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trans-kom ISSN 1867-4844 http://www.trans-kom.eu trans-kom ist eine wissenschaftliche Zeitschrift für Translation und Fachkommunikation. trans-kom 8 [1] (2015): 103-124 Seite 103 http://www.trans-kom.eu/bd08nr01/trans-kom_08_01_05_Edelmann_Zahlungsbefehl.20150717.pdf Gerhard Edelmann Barrierefreie Sprache in der digitalen Kommunikation für Öffentlichkeit, Institutionen und Unternehmen Gebrauchsanleitung für den Zugang zum Recht Barrier-free Language for the Digital Communication in Public Life, Institutions and Companies: Userʼs Guide for the Access to Law – Abstract In a modern state, the citizen should have free access to law in order to assert his/her rights. It is, however, practically impossible for the citizen to exercise his/her civil law claims without the help of a lawyer. Unfortunately, the attempts to make laws easier to understand or to use controlled language in legal speech will not enable the citizen to have proper access to law. The European order-for-payment procedure refers to litigation concerning uncontested pecuniary claims in cross-border cases. The European Union provides EU citizens with a standard form, which can be used to apply for the European order for payment. The form comes in the shape of an instructional text made up mainly of question-answer boxes. This provides guidance for the user who can pick the answers from a list of proper legal terms to describe his/her case. This formenables the user to overcome language barriers and to cope with the complexity of legal regulations. Although guiding instructional texts cannot be used in any given situation, it seems that they might be a means to reach the goal of granting the citizen, to a large extent, easy and free access to law. 1 Einleitung Im modernen Gesetzesstaat ist der Staatsbürger Adressat der vom Staat erlassenen Normen und somit Träger von Rechten und Pflichten. Es ist wichtig, dass er ihm zustehende Rechte auch durchsetzen kann. Wie für das Recht im Allgemeinen gilt auch für den Bereich des Zivilrechts, dass die Rechtsdurchsetzung nur in Ausnahmefällen (Notwehr, Selbsthilfe, Notstand) den Betroffenen selbst überlassen bleiben kann. In der Regel ist ein Verfahren vor den Gerichten notwendig, in dem geklärt wird, ob der Anspruchswerber gegen den behaup- teten Gegner einen privatrechtlichen Anspruch hat. Dieses Verfahren heißt Erkenntnis- verfahren (Deixler-Hübner/Klicka 2000/2011: 3). Wichtig ist, dass das Zivilverfahren vom Dispositionsgrundsatz beherrscht wird: Es liegt in der Hand der Parteien, ob ein Verfahren in Gang kommt, welchen Gegenstand es hat und ob es vorzeitig beendet

Barrierefreie Sprache in der digitalen Kommunikation für ... · So ist in Zivilrechtsstreitigkeiten in Deutschland das Amtsgericht bis zu einem Streitwert von € 5.000 (§ 23 Nr

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trans-kom ISSN 1867-4844 http://www.trans-kom.eu

trans-kom ist eine wissenschaftliche Zeitschrift für Translation und Fachkommunikation.

trans-kom 8 [1] (2015): 103-124 Seite 103

http://www.trans-kom.eu/bd08nr01/trans-kom_08_01_05_Edelmann_Zahlungsbefehl.20150717.pdf

Gerhard Edelmann

Barrierefreie Sprache in der digitalen Kommunikation für Öffentlichkeit, Institutionen und Unternehmen

Gebrauchsanleitung für den Zugang zum Recht

Barrier-free Language for the Digital Communication in Public Life, Institutions and Companies: Userʼs Guide for the Access to Law – Abstract

In a modern state, the citizen should have free access to law in order to assert his/her rights. It is, however, practically impossible for the citizen to exercise his/her civil law claims without the help of a lawyer. Unfortunately, the attempts to make laws easier to understand or to use controlled language in legal speech will not enable the citizen to have proper access to law. The European order-for-payment procedure refers to litigation concerning uncontested pecuniary claims in cross-border cases. The European Union provides EU citizens with a standard form, which can be used to apply for the European order for payment.

The form comes in the shape of an instructional text made up mainly of question-answer boxes. This provides guidance for the user who can pick the answers from a list of proper legal terms to describe his/her case. This formenables the user to overcome language barriers and to cope with the complexity of legal regulations. Although guiding instructional texts cannot be used in any given situation, it seems that they might be a means to reach the goal of granting the citizen, to a large extent, easy and free access to law.

1 Einleitung

Im modernen Gesetzesstaat ist der Staatsbürger Adressat der vom Staat erlassenen Normen und somit Träger von Rechten und Pflichten. Es ist wichtig, dass er ihm zustehende Rechte auch durchsetzen kann.

Wie für das Recht im Allgemeinen gilt auch für den Bereich des Zivilrechts, dass die Rechtsdurchsetzung nur in Ausnahmefällen (Notwehr, Selbsthilfe, Notstand) den Betroffenen selbst überlassen bleiben kann. In der Regel ist ein Verfahren vor den Gerichten notwendig, in dem geklärt wird, ob der Anspruchswerber gegen den behaup-teten Gegner einen privatrechtlichen Anspruch hat. Dieses Verfahren heißt Erkenntnis-verfahren (Deixler-Hübner/Klicka 2000/2011: 3). Wichtig ist, dass das Zivilverfahren vom Dispositionsgrundsatz beherrscht wird: Es liegt in der Hand der Parteien, ob ein Verfahren in Gang kommt, welchen Gegenstand es hat und ob es vorzeitig beendet

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wird (Deixler-Hübner/Klicka 2000/2011: 11). Instrument für die Geltendmachung des Anspruchs im zivilrechtlichen Verfahren ist die Klage.

