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Der Kommunismus ist …? Michael Wolffsohn hat so einige Bücher nicht zu Ende gelesen und hält die Welt für eine Bühne der Eitelkeiten E inen Linken wird man den 1947 in Tel Aviv ge- borenen und heute in Berlin lebenden Histo- riker und Publizisten Michael Wolffsohn schwerlich nennen können. Einen im besten Sinn streitbaren Intellektuellen allerdings schon. So auch in sei- ner jüngsten Publikation: Frie- denskanzler? Willy Brandt zwi- schen Krieg und Terror (dtv). Was mögen Sie an Angela Mer- kel? Ihren Wunsch, den „humanitären Imperativ“ umzusetzen. Leider sind – nicht nur diesbezüglich – auch bei ihr Wollen und Können nicht deckungsgleich. Welches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen? Recht viele zeitgenössische Autoren, aber welche, verrate ich nicht. Schriſtsteller haben es schon so schwer genug, ihr Brot zu verdienen. Welchen linken Politiker, welche linke Politikerin bewundern Sie? Als Bewunderer – auch meiner selbst – bin ich total ungeeignet. Würden Sie gerne öſter Fahrrad fahren? Ich radele täglich. Frischer Geist braucht frische Luſt. Wann sind Sie zuletzt U-Bahn gefahren? Wo ich wohne, fährt die S-Bahn, die nutze ich fast ausschließlich. Auto fahre ich selten. Straßen- verkehr ist schlimmer als Wildwest. Zahlen Sie eigentlich gern GEZ-Gebühren? Ja – wenn die Sendungen Quali- tät bieten und nicht Ideologie oder Haha-„Unterhaltung“, also Lebenszeitraub betreiben. Welche Drogen sollten legalisiert werden? Menschlichkeit, Anstand, Offen- heit (Herz und Hirn), Manieren. Halten Sie es für möglich, dass die ganze Welt eine Fiktion ist? Sie ist eine Bühne der Eitelkeiten – vor allem von Männern. Wer oder was hätten Sie gerne sein mögen? Schon mein Ich (über)fordert mich. Ihr Leben wird verfilmt. Welcher Schauspieler (welche Schauspie- lerin) sollte das tun? Meine und meiner Familie Geschichte gibt es als Buch: Deutschjüdische Glückskinder. Bücher ziehe ich Filmen vor. Toskana oder Krim? Ich suche die Harmonie von Kultur und Natur. Ich bin West- und Mitteleuropäer. Also die Toskana. StudentInnen oder Studierende? Es lebe die durchdachte gramma- tikalische Korrektheit, nicht die modisch politische. In jeder Sprache. Haben Sie ein Zeitungsabo? Nur eines und nur von einer Richtung? Absurd. Offene Grenzen sind …? Im Prinzip ein Segen, doch manchmal leider Fluch. Nichts und niemand ist eindimensional. Ist die Lüge ein legitimes Mittel in der Politik? Als ob nur in der Politik gelogen würde. Sollte man Gehälter öffentlich machen? Das ist letztlich inhuman, weil für manche lebensgefährlich. Der Kommunismus ist …? Ein schöner Traum, in der histo- rischen Realität ein Blutmeer. Haben Sie geweint, als die Berliner Mauer fiel? Gejubelt. Weil: Menschen- und Bürgerrechte für alle Menschen und Bürger! Kaufen Sie bei Amazon? Warum auf gute Dienstleistungen verzichten? Aber ich konsumiere wenig, und Buchkäufe nur in der „Literaturhandlung“ von Rachel Salamander. Sollte der Kapitalismus überwunden werden? Ja, für diejenigen, die verzichten wollen auf: Leistung, Leistungs- motivation und -belohnung, Wettbewerb, Fortschritt und Selbstbestimmung. Waren Sie schon mal auf einer Demonstration? Massen sind mir zuwider. Wo haben Sie zuletzt Urlaub gemacht? Urlaub – was ist das? Welchen Rat würden Sie der SPD-Parteivorsitzenden geben? Jeder und alles ist vergänglich, auch die SPD. Haben Sie schon einmal einen Abend mit einem Flüchtling verbracht? Gesinnungsfrage. Im Berliner Mi- krokosmos Gartenstadt Atlantic der gemeinnützigen Lichtburg- Stiſtung meiner Familie sind Flüchtlinge und Migranten das „unser täglich Brot“. Sind einige Ihrer besten Freun- de Muslime? Muster bekannt: „Einige meiner sind Juden.“ Bin selber einer und sortiere Menschen nicht nach Religion, Hautfarbe, Volkszuge- hörigkeit. Ich habe muslimische, schwarze, christliche, buddhis- tische, sogar jüdische Freunde, auch Linke, Homos, Lesben. Wem würden Sie das Bundes- verdienstkreuz geben? Orden gegenüber bin ich gespalten. Einerseits eine schöne Geste vom Staat zum Bürger. Anderer- seits Firlefanz. Ich hab’s, freu mich drüber – und trag’s nie. Kaufen Sie im Bio-Laden? Ja, aber nicht ausschließlich. Wo ist Ihr Zuhause? Zu Hause. Wie möchten Sie sterben? Da werd ich wohl improvisieren müssen. Nespresso oder Filterkaffee? Gut und bekömmlich soll er sein. ILLUSTRATION: SUSANN MASSUTE

