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Beer, Ellen J. 1983 Marginalien Zum Thema Goldgrund (Ocr)

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1 . Zürich, Schweiz. Landesmuseum. Graduale aus St. Katharinenthal, vor 1 3 1 2, fol. 157r.

E l l e n J . B e e r

Marginalien zum Thema Goldgrund

H e i n z R o o s e n - R u n g e z u m G e d e n k e n

Mehr als nur Anmerkungen zu einem sehr kom­plexen Thema vermögen wir an dieser Stelle nicht zu geben*. Immerhin wagen wir den Versuch, einige Überlegungen vorzutragen, deren Ziel es sein sollte, das Gespräch über das Phänomen des mittelalterlichen Goldgrundes wieder zu beleben, das bis heute noch keine verbindliche Gesamtdar­stellung erfahren hat; Ansätze dazu sind immer­hin vorhanden 1, Studien zu T eilaspekten2 liegen vor. Wir haben uns aber bewußt zu machen, daß,

* Der Aufsatz stellt die erweiterte Fassung eines Refe­rats dar, das am 21 . September 1 982 anläßlich des Deut­schen Kunsthistorikertags in der Sektion »Bildkünste im Mittelalter« unter der Leitung von Reiner Haussherr in Kassel gehalten wurde.

näher besehen, eine wissenschaftlich eindeutige Umschreibung des Phänomens, insbesondere dessen, was der Goldgrund seinem künstlerischen

1 J. Bodonyi, Entstehung und Bedeutung des Gold­grundes in der spätantiken Bildkomposition, Diss. Wien (Maschinenschrift) 1 932. - H. Dannenberg, Die farbige Behandlung des Tafelbildes in der alt­deutschen Malerei von etwa 1 340 bis 1 460 unter be­sonderer Berücksichtigung des Mittelrheins, Diss. Frankfurt 1926, erschienen Karcag 1 929. - W. Braunfels, Nimbus und Goldgrund, Das Münster 3 , 1 950, S . 321-334 (neu erschienen in ders. , Nimbus und Goldgrund - Wege zur Kunstgeschichte 1 ?.49-1 975, Mittenwald 1 979, S. 9-27. ) - W. Schöne, Uber das Licht in der Malerei, Berlin 1 954 (4. Aufl. 1977).

2 P. J. Nordhagen, Gli effetti.Prodotti all'uso dell'oro, defl'argento e di altri matenali nell' arte musiva dell'

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Wesen nach ist, nicht etwa was er kraft des in ihn hineingelegten Sinngehalts bedeutet, noch aus­steht. Es geht hier folglich primär um den Gold­grund als Bildelement.

Dabei wird der Akzent nicht auf das verlegt, was Dagobert Frey beispielsweise mit »ideeller Reali­tät«, dem geistigen Inhalt, gemeint hat, sondern auf die »objektive Realität« des Materials, die Prä­senz des Goldes im Bild3, denn es ist nicht zu leug­nen, daß das Goldmetall als künstlerischer Faktor in Erscheinung tritt. Wie das geschieht, wie diese Materie vom Maler in das Bildganze eingebracht wird, darin liegt, so glauben wir, für die künftige Forschung ein nicht unwesentliches Kriterium zur Neudefinition des Phänomens. Ein Gesichts­punkt, der in jeder Diskussion um den Goldgrund zur Sprache gebracht wird, darf hier nicht uner­wähnt bleiben: Alois Riegl4 hat 1901 den Gold­grund als »idealen Raumgrund« mit Ausdehnung »in die unendliche Tiefe« definiert5; seither hat die Forschung diese Vorstellung von Tiefenräumlich­keit nahezu vorbehaltlos akzeptiert und von einer Kunsthistorikergeneration zur anderen weiterge­reicht. So konnte etwa Wolfgang Braunfels den Goldgrund als »überirdischen Ort der Erschei­nung des Heiligen« beschreiben6, der »Raum erahnen« läßt und »eine neue Dimension eröff­net«, so daß das Geschehen »ins Zeitlose ent­rückt« wird. Bei Wolfgang Schöne bewahrt er ein »geheimnisvoll räumliches Moment</, für Walter Ueberwasser enthält er »verdichtete Raumtiefe8«, und selbst in der Negation von Hans Jantzens ot­tonischem »Un-Raum« oder in der gegen Riegl und Jantzen gerichteten Kritik von Kurt Badt9 klingt »Über-Räumliches und Über-Zeitliches« bzw. »Ürtshaftes« an. Auch in der vielleicht um­fassendsten Stellungnahme zum Thema, der 1932 in Wien entstandenen Dissertation von Josef Bo­donyi10, wird trotz der gegen Riegl erhobenen Einwände das Gold als abstrakter Farbwert in ei­ner »unbestimmten Mittelzone des Bildes« und -ausgesprochen impressionistisch - als »Andeu­tung des Lichtraumes« umschrieben, eine Defin­ition, die indessen sogleich als »nicht schlechthin allgemeingültig« eingeschränkt wird 11• Wir kom­men auf diese Raum-Frage noch zurück. Gerade die Arbeit von Bodonyi macht jedoch klar, wie schwer es der Forschung fällt, bei dem heiklen Gegenstand zwischen farbmaterieller Erschei­nungsweise und der - emotional geprägten - In­haltsdeutung des Goldgrundes analytisch sauber zu unterscheiden. Wie selbstverständlich das Ge­staltete in der Exegese des Betrachters zum sakra­len Sinnbild transzendiert, das »de materialibus ad

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immaterialia excitans«, war schon der mittelalter­lichen Geisteswelt bewußt. Zu rügen bleibt nur, daß in der Forschung über diesem unbestrittenen, zudem farbpsychologisch motivierten Aspekt der nicht weniger effiziente formal-handwerkliche, damit der materielle des bearbeiteten Goldes, bis­her allzu sehr in den Hintergrund trat. Die Folge ist nicht nur eine spürbar einseitige Betrachtungs­weise, die jedes weiterführende Gespräch über

alto medioevo, in: Colloqui del sodalizio, Seconda serie n. 4, 1 973/74, Roma, S. 143-1 55. - B. Brenk, Die ersten Goldmosaiken der christlichen Kunst, in »Palette« 33 , 1 971 (ed SANDOZ AG), S. 1 6-126. -B. Rau, Die ornamentalen Hintergründe in der fran­zösischen Buchmalerei, Diss. Tübingen, Stuttgart, 1 975, S. 28, 29, 32f, 1 14-1 1 8. -J.- Chr. Klamt, Zum Berliner Diptychon aus St. Georg in Köln, in »Vor Stefan Lochner, Die Kölner Maler von 1300-1430«, Colloq_uium, Köln 1974, ersch. als Begleitheft z. Wallraf-Richartz- Jb. 1 977, S. 60f. - M. Frinta, On the Relief Adornment in the Klarenaltar and other Paintings in Cologne, daselbst, S. 1 3 1-1 39. - Ders. , Raised Gilded Adornment of the Cypriot Icons, and the Occurence of the Technique in the West, Gesta 20, 198 1 , S. 333-347. - Ders. , The puzzling raised decorations in the paintings of Master Theodoric, »Simiolus« , Netherlands quarterly for the history of art 8, 1 976. - K. Möseneder, Laeides vivi, über die Kreuzkapelle der Burg Karlstein, Wiener Jb. f. Kunstgeschichte 34, 1 98 1 , S. 39-69.

3 D. Frey, Kunstwissenschaftliche Grundfragen, Wien 1 946 (2. Aufl. Darmstadt 1 977), S. 38f. -Ders. , Bausteine zu einer Philosophie der Kunst, Kunst und Sinnbild, Darmstadt 1 976, S. l 40ff.

4 Riegl hat sich zu der Frage nur beiläufig in größerem Zusammenhang geäußert.

5 A. Riegl, Die spätrömische Kunstindustrie, Wien 190 1 , 2. Aufl. 1 927, S. 14: »In diesem Lichte be­trachtet erscheint auch der Goldgrund der byzanti­nischen Mosaiken als ein Fortschritt gegenüber dem blauen Luftgrund der römischen Mosaiken. Denn dieser ist stets die Ebene geblieben, aus welcher die Einzeldinge, durch verschiedene Färbung (Poly­chromie) kenntlich, herauswachsen . . . Der Gold­grund der byzantinischen Mosaiken hingegen, der den Hintergrund im allgemeinen ausschließt und da­mit zunächst einen Rückschritt zu bezeichnen scheint, ist nicht mehr Grundebene, sondern idealer Raumgrund, welchen die abendländischen Völker in der Folge mit realen Dingen bevölkern und in die unendliche Tiefe ausdehnen konnten«.

