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Leitung Regionalmedien: Jürg Weber Chefredaktion: Philipp Landmark (Chefredaktor); Silvan Lüchinger (stv. Chefredaktor; Leitung Ostschweiz am Sonntag); Bruno Scheible (stv. Chefredaktor; Regio- nalleiter); Jürg Ackermann (Blattmacher); Sarah Gerteis (Leitung Online-Redaktion) Erweiterte Chefredaktion: David Angst (Leitung Thur- gauer Zeitung); Daniel Wirth (dwi, Leitung St.Gallen/ Gossau); Andreas Bauer (Dienstchef) Verlag und Druck: St.Galler Tagblatt AG, Fürstenlandstrasse 122 Postfach 2362, 9001 St.Gallen. Telefon 071 272 78 88 Leitung Marketing und Lesermarkt: Christine Bolt (Stv. Leitung Regionalmedien) Leitung Werbemarkt: Stefan Bai Verbreitete Auflage: WEMF 2014 128519 Ex. Inserate: NZZ Media Solutions AG, Fürstenlandstrasse 122, Postfach, 9001 St. Gallen Telefon 071 272 77 77, Fax 071 272 73 17 E-Mail: [email protected] Publikation: tbhb Pagina: 2 Ist-Farben: cmyk0 Ressort: tb-th Erscheinungstag: 19. 8. 2015 MPS-Planfarben: cmyk é SCHWEIZ 5 PRESSESCHAU Der ständerätliche Reformvorschlag zur Altersvorsorge spaltet die Geister. Klar ist auch, dass die Reform nicht für die Ewigkeit ist. In zehn Jahren wird die nächste Etappe fällig, um die Renten der Babyboomer-Generation zu finanzieren. Spätestens auf 2030 wird die Politik wohl nicht um eine generelle Rentenaltererhöhung herumkommen. Wenn aber wie vom Arbeitgeberverband gefordert bereits die aktuelle Reform eine schrittweise Rentenaltererhöhung bis 67 ermöglichen würde, wäre das Nein an der Urne vorprogrammiert. Man würde der ständerätlichen Sozialkommission gerne ein Kränzchen winden. Sie hat, was im hiesigen Politbetrieb selten genug der Fall ist, für einmal rasch gearbeitet. Doch was da in aller Eile herausgekommen ist, ist schwer zu verdauen. (...) Statt einer Stabilisierung der Altersvorsorge und nachhalti- gen Massnahmen werden Geschenke verteilt finan- ziert mit Lohnprozenten. Eine solche Politik hat den Kompass verloren und kann nicht goutiert werden. Sie untergräbt die Solidarität zwischen den Generationen. 2 Thema Mittwoch, 19. August 2015 Das Auto ist für einen wachsen- den Teil der Schweizer Bevölke- rung laut einer Umfrage nicht mehr unverzichtbar. ZUR SACHE Kritisch, aber dennoch immer unterwegs S taus gehören für viele zum Alltag. Krachen zwei Unachtsame mit ihren Fahrzeugen zusammen, wird die Strasse unpassierbar und oft eine ganze Stadt oder zumindest ein Teil davon blockiert. Staus entstehen aber auch ohne Unfälle täglich, die Staustunden werden immer mehr, sei es am Gotthard-Tunnel und noch öfter auf den Strassen der Agglomerationen. Dement- sprechend wenig verwunderlich ist, dass im «Mo- bilitätsmonitor 2015» des Forschungsinstituts gfs.bern drei Viertel der Befragten den Stau als Problem bezeichnen. Und auch wegen der volks- wirtschaftlichen Staukosten vom 1,5 Milliarden Franken eine Ausbauoffensive gutheissen. Geht es dann aber darum, Strassenprojekte zur Entlastung zu verwirklichen, treten viele aufs Gas, um dagegen zu protestieren. Sei es zum Beispiel beim zweiten Gotthard-Tunnel oder bei neuen Autobahnanschlüssen. Das zeigt die polyvalente Haltung vieler, die auch in der neusten Umfrage zum Tragen kommt. Zwar haben Schweizerinnen und Schweizer extrem viele Autos in ihren Gara- gen stehen, reden übers Zweit- und Drittauto, geben in der Umfrage zu einem Drittel aber an, das Auto sei verzichtbar. Da tut sich wohl auch ein Stadt-Land-Graben auf: Für unverzichtbar halten das Auto vor allem Städter, die vollends vom öffentlichen Verkehr profitieren, den aber nicht alle Autofahrer subventionieren wollen. Der Mensch handelt auch in Bezug auf sein Mobilitätsverhalten nicht immer rational. Er kann durchaus dem eigenen Fahrzeug mit Skepsis be- gegnen, das Auto als Stinker und Mordwaffe be- zeichnen, aber trotzdem gerne Autofahren. Die individuelle Mobilität ist ihnen wichtig, auch wenn sie sich in Umfragen kritisch dazu äussern. Bruno Knellwolf bruno.knellwolftagblatt.ch Anzeigen: Fahrzeugmarkt 8 Immobilien 8 Miete 8 Ostevent 10 Fonds 13 Traueranzeigen 22/23 Service: Kino 10 Börse 13 Radio/TV 30 Wetter/Sudokus 31 Bild: ky/Patrick