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Beitrage zur Lehre vom Schielen und yon der Schiel.Operation yon Dr. A. v. Grafe. ]gz|te A5]~c11~8". Ueber den Mechanismus der Muskelriicklage- rung und Muskelvorlagerung bei verschiede- hen krankhaften Zust&inden. Der Ausdruck ,,Schielen" hat vorl/iufig eilm symptomatische Bedeutung. Er bedeutet die Urff'~ihig- keit, beide Sehaxen in einem Fixirpunkte, welcher im gemeinschafilichen Gesichtsfeld liegt, zur Kreuzung zu bringen. Es giebt Symptome, welcho ihrcm Wesen nach so umschrSnkt sind,' dass sie bcrcits noso]ogische Vorstellungen involviren. Dies gilt abet nicht yon dem Symptom des Schielens, denn es kommt dasselbo in der allerverschiedenstea Gestaltung zum Vorschein, und ist bald der Ausdruck yon Leiden der Innervation, bald yon Leiden der Muskelstruktur, bald yon /iusserlichen Immobilit/itsursachen, bald yon Aaomalieen des Sehactes. Es ist daher nS.thig, das gedachte Symptom aus seiner Allgemeinheit aur besondere Formen zurfickzuf~hren, um aa dasselbe einigermaassen f'6rderliche Auffassuagen Fdr Pathologie und Therapio anzukni~pfen. Die Noth- wendigkeit solcher n~iheren Bestimmungen f/ihrLe zur Arc, kiv fth, Ophthalmologle. Bd, III. I. t2

Beiträge zur Lehre vom Schielen und von der Schiel-Operation

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Beitrage zur Lehre vom Schielen und yon der Schiel.Operation

yon Dr. A. v. G r a f e .

]gz|te A5]~c11~8".

U e b e r den M e c h a n i s m u s de r M u s k e l r i i c k l a g e - r u n g und M u s k e l v o r l a g e r u n g bei v e r s c h i e d e -

h e n k r a n k h a f t e n Zust&inden.

Der Ausdruck , , S c h i e l e n " hat vorl/iufig eilm symptomatische Bedeutung. Er bedeutet die Urff'~ihig- keit, beide Sehaxen in einem Fixirpunkte, welcher im gemeinschafilichen Gesichtsfeld liegt, zur Kreuzung zu

bringen. Es giebt Symptome, welcho ihrcm Wesen nach so umschrSnkt sind,' dass sie bcrcits noso]ogische Vorstellungen involviren. Dies gilt abet nicht yon dem Symptom des Schielens, denn es kommt dasselbo in der allerverschiedenstea Gestaltung zum Vorschein, und ist bald der Ausdruck yon Leiden der Innervation, bald yon Leiden der Muskelstruktur, bald yon /iusserlichen Immobilit/itsursachen, bald yon Aaomalieen des Sehactes. Es ist daher nS.thig, das gedachte Symptom aus seiner Allgemeinheit aur besondere Formen zurfickzuf~hren, um aa dasselbe einigermaassen f'6rderliche Auffassuagen Fdr Pathologie und Therapio anzukni~pfen. Die Noth- wendigkeit solcher n~iheren Bestimmungen f/ihrLe zur

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Aufstellung der verschiedenen Variet~iten des Sehielens. Da ich den Zweck der vorliegenden Bl~itter darin setze, eine m~glichst innige Beziehung zwischen be- stimmten Krankheitsformen und bestimmten zugeh~rigen Operationsmethoden nachzuweisen, so bin ich gezwun- gen, in die Beschreibung jener an mehreren Stellen einzugehen, selbst auf die Gefahr hin, einen scheinbar genfigend in der Literatur ersch~pften Gegenstand auf's Neue zu berfihren.

I.

Das typisch c o n c o m i t i r e n d e S c h i e l e n stellt sich dutch iblgende Symptome dar:

l) Das eine Auge ist bet der Fixation auf das Object gerichtet, w~ihrend die Sehaxe des andern in einem beliebigen Winkel und in ether beliebigen Rich- tung am Gesichtsobject vorbeischiesst. Wird das ge- sunde Auge mit der Hand verdeckt, so richter sich dutch Anspannung der frfiher erschlafften Muskeln die Sehaxe des schielenden auf" das Gesichtsobject, und es wird diese Einstellung yon einer associirten Bewegung im gesunden Auge begleitet, welche wit als sekund~ire A b l e n k u n g bezeichnen. Da nun hierbei die mit den erschlafften Muskeln des kranken Auges associirten Muskeln des gesunden sich verkfirzen, so muss auf diesem unter tier bedeckenden Hand eta Schielen ent- stehen, welches, auf die a s s o c i i r t e n Kr~ifte bezo- gen, die u m g e k e h r t e R i c h t u n g des u r sp r f i ng - l i chen Sch ie l ens hat. Handelt es sich z. B. um ein Schielen nach innen, so wird auf dem gesunden Auge ebenfalls ein sekundiires Schielen nach innen entstehen, weil der rectus internus des einen Auges in Bezug auf associirte Bewegungea dem rectus internus des andern

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Auges entgegengesetzt ist. Aus demselben Grunde wird bei Aussen-Schielen auch das gesunde Auge unter der Bedeckung eine Sehaxen-Richtung nach aussen annehmen. Beim reia concomitirenden Schielen nach oben resp. nach unten wird cs sich aber scheinbar anders verhalten, well bier die gleichnamigen Muskeln associirt sind. So w.ird beim Schielen nach unten das gesunde Auge eine secund~ire Ablenkung nach oben annehmen, und vice versa.

2) N~ichst der Ri e h t u n g der secund~iren Ablenkung liegt ein zweiter integrirender Punkt in deren E x c u r - s ion. Die secund~re Ablenkung ist im Allgemeinen g l e i c h e x c u r s i v wie die pr im~ire A b l e n k u n g im k r a n k e n Auge . Es erleidet dieses ffir das Wesen des Schielens hiichst wichtige Gesetz nut eine gewisse Beschr~inkung fiir den seitlichsten Theil des Gesichis- s wenn n~imlich der Fixirpunkt gegen d ie Con- tractionsgrenzen des verl';ingerten Muskels hin bewegt wird. Alsdann macht sfch die Insufficienz des letzt- erw~ihnten in iihnlicher Weise, wie bei einer Muskel- parese geltend, und es entstehen etwas griissere Secun- d~irablenkungen. Wit kiinnen jedoeh diese, aus 3) leicht erkl~irliche, Unregelm~issigkeit iibergehen, da die Contractionsgrenze des verl~ingerten Muskels bei rein concomitirendem Schielen nicht mehr der Lage des Fixirpunktes im gemeinschaftlichen Gesiehtsfelde ent- spricht.

3) Als ein drifter integrirender Punkt muss hervor- gehoben werden, dass die Beweglichkeit bei Verschluss des gesunden Auges im Verh~iltniss zu dem Grade der Ablenkung nur in sehr geringer Weise ver~indert ist, und zwar verh~ilt sich diese Ver~inderung in s Weise: es ist die S u m m e der B e w e g ] i c h k e i t in tier B a h n de r b e i d e n b e t r o f f e n e n a n t a g o n i s t i - s c h e n M u s k e l n v o l l k o m m e n der N o r m g l e i e h ,

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a b e t d a s g a n z e G e b i e t de r B e w e g u n g e n um e in w e n i g e s n a c h S e i t e n d e s z u s a m m e n g e z o - g e n e n M u s k e l s v e r s c h o b e n . Wenn z. B. Jemand an hochg'radigem concomitirenden Schielen nach innen leidet, so finden wir, wenn wit nach einander beim einseitigen Verschluss die Beweglichkeitsgrenzen an beiden Augen prfiien, dass der Bogen, den das schie- lende Auge in tier horizontalen Bahn besch~eibt, genau so gross ist, als der, den das gesunde Auge beschreibt; wit finden aber welter, dass die Grenze der Innenstel- lung auf dem schielenden Auge et,vas fiber die Norm herausger[ickt ist, die Grenze der Aussenstellung dage- gen etwas hinter der Norm zurSckbleibt. Der innere Hornhautrand kann defer unter die Karunkel gerSckt werden, der ~iussere Hornhautrand dagegen bleibt bei der Aussendrehung etwas mehr Yore ~iussern Augen- winkel zurfick als im gesunden Auge. Es ist demnach, als ob das ganze Gebiet der Bewegungen um einen gewissen Winkel nach Seiten des zusammengezogenen Muskels verschoben w~re. Aber dieser W i n k e l is t e i n s e h r g e r i n g e r , w e n n w i r i h n m i t d e m S c h i e l - w i n k e l vergleichen, so dass ffir geringe Grade yon Schielen fiberhaupt keine Anomalie der Beweglichkeit auf dem kranken Auge wahrgenommen wird, und auch Fdr h~here Grade diese Anomalie einer genauen Prfi- lung bedarL Man denke sieh die Lidspalte nach aussen dutch eine Blepharophimosis etwas verkfirzt und nach innen die Thriinenkarunkel um ein weniges eingesunken, so wird auch beim hochgradigen concomitirenden ]n- nenschielen die scheinbare Bahn der Beweglichkeit der des gesunden Auges vollkommen congruent*) erscheinen.

~) Zur Feststel[ung dieser Thatsachen mfissen die nicht allzuh~u, figen F~illo yon reinem monolateralsn Schielen benutzt werden, in welchen die Muskeln des zwoiten Auges noch vollkommen nor- real sind, Selbst wenn in keiner Lage des Gesichtsobjects Neigung

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4) An diese drei Punkte schliesst sich ein vierter, welcher in Gemeinschaf't mit den frSheren das Symptom des concomitirendcn Schielens umgrenzt, und sich zum Theil schon aus jenen voraussehen liisst, niimlich der, dass das s c h i e l c n d e A u g e d ie a s s o c i i r t e n Be- w e g u n g o n des g e s u n d e n A u g e s v o l l k o m m e n beg le i t e t . Wird ein Fixirpunkt zuv~Jrdcrst in der Mittellinie gehaltcn, und dann nach rechts und links (in dcm M fi lle r'schen Itoropterkreise) heriibergef'dhrt, so macht dio Sehaxe des schielenden Auges dieselben seitlichen Bcwegungen: wie die Sehaxe des gesun- den, wobci sic in demselbcn Winkel (Schielwinkel) an dem Gcsichtsob.jcct vorbeischiesst. Auch dieses Gesetz erleidet, aus analogen Gri]nden wie das Gesetz der Identitiit zwischen primih'cr und secundiirer Ablenkung ftir den scitlichsten Theil des Gcsichtsfcldes: eine gewisse Beschr~inkung. Ueberhaupt darf'man an die Messungen des Schie]winkels nicht den Maassstab einer zu minu- ti~Jsen Gcnauigkeit anlegen, da die Beobaehtungs- schwankungen, welche durch Unstiitheit in der SteUung des schielendcn Auges bedingt sind, deshalb nicht aus- geschlossen werden k{$nnen, well iiberhaupt eine exacte Einstellung cines Auges bei unterdriicktem Sehact des- selben nicht stattt]ndet.

So wichtig die Betrachmng der a c c o m m o d a t i v e n B e w c g u n g e n beim Schielen in anderer Beziehung ist, so iibergehe ich dieselbe doch ffir .jetzt, da es sich lediglich um die F e s t s t e l l u n g des S y m p t o m s han- delt; fiir dieso letztere diirfen aber die accommodativen Bewegungen nicht angerufen werden, well sie fiberhaupt welt mehr als die associirten yore Fortbestehen d e s

zum Alterniren vorhanden ist, so spricht sich eine gewisso Bethel- ligung der Muskeln des zweiten Auges durch gri~ssere Beweglich- keit desselben nach tier einen Seite und ~turch schiefe Kopfhaltung in dot Mehrzah[ dor F~IIo aus.

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gemeinsehai'tlichen Sehacts abh~ngig sind, und deshalb auch durch Verschiedenheiten im Sehact, z. B. durch die Verh';iltnisse der Diplopie, der Accommodation, sich unendlich verschieden moduliren. Ist der gemeinscha~- liche Sehact dutch eine heliebige Ursache aufgehoben, so kann freilich die accommodative Bewegung des excludirten Auges in ann~hernder Weise fortbestehen, tier Impuls zu derselben pflegt aber allm~ihlig immer undeutlicher zu werden, so dass dieselbe in vielen F~llen g~inzlich erlischt, ohne dass hieraus irgend ein Schluss auf die eine oder andere Form yon Muskelerkrankung hervorgeht.

W i e is t nun das S y m p t o m des re in c o n c o - m i t i r e n d c n S c h i e l e n s zu d e u t e n ? Is t i rgendein Innervationshinderniss f'dr den verl~ingertenlMuskel , irgend ein anomaler Innervationsreiz f'dr den verkiirzten Muskel anzunehmen? Schon die Erhaltung der freien Beweg- liehkeit in der erilrterten Weise (siehe 3) giebt einen Untorschied gegen das, was wit gew~ihnlich bci Muskel- paresen beobachten. Letztere zeigen doch bei genauer Beobachtung eine gewisse Verringerung in der Excur- sion, und wenn auch eine solche Verringerung naeh der ebmn Seite bcim concomitirenden Schielen ange- deutet ist, so bleibt im Gegensatz zu Paresen die Summe der Excursionen in beiden aatagonistischen Muskeln vollkommen erhalten; es ist nach Seite des verkiirzten Muskels das gewonnen, was nach SeRe des verl~inger- ten hin fehlt. Sodann erkl~irt sieh dureh eine gewiihn- liche Muskelparese i~dglieh nicht die Ablenkung der Sehaxe beim gemeinschafilichen Oeffnen, da hochgra- dige Muskelparesen, ohne Consecutivzust~inde, nut ein Vorbeisehiessen der Sehaxe mit sieh ffdhren, wenn die Contraction des betroffenen Muskels beansprucht wird. Ich gebe jedoch zu, dass dies alles gegen ein Innerva-

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tionshinderniss im verl~ngerten Muskel noch nicht voU- kommen beweisend ist, denn wenn man annimmt, dass die Muskeln mehr Kraft besitzen, als zur blossen Ro- tation des Bulbus unumg~inglich nothwendig ist (s. A. f. O. Bd. II, i. S. i90), so w~ire a priori denkbar, dass die Her- absetzung der Innervafion in einem Augenmuskel die Bewcglichkeitsgrenzen nicht betriichtlich verrficken, und doch bei verschiedenen Vcrh~ltnissen im Sehact ver- schiedene Formen yon Ablenkung bedingen kSnne. Die Zusffinde in der Innervation k~nnen mit Sicherheit nut ausgemacht werden durch einen Vergleich in der Wirkungsweise der associirten Kr~te beider Augen. Exisfirt aus tier einen Seite ein Innervationshinderniss, so muss, wenn die associirten Kr~iffe veto Centralorgan aus gleichdeutige Impulse empfangen, ein Unterschied in der Wirkung hervortreten. So verh~ilt es sich in der That bei Muskelparesen. Ist z. B. bei einer ~iusserst leichten Parese des rectus externus die BewegIichkeit nach aussen auf dem betroffenen Auge f'tir sich nut wenig beschriinkt, so tritt doch bei den assoeiirten Bewegungen die Affection dadurch hervor, dass eine geringere Zusammenziehung des rectus externus auf der kranken Seite als des rectus internus auf der ge- sunden Seit% und demnaeh pathologische Convergenz des kranken Auges, reap. Diplopie, entstcht, welche Ph~nomene sich um so mehr steigern, als mit zu- nehmender Aussenstellung des Gesiehtsobiects das Innervationshinderniss sich geltend macht. *) - - In Er- wiigung dieser Thatsaehen giebt das oben sub 4) ErSrtcrte einen wesentlichen Unterschied zwischen

*) Ganz das Nilmllche existirt ja auch f'dr dlv ~ussern Muskeln der Lider. Es ist bekannt, dass eine leichte ptosis paralytica sich beim doppelseRigen Oeffnen weit mehr zeigt, als beim einseitigen, wo der Kranke die Innervationsimpulse nach WiUkilhr auf den elnen paretischen hinlenken kann.

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Muskelparese und Strabismus. Am schlagendsten aber wird derselbe dutch den Punkt 2) bewiesen. Wir haben es bercits andcrweitig zur Geniige hervor- gehoben, dass auch 5el Muskell '~nungen eine secun- d~ire Ablenkung beobachtct wird, class diese aber kei- neswegs dcr prim~ren Ablenkung gleicht, sondern viel excursiver ist als diese, well n~imlich derselbe Iml)uls, der dem mit Farese behaftcten Muskel eine bestimmte Excursion ertheilt, in dem gesunden associir~en Muskel des zweiten A~ges eine weir gr0ssere Contraction her- vorruft; wit haben ferner crw~hnt, dass in dem Ver- hfiltniss dieser beiden Ablcnkungen, der prim~en und secund~iren, ein Maassstab Ftir den Grad des lnnerva- tionshindernisscs liegt, Wenn nun bet dem typisch eoncomitirenden Schielen die secund~re Ablenkung mit der prim~ren vollkommen congruent ist,. so geht dar- aus auch hervor, dass fllr die associirten Muskeln ben der Augcn kein Innervationsunterschied obwaltet. Ich k~inntc, um diese Beweisf'dhrung zu erg~nzen, noch anfiihren, dass auch die T~iuschungen in der Localisa. tion der Gesichtsob]ecte, wie SiR bci Paresen constant vorkommen (siehe A. f. O. Bd. I, | . S. i8.), beim concomi- tirenden Schiclen nieht in derselben Weise beobachtet werden, woraus folgt, dass auch bet der Einstellung des schielenden Auges kein Innervationshinderniss fiber- wunden, und deshalb keine Alienirung der Muskel- empfindungen erzeugt wird. - - Was ich hier veto Inncrvationshinderniss im verl~ingerten Muskel gesagt babe, l';isst sich mutatis mutandis auch grgen einen abnormen Innervationsreiz im verkiirzten Muskcl in An- s(.hlag bringen, und somit glaube ich, dass das Sym- ptom des concomitirenden Schielens yon allen Krank- heiten der Innervation auf das allerstrengste abzulSsen se}. Das concomitireade Schielen ist meiner Meinung nach lediglich als ein M i s s v c r h l i l t n i s s z w i s c h e n

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den m i t t l e r e n Muskel l~ ingen aufzufassen. Es ist Fdr das Symptom gleichgtlltig, ob abnorme Anhefiung der Muskelsehne oder .Strukturvertlnderungen im Mus- kel diese Unterschiede bedingen. ]m ersteren Falle wird es das ver~inderte Verh/iltniss des Muskelverm~- gcns zur Last (butbus) sein, welche bei gleich geblie- bener Innervation eine andere Muskelliinge einleitet, im zweiten Falle wird das ver/inderte Muskelgewebe auf die gleich gebliebcaen Innervationsimpulse mit anomalem Spannungszustande reagiren. Dass beide Momente Fdr die Erkl/irung des Symptoms /iquivaient sind, wird am besten dadurch bewiesen, dass wir das Symptom dutch das eine heilen, wenn es vom andern herrfihrt, wie bei der gewt~hnliehen Sehieloperation, wo wit dutch andere AnheRungen des Muskels das zu compensiren suchen, was wir durch Ver~indcrtmgen der Mtlskelstruktur ein- mal nicht erreichen kt~nnen.

Allerdings lehrt die alh~igliche Erfahrung, dass con- comitirendes Schielen h~ufig n a ch Muskelkr/impfen und Muskell/ihmungen entsteht. Dies beweist jedoch nut ein urs~ich l iches V e r h / i l t n i s s , nicht aber ein I n e i n - a n d e r g r e i f e n der K r a n k h e i t s b e g r i f f e selbst. Dass Nervenkraukheiten allm~ihlig Strukturver'tinderungen in den Muskeln hcrvorrufen, kann nicht gel~iugnet wer- den, wie auch umgekehrt Muskeldesorganisationen oder jedwede dauerndeFunctionsstSrung der Muskeln schliess- lich eine Ver/inderung in derNcrvenleitung bedingt. Dutch solch eine Wechselwirkung kann allerdings die Analyse sehr erschwert werden. Dies darf uns aber nicht ver- hindern, den ursprfingliehen Typus beider Krankheits- kategorien gesondert aufzufassen und hieran den Zusam- menhang, der zwisehen beidan stattfindet, in seiner na- tfirlichen Bedeutung zu schliessen. Beides verschmetzen und Fdr unsern Fall die Krankheiten der Augenmus- keln mit deaen der Inaervation diffundiren wollen,

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ware ungef'~ihr dasselbe Verfahren, als die Unterschiede zwischen Krankheiten der Netzhaut and des Nervus optieus yon vorn herein aufgeben, weil schliesslich keines in der Dauer ohne das andere bestehen kann.

Ich will an dies Verh~iltniss zwisehen L~ihmungen and concomitirendem Schielen noch einige Beh.achtun- gen anknfipfen, weil es, obwohl vielleicht yon den Meisten angenommen, doch nicht so nachdrficklich her- vorgehoben ist, wie es die praktische Wichtigkeit des Gegenstandes erfordert. Ich setze den Fall einer iri- schen Augenmuskell~hmung. Der rectus externus des linken Auges sei paralysirt, die Beweglichkeit nach aussen aufgehoben oder auf ein Minimum reduce . Wird ein Gesichtsobject in der Mittellinie gehalten, so schiesst das huge bereits etwas nach innen vorbei; je mehr es nach links herfiber bewegt wird, desto mehr nimmt diese Aberration zu, wird es dagegen nach rechts heriiber bewegt, so tritt das kranke Auge gleichzeitig mit dem andern in die Fixation. Wenn nun die Liih- mungsursache fortdauert, so sieht man zuweilen diese Verh~iltnisse unver~indert fortbestehen, h~iufiger nimmt die Ablenkung des kranken Auges zu and breitet sieh mehr und mehr aueh naeh der reehten H~iLfte des Ge- siehtsfeldes aus. In dem e r s t e n Fall behalten wir, so zu sagen, die Symptome einer frischen L~ihmung. Es ist selten, dass dies sehr lange dauert, doch babe ieh ausnahmsweise angeborne oder aus der ersten Kind- heir herrfihrende Abducens-L~ihmungen (vieUeicht mit g&inzlieher Atrophic oder Fehlen des Nerven- and Muskel-Apparates) gesehen, wonaeh in vorger[iekten Jahren keine ~ Aenderung der Verh~iltnisse eingetreten war, we also, trotz vollstiindig aufgehobener Beweg- lichkeit naeh der einen Seite, doeh naeh der andern Seite, und bereits nicht welt yon tier Mittellinie, gemein.

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schaftliche Fixation zu Stande kam. In dem zw e i ten , bei ~ilteren Paralysen gewShnlichen und oft schon nach wochenlangem Bcstehen einer Paralyse sich ercignenden Falle ist es nicht zu bezweifeln, dass durch die verrin- gerte*) Last, welche der Antagonist empfindet, allm~h- lig dessen Elasticit~itsverh~iltnisse sich ~indern, woran sieh successive Strukturver~nderungen knfipfen. Schwin- det dann sparer die L~ihmungsursache, so nimmt zwar die Beweglichkeit nach aussen in dem supponirten Bei- spiete zu, aber die Ablenkung der linken Sehaxe nach innen beim beiderseitigen Oeffnen existirt fort, breitet sich mehr und mehr fiber die rechte H~ilfte des Gesichts- feldes aus, und kann sich sogar, trotz der schwinden- den L~ihmungsursache, progressiv steigern. Wir haben in dieser Periode ein Gemisch yon Resten der ursprfing- lichen Nervenkrankheit und yon consecutiv eingelei- teter Ver~inderung in der Struktur des Antagonisten. Dem entsprechend sind auch die Symptome ge- mischter Natur. Vom concomitirenden Schielen unter- scheiden sie sich dadurch, dass die Beweglichkeit nach aussen immer noch merklich beschr~inkt ist, ferner da- durch, dass der Schielwinkel nach liuks zu noch gr5sser ist, als nach rechts, endlich dadurch, dass die secun- d~ire Ablenkung im rechten Auge noch immer welt bctr~chtlicher ist, als die prim~re. Von einer einfachen, unvollkommenen Abducens-Paralyse andererseits unter- scheiden sich die Symptome dadurch, dass die Ablen- kung, rcsp. Diplopie, bis fiber die reehte H~ilfle des Gesichts{'eldes geht, dass dieselbe schon Fdr die Mittel- linic viel hochgradiger ist, als selbst bei einer voll- kommenen L~ihmung. - - Unter diesen Umst~nden pro- gnosticiren wit, dass die L~hmung des Abducens mit

*} Wir erinnern hier an das frfiher {siehe A. f. O. Bd. I, I. S. 53.) ilber die Resistenz der verI~ngerten Muskeln w~hre~d de~" Ac~m- modation in die N~he Gesagte.

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eoncomitirendem Sehielen nach innen heilen werde. Und in der That, wenn die Liihmungsursache beinahe vollstilndig verschwunden, die Bewegliehkeit nach aussen nahezu wieder hergestellt ist, haben wir auch einen ziemlich gleichm~issigen Schielwinkel bei den associirten Bewegungen und es wird zuweilen nut noch bei einer minuti~isen Beachtung aller Verh~iltnisse gelingen, die Spuren einer paralytischen Affection zu entdecken.

Definiren wir nun diesen so h~iufigen Hergang, so ist er folgender: Paralyse hat dutch Aufhebung der Fun- ction die Widerstandsverh~iltnisse ver~indert, es haben sich secund~ire Strukturver&inderungen in den Muskeln aus- gebildet, u n d e s sind nach wiederherffestelltcr Innerva- fion Anomalieen in den mittleren Muskell~ingen als Grund eines concomitirenden Schielens zuriickgeblieben. So sehliesst alas Vorhandensein eoneomitirenden Schie- lens eine floride L~ihmung gewissermaassen aus, weil ja beim coneomitirenden Sehielen die Innervation frei ist, und doeh entwickelt sich Schielen auf so natfir- liehem Wege aus der riickg~ngigen L~ihmung. - - Noeh a ufF~i]liger ist dieser Hergang bei L~ihmungen dann, wenn das yon der Paralyse befallene Auge vorwaltend zur Fixation benutzt wird, wie es zuweilen wegen Unterschied in der Sehkraft oder in der Accommodation sich ereignet. Es werden alsdann die starken secun- d~iren Ablenkungen des zweiten Auffes permanent; es folgen denselben Strukturver~inderungen, die. sparer, nach gesehwundener L~ihmungsursaehe, ganz in der

eriir~erten Weise Schielen, und zwar Sehielen h~iheren Grades, zuriieklassen. Aus diesem Grunde ist es auch ein schlechter Rath, das mit Liihmung behahete Auge zum Sehact benutzen zu lassen, etwa die befallenen Muskeln durch die gew~ihnlichen Schielbrillen zu iiben und derlei, denn abgesehen davon, dass der Gesichts- schwindel dies meist verbietet, setzt man die Kranken

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einem verh/iltnissmfissig viel hochgradigerem Schielen des zweiten Auges aus.

So wie L~ihmungen concomitirendes Schielen be- dingen kiinnen, so f'fihrt auch umgekehrt concomifiren- des Schielen, nameatlich excessiven Grades, durch die ver/inderte Funktion und Lage dcr Theile zu Folge- stiirungen, welche die urspriingliche Symptomatologie modificiren und unkenntlich machen. Wean z. B. ein im h~chsten Grade nach ionen schielendes Auge weder dutch natfirlichcs Altcrniren, noch durch Scparatlibung zur Fixation benutzt wird, so bteibt w/ihrend der Augenbewegungen dcr ~/ussere Augenmuskel in einer solehen Verl~ingerung, dass (durch ungeniigcnden Stoffwcchsel) Atrophic dcr Muskelsubstanz eingelei- tot wird. Umgekehrt wird dcr rectus internus mit abnehmcndem Widcrstand des Antagonisten immer mehr und mehr retrahirt, und nimmt eine so fibriise Beschaffenheit an, dass er selbst einem normalen ab- ducens, wenn sich ein solr pllitzlich einf'~nde, ein relativ zu grosses Hinderniss darbietca wiirde. Es nimmt alsdann die Beweglichkcit naeh aussen mehr und mehr ab, und alas Krankheitsbild.kann sich dem einer Kon- trakturparalyse n~ihern. - - Scparatfibung des schiclcnden Auges oder natfirliches Altcrniren tritt dem Fortschreiten dieser Vorg~inge entgegen. Es ist deshalb auch bei einem jeden rein concomifirenden Schiclen die Separat- iibuLlg des schielenden Auges indicirt, nicht als ob dadurch eine IIeilung der Ablenkung erzweckt wlirde, sondern our deshalb, well es sehr h/iufig gelingt, ein monolaterales Schielen in ein ahcrnirendes umzu~indern, jedenfalls aber den h~lchgradigen Ver~inderungen der Muskeln (und des Sehvermiigens) vorzubeugen.

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II.

Es ist nun seit L u c i e n B o y e r (recherches sur l'opdration du strabisme, Paris t842) yon vielen Seiten

d a r a u f aufmerksam gemacht worden, dass die Heilung naeh einer Tenotomie der Augenmuskeln nicht paralle- lisirt werden darf mit der Heilung nach einer ander- weitigen Tenotomie. Experimente an Thieren und Beob- achtungen an Menschen haben gezeigt, dass ein zuriick- gelassener vorderer Sehnenstumpf in der Regel ganz verkilmmert, und jedenfalls nut in der Minderzahl der F~ille eine funktionell wichtige Verbindung mit dem Muskel wieder eingeht. Ieh kann diese Thatsaehe aus einer sehr grossen Reihe yon F/illen, wo ich die Ver- h~iltnisse naeh fi.fiheren Schieloperafionen der versehie- densten Art zu untersuchen Gelegenheit hatte, fiir den Menschen unbedingt als Regel best/itigen, und glaube, dass sie hier noeh weniger Besehr~inkungen erleidet, well der Bulbus eine weit grSssero seitlieho Beweglich- keit besitzt, als an den zu den Experimenten benutzten T}fieren. Eine solche grSssere Beweglichkeit muss often- bar der Wiedervereinigung beider Muskelenden ent- gegeawirkea. Allerdings land ich zuweilea eine zell- gewebige strangartige Verbindung des zurfiekgelagerten Muskels mit dem vorderen Sehnenstfieke, oder, wenn ein solches nicht zurfiekgelassen wordcn, mit der ur- sprfingliehen Insertionsleiste, eine Verbindung, die man als einen neu gebildeten Intercalartheil ansprechen kSnnte~ vorn~imlieh land ich dies, wenu die Conjun- efiva naeh verriehteter Tenotomie dureh eine Sutur ver- einigt, oder wenn die Operation quasi-subeonjunetival verrichtet worden war. Allemal aber hatte diese Verbin- dung eine untergeordnete Rolle, indem die Sacbe sieh folgendermaassen darstellte: Von der inneren FI~ehe

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des Muskels laus in einem ziemlich ausgedehnten Umfange neugebildete Faserziige nach der ~usseren Fl~iche der Sclera hin, und erhalten diese Faserzllge gegen das vordere Ende des zurfickgelagerten Muskels eine solche Verst~ck~mg, d'ass ein dichtes, nach vorn und auch etwas naeh den Seiten ausstrahlendes straffes Fasergewebe eine neue, mehr oder weniger hinter der urspriingliehen liegende Muskelinsertion vermittelt. Zu- weilen zeigt sich bei Abliisung dieser neuen Insertion eine leistenF(irmige, mit der ursprSnglichen Insertion parallele Figur, woraus h ervorgeht, dass wirklich ein sehr enger Zusammenhang mit den ~iusseren Sclera- schichten eingeleitet war. Endlich gehen in sehr ver- schiedenem Maasse, oh nut angedeutet, zuweilen den oben erw~hnten Strang bildend, Faserbfindel yon dem Muskel nach der ersten Insertion; diese sindjedoch verh~ltnissm~issig locker, und iiben aui" die Function sicher nur einen untergeordneten Einfluss. Ich land dieselben selbst in tier Mehrzahl der F~ille da, wo nach g~inzlich verungliickten Schicloperationen das Auge divergent und absolut unbeweglich nach innen geworden war. Es beruht dann die Unbeweglichkeit nicht etwa auf Strukturver~inderungen im Muskel und in den Muskelnerven, wie sich aus den gliick- lichen Resultaten tier Vorlagerung ergiebt, sondern lediglich auf der ungenSgenden Anhehung. Es fehlt die eigenflich essentielle hintere Verbindung mit der Sclera.

Ich schliesse reich demnach aus vollster Ueberzeu- gung den Lucien Boyer'schen Ansichten fiber den Mo- dus der Heilung an, indem ieh glaube, das:s die Ver - h e i l u n g mi t de r u r s p r i i n g l i c h e n M u s k e l i n s e r - t ion , resp. die V e r h e i l u n g mit e i nem zurfick- g e l a s s e n e n v o r d e r e n S e h n e n s t l l e k , n i ch t in R e c h n u n g f~illt, s o n d e r n dass der S inn t ier S c h i e l o p e r a t i o n l e d i g l i c h d a m n geh t , d e m M u s -

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kel e ine n e u e m e h r n a c h h i n t e n g e l e g e n o A n - h e f t u n g zu geben .

Dies gesetzt, ergiebt sich dcr Modus der Schiel- operation yon selbst. Das Zurficklassen eines jeden vorderen Sehnenstumpfs kann nur die Folge haben, den Muskel, dessen Insufficienz wit ohnehin schon zu fdrch- ten haben, unnfitz zu verkfirzen, und es ist deshalb dringend anzurathen, die Muskelsehne hart yon ihrer Scleralinsertion abzulGsen. Voa einem Durchschneiden welt nach hinten kann aus andercn Grfindcn heut zu Tage nicht mehr die Rede sein. Es ist bekannt, dass der Muskel schon einige Linien hinter seiner Insertion die Tenon'sche Kapsel schr~ig durchbohrt, und dass es yon der Erhaltung dieser zellgewebigcn Verbindungen (seitliche Einschcidungen) abh~ingt, dass tier Muskel sich nicht tiber das Maass zur~Jckzieht und seinen Ein- fluss auf den Bulbus g~inzlieh eiabiisst. Aber selbst dann tritt schoa Gefahr einer ungiinstigen Heilung ein, wenn man noch diesseits der scitlichen Einscheidungen, einigermaassen entfernt yon der Insertion, durchschnci- dot. Es erstreckt sich n~imlich yon dcr Di2rchtrittstelle des Muskels dutch die Tenon'sche Kapscl nach vorn eine zcllgewebige Verdickung der Muskelscheide, welche die tier Sclera zogewandte Fl~chc des Muskels bis nahe zur Insertion bekleidct (siehe J. G u ~ r i n , Gazette m~dicale |842. No. 6.). Wird nun die Schne nicht genug nach vorn durchtrennt, so zieht sie sich noch ins Bereich dieser zellgewebigen Verdickung zurfick, wodurch, wie mir scheint, die Bildung einer neuen Insertion in vielcn F~llen behindert ist. Freilich wird dllrch diesen Ucbelstand, wenn die seitlichen Ein- scheidungen des Muskels erhalten sind, keine vollkom- mene Ufibeweglichkeit entstehen, es sei denn, dass die Tenon'sche Kapsel sclbst nach den Seitcn hin (nach oben und untcn beim rectus internus und externus) urn-

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fangreieh incidirt ist,*) abet es wird sich weir hochgra- digere Insuffieienz des Muskels aussprechen, als wenn eine gut gebildete Verbindung mit der Sclera zu Stande kommt. Auch wird in solchen F~illen eine viel st~irkere Nachwirkung nach Seite des Antagonisten sich einstel- len, und es kann dureh Dehnung und Verl~ingerung der mittelbaren Insertion selbst yon der ans Be- weglichkeit ein grosser Theil allmiihlig verloren gehen. Ich wollte diese Thatsachen, welche nieht in den Plan der varliegenden Arbeit hineingeh~iren, nur in der Kiirze hinstellen, weil ieh s alle i'erneren Betrachtungen yon dem Grundsatz ausgehen muss, dass wit bei der Schiel- operation die Sehne unmittelbar yon der Sclera abzu- 15sen haben. Die gewiihnliche Schieloperation besteht also in einer R i i e k l a g e r u n g de r M u s k e l s e h n e mi t v o l l s t ~ i a d i g e r E r h a l t u n g d e r Muske l l~ inge .