6 Braunfels, wie Anm. 1 , S. 9, 23. 7 Schöne, wie Anm. 1, S. 22 ff, 50. 8 W. Ueberwasser, Deutsche Architekturdarstellung

um das Jahr 1 000, Festschrift für Hans J antzen, Ber­lin 1 95 1 , S. 5 1 /52.

9 K. Badt, Raumphantasien und Raumillusionen, Köln 1 963, S. 97, 1 1 8 , insbesondere S. 1 71 f.

10 Bodonyi, wie Anm. 1. Zitiert wird nach der Maschi­nenschrift S. 2-16, 121-154.

11 Bodonyi, wie Anm. 1, S. 1 1 5; ferner S. 30f, 75f, SO ff, 1 07, wichtig S. 1 09f (Goldgrund als » Verdich­tungsfläche«), 1 1 7 (Funktion und Bedeutung des Goldgrunds von Epoche zu Epoche verschieden).

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den Goldgrund erschwert; es zeigt sich, daß un­sere Vorstellung von der Verwendung des Goldes als Darstellungsprinzip mittelalterlicher Malerei vage ist und unsere Begriffsbestimmung unscharf. Wo sich jedoch in Einzelstudien der letzten Jahre12 gedankliche Neuansätze abzeichnen, wird vermehrt der technischen, der formalen Behand­lung des Goldgrundes Beachtung geschenkt, und es wird schon jetzt ersichtlich, daß ein solches Vorgehen erfolgversprechend ist.

Auch meine eigenen Untersuchungen setzen die materiellen Gegebenheiten des Goldgrundes vor­aus, wobei ich drei Aspekte anvisierte und sie als Thesen hier vorlege: 1 . Der Goldgrund ist vorran­gig Materie, 2. er behält seinen Materiecharakter das ganze Mittelalter hindurch unverändert bei, 3. er war wohl zu keiner Zeit ein raumhaltiges Bilde­lement. Anregung und Ausgangspunkt meiner Studien

waren Miniaturen des Graduale aus St. Katharin­enthal von 131213, eines Meisterwerks der Domi­nikanermystik im Bodenseeraum, in Konstanz entstanden. Die feinabgestuften, sanftleuchten­den Farbwerte der stillen, lieblichen Figuren er­halten durch den Goldgrund sakrale Würde. Von ihm geht die vereinheitlichende Bildwirkung aus, die Einbindung auch des szenisch Bewegteren oder farblich Differenzierteren in die goldene »Fassung«. Der Goldgrund ist hier auf Hoch­glanz poliert und wölbt sich über dem dicken Po­liment stark hervor, wodurch seine Fähigkeit, Licht zu reflektieren, schön zur Geltung kommt und den Metall-, d. h. den Materiecharakter des Goldes besonders einsichtig macht.

Wir greifen ein Beispiel heraus, es ist nicht das einzige: Auf fol. 1 57r gibt die Initiale S (tatuit ei dominus) eine Darstellung des im Grabe liegen­den Nikolaus von Myra und Bari (Abb. 1 ). Ein großes goldener Kelch steht auf seiner Brust, er ist mit weißem Umriß direkt auf den Goldgrund ge­malt. Am Fußende des Sarkophags kniet eine Do­minikanerin und fängt mit gelbem Kelch das hier hervorquellende Wasser auf14• Der Legende zu­folge dürfte der Goldke��h auf der Brust des Ni­kolaus das wunderbare 01 bergen, das zu Häup­ten des Heiligen entsprang15• Das die Figuren umgebende Gold ist offensicht­

lich mehrdeutig: einerseits bedeckt es die ganze Bildfläche, andererseits genügt dem Maler schon eine gezogene weiße Umrißlinie, um aus der Flä­che einen Kelch herauszuheben. So kann er aber nur verfahren, wenn er von allem Anfang an im Werkstoff Gold nur die Materie, und nichts ande­res als sie, gesehen hat. Indessen weiß er auch um

ihre Wertigkeit und den damit verbundenen Sinn­gehalt, denn er setzt das kostbare Metall ganz ge­zielt nur dort ein, wo in den Dingen ein Übersinn­liches, Wunderbares zum Ausdruck gebracht werden soll. Der Kelch in der Hand der Nonne ist ein rein zweckgebundener Gegenstand, der aus­schließlich der Sichtbarmachung des geschehenen Wunders dient; er nimmt das Quellwasser auf, hat aber am Wunder selbst nicht teil, kann folglich gelb gemalt werden16• Wenn wir einmal diesen Unterschied kennen, dann verstehen wir auch, weshalb der Künstler bei der Darstellung von Ge­genständen Gold (in bekannter Art mit weißem Umriß) nur sporadisch verwendet und in wel­chem Kontext er es einsetzt: etwa beim Kelch der Maria Ecclesia (mulier amicta sole) (fol. 1 58a verso, 258v), bei den 7 Leuchtern der apokalypti­schen Vision (fol. 158v) oder den Grabtüchern Christi (fol. 1 02r). Was jedoch vorerst spekulativ anmutet, findet im Graduale in einer Miniatur aus dem legendären Vitenzyklus des Evangelisten Jo­hannes Bestätigung. Ab fol. 158v schmücken zahlreiche kleine Initialen mit Legendenszenen die Johannes-Sequenz; auf fol. 160r verwandelt der Jünger für zwei Jünglinge (nicht wiedergege­ben), die seinetwegen ihr ganzes Besitztum ver­kauft haben und dies nun bereuen, Steine in Edel­steine und Zweige in Gold17 (Abb. 2). Die Initiale Q(uo iubente) zeigt diese Wunderszene, und es ist tatsächlich »Gold«, in das Johannes die Zweige verwandelt, denn sie sind wieder mit weißem Umriß auf den Goldgrund gemalt, teilhaftig sei­ner Materie.

Die vorgeführten Miniaturbeispiele erlauben nun die erste unserer Thesen aufzustellen: 1 . Im Goldgrund gestaltet der Maler vorrangig Materie. Die Zweckbestimmung des Kunstwerks ist im Mittelalter eine zwar anagogische, das sicht­bare Bild erschließt einen höheren Sinn, aber es besteht doch aus irdischem Stoff, dienstbar der Funktion, die es zu erfüllen hat. Im Hinblick dar­auf wählt der Künstler das Material Gold, das er

12 Wie Anm. 2. Man sehe vor allem die Arbeiten von Frinta und Möseneder.

13 Faksimileausgabe, Luzern 1980. Kommentar 1983. 14 J.?-cobus de Voragine, Legenda aurea, deutsche

Ubersetzung von R. Benz, Jena 1917, Bd. I, Sp. 40. 15 Legenda aurea I, Sp. 42f. 16 Alle Dinge des täglichen Gebrauchs, alles Mobiliar

etc. sind m der Handschrift in gelber Farbe ausge­führt.

17 Legenda aurea I, Sp. 87f. Als einer der ersten Auto­ren überliefert Klemens von Alexandrien das legen­däre Ereignis in »Quis dives salvetur« 42.

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2. Zürich, Schweiz. Landesmuseum. Graduale aus St. Katharinenthal, vor 1312, fol. 160r.

auch nach Art der Goldschmiede verarbeitet18• Nun ist Gold bekanntlich ein edler Werkstoff, ein Stoff von hoher »nobilitas«, ein luminoses Metall, und allein schon deshalb in seiner Schönheit und Lichthaftigkeit dem göttlichen Sein näher als an­dere Stoffe, was aus der Lichtmetaphysik eines Grosseteste oder eines Witelo deutlich hervor­geht 19. Wolfgang Schöne hat am Beispiel der Hil­degard von Bingen gezeigt20, wie eng das Gold­glanz-Phänomen mit der Vorstellung vom wah­ren göttlichen Licht im neuplatonischen Sinn ver­bunden ist. Somit liegt der Schluß nahe, daß sich materielle Wertigkeit des Goldes und sein trans­zendierender Sinngehalt, die künstlerische und die geistige Komponente, wechselseitig bedingen, d. h. daß ein kausaler Zusammenhang zwischen Ausdrucksmittel und Inhalt besteht, denn latent ist in der Materie Gold doch auch immer ein Nu­minoses enthalten, das Deutung nahelegt, ohne indessen die Materie an sich in Frage zu stellen: »Omnis visibilis pulchritudo invisibilis pulchritu­dinis imago est« (Scotus Eriu�ena). In einer anre­genden Studie »Lapides vivi«2 vertritt Karl Möse­neder bei Erörterung von » Versinnlichung und Materialisierung«, der Verwendung kostbarer Werkstoffe in der mittelalterlichen Architektur,

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eine ähnliche, uns hier besonders interessierende Theorie; sie besagt, daß »lebendige Gestalt und •echte< Stofflichkeit das (im Bild) Gemeinte mit­teilen«. Das Bild muß somit »eine materielle Qua­lität« besitzen, die »Wörtlicher und sinnlich kon­kreter dem Gemeinten entspricht«22, was sich zu­mal in der Kunst des 14. Jahrhunderts (etwa im Umkreis des Meisters Theoderich von Prag) be­merkbar macht. Hier kennt man » Verismen ge-

18 Handschriften, wie etwa der gegen Mitte des 13. Jahrhunderts entstandene Psalter Rh. 167 in Zürich oder das aus Weingarten kommende Bertholdmis­sale, M 710 der Pierpont Morgan Library in New York, zeigen in der Ornamentik, im Dekor deutli­che Entlelinungen aus dem Ornamentbestand maas­ländischer Goldschmiede. E. J. Beer, Der »Rhein­auer Psalter«, ein Werk des Zackenstils in Bayern, in: Studien zur Buchmalerei und Goldschmiede­kunst des Mittelalters, Festschrift f. K. H. Usener zum 60. Geburtstag 1965, Marburg 1967, S. 254ff. -H. Swarzenski, The Berthold Missal, New York 1943, S. 51f. Siehe dazu auch die Anm. 19.