In diesem Beitrag gehe ich von dem Beispiel einer Person aus, die ihre zivilrecht-lichen Ansprüche, etwa aus einem Verkaufsgeschäft oder einer erbrachten Dienst-leistung, in einem anderen europäischen Staat geltend machen will: Ein Deutscher oder ein Österreicher ist gezwungen, seine Forderung gegen einen in Spanien wohnen-den Schuldner, der nicht bezahlt, gerichtlich geltend zu machen, oder umgekehrt: Ein Spanier muss seine Forderung gegen einen in Österreich oder Deutschland wohnen-den Schuldner bei Gericht einklagen.

Das Problem, das in diesem Zusammenhang auftritt, liegt darin, dass das Recht dem Bürger wohl die Möglichkeit bietet, sein subjektives Recht geltend zu machen, in der praktischen Durchführung es aber fraglich ist, ob der Einzelne wirklich in der Lage ist, selbst für die Herstellung des vom Recht geforderten Zustands zu sorgen.

2 Zivilrechtliches Verfahren und Anwaltszwang

Die Verfahrensgesetze zum Beispiel in Deutschland und Österreich geben dem Bürger im Verfahren vor den erstinstanzlichen Gerichten (Amtsgericht, Bezirksgericht) vor allem bis zu einem bestimmten Streitwert das Recht, seine Klage auch ohne Rechts-anwalt zu formulieren, und enthalten entsprechende Vorschriften.

So ist in Zivilrechtsstreitigkeiten in Deutschland das Amtsgericht bis zu einem Streitwert von € 5.000 (§ 23 Nr. 1 GVG) und in Österreich das Bezirksgericht bis zu einem Streitwert von € 15.000 zuständig. In Deutschland besteht vor dem Amtsgericht kein Anwaltszwang, während sich die Partei in Österreich auch vor dem Bezirksgericht ab einem Streitwert von € 5.000 anwaltlich vertreten lassen muss. Neben diesen Wertzuständigkeiten gibt es in beiden Ländern die Eigenzuständigkeit dieser Gerichte ohne Rücksicht auf den Streitwert für bestimmte Sachen, die keinen großen prozes-sualen Aufwand vertragen (z.B. Mietsachen, Kindschafts-, Unterhalts- und Familien-sachen). In Spanien liegt die Grenze bei den juicios verbales bei € 2.000. Auch hier bestehen Ausnahmen, auf die in diesem Rahmen nicht näher einzugehen ist.

Im Ergebnis kann man sagen, dass in den betrachteten Ländern die Grenze für das selbständige Auftreten des Bürgers vor Gericht sehr niedrig ist. Der Anwaltszwang ist einerseits eine Schutzvorschrift für den Bürger, weil die Gesetzgeber offenbar davon ausgehen, dass die Gesetze – in diesem Fall die Zivilprozessordnungen – für Laien nicht ausreichend verständlich sind, um eine selbständige Rechtsdurchsetzung zu ermöglichen, und andererseits auch eine organisatorische Maßnahme, um die Arbeit der Gerichte einfacher und rationeller zu gestalten. Das bedeutet aber, dass der Kläger im Falle des Prozessverlusts das Kostenrisiko auch für seinen Anwalt zu tragen hat. In dem hier betrachteten Beispiel tritt als weitere Schwierigkeit die Tatsache hinzu, dass

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bei grenzüberschreitenden europäischen Rechtsfällen in der Mehrzahl der Fälle die Rechtsdurchsetzung in einer Rechtsordnung stattfinden wird, die sich einer anderen Sprache bedient und mit deren Normen auch Rechtsanwälte aus anderen Rechts-ordnungen nicht im Einzelnen vertraut sein werden.

Die Verfahrensgesetze der einzelnen Länder enthalten genaue Bestimmungen über den Inhalt der Klage. Für Deutschland ist dieser in § 253 ZPO in Verbindung mit § 130 ZPO, in Österreich in § 75 öZPO und in Spanien in Artikel 399 der Ley de Enjuiciamiento Civil geregelt. Auf jeden Fall müssen die Parteien das örtlich und sach-lich zuständige Gericht angeben und den Streitgegenstand (Klagegrund und Klage-antrag/Klagebegehren) formulieren können. In Österreich unternimmt das Gericht auch eine Schlüssigkeitsprüfung der Klage. Aus dem Klagegrund muss sich das Klagebegehren abstrakt ableiten lassen. Bei Unschlüssigkeit ist die Klage abzuweisen beziehungs-weise zur Verbesserung zurückzustellen (Deixler-Hübner/Klicka 2000/2011: 31).

Ein praktisch wichtiger Punkt bei Einbringung einer Klage, der zu Problemen führen kann, ist die örtliche Zuständigkeit, die in den einzelnen Zivilprozessordnungen genau geregelt ist.

Der eigenständige Zugang des Bürgers zum Recht wird also erheblich erschwert, weil offenbar die wesentlichen Vorschriften, die die Durchsetzung von Rechten im Zivilverfahren regeln, zu schwierig sind, um von Laien in vollem Umfang verstanden zu werden. Ist man der Auffassung, dass die Verständlichkeit von Gesetzen ein Bürger-recht darstellen sollte (Antos/Eichhoff-Cyrus 2008: 7), stellt sich die Frage, mit welchen Mitteln den Bürgern der Zugang zum Recht erleichtert werden kann.

