58
basic MANAGEMENT Joan Magretta Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart München [Alles, was man wissen muss] Unter Mitarbeit von Nan Stone Aus dem Amerikanischen von Martin Bauer

basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

basic MANAGEMENT

Joan Magretta

Deutsche Verlags-AnstaltStuttgart München

[Alles, was man wissen muss]

Unter Mitarbeit vonNan Stone

Aus dem Amerikanischenvon Martin Bauer

Page 2: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Die Originalausgabe erscheint im Mai 2002unter dem Titel What Management Is andWhy It’s Everyone’s Business bei Free Press,New York

© 2002 by Joan Magretta

© 2002 by Deutsche Verlags-Anstalt GmbHStuttgart München für die deutsche Ausgabe

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 3-421-05611-0

Die Deutsche Bibliothek –CIP-Einheitsaufnahme

Ein Titeldatensatz für diese Publikation istbei Der Deutschen Bibliothek erhältlich

Typografie & Satz:schack verlagsherstellung, Dortmund

Druck & Bindearbeit:Friedrich Pustet, Regensburg

Page 3: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Inhalt

9 Einleitung:Die Mangementlehre – eine universelle Disziplin

Teil I Planung:Warum Menschen zusammen arbeiten und wie sie es tun

31 Kapitel 1 | So wird Wert geschaffen:Der Blick von außen nach innen

61 Kapitel 2 | Geschäftsmodelle:Von der Idee zum Unternehmen

93 Kapitel 3 | Strategie:Das Geheimnis überdurchschnittlichen Erfolgs

118 Kapitel 4 | Organisation:Wo zieht man die Grenzen?

Teil II Umsetzung:Die Kunst, Pläne zu verwirklichen

144 Kapitel 5 | Aug’ in Auge mit der wirklichen Welt:Welche Zahlen wichtig sind und warum

155 Kapitel 6 | Worauf es wirklich ankommt:Mission und Kennzahlen

177 Kapitel 7 | Wetten auf die Zukunft:Innovation und Unsicherheit

Page 4: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

206 Kapitel 8 | Der Weg zum Erfolg:Am Anfang steht die Konzentration

230 Kapitel 9 | Menschenführung:Auf welche Grundwerte es ankommt und warum

256 Epilog:Die nächsten Schritte

267 Quellen und weiterführende Literatur

Page 5: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

EinleitungDie universelle Disziplin

Page 6: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Von außen sieht das Geschäftsleben leicht aus »wieein scheinbar sinnloses Glücksspiel, bei dem jederTrottel gewinnen kann – vorausgesetzt, er ist skru-pellos genug. Aber natürlich sieht jede menschlicheTätigkeit für den Außenseiter sinnlos aus, bis manihm gezeigt hat, dass sie in Wirklichkeit zielgerich-tet, organisiert und systematisch ist.«

Peter F. Drucker

Page 7: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

9

Einleitung:Die Managementlehre – eine universelle Disziplin

Was waren die wichtigsten Neuerungen des letzten Jahrhun-derts? Antibiotika und Impfstoffe, die die Lebensspanne derMenschen verdoppelt oder gar verdreifacht haben? Autos undFlugzeuge, die unsere Wahrnehmung von Entfernung verän-dert haben? Neue Kommunikationsmittel wie das Telefon? DasFernsehen? Chips, Computer und Computernetze, die uns dieNew Economy gegeben haben?

All diese Neuerungen haben unser Leben verändert, unddoch hätte keine sich so schnell durchsetzen können, wenn esnicht noch eine weitere Innovation gegeben hätte: die Manage-mentlehre. Darunter versteht man das sich anhäufende theore-tische und praktische Wissen darüber, wie Unternehmen funk-tionieren. Üblicherweise werden all die Produktivitätszuwächse,die Quelle unseres Wohlstands, dem Fortschritt der Technikzugeschrieben. Doch dem Management gebührt auch ein ge-wichtiger Anteil daran.

Die menschliche Fähigkeit zu managen, d.h. zielgerichtet zuorganisieren, gehört ebenso sehr zu den Charakteristika unse-rer Spezies wie der aufrechte Gang. Doch die Managementlehreals Wissensdisziplin ist neu. Ihre Wurzeln reichen zurück in dieMitte des 19. Jahrhunderts. Doch richtig herangereift ist dieManagementlehre erst in unserer Generation. In den vergange-nen Jahrzehnten hat das Management seine wahre Begabungerkannt: Komplexität und Spezialisierung in Leistung zu ver-wandeln. Selbst Freelancer und Telearbeiter verdanken ihre Frei-heit der Leistung der Manager, die ihre speziellen Beiträgeproduktiv gemacht haben.

Die explodierende Zahl derjenigen, die jedes Jahr einen MBA

Page 8: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

10

machen, ist ein Zeichen dafür, dass die Managementlehre in dieReifephase gekommen ist. In den USA wuchs die Zahl derAbsolventen von Business Schools von 5000 in den 1960ern aufetwa 100 000 im Jahr 2000. Im gleichen Zeitraum schwoll dieZahl der Veröffentlichungen über Management-Themen voneinem Rinnsal zu einem reißenden Fluss an. Trotz des ungeheu-ren Ausstoßes an Wörtern – oder vielleicht gerade deswegen –haben die meisten Leute weniger denn je eine klare Vorstellungdavon, was Management überhaupt ist. Die Wahrnehmung derÖffentlichkeit hat mit der rasanten Entwicklung der Disziplinnicht Schritt gehalten.

Als Herausgeber der Harvard Business Review saßen wirdirekt an den Schleusen des reißenden Flusses. Unsere Aufgabebei der Zeitschrift bestand darin, dem breiten Publikum vonManagern und Praktikern die Ideen von Spezialisten vorzustel-len, die sich normalerweise nur in engen Insiderkreisen äußer-ten. Wir fragten jeden Autor, wen er überhaupt ansprechenwolle und inwiefern der Leser von der Lektüre des Artikelsprofitieren könne. Wir verlangten immer nach einer Pointeoder, in unserem Jargon, nach einem »Na und?«. Jetzt ist es anuns, die Frage nach dem »Na und?« für dieses Buch zu beant-worten.

Die meisten Managementbücher richten sich nur an Mana-ger; im Gegensatz dazu versuchen wir, jedermann anzuspre-chen. Denn unser aller Wohlfahrt hängt von der Leistung derManager ab, ob uns das jetzt bewusst ist oder nicht. Wir müssengenau wissen, was Management ist, um bei der Wahl der Orga-nisationen, denen wir beitreten, die wir unterstützen, in die wirinvestieren oder die wir gründen, bessere Entscheidungen zutreffen. Wir müssen beurteilen können, wann Management gutoder schlecht arbeitet. Wir müssen uns auch selbst managen,wenn wir in unseren Karrieren vorankommen wollen, und unsfragen, wie wir unsere Talente in Leistung umwandeln können,und aus welchen Gründen wir Erfolg oder Misserfolg haben.

Page 9: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

11

Wenn wir die Gesellschaft verbessern und unseren Kinderneine lebenswerte Welt hinterlassen wollen, brauchen wir eingenaues Verständnis davon, wie das Management von gemein-nützigen Institutionen funktioniert. Denn die Managementleh-re lässt sich im Erziehungs- oder Gesundheitswesen ebenso gutanwenden wie in Unternehmen.

Wir brauchen immer dann Management, wenn unsere Be-dürfnisse die verfügbaren Ressourcen übersteigen. Wo immerwir – freiwillige oder bezahlte – Arbeit leisten, benötigen wirAnleitung, Koordination. Wer in der heutigen Welt Erfolg ha-ben oder nur Gutes tun will, muss lernen, wie ein Manager zudenken – auch wenn er eigentlich keine Führungsposition be-kleidet.

Ein Manager braucht, im Gegensatz zu Anwälten, Ärztenoder Buchhaltern keinen Abschluss, um seinen Beruf ausübenzu dürfen. Bei Managern läuft die Ausbildung genau umge-kehrt ab wie bei allen anderen Berufsgruppen: Erst arbeitet manin der Praxis und absolviert dann im Anschluss eine theoreti-sche Ausbildung. Die Harvard Business School beispielsweisenimmt traditionell nur Studenten auf, die zuvor schon Praxiser-fahrung gesammelt haben. Die Theorie dahinter lautet: Wasman aus dem Studium mitnimmt, hängt zum Teil davon ab,welche Erfahrung man in den Kurs eingebracht hat.

Das gleiche gilt für dieses Buch.Neulingen auf dem Gebiet bietet dieses Buch eine gut zu-

gängliche, jargonfreie Einführung in die Grundlagen des Ma-nagements. Dieses Buch stellt einige außerordentlich nützlicheKonzepte vor und vermittelt sie anhand von konkreten Beispie-len, von Geschichten über echte Leute und echte Organisatio-nen. Wenn Sie – wie wir – die Beispielfälle interessant finden,werden Sie nach der Lektüre zu schätzen wissen, wie vielfältigund schwierig die Arbeit des Managers zuweilen ist. Aus derFerne betrachtet, scheint Management sich nur um Geld undTechnik zu drehen. Doch von Nahem sieht man, dass es vor

Page 10: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

12

allem um Leute geht. Management gehört, richtig aufgefasst,zu den Geisteswissenschaften und nimmt unbekümmert Anlei-hen bei all den Fachrichtungen, die den Sinn unserer Existenzund der Welt zu ergründen suchen. Und darin liegt letztlich derGrund, warum Management eine so wichtige und schwierigeAufgabe ist.

Leser mit größerer Erfahrung werden ein anderes »Na und?«finden. Ihnen bietet das Buch eine geraffte Zusammenfassungwichtiger Ideen und Praktiken, zum Beispiel über die Schaffungvon Wert, über Geschäftsmodelle, Wettbewerbsstrategien, die80/20-Regel, Leistungsmessung und Entscheidungsanalyse. Wirfinden, dass diese Konzepte – ebenso wie viele andere, die denKern unserer Disziplin ausmachen – auch wirklich angewandtwerden sollten. Wir stellen sie auf eine Weise vor, die dem Lesererlaubt, sie auf eine breite Palette von Aufgaben anzuwenden,egal ob man als Manager oder normaler Angestellter arbeitet, ineinem Unternehmen oder einer gemeinnützigen Institution. Alljenen, die die Fachausdrücke der Management-Sprache eher alsBarriere denn als Verständnishilfe auffassen, raten wir: Betrach-ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immerüber Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten.

Leute mit reicher Erfahrung im Management werden ausdiesem Buch etwas Anderes ziehen: Das Buch zeigt ihnen auf,wie man einen Schritt zurücktritt und sich ein umfassendes Bildder Lage verschafft. Darüber hinaus formuliert das Buch einigewichtige – oft ungeschriebene – Regeln des Managements. Mög-licherweise hilft das Buch erfahrenen Führungskräften auch,die Leistung des eigenen Unternehmens und ihr eigene Leis-tung klarer zu sehen. Vielleicht – hoffentlich – kommen sie zuder Erkenntnis, dass dieses Buch zwar die Grundlagen des Fachsbehandelt, doch auch das ganz Grundlegende nicht immer of-fensichtlich ist.

Page 11: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

13

Eine oft verkannte Disziplin

Jeder Bereich profitiert davon, wenn die Menschen beginnen,ihn wissenschaftlich zu untersuchen. Wenn man den Begriffweit genug interpretiert, hat es schon immer Manager gegeben,auch wenn sie anders hießen. Aber Großgrundbesitzer oderVorarbeiter – Leute, die mit institutioneller Macht ausgestattetwaren – hatten schon immer die Aufgabe, ihre »Untergebenen«zu motivieren und ihren Einsatz zu koordinieren. Auch Ärztehat es schon immer gegeben, wenn man den Begriff nur weitgenug fasst. Früher gab es Quacksalber und Wundheiler, denenman nicht viel zutraute, doch dann etablierte sich die Medizinals eigene Fachrichtung. Das Wissen der Zunft wurde gesam-melt, an Studenten weitergegeben und in die Praxis umgesetzt.Dies erlaubte, die Methoden allmählich zu verbessern. Natür-lich gibt es auch heute gute und weniger gute Mediziner, dochinsgesamt hat sich die Kompetenz der Ärzteschaft dramatischerhöht, seit die Medizin sich als Fachrichtung etabliert hat.Heute leistet ein durchschnittlicher Arzt deutlich mehr als vorhundert Jahren noch der talentierteste Mediziner. Analog hatauch die Erfindung der Managementlehre erst ermöglicht, dassUnternehmen sich so fugenlos in unser Leben einfügen, wie siees tun. Selbst riesige Konzerne gehören heute selbstverständ-lich zu unserem Leben.

Obwohl enorme Fortschritte erzielt wurden, wird der Berufdes Managers immer noch viel stärker verkannt als die anderenBerufe, die das moderne Leben prägen. Für viele Leute ist Ma-nagement etwas, das man tolerieren muss. Zyniker meinen, wirhätten eine Gesellschaft geerbt, die von Unternehmen und Or-ganisationen geprägt sei, und deswegen brauche man auch Ma-nager, um diese Moloche zu zähmen. Diese Leute verwechselnaber Ursache und Wirkung. In Wirklichkeit verhält es sichgenau umgekehrt: Deswegen, weil wir im Managen inzwischenso gut sind, haben wir komplexe Organisationen geschaffen, um

Page 12: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

14

eine breite Palette von Aufgaben zu erledigen, an denen einEinzelner scheitern würde.

