war der Ausstellungskatalog „Byzanti-nisches Cherson“, der in Moskau anlässlich des 18. Internationalen Byzantinis-tenkongresses erschien (August 1991)177, ein anderer stellte jüngst 500 byzanti-nische Objekte aus Cherson vor, die sich in verschiedenen Museen der Ukraineund Russlands befinden178.

Uvarova begründete die Reihe „Denkmäler des christlichen Chersonesos“, inder bekannte Namen veröffentlicht haben: Ajnalov, Smirnov, Redin u.a. Ajna-lovs Studie über die Kirchen blieb allerdings unvollständig; es blieb bei einerBeschreibung ohne Analyse und Datierung179. Der Band über die byzanti-nischen Marmorobjekte erschien nicht, kam wohl nicht einmal ins Stadium derVorbereitung (es gibt keine Archivalien dazu). In derselben Reihe erschien einBuch des Professors der Universität Kazan’ S. P. Sestakov über das mittelalterli-che Chersonesos180. Sichtlich waren die besten russischen Gelehrten, die zu

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Das erste Museum von Chersonesos (1911)

176 Romancuk, Issledovanija (Anm. 166) 521.177 I. S. Cicurov (Hg.), Vizantijskij Cherson. Katalog Vystavki [Byzantinisches Cherson.Ausstellungskatalog] (Moskau 1991).178 T. Jasaeva, E. Denisova, N. Ginkut, V. Zalesskaja, D. Zuravlev, The Legacy of By-zantine Cherson (Sevastopol-Ostin 2011) (russisch, englisch und ukrainisch).179 D. V. Ajnalov, Pamjatniki christianskogo Chersonesa 1. Razvaliny chramov [Denkmälerdes christlichen Chersonesos 1. Kirchenruinen] (Moskau 1905); ders., Memorii sv. Klimentai sv. Martina v Chersonese [Die Memorien des Hl. Clemens und des Hl. Martin in Cherso-nesos] (Moskau 1915).180 S. P. Sestakov, Ocerki po istorii Chersonesa v VI-X vv. po R. Ch. [Skizzen zur Geschich-

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Forschungen über Chersonesos eingeladen waren, Kondakov und Ajnalov, nichtsonderlich interessiert. Als brillante Kenner christlich-byzantinischer Bildkunstund hoher künstlerischer Produktion (Konstantinopel, Rom, Alexandria, Sinaïu. a.) waren sie keine Feldarchäologen, die Jahre damit verbringen, mühsameGrabungen einer gewöhnlichen Stadt durchzuführen. Allerdings hat Ajnalovgut die Ansprüche an eine Grabung formuliert: Es müsse ein konkreter Planvorliegen, der die historische Topographie berücksichtige und auch Restaurie-rungsarbeiten vorsehe. Das musste aber unter den damaligen VerhältnissenWunschdenken bleiben. Die Archäologische Kommission, die das vorrangigeGrabungsrecht auf der Krim für sich beanspruchte, vermochte keine wirklicheExpedition für Chersonesos zustande zu bringen. Gleichwohl genoss die Erfor-schung des christlichen Chersonesos immer besonderes Interesse und verfügteim Vergleich zu anderen archäologischen Stätten über genügende Mittel. DieZaren Alexander III. (1893) und Nikolaus II. (1902, 1913) besuchten die Gra-bungen.

Nach Koscjusko-Valjuzinic’s Tod führten Roman Christianovic Leper (Ro-bert Georg Christian Löper) (1865–1918)181 und Nikolaj Ivanovic Repnikov(1882–1940) die Grabungen in Chersonesos fort. Darüber hinaus leitete Leper1912 die Ausgrabungen einer Basilika des 6. Jahrhunderts auf dem Mangup-Pla-teau (außerhalb des Programms der IAK). Zur selben Zeit erforschte Repnikovdie bedeutende Basilika von Parthenit. In ihr war wahrscheinlich Bischof Johan-nes von Gotien begraben182, eine bekannte Persönlichkeit der Krim aus der Zeitdes Ikonoklasmus. Diese Kirche war mit einem ansonsten auf der Krim seltenanzutreffenden opus sectile-Fußboden ausgeschmückt183.

Lavrentij Alekseevic Moiseev (1882–1946)184 leitete die archäologischen undkonservatorischen Arbeiten in Chersonesos unter den dramatischen Bedingun-gen des Ersten Weltkriegs. 1914 ließ er das bewegliche archäologische Materialnach Char’kov auslagern. 1916 wurden militärische Verteidigungsstellungen aufdem Gebiet der alten Festung (und auf dem nahen archäologischen Areal vonChersonesos) aufgebaut. 1918 wurde Sevastopol’ von deutschen Truppen besetzt.Alles geschah unorganisiert; es gab weder eine Finanzierung noch Kommunika-tion mit Petersburg. Im August 1918 bat Moiseev, der zeitweise an der UniversitätHeidelberg studiert hatte, sogar die deutsche Militärverwaltung um Unterstüt-zung. Unter solchen Umständen tat Moiseev sein Mögliches, um die archäologi-schen Reichtümer und Grabungsstätten von Chersonesos zu schützen.

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te von Chersonesos vom 6. bis 10. Jh.] (= Denkmäler des christlichen Chersonesos 2) (Mos-kau 1908).181 A. Musin, R. Chr. Leper, in: Heid, Dennert 2, 809.182 V.-F. Auzepy, La Vie de Jean de Gothie (BHG 891), in: La Crimée entre Byzance et leKhaganat Khazar (Paris 2006) 69–86.183 N. I. Repnikov, Partenitskaja bazilika [Die Basilika von Parthenit], in: Izvestija Archeo-logiceskoj komissii 32 (1909) 91–140.184 L. O. Grinenko, Iz istorii Chersonesskogo muzeja (1914–1924) [Zur Geschichte desMuseums von Chersonesos (1914–1924)], in: Drevnosti. Char’kovskij istoriko-archeologi-ceskij ezegodnik 1997–1998 (Char’kov 1999) 187–197.