Um die Wirkung, welche eine solehe Riicklagerung ffir die Stellung und Bewegungen der Augen hat, analy: siren zu kiinnen, muss zuerst die Frage entschieden wer- den, ob sich die Wirkungen der Tenotomie auf die Stel- lung des Bulbus lediglich mechanisch erkl~iren lassen, oder ob wir irgead eine anderweitige dynamische Ein- wirkung, etwa in der Weise anzunehmen haben, dass dutch die Continuit~itstrennung der Stoffwechsel im Muskel und so der Spannungsgrad ver~indert werde. Wenn wit diesen f'dr die Tenotomie im Allgemeinen

*) Wit iiberzeugen uns ja unmittel.bar nach jeder Schielopera- tion, dass, worm auch der direkte Zusammenhang des Muske[s mit der Sclera aufgehoben ist, doch der indirekte Einfluss dutch die Tenon'ache Kapsel geniigt, um den bei weitem grSssten Theil tier Bewegmlg zu vermittel.n. Dies hSrt abet auf, so wie die Tenon'sche Kapsel nach den Seiten hin welt eingeschnitten war. Alsdann wird sic auf der Sclera so versehiebbar, dass sieh der Zug des Muskels nut in hSchst unvollkommener Weise oder gar nicht auf den Bul- bus fortpflanzt.

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yon so verschicdenen KoryphSen der Chirurgie ange- regten Sweitpunkt in Bezug auf unsern Gegenstand den Resultaten der Ers gegenfiberstellen, so dfirs sich die Entscheidung zu Gunsten einer rein mechani- schea Erkl~rungsweise meiner Ansicht nach durchaus rechffertigen. Um uns hier vor Missverstiindnissen zu schfitzen, bekennen wit sofort, dass die glficklich ver- ~inderte Lage des Bulbus, ein richtigeres Spiel der Be- wegungea, und vor allen Dingen eine Betheiligung des fi'fiher ausgeschlossenen Auges beim gemeinschafdichen Sehakt~ wenn eine solche gelingt, mit tier Zeit sehr wichtige Einfl~]sse auF die Nutrition der ~/usseren und inncren Theile des Auges gewinnen--eine Ueberzeugung, wclche wit mit derMehrzahl unsererFachgenossen theilen. Aber es ist eine andere Frage, ob sich der unmittelbare Effekt der Stellung aus rein mechanischen Prinzipien berechnen und bestimmen l'~sst, oder ob eia direkter Einfluss auf die Innervation anzunehmen sei. Dass diese letzLere Annahme ffir sich nichts FSrderliches bietet~ und wir zu derselben blos dana zu flfichten h~tten, wean wir mit der mechanischen Anschauungs- weise Fdr die Erkl~irung der Thatsachen nicht ausreichen w[irdeu, ist einleuchtend. Da ich nun glaube, dass sich alle Stellungs- und. Bewegungsver/inderungen, die man nach tier Tenotomie der Augenmuskeln, sowohl beim concomitirenden Schielen als bei Paralysen, Kr/impfen, Muskelinsufficienzen etc. wahrnimmt, ungezwungen me- chanisch erkl'3ren lassen, so bleibe ich auf diesem, wie es mir scheint, sichereren Boden.

Wenn wit angenommen, dass das Missverh'~ltniss beim concomitirenden Schielen darin besteht~ dass die mittlere Muskell~inge in dem einen Muskel zu kurz~ in dem Antagonisten zu lang ist~ so wird die Rficklage- rung des ersteren Muskels folgende Resuhate geben:

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Es wi rd der B u l b u s u n g e f / i h r um den Bo- gen , um w e l c h e n die M u s k e l s e h n e a u f dem ihr z u g e h S r i g e n S c l e r a l k r e i s e z u r ~ i c k g e l a g e r t i s t , n a c h de r S e i t e des A n t a g o n i s t e n h i n i i b e r - fa l len. Wit wollen uns dies zur vorl/iufigen Ver- st~indigung ganz grob mechaaisch denken. Der Bul- bus ist dutch elastische Kriffte in seiner fl'iiheren Lage fixirt. Man ver~nderL die Auhe[tungsstelle tier einen Kraft, so hat dies ungef';ihr denselben Einfiuss, als wenn wit einen an einer elastischen Schnur h/ia- genden KSrper dadurch sinken lassea, dass wit die Schnur an einem hSheren Theil des Kiirpers befestigen. Da es fiir die Praxis sehr unbequem ist, die Schiel- winkel zu bestimmen, so verf~hrt man in folgender Weise: Man l~isst den Patientea eia in der Mittellinie und in der horizontalen Visirebene gehaltenes Objekt in 6 ' - -8 ~ Enffernung fixiren; die Homhaut des gesun- den Auges steht dann ungei'iihr in tier Mitre der Lid- spalte, man markirt aug dem unteren Lidrand dieses Auges den Punkt, welcher gerade unter dem Centrum der Hornhaut liegt, vielleicht eben vom unteren Horn- hautvande beriihrt wird, und sucht nun den symmetri- schen Punkt am unteren Lid des zweiten sehielenden Auges (durch Circehnessung) auf. Gleiehzeitig bestimmt man in diesem Auge den gerade unter tier Mitte der schielenden Hornhaut liegenden Lidpuakt; der Abstand der beiden letzterw/ihnten Punkte yon einander ergiebt das lineare Maass der Ablenkung in dieser Stellung, welche wir fiir die folgendea ErSrterungen als m i t t - l e r e S t e l l u n g bezeichnen wollen. In solchen linea- ren Bestimmungen kann man es welt leiehter zu einer geniigonden Gel~iufigkeit bringen, als wenn man es mit Winkelwerthen zu thun hat; man wird auch bald nicht mehr n~ithig haben, die Punkte selbst zu markiren, da man gut bis auf 1/3 " ' Differenz seh~tzen lernt.

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Es betrage nun die Ablenkung in der mittleren Stellung beispielsweise 2 Linian, so ~4rd, wenn dar verkiirzte Muskel 2 Linien zuriickgelagert wird, die Horn- haut um eben so vieI -con ihrer s Stellung ab- weichea, mithin symmetrisch mit der des gesunden Auges stehen. Warm wit auf dieser Stufe der Auffas- sung stehen bleiben wollen., so gehiirt zu einer glfick- lichen Ausffdhrung der Schieloperation nichts anderes, als d|e MSglichkeit, die Augenmuskeln um ein berechen- bares Quantum zuriickzulagern. Diese Miiglichkeit ist nun in der That gegeben, da wir unter gewShnlichen Verh~iltnissen die Riick]agerung eines Auganmuskels )'on 0 bis auf 2 % ' " beim Erwachsenen, und bis auf 3 " beim Kinde mit Sicherheit, hiichstens mit Berech- nungsfehlern yon 1~2 ''', bestimmen kSnnen; welche Mit- tel uns hierzu dienen, warde ich sp~itar angeben.

Dutch diese Betrachtungen ist abet nur der grSbste, durchaus unzureichende Standpunkt f'dr die Sehialoperation gegeben. Der n~ichste Einwand gegen eine solche Auffassung ist der, dass es sich hier nieht um e i n e Stellung des Bulbus, sondern um die v e r - s chic d e nen Stellungen handelt, welche derselbe w~ih- rend seiner Bewegungen annimmt, ferner, dass auch f'dr jene e ine Stellung die Verh~iltnisse der muskutaren Innervation wesentlich in Betracht fallen, weshalb der obige Grundsatz, dass der Bulbus um eben so vial ab- gelenkt, als der Muskel zuriickgelagert wird, wie wir sehen werden, einer umsichtigen Beschrlinkung bedars

Fangen wir z u e r s t mit dem S t u d i u m der Be- w e g u n g e n an. Wenn ein Muskel um ein bestimmtes Quantum zuriickgelagert ist, so wird der Bulbus nach der Seite dieses Muskels weniger excursiv bewegt'wer- den kSnaen als frfiher~ und zwar wird die Beweglich- keit, wie es zuvSrderst scheint, tim dasselbe Quantum

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verringert sein, um welches der Muskel zurfickge- lagert wurde. Dies w~ire richfig, wenn fiberhaupt der Muskel nun dieselbe Verkfrzung einginge wie zuvor. Aber es ist aus der Physiologie genugsam bekannt, dass, je mehr sich ein Muskel nach hinten am Bulbus ansetzt, desto geringer seine Kraft wird, weil die eine Komponente, n~imlich diejenige, welche senkrecht auf die Sclera wirkt und wegen Unbeweglichkeit des Dreh- punktes ausser Betracht f~illt, immer griisser, die zweite Komponente aber, welche die eigentlich bewegende Kraft repr~isentirt und in der Richtung eincr Tangente zur Sclera f'~illt, immer geringer wird. Wenn demnach bei einem zuriiekgelagerten Muskel das Verkfirzungsbostre- ben ganz dasselbe bleibt, so ist doeh die Kraft geringer oder, was gleich viel sagen will, die Last (Bulbus mit der Summe s~amtlicher Resistenzen) relativ zum Muskel griisser geworden, und demgem~iss wird auch eine geringere Verkfirzung des Muskels erfo]gen. Es wird also, wenn ein Muskel 2'" zurfickgelagert ist, die Bewegliehkeit nicht bloss um 2 a', sondern vielleicht um 2'/~ oder 3 " verringert sein. Die Rficklagerung eines Muskels ohne Besehr~inkung der Beweglichkeit ist fiberhaupt mechanisch undenkbar. Diese Beschr~in- kung der Beweglichkeit wfirde sich nun in sehr stSren- tier Weise ffir die Augenmuskel-Tenotomie geltend ma- chen, wenn nicht bei dem Schielen eine pathologische Vermehrung der Beweglichkeit nach Seite des verkfirz- ten Muskels in der Weise Start f~inde~ wie wi re s oben S, t80 erw~ihnt haben. Hierdureh wird es miiglich, eine Rfieklagerung mit sehr geringer und zuweilen mit gar keiner Einbusse der normalen Beweglichkeit auszufiih- ren. Ein unbedeutender VerlusL yon Beweglichkeit hat ausserdem nur bedingungsweise Nachtheile Ftir den Sehakt. Wenn z. B. Jemand die Hornhaut sowohl des einen wie des andern Auges nicht ganz bis zur ~iussern

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Kommissur tier Lider bewegen kann, sondern nut bis auf t" ' oder il/, m yon dieser Gr~nze ab~ so bringt dies oh nicht den mindesten Nachtheil nnd ist nicht unbe- dingt als etwas Pathologisches zu betrachten, da wir auf Grund physiologischer Versehiedenheiten ein solches Verhalten nicht sehen, z. B. bei Myopischen, vorfinden. Wit alle benutzen die sffirkeren Aussenbewegungen der Sehaxe hiichst selten, indem wit dieselbea dutch die uns welt nat[irIichere Kopfdrehung umgehen. Es k[innte ein solcher Ver]ust yon seittieher Beweglichkeit alien- falls die Leichtigkeit der Augenbewegungen stiiren, und somit den physiognomisehen Ausdruck einigermaassen jnfluenciren; aber selbst dies wiirde nur for hoch- gradige Beschr/inkungen sich einstellen. Das eigentlich Stih'eMe geringerer Behinderungen in der Beweglich- keit liegt wiederum in der Zusammenwirkung beider Augen. Wenn n~mlich das eine Auge bei den asso- ciirten Bewegungen mit geringerer Muskelanstrengung bewegt wird als das andere, so tritt ein ZurSckbleiben des letzteren yon der ibm zukSmmlichen Stellung ein, welches sich ~iusserlich durch Aberration der Sehaxe und fiir den Kranken sehr h~iufig dutch Doppelsehen aussprich t. So kSnnte in dem supponirten Falle yon Insuff~cienz des Abducens allerdings sehon bei m~ssig seitlicher Richtung der Sehaxen pathologische Gonver- genz eintreten, dadurch bedingt, dass die unwirksame- ren recti externi mit den frei spielenden recti interni nicht gleichen Schritt halten. Sind die Augen yon normaler Zusammenwirkung im gemeinsehaftliehen Seh- akt, so findet dies bei so geringer Besehriinkung der Beweglichkeit nicht Statt, well im Dienste des Einfachsehens der sehw~iehere Muskel mehr angestrengt wird; wohl aber ereiguet es sich bei st~rkeren Be- schr~inkungen der Bewegliehkeit zum Beispiel dann, wenn die recti externi durch zu umfangreiche Riick-

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lagerungen an Wirksamkeit betr~chtlich verloren haben; eben so wird pathologische Di•ergenz beim seitlichen Blick eiatreten, wenn ein oder beide recti interni unge- nfigend fungiren.

Es geht hieraus der Grundsatz hervor, class die R f i c k l a g e r u n g so e i n g e r i c h t e t w e r d e , um ein M i n i m u m yon I n s u f s bei den a s s o c i i r - t en B e w e g u n g e n zu e r r e i c h e n . Diese Zugabe ist s den ganzen Modus der Schieloperatioa eine integrirende, sie maebt erst das therapeutische Problem zu einem b e s t i m m t e n , w~hrend sich der Stand des Bulbus ffir eiae gegebene Stellung meist auf s e h r ve r - s c h i e d e n e Weise corrigiren l~isst. So k~nnen wir~ wie unten erSrtert ist~ eine jede Ablenkung Fdr die Mittel- stellung dutch eine Operation am gesunden Auge be- seitigen. Letzteres w/~re aber deshalb th~richt, well die Muskelinsufficienzen welt grosset und st~render ausfal- len wfirden. Gerade die Rficksicht auf die nothwendig zurfickbleibenden Muskelinsut'ficienzen kann uns bei ge- wissen Krankheitsformen, wenn auch nicht gerade beim rein concomitirenden Sehielen, dazu bewegen, yon eiaer vollst~indigen Korrektion der Stellung abzustehen, und derselben die Erhaltung einer gewissen Ablenkung mit verh~ihnissm~issig guter Beweglichkeit vorzuziehen.

Noch welt mebr als Fdr die a s s o c i i r t e n Bewe- gungen /'allen die Muskelinsufficienzen Fdr die a c c o m - m o d a t i v e n Bewegungen in die Waagsehaale. Diese Thatsache ist, wie es Versuche mit Gl~sern beweisen, nur zum geringeren Theil dadurch zu erkl/~ren, dass bei h~herem Brechzustand die Muskelresistenzen gr~sser und deshalb die Insufficienzen auffallender werden; be- sonders mfissen wir sie darauf grfinden, dass dutch die ganze Affektion des concomitirenden Schielens die Ten- denz zur accommodativen Bewegung ausserordentlich geschw~icht, ja oft Fdr alle Zeiten nebst dem gemein-

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schaftliehen Sehakt aufgehoben wird; endlieh ist, wie ich es an nachfolgendem Beispie] erh~rten will, die Zu- sammenwirkung der Kr';ifte fiir die accommodativen Be- wegungen naeh einseitig" veriibter Muskelriicklagerung eine ungiinstigere. Es set der rectus internus der linken Seite zuriiekgelagert und die absolute Beweg- lichkeit naeh innen dieses Auges, wenn wit das andere schliessen, im Verglcieh zur Norm um t % im Veegleieh zum frfiheren Zustand um 2'/.,'" vevringert, so wird dies bet dee assoeiirten Bewegung naeh der gesunden S('ite hin noda kaum sieh in stiieender Weise geltend machen, da im gemeinschai'tlichen Theil des Gesichtsfeldes die entspre(:hende Grenzstellung des linken Auges noeh mit der gcOssten Lciehtigkeit er~'eieh~ weeden kann. Wird dagegen das ()b.jeet in tier Mittel[inie angeniihert, so wird in der n'aehsten N~ihe, vielleieht in 5--6"' , zuwei- len abet sehon .jeuseits, die Einstelhmg des operirten Auges mangelhaft, obwohl doeh (lie geforderte Con- vergenzstellung der Beweglichkeitsgrenze noch weir weniger nahe liegt, als bet obigem Versuehe. Man bedenke ram, class das Contraclionsvermilgen des rec- tus internus auf der gesunden Sei/c gewg3hnlich beim convergil'enden Sehielen etwas gesteigert, das des ex- remus gesehwiie}~t ist. Somit triti aue~ bei der Zusam- menwirkung des dutch Riicklagerung gesehwiiehten rectus internus mit dem abducens der anderen Seite writ weniger Untersehied hervor, als bet ether Zu- sammenwirkung des ersteren Muskels ,nit dmn zur Verkiirzung tendirenden rectus internus des anderen Auges.

Wir wolhm ,jetzt den z weit e n oben angedeuteten I)unkt n,iher beriihren, n/imlich den, dass die C o r r e c - t ion de r m i t t l e r e n S t e l l u n g dem Grade de r R ( i c k l a g e r u n g n i ch t v ( , l l k o m m e n g l e i c h w e r -

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t h i g is t , weil wir es mit permanent innervirten Muskeln zu thun haben. Es liegt uns fern, die jetzt so vielfach angeregte Tonicit/itsfragc~ fth" die Augeumuskeln zu besprechen, aber das steht lest, dass, so lange iiber- haupt der Sehakt in irgend einer ~,Veise th~tig ist, zu den beiden Zwecken der Accommodation und der Fi- xation eine unausgesetzte Innervation der Augcnmus- keln itl Anspruc}l genommen wird. Ist rlun fiir die ,nittlere~ Stelhmg der Muskel um so viel zuriickgelagert, als dcr Bulbus vcrriickt war, so wird schon in dieser Stelhmg unter gleich bleibenden hmcrvationsverh/ilt- nissen der Muskel eine gcringere Zugkraft auf den Bulbus ausiiben (siehc S. t97), und demnach die Stel- lung des Balbus m e h r naeh Seitea des Amag'oniston verrilckt s(.in, als (lie Riicklagerung selbst betr/igt, und wird ttas Maass dieses Unterschiedes besonders veto Aecommodationszustande abh/ingig sein. Wollten wir also veto Q u a n t u m d e r R ii c k 1 a g e r u n g aus gehen, so miissten wir zur Uebertragung auf die A b i i n d e - r u n g d e r m i t t l e r e n S t e l l u n g gewisse Correctionen einfiihren. Es w(irde dies abet ein umstfindlicher

und fiir die Praxis unerspriesslicher W e g sein. Es liegt tins j a nur daran, zu wissen, was fiir einen Efli:ct ein bestimmter Modus der Operation anf die mittlere Stellung ausiibt, abet nicht den Grad der Riicklagerung absolut genau kmmen zu lernen. Ersteres kann dutch die Erfhhrung unmittelbar festgestellt werde,~, letzteres wiirde nur in bostirnmten F/illen, z. B. da we reel,fete

Operationen nSthig sind, zu priifen sein. Dennoch war es n;3thig, die Differcnz beider Momente bier hervor- zuheben. Wi t haben es im Folgenden nicht mehr mit der a b s o l u t e n G r d s s e d e r R f i c k l a g e r u n g , sondern lediglieh mit der C o r r e c t i o n d e r m i t t l e r e n S t e l l u n g

zu thun, und wissen ein l'iir allernal, dass die wirldiche R~.icklagertmg eine Quote. weniger b,qr/igt, und (lass

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diese Quote,*) wean nut die mittlere Stellung unter denselben Verhiiltnissen abgenommen wurde, nahezu constant ist.**)

Die rein mechanischea Verh~iltnisse, welehe der Rficklagerung folgen, werdea allerdings dutch den Seh- act auf das Mannigfaltigste modificirt und zum Theil umgedreht. Ich muss, um Missverst~indnissen vorzu- beugen, den wesentlichen Unterschied aufs Neue her- vorheben, der Ftir die Heilungsverh~ltnisse aus eiaer Wiederherstellung des gemeinschaftlichen Sehacts f'dr bestimmte Richtungen oder Eatfernungen hervorgeht. Die Verh~itnisse des Einfach- und Doppelsehens geben alsdann regulatorische Impulse, welche f'tir das de- finitive Resultat oft entscheidender sind, als die me- chanischen Verh~iltnisse in den Muskela. Riicklagc- rung eines Augenmuskels an einem gesunden Auge wird vielleicht our selten Schielen oder erhebliche Insufficienz zur Folge habea, well die Tendenz nach Eint'achsehen in derselben Weisc fiir eine stiirkere

*) Ueber die Gr6sse dieser Quote werde ieh in einer spKter folgenden Abhaudlung, welche die aoatomischen Ver~nderungen beim Schielen und nach der Schieloperatio- besprechen soil, n~.here Angaben maehen. Ich halte meine bisherigen Befunde noch nicht ftir umfassend genug, um daraus elnigermaassen zu einem Gesetze zu gelangen.

*.~} Es ist, wie oben erwiihrd, besonders der Accommodations- zustand yon Wichtigkeit; mall benutzt aus leicht fasslichen Grilnden am besten den Brechzustand, d e r d e m natilrlichen Fernpunkt ent- spricht; auf der andern Seite eignet man sieh am meisten Sieher- heit in der Absch~tzung an, wenn man eine constante Entfermmg, etwa yon {}--8 Fuss, filr die mittlere Stellung benutzt. Es muss, um beide Bedingungen zu erfiillen, f'dr Myopische, Presbyopische lind Hyperpresbyopische eine richtige Auswahl yon Gl~sern ge- troffen werden, wobei jedoch keine minuti~se Genauigkeit obzuwal- ten braucht, da nur erhebliehe Ver~nderaugen der Accommodation auf die AblenkuzJg zu influiren pflegen.

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Innervation des ohnm~chtigen Muskels sorgen wird, als sich dutch Prismcn die Innervationsverhiiltnisse ~indern u. s. w. Einen derartigen Fall, wo nach trau- matischer Riicklagerung einer Muskelsehne das Schie- len spontan heilte, habe ich A. f. 0. Bd. II, t. S. 227 mit- getheilt. Es muss die Heilung nach der Schielopera- tion wesentliche Unterschiede ergeben, je nachdem sic bloss dutch die Mechanik der Muskeln, oder je nach- dem sic dutch den gemeinschai'tlichcn Sehact eingeleitet werden kann. Dass alas Letzte das Vollkommenere ist~ soi'ern dadurch allein eine wahrhah genaue Ein- richtung zu Stande kommt, habe ich bereits mehrfach erw~ihnt, abet es ist nun einmal der gr6sste Theil der concomitirend Schielenden nut ffir jene unvollkomme- nere Heilungsweise zug~inglich, und um bet derselben die bestm~iglichen Erfolge zu erreichen, sind die mechanischen Verh~iltnisse der Augenbewegungen auf's Genaueste zu beriicksichtigen.

riI.

Wit wenden uns mm zu der Frage, wie ein b e s t i m m t e s Q u a n t u m yon C o r r e c t i o n zu er- r e i c h e n uncl die z u r i i c k b l e i b e n d e n M u s k e l - i n s u f f i c i e n z e a a u f ihr M i n i n i m u m zu r e d u - c i ren se ien . Den g e r i n g s t e n E f fec t erreicht man, wenn man nach vorsichtigster Eriiffnung der Coniunctiva und der Bindegewebsschicht mit einem kleincn Haken unter die Muskelsehne eingeht, und die- selbe hart an der Sclcra mit kleinen Scheerenziigen abliist - - was ohne die geringste Gefahr fiir das Scle- ralgewebe geschehcn kann, wenn man nut durch ge- schicktcs Anziehen des Hakens den Insertionstheil miig- lichst spannt und yon dcr Sclera abz ieh t - - , alsdann die kleine Conjunctlvalwunde durch eine Sutur vereinigt,

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welche je nach den Umst~inden in 12--36 Stunden ent- fernt wird. In weleher Richtung man den C o n j u n - e t i v a l s e h n i t t f'dhrt, ob vertikal, transversal oder obliq, ist, wenn man eine Sutur anlegt, ziemlieh gleiehgiiltig. Ueberhaupt habe ieh auf die Richtung des Schnitts keineswegs das Gewieht gelegt, was mir unterAndern yon Dr. W o l f f (D. Klinik t855 No. 30) imputirt worden ist, am allerwenigsten aber reich zum Erfinder ether, wie mir seheint, sehr unwesentlichen Ver~inderung (Transveral- schnitt) gemaeht, deren erste Proposition ich, beil~iufig gesagt, yon L. B o y e r herleitete. Allerdings habe ich an- gerathen, einen transversalen Schnitt dann zu maehen, wenn man, zur VergrSsserung des Effects sofort den Bliek naeh der entgegengesetztcn Seite richten lassen will, weil alsdann ein Verticalschnitt stgtrker klafft und die Thr~inenkarunkel sieh mehr zuriiekzieht. Abet selbst unter diesen Verh~iltnissen lege ieh, wenn der Schnitt nur reeht klein gemac}tt wird - - eine Ausdehnung yon 2"', selbst t!2~ "e halte ich bet geschickter Manipulation fiir vollkommen ausre iehend--auf dessen Richtung kein allzugrosses Gewicht. Mit dem Rath, den Sehnitt der Cornea milglichst nah anzulegen, stimme ich vollkom- men iiberein, well, abgesehen yon der sp~irlieheren Blutung, dabei ein geringeres Klaffen der Wunde und ein geringeres Zuriiekweiehen der Karunkel stattfindet. Aueh pflege ieh den Bindehautschnitt nieht gerade der Mitte der Insertion gegeniiber, sondern mehr gegen den obera oder untern Rand zu maeben, weil hier- dureh einmal die riehtige ErSffnung des Bindegewebes erleichtert und sodann die Muskelwunde sp~iter dureh Conjunetlva bedeekt wird. Das B i n d e g e w e b e , oder wenn man will die vorderen Ausl~iufer der T e n o n ' - sehen Kapsel, soil man, um eine miiglichst geringe Correction zu erzielen, nur in einer kleinen Ausdeh- nung gegen den obern oder untern Muskeh'and hin

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er6ffnen. Ich f'dhre deshalb die Cooper'sche Scheere etwas schr~g nach oben und hinten, oder nach unten und hinten, und nur in dieser Richtung dutch die Binde- gewebsschicht hindurch. Man kann in eine solche Wunde, wean der Bulbus yore Assistentea gut nach der andern Seite hiniibergerollt wird, einen kleinen Schielhaken sehr gut einffihren, und dann, bei der Dehnbarkeit des Bindegewehes, die Muskelinsertion mit einer geringen unblutigen Erwciterung der fraglichen Oeffnung zu Tage bringen. Das W~ihlen eines grossen S c h i e l h a k e n s wirkt bei der Wendung zu zerrend auf die bindegewebigen Theilc, und lockert auch den Zusammenhang der Tenon'schen Kapsel mit dem Bulbus, weshalb ca die Wirkung excursiver macht. Vor allen Dingen darf man, wenn es sich um cinen kleinea Effect handelt, nicht 5bet die Grenzen des Mus- kels hinaus nach ohen o,ter nach unten das Bindege- webe durchtrennen. Je mehr man dasselbc in diesen Richtungen bin ~ffnet, desto weniger h~ilt es durch seine nat[irliche Spannung den Muskel arl seincm frfi- hem Oft, und weicht mit demselben nlehr zur[lck. Die S ut ur selbst ist mannigt'achen Modificationen unterwor- fen. Vorwaltend in der Richtung yon oben nach unten verkleiaert die Sutur den Effect kaum, am st~irksten yon innen nach aussen (yon den Schl~ifen nach der Nase) ; da letzteres jedoch bei einer recht hart an den Hornhautrand gehenden Conjunctivalwunde un- mSglich ist, so legt man die Sutur am besten yon innen und unten nach aussen und oben in dingo- haler Richtung an. Sic hat dann zugleich den Vor- theil, die Karunkel stark ia die H~he zu bringen. Weniger wirkt die Sutur, sowohl in letzterer Beziehung als auf Verringerung des Operationseffects, wenn man yon aussen und unten nach innea und oben n~iht. Besonders kommt es bei der Sutur darauf an, wieviel

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Conjunctiva man fasst. Hiervon ist die Herbeiziehung des mit der Cou junctiva indirect verbundenen Muskels abh~ingig. Liegt jederseits nur cine schmale Conjun- etivalbrficke, etwa nut 3/3 Linien in der Sutur, so wird dieselbe /iusserst wenig auf den Muskel wirkea, wohl abet noeh immer einen Effect auf die Hcbung der Thr';inenkarunkel habcn, letzteres selbst dana noch, wenn s~e noch am selbigen Tage ausreisst, weil die adhaesive Entzfindung schon eingeleitet zu sein pflegt. Nimmt man dagegen eine starke Portion Con- junctiva und einiges Bindegewebe mit in die Sutur hinein, so erreicht die verkleinernde Wirkung ihr Maxi- mum, und es kann hierdurch der Effect der totalen Tenotomie ungefiihr auk' cine Correction yon t Linie (immer Fdr die mittlere Stellung) reducirt werden. Es ist fcrner, um einen kleinen Effect zu erzielen, nSthig, dass der Kranke nach der Operation die Augen voU- st~indig ruhig halte und jedes Sehen nach tier andern Seite v e r m e i d e . - Handelt es sich um noch kleinere Effecte, wie wit dieselben z. B. bei Diplopieen, bei Muskelinsufficienzen, oder auch zuweilen zur Com- plcmentirung der ersten Operation auf dem zweiten Auge braucheo, so rathe ich nicht mehr zu einer t o t a - len , sondern zu einer p a r t i e l l e n Tenotomie. Wollen wir fiberhaupt yon einer solchen eine sichere Wirkung haben, so mfissen wir mindestens 3/4 der Schne abl~sen. Ich pflege die gauze Sehne in derartigen F~illen bis auf wenige seitliche Fasern zu trennen, und dann, wenn die Wirkung im mindesten das gewfinschte Quantum excedirt, noch eine Conjuactivalsutur anzulegen. Das nachtr~gliche Einschneiden in zu grosser Breite zu- rfickgelassener Sehnenpartieen, auf Grund zu geringer Correction, ist in sofern misslieh, als man leicht gegen die Ahsicht die Sehne vollst~indig ablSst.

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Will man einen m i t t l e r n E f f e c t yon 1~/~'"--2 ~' haben, so genfigt es gew6hnlich, die totale Tenotomie ganz in derselben vorsichiigen Weise, abcr ohne Con- junctivaisutur, auszufiihren. In einigen F/illen aber wird man, je nach der Beurtheilung des Erfolgs, noeh eine nachtr~gliche Sutur anlegen. - - Handelt es sich um Effeete yon 2'"--2%'", so muss man mit ErSffnung des Bindegewebs etwas dreister sein, die ganze Muskel- sehne blosslegen und einen etwas grSssern Schielhaken w/ihlen. Die Coniunetivalwunde selbst mache ich auch hier ganz in der angegebenen Weise~ well bet unn5- thiger Ausdehnung derselben ein Klaffen der Wunde mit Zuriickziehen der KarunkeI, und auch zuweilen eta sehr l';istiges eitriges Schmelzen des Exsudats in der Wunde mit Reizung des Bindegewebs und selbst der blossgelegten /iussern Scleralfl~iche folgt. Will man den Effect noch mSglichst gesteigert haben~ so mache man einen transversalen Schnitt und lasse, schon nach- dem einige Stunden yon der Operation ab vergangen, nach der andern Seite heriiber sehen. - - Beim Stra- bismus divergens ist letzteres in der Regel nSthig, well man verh~ihnissm~issig kleinere Wirkungen erh/ilt. Der Abdueens liegt in weiterer Ausdehnung nach hinten dcr Sclera an, und bfisst bet ether Riicklagerung verh~iltnissm~issig nicht so viel yon seinem Wirkungs- vermSgen ein; ein transversaler Schnitt bietet hier gar keine Vortheile, da die Riicksicht auf die Thr/inen- karunkel wegFtillt. - - Bet Kindern tritt im Allgemeinen eine umfangreichere Rficklagerung abgeliister Muskeln als bet Erwaehsenen ein, so dass wir selbst ohne Miihe dutch einfache Riicklagerung einen Effect yon 24/2 ̀` ̀- - 3 '" erhalten.

Wenn es nach den angegebenen Vorschrihen ge- lingt, den corrigirenden Effect zwischen 0 und 2 ' / , " ~

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3 "~ zu dosiren, so stellt sich nun die Frage, in welcher Weise wit zu verfahren haben, um hochgradigere Ablenkungen, z. B. solche yon 4""--6"', zu corrigiren. Es klinnte dies auf einem und demselben Auge dutch successive wiederholte Rficklagerungen geschehen. Durchtrennt man z. B. einige Wochen oder Monate nach der ersten Operation die neu eingeleitete Insertion und die anliegenden Bindegewebsverbindungen, so tritt eine neue, ihrem Grade nach weniger berechenbare Zurfickziehung des Muskels ein, welche sich in ~ihnlicher Weise wie die erste auf die Stellung des Auges fiber- tr~igt, so jedoch, (]ass ein welt gr/isserer Excess der Correction fiber den Grad dec Rficklagerung selhst zu Stande kommt~ denn je mehr die Muskeliasertion yon ihrer ursprfinglichen Lage zuriickweicht und sich der Aequatorialgegend n~ihert, desto mehr gelten die S. 201 Fdr den. Unterschied zwischen der Rficklagerung und tier Correction angeFdhrten Grlinde. Eben diese Ver- h~iltnisse, insonderheit das weniger Berechenbare einer zweiten Rilcklagerung, sind es, weshalb wir schon yon vornherein darin keinen allgemein giilfigen Ausweg Fdr die Therapie anerkennen kiinnen.