Nur weil das Management immer effektiver arbeitet, habenwir die Organisationsform des Unternehmens bzw. der gemein-nützigen Institution dazu bestimmt, einen Großteil der Aufga-ben zu erledigen, die in einer modernen Gesellschaft anfallen.Von Abenteuerurlaub-Veranstalter bis Zoo, von Abbruchunter-nehmen bis Zucker-Raffinerie – Unternehmen und Institutio-nen erfüllen Aufgaben, die so vielfältig sind wie das Lebenselbst. Erst Management ermöglicht komplexe Organisationen,und gutes Management sorgt dafür, dass diese gut funktionie-ren. Im Lauf des letzten Jahrhunderts hat die Managementlehredie Arbeitswelt völlig verändert und die Produktivität verviel-facht.

Und doch betrachten wir Management nur selten aus diesemBlickwinkel. Unternehmer werden bewundert, doch auf Mana-ger blickt man herab. Wann hat Ihnen zum letzten Mal einvielversprechender junger Mensch gesagt, er wolle Managerwerden? Unternehmer – ja. Unternehmensberater, Investment-Banker oder Wagniskapitalgeber – ja. Aber Manager? Wohlkaum.

Paradoxerweise ist der weltweit am meisten bewunderteManager, der legendäre CEO von General Electric, Jack Welch,Teil des Problems. In den 1980er Jahren, als GE beim Schlafitt-chen gepackt werden und kräftig durchgeschüttelt werden muss-te, lehnte Welch die Bezeichnung Manager bewusst ab. DerBegriff schleppte einfach zu viel altes Gepäck mit sich herum, erklang nach Überwachung und Bürokratie. Welch befand sich aufeinem Kreuzzug. Deswegen verlangte er nicht nach Managern,sondern nach Anführern – und traf damit einen Nerv. Etwa zurgleichen Zeit rückte auch Peter Drucker, der weltweit meistgele-sene Autor zu Managementthemen, von der Bezeichnung Ma-nager ab und verwendete stattdessen Executive (etwa: Füh-rungskraft).

Page 13: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

15

Welch, Drucker und andere hatten gute Gründe: Der Be-griffwechsel ermöglichte einen neuen Blickwinkel; man kon-zentrierte sich auf die Beantwortung der Frage, was Leistung istund unter welchen Bedingungen sie in einer modernen Gesell-schaft erbracht wird. Gleichzeitig stiftete die neue Bezeichnungaber auch zusätzliche Verwirrung. Es wurde immer unklarer,was Management überhaupt ist – was zum Ansehen der Diszi-plin nicht gerade beigetragen hat.

Die meisten Menschen erleben ihre Zeit als Untergebenenicht gerade als den Höhepunkt ihres Berufslebens. Es gibtmassenweise schlechte Chefs, und es liegt nahe, Managementund Chef gleichzusetzen. Doch aus dem Verhalten eines Chefslassen sich kaum Erkenntnisse über Management an sich ge-winnen. Von Einzelfällen auf das Allgemeine zu schließen führtin die Irre. Dennoch begehen viele Menschen diesen Denkfeh-ler. Deshalb begreifen sie Management nicht als eine wichtigeInnovation, die die moderne Zivilisation entscheidend mitge-staltet hat.

Tatsächlich sehen viele Leute einen der positivsten Aspekteder New Economy darin, dass sie mit Managern und altherge-brachten Strukturen aufzuräumen verspricht. Die Prophetender New Economy verkünden, dass neue Technik und virtuelleOrganisationen Manager und Management überflüssig machenwerden. Selbstorganisierte Arbeitsgruppen werden an Stelle vonManagementhierarchien treten, jeder Einzelne managt sichselbst. Immer mehr Leute werden unabhängig arbeiten, selbst-ständig statt angestellt.

Dieses Szenario klingt deswegen so verführerisch, weil esgerade noch genug Realitätsbezug aufweist. Trotzdem ist beidiesem Szenario der Wunsch der Vater des Gedankens, undaußerdem geht es von einer völlig verqueren Auffassung vonManagement aus. Vielleicht werden Beschäftigte in Zukunfttatsächlich weniger beaufsichtigt, doch Manager sind keine peit-scheschwingenden Sklavenaufseher. Die Hierarchien in Unter-

Page 14: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

16

nehmen werden zwar vielleicht wirklich flacher, aber Manage-ment bedeutet auch nicht, Befehle von oben entgegen zu neh-men und nach unten weiter zu geben. Die wahre Aufgabe desManagers besteht darin, Komplexität und Spezialisierung inLeistung zu verwandeln. Die Weltwirtschaft wächst immer wei-ter zusammen und basiert immer stärker auf Wissen. Die Arbeitdes Einzelnen wird dadurch immer spezialisierter, immer kom-plexer – und muss immer mehr mit der Arbeit der anderenkoordiniert werden. Das Management wird in Zukunft also einegrößere Rolle in unserem Leben spielen, keine kleinere.

Darin liegt ein fundamentales Paradox moderner Volkswirt-schaften: Je besser ausgebildet und spezialisierter wir sind, destomehr sind wir auf andere Leute angewiesen, um Leistung er-bringen zu können. Durch das Internet hat sich der Grad dergegenseitigen Abhängigkeit erhöht, denn es erlaubt vielen Leu-ten, individuelle Beiträge zu einem Projekt zu leisten und sichals Selbstständige zu betrachten. Gleichzeitig verschleiert dasInternet aber auch, dass all die »Selbstständigen« auf die Beiträ-ge der Anderen angewiesen sind. Jeder Mensch glaubt, in seinereigenen Welt zu leben und einen eigenständigen Beitrag zurWertschöpfung leisten zu können. Doch das ist nur möglich,weil irgendeine Art von Organisation dafür sorgt, dass unserespezialisierte Arbeit auch produktiv eingesetzt wird.

Die Aufgabe des Managements besteht darin, funktionieren-de Strukturen aufzubauen. Hinter all der Theorie und den Ma-nagement-Tools, hinter allem Spezialwissen steckt letztlich Ei-nes: die Verpflichtung, Leistung aus einer Organisation heraus-zuholen. Diese Verpflichtung hat unsere Wirtschaft und unserLeben massiv beeinflusst. Und deswegen geht Managementjeden etwas an.

Die Struktur von Organisationen ändert sich dramatisch,Organisationen nehmen ständig neue Formen an, doch ohneeine ordnende Hand würde nichts Produktives herauskommen.Der Wettbewerb zwingt Unternehmen, flexibler zu werden.

Page 15: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

17

Dank neuer Technik können sie das auch – doch das geschiehtnicht ohne massive Nebeneffekte. Zum Beispiel geht dem Ar-beitnehmer Rahmen und Halt im Leben verloren. Früher ver-trauten wir darauf, dass »unser« Unternehmen uns richtig ein-setzte, sich um unsere Karriere kümmerte, unser Arbeitslebenstrukturierte. Diese Zeiten sind vorbei. Heute verlangen Orga-nisationen, egal welcher Form, vom Einzelnen größere Initiati-ve und Eigenverantwortung. Kurz, sie zwingen jeden, wie einManager zu denken. Genauso, wie wir uns heutzutage um un-sere Gesundheit selbst kümmern und z. B. joggen, das Rauchenaufgeben und uns gesund ernähren, anstatt uns völlig auf dieMedizin zu verlassen, genauso müssen wir in der wissensbasier-ten Wirtschaft selbst die Verantwortung für unsere Leistungübernehmen.

Es steht völlig außer Zweifel, dass man zumindest Grund-kenntnisse über den Gebrauch von Computern braucht, um amLeben und der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts effektiv teilzu-haben. Wir sind überzeugt, dass man darüber hinaus auchebenso sehr ein Grundwissen über Managementmethoden be-nötigt. Damit meinen wir nicht, jeder müsse einen Kanon derwichtigsten Management-Literatur lesen oder einen MBA ma-chen. Die Managementlehre ist eine Fachrichtung, die jedemoffen steht, der sich daran versuchen will. Einige der prominen-testen und effektivsten Manager der Welt haben sich alles selbstbeigebracht. Ohnehin stammt ein Großteil des anerkanntenManagement-Wissens direkt aus der Praxis, aus der täglichenBeobachtung darüber, was funktioniert und was nicht. (Umge-kehrt gilt auch, dass niemand notwendigerweise ein guter Ma-nager ist, nur weil er einen MBA hat.)

Wir werden alle lernen müssen, wie Führungskräfte zu den-ken, auch wenn wir nicht im Management arbeiten. Das bedeu-tet, wir benötigen zumindest eine grundlegende Vorstellungdavon, was Management ist.

Page 16: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

18

Nicht noch ein Management-Buch!

1954 veröffentlichte Peter Drucker ein Buch, das oft als diebeste Einführung in die Kunst des Managens gelobt wurde, dieje geschrieben wurde. Vor The Practice of Management (dt.: DiePraxis des Managements) gab es Bücher über Bilanzen, Verkauf,Mitarbeiterführung – Bücher über einzelne Teilfunktionen.Doch Druckers Buch stellte Management zum ersten Mal alseine eigenständige Disziplin und als kohärentes Ganzes dar.

Als junger Mann jobbte Drucker in den verschiedenstenBerufen, unter anderem im Journalismus, der ihn für sein späte-res Leben prägte. Während seines gesamten Schaffens als Autor,Dozent und Unternehmensberater verlor er nie seinen Riecherfür eine gute Story. Als im Zuge des wirtschaftlichen Auf-schwungs nach dem Zweiten Weltkrieg die Konzerne immermehr Macht erlangten, erkannte Drucker: Wer die moderneWelt verstehen wollte, musste verstehen, wie Unternehmenfunktionierten. Drucker begann mit einer Studie über GeneralMotors. Daraus entwickelte sich sein Lebenswerk: zu erklären,was Management ist, und zwar nicht nur der Öffentlichkeit,sondern auch den Führungskräften selbst.

In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Zahl derjenigen, diedas Management erforschten und darüber schrieben, exponen-tiell. Selbst Wissenschaftler, die früher auf die Management-Lehre herabgesehen hatten, begannen die Disziplin allmählichernst zu nehmen. Unternehmensberater entdeckten, dass siedurch Veröffentlichung ihrer Ideen auf sich aufmerksam ma-chen konnten. Die meiste Popularität erlangten diejenigen, dieeinen neuen Trend prägten und ihren Namen untrennbar miteinem Management-Konzept zu verbinden verstanden. Diesführte allein in den 1990ern zu einer schrecklichen Flut von»neuen und noch besseren« Konzepten; allein über Reenginee-ring erschienen Tausende Bücher.

Inzwischen ist die Zahl der Bücher und längeren Artikel über

Page 17: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

19

Management auf über 2000 pro Jahr angewachsen. Die meistenVeröffentlichungen konzentrieren sich auf einen winzigen As-pekt der Disziplin. Sie untersuchen ein einzelnes Stück desManagement-Puzzles ganz genau, allerdings isoliert und ohneBlick auf das Gesamtbild. Weil der Leser zurecht nach sofortumsetzbaren Konzepten verlangt, wimmelt es in der Literaturnur so von To-do-Listen, die einem sagen, welche zehn Dingeman heute noch unternehmen kann, um eine effektive Füh-rungskraft oder ein gewitzter Verhandler zu werden.

Was stimmt hier nicht? Rechnen Sie nur nach: Multiplizie-ren Sie die zehn Verhaltenstipps pro Artikel mit 2000 Veröf-fentlichungen und plötzlich ist die To-do-Liste auf erschrecken-de 20 000 Punkte angeschwollen. Und das ist nur die Ernte einesJahres! Je beschäftigter wir alle werden, desto verführerischerscheinen prägnante To-do-Listen. Aber welche Liste von zehnTipps passt zu Ihrer Situation? Woher wissen Sie, dass Sie dierichtige Liste gewählt haben? Darin besteht das Problem isolier-ter Problemlösungen. Die gesamte Disziplin ist in 1000 Teilbe-reiche zersplittert – wie sollen Sie all die Scherben wieder zu-sammenkleben?

Hier liegt das Ziel unseres Buches: einen zusammenhängen-den Überblick über das Ganze zu bieten. Wir wollten kein How-to-Buch schreiben, sondern zeigen, wie Management ganz all-gemein funktioniert. Das Buch soll einem breiten Publikum diegrundlegenden Prinzipien hinter Theorie und Praxis der Be-triebsführung erklären. Denn die moderne Betriebsführungmacht moderne Organisationen – und unseren aktuellen Wohl-stand – erst möglich. Sie werden auch nach Lektüre des Buchsnoch über Dilbert-Cartoons lachen können, denn es ist einfa-cher, gutes Management zu beschreiben als diese Lehren prak-tisch umzusetzen. Die Mehrzahl der Manager wird es nie hin-bekommen. Aber Sie werden sehen, was Management idealer-weise leisten könnte. Und wenn es nicht ideal läuft, werden Siemit viel höherer Wahrscheinlichkeit erkennen, woran es hapert.

Page 18: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

20

Wir verwenden das Wort Theorie nur ungern. Bei der Erfül-lung der Aufgabe eines Managers – Leute und Organisationendazu zu bringen, etwas zu leisten – geht es nicht geordnet zu.Betriebsführung ist keine Quantenphysik. Wenn Sie nach abs-trakten Formeln suchen, halten Sie das falsche Buch in derHand. Doch andererseits ist es schwierig, ohne jede TheorieOrdnung in die Welt zu bringen. Sie brauchen eine brauchbareManagement-Theorie, wenn Sie beurteilen wollen, ob Sie ineiner gut geführten Organisation arbeiten. Dies gilt auch, wennIhre Aufgabe darin besteht, Manager einzustellen oder zu be-fördern.