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Auf der Ostkrim war Kerc’ (Pantikapaion, Bosporos) anders als Chersonesosweniger durch seine alte Architektur als durch seine antiken Nekropolen aufdem Berg Mitridat bedeutend. Von hierher gelangten viele Luxusgüter in Gold,Silber und Glas in die Ermitage. Das Museum von Kerc’ unterstand der IAK185.Es wurde seit 1901 von Vladislav Vjaceslavovic Skorpil (1853–1918) geleitet. Erwar ein Tscheche aus Böhmen, hatte die Universitäten Prag und Leipzig besucht,wurde russischer Bürger (1893) und war Mitglied der IAK, OOID, der Gelehr-ten Taurischen Archiv-Kommission (TUAK), des Deutschen ArchäologischenInstituts, der Archäologischen Gesellschaft von Varna (Bulgarien) und derTschechischen philologischen Gesellschaft. Skorpil war Archäologe und His-toriker, aber auch Philologe; er übersetzte und gab ein tschechisch-russischesWörterbuch heraus186. Ihm lag besonders der Denkmalschutz am Herzen. Da-mals waren die Grabräuber das Hauptproblem, zumal wegen der oft reichenBeigabenfunde. Von ihnen wurde er im Dezember 1918 in der Nähe seinesHauses ermordet.

Skorpil’s Forschungsschwerpunkt lag auf den klassischen Denkmälern: Mün-zen, Inschriften, Nekropolen. Unter seinen über 100 Veröffentlichungen liegtaber auch eine Arbeit über eine christliche Katakombe vor187. Die ausgemalten„Katakomben“ (besser in den Boden gegrabene Grüfte) stellen eine der bemer-kenswertesten antiken und frühchristlichen Denkmälergruppen in Kerc’ dar.

Zu den Pionieren der Erforschung solcher Gräber gehörte der Philologe, His-toriker und Archäologe Julian Andreevic Kulakovskij (1855–1919), der an derUniversität Moskau promoviert wurde und später ordentlicher Professor an derKaiserlichen Universität St. Vladimir in Kiew war (1888)188. Zu seinen Lehrerngehörte Theodor Mommsen, dem er einen Nachruf widmete189. Seit 1890 nahmer im Auftrag der Archäologischen Kommission Grabungen in Kerc’ vor. Erbemühte sich auch um den Denkmalschutz in dieser Region. Er untersuchtezwei ausgemalte Gräber, eines mit einem Psalmtext, Kreuzabbildungen undeiner Datierung ins Jahr 491, ein höchst seltener Fall190. 1893 berichtete Kula-

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185 N. F. Fedoseev, Kercenskij muzej drevnostej [Das Museum der Altertümer in Kerc], in:Vestnik drevnej istorii 1 (2002) 154–178.186 L. M. Lazenkova, Kercenskij muzej drevnostej. Issledovateli. V. V. Skorpil [Das Museumder Altertümer in Kerc’. Forscher. V. V. Skorpil], in: V. N. Zin’ko (Hg.), Bospor Kimme-rijskij. Pont i varvarskij mir v period anticnosti i srednevekov’ja (Kerc’ 2002) 145–152.187 V. V. Skorpil, Vnov’ otkrytaja christianskaja katakomba [Eine neuentdeckte christlicheKatakombe], in: Zapiski Odesskogo obscestva istorii i drevnostej 18 (1895) 185–198.188 L. G. Khurshkova, J. A. Kulakovskij, in: Heid, Dennert 2, 769f.189 Ju. A. Kulakovskij, In Memoriam Th. Mommsen, in: Kievskie universitetskie izvestija 3(1904) 1–24; Wiederabdruck in: Zurnal Ministerstva Narodnogo Prosvescenija 1 (1904) 39–61.190 Ders., Kercenskaja christianskaja katakomba 491 goda, in: Materialy po archeologii Ros-sii 6 (1891); deutsche Übersetzung: Eine altchristliche Grabkammer in Kertsch aus dem Jahre491, in: RQ 8 (1894) 49–87, 309–327; ders., Vnov’ otkrytaja christianskaja katakomba [Eineneuentdeckte Katakombe], in: Zapiski Odesskogo obscestva istorii i drevnostej 18 (1895)185–198.

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kovskij über diese Katakomben auf dem archäologischen Kongress in Vil’no(heute Vil’nius, Litauen).

Auf dem Internationalen Kongress der Geschichtswissenschaften vom 2. bis9. April 1903 in Rom referierte Kulakovskij über die Funeralriten der südrussi-schen Stämme. Das Tagungsprogramm, an dem zehn russische Gelehrte teil-nahmen, umfasste auch mehrere Besuche antiker und frühchristlicher Denkmä-ler und Grabungen: S. Maria Antiqua, SS. Cosma e Damiano, Katakombenu.a.191. 1895–1912 arbeitete Kulakovskij gewissenhaft an der archäologischenKarte der Krim einschließlich der christlichen Denkmäler. Das Manuskript wur-de jedoch nicht abgeschlossen und blieb unveröffentlicht. Immerhin veröffent-lichte Kulakovskij mehrere Beiträge zur Geschichte des Christentums unter denVölkern im Grenzgebiet von Byzanz: den Krimgoten192 und Alanen im Nord-kaukasus193. Ferner schrieb er über das frühe römische Christentum194. Seinezweite Lebenshälfte widmete er der Geschichte von Byzanz195.

Zur Geschichte der antiken Malerei auf der Krim trug Michael Ivanovic Ros-tovcev (1870–1952) sehr viel bei196. Er gehörte zu jenen Archäologen, die ZarNikolaus II. während seines Besuchs der Denkmäler von Chersonesos 1913 be-gleiteten. Danach gab der Zar Anweisung zur Finanzierung der Veröffent-lichung der monumentalen Studie Rostovcev’s über die Malerei, die noch vordem Ersten Weltkrieg erschien. Die Fresken der Spätantike bilden nur einenkleinen Ausschnitt des weitgehend der paganen Kunst gewidmeten Werks. Ros-tovcev nahm darin etwa zehn ausgemalte Gräber aus Chersonesos auf, eine ähn-liche Zahl aus Kerc’197. Beide Gruppen unterscheiden sich. In Chersonesos istdie Malerei zweifelsohne christlich; mehrfach begegnet das Christogramm„Chi-Rho“. In Kerc’ liegen christliche wie pagane, auch schwer zu klärendeMotive vor. Rostovcev brachte einige Darstellungen mit dem Sabazioskult inZusammenhang. Vielleicht muss man von dionysischen Motiven ausgehen. Die