3 Verständlichkeit des Rechts

Man könnte an diese als unbefriedigend anzusehende Situation die Forderung an den Gesetzgeber knüpfen, für eine Formulierung der gesetzlichen Normen zu sorgen, die es auch Laien erlaubt, die Gesetzestexte, in unserem Fall die Vorschriften der Zivil-prozessordnungen, so zu verstehen, dass ein eigenständiges Handeln im Rahmen der Vorschriften möglich wird.

3.1 Verstehen und Verständlichkeit

In der konzeptualistischen Semantiktheorie geht man davon aus, dass beim Verstehen von Sprache auf alle Wissensressourcen zurückgegriffen wird, die den Menschen zur Verfügung stehen (Ziem 2008: 441). Man spricht von Wissensrahmen (Frames), die Wissen als zusammenhängende epistemische Strukturgefüge modellieren. Frames liefern ein Modell, das wort-, satz-, text- und kontextsemantische Aspekte in einem ein-heitlichen Modell darstellen kann (Busse 2009: 87). Für die Fachsprachen weist Stolze (2009/2013) darauf hin, dass Fachtexte verständlich sein müssen; Verständlichkeit

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ist/sei jedoch nicht absolut zu definieren, sondern hänge von den Adressaten als inten-dierten Textempfängern ab (Stolze 2009/2013: 229). Ohne ein relevantes Vorverständnis ist daher kein Verstehen möglich. Verständlichkeit wird als Interaktion von Vorwissen und Textinformation verstanden (Stolze 2009/2013: 230). Verständlichkeit von Texten ist weitgehend zielgruppenspezifisch und nur vor diesem Hintergrund zu beurteilen (Stolze 2009/2013: 231).

Auch bei Gesetzestexten, Urteilen, behördlichen Entscheidungen besteht das be-rechtigte Interesse, dass die Textadressaten die in Fachsprache abgefassten Texte verstehen, weil sich an sie oft Folgen knüpfen, die für den Einzelnen einschneidend sein können. Daher liegt zum Verstehen von Recht reichhaltige Literatur vor, die wir mit Rücksicht auf die ähnliche Interessenslage auch für die Lösung der hier behandelten Frage heranziehen können.

In einer älteren Arbeit im Rahmen eines interdisziplinären Projekts zur Neugestal-tung und Prüfung von Gesetzestexten kommt Wodak (1986) zu dem Ergebnis, dass die bessere Gestaltung des Textes allein nicht genügt; “vielmehr müssen solche Ver-änderungen von einer Reihe anderer Maßnahmen begleitet werden, etwa von Auf-klärung, Übung in den Schulen, einer Serie und Schulung im Fernsehen usw. Nur dann werden die besseren Texte auch von mehr Menschen verstanden werden” (Wodak 1986: 127). Eine ähnliche Schlussfolgerung zieht auch Liehr (1986) im Rahmen einer Untersuchung von Verbesserungsvorschlägen, die die Textgestaltung betreffen. Er meint, dass der Bürger ein Rechtsproblem, das ihn betrifft, an Hand der Rechts-ordnung ohne juristische Vorkenntnisse nicht lösen könne. “Hier muss der Bürger die Systemgrenzen des Gesetzestextes erkennen. Er muss erkennen, dass er sich von einem Fachmann beraten lassen muss.” (Liehr 1986: 175).

Christmann (2004) weist darauf hin, dass “entgegen der Alltagsintuition die Ver-ständlichkeit eines Textes sich nicht allein durch objektiv feststellbare Textmerkmale wie etwa Wortschwierigkeit, Wortlänge, Satzlänge oder Satzkomplexität bestimmen lässt” (Christmann 2004: 33); daneben ist immer ein Rückgriff auf das konkrete Verstehen von Textinhalten durch den Leser notwendig. Die syntaktisch-stilistischen Oberflächenmerkmale von Texten erlauben keine Vorhersagen darüber, ob ein Text verstanden wird oder nicht. Für solche Vorhersagen muss der Rezipient in das Konzept der Verständlichkeit einbezogen werden. Der Verstehensprozess ist als Wechselwirkung zwischen vorgegebenem Text und der Kognitionsstruktur des Lesers, also seinem Vorwissen, seinen Zielsetzungen sowie den Erwartungen und Einstel-lungen zu verstehen. Die Autorin unterscheidet daher zwischen der leserseitig und der textseitig orientierten Forschung auf diesem Gebiet. Die leserseitig orientierte For-schung bezieht sich auf die kognitiven Fähigkeiten des Rezipienten (Textverständnis), während bei der textseitig orientierten Forschung der Einfluss der Textmerkmale auf das Verstehen und die Gestaltung der Texte im Mittelpunkt stehen (Textverständ-lichkeit) (Christmann 2004: 34).

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Busse meint zu Rechtstexten, dass diese ihre relevanten Bedeutungen im Kontext der für ihre Auslegung und Anwendung ausschlaggebenden fachspezifischen Wissens-rahmen entfalten, über den juristische Laien nicht verfügen können oder müssen (Busse 2004: 19)

Auch Lerch (2008) äußert sich sehr skeptisch über die Möglichkeit, Gesetze für alle Bürger verständlich zu formulieren. Er bezeichnet das sogar als unmöglich und folgert, dass niemand verpflichtet werden könne, Unmögliches zu leisten: “Ultra posse nemo obligatur” (Lerch 2008: 77).