Bei ihrem ersten Date wirkte er leicht invertiert Der Kommunismus ist - Michael … · 2018-12-07 · auf freitag.de, Facebook, Instagram und Twitter ein Foto, für das wir eine Bildunterschrift

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Page 1: Bei ihrem ersten Date wirkte er leicht invertiert Der Kommunismus ist - Michael … · 2018-12-07 · auf freitag.de, Facebook, Instagram und Twitter ein Foto, für das wir eine Bildunterschrift

28 der Freitag | Nr. 49 | 6. Dezember 2018Klub

Meine Abende mit Anne Will sind schon eine Weile her. Lange fürchtete ich, etwas zu

verpassen, wenn ich ihre Sendung nicht schaue. Von dieser Furcht lebt die Sendung. Nun bin ich frei davon. Ich weiß nicht, ob ich in meiner Abkehr re-präsentativ bin, einen gewissen Druck, die Leute bei der Stange zu halten, scheint es zu geben. Das wurde mir klar, als ich an diesem Sonntagabend mal wieder eingeschaltet hatte. Diskutiert wurde über den „Krim-Konflikt“. Ich fand die Diskussion interessant. Das Niveau war recht hoch, der Wille zur Differen-zierung erkennbar. Wer an der Krise um die freie Durchfahrt zum Asowschen Meer nun Schuld hat, die Russen oder die Ukrainer, das wusste mit einer Aus-nahme keiner so genau zu sagen, nicht Frau Kramp-Karrenbauer, nicht Frau Barley, erst recht nicht der Herr Bartsch, und von Herrn Münkler wurde man darüber belehrt, dass solche Schuldzuweisungen eh Kindergarten sind. Nur Christoph von Marschall wusste genau, dass die Russen die Bösen sind, aber die Vereinigung, in der er Mitglied ist, heißt ja auch nicht „Brücke über die Straße von Kertsch“, sondern „Atlantik-Brücke“. Alles in allem mehr Presseclub als Show, an der lebhaften Diskussion schien bloß eine keine Freude zu haben: die Moderatorin. Anne Will fühlte sich sichtlich unwohl, obwohl oder vielleicht weil man den Eindruck hatte, dass die Gäste sich auch selbst moderie-ren könnten.

