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b a r o c k U N D
r o ko kom e i s t e r w e r k e
d e s 1 7. u n d 1 8 . j a h r h u n d e r t sba
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INHalt
7 VoRwoRt Renate Eike lmann
11 EINFüHRuNg Raphael Beuing
27 KuRFüRst MaxIMIlIaN I. 1573 – 1651
63 KuRFüRst FERdINaNd MaRIa 1636 – 1679
71 KuRFüRst Max EMaNuEl 1662 – 1726
109 KuRFüRst JoHaNN wIlHElM VoN dER PFalz 1658 – 1716
135 KuRFüRst KaRl alBREcHt 1697 – 1745
155 gaRtEN uNd oRNaMENt
185 saKRalE KuNstwERKE
217 PRoFaNE sKulPtuREN uNd ausstattuNgEN
236 glossar
239 literaturverzeichnis
246 Register
248 autorenverzeichnis, abbildungsnachweis
Kurfürst MaxiMilian i.
1573 – 1651
76
19 Prunkuhr
Johann I Bartermann, Johann Valentin Gevers, Christian Winter, Johann Andreas Thelott (Goldschmiede), Christoph Schöner (Uhrmacher), Heinrich Eichler (Kistler)Augsburg (Uhr) und München (Tisch), um 1700Silber, teilweise vergoldet, Rubinglas, Türkise, Glassteine, HolzHöhe 260 cm, Breite 131 cm, Tiefe 63 cmInv.-Nr. R 3376, R 3377
Die Uhr ist eher ein prächtiges Möbel, als dass sie der Anzeige der Zeit dient.
Vier versilberte und vergoldete Atlanten sowie ein Putto in dem tischartigen
Unterbau stemmen das Werk in die Höhe. Die Uhr selbst besteht aus einem
hölzernen Korpus, der vollständig mit geprägten und zum Teil vergoldeten
Silberfolien sowie getriebenen ornamentalen und figürlichen Silberreliefs ver
kleidet ist. Gedrehte Säulen aus Rubinglas flankieren die einzelnen Geschosse
der Uhr. Der blitzeschleudernde Jupiter bekrönt das Werk und gibt als höchste
Göttergestalt das lose ikonographische Programm der gesamten Uhr an, wel
ches die Ordnung des Kosmos widerspiegelt. Unter anderem finden sich weiter
unten die Götter Diana und Apoll, die Nacht und Tag symbolisieren. Auf Höhe
des Zifferblattes veranschaulichen zwei Allegorien den Ablauf der Zeit und die
Vergänglichkeit. Das Einwirken der Götter, vor allem Jupiters, auf die Menschen illustrieren zuunterst drei Silberreliefs mit mythologischen Szenen. Neun Schub
laden in der Tischplatte und im Sockelbereich der Uhr bargen ehedem ein
Schreibzeug und eine Toilettegarnitur.
Die Zeitanzeigen sind, gemessen an dem inszenatorischen Aufwand, recht
einfach gehalten und beschränken sich auf das Zifferblatt für die Stunden und
Minuten, das Werk mit Vierviertelschlag sowie die Kugel mit den Mondphasen.
Gänzlich unabhängig vom Uhrwerk funktioniert das Kugellaufwerk mit der
ab schüssigen Kugelbahn im unteren Teil der Uhr. Der leitende Unternehmer
für die Herstellung der Uhr war wohl der Augsburger Kistler Heinrich Eichler,
der die Silberbeschläge und folien sowie das Uhrwerk von verschiedenen
Handwerkern bezog. Der sehr skulptural aufgefasste Tisch hingegen ist wohl
die Arbeit eines Münchner Bildschnitzers. Die Uhr stand zu Beginn des 18. Jahr
hunderts nacheinander in den Räumen des Kurprinzen Karl Albrecht und der
Prinzessin Maria Anna Karolina in der Münchner Residenz, doch wird der
eigentliche Auftraggeber deren Vater, Kurfürst Max Emanuel, gewesen sein.