19 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 56-69, gute Übersicht der wesentlichsten Aussagen mittelalterlicher Scho­lastik. - E. De Bruyne, Etudes d'esthetique medie­vale III. 3, Brügge 1946, La luminosite de Ja matiere, S. 16ff, zu »noOilitas«, S. 9, zu Witelo, De intelligen­tiis, S. 19, 239ff, 246, 248ff. Zu Grosseteste, S. 2tf. - Ders„ L'Esthetique du Moyen age, Louvain 1947 (Zusammenfassung der Ausgabe von 1946 ), S. 75, 76 über die »beaute physique« des Goldes, S. 84f, über die »pulchritudo materialiter«, S. 103f, Hugo von St. Victor, Lob der Materie, die Gott so scnön ge­schaffen hat, S. 127 über die Farben bei Witelo, S. 147 zur objektgebundenen Schönheit bei Hugo von St. Victor, S. 177, Materievorstellung bei Bonaven­tura, S. 178, Thomas von Aquin, Ziel des Künstlers ist es, nicht ein schönes Werk zu schaffen, sondern es in der Materie zu realisieren, „finis aedificationis est aedificium constructum«, die Aussage der Mate­rie im Kunstwerk ist entscheidend, nicht die Inten­tion des Künstlers: '" . . quale sit opus quod facit, non qua voluntate opus facit«, S. 179ff, zur techni­schen Ausbildung des Künstlers S. 210ff. - Witelo, De intelligentiis, ed. C. Baeumker, Beiträge zur Ge­schichte der Philosophie im Mittelalter, 3.1/2, Mün­ster 1908, S. 357ff, S. 398ff.

20 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 7tf. 21 K. Möseneder, wie Anm. 2. 22 K. Möseneder, S. 63. Wenn der Autor in der Kreuz­

kapelle von Karlstein eine Verbildlichung der »eccle­sia triumphans« vermittels »Edelsteininkrustation« und »Edelsteinmalerei« erblickt, ist dem nur zustim­men. Wichtig für unsere Zwecke die Feststellung, daß solche Verwirklichung »nur noch mit Hilfe der Malerei möglich (ist), d� die angestrebte hohe mate­riale und gestalterische Ubereinstimmung mit den li­terarisch-theologischen Vorstellungen nur mit den Mitteln der Malerei (und der Edelsteininkrustation) herzustellen war.« »Verklärte Materie und himmli­sche Klarheit . .. ist aber nur im Medium des Tafel­bildes möglich«. Wie konkret übrigens das Mittelal­ter das Gold als Material empfunden hat, belegt der

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3. Dortmund, Marienaltar des Konrad von Soest, nach 1415, Ausschnitt

stalterischer wie materieller Art«, die »gesteigerte Gegenwart und höhere Verbindlichkeit des Dar­gestellten« zu bewirken suchten. So ist es kaum verwu!?-derlich, daß im (und durch) Goldgrund auch Ubersinnliches konkret Gestalt annimmt: etwa - um nur ein Beispiel zu nennen - die in gold­schmiedehaft feiner schwarzer Zeichnung und Punzierung dargestellten fliegenden Engel auf dem Dortmunder Marientod des Konrad von Soest (Abb. 3). Nur die Köpfchen sind farbig inkar­niert, der Effekt ist derjenige einer Metallgravur. Durch Josef Bodonyi und Beat Brenk23 erfahren wir übrigens, daß schon römische Kaiserzeit und frühes Christentum sich der Wertigkeit des Gol­des24, seit dem späten 4. Jahrhundert auch des Goldgrundes, bewußt waren, »wobei nicht selten

Wertqualität sich mit Inhalt deckt«25. Uwe Süs­senbach geht in seiner Bonner Dissertation 1977 noch einen Schritt weiter : er legt dar, daß die er­sten Goldgrundmosaiken konstantinischer Bau­ten, ungeachtet des ihnen zugeschriebenen Sym­bolcharakters, von Zeitgenossen als übermäßiger

Jüngere Titurel des Albrecht von Scharfenberg GT 6147 H), wenn der Gralstempel Edelsteinmauern besitzt, die mit Goldmörtel zusammengehalten wer­den, Möseneder S. 47. Auch Augustinus, Sicardus, Durandus kennen das Bild vom Goldmörtel, S. 55. U. Engelen, Die Edelsteine in der deutschen Dich­tung des 12. und 13. Jahrhunderts, Münstersche Mittelalterschriften 27, München 1978.

23 B. Brenk, wie Anm. 2, S. 16ff. Bodonyi, S. 21ff. 24 B. Brenk, S. 18. 25 B. Brenk, S. 22 mit Bezug auf S. Maria Maggiore.

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Luxus angesehen, mitunter auch getadelt wur­den26, woraus hervorgeht, daß man sie primär als Materie beurteilte. Alles spricht dafür, daß der Goldgrund als eine Schöpfung der kaiserlichen Repräsentation erst im nachhinein mit jenem theologischen Überbau ausgestattet wurde, der bis ins Mittelalter nachwirkte.

Nun muß aber an dieser Stelle - und bevor wir unsere zweite These vortragen, ausdrücklich be­merkt werden, daß unsere bisherigen Betrachtun­gen sich nur mit dem Goldgrund der westlich­abendländischen Malerei befaßten, nicht aber mit jenem der Malerei des christlichen Ostens. Wir haben nicht die Absicht, hier auf Fragen einzutre­ten, die der Ikonenforschung längst vertraut sind27; es scheint uns aber unerläßlich, auf den im­merhin tiefgreifenden Unterschied aufmerksam zu machen, der in West und Ost die Interpreta­tion des Goldgrundes bestimmt. Das geistige Klima, in dem die Ikone der byzantinischen Male­rei geschaffen wird, ist das zutiefst spiritualisti­sche einer ganz vom neuplatonischen Erbe zeh­renden Metaphysik28. Das Dargestellte als Idee des göttlichen Urbildes ist nach Johannes von Da­maskus nur »Schatten«, »Spiegelung« oder »Sie­gelabdruck«, Emanation des Göttlichen (nach Plotin), die in keiner anderen Form als jener der Zweidimensionalität entkörperlicht und vor allem entstofflicht zu bestehen vermag29• Die geistige Transparenz der Ikone, ihre Transzendenz des Inhalts (Hilde Zaloscer spricht von »semanti­schem Zeichen«) führt zu völliger Abkehr von der Welt und ihren Dingen, Materie wird bedeu­tungslos. Körper und Raum lösen sich auf in rein -stes Licht (Malerei heißt »Erleuchtung«), für das der Goldgrund steht; Pavel Florenskij30 ruft uns in Erinnerung, daß der Name dieses Goldgrundes im Russischen »Licht« lautet, wie auch die »raz­delka« und die »assistka« (d. h. Goldlinienzeich­nung bzw. Goldschattierung), die beide nur der göttlich verklärten Person zukommen, lichtbezo­gen sind31• Einzig die »Riza« aus Edelmetall, das sog. »Hemd«, der über der Ikone angebrachte, das Heilige umhüllende Deckel, behält seinen Materiecharakter bei; die »Riza« ist etwas rein Äußerliches, ein Ding zweiter Ordnung, ist Schmuck, Dekor. Es scheint uns höchst bezeich­nend zu sein, daß gerade sie in ihrer Realitätsbe­zogenheit der westlichen Goldgrundmalerei, die diesen Bezug nie geleugnet hat, vorbildlich wurde; wir kommen sogleich darauf zurück.