Selbst in einem eingeschränkten Rahmen wird der juristische Laie jedoch in aller Regel nicht in der Lage sein, die Klageschrift selbständig korrekt zu formulieren. Für Rechtstexte, und damit auch für die Bestimmungen über die Klageschrift, gilt, dass diese ihre relevanten Bedeutungen im Kontext der für ihre Auslegung und Anwendung ausschlaggebenden fachspezifischen Wissensrahmen entfalten, über die juristische Laien nicht verfügen werden.

3.2 Verständlichkeit durch kontrollierte Sprache

Man kann sich nun fragen, ob der Auftrag an den Gesetzgeber nicht präziser gefasst werden und lauten sollte, sich einer kontrollierten Sprache zu bedienen, die das Verstehen gewährleistet. Stolze (2009/2013) weist für den Bereich der Natur- und Technikwissenschaften darauf hin, dass das Erfordernis leicht fasslicher informativer Texte zunehmend mit Hilfe kontrollierter Sprache angestrebt wird, indem Wortgebrauch und Grammatik durch Regeln kontrolliert werden (Stolze 2009/2013: 249). Als gram-matische Merkmale solcher Texte nennt die Autorin unter anderem “keine langen Sätze (max. 15-20 Wörter), pro Satz nur eine Aussage, vollständige Sätze, einfache Zeitformen, kein oder kaum Passiv, Absätze umfassen maximal 6-7 Sätze” (Stolze 2009/2013: 249).

Edelmann (2014) untersuchte die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, die Infor-mationen für Anleger in Investmentfonds im Dokument “Wesentliche Anlegerinformatio-nen” (“Kundeninformationsdokument”) durch kontrollierte Sprache verständlich machen sollen, und kam zu dem Ergebnis, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um das gesetzte Ziel zu erreichen, nämlich dem durchschnittlichen Kleinanleger zu ermög-lichen, das Produkt so zu verstehen, dass er eine begründete Anlageentscheidung treffen kann (Edelmann 2014: 144-145). Der Hauptgrund liegt darin, dass im Sinne der Ausführungen von Christmann (2004: 34) das im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Vorschreiben einer kontrollierten Sprache textbezogen ist und daher nur auf die Ver-ständlichkeit wirkt. Vernachlässigt wurde dabei, dass bei den Textrezipienten die er-forderliche Wissensbasis fehlt, die durch verständliche Sprache allein nicht geschaffen werden kann.

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Diese Schlussfolgerungen gelten auch für die Leser von Gesetzestexten, in diesem Fall der Zivilprozessordnungen. Das Problem kann meines Erachtens also durch kontrollierte Sprache nicht befriedigend gelöst werden, weil damit nur textseitige Maßnahmen getroffen werden und nicht leserseitig vorgegangen wird und der Ver-stehensprozess als Wechselwirkung zwischen vorgegebenem Text und der Kognitions-struktur des Lesers, also seinem Vorwissen, seinen Zielsetzungen sowie Erwartungen und Einstellungen nicht berücksichtigt wird.

Es scheint aber, dass ein anderer Ansatz erfolgversprechender ist.

3.3 Tätigkeitsleitende Texte

Neckermann (2001) weist darauf hin, dass in einer Welt, in der die Komplexität und Fülle technischer Produkte in immer stärkerem Maße zunimmt, schriftlich fixierte Instruktionstexte wie zum Beispiel Bedienungsanleitungen, Betriebsanweisungen oder Testberichte eine immer höhere Bedeutung erlangen (Neckermann 2001: 1). Tätigkeits-leitende Texte “gehören zu den Instruktionstexten [...] und sind auf einzelne Arbeitsauf-gaben bzw. auf ein spezielles Gerät, jedoch nicht auf das Aneignen komplexer Wissens-gebiete bezogen. Sie werden von den Nutzern nur zur gezielten Informationsentnahme hinsichtlich der anzuleitenden Tätigkeit gelesen.” “Tätigkeitsleitende Texte stehen in einer Relation zum Kontext des Geschehensablaufs und brauchen nicht unbedingt eine vollständige analytische Tätigkeitsbeschreibung zu liefern.” Anleitungstexte sollen “so kurz wie möglich, aber trotzdem vollständig, korrekt und lernzielfördernd sein.” (alle Stellen Stolze 2009/2013: 237). Ein wichtiger Aspekt, den Stolze (2009/2013) hervor-hebt, ist, dass Tätigkeitsleitende Texte unter Berücksichtigung der Leserperspektive erstellt sind. Die Autorin formuliert, “man sollte nicht Techniker sein müssen, um einen Videorecorder richtig zu benutzen” (Stolze 2009/2013: 238).

Im Folgenden werde ich zeigen, dass auch im Recht ein Tätigkeitsleitender Text in einem bestimmten Rahmen durchaus eine wichtige Rolle spielen kann, um das Ziel, dem Bürger den Zugang zum Recht zu verschaffen, zu erreichen. In Abwandlung des Zitates von Stolze könnte man sagen, dass man kein Jurist sein muss, um mit Hilfe eines Tätigkeitsleitenden Textes sein Recht wirksam durchsetzen zu können. Die nachstehend dargestellten Vorschriften über das Europäische Mahnverfahren können als Tätigkeitsleitender Text aufgefasst werden.

Die Europäische Kommission nimmt sich des Problems, das in den Schwierig-keiten des Zugangs zum Recht für den Bürger liegt, an und führt dazu aus:

Die EU erkennt den Bedarf an, Einzelpersonen und Unternehmen einen besseren Zugang zum Recht zu gewähren. Zugang zum Recht für alle Im heutigen Europa mit offenen Grenzen ist es keineswegs selten, dass sich Bürger mit Verfahren vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates konfrontieren müssen.