RB
Literatur: Maurice 1976, Bd. 1, S. 188, 247; Bd. 2, S. 87, Nr. 706; Ausst.-Kat. München 1994, S. 388 – 392, Nr. 93; Beuing / Schommers 2014, S. 125 – 140.
222
74 Chronos
Ignaz GüntherMünchen, um 1765 / 1775Lindenholz, gefasstHöhe 52 cm, Breite 62 cm, Tiefe 27 cmInv.-Nr. 20 / 212Vermächtnis Adalbert Sickinger
Verträumt und schwermütig wirkt das Bildnis dieses geflügelten Mannes. Die
Ausdrucksstärke und die manierierte Haltung der Figur sind typisch für ein
Werk Ignaz Günthers: Rittlings sitzt der Mann auf einer Wolke, das linke Bein
angehoben, das rechte nahezu durchhängend. Der Oberkörper windet sich
nach rechts. Die beiden Arme sind, ein Stundenglas und eine Sense haltend, in
dieselbe Richtung vorgereckt. Der Kopf mit dem langen zweigeteilten Vollbart
ist jedoch in die Gegenrichtung gedreht, um sich dem Betrachter zuzuwenden.
Zwei Flügel und ein Umhang hinterfangen die Figur. Das Muskelspiel des kräf-
tigen Körpers, die Falten des Mantels und die Federn der Flügel sind mit großer
Präzision ausgearbeitet. Auch die Details des Gesichts sind genau wiedergegeben.
Es sind vor allem die entspannten Züge des Antlitzes und die geschlossenen
Augen des Bärtigen, die einen träumerischen und melancholischen Eindruck
vermitteln.
Bei der weiß gefassten Figur handelt es sich aufgrund des Stundenglases
um eine Allegorie der unerbittlich verrinnenden Zeit. Die Sense weist darauf
hin, dass Chronos nicht nur der Herr über die Zeit, sondern auch über den Tod
ist. Günthers Chronos erscheint jedoch im Gegensatz zu den Sensenmännern
des späten Mittelalters nicht als Furcht einflößendes Skelett, sondern als milde,
väterliche Gestalt. Nicht nur in Ausdruck und Aufbau, sondern auch in einzel-
nen Motiven lässt sich eine enge Verwandtschaft zu anderen Arbeiten des Bild-
hauers feststellen: So kehrt etwa der gespaltene Bart bei verschiedenen Heili-
genfiguren wieder, die ausdifferenzierte Gestaltung der Flügel findet sich auch
bei Günthers Engeln.
Unklar ist die ursprüngliche Aufstellung der Skulptur. Aufgrund der Ikono-
graphie könnte Günthers Figur ein Grab geziert haben, aber ebenso hätte sich
Günthers Herr der Zeit auch als Aufsatz für eine Uhr geeignet. MD
Literatur: Ausst.-Kat. München 1951, S. 28, Nr. 64; Schönberger 1954, S. 73; Mus.-Kat. München 1980, S. 56, Abb. 66 f., S. 159 f.; Volk 1991, S. 194 f.
82 83
21 Steinschlossflinte
Pierre GruchéParis, um 1680Stahl, gebläut, goldtauschiert, Walnussholz, SilberLänge 156,5 cmInv.-Nr. 13 / 588
In dieser Waffe manifestiert sich die enge Verbundenheit, die der Blaue Kurfürst
mit dem Sonnenkönig pflegte, handelt es sich doch um ein Geschenk, das Max
Emanuel von Ludwig XIV. von Frankreich empfangen und als solches hoch ge-
schätzt haben dürfte. Der Anlass für das Präsent könnte der Regierungs antritt
Max Emanuels 1680 gewesen sein oder aber im selben Jahr die Heirat seiner
Schwester Maria Anna mit dem Sohn des Königs, dem Grand Dauphin Louis.