Zuvor sei jedoch unsere zweite These formuliert: 2. Der Goldgrund behält seinen Materiecharakter in der westlich-abendländischen Malerei während

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des ganzen Mittelalters bei. Eine Verlagerung (auch nicht zeitweilig) in den Bereich des Irrealen, wie er mitunter angenommen wird, in die Sphäre wertfreier »Lichtwelt«, die, so Schöne, »auf die Fra�en der Fläche und des Raumes hin offen ist« 2, erfolgt - jedenfalls aus der Sicht des Künst­lers - nicht. Der materielle Aspekt nimmt durch die Oberflächenbeschaffenheit des Goldes, das durch Punzierung, Gravur oder Reliefauflage eine besondere Struktur erhält, vom 13. Jahrhundert an sogar noch zu. Der Grund wirkt dadurch sehr dicht, von außergewöhnlich realer Präsenz und bekundet allenthalben eine perfekte Handhabung des Handwerklichen, dem Goldschmiedetechni­ken exemplarisch zur Seite stehen33• Der Dekor

26 U. Süssenbach, ChristusKult und kaiserliche Baupo­litik bei Konstantin, Bonn 1 977, S. 33/34. Allgemein das Kapitel 1. 2, Kaiserlicher Glanz in der Kirche schon seit der konstantinischen Wende oder erst nach 350?, dort S. 45-63, 90-93.

27 Wir erwä4,nen u. a. nur Pavel Florenskij, Le porte re­gali (ital. Ubersetzung), Mailand 1 977. - Paul Evdo­kimov, L'art de l'icöne, De Brouwer 1 972. - V. La­zarev, Storia della pittura bizantina (ital. Ausgabe), Torino 1 967. -Eugene N. Trubetskoi, Icons, Theo­logy in color (englische Ausgabe des Textes von 1 91 6), St. Vladimir's Seminary Press 1 973. - Hilde Zaloscer, Vom Mumienbildnis zur Ikone, Wiesba­den 1 969. - Dr. Maria Huber danke ich herzlich für Hilfe beim Aufsuchen und Übersetzen slavischer Texte.

2s H. Zaloscer, wie Anm. 27 S. 32, 43, 47. 29 H. Zaloscer, S. 45, Ikone als »Semantisches Zei­

chen«, S. 46. 30 P. Florenskij, wie Anm. 27, S. 140, 1 55 , 1 72-1 72. 31 P. Florenskij, S. 144ff. Zur »Riza« S. 1 63. Getrie­

bene Edelmetallverkleidungen von Ikonen sind in der byzantinischen Kunst schon seit dem 1 1 . Jahr­hundert bekannt. - D. T. Rice, Byzantinische Kunst, München 1 964, S. 468 f. - M. Frinta, wie Anm. 2, Gesta, S. 334f. Frinta führt z. B. die große Ikone mit den Hll. Peter und Paul in der Kathedrale von Novgorod auf Vorbilder aus Konstantinopel zurück und datiert um 1050. Im 12. Jahrhundert werden die Beispiele zahlreicher: hier kann die »Riza« der Madonnenikone von Tekali (Tiflis, Mu­seum) erwähnt werden, abgebildet im Ausstellungs­katalog »Der Meister des Dreikönigenschreins« , Köln 1 964, Abb. 1 . - P . Evdokimov, wie Anm. 27, s. 160.

32 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 25. »Der Goldgrund ist als Spender eines irrealen Lichtglanzes auf Clie Phä­nomene des Raumes und der Fläche hin offen. Das gleiche dürfte auch von der Formen- , Farben- und Lichtwelt der ottonischen Malerei überhaupt gelten: Sie ist auf Fragen des Raumes und der Fläche hin of­fen, ein Phänomen, das wohl auchJantzen zu seinem Begriff »Un-Raum« geführt hat . . . «. S. 252ff.

33 H. Dannenberg, wie Anm. 1 , S. 66ff, Beziehung zur Goldschmiedekunst S. 49, 53. - B. Rau, wie Anm. 2, s. 28f, 32f, 1 14ff, 1 1 8.

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4. Zürich, Zentralbibliothek. Graphische Sammlung, Ms. Rh. 167, fol. 87r.

paßt sich dem jeweils stilbedingten Erscheinungs­bild der Malerei an34•

Noch die ottonische Kunst hatte durch Verwen­dung vorwiegend von Muschelgold der Fläche eine eher unbestimmte, seidig schimmernde Tö­nung gegeben, die ein oszillierendes Aufleuchten, das aus der Materie selbst zu kommen scheint, er­zeugt. Wolfgang Schöne hat diesen Effekt (in der Reichenauer Buchmalerei gut zu beobachten) sehr treffend als »Eigenlicht«, im Vergleich zur Farbe »mit höherer Potenz« beschrieben35• Der Unter­schied zur spiegelnden Goldglanzfläche der Gotik ist eklatant: denn während ottonischer Gold­grund einen zarten Übergang zur Farbe bewirkt, treffen in der Gotik goldene und farbige Partien schroff aufeinander, gesteigert noch durch die un­gebrochenen blauen und roten Farbwerte36•

Etwa zur gleichen Zeit setzt die Bearbeitung der Goldoberfläche mit Punze, Stichel oder plasti­scher Auflage ein37, wir erwähnen als ein frühes Beispiel die Miniaturen des schönen Psalters des Robert de Lindesey (London, Society of Antiqua-

5. Sinai, Katharinenkloster. Linker Flügel eines Triptychons, 12./13. Jh.,

Ausschnitt (nach K. Weitzmann)

ries), der zwischen 1214 und 1222 in Peterbo­rough entstanden ist. Ein Werk aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, der wohl im Umkreis der Re­gensburger (oder Salzburger?) Buchmalerei anzu­siedelnde Psalter Rh. 167 in Zürich38, zeigt die

34 H. Dannenberg, S. 53-57. 35 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 25. - Diese ottonische

Licht- und Farbenwirkung kann gut am Lektionar M. p. th. q.5 der Universitätsbibliothek in Würzburg beobachtet werden, abgebildet bei H. Roosen­

Runge, Zur Geschichte und Farbgebung des Lectio­nars M. p. th.q. 5, in: Die Abtei Reichenau, Sigmarin­gen 1974, Abb. 58, 59.

36 Anschauliches Material bei: R. Branner, Manuscript Painting in Paris during the Reign of Saint Louis, University of California Press 1977. -R. Marks/N. Morgan, Englische Buchmalerei der Gotik, 1200-1500, München 1980.

37 M. Frinta, wie Anm. 2, Gesta, S. 333ff. 38 E. J. Beer, wie Anm. 18, dort weitere Abbildungen,

auch H. Swarzenski, Die lateinischen illuminierten Handschriften des 13. Jahrhunderts in den Ländern an Rhein, Main und Donau, Berlin 1936, Abb. 661-677.

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Nähe zur Goldschmiedekunst besonders auffällig (Abb. 4). Ein partiell plastisch gestalteter Gold­grund kommt schon im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts im Bertholdmissale aus Weingarten (New York, Pierpont Morgan Library, M. 710) mehrfach vor (foll. 112, 132v, Arbor Jesse und Gnadenstuhl)39, und dann vor allem auf frühen deutschen Tafelbildern wie dem W ormser Retabel in Darmstadt40. Miniaturen und Retabelbild ver­weisen dabei auf die nämliche Quelle: Kurt Weitzmann41, insbesondere aber Mojmir Frinta42 haben uns dargelegt, daß dieser plastische Gesso­Dekor bei Ikonen der Kreuzfahrerzeit aus Akko, Zypern u. a. beobachtet werden kann (Abb. 5). Es sind Erzeugnisse griechischer und westlicher Ma­ler (Franzosen, Engländer, Italiener), die mittels dieses »Ersatzverfahrens« versuchten, die kostba­ren, getriebenen Edelmetallumhüllungen der by­zantinischen Ikone (die »Riza«) nachzuahmen. In der Verschmelzung beider Elemente, des Gold­grundes und des getriebenen Dekors der »Riza«, wurde so die neue Struktur des Bildhintergrundes entwickelt, und es ist gewiß kein Zufall, daß man diesem Phänomen gerade in Deutschland wäh­rend der Hochblüte des Zackenstils oder in Italien im Dugento begegnet. In Frankreich ist man hin­gegen bei der Verzierung von Goldgründen sehr zurückhaltend: es ist vielleicht bezeichnend, daß als in seiner Art eindrücklichstes Beispiel der um 1200/1210 geschaffene Ingeborgpsalter erwähnt werden kann, der in seinen ersten Miniaturen noch byzantinischer Formgebung und Ikonogra­phie verpflichtet ist, um dann im Lauf der Bild­folge zum klassischen Muldenfaltenstil überzuge­hen43. Sonst setzt man lieber die spiegelblank po­lierte Goldfläche als Kontrast neben kleinteilig ge­musterte Farbgründe von textilhafter Wirkung44.