B. Kraemer Bastien Girod Nationalrat der Grünen (ZH) In Fukushima belaufen sich die Kosten des AKW-Unfalls auf über 100 Milliarden Franken. PODIUM Bei den Uralt-AKW drohen gefährliche Szenarien Wer dachte, nach der Fukushima- Kernschmelze steige die Schweiz aus der Atomkraft aus, hat sich ge- täuscht. Nicht jetzt, nicht im Jahr 2019, ja nicht einmal im Jahr 2029 soll das älteste Atomkraftwerk der Welt vom Netz genommen werden. Was sich nach einem schlechten Witz anhört, ist der Vorschlag der Umweltkommission des Ständerates. Kehrtwende der AKW-Lobby Dabei planten bis zur Katastrophe in Fukushima sogar die AKW-Betrei- ber selber, ihre Reaktoren spätestens nach 50 Jahren abzuschalten. Der Bundesrat ist deshalb in der Ener- giestrategie davon ausgegangen, dass 2034 das letzte AKW vom Netz geht. Doch bereits mit 50 Jahren Laufzeit, werden die Interessen der AKW-Betreiber über die Sicherheit der Bevölkerung gestellt. In Deutschland hat die bürgerliche Kanzlerin Merkel aus Sicherheits- gründen beschlossen, die AKW nach 40 Jahren Betrieb abzustellen. Als die Schweizer AKW-Lobby begriff, dass neue Kernkraftwerke sowohl politisch (wegen Fukushima) wie auch wirtschaftlich (die erneuer- baren Energien werden immer güns- tiger) chancenlos sind, machte sie eine strategische Kehrtwende. Plötz- lich setzte sie alles daran, die be- stehenden AKW möglichst lange laufen zu lassen. Das ist politisch leichter durchzubringen, denn der Weiterbetrieb von AKW braucht keine politischen Beschlüsse. Damit aber der AKW-Weiterbetrieb wirt- schaftlich bleibt, dürfen für Nach- rüstungen nicht zu strenge Kriterien gelten. Darum wehren sich die Be- treiber dagegen, ihre Atomkraft- werke auf den neusten Stand der Technik nachzurüsten, mit der Folge, dass Uralt-AKW weiterbetrie- ben werden, welche 10- bis 100mal grössere nukleare Risiken aufweisen als neue AKW. Diese Verschlechte- rung hat sogar die ansonsten aus- gesprochen AKW-freundliche Auf- sichtsbehörde Ensi alarmiert. Das Ensi schlägt daher vor, dass AKW nach 40 Jahren sogenannte Langzeitbetriebskonzepte vorlegen müssen. Diese sollen sicherstellen, dass die Wahrscheinlichkeit nuklea- rer Unfälle trotz Überalterung der Anlagen nicht zunimmt. Zwar hatte die Umweltkommission des Natio- nalrates (Urek) die Atomausstiegs- Initiative der Grünen abgelehnt, welche eine maximale Laufzeit für jedes AKW von 45 Jahren verlangt. Sie unterstützte aber immerhin deutlich das vom Ensi vorgeschla- gene Langzeitbetriebskonzept. Verwüstung und Leid Von alldem will die Urek des Ständerats nun gar nichts wissen. Und das, obwohl bei einem Unfall die Betreiber nur für 1,2 Milliarden Franken aufkommen müssten, wäh- rend der Rest der Kosten auf Staat und Bevölkerung abgewälzt würde. In Fukushima belaufen sich die Kos- ten des Unfalls auf über 100 Milliar- den Franken, gemäss Schätzungen des Bundes kann ein Unfall sogar 8000 Milliarden Franken kosten. Diese Zahlen widerspiegeln aber nicht die Verwüstung, die Opfer und das Leid, wenn Städte wie Bern oder Zürich und weite Teile des dicht- besiedelten Mittellands evakuiert werden müssten. Dass solche Gefah- ren in Kauf genommen werden, ist umso unverständlicher, wenn man bedenkt, dass heute Alternativen zu AKW nicht nur technisch machbar, sondern auch wirtschaftlich tragbar sind. Mehr noch, der forcierte Aus- bau von erneuerbaren Energien und die Verbesserung der Effizienz wären eine riesige Chance für die Wirt- schaft und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Wie damals, als die SBB zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Schweiz als erstem Land die Elektrifizierung des Eisenbahnnetzes rasch vorantrieben. Die Technolo- gien, welche für Elektroloks und Stromerzeugung benötigt wurden, waren der Grundstein für einen un- vergleichlichen technologischen Vorsprung der Schweizer Wirtschaft, welcher zum Teil bis heute andauert. Was die Elektrifizierung der Eisenbahn vor 100 Jahren war, könn- te die grüne Wirtschaft im 21. Jahr- hundert werden. Wenn die Schweiz auf grüne Technologien setzt, fördert sie damit Unternehmen, welche zu zentralen Pfeilern unseres Wohl- standes werden könnten. Bild: afp/Khaled Fazaa Nodschud Ali wurde mit acht Jahren verheiratet und schrieb später ein Buch. «Ich will nie wieder heiraten» Als Folge des Jemen-Krieges ist die Zahl minderjähriger Kinderbräute stark angestiegen. Ihre Verheiratung nach Saudi-Arabien soll nun verhindert werden. MICHAEL WRASE Sieben Jahre ist es her, dass die damals achtjährige Jemenitin Nod- schud Ali gegen den Willen der Eltern die Scheidung von ihrem 22 Jahre älteren Ehemann durchsetzte. «Ich will zurück in die Schule gehen und nie, nie wieder heiraten», verkündete das junge Mädchen nach der Ent- scheidung des Gerichts. «Ich bin so glücklich, wieder frei zu sein.» Das in der Hauptstadt Sanaa gefällte Urteil sorgte weltweit für Schlagzeilen. Nodschuds Mut führte dazu, dass über das Tabuthema Zwangsehe erstmals auch in der isla- mischen Welt gesprochen wurde. Zu- mindest für einige Monate. Viel ge- ändert hat sich seither freilich wenig. In der Hochzeitsnacht verblutet Gesetzesvorschläge für Mindest- alter für Hochzeiten wurden zwar im jemenitischen Parlament diskutiert. Sie scheitern aber bis heute am Widerstand der Islamisten. Ihr stärkstes Argument für die Heirat von Minderjährigen ist der Prophet Mohammed, der seine zweite Frau Aischa auch im Kindesalter, mit neun Jahren, geheiratet haben soll. Wer mit einem einschränkenden Gesetz diese heiligen Tatsachen ignoriere, «ver- breite Unmoral und bedrohe die Gesellschaft und Kultur», behauptete der einflussreiche jemenitische Geistliche, Scheich Abdul Majid al- Zidani. Dieser hatte 2010 eine Fatwa (islamisches Rechtsgutachten) erlas- sen, welche die Befürworter eines Gesetzes für das Mindestalter der Ehe zu «vom Glauben Abgefallenen» macht, was nach der Sharia mit der Todesstrafe zu ahnden ist. Über ihre Erfahrungen in der Zwangsehe, die täglichen körperli- chen Züchtigungen und Vergewalti- gungen, hatte Nodschud Ali ein Buch geschrieben, das in Europa zum Bestseller wurde. Mit den Erlösen konnte sie ihrer Familie ein Haus kaufen, ihre Existenz wohl langfristig sichern. Durch die Revolution in Jemen sowie den seit als mehr als vier Monaten andauernden Krieg der Saudis gegen die schiitischen Huthi haben sich die Lebensumstände der meisten Jemeniten inzwischen aber dramatisch verschlechtert. Um ihr physisches Überleben zu sichern, sind jemenitische Familien bereit, auch ihre minderjährigen Töchter mit vergleichsweise wohl- habenden Saudis oder Staatsbürgern anderer arabischer Staaten zu verhei- raten. Diese zahlen für die Kinder- bräute in der Regel einen vierstelli- gen Dollarbetrag im mittleren Be- reich. Die Verheiratete wird nicht ge- fragt. Sie muss sich fügen, nach Ein- tritt der Pubertät auch Sex über sich ergehen lassen, der nach der Sharia dann legal ist. Allerdings ist es auch schon vorgekommen, dass auch Zehnjährige von ihrem Ehemann vergewaltigt wurden und noch in der Hochzeitsnacht verbluteten. «Wegen der schwerwiegenden Konsequenzen» soll der Verheiratung jemenitischer Kinderbräute nach Saudi-Arabien nun ein Riegel vorge- schoben werden. Wie Medien berich- teten, müssen Saudis, die «unbe- kannte Frauen» aus Jemen gemeint sind Kinderbräute heiraten, zu- künftig mit einer Bestrafung rechnen. Eine Legalisierung solcher Ehen durch die Behörden komme nicht in Frage, warnte auch das Innenminis- terium in Riad. Verkauft als Zweit- oder Drittfrau In der Praxis lasse es sich nur schwer verhindern, dass jemeniti- sche Kinderbräute als Zweit oder Drittfrau nach Saudi-Arabien ver- kauft würden, betonen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. «Leider ist es weiterhin an der Tagesordnung, dass alte saudische Männer minder- jährige Jemenitinnen heiraten», sagt Saba Zawbah, UN-Koordinatorin für Menschenrechtsprojekte in Jemen. Wegen der humanitären Krise sei ein markanter Anstieg von «Tourismus- Heiraten» zu beobachten. Ihre Kin- derbräute finden saudische Heirats- willige in Flüchtlingslagern an der saudisch-jemenitischen Grenze oder in den Armenvierteln von Jeddah. Wie in Libanon und Jordanien (mit syrischen Flüchtlingsfrauen) wird die «Vermittlung» von jungen Frauen aus Jemen auch in Saudi-Arabien inzwi- schen professionell betrieben.