Von dem dunklen Walnussholz des Schaftes heben sich fein gearbeitete
Silbereinlagen ab: Auf dem Kolben sind Genien mit Fruchthörnern, Löwen,
Greifen und ein Medusenhaupt in reich gewundene Ranken eingewoben, über
denen sich die Ruhmesgöttin Fama erhebt. Andere antike Motive sind die Göttin
Bellona zwischen Trophäen auf der Schlossgegenplatte, ein Kriegerkopf auf dem
Abzugbügel und vor allem, in Goldtauschierung auf der Oberseite des Laufes,
Herkules im Kampf mit der Hydra. Weitere Masken, Ruhmesgenien und Ranken
ziehen sich dicht verflochten und doch maßvoll verteilt bis zur Mündung.
Pierre Gruché ist einer von zahlreichen Hofkünstlern, die auf ihrem Gebiet
wahrhafte Spitzenstücke produzierten, als Personen aber schemenhaft bleiben.
Als Hugenotte war Gruché nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685
zur Emigration gezwungen, woraufhin er sich in London niederließ. Seine vor-
herige herausgehobene Stellung lässt sich an den wenigen erhaltenen Waffen
aus seiner Werkstatt in Wien, London und Stockholm ablesen, denen allesamt
eine noble Provenienz zugrunde liegt. Im Schmuck seiner Prunkwaffen steht
sein ornamentales Repertoire ganz in der Tradition des Malers und Kupfer-
stechers Jean Bérain, der die höfische Kultur der Zeit Ludwigs XIV. stilistisch
maßgeblich prägte. Mit der Materialkombination und den verwendeten Tech-
niken ist die Waffe ein charakteristisches Produkt der Büchsenmacherkunst
dieser Epoche. RB
Literatur: Ausst.-Kat. Schleißheim 1976, S. 32 f., Nr. 63; Schalkhaußer 1988, S. 261, Nr. 305; Mus.-Kat. München 2008, S. 184.
84 85
22 Vergnügungen im Schlosspark von Nymphenburg
Ignatius BidermannStarnberg, um 1727Öl auf LeinwandHöhe 70 cm, Breite 166 cmInv.-Nr. R 7834
Vom Werk des Starnberger Malers Ignatius Bidermann hat sich nur wenig
erhalten. Einige Ölgemälde belegen jedoch, dass er gleich einem Chronisten
große Festlichkeiten am Hof der bayerischen Wittelsbacher dokumentierte.
Auf vier große Bilder mit entsprechenden Darstellungen, die sich heute im
Bayerischen Nationalmuseum befinden, scheinen sich alte Inventare des Starn-
berger Schlosses zu beziehen. Wahrscheinlich waren die Gemälde dort ursprüng-
lich als Supraporten, also über Türen, angebracht. Drei dieser Gemälde zeigen
Ereignisse, die im Jahre 1727 während des zwei Monate andauernden »Chur-
baierischen Freudenfestes« aus Anlass der Geburt des bayerischen Kurprinzen
Maximilian III. Joseph stattfanden: Sie stellen ein Damenkarussell vor Schloss
Fürstenried, ein Hirschstechen in Allach und eine festliche Hirschjagd auf dem
Starnberger See dar. Ein Vollständiger Bericht von allen sehenswürdigen Freu-
denfesten der beiden Zeitgenossen Philipp Blondeau und Joseph Antoni Cavallo
beschreibt diese Feierlichkeiten ausführlich.
Ein viertes Gemälde aus demselben Zyklus zeigt Vergnügungen im Nym phen-
burger Schlosspark. Zwischen einer Gruppe von Gästen und der Fassade des
Schlosses entfaltet sich im Mittelgrund des Bildes ein buntes Treiben: Auf einer
Seite des Kanals, der unter Max Emanuel großzügig ausgebaut worden war,
findet ein Ringelturnier statt; auf der anderen Seite ist ein Hirsch stechen zu
sehen. Bei Letzterem galt es, die in einer Absperrung festgehalte nen Tiere bei
vollem Galopp zu erlegen. Dazu durften Spieß, Pfeil, Pistole und Degen ver-wendet werden. Auf langen Tribünen und auf zwei Reihen von Gondeln inmitten
des Kanals haben sich die Zuschauer versammelt, die das Spek takel verfolgen.