Erst nach 1260 verzeichnen nordostfranzösische Scriptorien (Arras, Lille)45 einen neuartigen pflanzlichen Rankentypus, der mit Pulvergold, seltener als Gravur, auf den hochglänzenden Goldgrund aufgetragen wurde und mit Sicherheit aus der gleichzeitigen maasländisch-hennegaui­schen Metallgravur herkommt. In der Marquette­Bibel der ehern. Sammlung Ludwig46, sie wurde 1264 - 1270 wahrscheinlich in Lille geschrieben und ausgemalt, wird auf fol. 238v das Buch Hiob durch eine Goldgrundinitiale in dies� _ _T>�hnik geschmückt (Abb. 6). Vergleicht man damit die Rückseite und die gravierten Flügel des Kreuzreli­quiars aus Floreffe nach 1254 im Louvre (Abb. 7), wird die Ähnlichkeit mit der Miniatur evident47. Nur bedeckt hier der pflanzliche Dekor in natür­lich aufstrebendem Wachstum die ganze Fläche

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des Hintergrundes, während bei der Miniatur das Prinzip der Spiral- bzw. W ellenranke vor­herrscht. Die Pariser Buchmalerei nimmt auf der Stilstufe des Martyrologiums von Saint-Germain­des-Pres um 1270 (Paris, Bibl. nationale, Ms. lat. 12834) in seinem Monatsbilderzyklus diesen Rankentypus auf (Abb. 8). Er begegnet uns später wieder in Werken, die dem sog. »Maitre Honor« zugeschrieben werden, und auf deren kompli­zierte Spätphase des Pariser Hofstils ich nicht ein­gehen kann 48.

Im trecentesken Italien und seinem europäischen Einflußbereich hat sich in der Malerei des 14. Jahrhunderts der goldene Reliefgrund etabliert. Er steht nach Mojmir Frinta in der Tradition cy­priotischer Ikonenmalerei und scheint schon um 1300 am Hof der Anjou in Neapel in Mode ge­kommen zu sein49. Von dort, so immer Frinta, habe ihn Simone Martini erst nach Florenz, dann nach Avignon gebracht, so daß das technische

39 H. Swarzenski, wie Anm. 18, PI. XXXII, XLII. -K. Weitzmann, Icon Painting in the Crusader King­dom, Dumbarton Oaks Papers 20, 1966, Abb. 61, Sinai, Ikone, beeinflußte deutsche Illuminatoren, S. 78. - M. Frinta, wie Anm. 37, erblickt im Missale M. 710 eines der ganz seltenen Beispiele dieser Art und mit dem Datum um 1215 auch eines der frühe­sten in Deutschland, S. 340.

40 M. Frinta, S. 340. - Abbildungen in: Ausstellungs­katalog »Die Zeit der Staufer«, Stuttgart 1977, Bd. 1, Nr. 431, Bd. II, Tafel 230. - H. Schrade, Malerei des Mittelalters, Die romanische Malerei, Köln 1963, S. 212, Abb. auf S. 155.

41 K. Weitzmann, wie Anm. 39, Kapitel VI. The Pro­blem of Transmission, S. 74ff. Zum Triptychon ei­nes französischen Meisters auf dem Sinai, unsere Abb. 5, s. S. 59.

42 M. Frinta, wie Anm. 37, S. 337ff. 43 F. Deuchler, Der Ingeborgspsalter, Berlin 1967, Ta­

feln 16, 19, 21. Die Miniaturen mit klassischem Mul­denfaltenstil haben keine gemusterten Bildgründe mehr.

44 B. Rau, wie Anm. 2, Abb. 42, 49-53. Ferner R. Branner, wie Anm. 36.

45 E. J. Beer, Liller Bibelcodices, Tournai und die Scriptorien der Stadt Arras, Aachener Kunstblätter 43, 1972, S. 221, Abb. 22.

46 A. von Euw/J. Plotzek, Die Handschriften der Sammlung Ludwig 1, Köln 1979, I 8, I 9, S. 85-103.

47 Ab�ebildet nach Comte J. Borchgrave d' Altena, La Chasse de Saint Symphorien, Revue beige d'archi­tecture et d'histoire de l'art 3, 1933, S. 332-341. - E. J. Beer, Pariser Buchmalerei in der Zeit Ludwigs des Heiligen und im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts (Literaturbericht), Zschr. f. Kg. 44, 1981, S. 83.

48 B. Rau, wie Anm. 2, Abb. 54-56, S. 37-39. - E. J. Beer, wie Anm. 47, S. 84-91.

49 M. Frinta, wie Anm. 37, S. 338ff. - Ders. in Collo­quium Köln, S. 136/137.

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Verfahren vielleicht über Frankreich den Weg ei­nerseits nach England50, andererseits nach Flan­dern, Köln und in den westfälischen Raum fand. Auch scheinen zwischen Köln und Böhmen Wechselbeziehungen bestanden zu haben51; doch wirkten hier, wie auch in der Kunst Österreichs, unmittelbare italienische Einflüsse sich besonders nachhaltig aus52• In diesem Zusammenhang sei an das entzückende Kölner Diptychon mit thronen­der Maria und Kreuzigung Christi vom Anfang des 14. Jahrhunderts in Berlin erinnert, das in glücklicher Weise französischen Hofstil mit italie­nischen (neapolitanischen?) Stilelementen verei­nigt (Abb. 9).

Die erwähnten Beispiele konfrontieren uns nun mit der an sich paradoxen Erscheinung, daß der jetzt im Relief »verfestigte« Goldgrund53 als pla­stisch reale Struktur gegenüber der farbig gestalte­ten, dreidimensional gedachten Malerei ungemein stark hervortritt (Abb. 10). So erweckt er, wie beim Kölner Klarenaltar, mehr als bisher den Ein­druck einer Metallfassung54, die sich im Vergleich mit der tiefenräumlichen »Illusion« der Bildsil­houette als im wahrsten Sinne »vordergründige« Materie offenbart, und es bestätigt sich erneut die von Möseneder (Anm. 22) formulierte Aussage, daß durch materielle Qualität das Dargestellte im Bild »gesteigerte Gegenwart und höhere Verbind­lichkeit« erlangt. Zugleich damit beginnt sich eine Eigengesetzlichkeit von Malerei und Goldauflage abzuzeichnen, und zwar nicht ohne Konsequenz

so M. Frinta, wie Anm. 37, Colloquium Köln, S. 136. - In diesem Zusammenhang sei auch das W estmin­sterretabel um 1290/1300 oder das Retabel in Thorn­ham Parva (Suffolk), frühes 14. Jahrhundert, ge­nannt. M. Ricken, Painting in Britain, London/ Harmondsworth 1954, PI. 114a, b, 115b, 140. - P. Brieger, English Art 1216-1307, Oxford 1957, Abb. 80, 83a. - F. Wormald, Paintings in Westminster Abbey and Contempory Paintings, Proceedings of the British Academy 35, 1949, S. 170ff.

st M. Frinta, wie Anm. 50, S. 133f. s2 G. Schmidt, Böhmische Malerei bis 1450, in: Gotik

in Böhmen, ed. K. M. Swoboda, München 1969, S. 170ff, 178/179, dort Hinweise auf Paris, Köln und Venedig.

s3 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 92f. - W. Braunfels, wie Anm. 1, S. 20-23.

s4 Zum Klarenaltar: M. Frinta, wie Anm. 50, On the Relief Adornment in the Klarenaltar and other Paintings in Cologne, S. 131 ff. » The combination of a three-oimensional pattern with a painted surface in this arrangement is very rare and as such warrants some conclusions«. - Ausstellungskatalog »Die Köl­ner Maler von 1300-1430«, Vor Stefan Lochner, 1974, S. 77, Nr. 11. Dort 1360-1380 und um 1400

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6. Köln, Sammlung Ludwig. Marquette- Bibel, Bd. 3, fol. 238v.

für die in eben diesem Spannungsfeld zwischen Goldgrund und Tiefenräumlichkeit stehende Ma­lerei des 15. Jahrhunderts. Im Extremfall wird der Edelmetalleffekt ganz bewußt nutzbar gemacht,

datiert. -Zur Technik: H. Dannenberg, wie Anm. 1, S. 52ff, 57, 59. - Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst, ed. A. Ilg, Wien 1888, S. 89. D. Katz, Die Erscheinungsweisen der Farben und ihre Beeinflus­sung durcli die individuelle Erfahrung, Leipzig 1911, S. 18-21, zum Goldglanz. -Ders., Der Auf­bau der Farbwelt (2. umgearbeitete Aufl. des Buches von 1911), Leipzig 1930, S. 29ff. »Der Glanz tritt nur an einem Objekt auf ... Wo Glanz auftritt, müs­sen Objekte als seine Träger gegeben sein, oder man glaubt wenigstens solche vor sich zu haben«.