Bei den Uralt-AKW drohen gefährliche Szenarien

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Page 1: Bei den Uralt-AKW drohen gefährliche Szenarien

Leitung Regionalmedien: Jürg Weber

Chefredaktion: Philipp Landmark (Chefredaktor); Silvan Lüchinger (stv. Chefredaktor; Leitung Ostschweiz am Sonntag); Bruno Scheible (stv. Chefredaktor; Regio-nalleiter); Jürg Ackermann (Blattmacher); Sarah Gerteis (Leitung Online-Redaktion) Erweiterte Chefredaktion: David Angst (Leitung Thur- gauer Zeitung); Daniel Wirth (dwi, Leitung St.!Gallen/Gossau); Andreas Bauer (Dienstchef)

Verlag und Druck: St.!Galler Tagblatt AG, Fürstenlandstrasse 122 Postfach 2362, 9001 St.!Gallen. Telefon 071 272 78 88

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Publikation: tbhb Pagina: 2 Ist-Farben: cmyk0Ressort: tb-th Erscheinungstag: 19. 8. 2015 MPS-Planfarben: cmyk

é SCHWEIZ 5

PRESSESCHAUDer ständerätliche Reformvorschlag zurAltersvorsorge spaltet die Geister.

Klar ist auch, dass die Reform nicht fürdie Ewigkeit ist. In zehn Jahren wird die nächste Etappefällig, um die Renten der Babyboomer-Generation zufinanzieren. Spätestens auf 2030 wird die Politik wohlnicht um eine generelle Rentenaltererhöhungherumkommen. Wenn aber – wie vomArbeitgeberverband gefordert – bereits die aktuelleReform eine schrittweise Rentenaltererhöhung bis 67ermöglichen würde, wäre das Nein an der Urnevorprogrammiert.