Mit dem literarischen Bericht von Blondeau und Cavallo lassen sich die
dar gestellten Vergnügungen im Schlosspark nicht verbinden. Daher ist unklar,
ob es sich hier ebenfalls um Ereignisse im Rahmen des »Churbaierischen
Freuden festes« handelt. MD
Literatur: Mus.-Kat. München 1908, S. 275, Nr. 1013; Prochazka 1976.
46
7 Pallasch mit Scheide
Johann MichaelPrag (Gefäß und Scheide), Passau (Klinge), um 1610/ 1614Eisen, goldtauschiert, Silber, teilweise vergoldet, Email, Almandine, Topase, AmethystLänge 100 cm, Breite 15,5 cmInv.-Nr. W 2526 – W 2527
Ein Pallasch ist eine Hieb- und Stichwaffe der ungarischen Reiterei mit gerader
ein- oder zweischneidiger Klinge. Die vorliegende Prunkwaffe ist Frucht der um
1600 weitverbreiteten Türkenmode, die unter dem Eindruck der Türkenkriege
zahllose orientalische und orientalisierende Kunstwerke in europäische Samm-
lungen brachte.
Verschiedene animalische Formen bestimmen das Gefäß dieser Waffe: Ein
Löwenkopf mit aufgesperrtem Rachen stellt den Knauf dar, und die wie ein Fisch
geschuppte Parierstange geht beidseitig in zwei Delfinköpfe über, aus denen
wiederum ein zweiteiliger Löwenschwanz sowie eine Löwenpranke mit einer
facettierten Bergkristallkugel hervorwachsen. Gefäß und Scheide sind durch
Bänder von Almandinen gegliedert, und Blüten und Blätter in mehrfarbigem
Drahtemail füllen zusammen mit einzelnen Schmucksteinen die dazwischen-
liegenden Felder. Die zweischneidige Klinge ist im oberen Teil mit einem trop-
fenartigen Muster in Gold und Silber tauschiert.
In der Türckischen Cammer der Dresdner Rüstkammer hat sich ein nahe-
zu identischer Pallasch erhalten, der Teil einer umfangreichen Prunkwaffengar-
nitur ist, die ferner Säbel, Streitkolben, Sattel und Reitzeug umfasst. Die König-
lichen Sammlungen in Madrid, die Rüstkammer des Moskauer Kremls sowie
die Schatzkammer des Deutschen Ordens in Wien bewahren ebenfalls derartige,
mit Drahtemail und Almandinen geschmückte Streitkolben auf. Der Schöpfer
dieser Einzelstücke lässt sich bisher nur über die Dresdner Garnitur ermitteln, die die Kurfürsten Christian II. und Johann Georg I. von Sachsen bei dem Prager
Goldschmied Johann Michael 1610 – 1612 bestellten. Die Verbreitung dieser
Waffen in höfischen Sammlungen lässt vermuten, dass sie als Ge schenke des in
Prag residierenden Kaisers Rudolf II. (1552 – 1612) an befreundete Fürsten
gelangten, im Fall des Pallasch an Herzog Maximilian I. von Bayern. Erstmals
wird er 1627/1630 zusammen mit einem gleichartigen Säbel in der Kammer-
galerie Maximilians verzeichnet. RB
Literatur: Ausst.-Kat. München 1980, S. 192 f., Nr. 279; Mus.-Kat. München 2008, S. 146 f.