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191 Ders., Mezdunarodnyj kongress istoriceskich nauk v Rime [Der internationale Kongressfür Geschichtswissenschaften in Rom], in: [Kievskie] universitetskie izvestija 5 (1903) 1–21.192 Ders., K istorii gotskoj eparchii v Krymu v VIII v. [Zur Geschichte der Goten-Eparchieauf der Krim im 8. Jh.), in: Zurnal Ministerstva Narodnogo Prosvescenija 2 (1898) 173–202.193 Ders., Gde nachodilas’ Vicinskaja eparchija Konstantinopol’skogo patriarchata [DieEparchie von Vicina des Konstantinopeler Patriarchats, zu dem sie gehört], in: VV 4,3–4(1897) 315–336; ders., Christianstvo u alan [Das Christentum bei den Alanen], in: VV 5,1–2(1898) 1–18; ders., Alany po svedenijam klassiceskich i vizantijskich pisatelej [Alanen nachden Zeugnissen der klassischen und byzantinischen Schriftsteller] (Kiew 1899), wieder abge-druckt in: Sbornik po istorii alan i Sarmatii [Sammlung zur Geschichte der Alanen und Sar-matiens] (Sankt Petersburg. 2000).194 Ders., Christianskaja cerkov’ i rimskij zakon [Die christliche Kirche und das römischeRecht], in: [Kievskie] universitetskie izvestija 12 (1891) 1–52, wiederabgedruckt in: Russkoeobozrenie (1892) 294–323.195 Ders., Istorija Vizantii (Die Geschichte von Byzanz] 1–3 (Kiew 1910), Nachdruck: SanktPetersburg 1996.196 A. Musin, M. Dennert, M. I. Rostovcev, in: Heid, Dennert 2, 1092–1095.197 M. I. Rostovcev, Anticnaja dekorativnaja zivopis’ na juge Rossii 1 (texte), 2 (Atlas)(Sankt Petersburg 1913–1914) 483–506, Atlas XCVII-C (franz. Übersetzung: La peinturedécorative en Russie Méridionale 1–2 [Paris 2003–2004] 523–528, 608–638).

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vorgeschlagenen Datierungen schwanken zwischen der zweiten Hälfte des 4.und der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts198.

13. Kaukasus

Der Kaukasus und die Ost- und Nordseite des Schwarzen Meeres gehörengeographisch und historisch zusammen. In Russland wird diese Region als der„Süden Russlands“ (des russischen Reichs) bezeichnet. Dieselben Institutionenund oft auch Personen befassten sich mit diesem Gebiet. Das gilt bis heute, vorallem für die griechisch-römisch-byzantinische Epoche. Alle diese Regionenstanden unter dem Einfluss der Mittelmeerkultur. Die archäologische Forschungim Kaukasus entwickelte sich aber später als in anderen Regionen.

Der Kaukasus mit seinem durch zahlreiche Völker angereicherten Erbe, mitseinem alten Christentum, das in vorkonstantinische Zeit zurückreicht, dieservon russischen Poeten romantisierte und idealisierte Kaukasus199 zog allezeit dieNeugierde der Reisenden, Maler und Forscher an. Alle wichtigen Wissenschafts-einrichtungen, nicht zuletzt die Akademie der Wissenschaften, die Archäologi-sche Kommission und die Archäologische Gesellschaft in Moskau, haben zurarchäologischen Erforschung dieser ungewöhnlichen Region beigetragen, dievoller Denkmäler aller Epochen und Kategorien ist. Vor allem interessiertendie christlichen Denkmäler. In den 1850er Jahren gab es an der Akademie derWissenschaften eine Gruppe von Kaukasusforschern um Marie-Félicité (MarijIvanovic) Brosset (1802–1880), ein französischer Philologe und Historiker, derdie georgische Sprache beherrschte. In ihren Reiseberichten finden sich vieleBemerkungen zu georgischen und armenischen Architekturdenkmälern200.

An der Schwarzmeerküste war die politische und religiöse Situation prekär:Nach 400 Jahren Türkenherrschaft scheiterte eine Rechristianisierung dort, wodas Christentum bereits in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende Fußgefasst hatte. 1860 nahm die Gesellschaft zur Wiederherstellung des orthodoxenChristentums im Kaukasus mit Zentrum in Tiflis ihre Tätigkeit auf, vornehmlichunter der abchasischen und nordkaukasischen Bevölkerung201. Dort lebte das

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198 L. G. Khrushkova, O zivopisi rannechristianskich sklepov v Krymu: sto let posle Mi-chaila Ivanovica Rostovceva [Zur Malerei der frühchristlichen Gräber auf der Krim. 100Jahre nach M. I. Rostovcev], in: Vizantija v kontekste mirovoj kul’tury. K 100-letiju so dnjarozdenija Alisy Vladimirovny Bank. 1906–1984. Materialy konferencii (Sankt Petersburg2008) 121–132, 583; L. G. Khrushkova, Chersonesos in the Crimea: the First ChristianBuildings (4th–5th Centuries), in: Antiquité Tardive 16 (2008) 150–154.199 Michail Lermontov: „ein Land, wo die Menschen frei wie Adler sind“ – Symbol derFreiheit und majestätischen Schönheit der Natur.200 M. Brosset, Rapports sur un voyage archéologique dans la Géorgie et dans l’Arménie,executé en 1847–1848, Rapport 4–12, Atlas (Sankt Petersburg 1849–1850).201 A. Platonov, Obzor dejatel’nosti Obscestva vosstanovlenija pravoslavnogo christianstvana Kavkaze za 1860–1910 gg. [Überblick über die Tätigkeit der Gesellschaft zur Wiederher-stellung des orthodoxen Christentums im Kaukasus 1860–1910] (Tiflis 1910); A. S. Smirnov,Vlast’ i organizacija archeologiceskoj nauki v Rossijskoj imperii (opyt institucional’noj istoriinauki XIX-nacala XX veka) [Macht und Organisation der archäologischen Wissenschaft im

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Christentum noch fort. In der Mitte des 17. Jahrhunderts beobachtete der Thea-tinermissionar Cristoforo Castelli dort „molte imagini d’oro e d’argento e varieReliquie de Santi con una mano del gloriose martire Santo Stefano“. Ähnlichesbezeugten die russischen Botschafter 1640202.