Auch durch eine einmalige Operation kann man eine griissere Riicklagerung als 3'" erzielen, wenn man n~imlich die Bindegewebskapsel aufbeiden Seiten, d.h. nach oben und unten vom Muskel, weit einschneidet, und so deren Retractionsf~ihigkeit auf der Sclera ver- mehrt, oder auch dadurch, dass man an der Seite des Muskels dutch parallel mit dem Muskel geffihrte Schnitte die Einscheidungen zum Theil oder g~inzlich liist. Abet alle diese Verfahrungsweisen stehen der so eben er- w~ihnten Rficklagerung h deux temps deshalb noch bei weitem nach, well sich der endliche Effect weniger berechnen liisst. Ich werde allerdings sp]iter anf~ihren, dass in abnormen F/iUen yore Schielen eine weitere

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Ausdehnung des operativen Eingriffes erfordert wird, um iiberhaupr irgend einen sichern Effect zu erzielen. Wit haben es aber zun~ichst mit einfachen F/illen yon eoncomitirendem Schielen zu thun, in welchen die Ab- lenkung mehr als 2 ' / , " - -3 '~ betr~igt.

Der richtige Weg besteht bier ohne Zweifel in einer zweiten O p e r a t i o n a u f d e m g e s u n d e n Auge . Die meisten Autoren empfehlen eine solche entweder bet alternirendem Schielen, oder da, wo sich nach der ersten Operation eine seeund~ire Ablenkung auf dem zweitea Augc deutlicher herausstellt. Ich habe gegen diese Vorschriften im Wesentliehen nichts einzuwenden, glaube abet doch, dass die Nothwendigkeit ether zwei- ten Operation sich noch pr~iciser voraussehen l~isst, wenn man den Grad der urspriinglichen Ablenkung mit der gewiihnlichea Wirkung ether einmaligen Riieklage- rung in Vergleich bringt. Wenn wir bet einem alter- nirenden Schielen, bet welehem die Ablenkung 2'" betr~igt, die Riicklagerung nach den oben eriirterten Prinzipien auf einem Auge machen, so wird niemals die Indication zu ether zweiten Operation auhreten. Hiermit sage ich nicht, dass dies unter h'aglichen Umst~inden der unbedingt richfige Weg set, es wird vielmehr in Hinblick auf die Augenbewegungen h~u- tiger gerathen seth, den n~ithigen Effect yon 2'" auf beide Augen in der Weise zu vertheilen, dass jeder- seits eine Correction yon 1"' eintritt. Ich meine nur, dass es yore alternirenden Charakter des Schielens vollst';indig unabh~ngig ist, wenn wegen ungeniigenden Effectes der er.steren Operation die Nothwendigkeit einer zweiten auftritt. Betrachten wit den Fall eines monolateralen Sehielens, in welchem wit die R~icklage- rung yon vorn herein nicht auf dem kranken, sondera auf dem gesunden Auge vollziehen. Das linke Auge set in der mittlern Stellung um 2'/,'" coavergirend

Al'~hl'e filv Ophthalmologle. BcL IlL I. i ~

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sehielend; wird der Rectus internus des gesunden Auges nach der gew~hnlichen Weise zurfickgelagert, so f/illt dieses Auge bei gleich bleibender Muskelspan- hung ungef~thr um 21/2 ̀̀ ` nach aussen. Setzen wir nun diesen Zustand als consolidirt, und lassen wir durch die Zusammenziehung des zurfickgelagerten Rectus internus alas operirte Auge wieder das frfihere Gesichtsobject fixiren, so muss es hierzu einen Weg yon 2%'" naeh innen machen, welchem eine eben so grosse associirte Bewegung nach aussen auf dem linken Auge entspricht. Es werden sich alsdann beide Sehaxen im Gesichts- object treffen, und wir haben die Ablenkung des nieht operirten linken Auges corr]girt. Man kann demnach das Schielen durch eiae Operation allein auf dem ge- sunden Auge beseit]gen. Es hat sich auch ein franzS- sischer Autor gef'unden, welcher als Methode anempfhhl, auf dem g e s u n d e n Auge zu operiren. Derselbe hat abet bei seiner Empfehlung nicht bedacht, was aus den Bewegungen des Auges wird. Der Muskel des schielenden Auges ist derjenige, der normwidrig ver- kfirzt ist. Die Bewegllchkeit naeh der Seite dieses Mus- kels ist normwidrig vermehrt und nut auf Grund dieser normwidrigen Vermehrung ~st, wie wir oben gesehen, die M~glichkeit gegeben, hoehgradige Ablenkungen m~t verh/iltnissm~ssig geHngen MuskeUnsufficienzen zu cor- rigiren. Wird trotzdem der Muskel im gesunden Auge zurfickgelagert, so stellen sich wesentliche Nachtheile Fdr die Bewegungen heraus. Der verh~iltnissm/issig ohn- m~ichfige zurfickgelagerte Muskel des gesunden Auges sol] bei den accommodativen Bewegungen mit dem tiber- miichfigen Muskel des kranken Auges zusammenwirken. Hierbei muss ein Ffir die Arbeitskras der Pafienten fiberaus feindseliger Streit zwischen den Verh~iltnissen im Sehact und in den Augenmuskein eintreten. Den letzteren nach ist es am nat[irlichsten, dass nun das

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schielende Auge die Accommodation in die N~ihe ver- mittelt. Den Verh~iltnissen im Sehact nach, die immer den Ausschlag geben, entspricht es, dass das sehkr~ih tige, friiher gesunde Auge zur Fixation benutzt wird. Um dies trotz der Ohnmacht des Rectus internus zu erreichen, werden die Kranken die Objecte nach der Seite des operirten Auges halten, so dass die Sehaxen sich nicht in der Mittellinie kreuzen. Eine solche schiefe Kopfhaltung ist besonders filr die Accommodation in die N~ihe ausserordentlich unbequem und st~rend. Auch bei den associirten Bewegungen wird eine gewisse Aaomalie eintreten. Es sind n~mlich dieselben nach einer Seite bin unendlieh leichter, als nach der andern. Nach ree.hts herLiber wirken im supponirten Beispiele tier verkhrzte Internus des linken Auges und der Rec- tus externus des rechten Auges, tier ebenfalls durch die Rficklagcrung seines Antagonisten ein leichteres Contractionsspiel gewonnen hat. Zwischen diesen bei- den Muskeln wird eine relative Harmonic stattfinden. Naeh links herfiber wirken auf dem linken Auge der verl~ingerte Rectus externus, der ein sehwereres Con- tractionsspiel hat, und der rfickgelagerte Rectus inter- nus des linken Augcs, der sich unter iihnlichen Ver- h/iltnissen befindet. Auch diese beiden Muskeln sind in relativer Harmonie~ und es werden demnach ver- hliltnissm~issig wenig Insufficienzerscheinungen nach der einen oder anderen Seite eintreten, wohl aber wird wegen des Uebergewichts der rechtsseitigen fiber die linksseitigen Bewegungen die Gleichgewichtslage in der Weise verrfickt sein, dass Patient unwillkfirlich den Blick nach rechts heriiber wendet, oder~ was gleieh viel bedeutet, eine Kopfdrehung nach links annimmt. Das wiiren die erheblichen Uebelst/inde, wenn wit start im kranken Auge im gesunden operiren wollten; so vie] steht abet test, dass man die Richtung der Sehaxen fdr

t4"

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die mittlere Stelhmg auch dutch eine Operation auf dem gesunden Auge corrigiren kann.

Dieselbe Praxis, die yon vorn herein eine sehr un- glfickliche zu nennen w~re, kommt modificirt zur Gel- tung, wenn es sich darum handelt, eine Ablenkung, die fiber die Grenzen einer berechenbaren einseitigen Rfick- lagerung hinausgeht s zu corrigiren. Setzen wit den Fall, dass f'dr die mittlere Stellung das linke Auge um 5 'a nach innen abweicht, wobei die Beweglichkeit nach innen gegen das rechte Auge um t" ' vermehrt sei. Um durch mehrfache Operationen an dem linken Auge die pathologisehe Convergenz in tier mittleren Stellung bis auf t '"*) zu eorrigiren, mfissten wit den Muskel beinahe 4 'a zurficklagern. Die Beweglichkeit naeh in- nen wfirde sich hierbei gegen fi'fiher um mehr als 4"' verringern, und demnach mehr als 2'/~ m hinter der des andern Auges zurfickbleiben. Unter diesen Verh~ltnis- sen wird einmal die assoeiirte Bewegung nach rechts herfiber sehr stark leiden, besonders aber wfirde bei der Accommodation f'fir die N~ihe unter zunehmender Mus- ketresistenz die Ohnmacht des Rectus internus sich durch patho[ogische Divergenz ~iussern. Es wfirde ferner diese Divergenz in den sp/itern Heilungsperioden mehr und mehr zunehmen, wail, wie wir sehen werden, der endliche Effekt besonders durch die Stellung des Auges bei der Accommodation in die Niihe influencirt wird. Schreiten wir nun zu einer anderen Annahme. Es sei der Rectus internus des linken Auges in der gewShn-

*) Wir werden spRter sehen, class dies ungef'~hr die g~nsfigste Weiss der Correction f'dr FtiUe ist, in densn kein gemeinschaftlicher Sshact erreloht werden kann. Eine vollst~ndige Correction in der mitfleren Stellung ist sowohl kosrnetiseh weniger bsfriedigend~ als aueh bet den Bswegungen wenigor vortheithafl, weil dann f'dr ge- ringers Objektabstttnde, wsnigstens in der Mshrzahl der Fiflle, Di- vergenz stattfindet.

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lichen Weise zur~ickgelagert, so wird die Ablenkung verringert, abet nicht ausgeglichen sein. Es wird w~ih- rend der Fixation mit dem rechten Auge das links noch um ungef'dhr 2%'" nach innen vorbcischiessen, es wird die Beweglichkeit des linken Auges nach innen nur circa um 1%'" geringer sein, als die des rechten Auges. Bei den associirten Bewegungen naeh rechts wird die pathologische Convcrgenz mehr und mehr ab- nehmen, nach links herfiber wird sic um Einiges zu- nehmen. Bei Ann~iherung eines Ohiekts in der MitteI- linie wird sich die pathologische Convergenz verringern und in einigen Zollen Absiand des Fixirpunktes gleich 0 werden. Betrachten wir nun diesen Zustand als den ursprhnglichen, und maehen in dem zweiten Auge eine compensirende Riicklagerung, d. h. eine solche, welche die Ablcnkung in der mittleren Stellung yon 2%'" bis auf t ' " ausgleicht, was nach den oben angegebenen Prinzipien immer m~glich ist, so wird die Beweglichkeit beider Augen eine symmetrische werden. Auf dem linken hat die Beweglichkeit nach innen zwar gegen frhher um 2%", auf dem rechten um i%'" abge- nommen; da sic jedoch auf dem ersteren bedeutend pathologisch vermehrt und wohl auch auf dem letz- teren um etwas gesteigert war - - dies ist die Re- gel --, so ist die Anomalie hSchst unbedeutend, wiih- rend nach der erst supponirten Operationsweise eine hochgradige Unbeweg!ichkeit im linken Rectus internus zurfickblieb; da ferner jetzt zwischen den bei den Be- wegungen zusammenwirkenden Kdihen nirgends ein ~ihnlich betr~ichtlichcr Untcrschied obwaltet, als es dort der Fall war, so ist auch weir weniger Ursache ffir auf- fallende Muskelinsufficienzen vorhanden. Bei den self- lichen Bcwegungen wird sich die geringe, noch tibrige, pathologische Convergenz wegen Sehw~che der Interni vollends ausgleichen. Ebenso bei Annliherung des

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Gesichtsobjekts; in den Fdr accommodative Zwecke fib- lichen Abst~inden wird sic vielleicht glcich 0 sein. Nur wenn beide: die Convergenz verringernde Momente, n/imlich seitlicher Blick und Accommodation f'tir die N'~he, zusammenwirken, wird viellcicht die Convergenz in leichte Divergenz fibergehen. Dies sind aber i~r den Sehakt ungc~vShnliche Vcrh~iltnisse. - - Demnach siad die Bedingungen jetzt uncndlich gfinstiger, als wenn die gcsammte Compensation auf dem linken Augc al- lein erzielt wird.

Es giebt noch einen anderen kosmetischen Grund daFdr, die zweite Rficklagerung auf dcm gesunden Auge zu machen. Dutch eine sehr weite Rficklageruag des Rectus internus auf der einen Seite sinkt nothwendig die Karuakel ein. Man t~iuscht sich, wenn man dies Ph~- nomen lcdiglich yon einem Klaffen der Conjunctival- wunde mit Zurfickweichen des innerea Con]unctival- lappens abh~inglg macht und demgem~iss g]aubt, class die Vercinigung der Gonjunctiva dutch eine Sutur selbst bei hochgradigster R[icklagerung des Muskels dcn Stand der Karunkel erhahe. Das Verhalten der Conjuactiva bildet nur den einen Factor, den andern bildet die Rfick- lagerung selbst. Das narbige Bindegewebe, welches zwischen der Conjunctiva und dem Muskel zu ]iegen kommt, wirkt, so zart es ist, retrahirend auf die ver- schiebbare Karunkel und vcr~indert den Stand der letz- teren um so roche, je mehr es sich nach hinten aus- dchnt. Eine geringe Rficklagerung des Muskels hat, wenn sonst alle fibrigen Vorsichten beobachtet werden, so gut wie gar keinen Einfluss auf die Karunkel; aueh f'dllt eine unbedeutendc Ab~nderung im Stande der Ka- runkel gSnzlich ausser Betracht, wenn sie symmetrisch auf beiden Augen stattfindet, da umfangreiche indivi- duelle Schwankungea stattfinden. Iiochgradige Rfick- lagerung des Muskels, cinseitig vollzogen, bedingt im

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Gegensatz einen ]mraerhin emstellenden Unterschied im Stande der Karunkel, welcher sogar operative Nachhfilfe indiciren kann (siehe unten). Die eingesun- kene Karunkel ist nicht blos an sich etwas Entstellen- des, sondern sie t~iuscht auch das kosmetische Urtheil fiber den Stand derHornh~iute. ~Vir sch~itzen den letz- teren dureh die scheinbare Entfernung yon den Augen- winkeln, und verlegen deshalb, wenn zwischen der Cornea und Karunkel ein breiteres Scleralbereich er- scheint, die erstere zu sehr nach aussen; ebenso, wenn etwa durch Blepharoph:mose der ~ussere Augenwinkel widernatfirlich der Cornea angen~ihert ist. Hierauf wird, ohne genaue Untersuchung, oft die Annahme einer pa- thologischen Divergenz gegrfindet da, wo noeh Con- vergenz vorhanden ist; wit mfissen bei vertieften Ka- runkeln mehr Convergenz erhalten als sonst u. s. w.

Demnach kSnnen wir den Grundsatz aussprechen, d a s s e s n i e m a l s g e r e c h t f e r t i g t se i , zwe ima l an e inem A u g e z u r f i c k z u l a g e r n , und das s al- l e m a l die zwei te O p e r a t i o n a u f d e m g e s u n d e n A u g e zu vo l l f f i h ren sei. Es giebtjedoehF~ille, wo wit selbst dann die doppelseitige Operation vorziehen, wenn dutch eine einfache Rfieklagerung eine genfi- gende Correction mSglich ist. Hierzu gehSren nicht blos die F~ille yon wirklich alternirendem Sehielen, son- dern insgesammt alle die F~ille, wo die Beweglichkei- ten auf beiden Augen zlemlich symmetrisch sind. Wir finden dies da, wo bei schiefer Kopfllaltung trotz des streng monolateralen Schielens eine Tendenz sich aus- spricht, die Sehaxen (zwar vor dem Gesichtsobjeet, abet) in der Mittellinie zur Kreuzung zu bringen. In diesen F/illen muss man darauf bedacht sein, dass die Summe der Rficklagerungen der Ablenkung entspricht und class die Bewegtichkeiten symmetrisch bleiben. So kann man selbst Ablenkungen yon i%"'~2'" dutch

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doppelseitige Operation behande]n, wenn man auf der einen Seite totale Tenotomie in kleinster Ausdehnung, auf der andern partie[le Tenotomie, oder beiderseits partielle Tenotomie verriehtet.

Ich babe hier noeh eine Erscheinung zu deuten, die einem.ieden Praktiker bekannt ist~ n~mlich die, dass nach einer Tenommie auf einem Auge zuweiJen die Ab- lenkung im zweiten sich in eigenthfimlicher Weise star- ker markirt. Diese Ersoheinung bedarI zuv6rderst el- her genauen Feststellung. Zuweilen beruht das Ganze auf einer Tiluschung; deshalb n~imlich, weil die asso- eiirten Bewegungen gegen die Seite des gesunden Au- ges bin schmerzhaR und beschwerlich nach der Opera- tioa sind~ wenden die Patienten den Blick nach der kran- ken Seite herSber, wobei die Hornhaut des gesunden Auges sich dem innern hugenwinkel n~ihert. Tritt eine richfige Kopfhalttmg ein, oder erzielt man dieselbe dutch das Trageu ether Schielbrille, so verschwindet das Ph';inomen. In anderen F~llen beruht es darauf, dass die Patienten wirklich rait dem operirten Auge fixiren, dessen Sehkraft jetzt gewonnen hat und viel- leicht der des anderen Auges nahe kommt. Es wird dann, wenn die summarisehe Ablenkung noch nicht voll- kommen ausgeglichen war, der Rest derselben sich in gewohnter Weise auf das zweite Auge fibertragen. Hierbei ist es jedoch auff'~illig, dass die Ablenkung mehr betr~igt, als sie der Berechmmg zufolge betragcn mfisste, oder als sie wirklich jetzt am operirten Auge betr~igt, wean das andere wie frfiher zur Fixation benutzt wird. Hieraus tblgt, dass hberhaupt die Idcntit~t der prim~i- ten und secund~iren Ablenkung zu Gansten der letz- teren aufgehoben, und demgem~ss das ursprfingliche Gesetz des concomitirenden Schielens durch den ein- maligea Eingriff pervertirt ist. Wit sind gezwungen, dies

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etwas niiher zu er~rtern. Es sei eine linksseifige patho- logisehe Convergenz yon 3'/, '" dutch einmalige Riick- lagerung auf 1'/2 ~" verringert. Wird das reehte Augo mit "der Hand verdeekt, das linke eingeriehtet, so zeigt sieh eine weit st~irkere seeund~ire Ablenkung, z. B. yon 21/~ '". Mit der Theorie scheint dies schwer ver- einbar; man klinnte sogar yon vorn herein glauben, dass ein etwaiger Unterschied in umgekehrter Weise ausfallen m~isste, denn da jetzt offenbar ein geringerer Widerstand als friiher yore rSckgelagerten Muskel bei der Aussendrehung geboten wird, wie sich durch die normalisirte Beweglichkeit in dieser Richtung bekundet, so klinnte vermuthet werden, dass nun zur Einstellung auch eine geringere Kraft des Abducens verwendet wird, welcher eine geringere Secund~irablenkung im ge- sunden Auge entspricht. Eine solche Auffassung weicht jedoch beigenauerer Betraehtung: t) Kurz n a c h ve r - i ib ter T e n o t o m i e ist der Muskel nicht immobil der Sclera angelagert, sondern auf derselben innerhalb ge- wisser Grenzen verschiebbar. Contrahirt sich der Mus- kel, so wird nieht alas ganze Quantum seiner Ver- kfirzung als Drehung auf den Bulbus fibertragen, son- dern nur ein Theil desselben, w~ihrend ein anderer Theil auf die Verschiebung tier Bindegewebskapsel f~illt. Es ist mithin jetzt zwischen M u s k e l v e r k i i r - z u n g und A u g e n d r e h u n g ein anderes Verh~iltniss, als wenn der Muskel eine feste Insertion an tier Sclera hat; es entsprechen kleineren Augendrehun- gen verhliltnissm~issig grosse Muskeleontractionen. Eine geringe Ablenkungl welche noch fibrig ist, stellt selbst den Ausdruck einer solchen disproportionirten Mus- kelverkiirzung dar, und wenn diese Ablenkung sich ausgleieht, so wird demgem~ss aueh eine dispro- portlonirte Verl~ingerung des Muskels erfolgen, welcher eine scheinbar excessive Secund~irablenkung auf dem

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zweiten Auge entspricht. *) Dies Alles kann natfirlich nut unmittelbar nach der Operation seine Anwendung finden, da schon wenige Tage nachher yon einer eigent- lichen Verschicbbarkcit keine Rode mehr sein kann. Wit bemerken auch nicht selten~ dass das Uebergewicht der secund~ren hblenkung nach kurzer Zeit abnimmt und nahezu verschwindet. Durch das Gesagte allein kann sich jedoch das erw~ihnte Phi4nomen nicht genii- gend erkl~iren~ da es nicht selten, wcnigstens zum Theil, blcibend ist. 2) Nach vollkommener conso l id i r t e r V e r h e i l u n g bedarf der zurfickgelagerte Muskel einer welt hSheren Spannungsver/inderung, um bei gleich- bleibendcr Last (Bulbus mit s~immtlichen Resistenzen) eine bestimmte Excursion einzugehen. Wenn daher jetzt die A u g e n d r e h u n g e n wiederum in dem ge- wohnten Verh/iltniss zu den Muskelverk( i rzungen stehcn, so ist doch eine geringe Ablenkung der Aus- druck einer fibergrossen Muskelanspannung. Wird diese Ablenkung behufs der Fixation ausgeglichen~ so tritt eine unverh~iltnissm~issig grosse Spannungsvedln- derung und hiermit auch eine scheinbar excessive Se- cnnd~irablenkung ein.

*) Wircl tier Bulbus noch mehr naeh aussen gewandt, so ~ndert sich ffeiLich die Sacho wesentlieh; Je mehr der Rectus internus sich verl~ngert, desto mehr treten die elastisehen Qualit~ten desselben in den Vordergrund, w~hrend die Innervafionsmomente progressiv klei- her werden; auf Gruncl der ersteren wird der Muskel bei seiner passi- yen Ausspannung die Tenon sche Kapsel naeh hinten ziehen, und dem- nach werden fSr zunehmende Aussendrehung sogar die L~ngenver- tinderungen des Muskels geringer ausfallen, als die Rotationen. Dieses sf~rkere Zurlickweichen der Tenon'schen Kapsel glebt uns ja den Grund, zur Vermehrung des Effekts, naeh der ~usseren Seite herfibersehen zu lassen. Auch verschwindet das Phlinomen~ yon welchem im Texte die Rede ist (wenn es sich eben unmittelbar naeh der Operation auf Verschiebbarkeit des Muskels basirt}, so wie man den Fixirpunkt naeh aussen vet das operirte Auge h~lt.

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Fiir die Therapie ist die Berficksichtigung dieser Verhfiltnisse yon grSsster Wichtigkeit. Man hat in einer andern Auffassungsweise, als die unsrige ist, viel dar- fiber discutirt, ob und warm die secundilre Ablenkung einer zweiten Operation zu unterwerfen ist. Wir haben schon oben erSrtert, dass iibcrall da, wo dem Endeffecte nach die prim~ire Ablenkung in gewiinschter Weise sich normirt, auch die secund~ire yon selbst verschwindet, dass aber, wo dies nicht geschieht, eine Operation am zweiten huge angezeigt ist. Je nach dem Uebergewicht der Secund~irablenkung darf nun eine solche Operation auch dreister angestellt werden, als eine neue Rficldage- rung am ersten Auge, und es wiirde uns dies unter Umst~inden Ffir die Operation aug dem zweiten Auge bestimmen, wenn wir uns nicht schon aus andern wich- tigeren Grfinden in dieser Beziehung entschieden hlltten. Im Uebrigen muss man, wenn der Rest yon Ablenktmg in dem schielenden Auge nur noch gering, abet die se- eund~ire Ablenkung unverh~iltnissm~issig gross ist, doch sehr vorsichtig sein, denn es werden sich bet einem selbst geringen Excess yon Wirkung die Symptome hier in einer eigenthiimlich nachtheiligen Weise steigern. Ich setze den Fall, es trete nach einem zweiten Eingriff eine leichte Divergenz des urspriinglich schielenden Au- ges ein, so wird zur Fixation mit diesem Auge eine geringe Inneudrehung ertblgen; diese erfordert verh~ilt- nissm~issig viel Kraft Seitens des rfickgelagerten Rectus iaternus, und es wird in analoger Weise, wie vor der zweite~l Operation, als excessive Secundlirablenkung jetzt Divergenz entstehen. Dies kann namentlich flit die Separatiibungen des urspriinglich schielenden Auges sehr hinderlich werden.

Es kommen F~ille vor, wo auch eine zweite Ope- ration am gesunden Auge fiir die Correction nicht aus-

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reicht, z. B. bet inveterirtem Sehielen yon 5"', 6 "~, 7". In solchen F~illen muss der Zustand der Muskeln ent- scheiden, ob wit fiberhaupt eine vollst~ndige Ausglei- chung der Ste]lung bezwecken dfirfen oder nicht. Erste- res wird in der Regel der Fall seth, so lange es sich um rein concomitirendes Schielen handelt, so lange noch nicht dutch hochgradige Desorganisationen der Muskeln ausgepr~igte Unbeweglichkeit nach der andern Seite ent- standen ist. Es ist alsdann, nachdem das zweite Auge operirt~ eine nochmalige Rfieklagerung auf dem ersten Auge, jedoch mit allen Vorsiehten, zu verrichten, even- tuell deren Effekt durch eine Sutur zu beschr~inken.

IV'.

In allen F~Jen muss man unmittelbar n a c h einer jeden Schieloperation den Erfolg auf das Genaueste controliren. Man vergesse nicht, dass der Bulbus in keiner Weise pr~idisponirt ist, sich gerade in die ffir unsere Zwecke beliebte Stellung zu begeben, sondern dass diese eine unier unendlich vielen gleichberechtigte Stellung darstellt, und dass demnach, wenn die Re- gulation des gemeinschaftlichen Sehakts aufgehoben ist, alas Ganze einem zwischen den Augenmuskdn statt- findenden Balancirspiel gleieht. Eben deshalb schien es mir nSthig, zur Abgrenzung des Operationseffekts m~glichst einfaehe und praktische Besfimmungen zu geben; aber es sind individuelle Schwankungen doch nur bis auf einea gewissen Punkt auszuschliessen, und es soll der Chirurg, wie er es naeh einer jeden plasfi- schen Operation thut, den unmittelbaren Effekt genau wfirdigen, um den endlichen Effekt mit Sicherheit vor- aussehen zu k~nnen.

Die Beweglichkeitsverh~iknisse be]cler Augen mils- sen zu dem Zweck vor der Tenotomie genau gepr{ift

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werden. Nachtr~glieh kann zwar die Beweglichkeit des operirten Auges mit der Norm oder mit der des zwei- ten Auges verglichen~ aber nicht festgestellt werden, wie viel Beweglichkeit gegen f'rfiher dutch die Abl~sung verloren ging, denn es war frfiher die Beweglichkeit nach Seite des zusammengezogenen Muskels krankhafl vermehrt. Nach einer jeden Tenotomie, bei der wir eiaen mittleren Effekt beanspruchen, muss der Verlust yon Beweglichkeit unmittelbar nach der Operation gegen frfiher 2'"--21/~ " ausmachen, was, mit einem gesunden Auge verglichen, gew~hnlich t" ' --1%'" betr~gt. Dass dieses Quantum sich naeh erfolgter VerlSthung um Ei- niges reducirt, werdea wir unten erSrtern. Es muss ferner vor der Operation der Grad der Ablenkung nach den frfiher angegebenen Grunds~tzen bestimmt~ und hier- nach die Zahl und Ausdehnung der n~thigen Eingriffe festgestellt werden. Ich finde es im Allgemeinen wider- r~ithlich, an beiden Augen gleichzeitig zu operiren, well die Berechnung der sp~iteren Iteilungsperioden, nament- lich bis zur neuen Anlagerung des Muskels, etwas schwankt, und weil sich bei doppelter Operation die Feh- lerquellen summiren. Operirt man nach einander, etwa nach Ablauf yon 3 - -4 Tagen, so hat man bereits Ft]r den Endeffekt der ersten Operation einen genaueren Anhalt und kann, wenn hierbei irgend eine Correction der ursprfinglichen Pr~isumfion sich einfinden sollte, diese bei der Ausffihrung der zweiten Operation berfick- sichtigen. Dass es hier auf viele und feine Rficksiehten ankommt, geht, glaube ich~ aus dem oben fiber den Wechsel der Secund~irablenkungen nach einseitiger Te- notomie Gesagten hervor. Trotz alledem Ieugne ich keineswegs, dass Fdr hoehgradige Ablenkungen yon 4" bis 5"' eine gleichzeitige Operation auF beiden Augen die Gefahren eines e x c e s s i v e n Ef fek t s nicht in sich trilgt, und deshalb da, wo es au:[" e ine fe ine R e g u -

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l i r u n g des k o s m e t i s c h e n E n d e f s nieht an- kommt, zuwcilen durch iiussere Verh~iltnisso gebotcn werden kann. Unbedingt contraindicirt ist sic da, we man zur Vermehrung des Effekts sofort den Blick nach der gegenfiber liegenden Seite bin richten will, z. B. bei einigcrmassen ausgedehntem Strabismus divergens~ Diese orthop~idischen Zwecke werden natfirlich dutch den doppelseitigen Eingriff vcreitelt.

Ist die ffir den Effect nothwendige Beschr~inkung tier Beweglichkeit nicht vorhanden, so sind jeden.falls seitliche Partieen der Sehne stehen geblieben. Es braucht sich keia Operateur zu sch~imen, dann noch einmal mit einem feinen Haken in die Wunde einzu- gehen und diese Fasern zu durchschneiden. Der Feh- ler ist bei der variablen Breite der Sehne verzeihlich, w~ihrend es immer ein Zeichen ungenfigender Sach- kenntaiss ist, wean, trotz ausbleibender Operations- wirka~g, doch ein g[inst]ger Effect erwartet wird. Der Moment dor vollst~indigen Abl~sung pflegt sich dadurch anzukfindigen, dass das Auge stark nach aussea schiesst, wobei das andere Auge eine entspre- chende associirte Beweguag macht. Namentlich ist dies w~ihrend tier Ghloroformnarkose ausgepr~gt. Beim Strabismus divergens zeigt sich nichts Analoges, wie fiberhaupt bier das Auge vorl~iufig viel mehr die Nei- gung hat, in seiner alten Stellung zu verharren. Ueberzeugte uns nicht der zuk~mmliche Verlust an Beweglichkeit nach aussen - - auf deren Prfifung ich demnach hier besonderes Gewicht legen m u s s - - , so kSnnte uns nach Abl~sung des Rectus externus das Unzureichende der unmittelbaren Correction h~iu~g irro leitea und den Argwohn erwecken, dass noch seit- liche Theilo der Schne stehen blieben. Es erg~inzt sich dana die gewfinschte Veriinderung erst innerhalb der ersten 24 Stundea, wean der Patient den Blick

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aaeh der gegenfiberl~egenden Seite richter, wie wir es oben vorgeschrieben h a b e n . - Sehr st~irend i~fir die Be- urtheilung des unmittelbaren Effects ist die C h l o r o f o r m - n a r k o s e . W~hrend derselben ist stets eine noch vor- handene Convergenz verringert, eiae Divergenz ver- mehrt, und mfissen wir deshalb zur Feststellung unseres Urtheils das v611ige Erwaehen des Kranken abwarten, eventuell besehleunigen.

Ist die Beweglichkeit noeh mehr besehr~nkt, als es sein sell, so liegt es daran, dass entweder die Tenon'sehe Kapsel dureh zu excursive Wendungen des ttakens yon der Selera geRist, oder dass sie in zu weitem Urn- range iaeidirt worden ist. Man muss hier allemal den Effect dureh eine Sutur verringern, selbst wenn die mittlere Stellung vollst~ndig befricdigeud erscheint; bildet doch das Vermeiden der Insufficienzen einen integrirenden Theil der Heilung.

Es kommen F~ille vet, in welchen kein Effect so- wohl Ffir die Beweglichkeit als ffir die Stellung zu Stande kommt, obwohl die Muskelsehne vollst~indig abgelSst ist. Man vermuthet bei der Prfifung noch anhaflende seitliche Fasern, geht mit dem Haken ein und finder nichts. Es hat alsdann der Muskel noch eine zweite Verbindung mit der Sclera, welche ich ge. wShnlich in der N~he des Aecluators, einmal auch noch hiater demselben vorFand. Sie besteht aus einem dich- ten~ ausserordenttich fibrSsen, bei Durchschneidung stark tSnenden Gewebe, welches die inhere Fliiche des Mus- kels mit der Sclera vereint. Etwas N~iheres kann ich nicht darfiber sagen, well ich die ohnehin in eiaer sehr unbequemen Ties liegenden Theile nicht unnfitzerweise entblSssen durfte. Es finder sich dies jedoch nut bei inveterirten, zum Theil wohl angeborenen F/illen yon hochgradigem Strabismus convergens, mit stark behin- derter Beweglichkeit nach aussen, welche deshalb dem

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rein eoncomitirenden Schielen selten angehSren. Auch sind dieselben nicht h~iufig~ da ich deren nut 9 bis i0 unter einer Anzahi yon fiber 3000 Schieloperationen vorfand. Liist man die erwilhnten hintern Adhaerenzen nicht, so haben alle ilbrigen, noch so vielfach wieder- holten Operationen, selbst Vorlagerung des Antago- nisten, keinen Einfluss.

Endlich babe ich reich bier noch fiber die yon ver- schiedenen Autoren so verschieden sngegebenen t I e i - l u n g s p e r i o d e n auszusprechen. Es war zur Zeit often- bar ein Verdicnst~ darauf aufmerksam gemacht zu haben, dass der primiire Effect der Operation yon dem End- effect wesentlich zu unterscheiden set, und es war der Versuch sehr gerechtfertigt, hierlibcr Gesetze zu suchen. B a h m stellte 3 vcrschiedene IIeilungsperiodea auf: eine crste, in der das an Strabismus convergens ope- rirte Auge etwas mehr nach aussen rlickt, dann eine zweite, in welcher auf Grund der Vernarbung eine umgekehrte Richtung sich geltend maeht, und endlich eine dritte, w~hrend der das Auge allm~ihlig wieder naeh aussen weicht. Obwohl nun der Aufstellung die- ser Heilungsperioden gewiss eine umsichtige Beobach- tung zu Grunde gelegt wurde, so haben dieselben doeh thetis dutch die Nfiancirung des operativen Verfahrens selbst, theils durch die genauere Unterseheidung der Ffille ihre allgemeine Giiltigkeit voIlkommen verloren. Wit werden sp~iter F~lle kennen lcrnen, in denen das Auge im Laufe der Monate immer mchr wieder nach innen zu gellen strebt. Es h~ingt iiberhaupt die dritte jener Heilungsperioden vorwaltend yon dem Verhalten des Auges bet der Accommodation in die N~he ab. Ehe wir hieriiber jedoch einige Eriirterungen machen, wollen wit das hervorheben, was in der T e c h n i k der O p e r a t i o n selbst liegt.