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wenn der Maler des Bergheimer Retabels in Col­mar (Abb. 11), Figuren und Objekte erst mit der Punze umreißt, und dann mit schwarzer Farbe flott hinzeichnet, oder im Fall des Antependiums von St. Ursula in Köln ein verlorenes Gold­schmiedewerk des 12. Jahrhunderts rekonstruiert bzw. ergänzt wird (Abb. 12). Gold und graphi­sche Mittel binden bei derartigen Nachahmungen von Metallarbeiten - denn um solche handelt es sich hier - Figürliches ganz in sich ein. Greifen wir ein anderes, nicht weniger anschau­

liches Beispiel aus der Malerei des 15. Jahrhun­derts heraus, Konrad Witz. Dieser Maler eines strengen, geradezu kubistischen Verismus, setzt sich in seinen Altartafeln intensiv mit dem für ihn bereits problematisch gewordenen Goldgrund auseinander. Wenn er (und übrigens nicht nur er allein) das Gold mit der Schablone zum großflä­chigen Damast ausbildet55 und ihn, etwa auf der Tafel mit Esther von Ahasver56, durch in den Grund geritzte Vorhangstange und Ringe (Gold in Gold) gleichsam zur Textilie umdeutet, erwar­tet man seine Interpretation als rückwärtigen Raumabschluß. Trotzdem bleibt der Eindruck ambivalent: Die parallel zur Sehebene stehende, als Möbelstück kaum artikulierte Sitzbank ver­stellt den Blick in eine Raumtiefe. Da sie bündig ist mit der beidseitigen Bildbegrenzung, fehlt ihr die Perspektive, die den Betrachter auf eine tiefere Raumschicht hinlenken würde, und so wirkt sie eher als horizontale Unterteilung. Dadurch aber wird jeder Ansatz zur Verräumlichung des Bildes abgeblockt, obwohl die beiden Figuren von pral­ler Plastizität erfüllt sind, was aber nicht über die ganz schmale Basis hinwegtäuschen kann, die zu ihrer Entfaltung zur Verfügung steht. Der gol­dene »Behang« ist damit auch kein echter »Raum­abschluß«; er bleibt flächengebunden, bleibt un­verändert goldene Materie, und zwar auf so kon­krete Weise, daß auf der Tafel mit Sabothai und Benajas57, die eine perspektivische Bühne besitzt, der Körperschatten der zwei Helden an der Grenze zum Goldgrund unvermittelt, aber doch völlig logisch aus der Sicht des Konrad Witz, ab­bricht. In der Interpretation Wolfgang Schönes58 will das »Eigenlicht des Goldes dem Schatten nicht weichen«, weil das Goldlicht stärker ist als das neue Beleuchtungslicht. Für mich ist es jedoch primär keine Frage des Lichtes oder der Beleuch­tung: Die Schatten sind eine Element des Illu­sionsraumes, folglich können sie gar nicht weiter reichen als dieser; der Goldgrund hingegen ge­horcht seiner eigenen Gesetzmäßigkeit, denn er ist reale Materie, die sich in der Fläche ausbreitet

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und an der Raumillusion der gemalten Partien nicht teil hat. Wenn das Gold an anderer Stelle von Konrad Witz dann wirklich in die gemalte Darstellung miteinbezogen wird, schlägt das Ma­terieverständnis des Künstlers um: die Goldnim­ben der Drei Könige beispielsweise auf der Genfer Anbetung59 erscheinen als Edelmetallscheiben, die im Sinne des Witz'schen Realismus, mit Edel­steinen besetzt sind. Ihre Fassungen werfen Schatten ( !) auf das Gold, die Illusion ist perfekt. Aber nur in diesem besonderen Fall nimmt Gold Schatten an, weil es aus dem Realbereich in die Welt des Scheins transferiert wurde, d. h. dem Schein nach Materie ist, bei der nun die Gesetze der Malerei zur Anwendung gelangen. Noch wagt es Konrad Witz nicht, auch den materiell »ech­ten« Goldgrund miteinzubeziehen, und damit die bestehende Divergenz aufzulösen. In der altnie­derländischen Malerei hat Lotte Brand-Philip60 ein ähnlich gebrochenes Verhältnis zum Gold­grund beobachtet: Wie etwa Melchior Broeder­lam, anerkennt Konrad Witz, der genau weiß, wie man einen Schlagschatten malt61, noch die Exi­stenz des Goldgrundes als Realität, durch die al­lein die vorgetäuschte »wirkliche« Welt der ge­malten Dinge nach Brand-Philip »zeitlose Gegen-

55 Tafeln des Heilspiegelaltars im Kunstmuseum Basel, P. L. Ganz, Meister Konrad Witz von Rottweil, Bern/Olten 1947, Abb. 8, 15.

56 P. L. Ganz, Abb. 19. Die gleiche Formulierung fin­det sich auch auf den Tafeln Antipater vor Caesar und Abraham vor Melchisedech, Abb. 15, Abb. 18. Alle Goldgründe restauriert, richten sich vermutlich nach der Zeichnung voq�efundener Reste. Mit gebo­tener Vorsicht sind somit Rückschlüsse auf den ori­ginalen Zustand erlaubt. - H. Röttgen, Konrad Witz, Analyse und Geschichte seiner Farbgebung, Diss. Marburg 1958.

57 P. L. Ganz, wie Anm. 55, Abb. 9. 58 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 96f. - E. Maurer, Kon­

rad Witz und die niederländische Malerei, ZAK 18, 1958, s. 165.

59 P. L. Ganz, wie Anm. 55, Abb. 53-54. - W. Braun­fels, wie Anm. 1, S. 13: ... »wird deutlich, daß es sich bei den drei Magiern um Könige handelt, die die Edelsteine ihrer Krone auch noch im Jenseits im Nimbus führen«. Damit dürfte die Intention des Konrad Witz völlig verkannt sein. Sie wird von E. Maurer, wie Anm. 58, S. 160ff, klar erfaßt als Stre­ben nach Vergegenwärtigung, nach Eroberung der sieht- und tastbaren Wirklichkeit: » Vergegenwärti­gung, Handgreiflichkeit, Illusion bis zum Augen­trug, hie et nunc - das ist seine Devise«.

60 L. Brand-Philip, Raum und Zeit in der Verkündi­gung des Genter Altars, Wallraf-Richartz-Jb. 29, 1967, s. 69-71.

6! E. Maurer, wie Anm. 58, S. 165.

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7. Paris, Musee du Louvre. Kreuzreliquiar aus Floreffe nach 1254, Rückseite und linker Flügel

wart und objektive Heiligkeit« erlangt62. Schon die Generation eines Meisters von Flemalle, eines Jan van Eyck oder, um die Jahrhundenmitte, ei­nes Roger van der W eyden vermag das Span­nungsverhältnis zwischen Malerei und Gold­grund (sofern sie ihn überhaupt noch anwendet) abzubauen, indem sie den Farben Transparenz und Leuchtkraft verleiht, auch reichlich Goldbro­katmuster und farbige Lazuren auf Metallfolie an­bringt. Daß zu eben dieser Zeit »Gold weithin in Goldfarbe umgedeutet wird« (Schöne)63, der Goldgrund somit zur Farbe tendiert, ist nur folge­richtig.

An der Schwelle zur Malerei der Neuzeit können wir eine Zwischenbilanz ziehen und nun unsere dritte These aufstellen: 3. Die westlich mittelalterliche Malerei hat den Goldgrund wohl zu keiner Zeit als ein raumhalti­ges Bildelement betrachtet. Er kann daher weder »irrealer« noch »idealer« Raumgrund sein, ja ihn

überhaupt als »Grund« zu bezeichnen, ist an sich inkonsequent, aber in unserer Terminologie be­reits tief verwurzelt.

Gold ist, genau besehen, eine onsunbestimmte, indessen nicht irreale Flächenfarbe nahe bei Gelb und nach Goethe »zunächst dem Licht«64, der eine hohe »Erregung« und materielle Dichte zu­kommt65. Sein lichtintensiver Oberflächenglanz

62 L. Brand- Philip, wie Anm. 60, S. 71. 63 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 98, 100. - W. Braunfels,

wie Anm. 1, S. 23-26. 64 Goethe, Farbenlehre 1, § 767: »Das Gold in seinem

ungemischten Zustande gibt uns, besonders wenn der Glanz hinzukommt, einen neuen hohen Begriff von dieser Farbe«, vom Gelb. § 765: » Gelb ist die nächste Farbe am Licht.«. W. Schöne, wie Anm. 1, s. 24.