Ich erinnerte mich nun wieder, warum mir Anne Will unerträglich geworden war. Weil sie immer, wirklich immer dann, wenn eine Diskussion gerade interes-sant wird, abbricht. „Frag doch nach, du ...!“: Wie oft habe ich ihr das nicht zu-gerufen? Ihre größte Angst scheint die Vertiefung eines Themas zu sein. „Du darfst den Zuschauern nicht zu viel zu-muten“ schwebt als ungeschriebenes (vielleicht sogar irgendwo geschriebenes) Gebot über der Sendung. Ihre Methode ist die des Umbiegens: Statt nachzufra-gen, kommt sie auf die Parteipolitik und von der auf einen anwesenden Kandidaten und von diesem auf die „harte, unbestechliche Frage“, die eigent-lich ein Befehl des Exekutivkomitees zur Rettung der Polit-Talkshow im Ersten ist. An diesem Sonntag lautete der in höchster Not ausgesprochene Frage-Befehl an Frau Kramp-Karrenbauer: „Sie könnten doch eine Haltung haben! Dafür wollen Sie doch gewählt werden, wahrscheinlich.“ Es ging um Nord Stream 2 und Frau Kramp-Karrenbauers Wei-gerung, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob sie aus dem Projekt ausstei-gen will oder nicht. Dass Kramp-Karren-bauer gerade Haltung gezeigt hatte, indem sie sagte, sie wolle nicht etwas versprechen, was sie nicht halten könne, kann eine Moderatorin wie Anne Will allenfalls abstrakt gut finden, praktisch gibt es für ihre Sendung rein gar nichts her.

Vorsicht! Tiefe! Anne Will hat Angst vor Nachfragen

Hegelplatz 1Michael Angele

Der Kommunismus ist …?Michael Wolffsohn hat so einige Bücher nicht zu Ende gelesen und hält die Welt für eine Bühne der Eitelkeiten

Einen Linken wird man den 1947 in Tel Aviv ge-borenen und heute in Berlin lebenden Histo-riker und Publizisten

Michael Wolffsohn schwerlich nennen können. Einen im besten Sinn streitbaren Intellektuellen allerdings schon. So auch in sei-ner jüngsten Publikation: Frie-denskanzler? Willy Brandt zwi-schen Krieg und Terror (dtv).

Was mögen Sie an Angela Mer-kel?Ihren Wunsch, den „humanitären Imperativ“ umzusetzen. Leider sind – nicht nur diesbezüglich – auch bei ihr Wollen und Können nicht deckungsgleich. Welches Buch haben Sie zuletzt nicht zu Ende gelesen?Recht viele zeitgenössische Autoren, aber welche, verrate ich nicht. Schriftsteller haben es schon so schwer genug, ihr Brot zu verdienen. Welchen linken Politiker, welche linke Politikerin bewundern Sie?Als Bewunderer – auch meiner selbst – bin ich total ungeeignet. Würden Sie gerne öfter Fahrrad fahren?Ich radele täglich. Frischer Geist braucht frische Luft.Wann sind Sie zuletzt U-Bahn gefahren?Wo ich wohne, fährt die S-Bahn, die nutze ich fast ausschließlich. Auto fahre ich selten. Straßen-verkehr ist schlimmer als Wildwest.

Zahlen Sie eigentlich gern GEZ-Gebühren?Ja – wenn die Sendungen Quali-tät bieten und nicht Ideologie oder Haha-„Unterhaltung“, also Lebenszeitraub betreiben.Welche Drogen sollten legalisiert werden?Menschlichkeit, Anstand, Offen-heit (Herz und Hirn), Manieren.Halten Sie es für möglich, dass die ganze Welt eine Fiktion ist?Sie ist eine Bühne der Eitelkeiten – vor allem von Männern.Wer oder was hätten Sie gerne sein mögen?Schon mein Ich (über)fordert mich. Ihr Leben wird verfilmt. Welcher Schauspieler (welche Schauspie-lerin) sollte das tun?Meine und meiner Familie Geschichte gibt es als Buch: Deutschjüdische Glückskinder. Bücher ziehe ich Filmen vor.Toskana oder Krim?Ich suche die Harmonie von Kultur und Natur. Ich bin West- und Mitteleuropäer. Also die Toskana. StudentInnen oder Studierende?Es lebe die durchdachte gramma-tikalische Korrektheit, nicht die modisch politische. In jeder Sprache. Haben Sie ein Zeitungsabo? Nur eines und nur von einer Richtung? Absurd. Offene Grenzen sind …?Im Prinzip ein Segen, doch manchmal leider Fluch. Nichts und niemand ist eindimensional.