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Bei den fr[]heren Operafionsweisen, wo man die Wunden im Zellgewebe grSsser machte und durch wiederholte oder excursive Eingriffe an einem Auge hohe Grade yon Ablenkung zu corrigiren bemfiht war, traten auch mehr Insuflicienzen ein; je hochgra- diger sich nun eine Muskelinsufllcienz auspr'~gt, ein desto stilrkeres Pr~ivaliren des Antagonisten ist mit der Zeit zu erwarten~ so dass in solchen F~illen allerdings noch viele Monate lang eine entsprechende Ver';inderung der Stellung in dem B~hm'schen Sinne zu Stande kommt. Wenn wir aber dutch kleiae Wunden im Zellgewebe nur m';issige Rficklagerungen und demge- miiss auch m';issige Insufllcienzen erhalten (und die Gorrecfion bei h~heren Graden auf beide Augen ver, theilen), dann wird aueh diese dritte Heilungsperiode im Allgemeinen weir weniger umfangreich ausfallen. Wurde vo]lends nut auf einer Seite operirt, so k~nnen wir, abstrahirt yon allen Einfl[]ssen des Sehacts, fins Resultat, welches einige Wochen nach der Operation vorhanden ist, als das bleibende anschen. Etwas l~nger wird sieh die Nachwirkung naeh Seite des Antagonisten ausdehnen, wean wit beiderseits ziem- lich volle Rficklagerungen verrichtet haben; mehr- monatliehe und erhebliche Nachwirkungen in dieser Richtung, sieht man in jenen seltneren F~llen, wo be- hufs der Correction' als drifter Eingriff eine zweite Operation auf dem ursprfinglich schielenden Auge unter- nommen wurde. In solchen F~llen muss desshalb gr~sste Vorsicht anempfohlen und selbst nach Ablauf mehrerer Wochen noch auf eine nachtrligliche Ver- ilnderung yon i % " ~ 2 "~ gerechnet w e r d e n . - Was die zwe i t e jener Heilungsperioden anbetrifft, so ist dieselbe meines Erachtens weniger auf die Veraar- bung der Conjuncfiva und des Zellgewebes, Welche bei geringer Verwundung kaum in die Waagschale

A~'chiv f ~ Ophthalmologi,~. Bfl. Ill. I. 15

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i"~illt, als auf die neue An|agerung des retrahirten Mus- kels zu basiren. Es nimmt, da dann die Verschieb- barkeit der Tenon ' schen Kapsel aufh~irt, die Beweg- liehkeit wieder um Einiges, gewiihnlich um l ' " - - t % ''~

zu, um nun ihren definitiven Stand zu erreichcn. Je grosset die Verschiebbarkeit der Tenon'schen KapseI war, je mehr wird diese zweite Periode hervortreten. E s steht also deren Umfang ungef~ihr in gradem Ver- h~ihniss zur Trennung des Bindegewebes. Bei Kindern tritt sie mehr hervor, wahrscheinlich wegen der grSssern Verschiebbarkeit der Tenoa'schen Kapsel, deshalb sehen wir bei denselben nicht selten einen scheinbar zu grossen Effect sich w~ihrend der ersten Woche nach der Operation in unvermutheter Weise zuriickbilden. Haben wit kurz nach der Operation eine verh~iltnissm~issig hochgradige Besehr~inkung der Beweglichkeit, und sind doeh sigher, class wit nur die fiblichen Trennungen gemacht haben, so kSnnen wit auch darauf rechnen, dass mit Zunahme der Bewegliehkeit w/ihrend der Muskelanlagerung die erreichte Correction wieder be- deutend abuehmen werde; ist dagegen nut ein Mini- mum yon Unbeweglichkeit vorhanden, so k~innen wit yon der zweiten Periode beinahe abstrahiren. Auch diese Versehiedenheitea beruhen offenbar zum Theil auf indi- viduellen Schwankungen in der Dehubarkeit und Ver- schiebbarkeit der Tenoa'schen Kapsel. - - Die e r s t e jener Heilungsperioden erreicht f}ir Strabismus convergens einige Bedeutung nur, wenn wit den Blick nach der entgegengesetzten Seite richten lassen. Soust ist sie zu veraachl~ssigen, wean wir anders einige Stunden naeh der Operation beobachten. Wit kSnnen deshalb dieselbe a ls H e i l u n g s p e r i o d e weglassen and unter- scheiden fortan nur den u n m i t t e l b a r e n Operations- effect, die Periode der Muskelanlagerung als e r s t e He i l u n g s p e r iode , and die Periode der Ausgleichung,

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in welcher die ver~inderten Resistenzen gegen ihre de- finitive Gleichgewichtslage tendiren, als zwe i te He i - l u n g s p e r i o d e .

Es wird allerdings grosse Uebung dazu gehSren, die sptiteren Effecte richtig vorauszusehen, doch kann sich der AnFtinger die Sache dadurch erleichtern, wenn er Folgendes beherzigt:

1) Je vorsichtiger die Rficklagerung gemacht wird, desto weniger weicht der endliche Effect yon dem un- mittelbaren ab, es tritt dann zwischen der ersten und zweiten Periode nahezu ein compensirendes Verh~ihniss eiIl,

2) Wird ~ deux temps auf beiden Augen operirt, so ist bereits weit mehr im Sinne tier zweiten Heilungs- periode zu rechnen, da die erste ffir das ursprfinglich operirte Auge zum grossen Theil voriiber oder ganz vorfiber ist, w~hrend die beiderseifigen zweiten Perioden sich in ihrem Werthe summiren.

3) Wird ein dritter Eingriff unternommen, so ist bedeutend auf die zweite Periode zu rechnen, und zwar urn so mchr, .ie mehr Muskelinsufficienz eintritt. Die erste Periode ist dann immer yon sehr untergeordneter Bedeutung.

4) Bei Kindern und in Fgllen, wo die Beweglichkeit trotz vorsichtiger Operation verhRltnissmRssig stark beschrRnkt ist, f~illt die erste Heilungsperiode mehr in Rechnung.

Bei Strabismus divergens finden wir ein ganz an- deres Verhalten der Heilungsperioden. Der unmittel- bare Effect, welcher immer verh~ltnissm~issig gering ausf~illt, steigert sich allm~hlig in den ersten 24 Stun- den, und dies urn so mehr, wenn wit nach tier gegen- fiberliegenden Seite blicken lassen. Er hat alsdann seine HShe erreicht~ um sich w~ihrend tier ersten Wo- chen ziemlich rasch, und dann noch Monate ]ang alI-

15"

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m/ihlig zu verringern. Wir kSnnen demnach hier zwei Perioden~ denen eine entgegengesetzte Wirkung zu- kommt, nieht unterscheiden. Ueberhaupt mfissen wit hier: die Werthe der zuk~mmlichen defiaitiven Corre- ctionen geringer aageben, als bei Strabismus conver- gens, n~imlich ffir eine einfache Tenotomie nur i l / , ' ' ' bis is/ , '''. Es erheiseht deshalb ein hochgradiger Stra- bismus divergens 5~er wiederholte Eingriffe als hoch- gradiger Strabismus convergens.

Wean wit bei allen obigen ErSrterungen Corre- ctionen yon bestimmtem Werth als Folgen gewisser Modalit'$iten der Operation angaben, so liegt uas nun die Pflicht oh, diesen Werthen ihre Deutung in Betreff der Heilungsperiodea zu geben. Ich glaubte die Re- sultate der Schieloperation am fasslichsten zu machen, indem ich nicht die u n m i t t e l b a r e n , sondern die e n d l i c h e n Stellungsver~nderungen, wie sie sieh aus einer sehr umf'angreichen Statistik ergeben, zu Grunde legte. Es war mir dies mSglich, weii ich einen grossen Theil meiner Operirten nach Jahresfrist wiedersehe. Dass es sich hierbei nur um Mittehverthe handeln konnte~ deren gr~ssere oder geringero Anwendbarkeit in jedem concreten Falle n~her auszumachen ist, wird am besten aus den n~ichsffolgenden Betrachtungen hervorgehen.

Weit wichtiger noch als die Verschiedenheiten in der AusFfihrung der Operation sind Ffir den Aus- schlag der zweiten Heilungsperiode die Verhiiltnisse des S e h a c t s . We Doppelsehen oder ein gemein- schaftlicher Sehact in bestimmten Richtungen statt- findet~ wird hiervon die weitere Regulirung der Stel- lung ausgehen. Siad nahe an einander stehende Doppelbilder da, die nieht vereinJgt werclen kSnnen, so werden dieselben dutch grSssere Beth~itigung der entsprechenden Muskeln weiter yon einander ent-

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fernt werden. Besonders gilt dies yon gekreuzten Doppelbildern, wiihrend gleichnamige weniger st~rend sind, und racist in kurzer Zeit nicht mehr zur Wahr- nehmung kornmen. Erstere m[~ssen deshalb selbst Fdr die nLichsten Stellungen des Fixirpunktes wo m~Jglich vermieden werden. ]st eine Verschmelzung der Doppel- bilder Ffir eine bestimmte Richtung und Enffernung m~glieh, so erweitert sich h~ufig das Gebiet des Ein- fachsehens, namentlich bei richtig angestellten Uebun- gen, yon dieser Stellung aus nach den fibrigen Rich- tungen und Emfernungen hin, uod es kann auf diese Weise allm~ihlig eine vollkommen normale Fixadon mit Herstellung der associirten und accommodativen Bewegungen eintreten.

Wenn kein gemeinschaRlicher Sehact vorhanden ist, so haben wir ausser der mittleren Stellung, vori tier wir durchaus willkiihrlieh ausgingen, besonders das V e r h a l t e n der a e c o m m o d a t i v e n B e w e g u n g e n zu studiren. Es kommt einmal vor, dass bei Ann~ihe- rung des Gesichtsobjects in der Mittellinie das conver- gent schielende Auge seine frfihere Stellung vollkommen oder nahezu beibeh~ilt, und daher bei genfigendem Grade der Ann~herung eine Kreuzung der Sehaxen im Fixirpunkt eintritt. Es kommt zweitens vor, dass mit der Ann~iherung des Objects eine excessive, wie krampb hafte accommodative Bewegung des schielenden Auges zu Stande kommt, eine Kategorie yon F~illen, auf die wit zwar noeh sp~iter (siehe den Abschnitt fiber perio- disches Schielen) eigens eingehen werden, die sich aber yore concomitirenden Schielen nicht trennen las- sen, weil sie f'dr bestimmte Bedingungen ganz die charakteristische Symptomatologie darbieten; Es kommt endlich drittens vor, class, wenn das gesunde Auge eine accommodative Bewegung macht, bei einer be- stimmten Grenze tier Ann~iherung das schielende Auge

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eine associirte verrichtet, so dass der Grad yon Con- vergenz nun plStzlich abnimmt, und vielleicht in einer ungewShnlichen N~ihe sogar pathologische Divergeaz ein- tritt, ein Zustand, den wit ebenfalls sp~iter (in dem Ab- sehnitt iiberMuskelinsus bcsprechen werden. Die Nachwirkung einer jeden Schieloperation wird nun dutch dicse, in dem Wesen des Uebels liegenden und immer sehon vor der Operation angedeuteten Verschiedenheiten differencirt, und ist yon deren Beriicksichtigung die Beurtheilung des Operationserfo]gs wesentlich abh~ingig.

Es wird hier niithig sein, zu einigen Beispielen zu flfichten. Es sei Jemand, der i'rfiher an convergirendem Schielen auf dem linken Auge litt, dutch Tenotomie des Internus auf diesem Auge operirt worden. Es stehe - - so nehmen wit an - - in der mittlcren Stellung das linke Auge noch um l /z '" pathologisch eonverg~t. Wird nun das Gesichtsobject in der Mittellinie bis auf | ' genilhert, so macht das rechte Auge eine accommodative Bewegung (nach innen) yon ungef'~ihr 1/2 "', das linke bleibt in der frfiheren Lage stehen, hat also eine symmetriscbe Stellung mit dem rechten und ist approximativ in der Fixation. Wird das Object noch mehr gen~ihert, so beschreibt das rechte Auge eine immer st~irkere accom- modative Bewegung naeh innen, das linke abet bleibt stehen und schiesst demnach mehr and mehr nach aussen yore Gesichtsobiect vorbei. Es repr~isentirt dies die erste Kategorie yon F~illen. w Ein zweites Beispiel: Das linke Auge, aus denselbea Ursachen operirt, schiesst in der mittleren Stellung noch �88 nach innen vorbci; n~i- hert man das Object bis auf i', wobei das rechte Auge eine accommodative Bewegung nach ianen yon %" ' maeht~ so macht w$ihrend dieser Zeit das linke Auge eine ungleich- miissige, weit griissere accommodative Bewegung yon I ' , so dass ~Js .jetzt i~/~ "" nach innen yore Gesichts- object vorbeischiesst. N~hert man das Gesichtsobject

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auf 8 't, ]~isst z. B. den Kranken in dieser Entfernung lesen, dann tritt vollends eine scheinbar krampfarfige accommodative Bewegung auf dem linken Auge ein, wodureh dasselbe in eine Ab]enkung yon TA'"- -3 '" ger/ith. Es repr~isentirt dies die zweite Kategorie yon F~illen. - - Ein drittes Beispiel: Des ]inke Auge ist operirt und schiesst in der mittleren Stellung um 1/2"' nach innen vorbei. Wird des Object gen~ihert, so mac/at des linke Auge statt einer aeeommodativen eine assoeiirte Bewegung, so class sehon in t ' Entfernung des ]inke Auge um 1A'" nach aussen vorbeisehiesst. Wird des Object, vielleieht ein Lesebuehl noch mehr (auf 8") gen/ihert, so steigert sieh diese associirte Be- wegung auf einmal in ganz disproportionirter Weise, so dass ein starker Strabismus divergens eintritt. Es steht mithin diese dritte Kategorie v0n F/illen tier zweit- eriirterten diametral gegenlibcr. Wenn nun die gc- maehten Angaben sich auf einen Terrain yon einigen Wochen naeh der Operation beziehen, so wfirden diese drei Operirten ein sehr verschiedenes Endresultat erge- ben, obwohl die mittlere Stellung bei Allen dieselbe war. Naeh Jahresii'ist wird der erste einen sehwaehen, der dritte einen sehr starken Strabismus divergens haban, w/ihrend tier zweite noeh recht erheblieh naeh innen sehieh. Offenbar geht w~ihrend der Accommo- dation in die N:d_he tier energischste und regelm~issigste Reflex veto Sehaet aui' die Augenmuskeln aus. Letz- tere werden hierbei am st~irksten innervirt und deshalb auch die mitfleren Muskell~ingen am meisten ausgepr~igt. Bei dem erst Operirteu stand in tier Fdr das Lesen fibliehen N~ihe des linke Auge bereits etwas divergent. Es wird diese Stellung mehr und mehr die habitue]le werden, uud es wird demnaeh des, was Anfangs dies- seits t ' stattfand, aueh in grlisserer Entfernung matt- finden, indem das Uebergewieht des Antagonisten sieh

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mehr und mehr durch alle Stellungen bin verbreitet. Die endliche Grenze wird sich ungef'~hr dahin bestimmen, dass Patient f'dr gewlihnlich, d. h. ohne bestimmte Fixation, parallel geriehtete oder schwach divergente Sehaxen hat, und ~edent'alls bet aller Fixation, selbst in m';issiger Entt'ernung, et~vas divergirend schielt. Umgekehrt wird es sich bet de.m Zweiten verhalten. Die starke Conver- genz, welche in der N';.ihe eintrat, wird sich allmfihlig fiber ihre ursprlingliehen Grenzen ausbreiten, so dass sie dana auch in mittleren Entfernungen existirt. In diesem Fall wird also in der zweiten Heihmgsperiode dem gew~ihnlichen Hergan'ge entgegengearbeitet. Am aUersehlimmsten wird sich der dritte Opcrirte befinden, bet welchem wit bet Ann~iherung des Objects start der zukiimmlichen Innendrehung eiae disproportionirte Aus- sendrehung vorfanden. Es wird bier durch einen ganz analogen Verlauf die ursprfinglich Ffir die Entfernung vorhandene Gonvergenz sich in Divergenz umwandeln, und demn/iehst die zweite Heilungsperiode eine ungeo wShnliche Steigerung erbalten.

Hierans ergiebt sich, dass das Studium der accom- modativen Bewegungen kurz nach tier Schieloperation f'fir die Beurtheilung des Endeffects ~iussert wichtig ist, und dass ohne ein solches die Annahme bestimmter Heilungsperioden zu sehr bedauerlichen prognostischen Irrthiimern fiihrt. Man iiberzeoge sich, ob bei Ann~- herung des Objects auf' 10", 8", 6" das operirte Auge bercits zurfickbleibt oder nach ausaen weicht; ja man gehe mit diesen Prfil'ungen his auf 4 '~ und 3'/j" heran, da bei einer augenblicklichen PriiSmg die Insuffi- eienz sieh natfirlich erst in geringeren Abst'3nden ~iussert, als bei fortgesetztem Sehact. Bleibt schon bei Ann~iherung auf 8" das operirte Auge zuriick, so haben wir eine sehr starke Nachwirkung im Lauf yon Wochen und Monaten zu gew~irtigen~ und wird es dann immer

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w~]nschenswerth sein~ den Effect zu beschr~nken, selbst auf die Gefahr hin, f'dr weitere Entferaungen einen guten Rest yon Convergenz vorl~iufig fortbestehen zu sehen. Noch mehr lritt dies Bediirfniss hervor, wenn das Auge inner- halb der gedachten Entfernung nicht bloss ztlriickbleibt, sondern stark nach aussen flieht. Tritt die Erscheinung erst in 5 " - - 6 " ein, so wird es yon den n':iheren Ver- h~iltnissen dependiren, ob eine Besehr~inkung des Effects angezeigt ist oder nicht. Wir haben alsdann nut eine m~issige Nachwirkung zu erwarten, und sdmmt dieselbe, wenn z. B. fiir die mittlere Stellung ungef'~ihr noch il/~ '' '

Convergenz vorhanden ist, ungel~,ihr mit unsern Wfin- schen 5berein. Ist dagegen auch fdr die Entfernung die Convergenz ~usserst gering, so wird eine Sutur r';ithlich seth. Zeigt sich auf der andern Seite bet An- niiherung auf 8" jene disproportionirte, wie krampf- hafte~ accommodative Convergenz, deren wit oben gedacht, so miissen wir, selbst wenn die Gonvergenz zur Zeit fiir die Entfernung beinahe aufgehoben war, doch die Patienten auf die Nothwendigkeit einer zwei- ten compensirenden Operation ffir sparer aufmerksam machen. Wet den Verlauf solcher Fiille nicht kennt, m~chte in diesem Vorschlage etwas total Widorsinniges sehen. Es sind dies die]enigea F~ille, yon welchen es im Publikum und aueh wohl bet manchen Aerzten heisst, dass sie recidiviren, und dass der Operations- erfolg nur ein tempor~irer gewesen set.

Man k~nnte diesen Schliissen. welche u n m i t t e l - bar nach der Operation entnommen wurden, den Ein- wurf machen, dass mit Anlagerung des abge]~sten Muskels w~ihrend der ersten Heilungsperiode doch often- bar eine wesentliche Ver~inderung in den Bewegungen zu Stande kommen m~isse, da der Muskel vor dieser Zeit nut indirect durch die versehiebbare Tenon'sche Kapsel wirkt. Wir haben die Richtigkeit dieses Ein-

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wurfs durch das oben Gesagte Fdr die associirten Be, wegtmgen zugegeben, indem wir mittheilten, dass die Beweglichkeit sich in der ersten Heilungsperiode wieder um Einiges vermehrt. Fiir die accommodativen Bewe- gungen hat derselbe jedoeh weniger Tragweitc, da es hier iiberhaupt nicht his zur ~iusscrsten Contractions- grenze kommt, sondern sich lediglieh darum handelt, ob eine bestimmte, gut erreichbare Contraction des Mus- kels einer bestimmten Summe yon Resistenzen wider- stehen kann. Auch lehrt dic Erfahrung, dass die accommodativen Bewegungen w~ihrend der ersten Hei- lungsperiode sich nur in sehr untergeordncter Weise veriindern.

Es wird nun vollends ersichtlich sein, dass die numerischen Angaben, yon welehen wit bei Voraus- bestimmuag des Eadeffects ausgingen, nut die Bedeu- tung yon Mittelwerthen haben k~nnen, und dass uns dieselben zwar im Allgemeinen als Regel dienen, abet nicht fiber das individualisircnde Studium der Krank- heitsf'~ille hinweghelfen dfir.t'en.

Vo

Wit woUen nun noeh einen Blick auf die Hei l - r e s u l t a t e werfea, welche man durch die Muskelrlick- lagerung bei concomitirendem Schielen erh~ilt. Ver- stehen wir unter Heihmg die vollst~indige Wiederher- stellung aller normalen Augenbewegungen, so mfissen wit zugeben, dass iiberhaupt nut ei~l geringer Theil der Sehielenden heilbar ist. Es liegt dies einerseits daran, dass das schielende Auge yore gemeinschah- lichen Sehact ausgcsehlossen bleibt, andererseits darin, dass die vorhandenen Struktur- und Lagenver~inde- rungen in den Muskeln ein vollkommen freies Spiel dcrselben verhindern. Der erste Umstand Fdr sich

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gen{igt, um eine genaue Eirlstellung des Auges aufzu- heben. MSgen die Muskeln so normal seia, wie nut mOglich, so fehlt der Regulator. Es wird dana zwar das Schielen durch die Operation beseitigt sein, s,fern keine auff~illige Ablenkung mehr existirt, aber es wird imme,'hin die Einrichtung nut approximativ und die Yerhliltnisse dieselben sein, als wenn durch Unter- schiecle in der Sehkraft oder in der Brechkraft das eine Auge yore gemeinschaftlichen Sehact excludirt ist. An dieser Klippe seheitert die vollkommene Heilung ungef'~hr in der H$ilfte s]immtlicher F/ille. Uatersuchen wit die an concomitirendem Schielen Leidenden, so finden ~dr , dass mindesteas bei 90 Procent gar keine gleichzeitige Wahrnehmung der beiderseit]gen Netz- hauteindrficke mehr stattfindet. Es reducirt sich diese Zahl ungef'~ihr auf 75 Procent, wenn wir die Mittel, khnstlich Doppelsehen hervorzurufen, in geeigneter Weise benutzen, und sie reducirt sich ungefiihr auf 50 Procent, wean wit die Verhiiltnisse nicht vor der Operation, sondern nach derselben prfifen. Es ist nimlich die Einleitung einer approximativ richt]gen Stellung aus zwei Grfinden geeignet, den bis dahin unterdrfickten Sehact auf dem schielenden Auge wieder hervorzubringen, einmal weil die Excentricit~it des Netz- hautbildes verringert, zweitens well die SehkraR gebes- serf uad dureh beides der sensorielle Werth des Bildes gehoben wird. Die H/ilfte s/immdicher Sehielenden bleibt nach allen Eingriffen f'dr den gemeinschafilichen Sehaet unempf'~inglieh, and es f~llt daher auch f'fir die Hiilfte die M/~glichkeit einer Heilung im strengsten $inne hinweg.

Wenden wit uns nun zu der andern H~ilfte, n/im- lich zu den.ienigen Kranken, welche entweder sehon vor der Operation doppelt sahen, oder bei dermn kfinst- lich Doppelsehen hervorzurufen war, welches dann

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nach der Operation spontan hervortrat, oder bei welchen vor der Operation durch keine Mitiel Doppelsehen her- vorzurufen war. wohl aber nach der Operation, so liegt auch bei der Mehrzabl dieser Individuen ein un- fiberwindliches Hinderniss f'dr die vollkommene Heilung in den MuskelveHinderungen selbst. Wir haben oben er~iesen, dass die Verschiebung der Muskelinsertion freilieh die Anomalie der Muskelsiruktur f'dr eine be- stimmte Stellung oder fiir einen bestimmten Spielraum yon Stellungen compensiren kann. Wir haben aber gleichzeitig hervorgehoben, dass dieser Spielraum seine Grenzen hat, und dass ein absolut freies Spiel der riiekgelagerten Muskel mechanisch nicht zu begrfinden ist. Wenn beim eoneomitirenden Sehielen allerdings der Unterschied zwischen der gr~3ssten Muskelverk~ir- zung und der grSssten Muskelverl~ingerung nahezu der normale ist, so schwindet dies Verh/iltniss doch mit der Rficklagerung der Muskelinsertion, denn da der Muskel jetzt re]ativ ohnmilchtiger ist, so miissten seine muskularen EigenschaRen noch fiber die Norm erhSht sein. um eine normale Excursion zu verriehten. Es handelt sich nun darum, ob die Uebelst~inde, die in dem Gebreehen des Muskels liegen, etwa dutch den Sehact aufgehoben werden kSnnen, so dass eine im Dienste des Eiafachsehens ver~inderte Innervation den mechanisch-muskularen Yerh~iltnissen in compensirender Weise entgegengewirkt. Es ist dies nicht blos theore- tisch mSglich, es kommt wirklich in einer grossen Anzahl yon F~llen vor, und werden wir aug diesen Hergang zum TheU noeh ausf'fihrlicher bei der operativen Heilung des Doppelsehens zur[iekkommen. So gut wle im Dienste des Einfachsehens bei Anwendung eines pris- matischen Glases die Muskeln normwidrig innervirt und hierdurch abnorme Stellungen eingeleitet werden, so gut werden auch im Dienste des Einfachsehens Mus-

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keln yon abnormer Struktur und abnormer Lagerung in der Weise innervirt, dass die den mechanischen Verh~ihnissen entsprechenden Deviationen corrigirt und eine vollkommen richtige Fixation bewirkt wird. Aber es ist begreiflieherweise diese Herrschaft des Sehaets iiber die in den Muskeln obwaltenden Dispositionen keine un- beschrilnkte. Sind die Ver~nderungen in der Muskel- struktur und Muskellagerung gering, und ist die Zu- sammenwirkung beider Netzhauteindr[~cke eine lebhaRe, so wird die s Regutirung im Allgemeinen leicht statt~nden, sie wird desto schwieriger und unvollkom- mener werden, je mehr der erste Factor hervortritt und der zweite zuri~cktritt. Handelt es sich um ein eoneo- mitirendes Schielen, das erst einige Monate besteht, sich z. B. nach einer Augenmuskell~hmung entwickelt hat, yon permanenten Doppelbildern begleitet wird, welche letztere, bei einiger Amr;iherung dutch prisma- tisehe Gl~iser, leieht versehmolzen werden, so k~nnen wir sicher sein, dass bei einigermaassen riehtiger Stel- lung der Sehaxen der Sehaet das Uebrige, und zwar fdr alle Stellungen, im Gesiehtsfeld reguliren wird. Ist das Sehielen dagegen veraltet, yon hoehgradigen Mus- kelver~inderungen begleitet, sind die entsprechenden Dop- pelbilder nur m[ihsam hervorzuruf'en, und werden sie unsieher und vorhbergehend aufgefasst, so wird schwer- lich der Sehakt eine umfangreiche Herrsehaft i~ber die ver~nderten Muskeln aus~ben. Es wird in einem ge- wissen Bereiche des Gesichtsfeides, innerhalb dessen die Hindernisse Seitens der Muskeln verh~iltnissm~ssig ge- ring sind, wohl eine genaue Fixation, aber nicht ausser- halb desselben eingeleitet werden. Dies constituirt nun die Mehrzahl der F~ille (d. h. derjenigen F~ille, wo ilber- haupt noch yon einem gemeinschaftliehen Sehakt die Rede ist), und es wird in dieser Mehrzahl der FfiUe dem-

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nach nur eine partielle Heihmg zu erwarten stehen. *) Fassen wit die Details dieser parfiellen Heilungen etwas n~iher ins Auge.

Wir nehmen den Fall an, es sei ein gemein- sehaftlicher Sehakt mSglieh, aber die Muskelverfin- derung f'fir eine vollkommene Wiederherstellung der Fixation bis an die Grenzen des Gesiehtst'eldes zu hoeh- gradig. In diesem Falle kann immer eine Einstellung erzielt werden Fdr ein Gesichtsob.iekt yon einer bestimm- ten Entfernung, welches sich in der Mittellinie und in der horizontalen Visirebene vor dem Kranken befiadet. Wird dann das Objekt yon dieser Enffernung ab an- gen~hert oder enti'ernt, so mag in einem gewissen Spielraum, ~5r we]ehen eben die Hindernisse in den Muskeln gering sind, die Einstellung l%rtbestehen. Wer- den aber die Grenzen dieses Spielraumes iibersehritten, so bleibt das friiher convergent sehielende Auge zuriick, rind zwar naeh innen, wenn das Ob.iekt zu sehr ent-

") Wir wollen in dieser Abhandlung, welehe vorwaltend der ErSrterung meehaniseher VerhJlltniase bestimmt ist~ alles auf dis Indieatlonen der Sehieloperation Bezfigliehe vermelden, urn uns nieht zu vieler Wiederholungen schuldig zu maehen ; dennoeh rn~ehte ieh hier im Vorilbergehen darauf hlnweisen, wie unendlieh gfinsti- ger dem Er~rterten zufolgo dis Hsilresnltate bet geringen Muskel- veranderungen und M~glichkeit sines gemeinschaftliehen Sehacts sind, als bei hoehgradigen Muskelver~inderungen und geringem Drange zur Znsammenwirkung beider Augen. Der Grundsatz, die Operation zu versehieben, his die Intelligenz der Kranken ent- wiekolt, der SchOnheltssinn derselben erwacht etc., ist sin total irriger. Man erreieht ohne SchSnheltssinn und ohne Intelligenz der Kranken mit leidlieh gesunden Musksln und noch gut erhaltener Sehkrafl unter allen Verh~iltnissen mehr, ala wenn die beiden letzten Desiderata fehlen. Bei dem unvcrst~ndigsten Kinds wird z. B., wenn lebhafto Doppelbilder vorhanden sind, und wenn der Drang zvr Versehmelzung derselben in physiologiseher Weise existirt, ins t inktm~sig welt mehr zur Regulirung der Steliung geschehen, al~ unter entgegengesetzten Verh~iIinisaen bei einsm Erwaehsenen, der die miihsamsten und eonsequentesten Uebungen macht.

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fernt) nach aussen, wenn es zu sehr angen~hert wird. Die GrSsse des Spielraums selbst wird yore Zustande der Muskeln abh~ngen. Wo soll nun - - dies ist das therapeutische P r o b l e m - der Spielraum der Einrich- tung oder resp. des Einfachsehens nach beschlossenen Heihmgsperioden liegen, um die kosmetisehen und fun- ctionellen Postulate bestmSglichst zu erffillen? Suppo- niren wir, dass der Spielraum in einer gTSsseren Entfer- hung, z. B. in der frfiher als Ausgangspunkt unserer Betrachtungen gew~ihlten mittleren Stellung l~ige, so ware Fdr die Mehrzahl der F~ille*) in allen geringeren Abst~n- den pathologische Divergenz resp. gekreuzte Doppel- bilder vorhanden. Es wfirde sich dies beinahe auf das ganze Bereich der Accommodation beziehen, und wfirde mithin filr die Functionen des Auges entschieden un- glinstig sein, besonders in Riicksicht auf den mehrfach hervorgehobenen sffirenden Einfluss gekreuzter Doppel- bilder. Was das kosmetische Resultat anbetrifft, so k~innten wir aueh darin uns nieht zufrieden stellen. Prfifte man den Operirten in dcrjeni~en Entfernung, ffir welche die Augen richtig stehen, so liesse sich schein- bar nichts eiuwenden, und doch wSrden die meisten Beurtheiler glauben, es sei eine leichte Divergenz vor- handen, denn da trotz aller Vorsichten die Karunkel h~iufig urn eine Wenigkeit zuriicksinkt, so wird, wie oben er~irtert, die $r etwas beirrt. IAisst man noch .ienseits dieser Entfernung ei~l Ob.jekt betrachten, so existirt der Annahme gem~iss ein gewisser Grad patho- logischer Convergenz. Dieser ist aber verschwindend klein, so fern die lineare Excursion der accommodati- yen Bewegung auf" einem Auge yon 5 ~ selbst bis un- endlich noch nicht einmal ~/~"~ betrilgt. Die minime

•) Dass sich dies bei einer Anzahl yon Kranken auch umge- kehrt vorhalten kann, geht aus dem obea fiber die Verschieden- heiten dor accommodativen Bewegungon Gesagten hervor .

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pathologische Convergenz, weleho f'dr sehr grosse Ent- fernungen zuriickbleibt, wird deshalb nicht allein nicht als Convergenz angesprochen werden, sondern wird wahrscheinlich die aus dem Stande der Karunkel her- vorgehende T';iuschung noch nicht einmal compensiren, so dass die meisten Beurtheiler auch hier noch ohne genaue Untersuchung eine Spur pathologischer Diver- genz annehmen werden. In n';iheren Entfernungen, z.B. auf i ' / j ' , in welchen z. B. bet der Unterhahung der Ausdruck welt genauer beurtheilt wird, ist in unserem Falle bereits eine reelle Divergenz vorhanden, welche (immer in der Voraussetzung, dass diesseits des Bereichs der Ein- stellung gar keine accommodative Bewegung verriehtet ,adrd) beinahe '/s ~' betr~igt, aber je nach dem Stande der Karunkel mehr oder weniger iibe,'sch~tzt wird. Wenn statt der aeeommodativen Bewegung das Auge in um- gekehrter Richtung nach aussen weichtj wie es bet ge- kreuzten Doppelbildern in der Regel der Fall ist, wird diese Divergenz natiirlich mehr betragen; ihrMaximum wird sie bet derAccommodation in die N~he, also beim Lesen, N~ihen etc. erreichen. Es ~drd demnach auch das kosmetische Resultat unglinstig seth, und wit mils- sen f'dr das Bereich der EinsteUung entschieden einen andern Abstand ers t reben. - Setzen wit denselben auf6 a, so wird diesseits dieser Enti'ernung pathologische Di- vergenz stattfinden, da.jedoch diesseits 6" unter gew~ihn- lichen Verh~iltnissen der Accommodation nicht leicht ein Gegenstand fixirt wird, so kann jedenfalls aus der pa- thologischen Divergenz kein Uebelstand hervorgehen. Dagegen wird jenseits 6 a pathologische Convergenz vor- handen sein, und wird dieselbe wiederum in der Vor- aussetzung, dass das Auge gar keine aecommodativen Bewegungen macht, f'fir tl/2 ' Abstand ungel~hr i u' und f'dr 5' Abstand beinahe t1/~'" betragen. Eine solche Convergenz hat bereits nichts wesentlich EntsteUendes,

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und um so weniger, als dieselbe wesen des Standes der Karunkel untersch~itzt wird. Bei Beurtheilung die- set Verh~iltnisse daft auch nicht vergessen werden, dass w~ihrend des Ruhestandes die Sehaxen der meisten Leute nicht parallel sind, sondern sich in einer bestimm- ten Enffernung kreuzen, welche der Gleichgewichtsspan- nun S s~immtlicher Augenmuskeln entspricht. Diese bei verschiedenen Individuen sehr verschiedene Enffernung ist z. B. bei Kurzsiehtigen mit ensem Mesoropter kurz genug, um einen ziemlich auff'tilligen Grad yon Conversenz zu begriinden. Wit sincl deshalb an sehr gerinse Con- vergenzen beim gedankenlosen Blick schon dutch phy- siologische Verschiedenheiten gewiihnt, und selbst wenn deren Grad die physiologischen Grenzen etwas fiber- schreitet, so werden immer Stellunsen repr~isentirt, welche w~ihrend d er gew6hnliehen Fixationsbewegu ngen vorkom- men; dasegen giebt jede Diverge nz, yon dem Paralle- lismus tier Sehaxen, an dem Gesichtsausdruck elwas Starres, Lebloses, Zerstreutes und tr~igt das Gepr~ige des Unphysiologischen und Krankhaften an sich. Die D01"pelbilder, wenn solche bei erhahener Convergenz vor- handen, sind alie gleichnamig und pflegen daher bald ihren stiirendeu Einfluss zu verlieren; kurz, wit haben ]etzt welt bessere Verh~iltnisse. Es wer~len dieselben um so mehr gewinnen, .je griisser der Spielraum der Einrich- tun S ist, flit welehen wir vorl~iufi S die ungilnstigste An- nahme maehten. Wird z. B. das Ause yon 6" auf 9" ein- geriehtet und bleibt jenseits 9" immobil stehen, so betr~igt die Convergenz f'fir griissere Entfernungennur noch kaum t "~*) und ist kosmetisch vollkommen zu vernach- l~issigen. Ich wlirde rathen, stets in dem iiblichen

o) Fi/r diese Angaben sind. die bekannten Mittelwerthe f'dr Ab- stand, der beiden Drehpunkte genommen. Da diese Abst~tnde Qbri- gens sehr schwankend sind so werden auch obige Angaben ziem- lich namhaflen Correctionen zu untorwerfon sein.