Man würde der ständerätlichenSozialkommission gerne ein Kränzchen winden. Sie hat,was im hiesigen Politbetrieb selten genug der Fall ist,für einmal rasch gearbeitet. Doch was da in aller Eileherausgekommen ist, ist schwer zu verdauen. (. . .) Statteiner Stabilisierung der Altersvorsorge und nachhalti-gen Massnahmen werden Geschenke verteilt – finan-ziert mit Lohnprozenten. Eine solche Politik hat denKompass verloren und kann nicht goutiert werden. Sieuntergräbt die Solidarität zwischen den Generationen.

2 Thema Mittwoch, 19. August 2015

Das Auto ist für einen wachsen-den Teil der Schweizer Bevölke-rung laut einer Umfrage nichtmehr unverzichtbar.

ZUR SACHE

Kritisch, aber dennochimmer unterwegs

S taus gehören für viele zum Alltag. Krachenzwei Unachtsame mit ihren Fahrzeugenzusammen, wird die Strasse unpassierbar

und oft eine ganze Stadt oder zumindest ein Teildavon blockiert. Staus entstehen aber auch ohneUnfälle täglich, die Staustunden werden immermehr, sei es am Gotthard-Tunnel und noch öfterauf den Strassen der Agglomerationen. Dement-sprechend wenig verwunderlich ist, dass im «Mo-bilitätsmonitor 2015» des Forschungsinstitutsgfs.bern drei Viertel der Befragten den Stau alsProblem bezeichnen. Und auch wegen der volks-wirtschaftlichen Staukosten vom 1,5 MilliardenFranken eine Ausbauoffensive gutheissen.

Geht es dann aber darum, Strassenprojekte zurEntlastung zu verwirklichen, treten viele aufs Gas,um dagegen zu protestieren. Sei es zum Beispielbeim zweiten Gotthard-Tunnel oder bei neuenAutobahnanschlüssen. Das zeigt die polyvalenteHaltung vieler, die auch in der neusten Umfragezum Tragen kommt. Zwar haben Schweizerinnenund Schweizer extrem viele Autos in ihren Gara-gen stehen, reden übers Zweit- und Drittauto,geben in der Umfrage zu einem Drittel aber an,das Auto sei verzichtbar. Da tut sich wohl auchein Stadt-Land-Graben auf: Für unverzichtbarhalten das Auto vor allem Städter, die vollendsvom öffentlichen Verkehr profitieren, den abernicht alle Autofahrer subventionieren wollen.

Der Mensch handelt auch in Bezug auf seinMobilitätsverhalten nicht immer rational. Er kanndurchaus dem eigenen Fahrzeug mit Skepsis be-gegnen, das Auto als Stinker und Mordwaffe be-zeichnen, aber trotzdem gerne Autofahren. Dieindividuelle Mobilität ist ihnen wichtig, auchwenn sie sich in Umfragen kritisch dazu äussern.

Bruno Knellwolfbruno.knellwolf…tagblatt.ch

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Bild: ky/Patrick B. Kraemer

Bastien GirodNationalrat der Grünen (ZH)

In Fukushima belaufensich die Kosten des

AKW-Unfalls auf über100 Milliarden Franken.

PODIUM

Bei den Uralt-AKW drohen gefährliche SzenarienWer dachte, nach der Fukushima-Kernschmelze steige die Schweiz ausder Atomkraft aus, hat sich ge-täuscht. Nicht jetzt, nicht im Jahr2019, ja nicht einmal im Jahr 2029soll das älteste Atomkraftwerk derWelt vom Netz genommen werden.Was sich nach einem schlechtenWitz anhört, ist der Vorschlag derUmweltkommission des Ständerates.

Kehrtwende der AKW-LobbyDabei planten bis zur Katastrophe

in Fukushima sogar die AKW-Betrei-ber selber, ihre Reaktoren spätestensnach 50 Jahren abzuschalten. DerBundesrat ist deshalb in der Ener-giestrategie davon ausgegangen,dass 2034 das letzte AKW vom Netzgeht. Doch bereits mit 50 JahrenLaufzeit, werden die Interessen derAKW-Betreiber über die Sicherheitder Bevölkerung gestellt. InDeutschland hat die bürgerlicheKanzlerin Merkel aus Sicherheits-gründen beschlossen, die AKW nach40 Jahren Betrieb abzustellen. Alsdie Schweizer AKW-Lobby begriff,dass neue Kernkraftwerke sowohlpolitisch (wegen Fukushima) wieauch wirtschaftlich (die erneuer-baren Energien werden immer güns-tiger) chancenlos sind, machte sieeine strategische Kehrtwende. Plötz-lich setzte sie alles daran, die be-