115
Das Kleindenkmal zeigt den 1705 zum römischdeutschen Kaiser gewählten
Joseph I. als Imperator auf einem kurbettierenden Pferd. Er trägt eine antikisie
rende Rüstung mit wehendem Mantel. Ein Lorbeerkranz krönt sein Haupt mit
langer Allongeperücke. In der Rechten hält er den Feldherrnstab, in der Linken
befanden sich die heute verlorenen Zügel. Von den ehedem vier Sklaven am
ursprünglichen Sockel, die die Erdteile personifizierten, haben sich in München
Afrika (links) und Asien (rechts) erhalten. Beide sitzen gefesselt auf den kräfti
gen, akanthusgeschmückten Eckvoluten. Wie aus einem Inventar der Mannhei
mer Residenz von 1780 hervorgeht, gehörte zu dem Kleinmonument auch eine
Inschriftentafel. Diese erinnerte an die zweite Einnahme der Festung Landau
in der Pfalz durch die kaiserlichen Truppen zu Beginn des Spanischen Erbfolge
krieges im Jahr 1704. Bei der ersten wie bei der zweiten Eroberung hatte der
spätere Kaiser Joseph den Oberbefehl inne. Das Denkmal überhöht das histo
rische Ereignis zur Apotheose des kaiserlichen Ruhms und verkündet den
Anspruch der Habsburger auf Weltherrschaft.Das Saalmonument gab der Großherzog von Toskana, Cosimo III. de’ Medici,
als Geschenk für Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz, den Ehemann seiner
Tochter Anna Maria Luisa, in Auftrag. Sowohl Cosimo als auch Johann Wilhelm
waren enge Verbündete des Kaiserhauses. Außerdem bestanden enge familiäre
Bande: Johann Wilhelms älteste Schwester, Eleonore Magdalene Therese, war
die Mutter Kaiser Josephs I. Zudem war der Kurfürst in erster Ehe mit einer
Tante Josephs I. verheiratet gewesen, Maria Anna Josepha.
Foggini hatte bereits 1690 ein vergleichbares Denkmal mit der Reiterstatu
ette König Karls II. von Spanien gefertigt. Bei der Konzeption von Reiter und
Sklaven nahm er sich unter anderem Werke des in der ersten Hälfte des 17. Jahr
hunderts tätigen Florentiner Bronzebildners Pietro Tacca zum Vorbild. Stilistisch
hielt mit dem in Rom ausgebildeten Foggini der malerische Stil des römischen
Hochbarock Einzug in die Florentiner Bronzeplastik. JLB
Literatur: Weihrauch 1956, S. 180 – 183, Nr. 211 – 214; Ausst.-Kat. Florenz 2006, S. 182 f., Nr. 38.
35 Reiterdenkmal Kaiser Josephs I. mit zwei gefesselten Sklaven
Giovanni Battista FogginiFlorenz, um 1706BronzeHöhe Reiterstatuette 65,5 cm, Höhe Sklaven 41 cmInv.-Nr. R 5035 (Reiterstatuette), R 3969, R 3970 (rechter und linker Sklave)
50
9 Kabinettschrank
Melchior BaumgartnerAugsburg, 1646Elfenbein, Fichte, Eiche, Lapislazuli, Kupfer, vergoldetHöhe 124 cm, Breite 100 cm, Tiefe 70 cmInv.-Nr. R 2096
Im Laufe der Regentschaft Maximilians I. vollzog sich in Augsburg ein Wan del
von Ebenholzmöbeln mit Silberbeschlägen hin zu vollständig mit Elfenbein
furnierten Stücken. Am Hof in München wies schon 1624 das Münzkabinett
von Christoph Angermair (Kat.-Nr. 1) in diese Richtung. Der Kabinettschrank
Kurfürst Maximilians I. wurde 1646 von Melchior Baumgartner, dem Spross
einer berühmten Schreinerfamilie, geschaffen. Während das Münzkabinett
Angermairs ein skulpturales Monument im Kleinen ist, ist der spätere Kabinett-
schrank an den Außenseiten ganz von Elementen der Schreinerkunst bestimmt:
flache Schichtungen, feine Profile und Verkröpfungen, klar definierte und scharf
geschnittene geometrische Formen.