Eine gute Theorie gibt einem keine Tagesbefehle im Sinnvon To-do-Listen aus. Statt dessen erlaubt sie, den Zusammen-hang hinter den Dingen zu sehen. Sie hilft dabei, Regelmäßig-keiten zu erkennen, das Wichtige vom Nebensächlichen zu un-terscheiden, die richtigen Fragen zu stellen. Das ist immer wert-voll, vor allem wenn die Dinge sich ändern – und das tun sieheutzutage ganz entschieden. Alte Faustregeln oder radikal neueRezepte helfen Ihnen vielleicht, ein genau definiertes Problemzu lösen. Leider klebt aber nur auf den wenigsten Schwierigkei-ten, die uns plagen, ein eindeutiges Etikett. Den Wandel be-herrscht nur, wer versteht, warum die Welt so funktioniert, wiesie es tut. Je mehr Dinge sich verändern, desto wichtiger werdendie fundamentalen Prinzipien.

In den letzten zwei Jahrzehnten haben sich das Managementals Disziplin und das Umfeld, in dem es operiert, mindestensebenso sehr geändert wie in der Ära, als Drucker das moderneUnternehmen erstmals untersuchte. Heutzutage hat sich dieMachtbalance von den Hauptstädten in die Finanzzentren unddann in die Technologiezentren verschoben, jetzt scheint siesich an die Finanzzentren und die Hauptstädte zurück zu verla-gern. Die Politik musste an die Wirtschaft Macht abgeben, Poli-tiker und Zentralbankpräsidenten verloren Macht an Neuerer,Unternehmer und die Größen der Finanzwelt. Journalisten ha-

Page 19: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

21

ben, ihrem Auftrag gemäß, diese Entwicklung verfolgt undneue Blätter herausgebracht oder den Schwerpunkt bestehen-der Veröffentlichungen verschoben. Selbst Kulturmagazinebringen jetzt regelmäßig Beiträge über Management.

Manchmal enthüllt der Blick der Journalisten unsere Kulturund zeigt uns klar und deutlich, was wir vorher nicht sahen.Doch oft hat man bei der Lektüre eines Artikels das Gefühl, ineinen Zerrspiegel zu blicken. Oft werden Nebenaspekte, zumBeispiel die Rolle des Geldes, auf groteske Weise aufgeblasen.Natürlich lesen viele Leute gern Geschichten über sagenhaftenReichtum, der in einem Wimpernschlag erworben oder verlo-ren wurde, über Megadeals, über die Milliarden, die täglich ander Börse gewonnen und verloren werden. Doch lassen sichdaraus irgendwelche Lehren ziehen? Die Massenmedien wissenauch, dass man für gute Geschichten schillernde Persönlichkei-ten braucht; daher auch die Prominenz der berühmten Bosseund die nie nachlassende Gier nach Neuigkeiten aus dem Lebender Mächtigen.

Wir verneigen uns dankbar vor Peter Drucker und nehmenuns für dieses Buch vor, das Management als Disziplin vorzu-stellen und in seiner Gesamtheit abzubilden. Anhand der Erfol-ge und Fehlschläge echter Organisationen werden wir herausar-beiten, was den Kern von Management ausmacht. Dabei unter-suchen wir die Organisationen in ihrer natürlichen Umgebung– bei der Arbeit. Unser Ziel ist, den Wald zu betrachten, nicht dieBäume, und komplexe Ideen möglichst einfach darzustellen,ohne sie zu vereinfachen. Wir vermitteln Ihnen ein Gefühldafür, wie sich die Management-Theorie entwickelt hat und wiedie großen Konzepte miteinander verbunden sind. Dabei versu-chen wir nicht, die Konzepte als praktische Tools zu beschreiben(viele Lehrbücher tun das viel besser, als wir es könnten), son-dern als Ansätze, wie man sich den täglich vorkommendenProblemen im Leben eines Managers nähert. Und wir alle wer-den immer mehr zu Managern.

Page 20: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

22

Der Aufbau dieses Buchs

Dieses Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste, Planung,vermittelt einen Gesamtüberblick. Die ersten vier Kapitel be-antworten die alles übergreifende Frage, wie und warum arbei-ten Leute zusammen? Wir schaffen Organisationen, um ge-meinsam Ziele zu erreichen, die wir allein nicht erreichen könn-ten. Die Ideen, die in Teil 1 zum Aufbau von Organisationenvorgestellt werden, helfen dabei, systematisch über diese Zielenachzudenken und Wege zu ermitteln, wie man dorthin ge-langt.

Die Geschichte beginnt in Kapitel 1 mit Value Creation (derSchaffung von Wert), einer der am meisten missbrauchten Phra-sen in der Management-Sprache. Doch Value Creation ist allesandere als eine sinnlose Plattitüde, ganz im Gegenteil bestehtdie oberste, wichtigste Aufgabe des Managers darin, Wert zuschaffen. Das Prinzip der Value Creation ist das, was den Mana-ger überhaupt antreibt. In der Schaffung von Wert findet sichdie Antwort auf die Frage, warum es überhaupt Manager gibt –und auf die noch grundsätzlicheren Fragen, welche Mission eineOrganisation überhaupt verfolgt und warum es die betreffendeOrganisation überhaupt gibt. Das Geschäftsmodell einer Orga-nisation (Kapitel 2) legt fest, wie die Organisation ein gegebenesZiel erreichen will und welche »Mitspieler« sie dafür braucht.Denn erst in einem System – dem Zusammenspiel von mehre-ren Beteiligten – entsteht Wert. In Kapitel 3 (Strategie) geht esdarum, inwiefern sich dieses System von anderen, konkurrie-renden Systemen unterscheiden muss, um genügend Wert fürdie Eigentümer zu schaffen. Denn nur dann kann es sich selbsterhalten. Kapitel 4 vervollständigt die Antwort auf diese Frage,indem es zeigt, wer innerhalb und außerhalb des Unternehmenszusammen arbeiten, und welche Regeln man diesem Zusam-menspiel geben muss, damit die Beteiligten alle am gleichenStrang ziehen.

Page 21: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

23

Die meisten Managementbücher streifen die Schaffung vonWert und Geschäftsmodelle nur kurz – von den ThemenfeldernStrategie und Organisation kann man das nicht behaupten.Diese Gebiete sind die Schlachtfelder, auf denen sich die Ma-nagement-Theoretiker schon so manches Wortgefecht gelieferthaben. An Strategiefragen entzünden sich ideologische Kriege,die Theoretiker diskutieren heftig über die Henne-und-Ei-Fra-ge, was zuerst da war, Strategie oder Organisation. Diese Debat-ten sind vielleicht für die Wissenschaftler interessant, die sichimmer weiter spezialisieren. Doch wie alle Kriege fordern auchdie Ideologiekriege Opfer in der Zivilbevölkerung, nämlich dieLeute in den Organisationen, die trotz der durch widersprüchli-che Behauptungen und Theorien verursachten Verwirrung ver-suchen, ihre tägliche Arbeit zu verrichten.

Nachdem wir in den vergangenen Jahrzehnten einigen dereinflussreichsten Denkern dabei geholfen haben, ihre Ideen derÖffentlichkeit vorzustellen, kennen wir die Hauptstreitpunkteunserer Fachrichtung ganz genau. Unser Ansatz lässt sich ambesten mit einer Metapher beschreiben: Wenn Sie ein Loch inden Boden graben, stoßen Sie auf eine Gesteinsschicht nach deranderen, wobei sich alle Schichten deutlich voneinander unter-scheiden. Doch irgendwann treffen Sie auf das Grundgestein,die gemeinsame Schicht unter allem, das solide Fundament.

In Teil 1 versuchen wir, dieses Grundgestein zu erreichenund das Fundament von Management heraus zu arbeiten. Jeder,der schon einmal in einer Organisation beliebiger Größe gear-beitet hat, wird dieses Grundkonzept sofort mit dem jährlichwiederkehrenden Ereignis namens Planung assoziieren. Bei denmeisten Organisationen läuft die Planung nach einem eigenenRitual ab. Oft ist es mit anderen wichtigen Managementprozes-sen verbunden, etwa mit der Budgetplanung oder der Ernen-nung von Führungsmannschaften. Rituale geben unserem Le-ben Form und Struktur, können sich aber auch verselbständigenund von ihrem ursprünglichen Zweck lösen. Dies trifft vor

Page 22: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

24

allem für den Planungsprozess zu, der – wie viele Rituale inOrganisationen – ein Eigenleben entwickelt hat.

Teil 1 schaufelt die Rituale und Prozesse zur Seite, um dendahinter liegenden Sinn freizulegen. Denn Planung schlägt sichnicht in Meetings oder Strategieberichten nieder. Planung zeigtidealerweise, welche Ziele eine Organisation verfolgt und wassie tun muss, um sie zu erreichen. Die Kernprinzipien des Ma-nagements können und sollten – wenn sie richtig angewendetwerden – zu bedeutenden Einsichten für die Praxis führen.

Teil 2, Umsetzung, behandelt die Umsetzung der Pläne inAktionen. Der Plan, wie man die Leistung einer Organisationsteigern will, heißt Strategie. Doch ein Plan ist zunächst nur eintheoretisches Konzept. Um es zu erarbeiten, bedarf es einerrigorosen Analyse und neuer Ideen. Die Verwirklichung desPlans aber geschieht nicht einfach dadurch, dass man ihn aus-führt. Die Umsetzung von Plänen ist sehr, sehr schwierig – undhat überhaupt keinen Glamour. Wenn Tiger Woods zum Golf-schläger greift, geht es nicht allein um die Umsetzung einesPlans in einen Schlag. Welchen Plan er hat, ist ja offensichtlich:den Ball ins Loch zu treffen. Die Kunst liegt in der Umsetzung.

Auch im Wirtschaftsleben ist die Umsetzung von Plänen vielschwieriger als angenommen. Die Begriffe Durchführung oderAusführung implizieren, dass es beim Managen allein darumgehe, ein Rezept zu befolgen und Schritt für Schritt vorzuge-hen. In Wirklichkeit benötigt jedes Mitglied der OrganisationDisziplin und Urteilsvermögen, damit Pläne erfolgreich umge-setzt werden können. Manager haben zwar offiziell das Sagen,doch normalerweise können sie nur die Leistung einer einzigenPerson kontrollieren: ihre eigene. Damit sich jedermann so ver-halten kann, dass er zum Erfolg der Organisation beiträgt, musser verstehen, wie Erfolg definiert ist und welchen persönlichenBeitrag er leisten kann.

Zuallererst muss man sich in der Organisation auf einegemeinsame Sicht der Wirklichkeit verständigen, auch wenn es

Page 23: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

25

vielleicht nicht jedem klar ist, was Wirklichkeit ist. Um das zuerreichen, braucht das Management unbedingt Zahlen. Kapi-tel 5 zeigt, wie gute Manager erkennen, auf welche Kennzahlensie sich konzentrieren müssen. Diese Kennzahlen helfen dabei,das Ziel des Unternehmens konkret zu formulieren. Dies hilftallen Beteiligten, am selben Strang zu ziehen. Dadurch werdendie Einzelanstrengungen erfolgreich koordiniert. Kapitel 6 be-schreibt, wie geeignete Maßstäbe zur Leistungsmessung diesschaffen und gleichzeitig den wirklichen Zweck der Organisa-tion klar herausarbeiten.

Kapitel 7 beleuchtet, wie Führungskräfte die richtige Balancezwischen kurz- und langfristigem Erfolg eines Unternehmensfinden. Jeder Manager muss heute Ressourcen verplanen, umdie unbekannte Zukunft zu gestalten. In anderen Worten: Ermuss investieren und Neuerungen einführen – Aktivitäten, beidenen das Management ein gewichtiges Wort mitredet. Gleich-zeitig muss der Manager sicherstellen, dass die Beschäftigten(und er selbst) sich auf alle wichtigen aktuellen Aufgaben kon-zentrieren, die Ressourcen genau dort eingesetzt werden, wo siegebraucht werden, und die Organisation sich stetig weiter ent-wickelt. Davon handelt Kapitel 8. Zu guter Letzt muss ein Ma-nager die Energien und Talente von Individuen freisetzen, diegenau das sind: individuell, einzigartig. Kapitel 9 untersucht,warum Werte in der Arbeit eines Managers eine so wichtigeRolle spielen. Wir werden zeigen, dass eine gute FührungskraftWerte zwar ge-, aber niemals missbraucht.

Auf die eine oder andere Weise geht einem jedes »Muss«,das ich oben erwähnt habe, gegen den Strich. Jedes »Muss«verlangt, dass man sich auf eine Art verhält, die der Intuitionzuwider läuft. Organisationen sind selten so konstruiert, dassman sich in ihnen automatisch richtig verhält – und genaudeswegen gibt es die Managementlehre überhaupt: um einenLeitfaden für diejenigen Situationen zu geben, in denen manEntscheidungen gegen die eigene Intuition treffen muss. Teil 2

Page 24: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

26

handelt von diesem Praxiswissen, das sich in Jahrzehnten her-auskristallisiert hat und dabei hilft, die universellen und kon-stant hohen Leistungsanforderungen zu erfüllen, die an jedeOrganisation gestellt werden. Die meisten guten Management-Seminare und Fortbildungsprogramme für Manager sprechenzumindest kurz die Theorie hinter den wichtigen Unterneh-menskonzepten an, die in Teil 1 vorgestellt wurden. Doch dieFähigkeiten, die in Teil 2 behandelt werden, lernt man meistenson the job, wie ein Lehrling.