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Solche Rechtsstreitigkeiten können sehr kostspielig sein, insbesondere wenn die Streit-sache von erheblichem Ausmaß ist. In den meisten Fällen erfordern Rechtsstreitigkeiten innerhalb der EU eine Rechtsvertre-tung in dem Mitgliedstaat, in dem die Angelegenheit verhandelt wird, oftmals Rechts-beratung durch einen Anwalt sowie möglicherweise Übersetzungen und Reisen. All diese Aspekte verursachen zusätzliche Kosten. (Europäische Kommission Justiz 2014)

4 Der Europäische Zahlungsbefehl

Wie die meisten europäischen Rechtsordnungen kennen auch das deutsche und das österreichische Recht für den innerstaatlichen Bereich das Mahnverfahren, das eine Vereinfachung und Straffung des Verfahrens zum Ziele hat. Allerdings werden die Schwierigkeiten bei Durchsetzung eines Anspruchs noch größer, wenn Kläger und Beklagter ihren Wohnsitz in verschiedenen Ländern haben, weil in diesem Fall, wie ausgeführt, in den meisten Fällen die unterschiedliche Rechtsordnung und in vielen Fällen eine andere Sprache die Rechtsdurchsetzung deutlich erschweren.

Auf europäischer Ebene wurde zu diesem Zweck der Europäische Zahlungsbefehl geschaffen, der im Falle grenzüberschreitender Geldforderungen, die der Antrags-gegner nicht bestreitet, in einem vereinfachten Verfahren ergeht. Für den Antrag werden Formblätter verwendet. Für die Durchführung des Europäischen Mahnver-fahrens ist ein Gericht im Wohnsitzstaat des Klägers zuständig. Die Formblätter sowie weiterführende Informationen findet man im Europäischen Justizportal, zu dem man über einen Link im Internet kommt.

Die Anleitung zum Ausfüllen des Antrags auf Erlass eines Europäischen Zahlungs-befehls ist ein Tätigkeitsleitender Text. Mit Hilfe spezifischer Codes, die in die ent-sprechenden Felder einzutragen sind, wird der Kläger in die Lage versetzt, den Antrag auszufüllen, ohne juristische Kenntnisse zu haben. Im Gegensatz zu Gesetzes- oder Lehrbuchtexten enthält das Formular auch bildhaft gestaltete Elemente, die das Ver-ständnis erleichtern.

In meinem Vortrag werde ich anhand des fiktiven Falls eines Klägers, der in Deutschland oder Österreich oder Spanien klagen will, untersuchen, ob und in welchem Maße diese Tätigkeitsleitenden Texte den Zugang zum Recht erleichtern können.

4.1 Das Europäische Mahnverfahren

Das Europäische Mahnverfahren steht zur Wahl, wenn das gewählte Gericht seinen Sitz in einem Mitgliedsstaat und eine Partei ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufent-halt in einem anderen Mitgliedsstaat hat (grenzüberschreitender Sachverhalt). Wichtig ist, dass es im Gegensatz zu nationalen Mahnverfahren für fällige Geldforderungen in unbeschränkter Höhe zur Verfügung steht und kein Anwaltszwang vorgesehen ist.

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Einige Länder haben für das Europäische Mahnverfahren auch eigene Gerichts-stände geschaffen. So entscheidet in Österreich nach der gemeinschaftsrechtlichen Verordnung zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO) in einer europäischen Mahnsache ausschließlich das Bezirksgericht (BG) für Handelssachen Wien (Roth/Holzhammer 2012: 30).

4.2 Hinweise zum Ausfüllen als Tätigkeitsleitender Text

Das Formular “Europäischer Zahlungsbefehlˮ ist in allen Amtssprachen der Europä-ischen Union erhältlich. Dadurch wird die Sprachbarriere, eine für grenzüber-schreitende europäische Rechtsfälle besonders wichtige Schwierigkeit beseitigt. Die deutsche Fassung des Formulars ist als Anhang angeschlossen.

Dem Formular ist eine Anleitung angeschlossen, in der der Kläger belehrt wird, dass im Falle eines Einspruchs gegen die Forderung das Verfahren vor den zustän-digen Gerichten gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses weitergeführt wird. Diese Weiterführung kann der Kläger schon im Formular ausschließen. In leicht fasslicher Form wird der Kläger über die Zuständigkeiten, vor allem bei den in der Praxis wichtigen Verbrauchergeschäften, informiert.

Bei jedem Abschnitt des Formulars sind spezifische Codes aufgeführt, die gegebe-nenfalls in die entsprechenden Felder einzutragen sind. Auszufüllen sind folgende Punkte durch Eingabe der Codes:

• Gericht

• 2. Parteien und gegebenenfalls ihre Vertreter

• Zuständigkeit

• Grenzüberschreitende Bezüge der Rechtssache

• Bankverbindung (fakultativ)

• Hauptforderung

• Zinsen

• Vertragsstrafe (falls zutreffend)

• Kosten (gegebenenfalls)

• Vorhandene Beweismittel, auf die sich die Forderung stützt

• Zusätzliche Erklärungen und weitere Angaben (falls erforderlich)

Um die Vorgangsweise darzustellen, habe ich das Formular zu Testzwecken für den Fall, dass die nachstehend angeführten fiktiven Personen in Spanien, Deutschland und Österreich im Rahmen des Europäischen Zahlungsbefehls wegen einer Forderung von € 30.000 klagen oder geklagt werden sollen, ausgefüllt:

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• Juan López Fernández, 37710 Candelario, Plaza de Béjar 5,

• Josef Maier, 35037 Marburg, Pilgrimstein 2,

• Johann Müller, 3841 Windigsteig, Landstraße 24.