65 C. Bühler, Die Erscheinungsweisen der Farben, Jena 1922, S. 158. Gold als Verdichtungsfläche, S.16tf. -D. Katz, wie Anm. 54, S. 34. - W. Schöne, wie Anm. 1, S. 253.

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8. Paris, Bibi. nationale. Ms. lat. 12834, fol. 49r.

ist materieimmanent66, und darauf gründet die ei­gentümlich suggestive Wirkung des Goldes auf den Betrachter; Bodonyi spricht von einem »mil­den Hypnotismus«67• Als verdichtete Metallfarbe kann Gold aber im­

mer nur Fläche sein, nie Hintergrund und aller­höchstens »Fassung«. Dank seines Materieseins, seiner Konsistenz, ist es z4m Bildträger geradezu prädestiniert. Joachim Plotzek68 sagt von den kompakt zugestrichenen Farbgründen der Ech­ternacher Maischule, daß sie dem Betrachter die Figuren »in eigener Bildebene« entgegenhalten; für den Goldgrund gilt das in weit höherem Maß. Daher können beispielsweise in der ottonischen Reichenauer Buchmalerei die als Kompositions­gitter über die Goldfläche ausgebreiteten Figuren eine Standlinie entbehren, denn sie werden von der Flächenfestigkeit gehalten69• Sie beugen sich

66 Prokopios scheint das empfunden zu haben, wenn er von der goldenen Kuppel der Hagia Sophia schreibt: "· .. der Raum ist niclit von außen durch das Sonnen­licht erhellt, sondern hat seinen Glanz aus sich selbst«, zitiert nach E. Haury, Prokopios, Opera, Leipzig 1913, Bd. 3, De Aedificiis, S. 8. - Auch W. Schöne bezeichnet das Gold als » selbstleuchtend«, S. 253.

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im Codex Bremensis aus Echternach (Anbetung der Könige, fol. 15r) über den Rand der Goldflä­che wie über eine Mauer. Das Gold aber steigert ihre Aussagekraft: aus der Parabel vom guten Sa­mariter im Evangeliar Ottos III. in München (fol. 167v) wird ein kompositionell auf sich zurückge­führtes, ein zeitloses, ein raumloses, allgemein­gültiges Geschehen. Der transzendierende Bildin­halt manifestiert sich als solcher nur durch das real gegenwärtige Gold. Wir verdanken Heinz Roose-Runge den wert-

67 Bodonyi zitiert S. 20 einen Text von Julius Lange (Ein Blatt aus der Geschichte des Kolorits, 1893, m Ausgewählte Schriften II, Straßburg 1912, S.135ff), der auch bei W. Schöne, S. 24, Anm. 33, abgedruckt ist.

68 J. Plotzek, Darstellungsprinzipien in der ottoni­schen Echternacher Buchmalerei, Aachener Kunst­blätter (Festschrift für Wolfgang Krönig) 41, 1971, S. 182. bas „Moment der Raumhaltigke1t« geht ver­loren. Der Untergrund ist in gewissem Sinne neutral und „inhaltslos« geworden. Zur Verfestigung des Bildsgrundes S. 183.

69 J. Plotzek, S. 183f. - Vergl. damit auch das Phäno­men der „schwebenden Ordnun_g« bei W. Messerer, Die Reichenauer Malerei - nach J antzen, in: Die Ab­tei Reichenau, Sigmaringen 1974, S. 229f.

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9. Berlin, Staatliche Museen. Gemäldegalerie, Diptychon aus St. Georg in Köln, um 1320/30

vollen Hinweis70, daß uns das Mittelalter selbst die Antwort auf die Frage nach der Flächenhaftig­keit des Goldgrundes bereithält: Ein Rezept der »Mappae clavicula«71 spricht von »Campus facere« und meint damit den Bildgrund, nicht speziell den Goldgrund, sondern den »Grund« allgemein. Das Göttinger Musterbuch aus dem 15. Jahrhundert72 verwendet den Begriff »Feldung«, was wie eine Übersetzung klingt. Man denkt dabei sowohl an das ganze Feld als auch an seine Inneneinteilung. Wenn, so Roosen-Runge, »Campus« und »Fel­dung« dasselbe meinen, dann bezeichnen sie ver­mutlich das »Feld« (unser Bildfeld), d. h. den Be­reich des Geschehens der betreffenden Darstel­lung, also seinen Existenzort. Das zielt auf das Vorstellen schlechthin, nicht auf räumliche An­schauung, wodurch wir uns in unserer Überle­gung bestätigt sehen.

Das Göttinger Musterbuch dürfte bald nach der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sein, stili-

stische Parallelen lassen sich jedenfalls im süd­deutschen Raum bis gegen 1500 verfolgen73• Um etwa diese Zeit beginnt sich - wenn wir einen Aus­blick auf das Geschehen in der Malerei jenseits der Jahrhundertschwelle wagen sollen - im Verhältnis des Künstlers zum Goldgrund, und damit auch zu

70 H. Roosen-Runge, Farbgebung und Technik früh­mittelalterlicher Buchmalerei 1, München/Berlin 1967, S. 26, S. 186, All. 4-7. H. Roosen-Runge sei an dieser Stelle für zusätzliche Hinweise und Anre­gungen herzlich gedankt.

71 In der » Mappae clavicula« lesen wir: Si vis facere campos, fac pulcram rosam ... « oder » ltem fac campum de folio .. . «, "· .. fac campum de ipso vi­ridi« etc.

72 H. Lehmann- Haupt, The Göttingen Model Book, Faksimileausgabe, Columbia 1972 (2. Aufl. 1978), fol. 6' H.

73 H. Lehmann- Haupt, S. lOlf. - Marie und Heinz Roosen-Runs.e, Das spätgotische Musterbuch des Stephan Schnber, Wiesbaden 1981, S. 253.

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10. Köln, Dom. Klarenaltar, um 1360-1370, Ausschnitt aus der Gefangennahme Christi:

(linker Außenflügel, Innenseite)

dessen Interpretation, eine deutliche Wandlung zu vollziehen. Der Forschung liefert sie höchst aufschlußreiche Aspekte.

Wolfgang Schöne hat sich speziell mit der sich vorwiegend auf Zentraleuropa beschränkenden Endphase der mittelalterlichen Tafelmalerei be­schäftigt74, so daß wir aus eigener Beobachtung hier nur wenige Notizen beisteuern können. Wie­der greifen wir einen markanten Repräsentanten .der Spätzeit heraus: Niklaus Manuel Deutsch, in dessen Persönlichkeit und malerischem Schaffen Mittelalter und Renaissance sich begegnen. Ma­nuel hat den Goldgrund noch in fast allen seinen Altarbildern verwendet: Auf den Außenseiten der Flügel des für die Lux- und Loys-Bruderschaft in Bern um 1515 gemalten Annen- und Marien-Alta­res sind die Heiligen Eligius und Lukas als Gold­schmied bzw. als Maler in ihren Werkstätten ar­beitend dargestellt75• Die beiden Räume öffnen sich nach hinten weit auf eine bergige Landschaft vor Goldgrund. Dieser weist, wie auch die ande­ren Tafeln des Altars, mit feiner Punze umrissene Wolken auf. Goldene Strahlen dringen zudem aus der linken bzw. rechten oberen Ecke, wo musi-

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11. Colmar, Unterlindenmuseum. Beri;heimer Retabel, gegen 1420, Geburt Christi

zierende Putti sich auf einem Kapitell tummeln, ins Bildfeld ein. Zu ihnen erhebt Lukas die Au­gen, denn er malt die Madonna mit Kind, die er -für den Betrachter nicht sichtbar - außerhalb des Bildes erblickt. Nun ist wichtig zu wissen, daß die Forschung die Madonna in Gestalt einer in Holz geschnitzten Figur im Gespreng über der einsti­gen Altarmitte stehend vermutet76, so daß ihre gleichsam »reale« Präsenz die von Lukas gesehe­nen Strahlen bewirkt. An diese Vermutung knüp­fen sich Feststellungen von Interesse: Erstens fällt auf, daß der Goldgrund, zumindest in dieser Al­tarkomposition, nicht das weitaus verbreitetere Damastmuster zeigt, sondern Wolken, also Him­mel, und zweitens, daß die goldenen Strahlen ein­deutig auf einen übersinnlichen Vorgang zurück­gehen. Somit besteht kein Zweifel, daß hier nicht Materie, sondern Licht, Luft, eine atmosphäri-

74 W. Schöne, wie Anm. 1, S. 96f. 75 Ausstellungskatalog »Niklaus Manuel Deutsch«,

Kunstmuseum Bern 1979. S. 223f. Nr. 69-72. Abb. 19, 30, 31.