Warum Fallbeispiele nützlich sind

Soweit man das Wissen über allgemeines Managementüberhaupt in Lehrveranstaltungen und durch Bücher vermit-teln kann, tut man das am besten mit Hilfe ausführlicher Fall-beispiele. Nicht nur, dass konkrete Beispiele aus der Praxis ein-fach interessanter sind als reine Theorie, das sowieso. Fallbei-spiele schaffen es am ehesten, die Vielschichtigkeit der Arbeitvon Managern zu verdeutlichen. Sie zeigen, wie wichtig es ist,Konzepte nicht nur in der Theorie zu verstehen, sondern auchin einem konkreten Praxisfall.

An dieser Stelle möchten wir auf eine Gefahr hinweisen, derjeder ausgesetzt ist, der über lebendige Organisationen schreibt.Menschen führen ein Unternehmen in Echtzeit, ohne Netz unddoppelten Boden, in einer Gegenwart, die stetig vergeht. DasManagement bleibt nie stehen oder blickt zurück. Organisatio-nen verändern sich unabänderlich, der Trottel von heute ist derHeld von morgen – und umgekehrt. Viele Leser glauben zuUnrecht, ein Autor halte alles für prima, was ein Unternehmengemacht hat und zukünftig machen wird, nur weil er es für einepositive Fallstudie verwendet. Das stimmt aber nicht. Der Autorsagt mit der Fallstudie lediglich aus, dass sich aus dem gewähl-ten Beispiel eine nützliche Lektion lernen lässt.

Page 25: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

27

Nur anhand von Beispielen lässt sich zeigen, dass für HenryFord 1910 die gleichen Prinzipien galten, die auch für den Ma-nager des Jahres 2010 gelten werden. Einige der im Text be-schriebenen Unternehmen sind noch sehr jung und existierenvielleicht gar nicht mehr, wenn Sie dieses Buch lesen. Doch diemeisten Firmen, die wir als Studienobjekte ausgewählt haben,blicken auf mindestens ein Jahrzehnt überragender Leistungenzurück, ihr Erfolg beruht also nicht auf Zufall und Glück. Undtrotzdem: in Zukunft werden einige der beschriebenen Unter-nehmen weiterhin überdurchschnittlich erfolgreich sein, wäh-rend andere abrutschen werden.

Doch das ändert nichts an den grundsätzlichen Prinzipien,die die Fallbeispiele illustrieren. Die Wirtschaftsnachrichten be-richten unablässig darüber, wer gerade in und wer out ist. DieKonzepte, die dieses Buch behandelt, haben eine längere Halb-wertszeit. Henry Ford revolutionierte das Wirtschaftsleben,schoss aber auch gewaltige Böcke. In späteren Jahren produzier-te er spektakuläre Misserfolge und führte sich unmöglich auf.Trotzdem lässt sich an seinen Taten hervorragend zeigen, wasStrategie ist und wie sie mit der Organisation des Unterneh-mens zusammenhängt. Analog ziehen wir die Geschäftsmodellevon Dell oder eBay nicht deswegen als Beispiele heran, weil wirglauben, die Firmen würden jetzt eine tausendjährige Herr-schaft antreten, sondern weil die Geschäftsmodelle dieser Un-ternehmen Ihnen dabei helfen werden, das dahinter liegendePrinzip zu verstehen und zu beurteilen. Die vielen Beispielfälleüber gemeinnützige Institutionen – vom Roten Kreuz bis TheNature Conservancy – sollen illustrieren, dass die Gültigkeitvon Managementkonzepten sich keineswegs auf Unternehmenbeschränkt.

Page 26: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten
Page 27: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Teil I PlanungWarum Menschen zusammenarbeiten und wie sie es tun

Page 28: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Eine Gruppe von Menschen vereinigt sich zu einemGebilde, das wir Unternehmen nennen, um gemein-sam etwas zu erreichen, das der Einzelne nicht hätteerreichen hätte können. Diese Menschen leisteneinen Beitrag zu unserem Gemeinwesen – diesePhrase klingt zwar abgedroschen, ist aber funda-mental.

David Packard, Mit-Begründer vonHewlett-Packard

Page 29: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

31

Kapitel 1So wird Wert geschaffen:Der Blick von außen nach innen

Man bezahlt den Preis. Und bekommt den Wert.Warren Buffett

Value Creation (»Schaffung von Wert«) taucht als Begriff so oftund in so vielen verschiedenen Zusammenhängen auf, dass manversucht sein könnte, ihn als weitere Worthülse abzutun, vondenen es im Wirtschaftsleben nur so wimmelt. Doch der Begriffist alles andere als eine leere Hülse: Die vordringlichste Aufgabedes modernen Managements besteht darin, Wert zu schaffen.

Die Auffassung davon, was »Unternehmensführung« be-deutet, hat sich dramatisch verändert. »Führen« heißt heutenicht mehr, die Ressourcen zu managen, die in den Produktions-prozess fließen (die Inputs), sondern die ökonomische Leistungzu optimieren (den Output). Hinter dem Begriff Value Creationsteht eine ganz bestimmte Auffassung darüber, was Leistungbedeutet und wie Organisationen Leistung erbringen.

Doch was bedeutet »Schaffung von Wert« eigentlich? Wa-rum redet man davon, »für die Anteilseigner Werte zu schaf-fen«, wenn man im Grunde nur meint, dass man hohe Dividen-den für die Investoren erwirtschaften will? Warum verrenktman sich mit Phrasen wie »einen zusätzlichen Wert für dieKunden generieren«, anstatt einfach zu sagen, man wolle demKunden einen guten Gegenwert für sein Geld bieten? Ange-sichts der Bodenständigkeit der meisten Führungskräfte mussman sich über solch abstrakte Formulierungen wundern. Wennwir darüber nachdenken, was Unternehmen denn wirklich tun,dann denken wir doch an konkrete Produkte oder Dienstleis-tungen, nicht an abstrakte Dinge wie Wert.

Page 30: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

32

Und doch besteht die vordringlichste Aufgabe jedes Mana-gers darin, Wert zu schaffen. In diesem Kapitel erörtern wir, wasdas bedeutet, wie sich der Begriff der Value Creation überhauptim Vokabular der Management-Theorie einbürgerte, und war-um die Abstraktheit des Begriffs sogar von Vorteil ist.

Was ist Wert?

OnTimeAuditor.com ist ein einfaches und repräsentatives Un-ternehmen der New Economy. Michael Harris gründete dieFirma im Jahr 2000, doch ihre Wurzeln reichen zurück bis in die1980er. Damals arbeitete Harris als Software-Entwickler undwar frustriert. Denn obwohl er mit Zustelldiensten arbeitete,die »Pünktliche Lieferung oder Geld zurück« versprachen, be-klagten sich seine Kunden oft über die verspätete Zustellungvon Sendungen. Wieder und wieder beschwerten sich verärger-te Kunden bei ihm, doch die Paketdienste selbst verschwiegendie Verspätungen.

Aus Ärger schrieb Harris ein Tracking-Programm, das denAbsender automatisch informiert, wenn eine Lieferung nichtinnerhalb der vereinbarten Frist zugestellt wird. Diese Softwarewurde das Fundament für OnTimeAuditor.com (OTA): DieKunden bezahlen monatlich 9,95 Dollar für die Benutzung derSoftware und erfahren sofort, wenn eine ihrer Lieferungenverspätet zugestellt wird. Mit dieser Information gerüstet, ver-langen Sie vom Zustelldienst ihr Geld zurück, durchschnittlichzehn bis zwanzig Dollar pro Paket. Als OTA im Frühjahr 2000auf den Markt ging, funktionierte die Software für FedEx undUPS; weitere Paketdienste sollen folgen.

Welchen Wert generiert OnTimeAuditor.com für seine Kun-den? Das hängt natürlich unter anderem davon ab, wie vielePakete sie verschicken. Die Branche schätzt, so Robert Morse,der Mitbegründer von OTA, dass etwa fünf Prozent der 16

Page 31: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

33

Millionen Sendungen, die FedEx und UPS täglich befördern, zuspät ankommen. Es geht also um täglich ungefähr 800 000Sendungen, für die man sein Geld zurück verlangen könnte! Beieinem durchschnittlichen Porto von zwölf Dollar summierensich die möglichen Rückerstattungen auf etwa zehn MillionenDollar – pro Tag. Ein Unternehmen, das monatlich beispiels-weise 100 Sendungen mit Paketdiensten verschickt, würde imJahr grob gerechnet 720 Dollar an Porto-Rückerstattungen be-kommen. Wenn das System also einfach zu benutzen ist unddem Kunden keine weiteren Kosten verursacht (das sind zweiwichtige Annnahmen), ergibt sich der Wert der Software fürden Kunden unmittelbar: Für knapp 120 Dollar »kauft« derKunde konkrete und messbare Kostenersparnisse in Höhe von720 Dollar. Für unseren Beispielkunden generiert die Softwarevon OTA einen Wert von jährlich 600 Dollar.

Im Investitionsgütergeschäft – heute gerne auch B2B ge-nannt – lässt sich der ökonomische Wert eines Guts oder einerDienstleistung oft recht einfach ermitteln. Der Wert für denKunden schlägt sich normalerweise in Zeit-, Arbeits- oder Ma-terialersparnissen nieder, die unmittelbar zu Kostensenkungenführen. Wie bei den meisten Herstellern von Investitionsgüternhängt auch bei OTA der Umsatz unmittelbar mit dem ökonomi-schen Wert zusammen, den das Produkt erbringt. OTA stelltseinen Kunden sogar ein Online-Rechenprogramm zur Verfü-gung, mit dem sie verfolgen können, wie viel Porto sie schongespart haben. Doch die Software von OTA generiert möglich-erweise auch auf eine weitere Weise Wert. Erinnern Sie sichdaran, warum Michael Harris seine Software überhaupt ge-schrieben hat: Wenn Sie rechtzeitig erfahren, dass eine Sendungan einen Kunden zu spät ankommen wird, können Sie denKunden wenigstens warnen oder besänftigen. Für manche Kun-den von OTA macht dies eventuell den Hauptvorteil der Soft-ware aus. Und auch wenn man diesen Vorteil nicht direkt inDollar ausdrücken kann, existiert er doch.

Page 32: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

34

Im Konsumgütergeschäft, das zwei Drittel der Wirtschaftausmacht, besteht zwischen dem gelieferten Gut bzw. der er-brachten Dienstleistung und dem ökonomischen Wert für denKunden nur ein vager Zusammenhang. Charles Revson, einManager in der Kosmetikbranche, scherzte einmal, seine Bran-che verkaufe »Hoffnung in Tiegeln«. Für den Kunden ergibtsich der Wert eines Gut oft aus nicht-materiellen Aspekten; fürihn ist es wichtig, wie ein Produkt aussieht und sich anfühlt(zum Beispiel der bunte iMac oder ein Anzug von Armani),welche Gefühle es hervorruft (z.B. Nostalgie), wie hohen Status,wie viel Prestige es vermittelt. Wenn man Leute fragt, welcheGegenstände sie zuerst aus ihrem brennenden Haus retten wür-den, antworten die meisten: ihre Fotoalben. Was macht Famili-enfotos wertvoller als alle Wertgegenstände im Haus? Der Be-griff Wert scheint hier völlig ungreifbar – und doch lassen sichauch anhand dieses Beispiels die wichtigsten Bestandteile desWertbegriffs herausarbeiten.

Bevor George Eastman es in den 1880ern jedermann ermög-lichte, eigene Fotos zu machen, war die Fotografie ausschließlichProfis vorbehalten. Der Prozess war mühselig und aufwändig:Flüssige Chemikalien mussten auf Glasplatten geschüttet wer-den, dann mussten die Porträtierten eine Ewigkeit bewegungslosausharren, bis die nassen Platten lange genug belichtet waren.

Eastman fand heraus, wie man das Fotografieren vereinfa-chen konnte. Er brachte die nötigen Chemikalien auf einenleichten Papierfilm auf und konstruierte dann eine Kamera, dieso einfach war, dass jeder sie benutzen konnte. Doch der Apparatkostete 25 Dollar – 1888 entsprach das drei Monatslöhnen. Dasüberstieg die Möglichkeiten der meisten Leute. Deshalb setztesich Eastman wieder an den Zeichentisch. Zwölf Jahre späterwurde der Brownie fertig, ein simpler Apparat, der so einfach zuproduzieren war, dass Eastman ihn für einen Dollar anbietenkonnte. Erst jetzt waren alle Komponenten für einen Massener-folg zusammen gekommen; dank der einfachen Bedienung und

Page 33: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

35

des günstigen Preises konnte jetzt jedermann seine eigenenFotos schießen. Aus Eastman, dem Unternehmer, wurde East-man, der Industrielle. Das Unternehmen, das er gründete, flo-rierte über ein Jahrhundert lang.

Der Kunde legt den Wert fest

Wert tritt nicht nur in vielen Formen auf, er stammt auch ausvielen möglichen Quellen: aus der Nützlichkeit eines Produkts,dem Image, das man damit verbindet (von Werbung und Öf-fentlichkeitsarbeit gesteuert), der Erhältlichkeit (wie leicht manes bekommt, wo es verkauft bzw. vertrieben wird) und demService. Je weniger greifbar der Wert eines Produkts erscheint,desto wichtiger ist es, sich klarzumachen, dass der Wert sichallein beim Kunden bestimmt – und zwar bei jedem einzelnengesondert. Viele Leute mögen Fastfood, andere verabscheuen es.Der eine schwört auf sein Handy, den anderen bringen die Leutezur Raserei, die in aller Öffentlichkeit telefonieren müssen. Fürden einen stellt ein zweiwöchiger Urlaub in einem Naturreser-vat einen Traum dar, für den anderen wäre er der reinste Alp-traum.