Nach und nach restaurierte man dort die Kirchen und gründete Klöster. Manbegann mit zwei besser erhaltenen großen Kuppelkirchen. Die eine war in Pi-cunda (10. Jh.), dem antiken Pytius, dessen Bischof am ersten Konzil von Nizäa(325) teilgenommen hatte. Die andere war in Dranda (6. Jh.). Beide Orte warennoch im Mittelalter Bischofssitze. Die umfangreichen Bauarbeiten am KlosterNeu-Athos, das von Athos-Mönchen 1876 gegründet worden war, schlossenauch die Restaurierung der alten Kirchen in Anacopia ein, einer wichtigen Fes-tung und Stadt des Mittelalters. Alles dies weckte das Interesse an der Region.Der Archimandrit Leonid (Kavelin) schrieb über das christliche Abchasien203.Später studierte V. Latysev eine bedeutende Gruppe griechischer Inschriften ausbyzantinischer Zeit, die in Neu-Athos aufgefunden worden war204.

Auch in der wissenschaftlichen Laufbahn Kondakov’s spielt der Kaukasuseine Rolle. Hier widmete er sich verstärkt der christlich-byzantinischen Kunst:1873 hielt er sich auf Einladung der Archäologischen Gesellschaft in Moskau(MAO) drei Monate in Abchasien und Westgeorgien zur Erforschung der altenKirchen auf. Seine Studie über die Architektur Georgiens (in der Reihe derMAO) war sein erstes Buch und zugleich das erste zu diesem Thema. Der jungeForscher verfolgte eine Idee, die allen Kunsthistorikern Georgiens lieb wurde:die georgische Architektur nicht durch äußere Einflüsse, sondern aus sich selbstund den lokalen Gegebenheiten heraus zu erklären205. Später wurde eine kauka-sische Region in einem Band der grundlegenden Reihe über russische Kunst-denkmäler behandelt, die Kondakov zusammen mit I. Tolstoj herausgab206.

1899 kam Zar Alexander III. selbst nach Georgien. Der Diebstahl kostbarerKirchenobjekte aus Klöstern warf die Frage nach deren Sicherheit auf. Es betrafdie beiden westgeorgischen Provinzen Mingrelien und Imeretien. Notwendigwar eine Inventarisierung der Kirchenschätze. Der Historiker und ArchäologeDmitrij Zacharovic Bakradze (1826–1890) wurde mit der Erforschung georgi-

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russischen Zarenreich. Studie zur Institutionengeschichte der Wissenschaft des 19.–20. Jh.](Moskau 2011) 152–154.202 L. G. Khrushkova, Les monuments chrétiens de la côte orientale de la mer Noire. Abk-hazie IVe-XIVe siècles (Turnhout 2006) 105.203 A. L. (Kavelin), Abchazija i ee christianskie drevnosti [Abchasien u. seine christl. Alter-tümer] (Moskau 1887).204 V. V. Latysev, K istorii christianstva na Kavkaze. Greceskie nadpisi iz Novo-Afonskogomonastyrja [Zur Geschichte des Christentums im Kaukasus. Die griechischen Inschriften ausdem Kloster Neu-Athos], in: Sbornik archeologiceskich statej, podnesennych grafu A. A.Bobrinskomu (Sankt Petersburg 1911) 169–198.205 N. P. Kondakov, Drevnjaja architektura Gruzii [Die alte Architektur Georgiens] (TrudyMoskovskogo archeologiceskogo obscestva 6) (Moskau 1876).206 I. I. Tolstoj, N. P. Kondakov, Russkie drevnosti v pamjatnikach iskusstva IV. Christi-anskie drevnosti Kryma, Kavkaza i Kieva [Das russische Altertum in seinen Kunstdenkmä-lern IV. Christliche Altertümer der Krim, des Kaukasus und Kiews] (Sankt Petersburg 1892).

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scher Inschriften beauftragt207. In einem Brief vom 18. August 1889 an Ivan V.Pomjalovskij aus Georgien teilte Kondakov die Einzelheiten dieser schwierigenMission mit. Er zählt mehr als 20 Ortschaften, Klöster und Schätze auf, die erzusammen mit Bakradze aufsuchte, und fügt hinzu: „… und was sind die Ergeb-nisse? Dank sei Gott, sie sind gut. Ich konnte großartige Emails und die byzanti-nische Skulptur bewundern. Es genügt zu erwähnen, dass wir in Martveli einEvangeliar reich an Miniaturen gefunden haben wie jenes von Gelati, und da esaus dem Jahr 1300 stammen soll, ist es noch interessanter als das erste. Ich habeschließlich byzantinische Arbeit des 9. Jahrhunderts gesehen, die von derselbenhohen künstlerischen Qualität ist wie die ‚Antiken‘“208. Das von Kondakov inMartvili gefundene Evangeliar enthält auf höchstem künstlerischen Niveau zahl-reiche Miniaturen im Stil der Paläologenzeit. Es ist exakt datierbar (1300) undträgt die Namen des Auftraggebers (Erzbischof Daniil von Mokva) und desKünstlers (Efrem), was ansonsten sehr selten der Fall ist. In Chobi stieß Kon-dakov auf eine Ikone des 10. Jahrhunderts mit dem Namen des Auftraggebers,des abchasischen Königs Leo III. (957–967). In den anderen Klöstern fandenKondakov und Bakradze eine Reihe von Silberikonen in Treib- und Email-technik209. In seiner diesbezüglichen Studie unterschied Kondakov Emails by-zantinischer und georgischer Herkunft210. Das illuminierte Evangeliar des11. Jahrhunderts aus Gelati mit seinen 259 Miniaturen aus dem georgischenAthoskloster Iviron, das für die georgische Kunstgeschichte bedeutend ist, wur-de hingegen von N. V. Pokrovskij publiziert. Er hatte mehrere Reisen nachWestgeorgien unternommen, auch zu dem bedeutenden Bischofssitz Gelati211.