Archtv fCtr Ophthalmologie. Bd. III. 1. t 6

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Bereiche der Accommodation f'dr die N~he alle Diver- genz zu vermeiden, demnach unter gew(ihnlichen Ver- h~lmissen jenseits 6 " - - 7 'i. Freilich wird bet Kurz- sichtigen, wo dicse Enffcrnung auf 5", 4", 3" lmrab- zusetzen ist, die Stcllung Fdr die Enffernung unvoll- kommener ausfallen u n d ein gewisser sic'htbarcr Grad yon Schielen ii/2 ''', 2'" und mchr zurfickblciben. Es i~t dieser Uebelstand abet immer weniger erheblich, als wean in der iiblichen Accommodationswcite Deviation nach aussen stattfindet. Auch lehrt die Erfahrung, dass bet diesen Grunds';itzen die Resultate f'dr das Schverm~igen des schielenden Auges durchschnittlich die besten~verden.

Veffolgen wit nun die VerMihnisse der Einrichtung. Das Bereich der Einrichtnng in der Mittellinie liege nach einseitiger Operation z. B. auf dem linken Auge ,yon 6" bis auf 8"; diesseits 6" Divergenz, jenseits 8" Con- vergenz. Wird das Objekt nach rechts bewegt, so tritt wegen Insufficienz des linken Rectus intcrnus mehi und mehr Neigung zur Divergenz auf, und es enffer~it sich, je mehr die Visirlinien nach rechts hiniiberfallen, desto mehr auch die Grenze der Divergenz und somit das Bereich des Einfachschens yore Auge, wobei entspre- chend den grlisserenAbst~inden die beiden Grenzpunkte der Divergenz und Convergcnz yon einander welchen. Umgekehrt vcrh~ilt cs sich, wenn das Obiekt nach links heriiberbewegt wied. Es riicken die gedachten Grenzen dem Auge n~iher. So bildet alas Bereich des EinfiLch- sehens eine schr'~g durch das Gesichtsfeld laufende Zone~ wclche nach links zu sieh den Augen nfihert, nach rechts zu sich yon dcnselben enffernt. In der Figur I sind die Grenzen als grade Linien repr~isentirt. Ia Wirklichkeit bildcn sic Kurven yon sehr verschicde- net Form; da die letztere jedoch vielcn Zufiilligkeiten unterworfen ist, und es bier nur auf eine Versinnlichung der Verh~iltnisse zu praktischen Zwecken ankommt, so

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habe ich reich mit dieser Darstetlung begnSg~, Der gegenseiflge Abstand tier Doppelbilder, sowohl der gleichnamigen als der gckreuzten, nimmt ia Richtung der beiden Pfcile, d. h. senkrecht zu den Grenzen des

F~g. I .

L mad, U. tlle beidmx Augen~ II. das dutch Te~mtcrnie des Rectus intermts operirto A u ~ e . - 1~I. Mlttv|Li~ie in der hor~vnl~le~ Vi~ipeh~1~e.- A. ~1~9 Be~'elch ~Ie~ ~b~f~e.h- ael~ens, duvch die ~'enzlinle B[3. voI~ de*~ ]~et*eleh der gleiclmami~en Dt~pp~]bilder D., daE'ch die Grenzltniu 12~. won dem Bercich det" gek~,~tlzte. D.llI3elbihler E. gu-

s~laieden. Die Pl~ile: dleEd.chttmgen, nttch den t s die Abstli.ttde tier Doppelbilder wach~en.

Einfachsehens zu. Je besser die Muskelstructur uad jo hochgradiger die tterrschaft des Sehakts ist, desto mehr

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erweitert sich das Bereich des Einfaehsehens, und dies geschieht ebenfalls in Riehtung der beiden Pfeile.

Es sei ein Patient an beidea Augen dureh Tenoto- mie des Rectus internus operirt, so werden die Verh/ilt-

F ~ . Z

I. end II. die be[den Augen~ beide c]Ul'ch Abl5sungdes Rectus internes operii~. - - IlL 51ittellinie in der horizentalen V sire[ ene.--A. Be .eich des Eioihehsehens: dnreh die Grenzlitde BB. veto Bereieh der gleicheamigen Doppelbilder D., durch die Oren~- l,lnie CC. veto Bereich det, gekreuzten Doppelbilder E. gescbieden. Die PJeile: die

Richtungen~ naeh denen die Abst~.nde des Doppelbildes wachsen.

aisse in derMittellinie sich ganz analog verhalten. Wit setzen aueh bier den Fall, dass das Gebiet der Einrich- tung zwischvn 6"--8" l~egt; jeaseits 8" Convergenz, diesseits 6" Divergenz. Es tretea jetzt nach beiden

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Seitea bin InsuffiCienzerscheinungen der riickgelagerten Recti interni ein, und demgem~iss wird nach beiden Sei- ten h]n die Divergenz sich ausbreiten~ d. h. das Bereich des Einfachsehens sich yon den Augen enffernen. In der Figur 2 sind die VerMiltnisse vollkommen sym- metrisch gedacht. Ist der eine Muskel mehr insuf- ficient als der andere, so wird diese Symmetrie auf- hSren und das Bereich des Eini'achsehens sich in ungleichm~issiger Weise nach beiden Seiten yon den Augen entfernen. Die Einstellung nach Tenotomie des Rectus externus lasse ich hier unberfihrt, da ich sp~iter bei der operativen Heilung der Muskelinsufficienzen dar- auf zur(iekkommen werde.

Die Thatsaehe, dass eine vollkommene Heilung nut in der Minderzahl der F~ille yon Schielen erreicht wer- den kann, ist zu falschen Folgerungen benutzt worden. Unbewanderte haben daraus fiberhaupt ein Argument gegen die Schietoperation gemach% und angehende Ghir- urgen sind ~ingstlich geworden, dutch ihre Operation nicht das zu erlangen, was die Patienten sich yon der- selben versprechen. Ohne Zweifel gehSrt die Schiel- operation zu denjenigen Operationen, deren Studium am meisten ausgebildet und deren Erfo]g am sichersten zu berechnen ist. Wie es nun in der Regel zu gehen pflegt, dass wit mit vorriickenden Kenntaissen auch un- sere Postulate immer hSher stellen~ die Heilresultate einer immer strengeren Kritik unterwerfen, so ist es auch bier ergangen. Wollen wit z. B. denselben Maass- stab der Beurtheilung an die Staaroperation anlegen und uns fragen, ob je die Staaroperation zu einer voll- kommenen Heilung, d. h. zu einer Herstellung der phy- siologischen Verh~iltnisse Ffihrt, so mfissen wit dies noch entschiedener verneinen, als bei der Schieloperation, denn die Staaroperation hinterl~isst ja ein hyperpres-

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byopisrhes Auge ohne Accommodation u. s .w. Wir beseitigen dm'ch die Schielopvration das Schielen so gut, wie ~dr durch eino Staaroperation die Cataract be- seitigen, und wenn wir die Uebolstilnde nach Cataract- operation mit den Muskelinsufficienzen nach der Schiel- operation abwiigen, so mlisscn wir uns unendlich zu Gunsten der Sthivlopcration aussprechen, dcnn wenn Jcmand in der Niihe cinch vollkommvn richtigon Blick hat und in der Entfernung um a/~m~t'a eonvergirend schi,'lL so ist j ed e Ents t elh] ng bvseitigt und im Sinne des Publikums eine vollst~ndige tteilung herbeigefi~hrt. Gewiss n."ih'ert slch das Resultat, selbst i'fir die ung~}n- stigsten F';illc, dvrNorm mehr, als die Resultate, welche wir durch die Mel!rzahl der sonst]gen plastischen Ope- rationen erhalten, and in so fern kann fiber die Berech- tigung und die Dignittit der Schieloperation heut zu Tage kein Zweit'cl mehr erhoben werden. Den Einfluss dcr Schielopcration auf das SehvermSgen werden wit erst in einer spiiteren Abhandlung, nachdem wir die anatomischen Vertindcrungen beim Schielen gehSrig gewfirdi~, einer gcnaueren Analyse tmterwert'en.

Wir haben schliesslich noch zwei Uebclst~inde zu besprechen, welche hliufig gegen die Schieloperationen hervorgehoben wurden, n~mlich das Einsinken der Thrii, nenkarunkel und das gdissere Hervorstehen des ope- rirten Auges.

Das erstere haben wir schon 5fter erwlihnt, such gesehen, dass es bei Riicklagerung yon geringer Aus- dchnung und bei vorsichtigcr Verrichtung der Operation nicht in die Wagschaale fiillt, wohl aber, wean der Muskel behufs dcr Correction sehr bedeutend zuriick- gelagert werden musste. Bedingt das Einsinken der Thr.~iaenkarunkel irgend eine namhaftere Entstellung, so kann man sich sptiter durch eine klcine Nachopera-

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tion dagegen helfen. Ich fasse mit einer lqakenpineette die Coniunctiva oinige Linien vor der Karunkcl, mache eineu Schnitt in derselben Richtung und etwas gr0sser als zur Schieloperation, gehe in das Bindegewebe ein und 10se es vorn yon der Sclera, hinten yon der Aussen- fl~che des riickgelagerten Muskels, wobei natfirlich Vor- sicht n0thig ist, damit der Muskel selbst nicht verletzt werde; hernaeh pr~parire ieh die gegen•berstehende, tier Cornea benachbarte Conjunetiva yon der Sehnitt- wunde an gegen den oberen-inneren Hornhautrand (durch L0sung des Bindegewebes mittelst der Cooper'- schen Scheere) etwas los, und vereinige durch eine Knopfimht, wobei ich bedacht bin, "ade bei der Sutur nach der Sehieloperation, nur allenfalls etwas exten- siver, die Karunkel nach vorn und oben anzuziehen. Die Verl0thung gesehieht hier, wie bei allen iihnliehen Vorlagerungen, nicht dureh eine genaue Versehmel- zung der Conjunetivalrhnder, sondern dureh eine Vereinigung des Zellgewebes mit der Sclera naeh der Fliiehe. Es ist mir auf diese Weise gelungen, die yon der Vertiefung der Karunkel herriihrende Entstel- lung ohne wesentliche, ree l l e Veranderungen in der Stellung des Bulbus zu heben. Es versteht sieh yon selbst, dass die Wirkung der Sutur hier eine ganz an- dere ist, als unmittelbar naeh der Sehieloperation, wo durch dieselbe gleichzeitig d'er versehiebbarc Muskel indirect naeh vorn gezogen wird.

Was das stiirkere Hervortreten des Bulbus naeh der Schieloperation anbetrifft, so beruht dasselbe weniger auf Verrfickung des Drehpunktes, als auf weiterem Klaffen der Lidspalte. Allerdings war die ~hero Wcise der Schieloperation, nach welcher das Zellgewebe weit er6ffnet wurde und umfangreiche Muskelinsufficienzen entstanden, besonders geeigne4 den fraglichen Uebelstand in st~render Weise hervor-

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zurufen, u n d e s beruhte das zu starke vertikale Kla~'en dann zum grSssten Theil auf do, r Entspannung des Bindegewebes. Hierzu konnte freilich da, we auff'~il- l ige Unbeweglichkeit nach einer Richtung bin eintrat, noch eiae Verrfickung des Drehpunktes in ilhnlicher Weise wie nach Muskelparalysen sich hinzugesellen. Wenn aber auch alle Fehlgriffe auf das SorgFliltigste vermieden werden, so wird doch nicht selten und na- mentlich nach hochgradigem, veraltetem Schielen ein gewisser scheinbarer Gr6ssenunterschied zwischen bei- den Augen zurfickhleiben. Ich habe ]ange nach dessen Ursachen gesur und reich endlieh fiherzeugt, dass die- set Gr~ssenuntersehied nicht Produkt der Operation, sondern bereits priiexistirend ist, und durch eine vor, sichtig vollFdhrte Operation in keiner Weise gesteigert, zuweilen dagegen um Einiges verringert wird. Ist das eine Auge sehr stark abgelenkt, steht z. B. die Horn- haut in dem innern Winkel, so verhindert uns die asym- metrisehe Stellung, einen genauen Vergleich der Lid- spalten anzustellen. Messen wir vet der Operation die vertikalen H6hen beiderseits, so werden wir nicht selten Unterschiede finden, und nur in diesen F~illen stellen sieh dieselben bei vorsichtig verfibter Operation sp~iter heraus. Wodurch der Unterschied in der Lidspalte beim Schielen bedinfft wird, sell zur Zeit er6rtert wer- den. Hier nut so viel, dass jedenfalls die Ablenkung selbst einen Hauptfactor bildet. Die Hornhaut strebt n~imlich, besonders bei einer bestimmten Stellung nahe dem Augenwinkel, ihrer grSsseren Convexittit wegen wie ein Keil die Lider auseinander zu treiben. - - E s han- delt sich nun darum, wie dem Uebelstande eines sehein- baren Gr6ssenunterschiedes zu steuern sei. Wit verrin- gern die vertikale H~he der Lidspalte am sichersten und einfachsten dadurch i dass wir die L&inge der Lidspalte nach aussen verkfirzen. Man kann sich fiberzeugen,

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dass, so wie man die beiden Augenlider gegen den ~iusserea Augenwinkel aneinanderdrfickt, die Lidspahe sofort enger geschlitzt erscheiat, und wenn man ein widernatfirlich klaffendes Auge vor sich hat, so kann man demselben auf diese Weise eine natfirliche Gr~sse geben. Man probire dutch Aneinanderhalten der Lider, wieviel man ungeF~ihr zu vereinigen hat, um den gewfinschten Effekt zu erreichen, etwa so, wie man vor der Ptosisoperation die Gr~sse des wegzunehmen- den Hautstficks durch Anlegung einer klcineu Pincette ermittelt. Ich nehme die haartragende Substanz der beiden Lider nur unget~ihr ia der Ausdehnung yon t a' bis it/a "' yore iiussern Winkel ab hinweg, was in tier gew~Jhnlichen Weise aut" einer untergelegten HolzpIatte geschieht. Den intermarginalen Theil selbst mache ich noch etwas welter (in Summa l 'A 'a - -2% ''') wund, nehme abet hier sowohl als irn iiussern Winkel mSglichst wenig Substanz hinweg, und vereinige alsdann durch eine ein- zige Karlsbader Nadel. Will man des Erfolgs sicher sein, so muss man beide Augen w~ihrend zweier Tage voll- kommen schliessen, weil dutch die Plinkbewegungen die prima intentio leicht vereitelt wird. In letzterem Falle pflegt zwar noch ein Theil der gewfinschten Wir- kung dutch allm~hlige Verwachsung beider Lider yore Winkel aus einzutreten, aber es geschieht dies in unbe- stimmtem Umfang und mit Hinterlassung einer kleinen Wiakelnarbe. Es mfissen selbst, nachdem die Nadel entfernt, die Augen noch einige Tage recht ruhig gehalten und alle Beunruhigungen der Wunde bei der etwaigen Prfihmg des Erfolgs vermieden werden. Dieser muss in der ersten Zeit sich entschieden excessiv darstellen, so dass das operirte Auge ein ganz Theil kleiner erscheint, als das andere. Es gleicht sich bei einer richtigen Abmessung dieser Un- terschied im Laufe eines Monats aus. Bei Iadividuen,

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weIrhe sehr eng geschlitzte Augen haben, f~llt oft das starker klaffende operirte AtJge lediglich im Vergleivh mit dem andern Auge auf, w~hrelld es an u~Jd Fdr sieh der Norm und den Sch~nheitsprinzipien mehr als jenes entspricht. Es haben reich del'lei Iadividuea ge- beten, das opeHrte Atlge nicht kleiner zu machen, da sie dieses ,Ffir richtig" hielten. Ich stellte ia einigen dieser F~lle die Symmetrie dadureh her~ dass ich ge- fade in umgekehrter Weise die Lidspalte des gesunden Auges nach aussen verl~ngerte, und so ein st~irkeres vertikales Klaffen herbeiffihrte. Es geschah dies dureh die gewShnliche Operalion tier Blepharophimosis. Irh hoffe, dass man bei der Unbedeutendheit des Eingriffs mir wegea dieses Vert'ahrens nicht in '~hnlicher Weise Vorwfirt'e machen wird, wie jenem Chirurgen, welcher, wenn nach Fractura femoris eine Verkfirzung zurfick- geblieben war, alas gesunde Bein der Symmetrie wegen zerbraeh. Endlich habe ich bei bedeutendem Gr~ssen- unterschiede beide Operationen combioirt, also die eine Lldspahe vergrSssert, die andere verkleinert. Ich ziehe dies einer umfangreichen Tarsorhaphie, fiber die em- pfohlenen Grenzen hinaus, deshalb vor, weil naeh eiaer solchen das untere re]ativ schlaffere Lid schr~ig gegen das obere hinaufgezogen erscheint, was namentlich beim Blick naeh oben eine gewisse Entstellung be- grfindet.

Obgleich das Hervorn~ihen der Thr~inenkarunkel ohne wesentlichen, und die Tarsoraphie ohne irgend einen Einfluss auf die Stellung des Auges ist~ so hat beides doch einen gewissen Einfluss auf die kosmetische Abschiltzung, und ist hierauf die entsprechende Rfick- sicht zu nehmen. Eine kaum in die Augen fallende Convergenz kann dutch Hervorn~ihen der Thr~nenkarun- kel stfirend hervortreten, w~hrend sie dutch Tarsoraphie voHends zu verschwinden seheiat; umgekehrt wird eiae

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bestehende Divergenz dutch Tarsoraphie vermehrt, dureh Vorn~then der Karunkel vermindert werdcn (s. oben).

VI.

Es giebt F~ille yon so geringen Ablenkungen, dass dieselben wohl der Aufmerksamkeit der Kranken und bei einer fltiehtigen Untersuehung auch der ~rztlichen AufmerksmJ.keit entgehen wi~rden, w~iren nicht Doppel- bihler zug~,gen. Diess letzteren sind dana aueh ent- sprechend der geringen Ablenkung nut wenig oder m~ssig yon einander entfernt. Wit werden in der Mehrzahl solcher F~lle den Grund des Uebels in irgend einer MuskeIparess nachweisen k~nnen. Alsdann ent- fernen sich, so wie dis Contraction des afficirten Mus- kels in Anspruch genommen wird, die Doppelbilder mehr und mehr yon einander, und es wird aueh dis Ablenkung einigermaassen auff'~illig. Derartige Diplo- pieen seien vorlBufig yon unseren Betrachtungen aus- geschlossen, da wit noch sp~iter die operativen Eingriffe bei :Muskelparalysen im Zus~lmmenhange zu er~rtern gedcnken. Eine gewisse Quote der oben angedeuteten F~ille zeigt abet nicht die, fiir die Parese eines Augea- muskels charakteristischen Symptome; denn wean aueh der Abstand der Bilder selten dutch das ganze Gesichts- reid genau derselbe ist, sondern nach einzelnen Richtungen etwas zu-, nach andern etwas abnimmt, so habea doch diese Richtungen keins direkte Be- ziehung zu den Drehungsaxen des einen oder andern Muskels. Viele dieser Ffille n~ihern sicl'/ dem con- comitireaden Schielen mit sehr kleiner Ablenkung (besonders in diagonaler Richtung), und k~nnen wit zum Theil aus der Diplopie selbst den Grund ent- nehmen, weshalb die typischea Charaktere des conco- mitirenden Schielens verwischt sind. Die Doppelbilder

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haben einen stSrenden Einfluss, welcher nach bestimm- ten Richtungen lain mehr in die Waagschaale f/tilt, als nach andern. Sind die Doppelbilder nicht zu vereini- gen, so strebt der Sehakt, dieselben zu entfernen, und wird dieses Streben in den Richtungen am meisten her- vortreten, in welchen die Doppelbilder am stSrendsten sind. Letzteres finder z. B. oft im hSchsten Grade bei der Accommodation in die N~he statt, und es wird dann in den Richtungen, welche wit besonders fdr die Ac- commodation in die N~ihe benutzen, also in der untern HB1Re des Gesichtsfeldes, die Tendenz (zur Vereinigung oder) zur Entfernung der Doppelbilder am meisten her- vortreten. Zu diesem Zwecke werden willkfirliche Mus- kelcontractionen in Anspruch genommen, welche all- m~ihlig habkuell werden, und so k~}nnen Anomalieen tier ursprfingliehen Ablenkung entstehen. Es ist ferner zu erw~gen, dass, wenn einmal das Einfachsehen durch das ganze Gesichtsfeld aufgehoben ist, die Augenbe- wegungen den natfirlichen Muskelenergieen, ~r in der Norm durch den Sehact modulirt werden~ und welche bei versehiedenen Individuen sicher]ich verschie- den sind~ ungehindert folgen.

Ich gebe fibrigens zu, dass ein gewisser Theil die- set F~ille yon Diplopia biocularis dunkel bleibt; vor allen diejenigen, in welchen die Bilder hinter einander stehen, w~hrend die Seitenabst~inde, HShenabst~inde, Schiefheiten offenbar untergeordnet sind, fdr bcstimmte Richtungen ganz fehlen, und in welehen doch, des Hintereinanderstehens wegen, nirgends eine Versehmel- zung eingeleitet werden kann, selbst mit genauer Be- rficksichtigung etwaiger Accommodationsunterschiede. Die Symptome solcher F~lle variiren sehr je nach der Tendenz zum Einfachsehen. Ist letztere lebhaft entwickelt, so k~nnen hintereinander liegende Bildcr in ~ihnlicher Weise zu einem Bilde yon mittlerer

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Entfernuag verschmolzca werden, wie Bilder yon ver- schiedener Gr6sse. Ich verweise .hierbei auf das bei Affectionen der schiefen Augenmuskeln fiber das Hin- tereiaandcrliegen der Doppelbilder Gesagte. Wit mils- sen uns abet weiterer nosologischer Betrachtungen enthalten, und wollten auch bier nut so viel erwiihnen, als zur Verst~ndigung fiber die therapeutischen Ein- g'rifle unbedingt nothwendig ist. Fassea wit die in Rcde stehenden F~ille als F'~lle yon b i o c u l a r e r D i p l o p i e zusammcn, w e l c h e e ine g e r i n g e Ab- l e n k u n g und die v e r w i s c h t e n C h a r a k t e r e con- c o m i t i r e n d e n S c h i c l o n s z e i g e n , j e d e n f a l l s a b e t k e i a e d e u t l i c h e n S~,mptome e i n e r o b w a l - t e n d e n M u s k e l p a r e s e d a r b i e t e n .

Die n~ichste Frage, die sich aufdr~ngt, ist die, warum der Schact, der doch sonst nahe aneinander stehende Doppelbildcr dutch willkShrliche Ver~inderung der Muskelspannungen zusammenbringt, nicht auch bci diesen Kranken in ~ihnlichcr Weise wirkt. Es kann dies entwcder darin begriindet scin, dass der Drang nach Einfachschetl crloschen resp. vcrringert ist, oder darin~ dass in den Muskcln uniiberwindlichc t/indernisse obwalten. Wit mSssen uns in jedcm cinzelnen Fall hicri]ber dadurch aufklScea, dass wit die Abst~inde dcr Doppelbildcr dutch prismatische Gl~iser mSglichst aus- gleichen und nun zuschcn, ob cinc Verschmclzung zu Standc kommt. Zuwcilen geschieht dies, trotz der sorg- fiiltigsten Wahl der Prismen, nicht; es kann nirgends einfach gesehcu werdcn, selbst wenn etwa nicht dutch Schiefheit oder dutch Itintcrcinanderstehcn dcr Bilder die Wirkung der Prismen unzureichend ist; immer weicht das Bild nach der cinen oder andern Seite her- ~bcr, ~eakt resp. erhebt sich, und doch existirt kein Accommodationsunterschied, der die Verschmelzung erschwert, oder wenn ein solcher zugegen ist, so nfitzt

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dessen Ausgleichung dutch Gl~ser nichts. Kurz wit haben es dann mit .ienem l=h~inomen zu thun, welches ieh frfiher (A. f. O. Bd. I, t. S. 1|7) als Antipathie gegen das EinFachsehen bcschrieben habe. Es ist eigenthfimlich, und ich muss dies als Zusatz zu meiaen frfiheren Beobaehtungen hier nachtragen, dass diese Thatsache sich besonders da herausstellt, wo der Grund des ganzen Leidens in den Centralorganen zu suchen ist, wo z. B. die Ablenkung selbst sich aus multiplen centralen Muske]paralysen entwickelt hat. Es l~sst sich die Unf'~higkeit, die beiden Netzhauteindrficke zu verschmelzen, fibi'igens recht gut als ein Ausdruck ver- ~nderter Leitung in dem centralen Theil des Sehappa- rats denken. In anderen F~illen s{ellt es sieh heraus, dass zwar in einer gewissen Stellung, dann, wenn wit mit der gr~ssten Genauigkeit die eorrigirenden Prismen w'3hlen, Versehmelzung der Doppelbilder eintritt, dass abet, so wie wit das Object im allergeriagsten yon dieser Stellung enffernen, oder mit Beibehahung der- selben die Prismen um % o | o ~ndern, die Doppel- bilder wieder sofort auseinander weichen. Offenbar ist hier der Drang nach EinFachsehen verringcrt, und die Herrsehaft, die yon diesem Drange fiber die Augen- muskeln ausgeht, auf e in Minimum reducirt. Diese letzte Art und ~,Veise des Symptoms'finder sehr h~iufig bei veraltetem Doppelsehen start. Die Versehmelzung der beiden Netzhauteindrfieke bedarF, wie viele an- dere physiologische Th~itigkeiten, der Uebung, und wean diese lange Zcit hindureh suspendirt wird, so verliert der Sehact die tterrscha~, welche er in der Norm behufs des Einfachsehens fiber die Augenmuskeln ausSbt. Es ergeht hieraus der the- rapeutische Schluss, dass man unter obwaltenden Umst~inden nicht etwa auf die Heilung des Doppel- sehens zu verzichten habe, sondern dass durch Ver-

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einigung der Bilder nach e iner Riehtung hin, und dana dutch 'Uebungen im Einfachsehen die verloren gegan- gene Function wieder einer St~rkung und Ausbreitung fiihig sei. Es liogt mithin zwisehen diesen und den erstgenanntea F~illen eine grosse KluR, da bei den ersteren das Doppelsehen dureh Regulirung der Stel- lung nieht zu heilen, sondern nut der st6rende Einfluss der Doppelbilder, dutch Bestimmung einer riehtigen gegenseitigen Lage fi~r dieselben, zu mindern ist.

Es k5nncn ferner, wie wit oben anget'dhrt, in den fraglichen F~illen die Ursachen, welehe die Verschmel- zung ersehweren, lcdiglich in den Muskeln licgen, w'~h- rend der Drang naeh Einfachsehen normal erhahen ist. WiJre eine Paralyse in dem einen oder andern Augen- muskel zugegen, so w'~re auch damit das Ph~nomen erkl~rt. Wit gewahren ja bei Paralysen Doppelbilder yon den g e r i n g s t e n Abst~inden, sowie einmal die Postulate der Stellung das SpannungsvermSgen des ameirten Muskels iibersehreiten. Mit der Annahme einer Paralyse soll abet, unserer Voraussetzung gcm~ss, die sonstige Symptomatologie nieht fibereinstimmen. GewShnlich finder sich die Ursache in einer H6hen- dil%renz oder in einer Schiefheit beidcr Bilder. Es ist aus den Vcrsuehen mit prismatischen Gl~isern hekannt, dass wit eine sehe bedeutende Herrsehaft iiber den Rectus interI~us, eine geringere, jedoch noch immer bedeutende, i~ber den Rectus externus, aber eine sehr un- bedeutende ~ber den Rectus superior und inferior haben. W~ihrend wit schr starke Prismen durch eonvergirendes Schielen, noch einigermaassen ansehnliehe Prismen dutch divergirendes Sehielen iiberwinden, kOnnea wir nut sehr schwache Prismen dutch Schielen naeh oben oder nach unten beherrsehen. Vollends sehwierig ist es, sehiefe Doppelbilder, wie wit sie z. B. bei Drehung eines Prisma oder bei geeignetea Druckversuehen

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erhalten, dutch willkfihrliche Neigung der Meridiane ineinander zu bringen.") Demnach erkl~irt es sich auch, class, wean auf Grund yon Muskelver~inderungen Htihen- abst~inde oder Schiefheiten stattfinden, alsdann trotz der geringen Deviation eine Verschmelzuag unmGglich ist. Die Seitenabst~nde wfirden haufig durch willkfihrliehe Muskelanspannung corrigirt werden, wenn dadurch Ein- fachsehen hervorzurufen w~ire. Gleichen wit bei der- artigen Kranken lediglich die HGhenabst~nde durch die geeigneten Prismen aus, so werdezl die Bilder ver- schmolzen, obwohl es vorher nicht m~glich war, die- selben seitlich aneinander zu bringen, Sehr natfirlich also, dass, wenn auf operativem Wege der Hfhen-

~) Vollkommen ohnm~.chtig sind wit aber aueh in dieser Be. ziehung nicht, obwohl es sehr sehwer ist, ffir scbiefe Bilder die wirkliche Verschmeizung yon einem Uebersehea der Diplopie zu trennen. Man mache folgenden Versuch: Vet das rechte Auge halte man ein Prisma mit der Basis nach unten und fl~tire eine dutch den linken Theil des obern Gesichtsfeldes laufende horizon- tale Linie, z. B. einen gemalten Strich an der Wand. Es wird alsdann alas Doppelbiid dieses Striehes, welches durch das Prisma entsteht, nicht blos.~ hfher stehen, sondern auch schr~tg yon ohen und links nach unton und recht's dureh das 6osiehtsfeld verlaufen, und demnach mit dem Bilde des linken Auges nach rechts hin convergiren. Man drficke alsdann den Finger unterhalb des linken BuIbus gcgen den Conjunctivalsaek an, so wird das Bild des linken Auges sich atlmahlig heben, abet bei riehtiger Anstellung des Ver- suchs immer genau horizontal bleiben und daher seinen frfihern Winkel mit dem Bilde des rechten Anges beibehaltem Wenn nun die heiden Biider in eine HGhenregion kommen, so gelingt es ffir einen gewissen Grad der Schiefheit mit Anstrengung einfach zu sehen. Man kann, da das durch das Prisma erzeugte Bild nach links an Schiefheit zunimmt, successiv verschledenn Theile dessel- ben zum Versueh benutzen, und so den Grad yon Schiefheit be- stimmen, weleher im Dienste des Einfachsehens ausgegliehen werden kann. Jedenfalls ist derselbe gering, wenn es sich um wahres und scharfes Einfachsehen handelt. Drfickt man linkerseits nnch welter, so dass sich das Bild dieses Auges fiber das rechte erhebt, so tritt die Sehiefheit winder in entsprechender Weise hereof. Es convergiren nun beide Bilder nach links.

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unterschied ausgeglichen ist, es alsdann zur weiteren Ausgleichung keiner zweiten Operation bedars Die Schiefheiten pflegen nur dann, wenn sic sehr bedeutend oder wenn sie mit anderweitigen Abst~nden gepaart sind, auf die Dauer einen stSrenden Einfluss zu iiben. Sehr geringe Schiefheiten gleichen sich bei sonstiger Gleichstellung der Bilder wirklich aus, bei mittleren Graden helfen sich die Kranken dadurch, class sie die Wahrnehmong besonders aug die Kreuzpunkte der bei- den Bilder coneentriren und noch mehr, als es in der Norm geschieht, die cinzelnen Theile des Objects nach einander sehen, also die excentrischen Eindriicke ver- nachl~ssigen. Es liegt immer ein namhafter Vortheil darin, wenn im Centrl~m des Gesichtsf'eldes Einfach- sehen existirt, und dies l~isst sich dutch Ausgleichung der HShen- und Seitenabst~inde stets erreichen.