Das Ausfüllen des Formulars ist sehr einfach und bedarf keiner juristischen Kenntnisse.

Der Kläger wählt seine gewünschte Sprache und den Mitgliedsstaat, in den er das ausgefüllte Formular senden möchte. Danach wird er über die Formen der Informa-tionsübermittlung, die das gewählte Land akzeptiert (direkt, Postweg, Fax), und die Sprache informiert.

Das Ausfüllen dieses Formulars dauert durchschnittlich 30 Minuten.

Wenn der Kläger zum Beispiel seine Forderung spezifizieren will, findet er im Formular folgende Möglichkeiten vor:

01 Kaufvertrag

02 Mietvertrag über bewegliche Sachen

03 Miet-/Pachtvertrag über Immobilien

04 Mietvertrag über Betriebs-/Büroräume

05 Vertrag über Dienstleistungen – Elektrizität, Gas, Wasser, Telefon

06 Vertrag über Dienstleistungen – medizinische Versorgung

07 Vertrag über Dienstleistungen – Beförderungsleistungen

08 Vertrag über Dienstleistungen – rechtliche, steuerliche oder technische Beratung

09 Vertrag über Dienstleistungen – Hotel- und Gaststättengewerbe

10 Vertrag über Dienstleistungen – Reparaturen

11 Vertrag über Dienstleistungen – Maklerleistungen

12 Vertrag über Dienstleistungen – Sonstiges

13 Bauvertrag

14 Versicherungsvertrag

15 Darlehen

16 Bürgschaft oder sonstige Sicherheit

17 Außervertragliche Schuldverhältnisse, sofern sie einer Vereinbarung zwischen den Parteien oder einer Schuldanerkenntnis unterliegen (z.B. Schadensbegleichung, ungerechtfertigte Bereicherung)

18 Aus dem gemeinsamen Eigentum an Vermögensgegenständen erwachsende Forderungen

19 Schadensersatz aus Vertragsverletzung

20 Abonnement (Zeitung, Zeitschrift)

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21 Mitgliedsbeitrag

22 Arbeitsvertrag

23 Außergerichtlicher Vergleich

24 Unterhaltsvertrag

25 Sonstige Forderungen (bitte näher erläutern)

Die Umstände, mit denen er seine Forderung begründet, kann er wie folgt angeben:

30 Ausgebliebene Zahlung

31 Unzureichende Zahlung

32 Verspätete Zahlung

33 Ausgebliebene Lieferung von Waren/Erbringung von Dienstleistungen

34 Lieferung schadhafter Waren/Erbringung mangelhafter Dienstleistungen

35 Erzeugnis bzw. Dienstleistung entspricht nicht der Bestellung

36 Sonstige Probleme (bitte näher erläutern)

Die Spezifizierung und die Begründung der Forderung, die für den Nichtjuristen schwierig und Grund für Irrtümer sein können, werden durch diese Methode auch für einen rechtlichen Laien einfach zugänglich gemacht.

Gibt man den Wohnort des Beklagten ein, erscheint in Spanien das zuständige Gericht mit genauer Adresse und Telefonnummer, in Österreich und Deutschland das Bezirksgericht für Handelssachen Wien bzw. das Amtsgericht Berlin-Wedding, weil diese beiden Länder eigene Zuständigkeiten für das Europäische Mahnverfahren geschaffen haben. Für Spanien, das keine zentrale Zuständigkeit eines einzigen Ge-richtes kennt, wird in unserem Beispiel der Juzgado de Primera Instancia/Instrucción, Béjar (Provinz Salamanca) mit der genauen Adresse und der Telefonnummer ange-geben. Auf diese Weise wird auch das Problem der Bestimmung der Zuständigkeit des Gerichtes, bei dem geklagt werden soll, auf einfache Weise beseitigt. Des Weiteren kann der Kläger in dem hier gewählten Beispiel seine Forderung über € 30.000 selbständig, das heißt ohne die Verpflichtung, sich eines Anwalts zu bedienen, geltend zu machen, was in keiner der hier betrachteten Rechtsordnungen möglich wäre.

Schließlich wählt der Kläger die Sprache, in der er das PDF-Formular erstellen möchte, sendet es ab und druckt es aus.

5 Vorteile und Grenzen

Natürlich werden in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung bereits elektronische Formulare eingesetzt, wie etwa in der Finanzverwaltung, wo der Steuerpflichtige seine Daten in das elektronische Steuererklärungsformular eingibt, auf dessen Grundlage die

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Steuern festgesetzt werden. Im Unterschied dazu handelt es sich beim Formular für den Europäischen Zahlungsbefehl aber nicht nur um die Bekanntgabe von Daten, sondern vielmehr um einen Tätigkeitsleitenden Text, mit dem der Bürger selbst eine sehr komplexe rechtliche Handlung vollführen kann.

Durch die Zurverfügungstellung des Tätigkeitsleitenden Texts kann auch der Nicht-jurist ohne Beratungsaufwand und kostensparend sein Recht geltend machen. Voraus-setzung sind natürlich entsprechende organisatorische Maßnahmen der Behörden, wie die Zurverfügungstellung des Systems und die Schaffung eines eigenen Gerichts-stands, wie zum Beispiel in Österreich und Deutschland.