Zu den ersten Forschern, die 1874 die Gebirgsprovinz Swanetien besucht ha-ben, gehörte Georgij Dmitrievic Filimonov (1828?–1898), Gründungsmitgliedder IMAO212. Zur selben Zeit veröffentlichte Bakradze eine Übersicht über ei-nige christliche Denkmäler Georgiens213. Später erforschte Bakradze als Vizeprä-sident der Gesellschaft der Freunde der kaukasischen Archäologie (Obscestvo

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207 A. Plontke-Lüning, D. Bakradze, in: Heid, Dennert 1, 108f.208 I. P. Medvedev, I. V. Pomjalovskij i ego vklad v vizantinovedenie [I. V. Pomjalovskij undseine Stellung zu den byzantinischen Studien], in I. P. Medvedev (Hg.), Mir russkoj vizanti-nistiki (Sankt Petersburg 2004) 238 f.209 N. P. Kondakov, D. Bakradze, Opis’ pamjatnikov drevnosti v nekotorych chramach imonastyrjach Gruzii [Beschreibung der alten Denkmäler in einigen Kirchen und KlösternGeorgiens] (Sankt Petersburg 1890) 79.210 N. P. Kondakov, Vizantijskie emali, Sobranie A. V. Zvenigorodskogo. Istorija i pamjat-niki vizantijskoj emali (Sankt Petersburg 1892) 146 f., 172f. (dt. Übers.: Byzantinische Zell-email-Sammlung A. W. Zvenigorodskoi [Frankfurt 1892]).211 N. V. Pokrovskij, Archeologiceskie redkosti Gelatskogo monastyrja [ArchäologischeRaritäten des Klosters Gelati], in: Christianskoe ctenie 1 (1882) 467–486; ders., MiniatjuryEvangelija Gelatskogo monastyrja [Miniaturen des Evangeliars des Klosters Gelati] (SanktPetersburg 1887).212 L. G. Khrushkova, G. D. Filimonov, in: Heid, Dennert 1, 497 f.213 D. Z. Bakradze, Kavkaz v drevnich pamjatnikach christianstva [Der Kaukasus in Hin-sicht auf seine altchristlichen Denkmäler], in: A. Berze (Hg.), Zapiski Obscestva ljubitelejkavkazskoj archeologii 1 (= Denkschrift der Gesellschaft der Freunde der kaukasischen Ar-chäologie 1) (Tiflis 1875) 19–168.

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ljubitelej kavkazskoj archeologii, seit 1873) die mittelalterlichen Kirchen Abcha-siens.

Eine besondere Rolle in der Erforschung des Kaukasus spielte die Archäolo-gische Gesellschaft in Moskau. Schon auf dem 2. archäologischen Kongress 1871in Sankt Petersburg legte der Präsident des kaukasischen archäologischen Ko-mitees Adol’f Petrovic Berze (1828–1886), ein Orientalist, seinen „Bericht überdie Archäologie des Kaukasus“ vor, in dem er vor allem auf die christlichenDenkmäler einging. Später richtete die MAO eine eigene Abteilung für denKaukasus ein, um die dortigen Forschungen ausdehnen zu können. Der 5. ar-chäologische Kongress im September 1881 in Tiflis markiert den Beginn inten-siver und eingehender Erforschung des Kaukasus214. Wie sonst auch bereitete dasEhepaar Uvarov den Kongress minutiös vor. Bereits 1879 reisten sie nach Tiflis.Noch vor Kongressbeginn führten sie in diversen Regionen Sondierungsgrabun-gen durch. So wurde ein echtes Forschungsprogramm für den Kaukasus aus-gearbeitet, das Denkmäler jeder Art einschließlich der christlichen Altertümerumfasste; es wurde von der MAO als Broschüre veröffentlicht215. Vor allen Edi-tionen der MAO zeichnet sich die kaukasische Reihe „Materialien zur Archäo-logie des Kaukasus“ in 14 Großbänden durch ihre präzisen Beschreibungen deroft neu entdeckten Denkmäler und die Fülle erstklassiger Abbildungen aus216.

Der Kaukasus gehörte zu Uvarovas wissenschaftlichen Schwerpunkten. AlsPräsidentin der MAO lud sie den renommierten Architekten und Akademie-mitglied Pavlinov ein, die Architekturdenkmäler in Abchasiens und Tao-Klard-zeti (Türkei) zu erforschen217. Sie selbst unternahm 1879, 1880, 1881, 1886, 1888,

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214 G. Uvarova (Hg.), Trudy V-go archeologiceskogo s“ezda v Tiflise, 1881 [Arbeiten des5. Archäologischen Kongresses in Tiflis, 1881] (Moskau 1887). 1879, 1880 und 1881 habendie Uvarovs drei Kaukasusexpeditionen durchgeführt. Die Arbeiten des Promotionskomi-tees des Kongresses als Supplemente (Pribavlenija) der Drevnosti IMAO 8–9 veröffentlicht(Moskau 1881). R. Virchow, Der archäologische Kongress in Tiflis, in: Zeitschrift für Eth-nologie 14 (1882) 73–111.215 Programma dlja issledovanija drevnostej Kavkaza, sostavlennaja Imperatorskim Mos-kovskim archeologiceskim obscestvom [Programm zur Erforschung der Altertümer desKaukasus, zusammengestellt von der IMAO] (Moskau 1889).216 P. S. Uvarova (Hg.), Materialy po archeologii Kavkaza, izdavaemye IMAO [Materialienzur Geschichte des Kaukasus, veröffentlicht durch die IMAO] 1–14 (Moskau 1889–1916).217 A. I. Pavlinov, Ekspedicija na Kavkaz 1888 goda. Putevye zametki (Die Kaukasus-Ex-pedition 1888. Reisenotizen] (= Materialy po archeologii Kavkaza 3) (Moskau 1893) 1–91,Taf. XXIII-XLVII. Pläne, Aufnahmen und Fotos stammen von Pavlinov und sind teilweisedie einzigen Bilddokumente einer Reihe von Denkmälern aus Tao-Klardzeti: V. V. Beridze,Mesto pamjatnikov Tao-Klardzeti v istorii gruzinskoj architektury / Monuments de Tao-Klardjetie dans l’histoire de l’architecture géorgienne (Tbilisi 1981) 11, 211. Die Arbeiten sindwichtig, da die erforschte Region schwer zugänglich ist. Nach dem russisch-türkischen Krieg1877–1878 gehörte ein Teil der alten georgischen Provinzen zu Russland. Nach 1921, als dasGebiet wieder an die Türkei fiel, hatten die georgischen Forscher keinen Zutritt mehr. DieErforschung der georgischen Denkmäler begann erst wieder mit Nicole und Michel Thierryin den 1960er Jahren: N. und M. Thierry, Notes d’un voyage en Géorgie turque, in: BediKartlisa 8–9 (1960) 10–29; dies., Note d’un nouveau voyage en Géorgie turque, in: BediKartlisa 25 (1968) 51–65.