Wir grhea nuu zu der Frage fiber, oh die M u s k e l - r fi c k I a g c r u a g a u f so geringe Ablenkungen anwendbar sei. Handelt es sich urn die Wiederherstellung des Ein- fachsehen.~ dtlrch Ver~nderung der Stclhmg, so muss vor allen Dingen die F~ihigkeit des Einfachsehens vor- handen scin, und es wiirde deshalb die erste Kategorie yon F~illen, die wir besprachen, n~imlich die, in welchen die fragliche F/ihigkeit verloren ging, sich ihrer Be- griffsbestimmung nach yon jenem therapeutischen Po- stulate ,nusschliessen, und doch hat auch in diesen Ffillen die Cbirurgie wesentliche Dienste zu leisten. Es ist bekannt, dass die StSrung der Doppelbilder flit den Sehact nach deren Stellung ausserordentlich verschieden ausf~llt. Unter allen Doppelbildern yon geringen gegen- seitigen Abst~inden siad gleichnamige ohne HShen- unterschied und wo mliglich ohne Schies diejenigen, welche die Kraaken am wenigsten bel';istigen. Es ist demnach aagezeigt, anderweitige Doppelhilder in solche

Archly iflr Ophthalmologie. Bd. Ill. i. 1.7

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zu verwandeln. Wir erreichen hicrdurch nicht allein Vortheile flir die Function, sondera beugen auch nicht selten hiiheren Graden yon Ablenkung vet, sofern n/imlich stSrende Doppelbildcr auch lebhaftcre Impulse (zur VergrSsserung ihres gogenseitigen Abstandes) auf die Augenmuskeln ausSben. Setzcn wit z. B. den Fall einer Diplopie, welche sich dutch gekreuzte und schr/ig iibereinander stehende Doppelbilder bekundet. Das linke Auge sei leicht nach aussen und oben ab- gelenkt; dem entsprechend liegt das Doppelbild dieses Auges nach rechts und unten vom Bilde des rcchten Auges. Der seitliche Abstarld, sowie der HShenabstand beider Bilder bctrage auf 3' Entferaung 4", was einer noch sichtbaren aber schon geringcn Ablenkung ent- spricht. Corrigirt man den H6henabstand dutch ein Prisma yon 80 mit der Basis nach untcn, welches man vor das linke Auge hiilt, so wcrdcn die gekreuzten Bilder gerade nebeneinander stehen. Legt man nun ebenfalls ein Prisma yon 80 mit dcr Basis nach ianen vor das rechte Auge, oder allenfalls auch vor das bereits mit einem Prisma versehene linke Augc, so fallen die Bilder ungef~hr zusammen, und doch entsteht keia Einfachsehen. Es wird dureh eine beliebige kleine Verschiebung die viillige Congruenz verhindert sein; dies ganz ebenso, wenn man andere, benachbarte Pris- men w~ihh. Derselbe Effect, die Bilder ungef/ihr an denselben Oft zu bringen, kann auch dutch ein ein- ziges mit der Basis nach unten und innca vor das linke A tJge gehaltene Prisma yon griJsserer St~/rke, ungef'hhr yon t2 ~ erreicht werden. Lasscn wir nun den Kranken mit eincm solchen Prisma lesen, so ergiebt sich in der Regel, dass gerade diese ungef~ihre Deckung der Doppelbilder ihm im hSchsten Grade ltistig ist; wenn wir dagegen noch st/irker auf den Seitenabstand der Bilder wirken, so dass gleichnamige Doppelbilder yon

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3'1--4 ̀ ` ]~ntfernung auf 3' Abstand entstehen~ so ist tier Kranke uaendlich weniger beI~stigt. - - Um dies auf operativem Wege zu erreichen, gleichen wit zun~chst den H0henabstand dutch elnen Eingriff in den Rectus superior aus. Der Muskel darf abet nicht total abge- 18st werden, well dos Atlg'e vie[ zu sehr nach unten weichen wfirde, sondern es ~4rd vollkommen genfigen, wenn eine partielle Abl~sung, so wie wit sie oben beschrieben haben, ausgef'fihrt wird.

Ueberhaupt kommen ffir die fraglichen F~lie yon geriagen Ablenkungen die p a r t i e I I e n AblSsungen zu ihrer Hauptbedeu- tung. Wir kilnnen auf diesemWege Effecte yon beliebiger Gr~sse, ohne alle Furcht einer excessiven Wirkung, erzielen, nur mils- sen wit nach der Operation den Stand der Doppeihilder reeht genau prfifen, well schUesslich jede auf so complicirte Verha[t- nisse begriindeta Berechnung ihre Fehlerquel[en hat und der Correction bedars Filr partiel[e Tenotomieen des Rectus supe- rior ~nd inferior kann man durchschnitflich annehmen, dass der unmittelbare Effect, wenn derselbe ~ Stunde oder l Stunde nach der Operation in der horizontalen Visirebene gepriit2 wird, yon dem Endcffect nicht vie[ abweicht. Es pflegt sich derselbe zwar dann noch im Laufe der ersten Stunden oder des ersten halben Tages um einiges zu steigern, dann abet sich wieder auf das prim[ire Quantum zu reduciren. Zeigt sich kurz each der Operation, bet Priifung der Doppe[- bilder, dass die gewfinschte Ausgleichuag noeh nieht genilgend vnrhanden ist, so vergrSssern wir den Effect entweder do- dutch, dass wir wKhrend dee ersten Tages stark nach der Seite des Antagonisten sehen lassen, oder, wenn noch eine bedeutende Vergr6sserung e~thig ist, dadurch, dass wit nach- tr~iglieh ebm neue Pattie der Anheftung durchschneiden. Ist der Effect zu extensiv, so wird er dureh eine mehr oder went- get anspannende Sutur verringert.

Haben wit auf diese Weise den HShenunterschied ausgeglichen, so schreiten wit zum zweiten Theil der Aufgabe, n~imlich die gekreuztea Doppelbilder in gleich- namige yon m~issigem Abstand umzuwandeln. Es wfirde in unserem Falle vollkommen zul~issig seth, eine totaIe Tenotomie des Rectus externus mit Beschrilnkung

t7"

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des Effects durch eine Sutur auszufdhrea. Man wiirde auf diese Weise eine Convergenz yon ungef'~ihr I/j,,, erhalten, welche allenfalls das niithige Desiderat um einiges iiberschreitet, aber noch in keiner Weise kos- metisch stSrend wird. W~re der Seitenabstand der gekreuzten Bilder noch geringer, so w{irde man eben- falls nut eiae partielle Tenotomie des Rectus exter,us maehen.

Ob man die obere oder untere Sehnenh~lfle des iaternus resp. externus durchschneidet, halte ich f~r ziemlich gleichgi~ltig. Es hat dies nicht den yon Einigen vermuthetea Einfluss auf den H~honstand der Hornhaut. Wir baben, um uas hlervon zu ver- sichern, bei vielen partiellen Tenotomleen vergteichende Beobach- tungeu angestellt. Nut wenn das Bindegewcbe in umfangrelcher Wetse, etwa ~ber die Grenzea des Muskeis hinaus, nach einer Seite getronnt wird, zeigt sich ein solcher Ei,~fluss. Derselbe h~ngt offenbar davon ab, dass der Muskel dann wegea ungleichm~i.~si. ger Verschiebbarkeit der Tenon'schen KapseI nicht gerade nach hinten zuriickwoicht. Ist z. B. bei einer AblSsung des Rectus internus dos Bindegewebe naeh oben umfangreich gotrennt, so wird der Muskel nach dieser Seite hin bei seiner Zuriickziehung woniger Widerstand flnden, und demnach ~ach hinten und etwas nach union z,r~ckweichen. Es wird dann seine Drehungsaxe ouch eine yon der senkrechten sich nach innen abneigende Lage annehmen, und der Muskel wird demgem~.ss eino Ne, ben- richttmg nech tmten bekommen. Solche Trennungen des Binde- gewebes bei partiellen Tenotomieen sind im Aligemeinen zu widerrathen. Win man Nebenrichtungen filr die Correction haben, so sind diese weir sicherer zu bsrechnen, wenn man noch in die Bahn eines andern zukSmmlichen Muskets durch parflelle Tenotomie eingreift. Ausserdem bed[ngen gerade die Trennungen des Biadegewebes dos scheir]bare IIervorspringen des Auges um so mehr , wenn nicht eia, sondern mehrere Muskeln angegriffen worden sind. Es ist sicherlich so maucher Effect der MuskotablSsung zugeschrieben wordcn, der lediglich yon der Lockerung des Bi ,degewebes hcrrShrt. Ich erlnnore daran, dass man in der Wiegenzeit der Schieloperation vor- geschtagen hat , zur Beseitigung starker Abtenkungen naeh innen und oben neben dem Rectus internus den Obliquus supe- rior zu durchschneiden, uad dass man yon mehreren Soiten her glSckliche Erfolge elnes solehen Verfabrens angegeben hat; und doch milssen wit diesen Vorschlag ,,us physiologtschen

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GrSnden etnen durehaus wldersinnlgen nennen, da der Obllquus superior nlcht nach inuen und oben, sondern gerade umgekehrt auf die Hornhaut wirkt. Die umfangreiche Lockerung des Bindegewebes, welche nicht zu umgehen ist, wenn man beide letztgenannten Muskeln gleichzeitJg durchschneideL muss noth- wendig sine Versehiobung des Rectus internus nach unten be- dingen, und auf diese letztere ml]sste ein einschl~glger Erfolg, wenn ein solcher eintritt, bezogen werden.

Etwas anders verh~lt sich die Sachs bei partiellen Teno- tomleen im Rectus superior und inferior. Die Durchschnei- dung tier innern Sehnenhlllfte verringcrt allerdings, wiewohl hSchst unbedeutend, sine vorhandene Convergenz, wlihrend ieh bei tier Durchschneidung tier iiussern Hlllfte niemaL~ einen Ein- fluss auf den Seitevabstand feststeUen konnte, dies alles in tier Voraussetzung mSglichster Schonung des Bindegewebss.

Die partiellen Tenotomieen diirfen auf demselben

Auge in Abst~inden yon 5- -6 Tagen wiederholt werden.

Der Eingriff ist iiberhaupt noch viel unbedeutender, als

bei totalen Tenotomieenj da die Wunde weniger klaffL

Man hat der Operation an mehreren Muskeln auf eiaem

Auge vorgeworfen, dass sie eine unvermeidliche Ver-

griisserung der Lidspalte bedinge. Es ist dies fdr totale Tenotomieen wirklich gfiltig, und es ist deshalb die totale Tenotomie mehrerer Augenmuskeln, mit welcher man friiher einen grossen Missbrauch trieb~ liusserst zu beschr~inken. Die Tenotomie zweier benachbarten Augenmuskeln ist in dieser Beziehung noch naehthei-

liger, als die Tenotomie zweier gegenfiberliegenden.

Es kommen freilich Ffille vor , wo wir ausser dem Rectus internus resp. externus noch den superior resp.

inferior einer totalen Tenotomie unterwerfen mfi.~sen

(s. A. f. O. Bd. II. 2 S. 289). Sehr h~ufig k~innen wit

aber in diesen Fallen uns dadurch helfen, dass wir

einen Theil tier Wirkung durch Operation auf dem zweiten Auge erzielen, z. B. wenn auf dem einen AugB

nach ausgeglichener Convergenz noch eine starke Ab-

lenkung nach oben existirt, auf diesem Auge nut

eine partielle Tenotomie des superior und auf dem

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andern eine partielle oder totale Tenotomie des infe- rior vollf'dhren. Von partiellen Tenotomieea hat man, vorausgesctzt dass alas Zellgewebe m(iglichst geschont wird, ein scheinbarcs IIervortreten des Bulbus wenig zu fiirchten, und f/illt daher der Einwarld i~r dieselben h i n w e g . - Eine l/~ngere Uebung lehrt uns im Allge- meinen, das Verfahren den Abst~inden derDoppelbilder zu proportioniren. Um sich diese Uebung anzueignen, halte ich es Fdr das Beste, die corrigirenden Prismen zu bestimmen, und nach deren Stfirke die Einschneidung der Muskelinsertion zu dosiren.

Wit gehen nun zu dora zweiten Fall fiber, in w~l- them die F~ihigkcit des Einfachsehens nicht g~inzlich verloren gegangen, aber sehr beschr~nkt war. Aueh bier darf yon einer Einwirkung des Sehacts auf die Stellung vorl~ufig nichts erwartet, und muss daher der Effect ganz genau abgestuft werden. Ein Beispiel mag auras Neue die Verh~iltnisse versinnlichen. Das linke Auge sei, wie im vorigen Fall, nach oben und aussen so abgelenkt, dass sowohl der Seiten- als der H6hen- abstand der Doppelbilder 4" auf 3' Eatfcrnung betr~igt. Ein Prisma yon i2 ~ nach einer ganz bestimmtcn Rich- tung mit der Basis nach unten und innen vor alas linke Auge gehalten, bedingt Einfachsehen, aber auch nut ein solches Prisma. Decbmponiren wit dasselbe in zwei Prismen, .iedes yon 8 ~ yon denea das eine auf dan Seitenabstand, das andere auf den H~henabstand wirkt, so wird letzterer eben nut dutch das Prlsma yon 8 0 ausgeglichen, ers~erer vielleicht noch durch ein Prisma yon 7 ~ oder 9 o - - ein immerhin gegen die normalen Verh~ihnisse sehr geringer Spielraum - - . Die Tenotomie des superior ist wie frSher einzurichten, die des externus dagegea geringer, well wit jetzt nicht gleichnamJge Bi]der mit palhologiseher Con~,ergenz,

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sondern eine riehtige Einstellung bezweeken. Es wird demgem~iss auch sicher nur eine partielle Tenotomie des Rectus externus zu machen sein. Was k(innen wir nun auf diese Weise erreichen? Unmiiglich als unmittelbare Wirkung Einfachsehcn dutch das ganze Gesichtsfeld, dean wean wir wirklich bei jener giinsti- gea Voraussetzung bleiben, dass der Abstand der Doppelbilder dureh alas ganze Gesichtsfeld derselbe war, so muss doch nun dutch die partielle Riieklage- rung nothwendig eine gewisse Insufficienz des rilek- gelagerten Muskels ontstehen, und d a d e r Drang nach Einfaehsehen vorliiufig wenig Herrschaft fiber die Augen- muskeln ausiibt, so wird auch jede Differenz der mus- kularen Energieen sich in der Stellung ilussern. Es entsteht deshalb nicht Einfachsehen in dem ganzen Gesichtsfeld, sondern nur in einer Richtung oder in einem gewissen kleinen Absehaitt des Gesichtsfeldes. Gesetzt es seien die beiden parfiellen Rficklagerungen so gemacht, dass geradeaus Einfachsehen entsteht, so wird nach links heriiber wegen Insuffieienz des Rectus externus schwache pathologisehe Convergenz mit gleich- namigen Doppelbildern, nach rechts heriiber ein Rest der friiheren Divergenz mit gekreuzten Doppelbildern stattfinden, w~ihrend nach oben hin dutch Insufficienz des Rectus superior das linke Auge etwas nach unten und dessen Bild etwas nach oben abweicht, und end- lich nach unten ein Rest des friiheren Hiiherstehens erhalten ist. Allerdings wird der Patient immer schon in giinstigeren Verh~iltnissen sein, als friiher, weil er doch in einer Richtung hin einfaeh sieht, welche er, wenn er scharf sehen will, benutzen kanu. Die im Beispiel gew~ihlte Richtung, gerade nach vorn, ist iibri- gens nieht die zweckm~issigste, sondern man muss sich zur Aufgabe machen, class der Patient in einer Visir- ebene, ungeFdhr 30 0 unter der horizontalen, einfach

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sieht. Es ist diese Richtung deshalb die giinstigste, weil wit sie flit die Aceommodatien in die Niihe und f'fir die Orientirung, z. B. auf tier Strasse, am meisten benutzen; ferner weil yon dieser Stellung aus die Ver- breitung des Einfachsehens am leichtesten vor sich geht. Ich halte es nicht t~ir unmSglieh, dass letztere That- sache, deren empirische Richtigkeit ich verbiirgen kann, mit den Fundamentaleigenschafton der Augenbewe- gungen im Zusammenhange steht, da sieh die angege- bene Stellung der M e i s s n e r'sehen Prim,irstellung nahert, yon welcher aus die Bewegungen nach den einfaehsten {3esetzen vor sieh gehen (s. M e i s s n e r Abhandlung A. f. O. Bd. II, t.). Das unmittelbar erreiehte Resultat ist zum Glliek Fdr die Tenotomie in diesen F~llen nicht das bleibende. Wir wSrden schliesslkh den Erfolg h~ehst unvollkommen nennen, wenn der Patient nut in einer Richtung bin einfach, in allen 5brigen aber dop- pelt sieht. Es erweitert sieh das Bereieh des Einfach- sehens theils spontan, theils indem wit die Kranken den entspreehenden Uebungen unterziehen, mehr und mehr, eine Erscheinung, die nur darauf beruhen kann, dass der erloschene Drang naeh Einfaehsehen mit der Uebung der Function wieder zunimmt und mehr und mehr Herrsehaft fiber die Augenmuskeln gewinnt. Ich entsinne reich vieler Kranken aus dieser Kategorie, welche sehon nach 4 - - 8 Wochen durch das ganze Gesichtsfeld hin einfaeh sahen, w~ihrend bei andern allerdings der Hergang viel langsamer war, und bei manehen auch nur eine unvollkommene Heilung ein- trat, so dass sic sehliesslich in einem conischen Raume einfach sahen, dessen Axe mit der urspriing- lichen Riehtung des Einfaehsehens ungeFtihr zusammen- fie1; abet auch diese weniger Glfieklichen befanden sich unter sehr ertr~gliehen Verhiiltnisseu, sic fixirten die Ob.jecte eben innerhalb des erw~ihnten Raumes und

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umgingen anderweitige Wendungen der Sehaxe dureh die Kopfbewegungen. Die Uebungen, welche ich oben erw~hnte, stimmen mit den gewShnlichen Uebungen bet Diplopie vollkommen fiberein. Das Prinzip der- selben ist, den Kranken diejenigen ~iussersten Rich- tungen des Einfachsehens benutzen zu lassen, in wel- chert sie ausdauernd und ohne Gef'fihl ether Anstren- gung die Doppelbilder versehmelzen. Dies Prinzip ist durch Regulirung der Kopfhaltung sowohl beim Lesen als bet den gewShnlichen Besch~t'tigungen, dutch Tragen yon Schielbrillen etc., im Einzelnen durchzu- f'dhren.

Wi t haben in dem letzteren Beispiel die gfinstige Annahme gemacht, dass die Abstlinde der Doppelbilder dutch das ganze Gesiehtsfeld dieselben sind. Es ist dies abet nut hSehst selten der Fall. in tier Regel nimmt die Distanz gekreuzter Bilder nach oben bedeu- tend zu, nach unten kann sie 0 werden, oder gar die gekreuzten Bilder in gleichnamige iibergehen; ferner pflegt der H~3henunterSchied allemal zuzunehmen~ wenn die Sehaxe des hSher stehendert Auges sich nach innen richter, und sich zu verringern, vollst~indig auszugleichen oder selbst umzudrehen, wenn dessen Sehaxe sich nach aussen richtet. Wit sind gezwungen~ iiber diese F~lle noch einige Bemerkungen zu machen, well sie in der That ffir die Behandlung sehr schwierig sind und ein minutiSses Eingehen erfordern, will man anders ein mSg- lichst gfinstiges und schaelles Resultat auf operativem Wege erzielen. Die Sache w~ire allerdings bald abge- fertigt, wenn wir sagten, man gehe wiederum yon der gfinsfigsten Stellung (ether Visirebene yon 30 * - - 40 0 unter der horizontalen und Lage des Objects in der Mittellinie) aus, taxire die Abst~inde der Doppelbilder und berechne resp. corrigire den operativen Eingriff so, dass f'dr diese Stellung Einfachsehen stattfindet, man

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lasse dann die entsprechenden Uebongen machen, da- mit dos Einfachsehen sich yon hier aus verbreite. Es ist mit ether solchen Vorschriit die therapeutische Auf- gabe noch lange nicht circumscribirt. Wir kSnnen in der g e n a n n t e n S t e l l u n g Einihchsehen erreichen bet einem sehr verschiedenen Verhalten und bet sehr vet, schiedenen Abst~inden der Doppelbilder nach den an- de rn R i c h t u n g e n |dn. Offenbar wird die Verbreitung des Einfachsehens um so ]eichter erfo]gen, .ie geringer die Abst~inde der Doppelbilder nach andern Riehtungen hin sind, und es ist daher die operative Aufgabe so zu stellen: E i n f a c h s e h e n in j e n e r e inen S t e l l u n g und die r e l a t i v g e r i n g s t e n Abst~inde in den i l b r igen S t e l l u n g e n .

Versinnlichen wir die Sache aui's Neue dutch einige Beispiele. Das linke schielende Augc stehe etwas h~iher als dos rechte, das Bild des ersteren dem- nach tiefer. Von einem Seitenahstande der Bilder wollen wir abstrahiren, etwa voraussetzen, es set ein solcher zwar fr/iher vnrhanden gewesen, aber durch einen operativen Eingriff bereits ausgeglichen worden. Der It~Shenabstand der Bilder verhalte sich versehieden~ .ie naeh der L~,ge des Gesichtsobjects, er wachse um so mehr, .ie h(iher dies gehaltea, und verringere sich um so mehr, .ie tiefer es gescnkt wird; ebenso natiirlich die II(ihenahweichung der linken Sehaxe. Wollen wir unter diesen Umsffinden ein m~igliehst giinstiges Resul- tat erziele~}, so handelt es sich um einen Operations- effect, weleher gegen die oberen Grenzen des Gesichts- feldes zu-, gegen die unteren abnimmt. Der zun~ichst ab- zulSsende Muskel ist derReetus superior des linken Auges. Nach der Operation wird auf Grund der Muskelinsum- cienz allerdings die Correction nach oben zu wachsen. ~rir wissen aber, dass fiir partielle Tenotomieen die In~ufi]eienzen sehr gering ausi'allen, und es wird dem-

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nach bier das Postulat hervortreten, bei g e e i g n e t e r C o r r e c t i o n ffir die h e r v o r g e h o b e n e S t e l l u n g (30 o nach unten) m g g l i c h s t s t a r k e M u s k e l i n s u f - f i c i e n z e n zu erreichcn. War der Grad der H~hen- abweichung auch noch fiir die unteren Theile des Ge- siehtsfeldes ein ziemlich betr/ichtlicher, so k6nnen wir vielleicht jener Operation eine genfigende Ausdehnung geben, um das genanate Postulat zu erf~illen. Wenn z. B. auf 3' Entfernung der H~henabstand der Bilder in der horizontalen Visirebene 6", nach oben in dersel- ben Entfernung 9", nach unten (30o--d0 ~ 4" be- trug, so darf eine beinahe totale oder auch eine vSllig totale Ablgsung des Rectus superior mit einer Sutur verrichtet werden, und es wird sich diese mit einer so bedeutenden Muskelinsuf'ficienz paaren, dass, wean die Doppelbilder nach unten zu (300--40 ~ sich in einer H;3he befinden, in der horizontalen Visirebene (start 2") nur ein sehr unbedeutender, und selbst nach oben zu (statt 5") ein nur miissiger Abstand der Bilder existirt; jedenfalls wird nach der cinfachen Operation die grosse Differenz in dem Abstand der Bilder, wie sie friiher existirte, aut" Grund der eingetretenen Muskel- insufficienz erheblich verringert sein. Welt schwieriger abet ist die Auf'gabe, wenn die Ableakung f~ir diejeni- gen Visirebenen, in denen wit sp~iter Einfachsehen beanspruchen, nur unbecleutend ist. Eine umfangreichere Operation wfirde dana zwar dutch die eintretende Muskelinsufi]cienz den einen Uebelstand, n~imlich das Wachsen der Ablenkung naeh oben, eorrigiren, abet einen andern Uebelstand mit sich ffihren, n~imlich einen zu extensiven Effect fiir diejenigen Stellungen, welche wir als die wichtigsten hervorgehoben haben. Es be- trage z. B. tier HShenabstand der Bilder auf 3' Ent- fernung in der borizontalen Ebene 3", nach unten (306 ~ d 0 ~ 2", nach oben 5", so diirfen wir nur eine sehr

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vorsichdge partielle Tenotomie machen, um den gerin- gen HShenabstand fiir den Blick nach unten zu corr/- giren. Eine solche wird beinahe gar keine Muskel- insufficienz herbeif'dhren, und demgem/iss wird auch die frfihere Differcnz der Einstelhmg zwischen dem untern und obern Theile des Gesichtsfeldes nur um ein Unbedeutendes verringertwerden. Wir mSssen, wenn wir unsere Aufgabe in vollkommener Weiss 15sen wollen, die Muskelinsumcienzen steigern, ohne

dass dieser Steigerung eine propordonirte Vermehrung der Correction ffir eine bestimmte Visirebene entspricht. Es erhellt wohl: dass dies nut auf dem Wege zweier Operationen erreicht werden kann. Zuerst erzielen wit durch die Operation auf dem linken Auge einen ex- cessiven Effect, und dann compensiren wit denselben dureh eine zweite Operation auf dem rechten Auge in zweckm~issiger Weise. Gesetzt wir h~itten den Rectus superior (unter den letzterw~ihnten Verh~ltnissen) voll- stiindig durchschnitten, so wfirde sicherlich das Auge nicht mehr h~her, sondern tiefer stehen als das rechte Auge. Auf Grund der eingetretenen Muskelinsufficienz wfirde nach oben hin weit mchr Effect erreicht sein, als aach unten, und zwar wfirde diese Differenz die vorgefundene Differenz in umgekehrter Richtung wahr- scheinlich noch um Einiges [ibertrcffen, so dass jetzt das ]inke Auge beim Blick nach oben mehr nach unten abweicht, als in der horizontalen Visirebene und im untern Theil des Gesichtsfeldes. Wir haben mithin, wenn wit den Effect dieser Operation zusammenfassen, erstens eine bedeutend fibercorrigirende Wirkung f'dr die uns wichtige Visirebene, und zweitens eine etwas fibercorrigirende Wirkung fSr die ursprfingliche Varia- tion des HOhenabstandes. Die zweite Operation, welche beide erhaltene Fehler corrigiren kann, ist eine partielle Tenotomie des rechten Rectus superior. Dass hierdureh

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die fiberm/issige Wirkung der ersten Operation auf die H6he des Augcs wieder reducirt werden kaan, bedarf keiner weiteren Erkl~irung. Das linke Auge steht ja jetzt ties das rechte ht~her, und es verh';ilt sich die Sache eben so, als wenn wir zur Ausgleichung einer vorhandenen Convergenz oder Divergeaz auf dem ge- sunden Auge operiren. Es wird aber ferner diese zweite Operation eine gewisse, wenn auch geringe Insufficienz des rechten Rectus superior bedingen; dem- gem~iss wird der liake rfickgelagerte Rectus superior nieht mehr mit einem vollkommen normal-kr/iftigen, sondern mit einem ebens etwas ohnm~chtigerea Muskel zusammenwirken, und es wird hierdurch, den Gesetzen der Association gem/iss, das scheinbare Ver- mt}gen des linken Muskels sich um etwas vermehren, gerade so, als wenn wir durch die erste Operation eine geringere Insufficienz, als es wirklich der Fall war, erhahen h~itten. Wcnn alle Momente recht ineinander passen, kann es sich ereignen, dass der Ht~henabstand jetzt nicht bloss f'fir die gewfinschte Stellung (30~ o naeh unten) ausgeglichen, sondern auch Ffir das ganze andere Gesichtsfeld verschwindend klein wird. Derlei Compensatioaen habe ich ziemlich h~ufig ausgef'fihrt, und mich fiber die Effecte, welehe beinahe nile Erwar- tungen fibertras wahrhat't gefreut. Bei flfichtiger Ueberlegung k~nnte es scheinen, als wenn die Insuffi- cienz nut" dem zweiten Auge sich yon der Iasufficienz auf dem ersten Auge in der Weise subtrahiren mfss t e dass dcr Effect genau so ausf~illt, als wenn wir nut eine, abet weniger excursive (gerade corrigirende) Operation, so wie es oben angegeben war, auf dem ersteren Auge vollFfihrt h~itten. Es w~re dies wirklich richtig, wenn bei zuaehmender Rficklagerung sich die Muskelinsufficienzen nach derselben Proportion steiger- ten wie die Correctionen Ffir die hervorgehobene mittlere

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Stellung. Da zwischen diesen beiden Factoren aber eine entschiedene Disproportionalit~t obwaltet, und zwar zu Gunsten tier Muskelinsufficienzen~ so ist der angegebene Effect erreichbar. Unnfitzer ~Teise wird man zwei Opera- tionea, so unbedeutend sie sind, nicht verrichten, son- dern die weitere Ausbildung des Einfachsehens dutch di'e Nachbehandlung bezwecken.

Gehen wit jetzt zu einem andern Beispiel fiber. Das linke Auge stehe wiederum um einiges hSher, aber tier HShenabstand nehme nach unten und nicht nach oben zu. Die Distanz der Bilder betrage auf 3' Entfer- hung nach oben 2 '~, in der horizontalen Visirebene 4", nach unten (300--40 ~ 6". Wenn wir hier eine R~cklage- rung des Rectus superior machen, welche ffir den untern Theil des Gesichtsfeldes den H6henabstand aus- gleicht, so wird gerade aus, und noch mehr ffir den obern Theil des Gesichtsf'eldes, alas linke Auge bedeu- tend nach unlen abweichen, dean einmal war die vor- findliche Ablenkung in diesen Richtungen geringer, und sodann tritt gerade nach oben, wegen der Muskel- insutficienz, der Effect m~chtiger hervor. Es muss das Postulat hier umgekehrt wie im vorigen Falle gestellt werden: Correction der HShe fi~r die uns wichtigen Visirebenen und m[~glichste Vermeidnng oder wo mSgiich noch Umdrehung tier Muskelinsufficienz im linken Rectus superior. Offenbar kommea wit die- sen Anforderungen besser dadurch nach, dass wir die ganze Operation yon dem linken Auge auf das rechte fibertragen, oder wenigstens den Ffir die Correction nSthigen Operafionseffect zwischen beide Augen, zu Gunsten des rechten, vertheilen. Wenn wir statt des linkea Rectus superior den rechten Rectus inferior durchschneiden, so kann hierdurch natfirlich der HShen- abstand Ffir die uns wichtige Visirebene (300--400 nach unten) corrigirt werden. Ausserdem wird die Insuffl-

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cienz des rechten Rectus inferior den Blick nach unten auf diesem Auge erschweren: und demgem~iss die zu- nehmende HShenabweichung des linken Auges nach dieser Richtung hin in gfinstiger Welse bffiuenciren. Beim Blick gerade aus und nach oben wird der corri- girende Effect ein etwas ge,'ingerer sein, und es wird dies der geringeren, in dieser Stellung vorhandenen, HS- henabweichung vollkommen entsprechen, so dass ia der That jetzt, gegenfiber der Operation auf dem linken Auge, die Verh~itnisse in der gewfinsehten Weise umgedreht sind. Nimmt der vorfindliche H6henunterschied nur sehr wenig nach unten zu, w~hrend er doch an und Ffir sieh ziemlich betr/ichtlich ist, so wird es am gera- thensten sein, zuerst eine partielle Tenotomie des linken Rectus superior und alsdann eine partielle des reehten Rectus inferior zu machen. Erstere soil den ttShen- unterschied ffir die uns wiehtige Visirebene unvollkom- men eorrigiren, und muss nothwendig den zweiten Uebelstand, n~mlich die Zunahme des Abstandes naeh unten hin, um einiges versehlimmern. Die letztere Operation.soil die Oorreetion erg~nzen und den erw/ihn- ten Uebelstand wieder fiber das ursprfinglich vorfind- liche Maass hinaus verbessern.

Ganz dieselben Prinzipien werden uns leiten, wenn es sich um Seitenabst~inde handelt, deren Werth in verschiedenen Theilen des Gesichtsf'eldes ein verschie- dener ist. Haben wir z. B. eine linksseitige Divergenz, die beim Bliek nach links Zu-, beim Blick naeh rechts abnimmt, so wird derselben, je naeh den Verh~iltnissen, eine einfache partielle Tenotomie des linken Rectus externus, oder dieselbe Operation zu fibertriebenem Effect gesteigert und dann dutch eine partielle Teno- tomie des rechten Rectus internus corrigirt, entsprechen. Handelt es sieh umgekehrt um eine linksseitige Diver- genz, die beim Biick naeh reehts zu-, beim Bliek nach

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links abn immt , so wird entweder eta einmaliger Ein-

griff in den rechten Rec tus externus, oder partielle

Tenotomie successive am linken und am rechtcn Rectus

externus angeze ig t seth. - - Es ist fibrigens unmSglich,

die unendliche Var iabi l i~ t der Fiille aus dieser Kate-

gorie durch Beispiele zu erschSpfen; ausFdhrliche Kran-

kengeschichten , deren ich sehr zahlreiche in den Jour -

na len meiner Klinik besitze, wfirden des Volumen dieser

A b h a n d l u n g bedeutend ve rg rSsse ra ; such hiel t ich es

filr wesenfl icher, die haupts~ichlichsten Gesichtspunkte

der Berechnung , aul~ die es hier ankommt , zu er~rtern.

N a c h d e n k e n fiber die W i r k u n g s w e i s e der operativen

Eingriffe ist doch in j edem einzelnen Fs l ic nSthig und

schciat es mir viel besser und fibender, sich die ob-

wal tenden Grundgese tze als eine Anzahl yon Krank-

heitsfiillen gel~ufig zu erhalten.

Die Operationen am Rectus superior und inferior erfordern ein besonderes Studium in Beireff der Abmessung des Effects. Wir 5bersch#itzen Ablenkungen each diesen Richtungen, wean wlr sie nicht gezJauer bestlmmen, gar leicht, da sis den Blick unendllch mehr staten, als seitliche Ablenkungen yon demsel, ben Umfang. Eine Deviation nach oben resp. each unten yon 1 ~" ist schnn ~usserst auffRllig, wRhrend dieselbe Ablenkung nach innen kaum hervortrltt. Es muss uns dies such zurVor- sicht bet alien operativen Eingriffen mahnen. Man set nament- lleh mit totalen Tenotomieen bier nicht zu freigebig. - - D i e genaue Besfimmueg der HShenab:weichungen hat in der That ohne Benutzung der Doppelbilder ihre grosse Schwierigkeit, auf Grund der Yerschiedenheiten in der Lidspalte. Handelt es sich um die Abweiehung des Auges mr eta in der Mittel- linie beflndliches Object, so kommt man zu ether ungef~hren Taxation, indem man innere und iiussere Augenwinkel dureh eine k0nstllche Visirtinie, z. B. durch eln vorgehaltenes Lineal oder durch einen ausgespannten Faden, verbindet und die Theite der Iris (ira Verh~tniss zur Pupille), welche van diese Linie in dem elnen successive im andern Auge getroffen wer- den, vermerkt.

Bet H~henablenkungen , deren Grad yon rechts nach

links im Gesichtsfelde bedeutend variirt, sind im All-

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gemeinen die Correctionen go einzurichten, dsss Fdr die Mittellinie die beste Ausgle~chung stattfindet, wie wit dies bereits fi3r hochgradigere Ableakungen dieser Art (s. A. f. O. Bd. II, f. S. 297) vorgeschcicbcn haben. Es :,st dies die g[ir.s:igste S:ellung, weil wit sie am me:.sten beiai Sehen benutzen, well bei Verschme]zung innerhalb derselben die Abst~nde der Doppelbilder in den seit- lichen Theilen relativ am geringstea ausfallen, und well erfahrungsgem~ss yon dieser Stellung aus sich das Einfachsehea am leichtesten verbreitet. Die vollkom- mensten Resuhate wSrden fibrigens in derartigen F~illen der Theorie gem~ss Eingriffe in die schiefen Augea- mnskeln geben. Je mehr die Sehaxe sieh nach innen richtet, dcsto grOsser wird, der Muskellage zufolge, der Einfluss der Obliqui auf die HOhe der Hornhaut; eine Schw~chung des Obliquus inferior muss demnach eine beim Blick nach inaen wachsende HOhenableakung am g[instigsten i,lfluenciren. Trotzdem babe ich zur Zeit derartige Versuche nicht gemacht, aus Grfinden, die ich unten angeben werde. Ich begaSgte reich auch bei diesen Formea mit Eingriffen in die graden Muskeln, wodurch man immer bedeutende uad sichere Besse- rungea erh~lt.