Selbst bei unserem Beispiel aus der Industrie, wo der Wertleicht zu quantifizieren schien, unterscheidet sich der Wert derOTA-Software von Kunde zu Kunde. Die identische Dienstleis-tung generiert bei einem Kunden, der im Monat 10 000 statt100 Sendungen verschickt, einen vielfach höheren Wert. Auchschafft die Software einen umso höheren Wert, je empfindlicherdie Kundschaft eines Unternehmens auf verspätete Lieferungenreagiert. Daraus folgt eine Erkenntnis, die gleichzeitig tiefsinnigund offensichtlich ist: Der Wert eines Guts für ein Unterneh-men hängt nicht davon ab, was dieses Unternehmen macht,sondern von den Kunden, die dessen Produkte und Dienstleis-tungen kaufen.

Page 34: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

36

Wenn eine Unternehmensführung sich die Maxime gibt,einen Wert für den Kunden zu schaffen (anstatt sich das Ziel zusetzen, Software zu verkaufen oder Filme herzustellen), dannwird sie durch diese Formulierung immer wieder an den zentra-len Grundgedanken erinnert: Jedes Unternehmen ist nur Mittelzum Zweck, nicht Zweck an sich. Unternehmen existieren, umdie Bedürfnisse von Menschen außerhalb dieses Unternehmenszu befriedigen. Darin unterscheiden sich Unternehmen vonVolksstämmen, Vereinen, Familien und allen anderen Vereini-gungen, die sich allein darauf konzentrieren, dass es ihren Mit-gliedern gut geht. Daher gehört es auch zu den wichtigstenAufgaben des Managements, sich diese Orientierung nachaußen vor Augen zu halten und alle Mitarbeiter des Unterneh-mens ständig daran zu erinnern.

Diese ständige Erinnerung ist deswegen nötig, weil die Men-schen innerhalb jeder Organisation ganz automatisch dazu ten-dieren, in ihrem Arbeitsbereich aufzugehen. Sie konzentrierensich allein auf ihre Tätigkeit und die von ihnen geforderteArbeit. Mit anderen Worten: Man konzentriert sich ganz un-willkürlich auf das, was Ökonomen Inputs nennen. Inputs, dassind alle Elemente, die benötigt werden, um eine Aufgabe gut zuerledigen. Doch in Wirklichkeit gibt es nur einen Test, der zeigt,ob eine Aufgabe erledigt wurde – den Test am Markt. Nur wennein Kunde bereit ist, für das Ergebnis der Anstrengungen einesUnternehmens Geld zu bezahlen, hat das Unternehmen gutgearbeitet. Diese Erkenntnis gehört zu den bedeutendsten Ideenmodernen Managements.

Den Kunden kümmert es nicht, wie viel Arbeit und Einfällenotwendig waren, um ein neues Produkt zu entwickeln. Oftlassen sie sich auch von revolutionär neuen Produktenüberhaupt nicht beeindrucken – eine Erkenntnis, die jede neueGeneration von Unternehmern aufs Neue machen muss.

In den späten 1990ern arbeiteten einige der besten Ingenieu-re des Silicon Valley für Silicon Graphics. Das Unternehmen

Page 35: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

37

steckte Millionen Dollar in die Entwicklung des interaktivenFernsehens – eine Technik, die die Ingenieure zurecht für revo-lutionär hielten. Doch dann stellte sich heraus, dass sich keinMensch für das fertige Produkt interessierte. Kittu Kolliri, einerder leitenden Ingenieure, erklärt den kolossalen Flop so: »DieTechnik zog uns total in ihren Bann. Wir dachten alle: ›Ver-dammt, diese Technik ist so cool, irgendjemand wird sie schonbrauchen.« Doch niemand brauchte sie. Es genügt einfach nicht,für irgendeinen vage definierten Kundenkreis Wert zu schaffen.Nur Kunden aus Fleisch und Blut stellen auch Schecks aus. EinUnternehmen kann also nur Erfolg haben, wenn es die Bedürf-nisse seiner Kunden erfüllt. Und welche Bedürfnisse sie haben,definieren die Kunden selbst.

Die Perspektive der Produktion: Effizienz bedeutet Wert

Heutzutage wird so viel über Kundenorientierung geredet, dassman meinen könnte, diese Denkweise sei die einzig mögliche.Doch ganz im Gegenteil ist die Einsicht relativ neu, dass derKunde und nicht das Unternehmen bestimmt, was Wert ist.Früher definierten sich Unternehmen über ihr Produkt: EineFirma arbeitete in der Stahlbranche, im Kaffeegeschäft oder aufdem Automobilsektor. Und Erfolg hatte man dann, wenn manherausfand, wie man mit dem gleichen Ressourceneinsatz mehrStahl, Kaffee oder Autos produziert.

In anderen Worten: Die Herausforderung bestand darin, dieProduktivität zu steigern. Und das erreichte man, indem manden Produktionsprozess so effizient wie möglich gestaltete. Die-se Fixierung auf Effizienz war in der Frühzeit der Industrialisie-rung absolut vernünftig, denn das Warenangebot hinkte chro-nisch hinter der Nachfrage her. Die Mission des Managementslautete, mehr und billiger zu produzieren. Von der Kamera, dieGeorge Eastman 1888 für 25 Dollar auf den Markt brachte,

Page 36: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

38

verkaufte er gerade einmal 13 000 Stück. Doch von der billige-ren Brownie brachte er allein im ersten Jahr, 1900, 150 000Stück an den Mann! Indem Eastman sein Produkt erschwing-lich machte, schuf er einen riesigen neuen Markt.

Der Prophet des Effizienzgedankens hieß Frederick WinslowTaylor. Er wurde 1856 in eine wohlhabende Familie in Pennsyl-vania geboren und hätte später in Harvard studieren können,nahm aber lieber eine körperliche Arbeit an. Nach einer Lehreals Modellmacher und Maschinist heuerte er als einfacher Ar-beiter bei Midvale Steel an, einem der größten Unternehmender Branche. Innerhalb von sechs Jahren stieg Taylor über prak-tisch alle Posten in der Fabrik zum Chefingenieur auf.

Taylor ging die Aufgabe der Effizienzsteigerung mit derDisziplin eines Wissenschaftlers an; er beobachtete, maß undnotierte noch die offensichtlich scheinenden Handgriffe. 1898wurde er auf Betreiben von Joseph Wharton als Berater beiBethlehem Steel engagiert. (Wharton war Miteigentümer desUnternehmens und Gründer der ersten amerikanischen Busi-ness School an der University of Pennsylvania.) Dort führteTaylor zahlreiche der Experimente durch, die er später in ThePrinciples of Scientific Management (1911, dt.: Die Grundsätzewissenschaftlicher Betriebsführung) beschrieb. Seine Aussagewar einfach: Wie simpel eine Aufgabe auch schien, musste mansie doch systematisch untersuchen, um die »eine, beste Metho-de« für ihre Erfüllung zu ermitteln.

Wenn Taylor vor 100 Jahren durch die Hallen von Bethle-hem Steel lief, sah er eine Armee von 600 Männern, die Schau-feln schwangen. Anleitungen gab es kaum, die Männer benutz-ten die gleichen Schaufeln für Erz (eine Schippe voll wog etwa15 Kilo) und für Kohle (die Schippe zu zwei Kilo). Für Taylorbestand die »Wissenschaft vom Schaufeln« darin zu ermitteln,bei welchem Ladungsgewicht pro Schaufel ein »erstklassigerArbeiter« (jemand, der sowohl willens als auch fähig war zuschaufeln) die größte Tagesleistung bringen kann. Nach aus-

Page 37: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

39

führlichen Versuchen fand Taylor die Antwort: zehn Kilo. AlsKonsequenz verteilte das Unternehmen spezielle Schaufeln fürdie unterschiedlichen Aufgaben, »beispielsweise eine kleineSchaufel für Erz und eine große für Asche«.

Taylor behauptete, dass aufgrund solcher Änderungen dieProduktivität in die Höhe geschossen und die Kosten gefallenseien, selbst wenn man den Männern höhere Löhne bezahlte.Das waren die Parameter, mit denen Taylor Wert maß – und alldiese Parameter lagen innerhalb der Fabrikwände. Wissenschaft-liches Management, die erste echte Management-Disziplin, kon-zentrierte sich darauf, zu messen und zu analysieren. Es basierteauf dem Grundsatz: Nimm nie an, dass die Methode, mit deretwas schon immer gemacht wurde, auch die beste ist. Mitanderen Worten: Nimm nie einen Handgriff als gottgegeben.

Heutzutage genießen weder Taylor noch das wissenschaftli-che Management einen guten Ruf, obwohl die weitverbreiteteSuche nach der »best practice« eine direkte Folge seiner Arbeitist. Schon zu Lebzeiten wurde Taylor von Arbeiterrechtlernangegriffen, Taylorismus wurde zum Synonym für Dequalifi-zierung der Arbeiter und Entmenschlichung der Arbeit. Den-noch schulden die Industrienationen einen Großteil ihres Wohl-stands Taylor und seinen Jüngern. Während des 20. Jahrhun-derts haben wir Effizienzexperten ausgelacht und das Strebennach Effizienz verdammt, gleichzeitig badeten wir aber in demReichtum, den uns die Produktivitätssteigerung beschert hatte.Es mag ein Faustscher Handel gewesen sein, die Ideen vonTaylor zu übernehmen, doch die Konsequenzen sind aus demmodernen Leben kaum mehr weg zu denken.

Der einzige Makel an Taylors Ansatz bestand in seiner ein-seitigen Beschränkung auf Effizienz in der Produktion. Taylornahm an, dass Wert entstehe, indem man effizienter produzier-te – egal, was man jetzt herstellte. Damit hatte er auch recht,erfasste aber nicht das ganze Bild. Er kam nie auf die Idee sich zufragen, ob man überhaupt die richtigen Dinge produzierte oder

Page 38: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

40

ob man vielleicht einen größeren Wert schaffen könnte, indemman sein Aufgabengebiet erweiterte.

Anfang des 20. Jahrhunderts war es vernünftig, so zu denkenwie Taylor: Es wurden nur wenige Dinge industriell hergestellt,und das Hauptproblem bestand darin, mehr Güter zu geringe-ren Kosten herzustellen. Doch gegen Mitte des Jahrhundertsbegann die Ära des Massenkonsums. Die Frage »Was ist Wert?«benötigte eine neue Antwort.

Die Perspektive des Marketing: Worauf legt der Kunde Wert?

1943 beschloss der in Wien gebürtige Peter Drucker, GeneralMotors zwei Jahre lang von innen zu untersuchen. Damit setzteer seine Karriere aufs Spiel, denn damals hielt man es in Akade-mikerkreisen für unziemlich, sich mit so profanen Dingen wiegewinnorientierten Unternehmen zu beschäftigen. Heute, daselbst die Oxford University eine Business School hat, scheinteine solche Einstellung unvorstellbar. Doch am Ende des Zwei-ten Weltkriegs war die Welt der Unternehmen terra incognitaund die Arbeit von Managern weitgehend unerforschtes Gebiet.

In seinem bahnbrechenden Buch The Practice of Manage-ment (1954, dt.: Die Praxis des Managements) stellte Druckereine kritische Neudefinition des Begriffs Wert vor: Effizienz isteine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Wert.Drucker hatte erkannt, dass Kunden keine Dinge kaufen, son-dern Bedürfnisse befriedigen. Daraus folgt, dass der Kunde oftetwas ganz anderes schätzt und kauft, als der Hersteller zuverkaufen glaubt.

Die Taylorsche Definition von Wert im Sinne von Effizienzrichtete den Blick der Manager nach innen, auf die Produkteund die Produktionsweise. Dies wurde als die Perspektive derProduktion (»manufacturing mindset«) bekannt: Man geht vondem aus, was man herstellt, verlangt einen Preis in Abhängig-

Page 39: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

41

keit von den Herstellungskosten und verkauft seine Produktean die Kunden. Dieses Geschäftsmodell lautet einfach »erstproduzieren, dann verkaufen«.

Drucker plädierte für eine völlig neue, andere Sichtweise.Wenn man Wert verstehen wolle, dürfe man nicht nach innenblicken, wie die Ingenieure von Silicon Graphics es beim inter-aktiven Fernsehen taten. Statt dessen müsse man sich in denKunden hinein versetzen und von seinem Standpunkt auf dasUnternehmen blicken, von außen. Diese neue, von Drucker undanderen propagierte Sichtweise wurde unter dem Namen Pers-pektive des Marketing (»marketing mindset«) bekannt. Bei die-sem Geschäftsmodell geht man davon aus, was der Kunde willund wie viel er dafür zu zahlen bereit ist. Daraus ergibt sich, wasman produziert und wie hohe Kosten bei der Produktion maxi-mal entstehen dürfen. Dieser Wechsel des Blickwinkels verän-derte die Denkweise von Managern von Grund auf; er stellt dasbetriebswirtschaftliche Gegenstück zur Entdeckung dar, dass dieErde eine Kugel ist.

Der Perspektivwechsel führte zu der wichtigen Differenzie-rung zwischen Verkauf – bei dem man den Kunden dazu überre-det, das zu kaufen, was man produziert – und Marketing – beidem man erkundet, was die Kunden wollen, und dann nachMöglichkeit versucht, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Um denManagern dabei zu helfen, diese Perspektive von außen zuübernehmen, formulierte Drucker eine Reihe scheinbar einfa-cher Fragen: »Worin besteht unser Geschäft?«, »Wer ist derKunde?«, »Was schätzt der Kunde?« Diese Fragen haben denManagern beigebracht, die Arbeit ihrer Unternehmen durch dieAugen der Kunden wahrzunehmen, und werden inzwischenvon Führungskräften weltweit gebetsmühlenartig wiederholt.