Bei geöffneten Flügeltüren präsentiert das Möbel eine palastgleiche Fassade,
die ohne figürliche Elemente ihre Wirkung entfaltet. Zudem werden durch
das weiße Elfenbein in Kombination mit den großen blauen Lapislazulifeldern
die heraldischen Farben Bayerns auf das Vornehmste veranschaulicht. Hinter
den Innentüren – die mittlere zweiflügelig mit Portalmotiv, die seitlichen mit
Fensterrahmungen – verbergen sich kleine Gemächer mit Kassettendecken
und gefliesten Böden sowie vertäfelten Wänden, in denen winzige Schubladen
untergebracht sind. Insgesamt birgt das Möbel 61 Schubladen und Geheim-
fächer sowie versenkbare Tragegriffe. Mit gestalterischer Virtuosität und tech-
nischer Perfektion wurden sogar die nur dem Benutzer sichtbaren Seiten und
Böden der Schubladen aus lauter verschiedenen Holzarten gefertigt und mit
geometrischen Mustern intarsiert.
Dieses und ein noch größeres Elfenbeinkabinett, das 1655, vier Jahre nach
dem Tod Maximilians I., geliefert und von seiner Witwe Maria Anna bezahlt
wurde, sind die frühesten bekannten größeren Elfenbeinmöbel Augsburgs. Das
Letztere zeichnet sich durch noch reicheren Schmuck aus: Die eine Seite ist mit
großen Lapislazuliplatten geziert, die andere zeigt Silbertafeln mit feinen trans-
luziden Tiefschnittemails in bunten Farben. SW
Literatur: Himmelheber 1975; Alfter 1986.
218
Ein Zweig der Nürnberger Adelsfamilie von Stromer besaß im 18. Jahrhundert
mehrere niederbayerische Hofmarken und ein Stadthaus in Landshut. Baron
Franz Ferdinand (1654 – 1727) war dort als Regierungsrat Leiter des Rentamts.
Dank guter Beziehungen zur österreichischen Besatzungsmacht während des
Spanischen Erbfolgekriegs wurde er 1709 in den Freiherrenstand erhoben. Sein
Sohn und Nachfolger Johann Anton (1697 – 1744) ließ im Landshuter Stadthaus
diesen Saal einbauen. Die Vertäfelung ist an höfischen Einrichtungen der Zeit
wie in den Schlössern Nymphenburg, Schleißheim oder Dachau und in der Münchner Residenz orientiert, im Detail aber deutlich schlichter. Sie zeigt deren
Rezeption durch den Landadel in einer Umsetzung mit begrenzten Mitteln.
Auffällig ist zudem die starke Diskrepanz zwischen den sehr qualitätvollen
geschnitz ten Spiegel- und Bilderrahmungen sowie den flächigeren Rahmungen
und den Füllungen, wo die Bandelwerkornamentik aus sehr flachen Stuckbän-
dern auf gelegt ist.
Das augenfälligste Element im Raum sind die acht Wittelsbacher-Porträts,
deren ostentative Anbringung als Treuebekenntnis verstanden werden kann.
Dargestellt sind Kurfürst Max Emanuel und seine zweite Gemahlin Therese
Kunigunde, der zur Entstehungszeit regierende Kurfürst Karl Albrecht, dessen
Frau Maria Amalia, seine noch lebenden Brüder Ferdinand Maria Innozenz,
Clemens August und Johann Theodor sowie sein 1727 geborener Sohn Maxi-
milian Joseph. Als Vorlagen dienten vorwiegend Porträts des Hofmalers Joseph
Vivien. Vermutlich wurden diese Bilder für die Einrichtung des Saals bei einem
provinziellen Maler in Auftrag gegeben, anders als die zehn Landschaftsbilder,
die in drei Gruppen zerfallen, darunter Werke von einem sehr routinierten
Maler holländisch anmutender Landschaften.
Das Museum erwarb die Vertäfelung 1897. Für den Einbau des schon im
Rohbau stehenden Raums musste sie verändert werden, denn der ursprüng-
liche Saal war rund einen Meter kürzer und breiter. Das originale Parkett ist
im Museum Kriegszerstörungen zum Opfer gefallen. SW
Literatur: Freyberg 1874; Sangl 2006, S. 320 f.
73 Das »Landshuter Zimmer«
Landshut, um 1730Holz, Stuck, gefasst und vergoldet, Öl auf Leinwand, SpiegelHöhe 3,35 m, Länge 11,75 m, Breite 5,89 m Inv.-Nr. R 8881