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1890, 1895, 1901 und 1910 Reisen in die Regionen Kuban, Nordkaukasus, Aser-baidschan, vor allem aber nach Georgien einschließlich der Vorgebirge und Ge-birgsregionen Abchasien, Swanetien, Chewsurien, Psawien, Sawsien und Pschu/Poschov. Sie entdeckte und veröffentlichte zahlreiche Denkmäler, darunter aus-gesprochene Raritäten wie die mittelalterlichen Schrankenplatten, die in ihrerGestaltung frühchristliche Diptychen imitieren218. Diese bis heute berühmtenPlatten und einige andere Exemplare desselben Typs aus dem Cebelda-Tal inAbchasien wurden von Uvarova nach Moskau ins Historische Museum ge-bracht. Nach 1917 kamen sie ins Museum der Künste Georgiens (Muzej iskusstvGruzii), dem wichtigsten Museum für die georgische Kunstgeschichte.

Von Uvarovas 174 Veröffentlichungen widmen sich die besten dem Kaukasus.In der Sammlung „Materialien zur Archäologie des Kaukasus“ wurden die Bän-de 4, 8 und 10 von Uvarova selbst verfasst. Sie erforschte und publizierte 102christliche Architekturdenkmäler – mehr als alle anderen Expeditionsteilnehmerder MAO219. Ihre Energie und Zähigkeit beeindrucken, bedenkt man die damalsschwierigen Reiseverhältnisse, besonders in den Bergen. Zwei Töchter begleite-ten und unterstützten sie dabei. Über ihr klassisches Werk „Christliche Denk-mäler“ (1894) bemerkte Dmitrij Ajnalov zurecht, dass es sich hier um völlig neueAspekte von höchster Wichtigkeit handele220. Neben diesen wissenschaftlichenWerken schrieb Uvarova auch ihre ganz persönlich gefärbten „Reisenotizen“ fürdas breite Publikum221. Sie liebte es, inmitten der großartigen Landschaft in

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218 L. G. Khrushkova, Les dalles de chancel de Tsebelda en Abkhazie, in: La sculpture by-zantine. VIIe-XIIe siècles (Athènes 2008) 577–587.219 P. S. Uvarova, Christianskie pamjatniki [Christliche Denkmäler] (Materialy po archeo-logii Kavkaza 4) (Moskau 1894); dies., Mogil’niki Severnogo Kakaza [Nekropolen desNordkaukasus] (Materialy po archeologii Kavkaza 8) (Moskau 1900); dies., Poezdka v Psa-viju, Chevsuretiju i Svanetiju [Reise durch Psawien, Chewsurien und Swanetien] (Materialypo archeologii Kavkaza 10) (Moskau 1904). Besonders viele Entdeckungen gelangen ihr inAbchasien: L. G. Khrushkova, Rannechristianskie pamjatniki Vostocnogo Pricernomor’ja(IV-VII veka) [Die altchristlichen Denkmäler der Ostküste des Schwarzen Meeres (4.–7. Jh.)](Moskau 2002) 12–15; Khrushkova (Anm. 201) 12, 145–153.220 D. V. Ajnalov, Recenzija [Rezension]. P. S. Uvarova. Christianskie pamjatniki, in: Ar-cheologiceskie izvestija i zametki 3 (1895) 233.221 P. S. Uvarova, Kavkaz. Putevye zametki [Reisenotizen] 1 (Moskau 1887); dies., Abcha-zija, Adzarija, Savsetija, Poschovskij ucastok. Putevye zametki 2 [Abchasien, Adzarien, Saw-sien, Distrikt Poschov. Reisenotizen 2] (Moskau 1891); dies., Raca, Gorijskij uezd, gory Ose-tii, Psavija, Chevsuretija i Svanetija. Putevye zametki 3 [Raca, Distrikt Gori, BerglandOssetien, Psawien, Chewsurien und Swanetien. Reisenotizen 3] (Moskau 1904). 1892–1904unternahm Uvarova mehrere Auslandsreisen (Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich,Schweiz, Türkei, Kroatien, Ungarn, Spanien). Sie suchte archäologische Objekte aus demKaukasus. Als ausländisches korrespondierendes Mitglied der Société Nationale des Anti-quaires de France veröffentlichte sie eine kurze Geschichte der Archäologie in Russland,die erste Überblicksdarstellung in einer europäischen Sprache überhaupt: La Comtesse Ou-varoff, Aperçu sommaire du développement des sciences archéologiques en Russie, in: Ex-trait du Recueil de Mémoires publié par la Société des Antiquaires de France à l’occasion deson Centenaire (Paris 1904) 1–11.

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Begleitung nur eines Photographen und Dieners auf dem Pferd zu reisen, wie siees in ihren inhaltlich wie stilistisch wertvollen Erinnerungen beschreibt222.

Seit den 1880er Jahren nahm auch die Archäologische Kommission die Kau-kasusforschung breit in ihr Programm auf223. Nikolaj Jakovlevic Marr (1864–1934), Professor an der Universität Sankt Petersburg (1900), Dekan der Fakultätfür orientalische Sprachen (1911–1919) und Mitglied der IAK, besaß außerge-wöhnlich breit gestreute Interessen: Linguist, Historiker, Archäologe, Orient-forscher, Organisator und Herausgeber224. Auf allen diesen Gebieten widmete ersich auch prominent dem Kaukasus (mütterlicherseits lagen seine Wurzeln inGeorgien). Er organisierte mehrere Expeditionen nach Armenien und Georgiendank der Unterstützung der IAK und anderer Institutionen und Personen. Seinearchäologischen Arbeiten in Ani (1892, 1904–1917), der alten Hauptstadt desarmenischen Königreichs vom 10. bis 13. Jahrhundert (seit 961) waren von Er-folg gekrönt. Marr untersuchte mehrere Architekturdenkmäler der Hochzeitder armenischen Kultur und reiches archäologisches Material, wovon er vorOrt ein Museum einrichten konnte225. Durch diese Arbeit verdiente er sich diegroße Medaille in Gold der Russischen Archäologischen Gesellschaft. An denGrabungen nahmen der Architekt und spätere Architekturhistoriker NikolajMichajlovic Tokarskij (1892–1977)226 und der Orientalist Iosif Abgarovic Orbeli(1887–1961)227 teil, später Akademiemitglied und Direktor der Ermitage. DochMarrs Lebenswerk ging unter. Während des Ersten Weltkriegs schickte er allesMaterial mit wertvollen Archiven nach Tiflis. Unterwegs ging alles verloren;man weiß nicht wo. Ani lag im Frontgebiet; die Denkmäler wurden mehrfachbeschädigt, und nach dem Krieg gehörte Ani zur Türkei.