Heute muss jeder Beschäftigte sich diese Fragen stellen, nichtnur jeder Manager. Besonders hilfreich sind die Fragen für dieWissensarbeiter, also für Analysten, System-Ingenieure oderLogistik-Experten, deren Arbeit sich nicht direkt im Produkt

Page 40: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

42

niederschlägt. Sie müssen sich fragen: »Wer ist auf meine Ar-beit angewiesen?«, »Wie benutzen diese Leute die Ergebnissemeiner Arbeit?«, »Warum ist meine Arbeit für sie wichtig?«Auch wenn man keinen direkten Kontakt mit externen Kundenhat, kann man seine internen Kunden (im Unternehmen) er-mitteln und sie direkt fragen, wie man für sie noch nützlicherwerden kann.

Der gleiche Ansatz gilt auch für Selbstständige. Anwälte undUnternehmensberater beispielsweise sind in der Vergangenheitauch in die Falle des manufacturing mindset getappt und haben»Beraterstunden« oder »Berichte« für ihr Produkt gehalten.Doch worauf legt der Kunde eigentlich Wert? Die Unterneh-mensberatung Bain & Co. wurde von einigen Leuten gegründet,die scharf über diese Frage nachgedacht hatten. Sie kamen zufolgender Antwort: Unsere Kunden wollen bessere Ergebnisse,keine Berichte. Sie kaufen nicht Beraterstunden, sondern höhe-re Profitabilität – Gewinne zu einem Schnäppchenpreis.

Erfolgreiche Unternehmer generieren immer einen Wert fürihre Kunden, auch wenn das anfänglich eher instinktiv undzufällig passiert, nicht absichtlich. Doch vor allem große Unter-nehmen tendieren im Zeitverlauf dazu, ein Eigenleben zu ent-wickeln, und verlieren manchmal erstaunlich schnell das Ge-fühl für den Markt. Deswegen bleiben Druckers Fragen so einwichtiges Gegengift gegen die natürliche Tendenz, den Blicknach innen zu richten, auf das, was man tut und herstellt.

Darüber hinaus wird man feststellen, dass die Antworten,die man auf diese einfachen und naheliegenden Fragen findet,weder einfach noch naheliegend sind. Wahrscheinlich könntefast jedes Unternehmen sein Geschäft auf mehrere Weisen defi-nieren. Hätte beispielsweise McDonalds sich als Hamburger-Brater definiert, dann hätte man alle Mühe darauf verwendet,die weltbesten Hamburger zu entwickeln. Als Ergebnis wärevielleicht ein besser schmeckender und teurerer Hamburgerheraus gekommen, aber dann wäre eine Mahlzeit bei McDo-

Page 41: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

43

nalds keine schnelle, günstige Angelegenheit mehr gewesen.Manager, die ihr Geschäft richtig definieren, können sich syste-matisch darauf konzentrieren, das zu liefern, was ihre Kundenwirklich schätzen – im Fall von McDonalds schnelle Bedienung.Hätte McDonalds sich als Hamburger-Brater gesehen, hättenwir vielleicht nie von dem Unternehmen gehört.

Auch ist nicht immer offensichtlich, wer denn überhaupt derKunde ist. Die ausführlichere Version von George EastmansGeschichte zeigt einige wichtige Umwege und Wendungen auf.Letztendlich gründete Eastman ein Konsumgüterunternehmen(mit einer der breitesten Kundenschichten aller Zeiten). Dochursprünglich hatte Eastman eigentlich einen ganz anderen Kun-denkreis im Auge:

Eastmans erste Firma stellte Fotoplatten her (Glasplatten,die mit einer Chemikalienschicht überzogen waren). Diese In-novation ersparte es Berufsfotografen, selbst Chemikalien zumischen und auf Glasplatten aufzubringen. Sie erleichterte ih-nen das Leben und machte sie mobiler; trotzdem schleppten siesich mit den Glasplatten noch ganz schön ab. Als der Wettbe-werb im Fotoplattengeschäft in den 1880ern immer stärkerzunahm, forschte Eastman fieberhaft nach einem völlig neuenProdukt: Er plante, die schweren Glasplatten durch Filme ausleichtem Papier zu ersetzen, das mit Chemikalien beschichtetund auf eine Spule aufgezogen war. 1885 war Eastman so weit,seine großartige Neuerung auf den Markt werfen zu können.

Er scheiterte grandios. Klar waren die Filme praktisch, dochsie hatten einen Nachteil: Die Qualität der Bilder genügte denAnsprüchen der Profis nicht. Der Papierfilm fiel bei den Foto-grafen durch – und beinahe hätte Eastman seine Firma verloren.Doch dann kam ihm der Gedanke zum Wert des Produkts, derdie Geschichte veränderte. Vielleicht hatte Eastman ja das rich-tige Produkt, nur die falsche Zielgruppe? Professionelle Foto-grafen mochten die Art Bilder ablehnen, die sein Film ermög-lichte, aber normale Leute würden diese Art Bilder mögen. Jetzt

Page 42: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

44

musste Eastman nur noch einen Fotoapparat herstellen, der soeinfach war, dass jedermann ihn bedienen konnte.

Was konnte einfacher sein als eine schwarze Kiste mit einemKnopf als Auslöser und einer Aufziehvorrichtung für den Film?Wenn man seine 100 Fotos gemacht hatte, sandte man die ganzeKamera nach Rochester. Von dort bekam man seine Abzüge undseine Kamera mit einem neuen Film zurück. Sein Wunsch, fürOtto Normalverbraucher einen Wert zu schaffen, zwang East-man, nicht nur einen Produktionsbetrieb (für Fotoapparate undFilme) aufzuziehen, sondern auch noch einen dazu gehörigenDienstleistungsbetrieb, der die Filme entwickelte und Abzügeherstellte. Kodaks Motto und Reklamespruch lautete: »Sie drü-cken auf den Knopf. Den Rest erledigen wir.«

George Eastman verwandelte eine kleine Firma für Fotoplat-ten in eines der größten und erfolgreichsten Konsumgüterun-ternehmen aller Zeiten. Und das gelang ihm, weil er darübernachdachte, aus welchen Leuten seine Zielgruppe bestand undwas diese Zielgruppe schätzte.

Das neue Mantra: Maximierung des Shareholder Value

In den Wirtschaftsboomjahren nach dem Zweiten Weltkriegentwickelte sich das Marketing zum neuen Liebling der Mana-ger. Effizienz – die Kunst, Dinge richtig zu tun – blieb wichtig.Doch jetzt wurde Effektivität – die Kunst, die richtigen Dinge zutun (also die Dinge, die die Kunden verlangten) – sogar nochwichtiger für den Erfolg des Unternehmens. Zumindest in derTheorie. In der Praxis war Marketing oft einfach Verkauf unterneuem Namen. Die Marketingleute der großen Unternehmenwaren Meister der heimlichen Verführung. Werbung geriet alszynische Manipulation in Verruf, die Leute dazu bringe, Dingezu kaufen, die sie nicht brauchten.

In den späten 1960ern und 70ern verstärkte sich das Gefühl,

Page 43: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

45

dass sich das Management der Unternehmen immer stärkerabkapselte und immer arroganter wurde. Führungskräfte schie-nen mehr an ihrer Macht interessiert als daran, für ihre Kundenim Land oder ihre Eigentümer an der Börse einen Wert zuschaffen.

Als in den 1970ern und 80ern schlanke und aggressive Kon-kurrenten aus Fernost auf den amerikanischen Markt drängten,spitzte sich das Problem zu. Schnell verlor Amerikas wichtigsteBranche, die Automobilindustrie, Marktanteile an Toyota,Datsun und Honda. Der Erfolg dieser Marken, die noch wenigeJahre zuvor kaum ein Mensch gekannt hatte, rührte daher, dassdie heimische Automobilindustrie den Kontakt zu den Kundenverloren hatte und weiter Spritsäufer produzierte, obwohl dieLeute kleine, benzinsparende Autos verlangten.

Doch erst die Fertigungsqualität der japanischen Unterneh-men führte zur wirklichen Revolution in Sachen Wert. Selbst,als die Schlangen an den Zapfsäulen nur noch eine ferne Erin-nerung waren, hielt der Siegeszug der japanischen Autos an.Denn verglichen mit den Produkten aus Detroit waren sie soli-de, zuverlässig und stabil. Die Japaner gewannen einfach dadurchKunden, dass ihre Autos besser und gleichzeitig billiger warenals amerikanische. In anderen Worten: Die Japaner boten einenhöheren Wert. Und die Kunden zögerten bei der Abstimmungmit ihren Geldbörsen nicht lange.

Nicht nur die Automobilindustrie wurde in ihren Grundfes-ten erschüttert. Praktisch über Nacht (zumindest schien es so)eroberte Japan ein Fünftel des amerikanischen Stahlmarkts. Imgesamten amerikanischen Industriesektor gingen Millionen vonArbeitsplätzen verloren, und es blieb ein riesiger Rust Belt(Rost-Gürtel) zurück. In diesem Begriff spiegelt sich die ganzeVerzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die sich damals im in-dustriellen Amerika breit machten.

Das Management hatte einen großen Anteil am Wirtschafts-boom der 1950er und 60er Jahre für sich reklamiert (und sich

Page 44: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

46

entsprechend fürstlich entlohnt). Die Managementgehälter wa-ren in den Himmel geschossen, Führungskräfte leisteten sichFirmenflugzeuge und andere Annehmlichkeiten. Doch wo wa-ren die Manager, als es mit der Wirtschaft bergab ging? Warumübernahm niemand die Verantwortung? Und warum verdien-ten die Führungskräfte weiter so trefflich, während ihre Unter-nehmen dahinsiechten?

In diesem Umfeld wuchs ein neuer Typ von Aktionären undGeschäftemachern heran. Anteilseigner, Corporate Raiders(Übernahmegeier) und Experten für Leveraged Buyouts (fremd-finanzierte Übernahmeangebote) beklagten, dass sich die Ma-nager zu sehr auf die Bürokratien konzentrierten, die sie ge-schaffen hätten, anstatt treu die Interessen der Unternehmens-eigentümer zu vertreten. Manager würden beim Versuch,immer mehr Macht an sich zu reißen, viel zu viele Ressourcenverschwenden, alles auf Kosten des Gewinns und damit derDividenden. Jack Welch beschrieb diese Konfrontation in seinertypisch drastischen Ausdrucksweise: »Die Selbstzufriedenenund Ängstlichen hatten eine Verabredung mit den feindlichenFirmen-Übernehmern.«

Die 1980er Jahre wurden Zeuge eines bis dahin nie gesehe-nen Krieges: Eigentümer und Führungskräfte kämpften um dieKontrolle über die Unternehmen. Die Presse stellte den Konf-likt oft als Angriff prinzipienloser Finanzhaie auf unschuldigeOpfer dar. Sie verurteilte, dass gesunde Unternehmen in Teilezerstückelt und scheibchenweise verkauft wurden, nur weil einFinanzhai damit eine schnelle Mark machen konnte. Aber wiekonnten die Stücke eines Unternehmens mehr wert sein als dasGanze? Doch nur deswegen, weil das Unternehmen entwederschlecht gemanagt wurde oder eine falsche Struktur hatte. DieCorporate Raiders, auf die sich Welch bezog, hatten lediglichherausgefunden, wie man den Wert freisetzte, der in profit-schwachen Unternehmen gefangen gehalten wurde. Beispiels-weise hatte der Chef von Nabisco, Ross Johnson, eine Flotte von

Page 45: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

47

26 Firmenjets zur Verfügung, »Ross Air Force« genannt. AmEnde des Konflikts setzte sich der Shareholder Value nicht nurals das Mantra der ganzen Dekade (und darüber hinaus) durch,sondern auch als Leitprinzip für das Management und als Über-lebensregel: Maximiere den Unternehmenswert für die Aktio-näre oder du wirst von der nie nachlassenden Gewalt des Kapi-talmarkts fortgespült.

Als Konsequenz der Auseinandersetzung reagierten Mana-ger deutlich besser auf die Wünsche der Eigentümer und mach-ten sich den direkten Zusammenhang zwischen Wert für denKunden und Wert für die Aktionäre stärker bewusst. Früher gabes in manchen Branchen ein Gentlemen’s Agreement, sich nichtzu sehr anzustrengen und regelmäßig einen mageren, »zufrie-denstellenden« Gewinn auszuwerfen. Diese Zeit war vorbei.Jetzt legten die Aktionäre die Messlatte auf, und die Kapital-märkte überwachten die Leistung der Führungskräfte. Managerspürten den Druck, die Gewinne zu steigern, und es brachenheiße Debatten darüber aus, worin der Zweck eines Unterneh-mens bestehe. Auch heute noch kocht diese Frage hin undwieder hoch. Wirtschaftswissenschaftler wie Milton Friedmanvertreten die Meinung, der Aktionär müsse immer an ersterStelle stehen, das Ziel des Managers sei schlicht und einfach,den Shareholder Value zu maximieren. Andere – vor allemeuropäische – Stimmen meinen, dass jedes Management auchdem Gemeinwesen verpflichtet sei und für Arbeitsplätze undKontinuität sorgen müsse.