Wit begeben uIls nun zu der dritten Reihe yon F~|len, in welchen trot, Erhaltung einer gewissen Herr- schaft des Sehacts fiber die Doppelbilder doch unSber- windlich~ Hindernisse Fdr die Verschmelzung in den Muskeln liegen. Es ist hier die Therapie eine weir leichtere, da es nicht auf eiae so exacte Bereehnung des Effects ankommt, sondern die Regulirung his auf eine gewisse Grenze dem Sehact fiberwiesen werden kann. Zun~ichst m[lssen wit uns dutch Prismen fiber- zeugen, welche Abst~inde ffir das Einfachsehen auszu- gleichen sind. Stehe,1 z. B. die Bilder gckreuzt uad

Arahiv ffir Ophthalmologie. Bd. IH. 1. t 8

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das eine etwas hiiher als das andere, so kann es vor- kommen, dass dutch die Ausgleichung lediglich des Sei- tenabstaudes mittelst eines geeigneten Prisma Einfach- sehen entsteht und daucrnd erhalten wird. Es wird dann auch nur ein Eingriff in den Rectus cxtcraus niithig sein. Entsteht dagegen hierbei Einfachsehen nur tempor~ir, wird abet auf die Dauer nicht erhalten, indem pcriodisch oder bei angestrengtem Sehact die Bihler der IIShe nach wieder auseinander gehen, so wird noeh ein Ein- griff in den Rectus superior oder inferior angezeigt sein. In andcren, welt h~iufigeren F~illea hindert der HShenunterschied die Verschmelzung. Wird dcrselbe dutch eia Prisma ausgeglichen, so entsteht andauernd Einfachsehen, ebenso nach dem gceigneten Eingriff in den obera oder untern geraden Augenmuskel. Bei noch andern Krankea verh~ih es sich mit dem Seiten- abstand wie es sich dort mit dem tliihenabstand ver- hielt; es taucht derselbe periodisch odor bei angestreng- tern Sehact wiedcr auf, und weist auf die Nothwendig- keit eines zweiten Eingriffes hin.

Zwisehen den F~illen aus dieser und denen aus der vorigen Reihe existiren iibrigens allo miiglichen Ueberg~inge, indem die Herrschaft des Sehacts fiber die Augenmuskeln sich ia allen Graden abstufi, wie es schon aus dem allmfihligen ErlSschen eben dieser Fun- ction bci bestehender Diplopio folgt. Wir werden demgem~iss einen grossen Theil der dort erSrterten Riicksichten, z. B. bei variablem Abstand der Bilder in verschiedenen Theilcn des Gesichtsfeldes, auch hier zu beobachten haben; namentlich werden wit h~iufig den Effect auf beide Augen "vertheilen, um relativ geringe Abst~inde der Doppelbilder in den seitlichen Theilen des Gesichts[eldes, und somit eine miiglichst rasche Aus- breitung des Einfachsehens, zu erlaugen. Je nach der

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grilsseren Herrschaft des Sehacts sind auch die Resul- rate g[iicklicher und schaeller; das Einfachsehen zeigt h~iufig sch0n unmitteibar einen griissern Spielraum, und ist zuweilen bald naeh der Operation dutch das ganze Gesichtsfeld vorhanden. Ferner haben wit bier wich- tige orthop~idische Mittel, welche nieht selten sogar ]eden operativen Eingriff entbehrlich machen. Wit finden in dieser Reihe gerade viele F~ille, die sich zur Heilung dutch prismatische Gl~iser eignen; w/ihrend in jenen beiden Kategorieen yon F~illen eben diese Gl~iser wir- kungslos odor yon sehr beschr~inkter Wirkung bieiben miissen, denn in der ersten fehlte iiberhaupt die Fiihig- keit zum Einfachsehen~ in der zweiten war zwar solche F~ihigkeit vorhanden, abet nicht jene Maeht des Sob- acts, im Dienste des Einfachsehens Muskelspannungen willkfihrlich zu ver';indern, an welche sich haupts~ichlich

d i e Einwirkung der prismatischen Gl~iser kniipft. Dios schliesst einen gewissen Nutzen der prismatischen Gl~i- set allerdings nicht aus, denn indem sie fiberhaupt das Einfachsehen ermSglichen, kSnnen sie aueh jene ver- lorene Maeht des Sehacts wieder allm~ihlig erwecken; dennoch bleibt ihre Wirkung unter diesen letzten Um- stiinden immer der Tenotomie bedeutend uatergeordnet, indem letztere nicht blos Eini'achsehen (in einer be- stimmten Richtung), sondern zugleich eine normale Stellung nach einer gewissen Riehtung bin hervorrus w~i~reS}] die Prismen vorl~iufig auf die ]etztere ohne Einfiuss bleiben.

Wie haben wit uns schiefen Doppelbildern gegen- fiber zu verhahen? Sind zur Ver~inderung der Meri. dianneigung Eingriffe in die Musculi obliqui erlaubt? Ieh kann hieriiber ,licht aus Erfahrung sprechen, da ich, wie erw~ihnt, noch niemals eine Tenotomie der schiefen Augenmuskeln verrichtet babe; auch m~ichte ich in

i8 �9

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Betreff der gedachten Eingriffe einige Bedenken/iussern. Zuerst existiren ilber die Durchschneidung der schiefen Augenmuskeln noch keine genauen Beobachtungen. Wit haben schon oben erw~hnt, dass man sich friJher hierbei durchaus unphysiologische Heilzwe~:ke vorhielt, dass man auf die Muskelabl6sung Dinge bezog, die lediglich auf die Treanung des Bindegewebs zu beziehen waren, u. s. w. Wir wissea zur Zeit auch nicht, wio hier die Heitung eiatreten wfirde und ob /]berhaupt des Prinzip der Rih.klagerung zur Anwendung kommt; es mfchte kaum gerathea seth, diese Muskeln so wie die fibrigen an ihrer Insertion abzulfsen, well die n~thige Verletzung im Verh~ittniss zu den Vortheilen wahl eine fibermfssige sein writ'de. Durehsehneidet man nun die Muskeln in ihrer Continuit~it, so kfnnen wit a priori die Art der Heilung nicht voraussehen, noch weniger den Grad des Effects bestimmen, und es ist sehr wahrscheinlieh, dass viel h~iufiger ungenfigende oder excessive Wirkungen als gerade diejenigen, die wit bezwecken, eintreten wfirden. Wenn wit eine Schiefheit yon einem bestimmten Grade auszugleichen haben, so dfirfte ja such die Meridian- neigung nut urn ein ganz bestimmtes Quantum ver- ilndert warden; dies um so mehr, als der Sehact, selbst bet v311ig gesunden Augen, nur wenig Herrsehaft fiber die Meridianstellung hat (siehe oben). Zu alia dem kommt, dass die Schief'heiten im Allgemeinen, wenn die andern Abst~inde ausgeglichen sind, nur wenig und nur dana geniren, wenn sie betr/ichtlich sind. Will Jemand, unter reeht genauer Beobachtung der Doppel- bilder, bet einem Schielen der schiefen Augenmuskeln oder bet eincr Diplopie, wclche deutlich auf" die Contractur eincs schiefen Augenmuskels deutet, einen Eingriff auf die schiefen Augenmuskeln wagen, so liesse sich gegen einen solchen Versuch sicherlich nichts sagen, uad kfnnte ibm die Wissenschaft ffir

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die Mittheilung einsehl~ig]ger oder nicht einsehl~igi,

ge t Resultate nur dankbar sein; besonders w[]rde

es interessant seia, zu erfahren, welchen Einfluss die

Operation auf das Hintereinanderstehen der Bilder aus- fibt. Jedenfalls abet werden die F".,ille, die hierzu auf- fordern, nur h6chst selten sein, wenn wit die zu hoffen- den Vortheile mit den m6glichen Nachtheilen recht ge-

wissenhaR abw~gen. Bisher begnfigte ich reich auch bei

sehiefen Doppelbildern, die anderweitigen Abst~inde aus-

zugleichen, was, abgesehen yon etwaigem Hinterein-

anderstehen, immer dutch Operationen an den geraden

Augenmuskeln maglieh ist, selbst wenn die Ablenkungen

yon Affectionen der schiefen Muskeln herzuleiten sind.

VII.

Es ist bekannt, dass dem andauernden Schielen sehr h~ufig, .in in der Regel i n t e r c u r r e n t e s oder p e r i o d i - s c h e s Schielen') vorangeht. B 3 h m hat, auf diese Er- fahrung gestfitzt, geradezu das intercurrente Schielen

als den Ausdruck einer ersten Krankheitsperiode be-

zeichrmt, weleher dann das stabile Sehielen als eine

zweite Periode folgt. In der Regel ist tier Hergang hierbei so aufzufassen, dass zu tier Zeit des periodi-

schen Schielens der normwidri~e Zustand in den Mus- keln bereits in der Entwickelung ist, die Ablenkung

o) Die Bezeichnung periodisehes Scbielen darf nlcht zu der Annahme f'fihren, dass irgend eino directo Be.ziehung tier Krankheits- erscheinung zu einem Zei~typus stattflndet. Ein wirklich typisch intermittirendes Schielen kommt gar nicht vor, oder geh~rt zu don itussersten Seltenheiten. Scheinbar komrat es dann vor, wenn an bsstimmten Tageszeiten auf 6rund der Beschiifligung oder Lebensweise iihnliche ZustRnde im Nervensystem oder im Sehact sich wiederholen. Diose indirect bedingte PeriodicitRt wird sofort verwlrrt~ so wie wit die angegebenen Mittelglieder in geeigneter Weise ver~indern.

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aber Fdr gewShnlich dutch die Gebote des Sehacts unterdrilckt wird und nut unter besonderen Verh~t- nissen eintritt, z. B. dann, wenn bei psychischen Affec- ten die Leitung in den Muskelnerven an Willkfihrlich- keit verliert, oder dann, wenn dutch Zerstreuungskreise, Blendung u. s. w. stlirende Momente im Sehact auf- treten, oder dana, wenn bei zunehmendem Accomo- dationszustand die Muskelresistenzen wachsen. Heben wit bei solchen Krankon den gemeins(.haftlichen Sehact dadurch auf, dass wit das eine Auge mit der Hand verdecken, so wird bei vielen bereits eine au~dllige Ab- lenkung auf dem excludirten Auge zu Stande kommen; es liegt hierin der Beweis, dass den natiirlichen Muskel- tendenzen bereits eine abnorme Stellung entspricht, welcher f~ir gew(ihalich im Dienste des Sehacts ent- gegengearbeitet wird. In einer andern Reihe von F~il- len wird freilieh unter der deckenden IIand noch keine auff~illige Ableakung stattfinden; hier bedarf es zum Eintritt der Ahlenkung also nicht blos der Aui'hebung des gemeinsehaftliehen Sehacts, sondern wirklich stS- render Momente, welche sich in iedem einzelnen Falle durch die Analyse ergeben mfissen. Wollten wir die Beschreibung derselben bier welter veriblgen, so mfiss- ten wit ilberhaupt in die Pathogenie des Sehietens ein- gehen, welche wir aus dieser Abhandlung absiehtlich ausschliessen, well sie bei der grossen Vielseitigkeit der Verh~iltnisse einer eigenen Behandlung bedarf.

Aber nicht alle F~ille yon intereurrentem Schielen gehen in das stabile concomitirende ScMelcn iiber. Es giebt deren solche, welclae f 't]r unbestimmte Zeiten die Charaktere des intercurrenten Sehielens beibehalten; ferner solehe, welehe zwar in perma- nentes Sehielen fibergehen, abet doch mit Beibehaltung wesentlicher Unterseheidungs-Merkmale gegen den gewohnten Symptomcomplex. Es sired derartige F~ille,

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fiber deren operative Behandlung ich jetzt einige Be- merkungen anknfipfen will, da t~r dieselben gewisse noch nieht erSrterte Gesichtspunkte in Anschlag kommen. Freilieh l~isst sieh im concreten Falle nicht immer entscheiden, ob ein Uebergang in stabiles Schielen stattfinden, oder ob die Krankheit den ursprfing- lichen Gharakter unver~indert beibehalten werde. Es h~ingt dies aueh zum The~l yon dem Gebrauch der Augen ab. Werden dieselbea z. B. Ffir die N~ihe sehr angestrengt, so pflegen auch die]enigen Stellungen, die dem h~Sheren Brechzustand entsprechen, allm~ilig die blei- benden zu werden, wie es bei Besprechung der Heilungs- perioden auseinandergesetztwurde. Da abet die Thatsache unl&iugbar feststeht, dass gewisse Formen des intercur- renten Schielens sich auf unbestimm~e Zeiten als so]che erhalten, so ist sicher auch das Bedfirfniss gerechtfer- tigt, dieselben als solche dureh die Operation heilen zu wollen, vorausgesetzt, dass andere Mittel keinen Erfolg versprechen. - - Wit wollen zur nSheren Verst~indigung diejenigen Formen, welche besonders h~iufig als inter- currentes Schielen fortbestehen, anffihren, wobei sich yon selbst versteht, dass die Gruppirung bei den un- endlich vielen Ueberg~ingen nicht strenge gehalten wet- den kann.

t) K r a n k e , we lehe be im g e d a n k e n l o s e n Bl iek ke ine a u f f a l l e n d e A b l e n k u n g ze igen , wohl aber so wie sie e i n e n b e s t i m m t e n G e g e n s t a n d , sei er nah ode r f e rn , s c h a r f f ixi ren. Wenn wir sagen, dass beim gedanken- losen Bliek keine Ablenkung vorhanden ist, so heisst digs so viel, dass die Sehaxen sieh in einer sehwaehen, dem Parallelismus nahe tretenden, Convergenz befinden oder fiberhaupt sich in einem Horoptnrpunkt treffen, welcher nicht "ausserhalb der gewfihnlichen Sehweiten

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liegt (z. B. in einer Entf'ernung yon 8 '*, | ' , 3'). Eine genaue Wfirdigung der Augenstollung ist natfirlieh ohne Fixirpunkt unm~Jglich. Viele dieser Kr~mken Iernen es gewissermaassen, die seharfe Wahrnehmung de~ Gesichtsobjecte zu umgehen, um ihr Sehielen zu vermeiden, selbst im Gespr/ieh fassen sie keine Ge- siehtsobioete seh~irf'e.r auf und sehielen deshalb nieht; so wie sie aber irgend etwas erkennen, fiber ein nahes oder entferntes Object irgend eine Reehensehaft geben sollen, so tritt e|ne h6ehst auff~llige Ablenkung yon 2 I'', 21A "' und mehr ein. - - Der n~/eh~te Gedanke, der sieh zur Erkl'~rung dieser bizarr'en Symptomatologie aufdr~ngt, ist der, dass irgend eine StSrung des gemeinschaftliehen Sehaets vom sehielenden Auge ausgeht, und dass das Bild desselben dutch eine willkfihrliehe Muskeleontra- etion abgetrieben wird. Es ist aueh kein Zweifel, dass vin grosser Theil der F/ille in dleser Weise entsteht und doeh t~iuseht man sich sehr, wenn man eine derartige Erkl~rung noch sp/her ffir die Begr/lndung der Ablenkung benutzt. Es ist n~/mlich racist vollkom- men gleiehgfiltig, ob man das eine Auge bedeekt, also die St~3rung, die dasselbe im Sehaet bedingen kfnnt% absehneidet. Es treten dieselben Ablenkungen unter der deckenden Hand win, und es darf daher die Ab- lenkung selbst nieht als eine instinktive Muskeleontra- etion dargestellt werden, der zu vergleiehen, die wir zur Vereinigung oder Entfernung yon Doppelbildern ausf/Jh- ten. Man k~nnte sieh iiber diese Sehwierigkeit etwa dureh die Ansieht hinweghelfen, dass der ursprfinglich yore Seh- act eingeleitete Contraetlonszustand nun gewissermassen habituell geworden w/ire und aueh ohne die urspr~ing- liehe Ursaehe sieh einstellte. Es ist dies aber ohne n~ihere BegrSndung ein leiehtfertiges Raisonnement. Es hilft uas in niehts, den i n t e r c u r r e n t e n Charakter des Schielens zu verstehen. Dass ursprl]nglieh dutch

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den Sehact eingeleitete Muskelcontractionen allmfilig permanent werden, well sie dauernde Structurverilnde- rungen herbeifiihren, dass sic dann such ohne jede Beziehung zum Sehact substantiell fortbestehen, das allcs ist leicht ersichtlich. Wenn abet unter bestimmten Verhiiltnissen des Sehactes, n~imlieh beim scharfen Auf- fassen der Netzhautbilder~ eine Ablenkung stattfindet, im Uebrigen aber nicht, so muss immer noch ein jedes- real wirksames Mittelglied zwischen dem Sehact und zwischen den Augenmuskeln aufgesucht werden.

Wenn es nicht die St(irung der doppelseitigen Netz- hautbilder ist, so bieten sich zun~ichst die Verhfiltnisse der Accommodation dar. Wit wissen ja, dass wenn wit das eine Auge mit der Hand verdeckcn, und das an- dere Auge Fdr verschiedene Entfernungen accommodiren, dass dann die Stellung des verdeckten Auges sich ~indert~ well n~imlich der Brechzustand im Allgemeinen auf beiden Augen gleichm~issig ge'3ndert wird und zwi- schen den Brechzust~nden und den Muskelverkiirzungen ein bedingtes Abh~ngigkeitsvertJ~iltniss obwaltet. Aber auch diese Erkl~irung der Ablenkung durch die Accom- modationsverh~iltnissc, welche fiir eine unten zu erSr- ternde Gruppe yon KrankheitsF~illen sich bew~hrt, ist fiir die hier in Rede stehende Erseheinung unzul~issig. Wir kiinnen n~imlich die Entfi~rnung des Objects nach Belieben ver~indcrn oder unter Beibehaltung der- selben Entfernung die Brechzust~nde mittelst verschie- dencr Gl~iser beliebig abstui'en - - immer tritt bei den fraglichen Patienten, mit gewissen Griissenschwankungen, dieselbe Ablenkung ein, so wie nut ein Gesichtsobject aut~gefasst wird. Es crgeht bei diesen Versuchen, dass die Accommodationszust~indc zwar einen gewissen Ein- fluss aug den Grad des Symptoms haben, dass sie aber das Wesen desselben nicht begriinden. - - Wir miis- sen in Ermaugelung einer tieferon Einsicht bei dem

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allgemeinen Ausdruck der Thatsaehe stehen bleiben: eine .jede auf die Verarbeitung der Gesiehtswahrneh- mung zielende Th~itigkeit des Organs wirrt den Reiz zur normwidrigen Conh'action auf den kranken Muskel zurilek. Es ist in der That annehmbar, dass bei einer seharfen Auffassung der Gesiehtsobjeete, abgesehen yon allen VeHa~iltnissen der Aeeommodation~ ein anderer Erregungszustand obwaltet, als beim gedankenlosen Bliek. Die Nothwendigkeit einer vollkommen immobilen Stellung ergiebt dies Bed{irfniss. Um den niithigen, yon allen Sehwankungen freien Ruhezustand einzulei- ten, mlissen nothwendig die fixirenden KrMte in be- senders regulirten Spannungsgraden erhalten werden. Wahrseheinlieh wird hierbei aueh an und fiir sieh eine griissere Straffheit des Gewebes erfordert; und so ist es auch denkbar, dass eine jede Fixation die in einem Muskel begriJndete Teridenz zu einer anomalen Ver- kiirzung, mag diese Tendenz den einen oder den andern Ursprung haben, beth~itigt.

2) F~ille, bei w e l c h e n eine r i c h t i g e Ein- s t e l l u n g der S e h a x e n bis zu e ine r b e s t i m m t e n E n t f e r n u n g (8", t ~, 41 ) s t a t t f i n d e t , j e n s e i t s d i e s e r E n t f e r n u n g t r i t t auff~i l l ige A b l e n k u n g ein. Die Symptomatologie erregt hier sofort den Verdacht, dass die n~ichste Ursache dcr Ablenkung yon Verh~ltnissen im Sehact oder in der Accommodation ausgeht. Es scheint dies auch constant der urspriingliche Hergang zu sein, obwohl der Nachweis bei l~inger be- stehendem Uebel zuweilen erheblichen Schwierigkei- ten unterliegt. Es zeigten sich mit Sieherhek folgende Categorieen :

a) Kurzsiehtige, die bis zu ihrer Accommodations- grenze die Seha:~en einstellen, .ienseits derselben sehie- len. Wird denselb~:n dutch Concavglilser das deutliche

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Sehen aucb in gri~ssere Entfermmgen ermSglicht, so dehnt sich auch das Bereich der Einstellung in ent- sprechender ~,Veise aus. Die Erkl~irung is, hier nicht schwierig: Da die Verwerthur,g scharfer Netzhautein- driicke im Sehact den Regulator flit die Einstellung bildet, so folgt mit dem Erliischen der ersteren das Auge den natiirlichen, in unserem FaUe krankhaft ver~inderten Muskelenergieen. Deshalb ,rift auch schon diesseits der Grenze der Einstelhmg, wenn das afficirte Auge bedeck' wird, eine, f'fir ,tie Behandlung sehr wichfige, Ablenkung unter der deckenden Hand ein. I)~s Alter der Affection, die mehr oder weniger fcstgestellte Verketturlg zwi- schcn dem Accommodationszustande und dem Grade der Muskelverkiirzung bedingt freilich grosse Verschie- denheit im Eintritt der Erscheinungen bei Aufhebung des gemeinsehafilichcn Sehacts. Erw~ihnenswerth ist es, dass cinige dieser Kranken sich in den bei Eriirte- rung der Myopia in distans hervorgchobenen Verh~ilt- nissen befinden; so wie die Grenze ihrer Accommoda- tion iibcrschritten wird, tritt ein hoher Accommodations- zustand ein, und als Begleitcr desselben die pntholo- gische Contraction.

b) Einseitige Kurzsichtigkeit und iiberhaupt Unter- schied ira Brechzustande. Hier liegt der urspriingliche Grund der Ablenkung stets in dcm Streben, die beiden sich stiirenden Bilder yon einandcr zu entfcrnen. Ich babe schon mehrmals darauf hingewiesen, dass bei ver- schiedcnem Brechzustand, sclbst wean ein gemeinschaft- liches Bereich der Accommodation existirt, doch niemals scharfe Bilder aul" beiden Augen glei('hzeitig entstehen. Je nfiher nun die Ob.iecte gchalten werden, je grSsser dig Netzhautbilder werdcn, dcsto mchr Eacrgic besitzt der Sehact, sich fiber die Verschiedenheitcn der Bilder hinwegzuhelfen. Kiinstliche I)iffcrenzirung der Netz- hautbilder mittelst concaver oder convexer Gl~iser kann

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uns hiervon fiberzeugen. Bei grossen Netzhautbildern ist die Herrschaft fiber die Augenmuskeln fiberhanpt eine grSssere. Ich erinnere daran, dass man bei grns- sen Netzhautbildern welt st~rkere Prismen durch will- kfihrliches Schielen beherrschen kann, als bei kleinen Netzhautbildern u; s.w. So tritt in Krankheits{'/illen bei einer bestimmten Grenze der Entfernung die gegensei- tige StSrung der Bilder hervor und es entsteht~ um die Bilder auseinander zu treiben, die fragliche Alflenkung.

Ein Einwurf gegen diese Erkl~rungsweise sc.heint wiederum darin zu ]iegen, dass auch bei Verdeckung eines Auges die Ablenkung .ienseits der fraglichen Ent- Iernung eintritt ; es Zeigt sich jedoch, wenn wir die Patho- genie t i e r F/ille verfolgen, dass auch dies in der sich allm~hlig herausbildenden Verkettung zwischen Accom- modationszustand und Augenmuskelverkfirzung liegt.

c) F/ille yon Trfibungen und abnormen Krfim- mnngen der brechenden Medien, wo auf einem Auge undeutliche, verzerrte Bilder entstehen. Auch diese kSnnen bis zu einer gewissen Entfernung mit dem Bilde des andern Auges verschmolzen werden, aber nieht jenseits derselben. Die Erkl~rung bleibt dieselbe, wie f'fir die vorerw~hnte Kategorie.

d) F~ille yon sehr geringen Ver'~nderungen der mittleren Muskell~ngen bei erhaltenem gemeinschaft- lichem Sehact. Bis zu einer bestimmten Entfernung ist es unter dora Einfluss grosset Netzhaufl)ilder mSg- lich, die Muskeb~ im Dicnste des Einfachsehens zu for- ciren, ienseits dieser Entt,'rrmng nicht mehr. Der Her- gang ist hier ganz analog, als wenn wit ein Prisma yon geringer St~irke vor ein Auge halten. In beiden F~llen werden die Muskeln, bei einer bestimrnten GrSsse der Netzhautbild,,r, gegen den ihnen natfirlich inne- wohnenden Spmmungszustand forcirt; nur ist derselbo be.i unscren Kranken ein unphysiologischer. Wird bei

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ihnen das afficirte Auge verdeckt, so stellt sich be- greiflicher Weise die Ablenkung auch vor der frfiheren Grenze heraus. Sic hat jedoch alsdana einen andern Charakter und eine welt geringere Fxcursion. W~ihrend sic dort eine instinctive, wie krampfartige Contraction zur Ablenkung yon Doppelbildern darstellt, repr~isentirt sie hier den ad~iquaten Ausdruck der in den Muskeln aus- gepr~gten krankhaftea Spanmmgstendenzen.~Dasselbe, was Vcr~nderungen in den mittleren Muskell~ingen bedingen, kSnnen auch Rcste yon Muskelparesen be- dingen; nur darf nicht etwa die Ablenkung selbst direct auf die Parese gezogen werden. Die Parese wfirde nahe aneinander stehende Doppelbilder bedingen; well diese unvertr~iglich sind, tritt die ablenkende Contraction ein,

3) Die p a t h o l o g i s c h e C o n v e r g e n z t r i t t n u r be i A c c o m m o d a t i o n ffir die N~ihe ein. Hierher gehSren sehr zahlreiehe Kranke, und cs ist daher diese Gruppe des intercurrenten Schielens Fdr die Praxis ausser- ordentlich wichtig. Bei einem.ieden Individuum, welches sich uns wcgcn Schielens vorstellt oder yon den Verwand- ten zugei~hrt wird, uad bei welchem doch eine flfichtige Uatersuchung keinc augenf~,illige Ablenkung zu erkennen giebt, m~issen wir zun~ichst untersuchen, wie die Stcl- lung sich bei genfigender Ann~erung des Gesichts- objects, z. B. beim Lesen, verh~ilt. Wir werden dana nicht selten hochgradiges convergireodes Schielen ein- treten sehen. Dasselbe geschieht, wenn wir dutch Concavgl~iscr auf enffernte Objecte sehen lassen, well alsdann zur Compensation des (zerstreuenden) Glases nothweadig ein h~hcrer Brechzustand eingeleitet wird. Geben wir Ffir die nahen Ohjecte Convexgl~ser, so tritt, dem entsprechend, das Schielen erst ia geringerer Ents nung, oder gar nicht, hervor. Die ganze Erscheinung, die

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sich bei Verdeckung des schielenden Auges im Wesent- lichen gleich bleibt, muss demzufolge auf den Accom- modationszustand, wahrscheinlich auf Zunahme der Muskelresistenzen bei wachsendem Brechzustand, basirt werden. Die Zunahme der Muskelspannungen weckt den in dem afficirten Muskel sehlummernden Impuls zur normwidrigen Contraction. Wenn ich soeben sagte, dass die Erscheinung sich bei Verdeckung des schie- leaden Auges gleich bleibt, so muss ich dies in so welt beschr~inken, als unter der deckenden Hand auch in dem Bereich, wo ohnedem Einrichtung stattfindet, eine leichte Abweichung nach Seiten des afficirten Muskels hervortritt. Deren Grad steht jedoch durchaus in kei- nem Verh~iltnisse zu der fi'aglichen Schielablenkung und bezeichnet lediglich den unter dem obwaltenden Accommodationszustande herrschenden und, dutch Ex- clusion des Auges yon den Geboten des gemeinschaft- lichen Sehacts befreiten Contractionsgrad der Muskeln. - - Eine sehr eigenthfimliche Erseheinung bei dieser Gruppe yon F.:illen ist die, dass die Patientea, welche in der n~ichsten N~he schielen und fiir mittlere Entfernung gemeinschat'tlich mit beiden Augen sehen, wiederum beim Sehen ffir griissere Entfernung in Strabismus convergens verfallen; wenigstens pflegt es gewlihnlich so zu sein. Ich bin, trotz vielfacher Untersuchungen fiber diesen Punkt, zu keiner allgemein giiltigen Erkl~irung gelangt und scheint die Sache einen sehr verschiedenen Her- gang zu bezeichnen. In einigen, .jedoeh sehr seltenen Ffiilen musste der Zustand der Augenmuskeln .ienseits des natiirlichen Fernpuuktes zur Begrfindung angerufen werden. Es zeigte sich n~imlich, dass die Ablenkung ungef~,ihr jenseits des natiirlichen Fernpunktes eintrat und dass diese Grenze durch schwache Concavgl~iser bedeutend hiaauszuschieben war. Wer meine s erSrterte Annahme theilt, dass ,jenseits des natiirlichen

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Fernpunktes noch ein Bereich Fdr die Accommodation liegt, in welchem nicht der physiologische Accommo- dationsapparat, sondcrn extva-ordin~ire ~iussere Drucko kr~fte: n~imlich die Augenmuskeln, in Action treten, der wird es auch begreiflich finden, dassjenseits des natiir- lichen Fernpunktes krankhaf~e Contraetionsimpulse in den Augenmuskeln erwachen. Dieser Anschauungs- weise zufolge wiirden dann die schwaehen Concavgl~iser, der fraglichen Wirkung der Augenmuskeln substituirt, die Ablenkung verhindern. Wie erw~ihnt, gilt diese Erkl~irung nut fiir eine geringe Anzahl yon F~illen Sehr h~iufig sehen wit gerade Hyper-presbyopische un(i Presbyopische sich in dieser Gruppe befinden und auch bei den NormalsichtiEca und Kurzsiehtigen zeigt sieh keineswegs immer der angefiihrte Effect schwaeher Cnncavgl,iser. In gewissen F~illen ergab dann die weitere Analyse den Hergang der Myopie in distans, d. h. es trat jenseits des Fernpunktes eine den obwaltenden Postulaten gerade entgegenwirkende Tendenz im Ae- commodationsapparate auf. Alsdann erh~ilt das Schie- len Fdr die Entfcrnung genau dieselbe Erkl~irung, wie fins Schielen in dcr n~ichsten N~ihe, da in beiden F~illea ein relativ hoher Brechzustand eingeleitet wird. Den Nachweis Fdhrte ieh hier wieder durch Versuehe mit Gl~isern, wie bei der Myopia in distans. In der Mehr- zahl der F~ille war jedoch auch diese Erkl~irung nicht durchzuffihren; in so manchen zeigte sich~ dass die Ablenkung yon der mit abnehmenden Netzhautbildern sinkenden Herrschaft des Sehacts fiber die Augenmuskeln abhiingig sei und behufs derEntf'ernung yon Doppelbildern eine in den Muskeln nicht begrfindete Steigerung einging. Wurde dana ffir cliese griisseren Entt'ernungen das eine Auge bedeckt, so verringerte sich (ira Gegensatz zu den friiher erSrterten F~illen) die Ablenkung nachweisbar; ffir die mittleren Entfernungen (ira Bereieh der Einstellung)

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konnten selbst zuweilen noch schwache Prismen, mit der Basis nach innen vorgehalten, dutch lcichtes divergiren- des Schielen [iberwunden wcrden, wfihrend f'dr grSssere Enffernungen, jenseits der Einstellung, miissige Prismen, mit der Basis nach aussen vorgehahen, das Schielen verhinderten. Kurz, das Schielen Fdr die Entfernung hatte in diesen F~llen einen gaaz verschiedenen Grund, als das Schielen in der N/ihe. Flit dieses lag die Be, griindung in tier Accommodation, fiir jenes im Sehact. Der gesammte Hergang w~ire dana so zu s Fiir alle Distancen des Gesichtsobiects existirt, den natSrlichen Spannungstendenzen gemiiss, ein ger inger Grad yon pathologischer Convergenz; wird ein hoher Brechzustaad angenommen, sei es durch Anniiherung des Gesicctsobjects, oder dutch Vorhalten eines Concav- glases, so entsteht die krankhaite gesteigerte Contra- ction; Fdr mittleren oder niedrigen Accommodations- zustand und verh~iltnissm';issig grosse Netzhautbilder wird im Dienste des Einfachsehens den obwahenden Muskeltendenzen entgegengearbeitet; Fdr griissere Ent- fernung, bei abnehmender Griisse der Netzhautbilder, kann dies nicht mehr geschehen, es entstehen Doppel- bilder, welche wiederum dutch eine krankhafto Muskel- contraction yon einander entfernt werden.