1909 entdeckten Marr und Smirnov im Geham-Gebirge riesige fischförmigeStelen („vishap“) aus der Bronzezeit. Im Mittelalter waren sie teilweise in Kreu-ze umgearbeitet worden („chackar“, Kreuz-Stein)228. Smirnov befasste sich mitnoch anderen Themen: in Georgien studierte er den berühmten Schatz ausAchalgori aus achämenidischer Zeit229 und das seltene Wandmosaik des 7. Jahr-

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222 P. S. Uvarova, Davno prosedsie scastlivye dni [Die glücklichen, lange vergangenen Tage](Trudy Gosudarstvennogo istoriceskogo muzeja 144) (Moskau 2005).223 V. Ja. Steganceva, M. B. Rysin, Imperatorskaja archeologiceskaja komissija i issledova-nie pamjatnikov Kavkaza i Predkavkaz’ja [Die IAK und die Erforschung der Denkmäler desKaukasus und Vorkaukasus), in: Nosov, Musin (Anm. 64) 661–782.224 H. Hakobyan, N. J. Marr, in: Heid, Dennert 2, 872–874.225 N. Ja. Marr, Novye materialy po armjanskoj epigrafike – Ani, Alman, Mren, Bagavan,Ervandakert, Verchnij Talin [Neue Materialien für die armenische Epigraphik – Ani, Alman,Mren, Bagavan, Ervandakert, Verchnij Talin] (Sankt Petersburg 1893); ders., Ani. Kniznajaistorija goroda i raskopki na meste gorodisca [Ani. Die literarische Geschichte der Stadt unddie Grabungen am Ort] (Moskau / Leningrad 1934). ders., Kavkazskij kul’turnyj mir i Ar-menija [Die kulturelle Welt des Kaukasus und Armeniens] (Petrograd 1915); Neuausgabe mitAutobiographie hg. von P. Muradjan (Erevan 1995) 385–392.226 H. Hakobyan, N. M. Tokarskij, in: Heid, Dennert 2, 1237f.227 H. Hakobyan, H. A. Orbeli, in: Heid, Dennert 2, 973 f.228 N. Ja. Marr, Ja. I. Smirnov, Visapy (Leningrad 1931).229 Ja. I. Smirnov, Achalgorijskij klad [Der Schatz von Achalgori] (Tiflis 1934).

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hunderts in der Kirche von Cromi230. In Armenien erforschten Marr, Smirnovund der Architekt Konstantin K. Romanov die Festung und Denkmäler vonGarni mit einem aus Basaltstein erbauten Tempel aus römischer Zeit und foto-grafierten mittelalterliche Denkmäler231. Der Archimandrit von Ecmiadzin Cha-cik (Dadjan) unternahm seinerseits Grabungen von Kirchen und Nekropolen.

Nikolaj Jakovlevic Marr gehörte mit Vladimir Nikolaevic Benesevic (1874–1937)232 und Boris Aleksandrovic Turaev (1868–1920)233 zu den Begründern derFachzeitschrift „Christlicher Orient“ (Christianskij Vostok), in der Beiträgeüber die Geschichte des Christentums unter den kaukasischen Völkern erschie-nen. Sie erschien 1912–1922 und wurde 1999 wiederbelebt234. In dieser Zeit-schrift veröffentlichte Giorgi Nikolaevic Cubiansvili (1885–1973), später derBegründer der georgischen Kunstgeschichte, seine ersten Studien, ermutigt vonseinem Lehrer Marr, mit dem er in Ani zusammenarbeitete235. Marr hat seiner-seits in „Christianskij Vostok“ und in den Studien der orientalischen Abteilungder Russischen Archäologischen Gesellschaft Beiträge über die altchristlichearmenische Architektur veröffentlicht236. Besonders hat Marr die Vita des Klos-tergründers Gregor von Chandzta aus dem Georgischen ins Russische übersetzt.Um den Wirkungsraum Gregors zu studieren, unternahm Marr eine archäologi-sche Reise nach Savsien und Klardzien237.

Einen wichtigen Beitrag in der Erkundung der Kirchenarchitektur Südwest-georgiens („türkisches Georgien“) leistete der angesehene georgische Historikerund Archäologe Evktime Svimon Takaisvili (1863–1953), Mitglied der Archäo-logischen Gesellschaft in Moskau (MAO), der Russischen Archäologischen Ge-sellschaft (RAO) und der Gesellschaft der Freunde der kaukasischen Archäolo-gie238. 1889 gründete er das Museum des georgischen Exarchats. 1902 unternahmer auf Einladung der MAO zusammen mit dem Architekten S. G. Kldiasvili eine

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230 Ders., Cromskaja mozaika [Das Mosaik von Cromi] (Moskau 1935).231 K. K. Romanov, Razvaliny chrama rimskogo tipa v Bas-Garni [Ruinen des römischenTempeltyps in Bas-Garni], in: Izvestija Gosudarstvennoj Akademii material’noj kul’tury100 (1934) 635–654.232 L. G. Khrushkova, V. N. Benesevic, in: Heid, Dennert 1, 157 f.233 A. Musin, B. A. Turaev, in: Heid, Dennert 2, 1249 f.234 Basargina (Anm. 157) 286–291.235 G. N. Cubinasvili, Saorbisskaja cerkov’ [Die Kirche von Saorbisi], in: Christianskij Vos-tok 4,2 (1915) 180–190; ders., Cerkov’ bliz selenija Bolnis-Kapanakci [Die Kirche beim DorfBolnis-Kapanakci], in: ebd. 3,1 (1917) 217–220.236 N. Ja. Marr, Po povodu raboty architektora T. Toramanjana «O drevnejsich formachEcmiadzinskogo chrama» [Zum Artikel des Architekten T. Toramanjan „Über die ursprüng-liche Gestalt der Kirche von Echmiadzin“], in: Zapiski Vostocnogo otdelenija Russkogo ar-cheologiceskogo obscestva 19, 1 (1909) 52–72; ders., Ererujskaja bazilika, armjanskij chramV-VI vv. [Die Basilika von Ererujk, eine armenische Kirche des 5.–6. Jh.], in: ebd. 18,1 (1907).237 N. Ja. Marr, Dnevnik poezdki v Savsetiju i Klardzetiju [Journal der Reise durch Savsienund Klardzien] (= Teksty i razyskanija po armjano-gruzinskoj filologii 7) (Sankt Petersburg1911).238 A. Plontke-Lüning, E. S. Takaishvili, in: Heid / Dennert 2, 1220 f.; dies., Frühchrist-liche Architektur in Kaukasien. Die Entwicklung des christlichen Sakralbau in Lazika, Ibe-rien, Armenien, Albanien und den Grenzregionen vom 4. bis zum 7. Jh. (Wien 2007) 62f.