Auch wenn einzelne Führungskräfte vielleicht unterschied-liche Einstellungen zum Sozialstaat haben, kann es sich heutzu-tage kein Firmenchef leisten, die Kräfte des Kapitalmarkts zuignorieren. Vor den 1980ern konnte jedes Unternehmen, dasgenug Wert schuf, um seine Kosten zu decken, gefahrlos vorsich hin wursteln und magere Gewinne erwirtschaften, die deut-lich hinter den Möglichkeiten des Unternehmens zurück blie-ben. Seit dieser Zeit aber riskiert jede Aktiengesellschaft, die

Page 46: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

48

ihren Wert nicht maximiert, von einem neuen Eigentümer über-nommen zu werden. Man spricht in diesem Zusammenhangauch von der Disziplinierung durch den Kapitalmarkt. DieserZwang von Seiten des Kapitalmarkts hat die Praxis der Unter-nehmensführung dauerhaft verändert. Selbst gemeinnützigeOrganisationen und Familienbetriebe spüren die Auswirkun-gen dieser Veränderung, auch wenn sie den Zwängen des Kapi-talmarkts nicht direkt ausgesetzt sind.

Deswegen ist es heute wichtiger denn je, dass Führungskräf-te verstehen, wie Wert generiert wird, und das Unternehmen zugrößerer Leistung anspornen.

Wie wird Wert geschaffen?

Während der 1980er und 90er stieg der Druck auf Führungs-kräfte von allen Seiten an. Konkurrenten, Kunden und Aktionä-re zwangen den Manager, jede einzelne seiner Handlungen zuhinterfragen. Als Konsequenz daraus wuchs das Interesse aneinem ökonomischen Konzept, das Michael Porter in seinembahnbrechenden Buch Competitive Strategy (1980, dt.: Wettbe-werbsstrategie) vorgestellt hatte. Mit seinem Konzept der Wert-kette eröffnete Porter ein ganz neues Feld der Unternehmens-strategie. Die Wertkette bezeichnet die Abfolge von Handlun-gen und Informationsströmen, die innerhalb eines Unterneh-mens und seiner Zulieferer durchlaufen werden muss, damit einProdukt entworfen, hergestellt, vermarktet, geliefert und ge-wartet werden kann.

Für den Manager hat die Denkweise in Wertketten weitrei-chende Konsequenzen. Die erste Folge besteht darin, dass erjeden Handgriff nicht nur als Kostenfaktor auffasst, sondernauch als Produktionsstufe, die dem Endprodukt einen höherenWert verleihen muss. Mit der Zeit hat diese Perspektive die Artund Weise revolutioniert, wie zahlreiche Unternehmen ihr Ge-

Page 47: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

49

schäft definieren. Wenn man beispielsweise vor 25 Jahren Ak-tien kaufte, bezahlte man saftige Gebühren an einen Broker. DerBroker erbrachte eine weit gefächerte Palette von Dienstleis-tungen, von der Aktienanalyse über die praktische Durchfüh-rung von Börsengeschäften bis hin zur Erstellung des monatli-chen Kontoauszugs. Die Kosten für all diese Leistungen steck-ten in der Kommission des Brokers.

Charles Schwab gründete seine gleichnamige Firma um eineganz andere Wertkette (und erfand gleichzeitig die Institutiondes Discountbrokers). Denn nicht alle Kunden brauchen Bera-tung, warum sollten sie also dafür bezahlen? Wenn man alleArbeitsschritte weglässt, die man benötigt, um den Kundenberaten zu können, und sich statt dessen allein auf die Durch-führung von Börsentransaktionen konzentriert, schafft maneine ganz andere Art von Wert: Kostenersparnisse bei Börsen-geschäften. Schwab ermöglichte mit seinen günstigen Tarifeneiner breiten Zielgruppe überhaupt erst, Aktien zu erwerben.Damals war es eine neuartige Idee, die Wertkette (die Aktivitä-ten des Unternehmens) daran anzupassen, wie der Kunde Wertdefinierte. Heute gehört dieses Konzept zum Standardwissen.

Eine zweite wichtige Folge des Denkens in Wertketten be-steht darin, dass man gezwungen wird, den Wertschöpfungs-prozess als ein Ganzes zu betrachten, unabhängig davon, werjetzt was macht. Wenn man um perfekte Pommes Frites herumeine Fast-Food-Kette aufbauen will, wie McDonalds es tat, darfes keine Entschuldigung dafür geben, dass die Pommes Fritesnicht perfekt sind. Den Kunden kümmert es nicht, wer an einemMangel schuld ist. Ihn interessiert nur die Qualität seiner Pom-mes Frites. Deswegen muss McDonalds sicherstellen, dass nichtnur innerhalb des Unternehmens alle Qualitätsstandards ein-gehalten werden, sondern auch außerhalb, zum Beispiel bei denZulieferern (den Kartoffelbauern).

Diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen Unternehmenund Zulieferern führt zu der Notwendigkeit, über Grenzen

Page 48: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

50

hinweg zu managen. Heutzutage kann es ebenso wichtig sein,die Zulieferer gut zu führen, wie das Unternehmen selbst.

Im Jahr 2000 las man etliche Schlagzeilen über Autoreifen;die fetteste verursachte Firestone mit einer massiven Rückruf-aktion. Anstatt seinen hundertsten Geburtstag feiern zu kön-nen, erlebte das Unternehmen einen Public-Relations-Alp-traum. Dutzende Todesfälle und Hunderte Unfälle wurde mitReifenversagen in Verbindung gebracht. Firestone musste Mil-lionen Reifen zurückrufen, wurde von der Presse zerrissen undin etliche Klagen verwickelt.

Allerdings litt nicht nur Firestone. Auch Ford erlebte einenAlptraum, weil die Mehrzahl der schadhaften Reifen auf Mo-dellen des Typs Ford Explorer aufgezogen waren. Den verärger-ten Explorer-Kunden war es egal, dass Ford die Reifen nichthergestellt hatte. Firestone stellt ein wichtiges Glied in derWertkette von Ford dar, und im Sommer 2000 zerstörte Fire-stone Wert – bei Ford-Kunden und -Aktionären.

Eine andere, weniger beachtete Episode drehte sich ebenfallsum Reifen. In diesem Fall handelte es sich um ein alltäglichesVorkommnis im Geschäftsleben, nicht um eine Krise. Toyotaentdeckte bei einem kleinen japanischen Unternehmen einenneuen Ansatz zur Reifenherstellung und bedrängte die großenReifenproduzenten, den Ansatz nachzuahmen. Das Wall StreetJournal brachte den Sachverhalt in folgender Schlagzeile aufden Punkt: »Toyota drängt Reifenhersteller, ein neues Designzu übernehmen, das Kosten und Gewicht verringert«. Dochwarum kümmert sich Toyota um solche Dinge? Weil das Unter-nehmen weiß, dass die Kunden billigere und benzinsparendereAutos wollen. Wenn also Toyota seine Zulieferer dazu überre-den muss, eine neue Technik einzuführen, um für seine Kundeneinen höheren Wert zu schaffen, dann macht der Autobauer dasauch. Und tatsächlich verdankt Toyota einen großen Teil seinesErfolgs der Fähigkeit, die Zulieferer zu führen.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Art der

Page 49: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

51

Unternehmensführung aufgrund der Erkenntnisse darüber, wieWert geschaffen wird, stark verändert. Vor allem hat sich dieIdee durchgesetzt, dass man auch über die Grenzen des Unter-nehmens hinaus managen muss. Vor zehn Jahren zum Beispielwar der Einkauf eine untergeordnete Funktion, dessen Ziel da-rin bestand, genau vorgegebene Dinge zu den günstigsten Kon-ditionen zu erwerben. Heute hat der Einkauf sich zum SupplyChain Management gewandelt. Und dahinter steht eine echteAufwertung der Funktion, nicht nur einfach ein neuer, schickerName. Der Begriff Supply Chain Management spiegelt wider,dass Unternehmen viel systematischer darüber nachdenken,wie sie für ihre Kunden Wert schaffen: Indem sie das Richtigeeinkaufen, nicht, indem sie den günstigsten Preis herausholen.Höhere Geschwindigkeit und Flexibilität sind für Unternehmenebenso wichtig geworden wie Kostenersparnisse; das Know-How und die Innovationsfähigkeit der Zulieferer werden ebensowichtig wie ihre Produkte.

Diese Revolution im Denken hat jeden Aspekt der Geschäfts-tätigkeit von Unternehmen erfasst. Wenn Firmen von außennach innen blicken, machen sie sich oft erst klar, wie vielfältigeMöglichkeiten es gibt, beim Kunden durch neue Lösungen undDienstleistungen einen zusätzlichen Wert zu schaffen. Manbefriedigt die Bedürfnisse des Kunden, anstatt ihm irgendwel-che Güter zu verkaufen. Betrachten Sie nur, wie sehr sich Gene-ral Electric unter der Führung von Jack Welch gewandelt hat,und Sie erkennen, wie dramatisch diese Denkweise ein Unter-nehmen transformieren kann. Früher war GE einer der größtenIndustriebetriebe der Welt, heute stammen 80 Prozent der Un-ternehmensgewinne aus Dienstleistungen.

Wie viel sich verändert hat, lässt sich beispielsweise amUnternehmensbereich Lokomotiven ablesen. Seit 1895 bauendie Ingenieure von GE Lokomotiven, die Arbeitspferde der In-dustriegesellschaft. Und bis vor kurzem, sagt Jack Welch, »konn-te man sich in der Sparte nur dadurch Verdienste erwerben, dass

Page 50: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

52

man allermodernste, hocheffiziente Technik baute«. Man sahalles aus der Perspektive der Produktion. Doch als GE begann,sein Geschäft aus dem Blickwinkel des Kunden zu sehen, er-kannte man: Die Eisenbahngesellschaften legen keinen beson-deren Wert auf immer größere und stärkere Loks. Die Gesell-schaften interessiert nur, wie sie zu möglichst niedrigen Kostenmöglichst viel Fracht transportieren können. Sie brauchen alsoLokomotiven, die einen größeren Anteil der Zeit produktivarbeiten. In anderen Worten: Gesucht waren Lösungen, wieman Lokomotiven effizienter einsetzt, schneller repariert undso weiter. Bietet man solche Lösungen an, ermöglicht man derEisenbahngesellschaft, ihren Ertrag zu steigern – und das ist jagenau das, was der Kunde wirklich will.

Bei der Lokomotiven-Sparte von GE wirkte sich der Perspek-tivwechsel von der Input- auf die Ergebnisorientierung aus, alsob man einen Lichtschalter umgelegt hätte. Der Sparte ging einLicht auf, und sie entwickelte eine ganze Palette von Produktenund Dienstleistungen, zum Beispiel ein computergestütztes Dis-positionssystem, das den Eisenbahngesellschaften half, ihre Flot-ten effizienter einzusetzen.

Dank neuer Geräte in den Loks wissen die Eisenbahngesell-schaften – und GE – jederzeit, wo sich die Lokomotiven befin-den. Bleibt eine Lok liegen, muss niemand bei GE anrufen undum Hilfe bitten. Statt dessen begibt sich GE direkt vor Ort undmacht die Maschine wieder flott.

Immer mehr Güter entwickeln sich zu Massengütern mit nursehr schmalen Gewinnmargen. Nicht nur GE hat entdeckt, dassman oft mit Dienstleistungen rund um ein Produkt mehr verdie-nen kann als mit dem Produkt selbst. Denken Sie nur an denWartungsvertrag, den Sie beim Kauf eines neuen Computersoder Fernsehers abschließen können, oder an die Finanzierung,die der Autohändler Ihnen beim Autokauf anbietet. Ein Großteildes Erfolgs von IBM in den 1990ern ließ sich auf die neueStrategie zurückführen, statt Geräten Lösungen anzubieten.

Page 51: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

53

Die gleiche Logik setzt sich auch bei den Herstellern trivials-ter Konsumgüter durch. Auf der Website von Martha Stewart,die die Amerikanerinnen in Hochglanzmagazinen und Fernseh-sendungen die Verschönerung des Alltags lehrt und ihnen diedazu notwendigen Produkte verkauft, findet man zum Beispieldie verschiedenartigsten Haushaltswaren zu recht hohen Prei-sen. Ein Markenbügeleisen, das man woanders für 90 Dollarbekommt, kostet dort 125 Dollar. Auf diesen Preisunterschiedangesprochen, antwortete ein Sprecher des Unternehmens:Dadurch, dass man die Dinge nicht nur anbiete, sondern auchnoch zeige, wie man sie verwendet, biete man dem Kundeneinen zusätzlichen Wert. Klickt man zum Beispiel auf das Bü-geleisen, erfährt man, wie man ein Hemd bügelt. Bezahlen dieKunden für diese Information? Oder weil es bequem ist, dasBügeleisen von zu Hause aus zu bestellen? Oder weil ihnen derMarkenname Martha Stewart etwas bedeutet? Jeder der dreiGründe könnte zutreffen – vielleicht treffen auch alle drei zu. Inder New Economy definiert sich Wert immer stärker durchnicht-greifbare Komponenten.

Der richtige Ansatz für gemeinnützige Institutionen:Mission, nicht Markt

Aktuell gibt es in den USA über eine Million gemeinnützigeInstitutionen, die insgesamt über zehn Prozent der Wirtschaftausmachen und ein Vermögen von geschätzt zwei BillionenDollar kontrollieren. Doch der Sektor ist nicht allein wegenseiner Größe wichtig, sondern auch deswegen, weil er zentraleAufgaben in unserer Gesellschaft erfüllt.

Jedes einzelne Unternehmen und der produzierende Sektorals Gesamtheit haben ein vitales Interesse daran, dass die ge-meinnützigen Institutionen ihre Aufgaben erfüllen. Wir ver-trauen ihnen die Kindererziehung und das Gesundheitswesen

Page 52: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

54

an, sie fördern die Kunst, schützen die Umwelt und kümmernsich um Bedürftige. Und doch sind sich viele erfahrene Managerund Freiwillige in diesem Sektor einig, dass der alte Witz dieSache ziemlich genau trifft: Eine gemeinnützige Institution zuleiten ist etwa so einfach, wie einen Sack Flöhe zu hüten.