stehenden AKW möglichst langelaufen zu lassen. Das ist politischleichter durchzubringen, denn derWeiterbetrieb von AKW brauchtkeine politischen Beschlüsse. Damitaber der AKW-Weiterbetrieb wirt-schaftlich bleibt, dürfen für Nach-rüstungen nicht zu strenge Kriteriengelten. Darum wehren sich die Be-treiber dagegen, ihre Atomkraft-werke auf den neusten Stand derTechnik nachzurüsten, mit derFolge, dass Uralt-AKW weiterbetrie-ben werden, welche 10- bis 100mal

grössere nukleare Risiken aufweisenals neue AKW. Diese Verschlechte-rung hat sogar die ansonsten aus-gesprochen AKW-freundliche Auf-sichtsbehörde Ensi alarmiert.

Das Ensi schlägt daher vor, dassAKW nach 40 Jahren sogenannteLangzeitbetriebskonzepte vorlegenmüssen. Diese sollen sicherstellen,dass die Wahrscheinlichkeit nuklea-rer Unfälle trotz Überalterung derAnlagen nicht zunimmt. Zwar hatte

die Umweltkommission des Natio-nalrates (Urek) die Atomausstiegs-Initiative der Grünen abgelehnt,welche eine maximale Laufzeit fürjedes AKW von 45 Jahren verlangt.Sie unterstützte aber immerhindeutlich das vom Ensi vorgeschla-gene Langzeitbetriebskonzept.

Verwüstung und LeidVon alldem will die Urek des

Ständerats nun gar nichts wissen.Und das, obwohl bei einem Unfalldie Betreiber nur für 1,2 MilliardenFranken aufkommen müssten, wäh-rend der Rest der Kosten auf Staatund Bevölkerung abgewälzt würde.In Fukushima belaufen sich die Kos-ten des Unfalls auf über 100 Milliar-den Franken, gemäss Schätzungendes Bundes kann ein Unfall sogar8000 Milliarden Franken kosten.

Diese Zahlen widerspiegeln abernicht die Verwüstung, die Opfer unddas Leid, wenn Städte wie Bern oderZürich und weite Teile des dicht-besiedelten Mittellands evakuiertwerden müssten. Dass solche Gefah-ren in Kauf genommen werden, istumso unverständlicher, wenn manbedenkt, dass heute Alternativen zuAKW nicht nur technisch machbar,sondern auch wirtschaftlich tragbarsind. Mehr noch, der forcierte Aus-bau von erneuerbaren Energien und

die Verbesserung der Effizienz wäreneine riesige Chance für die Wirt-schaft und die Schaffung vonArbeitsplätzen. Wie damals, als dieSBB zu Beginn des 20. Jahrhundertsin der Schweiz als erstem Land dieElektrifizierung des Eisenbahnnetzesrasch vorantrieben. Die Technolo-gien, welche für Elektroloks undStromerzeugung benötigt wurden,waren der Grundstein für einen un-vergleichlichen technologischenVorsprung der Schweizer Wirtschaft,welcher zum Teil bis heute andauert.

Was die Elektrifizierung derEisenbahn vor 100 Jahren war, könn-te die grüne Wirtschaft im 21. Jahr-hundert werden. Wenn die Schweizauf grüne Technologien setzt, fördertsie damit Unternehmen, welche zuzentralen Pfeilern unseres Wohl-standes werden könnten.

Bild: afp/Khaled Fazaa

Nodschud Ali wurde mit acht Jahren verheiratet – und schrieb später ein Buch.

«Ich will nie wieder heiraten»Als Folge des Jemen-Krieges ist die Zahl minderjähriger Kinderbräute stark angestiegen.Ihre Verheiratung nach Saudi-Arabien soll nun verhindert werden.MICHAEL WRASE

Sieben Jahre ist es her, dass diedamals achtjährige Jemenitin Nod-schud Ali gegen den Willen der Elterndie Scheidung von ihrem 22 Jahreälteren Ehemann durchsetzte. «Ichwill zurück in die Schule gehen undnie, nie wieder heiraten», verkündetedas junge Mädchen nach der Ent-scheidung des Gerichts. «Ich bin soglücklich, wieder frei zu sein.»