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Expedition durch Südwestgeorgien. Auch die zweite Reise 1907 wurde mit Hilfeder MAO realisiert239. Aufgrund dieser Studien erhielt er die Goldmedaille derAkademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Die meisten Ergebnisse ver-öffentlichte er jedoch viel später im französischen Exil240. Die Reise von 1917war besonders ertragreich: Der Architekt Anatolij N. Kal’gin machte neue, ge-nauere Bauaufnahmen. Die Resultate dieser Expedition wurden nach Takaishvi-lis Rückkehr aus dem Exil veröffentlicht241.

Seit 1866 gab es in Tiflis das Kaukasische Museum, das jedoch noch nichtspezialisiert war, sondern Etnographie, Geschichte und Naturwissenschaftenumfasste. Der Gründer und Direktor Gustav Ivanovic Radde war Naturwissen-schaftler, genauer Botaniker242. Die archäologische Sammlung wurde von Uva-rova beschrieben243. Seit 1913 unterstand das Museum mit der Bibliothek vonTiflis der Akademie der Wissenschaften Russlands. 1919 wurde es durch das neugegründete Museum Georgiens ersetzt. 1917 richtete Marr in Tiflis das Institutfür die Geschichte und Archäologie des Kaukasus (Kavkazskij istorico-archeo-logiceskij institut – KIAI) ein, das der Akademie der Wissenschaften angeschlos-sen war.

Der bekannte Fotograf Dmitrij I. Ermakov legte eine große Bildsammlungvon Raritäten und Architekturdenkmälern des Kaukasus an, die oft von denArchitekturhistorikern herangezogen werden244.

Unter der Ägide der IAK nahm man sich auch der mittelalterlichen Kirchenim byzantinischen Stil im Nordkaukasus an (das alte Alanien, heute Karacaevo-Cerkessija in Russland). Der Maler und Archäologe Dmitrij Michajlovic Stru-kov (1827?–1899) stellte 1886 genaue Beobachtungen an, machte Pläne undZeichnungen der Kirche in Bol’soj [Grosse] Zelencuk; diese Kirche im byzanti-nischen Stil „eingeschriebenes Kreuz“ datiert ins 10. Jahrhundert245. Der MalerI. A. Vladimirov erforschte die kreuzförmige Kirche von Senty am Ufer desTeberda, ebenfalls aus dem 10. Jahrhundert. 1907–1908 unternahm A. A. Millererfolgreiche Erkundungen der Architekturdenkmäler der Ostküste des Schwar-zen Meeres, der Festung bei Soci und der mittelalterlichen Kirchen in Abcha-

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239 E. S. Takaisvili, Christianskie pamjatniki. Ekskursija 1902 g. [Christliche Denkmäler.Die Exkursion von 1902] (Materialy po archeologii Kavkaza 12) (Moskau 1909) V-VII, 1–117; ders., Archeologiceskie ekskursii, razyskanija i zametki 1–5 [Archäologische Exkursio-nen, Forschungen und Notizen] (Tiflis 1905–1915).240 Ders., Arkeologiuri ekspedicia Kola-Oltissi da Canglsi 1907 cels [Die archäologischeExpedition in Kola-Oltisi und Cangli 1907] (Paris 1938) (georgisch).241 Ders., Archeologiceskaja ekspedicija 1917-go goda v juznye provincii Gruzii [Die ar-chäologische Expedition von 1917 in den südlichen Provinzen Georgiens] (Tiflis 1952).242 Kollekcii Kavkazskogo muzeja VI, 1–2 [Die Sammlungen des Kaukasischen Museums](Tiflis 1912). Hierin eine Autobiographie von Dr. Radde und eine von K. F. Hahn über ihnverfasste Biographie (russ. und dt.).243 P. S. Uvarova, Kollekcii Kavkazskogo muzeja V. Archeologija [Die Sammlungen desKaukasischen Museums 5. Archäologie], hg. von G. Radde (Tiflis 1902) (russ. und dt.).244 D. I. Ermakov, Katalog fotografij D. I. Ermakova [Katalog der Fotografien von D. I.Ermakov] (Tiflis 1896).245 A. Musin, D. M. Strukov, in: Heid, Dennert 2, 1199f.

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sien. Der Archäologe E. D. Felicyn erforschte die Gegend von Kuban’ (heute dieRegion Krasnodar in Russland).

Die Archäologische Kommission und Archäologische Gesellschaft von Mos-kau (besonders Gräfin Uvarova) unternahmen zahlreiche Anstrengungen, ille-gale Grabungen und den Export archäologischer Güter ins Ausland zu unter-binden.

In dieser Zeit machte die Erforschung der christlichen Denkmäler des Kauka-sus beträchtliche Fortschritte. Das betraf vor allem das Mittelalter. Zu Beginndes 20. Jahrhunderts schrieb Ajnalov sogar, dass es im Kaukasus keine Denkmä-ler der ersten vier christlichen Jahrhunderte gäbe246. Es gab sie aber, allerdingsbedurfte es zu ihrer Entdeckung großflächiger, systematischer Grabungen. Dazukam es erst in sowjetischer Zeit.

Abbildungsnachweis: Naucnyj archiv Nacional’nogo zapovednika „ChersonesTavriceskij“, Sevastopol’, Krim, Ukraine.

248 Ljudmila G. Khrushkova

246 D. Ajnalov, Kavkaz i ego drevnosti [Der Kaukasus und seine Altertümer] (Char’kov1902), Sonderdruck aus: Mirnyj Trud 3 (1902) 8.