Das System funktioniert auch nur für einfache Rechtsfälle. Beispiel: Es wurde eine Ware einwandfrei geliefert oder eine Dienstleistung einwandfrei erbracht. Es gibt keine Mängel, die gegebenenfalls durch Sachverständige zu ermitteln wären. Ebenso wenig gibt es Gegenforderungen etc. Es ist zu beachten, dass ein großer Teil der Rechts-streitigkeiten in diese Kategorie fällt. Neben der Erleichterung des Zugangs zum Recht führt dieses System auch zur Entlastung der Gerichte.

6 Schlussfolgerungen

Wenn man von dem Grundsatz ausgeht, dass es dem Staatsbürger möglich sein muss, seine Rechte vor Gericht durchsetzen zu können, muss man feststellen, dass derzeit in den europäischen Rechtsordnungen der Zugang zum Recht vor allem wegen des Kostenrisikos erheblich erschwert ist, weil durch die Regelung des Anwaltszwangs die betragliche Grenze für das selbständige Auftreten des Bürgers vor Gericht sehr niedrig ist.

Die Forderung nach einer für alle Bürger verständlichen Formulierung der Gesetze ist nach herrschender Meinung nicht durchsetzbar, weil Verstehen vor allem beim Rezipienten eine entsprechende Wissensbasis voraussetzt, die in der Praxis angesichts der komplexen juristischen Fragen in der Regel nicht vorhanden sein wird. Auch durch kontrollierte Sprache kann das Problem nicht befriedigend gelöst werden.

Erfolgversprechender erscheint ein Ansatz unter Verwendung Tätigkeitsleitender Texte, die eigentlich für die Technik und nicht für die Verwendung im Rechtssystem entwickelt wurden.

Am Beispiel des Europäischen Mahnverfahrens kann gezeigt werden, dass Tätig-keitsleitende Texte sich in hervorragender Weise eignen, in einem eingeschränkten Bereich Bürgern den Zugang zum Recht zu erleichtern. Durch die Zurverfügungstel-lung eines Tätigkeitsleitenden Texts kann auch der Nichtjurist ohne Beratungsaufwand und kostensparend sein Recht geltend machen, und zwar im grenzüberschreitenden Bereich, der gegenüber einem rein nationalen Rechtsfall durch die Verschiedenheit der Rechtsordnungen und der Sprachen zusätzliche Probleme in sich birgt.

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trans-kom ISSN 1867-4844 trans-kom ist eine wissenschaftliche Zeitschrift für Translation und Fachkommunikation.

trans-kom veröffentlicht Forschungsergebnisse und wissenschaftliche Diskussionsbeiträge zu Themen des Übersetzens und Dolmetschens, der Fachkommunikation, der Technikkommunikation, der Fach-sprachen, der Terminologie und verwandter Gebiete.

Beiträge können in deutscher, englischer, französischer oder spanischer Sprache eingereicht werden. Sie müssen nach den Publikationsrichtlinien der Zeitschrift gestaltet sein. Diese Richtlinien können von der trans-kom-Website heruntergeladen werden. Alle Beiträge werden vor der Veröffentlichung anonym begutachtet.

trans-kom wird ausschließlich im Internet publiziert: http://www.trans-kom.eu

Redaktion

Leona Van Vaerenbergh Klaus Schubert University of Antwerp Universität Hildesheim Arts and Philosophy Institut für Übersetzungswissenschaft Applied Linguistics / Translation and Interpreting und Fachkommunikation Schilderstraat 41 Marienburger Platz 22 B-2000 Antwerpen D-31141 Hildesheim Belgien Deutschland

[email protected] [email protected]

Voraussetzung sind natürlich entsprechende organisatorische Maßnahmen der Staaten. In Abwandlung eines in der Literatur gebrauchten Zitats könnte man sagen, dass man, genau so wenig, wie man Techniker sein muss, um einen Videorecorder richtig bedienen zu können, kein Jurist sein muss, um sein Recht wirksam geltend machen zu können. Das System funktioniert nur für einfache Rechtsfälle, die allerdings in der Praxis einen sehr großen Teil der Rechtsstreitigkeiten ausmachen.

Zumindest in einigen Bereichen des Rechts könnte der Einsatz Tätigkeitsleitender Texte durchaus geeignet sein, dem Bürger den eigenständigen und kostensparenden Zugang zum Recht zu ermöglichen. Da die Forderung nach einer für alle Bürger verständlichen Formulierung der Gesetze und auch die kontrollierte Sprache das Recht auf einfachen Zugang des Staatsbürgers zum Recht wohl nicht sichern werden können, würde es sich lohnen, die verstärkte Verwendung Tätigkeitsleitender Texte, gewisser-maßen als Gebrauchsanleitungen für den Zugang zum Recht zu diskutieren.

Literatur

Antos, Gerd; Karin Eichhoff-Cyrus (2008): “Vorwort.” Karin Eichhoff-Cyrus, Gerd Antos: Ver-ständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts- und Verwaltungssprache in der öffentlichen Diskussion. Mannheim u.a.: Dudenverlag, 7-8

Busse, Dietrich (2009): Semantik. Paderborn: Fink

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Busse, Dietrich (2004): “Verstehen und Auslegung von Rechtstexten – institutionelle Bedingungen.” Kent D. Lerch (2004): Die Sprache des Rechts. Bd. I: Recht verstehen – Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht. Berlin: Walter de Gruyter, 7-20

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Deixler-Hübner, Astrid; Thomas Klicka (2000): Zivilverfahren. 7. Aufl. 2011. Wien: LexisNexis Edelmann, Gerhard (2014): “Kundeninformationsdokument für Investmentfonds: Bessere Ver-

ständlichkeit durch kontrollierte Sprache?” Susanne J. Jekat, Heike Elisabeth Jüngst, Klaus Schubert, Claudia Villiger (Hg.): Sprache barrierefrei gestalten. Perspektiven aus der Ange-wandten Linguistik. (TransÜD 69.) Berlin: Frank & Timme, 127-150

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(20.03.2015) Lerch, Kent D. (2008): “Ultra posse nemo obligatur. Von der Verständlichkeit und ihren Grenzen.”