Das in der Hauptstadt Sanaagefällte Urteil sorgte weltweit fürSchlagzeilen. Nodschuds Mut führtedazu, dass über das TabuthemaZwangsehe erstmals auch in der isla-mischen Welt gesprochen wurde. Zu-mindest für einige Monate. Viel ge-ändert hat sich seither freilich wenig.

In der Hochzeitsnacht verblutetGesetzesvorschläge für Mindest-

alter für Hochzeiten wurden zwar imjemenitischen Parlament diskutiert.Sie scheitern aber bis heute amWiderstand der Islamisten. Ihrstärkstes Argument für die Heirat vonMinderjährigen ist der ProphetMohammed, der seine zweite FrauAischa auch im Kindesalter, mit neunJahren, geheiratet haben soll. Wer miteinem einschränkenden Gesetz dieseheiligen Tatsachen ignoriere, «ver-breite Unmoral und bedrohe dieGesellschaft und Kultur», behaupteteder einflussreiche jemenitischeGeistliche, Scheich Abdul Majid al-Zidani. Dieser hatte 2010 eine Fatwa(islamisches Rechtsgutachten) erlas-sen, welche die Befürworter einesGesetzes für das Mindestalter derEhe zu «vom Glauben Abgefallenen»macht, was nach der Sharia mit derTodesstrafe zu ahnden ist.

Über ihre Erfahrungen in derZwangsehe, die täglichen körperli-chen Züchtigungen und Vergewalti-gungen, hatte Nodschud Ali ein Buchgeschrieben, das in Europa zumBestseller wurde. Mit den Erlösenkonnte sie ihrer Familie ein Hauskaufen, ihre Existenz wohl langfristigsichern. Durch die Revolution inJemen sowie den seit als mehr als vierMonaten andauernden Krieg derSaudis gegen die schiitischen Huthihaben sich die Lebensumstände der

meisten Jemeniten inzwischen aberdramatisch verschlechtert.

Um ihr physisches Überleben zusichern, sind jemenitische Familienbereit, auch ihre minderjährigenTöchter mit vergleichsweise wohl-habenden Saudis oder Staatsbürgernanderer arabischer Staaten zu verhei-raten. Diese zahlen für die Kinder-bräute in der Regel einen vierstelli-gen Dollarbetrag im mittleren Be-reich. Die Verheiratete wird nicht ge-fragt. Sie muss sich fügen, nach Ein-tritt der Pubertät auch Sex über sichergehen lassen, der nach der Shariadann legal ist. Allerdings ist es auchschon vorgekommen, dass auchZehnjährige von ihrem Ehemannvergewaltigt wurden und noch in derHochzeitsnacht verbluteten.

«Wegen der schwerwiegendenKonsequenzen» soll der Verheiratungjemenitischer Kinderbräute nachSaudi-Arabien nun ein Riegel vorge-schoben werden. Wie Medien berich-teten, müssen Saudis, die «unbe-kannte Frauen» aus Jemen – gemeintsind Kinderbräute – heiraten, zu-künftig mit einer Bestrafung rechnen.Eine Legalisierung solcher Ehendurch die Behörden komme nicht inFrage, warnte auch das Innenminis-terium in Riad.

Verkauft als Zweit- oder DrittfrauIn der Praxis lasse es sich nur

schwer verhindern, dass jemeniti-sche Kinderbräute als Zweit – oderDrittfrau nach Saudi-Arabien ver-kauft würden, betonen Mitarbeitervon Hilfsorganisationen. «Leider istes weiterhin an der Tagesordnung,dass alte saudische Männer minder-jährige Jemenitinnen heiraten», sagtSaba Zawbah, UN-Koordinatorin fürMenschenrechtsprojekte in Jemen.Wegen der humanitären Krise sei einmarkanter Anstieg von «Tourismus-Heiraten» zu beobachten. Ihre Kin-derbräute finden saudische Heirats-willige in Flüchtlingslagern an dersaudisch-jemenitischen Grenze oderin den Armenvierteln von Jeddah.Wie in Libanon und Jordanien (mitsyrischen Flüchtlingsfrauen) wird die«Vermittlung» von jungen Frauen ausJemen auch in Saudi-Arabien inzwi-schen professionell betrieben.