Warum sind gemeinnützige Institutionen dafür berüchtigt,kaum führbar zu sein? In gewisser Weise haben es Manager vongewinnorientierten Organisationen leicht, denn ihre Aufgabebesteht darin, einen messbaren ökonomischen Wert zu schaffen.Aber wie misst man Wohlfahrt? Betrachten Sie einmal denWert, den Habitat for Humanity International geschaffen hat.Die Organisation hat seit ihrer Gründung 1976 dazu beigetra-gen, dass über eine halbe Million Leute in aller Welt ein Dachüber dem Kopf haben. Habitats Mission lautet, menschenwürdi-ge Wohnverhältnisse zu schaffen, indem man armen Leutenhilft, einfache, anständige und erschwingliche Häuser für sich zubauen. Die Häuser werden von Freiwilligen gemeinsam mit denzukünftigen Besitzern errichtet. Erfahrene Profis beaufsichti-gen die Arbeiten, örtliche Händler stiften Baumaterial. DerGroßteil der Bauarbeiten findet an den Samstagen statt, so dassjedes einzelne Projekt sich über Monate hinzieht. Offenkundigist das nicht die effizienteste Methode, Häuser zu errichten.

Doch Habitat schafft nicht nur den Wert, der in den Häusernsteckt – und die Mission lautet auch gar nicht, auf wirtschaftlicheffiziente Weise Wohnraum zu schaffen. Sonst wäre es fürHabitat wahrscheinlich günstiger, Spenden zu sammeln und dieHäuser von Baufirmen errichten lassen. Aber ein wichtigerAspekt von Habitats Mission heißt »Partnerschaft«: Wenn derEinzelne sich in die Gemeinschaft einbringt und etwas zumWohlstand anderer Leute beiträgt, dann ist das auch etwas wert;es entsteht soziales Kapital.

Dieser Aspekt ist Habitat ebenso wichtig wie die Häuserselbst. Ein Mitarbeiter erklärt: »Das Ziel sind nicht die Häuser,sondern die Leute, die bei deren Bau mithelfen, die Familien, die

Page 53: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

55

darin wohnen werden, die Gesellschaft, der sie angehören, und[die Freiwilligen], die sich auf so vielfältige Weise einbringen.«Die Leistung von Habitat lässt sich an der Zufriedenheit derBeteiligten ablesen: der Spender, der Freiwilligen, der neuenHauseigentümer. Wenn eine dieser Gruppen nicht mehr glaubt,dass Habitat einen Wert schafft, wandert sie ab. Doch die Signa-le, die eine gemeinnützige Institution aus ihrem Wirkungsfelderreichen, sind nicht so stark wie die Marktkräfte, die auf einUnternehmen einwirken und es zwingen, den geschaffenenWert zu maximieren. Gut geführte gemeinnützige Institutio-nen stehen vor einer schwierigen Aufgabe: Sie müssen sichselbst Disziplin auferlegen. Die Mission muss immer an obers-ter Stelle stehen.

Auch gemeinnützige Institutionen haben sich mehrerescheinbar einfache Fragen zu stellen: »Wie lautet unsere Missi-on?«, »Welchen einzigartigen Wert schaffen wir?«, »Wer unter-stützt uns bei der Erfüllung unserer Aufgabe« und »Wie kön-nen wir die Interessen unserer Förderer mit unserer Missionvereinbaren?« Nicht der »Kunde«, sondern die Mission ist derLeitstern. Die Frage, was der »Kunde« will, führt eine gemein-nützige Institution unter Umständen auf den Holzweg. Diesillustriert das Beispiel des Bronx Zoo in New York.

Nichts zieht so viele Zoobesucher an wie ein knuddeligerPandabär. Doch der Bronx Zoo, einer der besten Zoos der Welt,hält keine Pandas mehr. Bedeutet das, dass der Zoo nicht so vielWert schafft wie möglich? Die Antwort auf diese Frage hängtdavon ab, welchen Wert der Zoo überhaupt schaffen will. Unddas wiederum hängt davon ab, zu welchem Zweck der Zooursprünglich errichtet wurde.

1895 gründete sich die New York Zoological Society. DerVerein setzte sich zum Ziel, einen Zoo anzulegen, wilde Tiere zuschützen und der Öffentlichkeit Wissen zu vermitteln. Wennman die Geldgeber des Zoos als seine »Kunden« betrachtet,dann gehört die Stadt New York sicherlich dazu. In den 1980ern

Page 54: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

56

regierte dort Ed Koch als Bürgermeister, und der schillerndePolitiker glaubte, seine Popularität würde steigen, wenn der ZooPandas hielte. Also bettelte er jahrelang in Peking, bis er endlichein Paar dieser putzigen Kreaturen bekam. Dem Zoo blieb nichtsanderes übrig, als die Bären anzunehmen.

Doch dann setzte in Wissenschaft und Politik ein Umdenkenin der Panda-Frage ein. Es gibt nur noch etwa tausend Exempla-re dieser Spezies, und die Population lässt sich nur sehr schwererhöhen, weil die Weibchen nur einmal jährlich fruchtbar sind.Als das Weibchen, das Ed Koch nach New York geholt hatte, inseine fruchtbare Phase kam, passierte nichts, weil das Männ-chen noch nicht geschlechtsreif war. Eine gute Chance, die Po-pulation zu erhöhen, ging verloren.

1993 änderte der Verein, der den Bronx Zoo betreibt, seinenNamen in Wildlife Conservation Society. Diese Umbenennungdiente als nützliche Erinnerung an die Mission des Vereins undsetzte gleichzeitig die Erhaltung gefährdeter Arten an obersteStelle. Der Zweck, die Mission des Vereins besteht darin, gefähr-dete Arten zu retten. Unterstützung durch die Öffentlichkeitund die Förderung der Forschung sind nur Mittel zu diesemZweck. Und der Panda gehört zu den gefährdeten Arten. Deswe-gen mussten die Führungsorgane des Vereins eine schwierigeEntscheidung treffen. Einerseits konnte man dadurch, dass manPandas im Zoo hielt, Unterstützung in der Öffentlichkeit ge-winnen. Manche Leute behaupten, dies sei das ausschlaggeben-de Argument, denn der Mensch schütze nur, was er auch liebe.Doch die Führung des Vereins entschied sich anders: Solange dieWissenschaftler der Ansicht sind, dass ein in der Bronx gefan-gener Panda dem Erhalt der Art eher schadet als nützt, so langeverzichtet der Bronx Zoo auf Pandas.

Bei der Lösung kniffliger Grundsatzfragen können die Füh-rungskräfte gemeinnütziger Institutionen nur dann auf Spurbleiben, wenn sie immer an die eigentliche Mission der Organi-sation denken.

Page 55: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

57

Gemeinnützige Institutionen sind schwer zu führen, weilihnen das eindeutige Feedback fehlt, den Unternehmen durcheinen zahlenden Kunden bekommen. Bei den meisten gemein-nützigen Institutionen sind Zahler und Nutznießer nicht iden-tisch. Deswegen kann es hilfreich sein, für die Organisationwichtige Gruppen als »Kunden« zu betrachten. Doch es kannauch in die Irre führen.

Betrachten Sie einmal das Amerikanische Rote Kreuz. Mehrals die Hälfte aller Blutspenden in Amerika läuft über dieseOrganisation. Wer ist der Kunde des Roten Kreuzes? Das Kran-kenhaus, das die Konserve verwendet? Der Spender, der denArm freimacht? Bis in die 1980er war diese Frage unwichtig.Wie alle gemeinnützigen Institutionen, die von der Großzügig-keit von Spendern leben, konnte auch das Rote Kreuz alle wich-tigen Beteiligtengruppen – Spender, freiwillige Helfer, Nutznie-ßer – als Kunden betrachten. Man bemühte sich darum, Blut-spenden so attraktiv wie möglich zu machen, so dass sich dieLeute an den regelmäßigen Blood Drives (Massen-Blutspende-aktionen) gerne beteiligten. Auf den Blood Drives herrschteeine fröhliche Stimmung der Gemeinschaftlichkeit, die auf je-den abfärbte.

Doch die Welt hat sich verändert. Seit dem Aufkommen vonAids wurde die Sicherheit von Blutkonserven zum oberstenGebot. Daraus erwuchs die Notwendigkeit, sich die Spendergenauer anzusehen. Spendenbereite Leute aus Risikogruppenmussten abgewiesen werden. Gleichzeitig befanden sich Kran-kenhäuser unter intensivem Druck, die Kosten zu senken. Blutwar (und ist) ein wichtiger Posten im Budget. Dies zwang dasRote Kreuz, sich seiner Kosten bewusster zu werden. Kleinere,schwach besuchte Blood Drives wurden eingestellt. Nicht alleSpender waren über diese Veränderungen glücklich.

Eines war klar: Um seine Mission in einem verändertenUmfeld weiter zu erfüllen, musste das Rote Kreuz die kritischeUnterscheidung zwischen einem Kunden und einem Spender

Page 56: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

58

treffen. Dies erlaubte dem Roten Kreuz, die Blutspender auseinem anderen Blickwinkel zu betrachten. Blutspender warenjetzt keine Kunden mehr, sondern »Zulieferer«. Man benötigtealso eine Art Supply Chain Management.

In diesem Beispielfall machten Kräfte, die mit Marktkräftendurchaus vergleichbar waren, Veränderungen unvermeidlich.Regulierungsbehörden schrieben strikte Standards für Blut-Management vor, und Krankenhäuser begannen, sich zuneh-mend wie echte Kunden zu benehmen und Druck auf die Kostenauszuüben. In anderen Worten: Das Rote Kreuz wurde gezwun-gen, Wert durch einen Blick von außen zu definieren.

Die meisten gemeinnützigen Institutionen unterliegen kei-nen so starken Einflüssen von außen – allerdings tendierenGeldgeber zunehmend dazu, einen verantwortlicheren Umgangmit den Mitteln einzufordern. Auch die Finanzierung durchstaatliche Gelder hängt immer stärker von der Leistung derInstitutionen ab. Trotzdem: Solange es keine strenge Diszipli-nierung durch Marktkräfte gibt, muss das Management vongemeinnützigen Institutionen sich immer die Mission vor Au-gen halten, um die Perspektive von außen zu bewahren.

Wert ist ein System

Das Kapitel begann mit der Behauptung, die vordringlichsteAufgabe der Manager bestehe darin, Wert zu schaffen. Ob siedieser Verantwortung gerecht wurden, beurteilen nicht sieselbst, sondern Leute außerhalb der Organisation: Menschen,die jeden Tag, Jahr für Jahr, frei darüber entscheiden, ob sie dieOrganisation weiter unterstützen.

Es gehört vielleicht zu den wichtigsten Aufgaben des Mana-gers, festzulegen, wer die relevanten Außenstehenden sind. Wiegezeigt, ist es bei gewinnorientierten Unternehmen normaler-weise viel einfacher, die relevanten Außenstehenden zu ermit-

Page 57: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

59

teln als in gemeinnützigen Institutionen. Doch auch im Ge-schäftsleben repräsentieren die Kunden nicht die einzige Grup-pe, nach der sich ein Manager zu richten hat. Im wirklichenLeben hängt der Erfolg jedes Unternehmens von den verschie-densten Interessengruppen ab, die jede wiederum Wert andersdefiniert.

Für Aktionäre und andere Geldgeber zählt allein der in Geldmessbare Wert; dieser lässt sich leicht ermitteln. Für die Be-schäftigten eines Unternehmens sieht die Rechnung schon kom-plexer aus: Einerseits schätzen sie hohe Löhne und betrieblicheZusatzleistungen, die sie heute bekommen, andererseits legensie auch Wert auf Weiterbildung oder Aktienoptionen, also Din-ge, deren Wert sich erst in der Zukunft zeigt. Auch nicht-wirtschaftliche Faktoren spielen für die Arbeitskräfte eine Rolle,zum Beispiel Zufriedenheit mit dem Job, Status oder Stolz.Zulieferer wiederum interessieren sich natürlich für den Ver-kaufspreis ihrer Produkte, legen aber vielleicht ebenso großenWert auf langfristige Geschäftsbeziehungen oder die Möglich-keit, an der Entwicklung modernster Techniken teilzuhaben.

Die Herausforderung besteht nun für das moderne Manage-ment darin, sicherzustellen, dass alle notwendigen Gruppenfreiwillig an dem System teilnehmen, das man benötigt, umWert für alle Beteiligten zu schaffen. Der Begriff der ValueCreation beinhaltet ein neues Verständnis des Begriffs Leis-tung: Leistung wird jetzt als etwas definiert, das innerhalb einesSystems erbracht wird. Zum Begriff der Value Creation gehörteinerseits Streben nach Effizienz (wie schon zu Zeiten der In-dustrialisierung) und andererseits Kundenorientierung, die sichin Qualität und Breite der Produktpalette niederschlägt. Darüberhinaus umfasst der Begriff auch noch die anderen Interessen-gruppen (Aktionäre, Beschäftigte usw.), die für den Managerwichtig sind. Der Begriff ist also sehr breit gefasst; aber genaudas macht ihn so nützlich.

Im nächsten Kapitel untersuchen wir, wie Geschäftsmodelle

Page 58: basic MANAGEMENT - Datei steht im Moment nicht zur ......ten Sie dieses Buch als Antwort auf all das, was Sie schon immer über Management wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

60

dabei helfen, das System zu verstehen und zu steuern, in demWert geschaffen wird. Es wird sich zeigen, dass ein Geschäfts-modell wie eine Maschine funktioniert, mit der man Erkennt-nisse in Unternehmungen umwandelt.