Ist die Lüge ein legitimes Mittel in der Politik?Als ob nur in der Politik gelogen würde. Sollte man Gehälter öffentlich machen?Das ist letztlich inhuman, weil für manche lebensgefährlich.Der Kommunismus ist …?Ein schöner Traum, in der histo-rischen Realität ein Blutmeer.Haben Sie geweint, als die Berliner Mauer fiel?Gejubelt. Weil: Menschen- und Bürgerrechte für alle Menschen und Bürger!

Kaufen Sie bei Amazon?Warum auf gute Dienstleistungen verzichten? Aber ich konsumiere wenig, und Buchkäufe nur in der „Literaturhandlung“ von Rachel Salamander. Sollte der Kapitalismus überwunden werden?Ja, für diejenigen, die verzichten wollen auf: Leistung, Leistungs-motivation und -belohnung, Wettbewerb, Fortschritt und Selbstbestimmung.Waren Sie schon mal auf einer Demonstration?Massen sind mir zuwider.

Wo haben Sie zuletzt Urlaub gemacht?Urlaub – was ist das?Welchen Rat würden Sie der SPD-Parteivorsitzenden geben?Jeder und alles ist vergänglich, auch die SPD.Haben Sie schon einmal einen Abend mit einem Flüchtling verbracht?Gesinnungsfrage. Im Berliner Mi-krokosmos Gartenstadt Atlantic der gemeinnützigen Licht burg-Stiftung meiner Familie sind Flüchtlinge und Migranten das „unser täglich Brot“. Sind einige Ihrer besten Freun-de Muslime?Muster bekannt: „Einige meiner ... sind Juden.“ Bin selber einer und sortiere Menschen nicht nach Religion, Hautfarbe, Volkszuge-hörigkeit. Ich habe muslimische, schwarze, christliche, buddhis-tische, sogar jüdische Freunde, auch Linke, Homos, Lesben. Wem würden Sie das Bundes-verdienstkreuz geben?Orden gegenüber bin ich gespalten. Einerseits eine schöne Geste vom Staat zum Bürger. Anderer-seits Firlefanz. Ich hab’s, freu mich drüber – und trag’s nie. Kaufen Sie im Bio-Laden?Ja, aber nicht ausschließlich. Wo ist Ihr Zuhause?Zu Hause.Wie möchten Sie sterben?Da werd ich wohl improvisieren müssen. Nespresso oder Filterkaffee?Gut und bekömmlich soll er sein.

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Jede Woche posten wir auf freitag.de, Facebook, Instagram und Twitter ein Foto, für das wir eine Bildunterschrift suchen. Die aktuelle hat uns Amadeus Kleinschmidt geschickt. Vielen Dank!

Unten ohne

Bei ihrem ersten Date wirkte er leicht invertiert

Verleger Jakob AugsteinChefredaktion Jakob Augstein (V.i.S.d.P.), Michael AngeleVerantwortliche Redakteure Christine Käppeler (Kultur), Jan J. Kosok (Online), Sebastian Puschner (Politik)Textchef Klaus Ungerer (FM*)CvD Marco RüscherRedaktion Leander Badura (FM), Christian Baron, Ulrike Baureithel (FM), Pepe Egger (FM), Mladen Gladić, Lutz Herden, Michael

Jäger (FM), Elsa Koester, Benjamin Knödler, Maxi Leinkauf, Martina Mescher, Katharina Schmitz, Barbara Schweizerhof (FM), Thembi Wolf (FM)Gestaltung Lisa Kolbe (Art Direktion); Gabor Farkasch, Felix Velasco (Grafik); Niklas Rock, Kevin Mertens (Bild)Redaktionelle Übersetzer Holger Hutt, Carola TortiRedaktionsassistenz Jutta Zeise

Verlag und Redaktion der Freitag Mediengesellschaft mbH & Co KG, Hegelplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: (030) 250 087-0 www.freitag.deGeschäftsführung Jakob Augstein, Dr. Christiane DütsBeratung Prof. Christoph Meier-SiemVerlagsleitung Nina Mayrhofer

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