76 Wie Anm. 75, S. 225f.

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12. Köln, Schnütgen-Museum. Antependium aus St. Ursula, um 1 1 70 und um 1420,

Ausschnitt

sehe Erscheinung gemeint sind. Transzendentes wird zugleich dadurch sichtbar gemacht. Diese Interpretation des Goldes und Goldgrundes wi­derspricht unseren bisherigen Ausführungen kei­neswegs, sie läßt sich leicht aus der veränderten Geisteshaltung der Zeit erklären. In jenem Au­genblick, in dem der Goldgrund als Materie un­glaubwürdig wird in einer Malerei, deren Grad an Raumillusion ständig zunimmt und das Bildlicht sich vom Eigenlicht zum Beleuchtungslicht zu wandeln beginnt, d. h. eine außerhalb des Bildes befindliche Lichtquelle voraussetzt77, beginnt der in der Tradition des Goldgrundes aufgewachsene Künstler nach neuen Ausdrucks- und Interpretat­ionsmöglichkeiten zu suchen, um die Verwen­dung des Goldgrundes zu rechtfertigen. Das kann er aber nur, indem er sich jetzt ausschließlich auf den theologischen Überbau beruft, auf eine Aus­legung im Sinne vertiefter Lichtmetaphysik, die im Goldglanz außerirdisches Licht, Sinnbild des Göttlichen, Jenseitigkeit u. a. m. erschaut. Es ist ein uraltes und in dieser Form doch wieder neues Element der Transzendenz, das Manuel in sein Werk einbringt, neu deshalb, weil die Transzen­denz nicht im Selbstverständnis des Eigenlichts im

Betrachter wirkt, wie im Mittelalter, sondern nur vermittelst eines Kunstgriffs, der im Material­wechsel besteht und im Kontrast zum Beleuch­tungslicht des Bildes sinnfällig gemacht werden kann. Geradezu machtvoll bricht denn auch das Übersinnliche auf der Tafel der Mariengeburt78 in die irdische Welt ein, wenn eine goldglänzende Strahlenglorie, die einen großen Engel mit Weih­rauchfaß umschließt, das dunkelblaue Gewölk zur Seite schiebt, um der himmlischen Erschei­nung Raum zu geben. Bei dem Konzept kann Ma­nuel auf Werke älterer Zeitgenossen zurückgrei­fen, auf den Johannesaltar von 1507 des Freibur­ger Malers Hans Fries, der auch in Bern gearbeitet hat, den Allerseelenaltar von 1505 eines Berner Anonymus79• Beide Maler bedienen sich der Transzendenz des Goldgrundes, um die apokaly­pitischen Visionen des Johannes auf Patmos oder die mit Seelen, die durch Gebet erlöst wurden, zum Himmel aufsteigenden, im Himmel ver­schwindenden Engel darzustellen, und sie verfah­ren dabei gleich: Sie lösen über der Horizontlinie ihrer Übersichtslandschaften den hellblauen Himmel in nach oben zunehmend dunkler wer­dende Wolkenstreifen und Einzelwolken auf, zwischen denen immer größere Partien des Gold­grundes zum Vorschein kommen. Indem sich Wolken von der Seite her über das vor diesem Goldgrund Dargestellte schieben, drängen sie so Figuren und Goldgrund in eine tief ergelegene, »entferntere« Raumschicht zurück. Helle Saumli­nien deuten an, daß aus der goldenen "Tiefe« der Schein jenseitigen Lichts auf die Wolken fällt. Später wird auch dieser letzte Rest von Gold­grund bei Niklaus Manuel verschwinden, um großartig gemalten kosmischen Lichterscheinun­gen Platz zu machen, wir wir sie etwa auf dem köstlichen Täfelchen in Basel mit der Enthaup­tung Johannes des Täufers um 1517 bewundern können80• Hier ist das Gold nun gleichsam säkula­risiert, spannt sich als »vordergründiger.. Dekor in Form einer üppigen renaissancehaften Blatt­und Fruchtguirlande von einer Bildecke zur ande-

77 W. Schöne, wie Anm. 1, Kapitel Beleuchtungslicht, s. 1 07ff.

78 Wie Anm. 75, S. 225, Nr. 72, Abb. 18, 33. 79 Wie Anm. 75, S. 205, Nr. 47, Hans Fries, Johannes­

altar aus Freiburg, Schweizerisches Landesmuseum Zürich, Abb. 14 ; S. 206, Nr. 48, Allerseelenaltar des Stadtschreibers Dr. Thüring Fricker (Großvater Ni­klaus Manuels) aus dem Berner Münster, Kunstmu­seum Bern, Abb. 15.

3 0 Wie Anm. 75, S. 232, Nr. 79, Kunstmuseum Basel, Abb. 39.

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Page 16: Beer, Ellen J. 1983 Marginalien Zum Thema Goldgrund (Ocr)

ren und ziert zugleich die Signatur des Künstlers. Der mittelalterlichen Malerei war die Einbezie­

hung eines Himmelsausschnitts ins Bild nicht fremd: Im Kreissegment oder im Clipeus erschie­nen die göttlichen Personen oder die Engel. Aber im Bewußtsein des Materiecharakters des Gold­grundes und der noch nicht ganz in Vergessenheit geratenen antiken Vorstellung des Himmels als Luft, also Atmosphäre, gibt man, zumal im 14. Jahrhundert (und im Gegensatz zum 15./16. Jahr­hundert), solche Ausschnitte konsequent in blauer (höchst selten in roter) Farbe wieder. Eine helle blaue, weiße oder ins Rosafarbene spielende Wolkenrüsche kann diese Blaufläche begrenzen, wodurch sie das Gold überlappt; wo die Rüsche fehlt, entsteht die Wirkung einer in das Gold ge­stanzten Öffnung81• Beim Marientod des Meisters von Heiligenkreuz in Cleveland82 verstärkt sich der Eindruck noch : der Umriß des Himmelsseg­ments ist wie mit der Schere ins Goldmetall ge­schnitten, die Gravur folgt der festonartigen Kon­tur als ein Wolkenmotiv, doch so, wie wenn es eine Zange zurechtgebogen hätte. Hinter dem Rand dieses Ausschnitts ragt Christus mit der Seele Marias im Arm hervor, umgeben von blauen, schattenhaft Ton in Ton gemalten Engeln. Als einer der ersten Illuminatoren scheint zu Be­ginn des 15. Jahrhunderts der Maler der Belles Heures des Herzogs von Berry in Brüssel (Bibl. Royale, ms 1 1 060-1) mit dieser Tradition gebro­chen und das Verhältnis von Gold und Blau um­gekehrt zu haben: Auf der Verkündigung an Ma-

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ria (p. 18) bedeckt ein tiefes Blau das Bildfeld; oben neigt sich sehr plastisch Gottvater aus einem goldenen Clipeus Maria zu83, das Gold bezeichnet nun die himmlische Sphäre. Hinter der Überle­gung des Malers, er wird mit J acquemart de Hes­din gleichgesetzt, stehen sehr wahrscheinlich ita­lienische Einflüsse (z. B. Taddeo und Agnolo Gaddi, Florenz Santa Croce ), die sich auch in Ge­samtkomposition und Ikonographie der Miniatu­ren bekunden. Gerade dieser Wandel in italie­nisch beeinflußten, fortschrittlichen Künstler­kreisen der internationalen höfischen Gotik, den deutsche Maler, etwa Konrad von Soest, ungeach­tet ihrer Berührung mit führenden Zentren, noch nicht nachvollziehen, scheint unsere Beobachtun­gen zu bestätigen.

81 Man blättere bei A. Stange, Deutsche Malerei der Gotik, 1-Xl, 1933ff, um dessen inne zu werden. Herausgehoben seien nur u. a. Konrad von Soest, Wildunger Altar, Marienaltar Dortmund, in K. Steinbart, Wien 1946, Farbtafel I, Abb. 38, 55, 65, 73 . - Altar vom Schloß Tirol, 1370/72, in Die Parler, Köln 1 978, Bd. 2, S. 436. - Meister des Stauffenber­ger Altars, Colmar/Nürnberg, A. Stange, Bd. VII, München/Berlin 1955, Abb. 1 8 , 2 1 . - Melchior Broederlam, Altar aus Champmol in Dijon, 1 398, in J. Lassaigne, Die flämische Malerei, Bd. l, Genf 1957, s. 18 .

82 The Bulletin of The Cleveland Museum of Art, 1 5/7, 1 963, Ausstellung »Gothic Art 1 360-1440«, Nr. 3 , S. 201 mit Farbtafel. - Das Gegenstück, der Tod des HI. Clara, befindet sich in der Kress Foundation in Washington.

83 Millard Meiss, French Painting in the time of Jean de Berry, London 1 967, Abb. 1 82.