Karin Eichhoff-Cyrus, Gerd Antos (2008): Verständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts- und Verwaltungssprache in der öffentlichen Diskussion. Mannheim u.a.: Dudenverlag, 54-80

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Neckermann, Nicole (2001): Instruktionstexte. Normativ-theoretische Anforderungen und empiri-sche Strukturen am Beispiel des Kommunikationsmittels Telefon im 19. und 20. Jahr-hundert. Berlin: Weißensee Verlag – http://www.weissensee-verlag.de/autoren/Neckermann/neckermann_instruktionstexte_theoretische_Anforderungen_kurz.pdf (20.03.2015)

Roth, Marianne; Richard Holzhammer (2012): Zivilprozessrecht. Wien: Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung

Stolze, Radegundis (2009): Fachübersetzen – Ein Lehrbuch für Theorie und Praxis. 3. Aufl. 2013. (Forum für Fachsprachen-Forschung 89.) Berlin: Frank & Timme

Wodak, Ruth (1986): “Bürgernahe Gesetzestexte. Soziolinguistische Bemerkungen zur Ver-ständlichkeit von Gesetzestexten.” Theo Öhlinger (1986): Recht und Sprache. Fritz-Schönherr-Gedächtnissymposium 1985. Wien: Manzsche Verlags- und Universitäts-buchhandlung, 115-128

Ziem, Alexander (2008): Frames und sprachliches Wissen. Berlin: Walter de Gruyter

Rechtsakte

EuMahnVO: Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens

GVG (Deutschland): Gerichtsverfassungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), das zuletzt durch Artikel 2 Absatz 2 des Gesetzes vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) geändert worden ist

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Ley de Enjuiciamiento Civil (Spanien): Ley 1/2000, de 7 de enero, de Enjuiciamiento Civil, BOE núm. 7, de 8 de enero de 2000, Última modificación: 26 de mayo de 2015

öZPO (Österreich): Zivilprozessordnung: Gesetz vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Stammfassung: RGBl. Nr. 113/1895, Fassung vom 09.06.2015

ZPO (Deutschland: Zivilprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3202; 2006 I S.431; 2007 I S. 1781), die zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 8. Juli 2014 (BGBl. I S. 890) geändert worden ist

Anhang

Formular: Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls

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Autor

Gerhard Edelmann ist Lektor am Institut für Translationswissenschaft der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechts- und Wirtschaftssprache, Terminologielehre und Fachübersetzen. E-Mail: [email protected]

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Neu bei Frank & Timme

Frank & TimmeVerlag für wissenschaftliche Literatur

TRANSÜD. Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens

Herausgegeben von Prof. Dr. Klaus-Dieter Baumann, Prof. Dr. Dr. h.c. Hartwig Kalverkämper, Prof. Dr. Klaus Schubert

Radegundis Stolze: Hermeneutische Über­setzungskompetenz. Grundlagen und Didaktik. ISBN 978-3-7329-0122-7.

Karin Maksymski/Silke Gutermuth/Silvia Hansen-Schirra (eds.): Translation and Com­prehensibility. ISBN 978-3-7329-0022-0.

Nathalie Mälzer (Hg.): Comics – Übersetzungen und Adaptionen. ISBN 978-3-7329-0131-9.

Erin Boggs: Interpreting U.S. Public Diplomacy Speeches. ISBN 978-3-7329-0150-0.

Hildegard Spraul: Landeskunde Russland für Übersetzer. Sprache und Werte im Wandel. Ein Studienbuch. ISBN 978-3-7329-0109-8.

FFF: Forum für Fachsprachen­ForschungHerausgegeben von Prof. Dr. Dr. h.c. Hartwig Kalverkämper

Ingrid Simonnæs: Basiswissen deutsches Recht für Übersetzer. Mit Übersetzungsübungen und Verständnisfragen. ISBN 978-3-7329-0133-3.

Chiara Messina: Die österreichischen Wirt­schaftssprachen. Terminologie und diatopische Variation. ISBN 978-3-7329-0113-5.

Bernhard Haidacher: Bargeldmetaphern im Französischen. Pragmatik, Sprachkultur und Metaphorik. ISBN 978-3-7329-0124-1.

Silke Friedrich: Deutsch­ und englischsprachige Werbung. Textpragmatik, Medialität, Kultur-spezifik. ISBN 978-3-7329-0152-4.

TTT: Transkulturalität – Translation – Transfer

Herausgegeben von Prof. Dr. Dörte Andres, Dr. Martina Behr, Prof. Dr. Larisa Schippel,Dr. Cornelia Zwischenberger Tatiana Bedson/Maxim Schulz: Sowjetische Übersetzungskultur in den 1920er und 1930er Jahren. Die Verlage Vsemirnaja literaturaund Academia. ISBN 978-3-7329-0142-5.

Cécile Balbous: Das Sprachknaben­Institut der Habsburgermonarchie in Konstantinopel. ISBN 978-3-7329-0149-4.

Wittelsbacherstraße 27a, D-10707 BerlinTelefon (030) 88 66 79 11, Fax (030) 88 39 87 [email protected], www.frank-timme.de