Ich muss reich aui's Neue wegen dieser nosologi- schen Abschweifungen entschuldigen i es liegt in den erwllhnten Fiillen ein reicher aber noch sehr unvoll- kommen ersch~Jpfter Quell f'dr die Analyse. Die Ver- hllhnisse des gemeinsehaftlichen Sehacts, der Accom- modation und endlich der substantiell in den Muskeln begr[indeten spannungstendenzen sind so innig mit einander verschmolzen und laufen oft scheinbar so wirr durcheinander, d a s s e s sich zur Zeit noch mehr um

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eine klinische ErSrterung einzelner FilUe, als um eine generello Darlegung handeln kann.*)

*) Zu den beschriebenen drei Gruppen periodischen Schielens wliro each eine vierte hinzuzuffigen, welche jedoch hier weniger in Betracht tltllt, da die hingehSrigell Patienten nur selten Gegen- stand der operativen Beha~,dlung werden. Ich babe Iadividuen im Sinne, welehe Fdr elne bestimmte R i e h t u n g de s B l i c k e s die Seh- axen approximativ einstellen, Fdr die iibrigen Riehtungen aber, und zwar in verschiedenem Sinne je each weehselnder Stellung, sehielem Noch JSngst untersuehte ich eia seehsj~hriges Mlidehen, welches bei gradaus gerichtetem Bliek keine wesentUche Ablenkung darbot; sah sie nach links herfiber, so wieh da~ 1luke Auge zu sehr each links u n d e s entstand Strabismus divergens. Sah sie naeh rechts hernber, so wieh das linke Auge zu sehr each rechts u n d e s entstand Strabismus convergens. Blickte sie naeh oben, so schos~ die Sehaxe des linken Auges, obwohl nut sehr wenig, nach oben am Gesiehtsobjeet vorbei mid es entstand eine Spur yon Stra- bismus sursum vergens, beim Blick each unten war keine anaioge Ablenkung nachweisbar. Bei der Annliherung eines Gesichtsobjects in der Mitteliinie entstand ebenfalls Strabismus eonvergens, abet nicht viel hochgradiger, sis wenn dieseibe Richtung der linken Sehaxe dutch die Verrilekung eines entfernten Gesiehtsobjects naeh reehts yon der Mittellinia beansprueht ward. Im Uebrigen .waren die Phaenomene sowohi yon der Accommodation, sis yon dem Einfach- sehen vollkommen unabhiingig. Des Auge sehien sieh fiberhaupt nicht am gemeinsehaftlichen Sehact zu betheiligen, wenigstens gelang es nirgends, vor~ dem Kinde die Angabe vorhandener Doppelo bilder zu erlangen, und such ffir die SteUtmgen des Gesiehtsobjeets, in welchen keine Ablenkung aufflel, war die Einstellung der liuken Sehaxe nieht scharf, sondern wurde es erst beim Verschluss des rechten Auges. Ich besinne mieh noch zweier Rhnlicher F~lle, in welchen das Schielen each verschiedenem Sinne stattfand und in ganz constantem Verhiittnisse zur Sehaxen-Riehtung sich befand. F f r diese Symptomato/ogie kann ieh mir keine andere VorsteUung machen, als dass durch eine angeborene Anlage den betreffenden Au- genmuskeln ein grSsseres Verkfirzungsbestreben beigegeben sei, so dass dieselben auf die ihnen zukommenden Contraetionsimpulse mit st~.rkeren Verkl]rzungea reagiren, als die Muskeln des andern Auges. Ansatz der Muskela zu sehr nach yore, in Rhnlicher Weise, wie wir es dureh Vorlagerung erhalten, kSente dies bedingen. Ob eln soleher je in einer zukSmmUehen Weise beobaehtet wurde, ist mir unbekannt. Ansatz zu welt each hinten, und zwar um 1~ "~ bis 2 "~, habe ieh als Grund angeborenen Schielens mit verringerter

Archly fill. Ophthalmologie. Bd. IIL L ~ 9

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Wit wenden uns nun zur Frage, in wiefern und in welcher Weise die angeffihrten F~ille yon periodischem Schielen einer operativen Behandlung zu unterwerfen sind. Die Schwierigkeit der Heilung liegt hier im All- gemeinen in dem Vorhandensein zweier verschiedener Stellungen. Da die Muskelrficklagerung nur mecha- nisch wirkt, so muss sie ihren Einfluss gleichm~issig auf beide Stellungen ausfiben, und muss demnach, wenn sie die frfiher sehielende Stellung corrigirt, die friiher richtige Stellung pervertiren. Setzen wir z. B. den Fall, dass Jemand f'dr gr6ssere Entfernungen fixirt, i~dr ein 8" entferntes Object um 2%"' eonvergirend schielt, und fiihren wit bei diesem Kranken die Riick- lagerung des Internus so aus, wie es zur Correction der letzterwiihnten Stellung angezeigt w&ire, so stellt sich nothwendig flit die Enffernung Strabismus diver- gens ein. Dieses sehr nafiirliche Raisonnement hat viele Chirurgen yon der Operation des periodischen Schielens g/inzlich zurfickgeschreekt. Hierzu kommt allerdings, dass viele F~ille yon periodisehen Schielen durch andere Verfahren als dureh die Operation hell- bar sind, oder aueh spontan heilen, wie wir dies in den sp~itern Abhandlungen bespreehen werden. Ffir jetzt wollen wit yon anderen Heilwegen g~nzlich abstrahiren, an jene zahlreiche Kranken denken, bei denen ohne Operation kein Erfolg erzielt wird, und uns lediglich

Beweglichkeit in einam Fallo yon Vorlagerung nachzuweisen Gele- genheit gehabt. Im Uebrigen kaun ErhShung tier muskutaren Eigenschaflen, durch angeborene normwidrige Sirukturverhitltnisse, obenso gut als abnormo Lagenverh~fltnissa die Erklgrung abgo- ben. Diesos Schielen siellt ein umgokehrtes Bild dar, wie wit ea durch unvollkommeno Ltihmungen mehrerer oder aller AtJgenmns- keln, z. B. bei Orbitalkrankheiien, begrilndet finden. Hier bleibt dins beiroffeue Auge nach allen Riehhmgen bin zurfiek, in frag. lichen Fiillen schiesst dasselbe gewissermaassen nach alien Richtun- gen hin voraus.

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mit der Frage besch~iftigen, ob der erw~ihnte Uebelstand wirklich eine Contraindication gegen die Muskelr[irk- lage,ruug abgebe. Dass in demse,lbe,n ein wesentlicher Unterschled zwischen der Behandhmg des periodischen und des stabilen Schielens liegt, l~sst sich nicht ab- l~iugnen. Bei dem letztern waren die Stellungsverh~ilt- nisse mehr einheitlich und es konnte sich daher eine in den Muskelkr~iften angebrachte, Ver~nderung auch in derselben Weise giinsfig auf alle Stellungen beziehen.

Wir wolle,n sofort die` beiden Thatsachen n~iher ins Auge fassen, welche meines Erachtens, trotz der erho- bene,n Bedenken, das periodische Schielen s eine modificirte operative` Behandlung zugiingig machen:

t) Es existirt innerhalb des Bereichs, wo scharf'e Einrichtung vorhanden ist, gemeinschaftlicher Sehact; auch jeuseits desselben sind meist Doppelbilder vor- handen oder hervorzurufen. Hierin liegt, wie schon 5fters erw~ihnt, ein Mittel, die Stellung auch gegen die mechanisch muskularen Verh~iltnisse, zwar nicht in beliebiger Weise, aber bis zu einer gewissen Grenze, zu reguliren.

2) Es siad die Ste,llungen selbst, die wir vorfinden, nicht der Ausdruck der nat~irlichen Muskele,nergieen, sondern sie, sind yon die.sen le,tzte,re,n dutch die` Postu- late des Sehacts bereits entfrcmdet. Die natiirlichen Muskelenergieen fallen dementsprechead unseren ope- rativen Heilzwecken gegeniiber meist gfinstiger aus, als es den Anschein hat. Wit haben oben mehrfach erw/ihot, dass selbst im Bereiche der Einstellung, wenn wit das eine Auge mit der Hand verdecken, eine gewisse Ablenkung nach Seiten des afficirten Muskels eintritt. Dies macht yon vorn herein einen gewissen Grad yon Riicklagerung annehmbar, selbst s die Stelhmgen, wo Einrichtung stattfindet. Ich setze tblgenden Fall: beide Augen sind bis 21 eingerichtet,

t9"

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jenselts 2' schielt das linke Auge um 22/z ''' nach innen. Verdeeken wir ffr ein nahes Object (z. B. in t ' Ent- fernung) das linke Auge, so tritt unter der deckenden Hand bereits eine Ablenkung nach innen yon i ' " ein. Es werde nun dutch R[icklagerung des Internus eine Correction yon tl/~ " ' erziclt, so wfirde, dem entsprechend, das linke Auge jetzt unter der deckenden Hand f'fir t ' Entfernung ungeF~ihr um t / , , , naeh aussen, jenseits 2' ungePdhr um 1"' naeh innen vorbeischiessen. So wit aber frliher der Sehact die den Muskela natih'liche Convergenz yon 1'" (Fdr die N~ihe) im Dienste des Einfaehsehens corrigirte, so wird er jetzt die t / . , , Diver- genz in derselben Weise corrigiren, und kS wird f'dr das Bereich der Einstelhmg die Riieklagerung sehein- bar ohne Einfluss gcblieben scin. FSr grSssere Ent- fernungen existirt jetzt nur noch eine sehr schwache Convergenz oder, je nach der Herrschat~ des Sehactes, gar keine. Solhen hier etwa stSrende Doppelbilder vorhanden sein, so kSnnen dieselben jetzt mit miissigen oder schwaehen Prismen vet'einigt werden, und wir haben die Verh~iltnisse gegen friiher ausserordentlieh gebessert. Ja , es wird diese Besserung, wenn wir genauer untersuehen, noch umfangreicher ausfallen, als wir sic eben angegeben haben. Denn wenn der Mus- kel zuriiekgelagert wurde, so wird 5berhaupt der Unter- sehied der Stellungen geringer werden, als friiher, well der Muskel ohnm/iehtiger geworden ist. Wollen wir uns hiervon fiberzeugen~ so mfssen wit vor und naeh der Operation die Stellungen uater der deekenden Hand prSfen, um den Einfluss des gemeinsehaftliehen Sehaetes aufzuheben. Wenn frliher zum Beispiel f'tir gr/Jssero Entfernungen das Auge unter der deekenden Hand t '" , fdr nahe Obieete 3 ' " nach innen abwieh, so wird naeh geeigneter Rileklagerung des Internus das Auge fiir die ersten Bedingungen ~A'" naeh aussen,

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f'dr die letzten t " ' nach innen abweiehen; w~ihrend also friiher die Differenz der Stellungen 2 '1+ betrug, betr~gt sie .jetzt |l/a'a. Diese Thatsache kSnnte auf's Neue zu der irrigen Annahme ffihren, dass die Tenotomie die Ablenkungstendenz selbst gewissermaassen wie einen Muskelkrampf durch eia dyna,nisches Eingreifen in die Inervationsverh~hnisse beseitigt, und doeh sind diese Verh~Utnisse sieherlich ganz die friiheren geblieben; es tritt noch immer bei derselben Entt'ernung des Gesichts- objects und mit denselben Charakteren die Ablenkung ein, nut hat sie einen geringeren Grad, well der Mus- kel ohnm~ichtiger geworden ist und daher die friiheren Gontractionsimpulse eine weniger excursive Contraction bedingen. - - Weiter werden wir ein gilnstiges Moment f'fir die Operation darin finden, dass bei manchen Kranken die Ablenkung aus der Tendenz, Doppelbilder yon einander zu ents hervorging, weshalb unter der deckenden Hand deren Grad geringer ausf',illt. Endlieh haben wir zu erw~ihnen, dass die Nachbehand- lung uns hier oft reichhaltige Mittel zu Gebote stellt, wenn wir anders die begrfindenden Momente des Schielens f'dr dieselbe in richtiger Weise verwerthen.

Wit wollen nun dio Prinzipien der operativen Be- handlung f'fir die oben angef'fihrten Krankheitsgruppen noch etwas genauer durchgehen:

i) Kranke, welche beim gedankenlosenBlick keine auff~illige Ablenkung zeigen, wohl abet wenn sie fixiren. Es constituirt diese Gruppe nicht eben glinstige Flille f'dr die operative Behandlung, denn es walter bei d iesen Kranken kein gemeinschafflicher Sehact und doch fin- den sich alle Uebelst~inde des periodischen Sehielens. Wir werden deshalb bier iiusserst vorsichtig sein miissen. Hat z. B. Jemand beim gedankenlosen Bliek paralele Seh- axen und schielt bei der Fixation um t l /I ' ' ' - 2" ' nach

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innen, so wfirde eine Operation kaum angezeigt sein, denn es wiirde nothwendig, jede Verringerung der Con- vergenz bet der Fixation, sich als Divergenz aug den gedankenlosen Blick iibertragen. Kreuzen sich dagegen die Sehaxen beim gedankenlosen Bliek in 8" und tritt bet der Fixation Bin Sehielen naeh innen yon 2'"--2'/2'" ein, so kSnnen wir bereits ohne jedes Bedenken eine partielie Tenotomie odor allenfalls eine totale Tenotomie mit ~usserster Beschr~inkung des Effeetes machen. Es wird alsdann noch eine Spur yon Convergenz resp. Paralelismus der Sehaxen beim gedankenlosen Bliek erhalten sein und die Convergenz bet der Fixation wird bedeutend verringert sein resp. ihren entstellenden Ein- fluss vSllig verlieren. Uebung der Augen in der Fixation bildet hier eigentlieh die Haut)tsaehe , um die F~ille Fdr die Operation zug~ingig zu machen. Je mehr die Kranken andauernd die Fixation benutzen, desto stabiler wird aueh die Ablenkung und w i t kSnnen dutch eine riehtige Gebrauchsweise das intercurrente Schielen die- ser Art h~iufig in stabiles Sehielen umwandeln.

2) F~ille, wo jenseits einer bestimmten Enffernung 8 ~', t'~ 3' etc. convergenies Schielen eintritt.

a) Kurzsichtige, welche jenseits ihres Fernpunktes s c h i e l e n . - Sofern Coneavgl~ser hier die Ablenkung hin- tertreiben, scheint ein operativer Eingriff yon vorn heroin unniitz. Das permanente Tragen yon Coneav. gl~isern ist jedoeh nicht immer zul~issig; aueh leisten wit gerade diesen Patienten durch die Ten0iomie grosse Dienste, selbst f'dr die Stelhmgen, wo frii- her eine richtige Einstellung statffand. Wir werden n~mlieh eine behagliehere, ausdauernde Th~itigkeit der Augen und in vielen F~illen Bin besseres SehvermSgen auf den] operirten Auge erzielen. Um den Modus tier

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einzuschlagenden Operation zu bcstimmen, sind tblgezlde Grunds~itze bei der Untersuchung zu beobachten. Zu- n~iehst muss genau gepriift werden, wie sich im Bereich der Einstellung das schielende Aug'e unter der decken- den Hand verh~lt. Gew(ihnlich woicht es, wie wit oben erw~ihnten, auch hier schon sichtbar nach iunen ab. Es ist also die Einstelhmg gegen die natiirliche Muskelenergie foreirt und eine geeignete Ver~inderung der letzteren kann auch f'tir diese Stellung nut wohltil~fig infiuiren. Es zeigt sich dies noch auf eine andere Weise. Halten wit im Bereieh der Einstellung Prismen mit der Basis naeh aussen vor das schielende Auge, so kiinnen auf- fallend starke Prismen durch convergirendes Schielen iiberwunden werdenp w~ihrend selbst die schw~chsten Prismen mit de r Basis nach innen vorgehalten, gleich- namige Doppelbilder hervorrufen, welche nicht vereinigt werden k~innen, sondern sich unter Eintritt convergen- ten Schielens mehr und mehr yon einander entfernen. Der Kampf des Sehacts gegen die Muskelenergie ~iussert sich bei vielen dutch Schmerzhaftigkeit des Sehactes, ja selbst dutch Einleitung neuralgiseher Empfindungen in den Verzweigungen des ersten Trige- minusastes. Lassen wit solche Kranken durch ein schwaches Prisma mit der Basis nach aussen arbeiten, so fallen diese Beschwerden hinweg, well die schwach schielende Stellung den natiirlichen Muskelenergieen entspricht. Am vollkommensten erreichen wir diesen Effekt, wenn die fiir das Prisma compensirende Schiel- stelhmg gerade die.ienige ist, welche bei Exclusion die- ses Auges eintrat. ~ Aus derartigen Beobachtungen, welche in jedem einzelnen Fall zu specificiren sind, gelangen wit zu folgenden therapeutischen Schllissen: Unbedingt und Fdr alle F~ille zul~issig ist diejenige Riicklagerung, welche der bei Exclusion des schielen-

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den Auges (ira Einstellungsbereich) eintretenden Ab- weichung eatspricht. Diese Rfieklagerung wird die Eiastellung bis zur frfiherea Grenze in keiner Weise stSrea, sondern leiehter uad ffir den Sehact behaglicher maehen. Sind enorm starke Prismen dutch eonvergentes Sehielen ohne wesentliehe Anstrengung zu ~:berwinden, so darf die R[ieklagerung im Interesse des cosmetisehen Effects sogar noeh etwas umfangreieher eingeriehtet wet- den. Wit brauchen alsdann den Eintritt einer geHngen Divergenz nieht zu f'drehten, da dieselbe in analoger Weise, wie fr:lher die Prismen, dutch den Sehact betlerrseht wird. Man sei iedoeh immerhin mit diesem Excess yon Correction sehr vorsiehtig, um nieht dureh eine umgekehrte Foreirung der i~Iuskelenergieen dem Sehaet fi]r die Niihe an Behagen und Ausdauer zu nehmen. Man pri]fe also zuvor, wie lange und unter welehen Empfin- dungen der Sehact dureh Prismen unterhalten wird, welehe die interni m e h r f o r e i r e n , als es nach der be- absiehtigten Rfieklagerung zu erwarten steht. Will man sieh an das ersterwiihnte Quantum yon Correction hal- ten, was vielleieht am Beginn der Praxis rathsam sein mSehte, so sei man, hei Beherrsehung starker Prismen, ,~edenfalls mit der Wahl der Entferaung, welehe als Basis henutzt wlrd, nieht zu ilngstlieh. Wiihlt man zu gering6 Entfernungen, so wird in diesen F/illen eine zu unbedeutende Ablenkung unter der deekenden Hand zu Stande kommen. Man benutze je naeh dem Brech- zustand eine Entfernung yon 6 ~ - - 8 " - - | 6 ". Je mehr sich die Ablenkung bis in die /iusserste Ann~iherung erh~lt, desto dreister darf man sein. ~ Ffir die grlJsse- ren Entfernungen werden nun besagte Rfieklagerun- gen jedenfalls g[instig wirken. Die frfihere Abwei- ehung wird um das Quantum der eingeleiteten Corre- ction verringerL Aus Gr~nden, welche pag. 292 ange- r6hrt wurdeIl, wird diese Verbesserung sogar noch hSher

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anzusehlagen sein. Es wird i'erner dutch die Sehw~iehung des internus, und demgem~iss Erschwerung des Ab- weiehens nach innen, die gauze Nachbehandlung mit Concavgl~sern etc. wesenflich erleichtert, und wenn wir Doppelbilder gut benutzen kSnnen, so gelingt rs nicht selten, eine vollsfiindige Heilung herbeizuf'fihren. Der Effect wird im Allgemeinen um so vollkommener sein, ie grSsser die Ablenkung unter der deckenden Hand Fdr nahe Objecte ausfiel.

b) Unterschied der Brechkraft. - - Es handelt sich, ob fiberhaupt diese F~ille operativ anzugreifen sind, da doch die Ablenkung einen natilrlichen, im Dienste des Sehactes geschehenden, Hergang bezeichnet: Es ist yon vielen Seiten her, besonders yon R u e t e , nachgewiesen worden, dass Unterschiede der Brechkraft Sehielen nicht mit Nothwendigkeit herbeif'dhren. Ich selbst habe reich bemiiht, Fdr die colossalen Brechunterschiede, die nach ein- seitigec Cataractoperation stattfinden, zu beweisen, dass ein gemeinschaftlicher Sehact ohne wesendiche StSrung nicht selten eingeleitet wird. Auch in don fraglichen F~tllen yon periodischem Schielen ist das Vorhandensein der Ein- stellung his zu einer bestimmten Entfernung der beste Be- weis, dass eine Vereinigung der ung|eich scharfen BUder do~h mSglich ist. Erschweren wit dutch geeignete Riick- lagerung die Ablenkuag, welehe jenseits dieser Grenze eintritt, so wird nothwendig der Sehaet mehr angehalten sein, eine Vereinigung der Bilder nachzusuchen. Dass dies sieh wirklieh so verh~ilt, kSnnen wit aueh im Voraus dutch Versuche mit prismatisehen G1/isern erh~irten. Ieh setze den Fall, das linke Auge sei kurzsiehtig, das reehte norm alsichtig, beide Augen seien bis 10" eingeriehtet~ .jenseits dieser Entfernung trete eonvergen- tes Sehielen auf dana linken Auge ein, mit gleiehnami- gen D0ppelbildern. Ieh lege ffir eine Objeetdistanz yon 8 a ein Prisma yon t2 o mit der Basis naeh aussen

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vor das linke Auge, so entsteht unter diesem P,'isma ein m~issiger Grad convergirenden Schielens. Wird jetzt der Gegenstand entfernt, so tritt nicht in |0" wie friiher die Ablenkung ein, sondern erst wenn der Ge- genstand fiber i6" - -20" entfernt ist, und doeh ist der ursprlingiiche Grund der Erscheinungen vollkommen derselbe geblieben; es sind nach wie vet die ver- schieden deutlichen Bilder vorhanden, welche sich mit zunehmender Enffernung des Objects verkleinern etc. Offenbar liegt die Sache lediglich darin, (lass nach Vorhaltung des Prismas eine welt griissere Ablenkung nach innen nothwendig wtire, um genligend distante Doppelbilder zu erzielen, als dies friiher erforderlich war; eine solehe Zusammenziehung liegt nicht in der natiirlichen Energie des Muskels. Wenn wir diese Verh/iltnisse mit prismatischen Gl~isern recht genau studiren, s o kSnnen wir uns wieder fiber den unmittelbaren Effect der Tenotomie im Voraus eine treffende Anschauung bilden. Allerdings wer- den nicht alle derartigen F~ille gleichm~issig giinsfig f'dr die Operation sein. Wir werden Patienten finden, denen es bei Ueberschreiten einer gewissen Object- enffernung sehleehterdings unmSglich ist, die Netzhaut- eindr~icke zu verschmelzen, welche inamer lieber die Augenmuskeln forciren, um die genfigende Enffernung der Doppelbilder hervorzubringen, oder aucb sich mit nahe einanderstehenden Doppelbildern befreunden. In solchen F~illen wlirde die Tenotomie nur einen vorfiber- gehenden Einfluss haben, resp. die Ablenkung etwas verkleinern, ohne das Bereieh der Einstellung wesent- lich auszudehnen. - - Wenn ieh mir eine statistische Uebersicht ilber die sehr zahlreichen F~ille aus dieser Categorie maehe, die ich durch Tenotomie operirt, so muss ich doeh sagen, dass in der Regel die Endresul- rate fiber Erwarten giinstig ausgefallen, was besonders

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in dem besserea Eingreif'en der anderweitigen Kur-

methoden nach verfibter Tenotomie liegt. Es stelh sich

ntimlich ffir diese F~lle wie fiir die frfiheren heraus,

dass allmtihlig vine Ver~inderung tier mittleren Muskel- ltingen Platz greift, d e r n u r in dem Bereich der Ein-

stellung siegreich entgegengearbeitet wird, woven wit uns

wieder dureh eine Ablenkung unter tier deckenden Hand

i iberzeugen. ' ) Je grosse t diese Ablenkung ist, je dreister werden wir auch bier, den erSrierten Principien

zuf'olge, mit der Ri icklagerung sein. W i t werden fer-

ner auch bier die Sttirke der Prismen (mit der Basis

nach aussen) zu best immen haben, welche tier Kranke

im Bereich tier Einstellung 5berwindet, ohne gekreuzte

Doppelbilder wahrzunehmen. Nach ausgefibter Rfick-

lagerung, wenn die Harmonie zwisehen tier Augenstel-

lung und der nathrlichen Muskelenergie hergestellt ist,

werden wit Uebungen im Einfachsehen, allm~ilige Aus-

dehnung des Einstellungsbereichs du tch Ausgleichung

der Brechkraft etc. viel leichter und erFolgreicher

durchFdhren~ als ehe diese Harmonie eingeleitet ist~ we

*) Allerdings pflegt diese Ablenkung hier nicht so vxeur~iv zu sein, als in jenen FRIIen, well die Verschiedenheit der BUder doch den Drang nach Versehmelzung, den friiher erSrterten Verh~ltnissen gegenfiber, im Allgemeinen verringert. DemgemRss werdea auvh be- hufs der Einsteliung bedeutendeWiderst~nde in den Muskelenorgieen nieht iiberwunder, werden. -- Trotzdem sleht man zuweilen in diesen letzternn Beziehungen tmerwartete Ausg~.nge. Ich operlrta .jfingst einen Mann, der lange vine rechtsseitige Cataract gehabt hare und mit diesem Augs ziomlich stark divergent sehlelte. In den ersten Wochen nach der Operation traten gekreuzte Doppelbilder ein, schon naeh zwvi Monatea abet war vollkommea rich~ige Einstelhmg mit Einfaehsehen vorhanden, und ich fiberzeugto reich, dass beide Augen gemeinsehaftlicb beim Sehact fungirten. Hier war also trotz des colossalen Untorschiedes in dot Sch~rfo tier Bilder doch tier Drang nach Verschmelzung der Bilder so gross, um fiber die in langen Jahren ausgepr~gtB Ver~.nderun 6 der mittieren Muskell~ngen zu triumphiren,

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derlei Uebungen f'dr die Patienten unbehaglich und oft sehr angreifend sind.

c) Bei einseitiger Schwaehsichtigkeit mit Anomalien in den brechenden Medien etc. - - Die Grunds~itze der Operation bteiben hier im Wesentlichen dieselben. Man ortbrsche bei Verdeckung des afficirten Auges die Stel- lung, welche dasselbe den natiirlichen Muskelenergieen gem~iss annimmt; eben so dutch prismatische Gliiser alas Spannungsverm~igen, welches der anzugreifende Muskel ira Dienste des Einfachsehens besitzt.

d) Bei geringen Umersehieden in den mittleren Mus- kell~ingen. - - Derartige F~ille sind mit dem gewShnlichen stabilen Schielen sehrverwandt. Auch beim stabilen Schie- len kreuzen sich die Sehaxen f'dr ein stark angen~ihertes Gesichtsobject, wenn bei m~issigem Schielwinkel genfi- gende accomodative Bewegungen fehlen. Die fraglichen F~ille characterisiren sich lediglich dadurch, dass die Grenze der Einstellung welter liegt, dass innerhalb derselben ge- meinschaftlicher Sehact stattfindet, und class bei Ueber- schreitung derselben auf Grund eintretender Doppelbilder sine pliitzliche, wio krampfartige Verkiirzung in dem afficirten Muskel eintritt. Der weitere Verlauf der- selben pflegt auch der zu sein, dass die Distanz, in welcher die Ablenkung eintritt, mit zunehmender Ver~inderung der mittleren Muskell~ingen immer geringer wird, in derWeise, dass endlich kein wesentlicher Un- terschied gegen das stabile Schielen mehr existirt, Allein wir brauchen diese Periode fiir die Operation keineswegs abzuwarten, da diese F~ille yon Anfang an ziemlich g[instige Bedingungen liefern, ja es ist unend- lich vortheilhafter, sie friihzeitig bei noch lebendigem gemeinsehaftlichen Sehact anzugreifen. Was ebea die Verh~ilmisse gfinstig macht, ist hier einmal, dass im Bereiche der Einstellung unter der deckenden Hand allemal eine Ablenkung stattfindet, und zweitens, dass

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im Bereich des Sehielens unter der deckenden Hand die Ablenkung sich verringert, weil sie aus dem Kampf'e mit den Doppelbildern hervorging. Wenn wit uns wie- tier auf die Ablenkung unter der deekenden Hand im Bereich des Einfachsehcns griinden und deren Corre- ction bewerkstelligen, so wird das Verh~iltniss der mitt- leren Muskell~ingen vollkommen harmonisch mit der Stellung seia. Ffir grSssere Entfernungen werden dann die Bedingungen in den Muskeln so welt gebes- serf sein, class vielleicht im I)ienste des Einfaehsehens statt der frliheren Entfernung der Doppelbilber Ver- schmelzung eintritt. Jedenfalls wird jetzt die Ablenkung erst in welt grSsserer Entfernung eintreten, da das Hin- derniss Fdr die Einstellung vcrringert ist.

Tritt keine vollst&indige Ausgleichung ein, so haben wit dutch die Verringerung der Ablenkung, dutch die VergrSsserung des Abstandes, in welchem sic eintritt, Fdr die Uebungen im Einfachschen mit oder ohne prismatische Gl~iser ein viel leichteres Spiel gewonnen. Beherrscheu die Augen sehr starke Prismen mit der Basis nach aussen, so dar~' noch eher als in den fril- heren Gruppen yon F~illen ein die angegebene Abmes- sung etwas excedirender Effect erzielt werden. Denn da hier der Sehact vollkommen normal�9 und bereits bedeutende Widerst~inde der mittleren Muskell~ingen iiberwindet, so kSnnen wit ohne Bedenken auf dessen Eiafluss in u11serem Sinne rechnen.

3) Fiille, in denen die Ablenkung bei der Annahme eines hohen Brechzustandes stattfindet. - - Es bieten diese F~ille deshalb grosse Sehwierigkeiten, weil zwi- schen den beiden Stellungen ein sehr umfangrei- cher Unterschied staitfindet. Es kommen derlei Ab- lenkungen vor, welche 3 '" und mehr betragen, w~ih- rend schon jenseits 1' Entfernung eine riehtige Stel-

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lung eintritt. Glficklicherweise ffir die Schieloperation ist auch hier die richtige Einstellung nicht als der Ausdruck der naifirlichen Muskelenergieen zu betrachten. Wenn wit das eine Auge bedecken, so weieht es, frei- lich in sehr verschiedenem Maasse, nach i,men ab. Es ist ferner gfinstig, dass auch ffir grosse Entfernungen, wie pag. 286 und 287 besprochen, sieh die Ablenkung einsteIlt; ferner dass dieselbe zu einer constanten wird, wenn die Kranken dutch Concavgl~iser sehen. *)

Im Allgemeinen lehrt uns die Erfahrung, dass man in diesen F~illen dreister mit der Tenotomie sein kann, als es yon vora herein r~ithlich zu sein scheint. Wir haben bei Er~rterung der Heilungsperioden (IV.) auseinandergesetzt, dass diejenigen Stellungen, welche bei der Accomodation in die N~ihe stattfiaden, stets eine gewisse-Tendenz haben, sich zu verbreiten. Dieses ist gerade auf die hier in Rede stchenden Fiille anwend- bar. Ieh verfahre gew~hnlich zur Abmessung in fol- gender Weise. Zuerst sch~tze ich die Ablenkung, die f'dr das Bereich der Einstellnng unter der deckenden Hand stattfindet; alsdann sch~itze ich die ~iusserste pathologische Convergenz, die bei der Accomodation in der N~ihe eintritt. Die Correction der ersteren ('gerin- gen) Ablenkung flillt ungenfigend aus, die der letzteren (grSsseren) Ablenkung f~illt excedirend aus. Wenn ich yon beiden die Differenz rechne, und, .ie nach den n~iheren Umst~indea, ein Drittheil, resp. die H~ilfte die- set Di~erenz zu der ersleren (geringen) Ablenkung summire, so erhalte ich eine richfige Best]mmung f'fir die Correction. Ieh lege ein Drittheil der Diffcrenz in Rechnung, wenn die Ablenkung s were Entfer- nungen in geringem Grade oder erst bei sehr grossen

*) Freilich darf letzteres nicht rficksichtslos geschehen, weft wir dadnrch leicht eine allm~lige Zunahme des Brechzustandes und Chorioida142ongestionen hervorrufen.

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O[;jcctabstfndcn hervortritt, wenn ferner nur miissig starke Prismen (mit tier Basis nach aussen angelegt) innerhalb des Bereichs der Einstelhmg beherrscht wet- den.*) Ich lege dagegen die H~ilfte in Rechnung, wenn das Schielen schon wieder in Abst~nden yon 2'--4', und in hSherem Grade, hervortritt, so dass das ganze Be- reich der Einstellung nicht umfangreich ausF~illt, wenn ferner innerhalb des letzteren sehr starke Prismen fiber- wunden werden. Es versteht sich yon selbst, dass die Correction hier wie iiberall den gewShnlichen Normen gem~iss auf ein Auge zu beschr~inken oder auf beide zu vertheilen ist. - - Eta Beispiel m/ige die Verh~iltnisse versinnlichen. Zwischen 1' und 3' set Einstellung vor- handen; diesseits i', z.B. in 8", schiele das linke Auge u m 3" ' nach innen, jenseits 3' set wiederum eine Ah- lenkung yon 2'"--21/ j ' ' ' vorhanden. Verdeckt man das linke Auge Fdr ein Obieet yon 2' Abstand, so trete unter der Hand clue Ablenkung you i ' " ein. Alsdann ist das Princip der Riicldagerung Folgendes: Zun~iehst ist die letzterw~ihnte | ' " unbedingt Fdr die Corre- ction zu benutzen. Wfirden wir uns hierauf beschr~in- ken, so st~inde dann ianerhalb des friiheren Bereichs der Einstelhmg das Auge nach wie vor in der Fixation, jetzt abet auch unter der deckenden Hand, d. h. in Harmonie mit den natiirlichen Muskelspannungen. Es wiirden ferner die Ablenkungen nacll innen, sowohl diesseits als jenseits, nieht blos um l ' " , sondern

*) Prismen~ welche eta Schielen yon demselben Grade hervor- rufen, als ea bet Exclusion des Auges eintritt, mSssen wit bier als o h n m i i c h t i g e Prismen bezeichnen, da unter denselben noch nlcht die geringste Forcirung der Augenmuskeln ein?:ritt. S e h w a c h e Prismen nenne ich noah solche, unter denen das Schielen jene hh- lenkung �89 iibertrifft, m~iss ige Prismen solche, bet denen dieser Unterschied ungeff~hr 1% s t a r k e Prismen, bei denen derselbe | ~ " und darfiber betr~gt. Ein Prisma b e h e r r s c h e n , heisst nicht f'fir den Augcnblick, sondern andauernd und ohne Beschwerde dureh dasselbe einfachsehen.

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etwas mehr verringert seia, well 3a die Fdr diese Ab- st~inde eintretende Muskel- Contraction wegen der Schw/ichung des Muske]s nothwendig an Energio ver- loren hat. Dennoch wfirde besonders in der N~ihe eine ziemlich auff/illige Ablenkung erhalten sein und gehen wir deshalb mit dem Quantum der Correction welter. Wit rechnen die Differenz der ~iussersten Ablenkung (3'") und der Ablenkung des excludirten Auges, im Bereich der Einstellung (t"'), legen yon dieser Differenz, also yon 2'", ein Drittheil resp. die H~ilfte zu jener 1'" hi,lzu und richten demnach die Correction auf" t2/s ' ' ' ~ 2"' ein. Da in dem supponirten Beispiel das Schielen schon wieder jenseits 3' eiatritt uad in ziemlich hohem Grade ( 2 ' " - - 2 % ' " ) , so sind wir mehr {'fir den hSheren Werth der Correction, d. h. f'dr 2'", als Fdr den niede- ten Werth, d. h. tz/s ''', gestimmt. Es muss nun zuge= sehen werden, wie starke Prismen bei 2' Abstand be- herrscht werden k/3nnen. Kana unter Prlsmen ein konvergirendes Schielen yon 2'Is '~' unterhahen werden, so nehmen wit ohne Schwanken den h~3heren Werth f'fir die Correction, kann dagegea nur eine Convergenz yon Isis ''' unterhahen werden, so wSrde ich reich trotz obiger Umst~inde Ffir eine Correction yon ts/s ''~ ent- scheiden. Nach erreichter Correction wird Folgendes das Resultat sein: In dem Bereich der frSheren Ein- stellung wfrde das Auge ]etzt sis"' oder I'" divergent stehen, wenn es den natfirlichen Muskelenergieen folgte. So gut abet als frfiher die 1'" zuk~mmliche Conver- genz dutch den Sehact ausgeglichen ward, und so gut als andererseits fri~her unter Prismen ein conver- girendes Schielen yon t % ' " resp. 2 % ' " unterhalten werden konnte, wird jetzt die Divergenz yon z/s"' resp. t ' " durch den Sehact ausgeglichen Werden. Wir brau- chen uns nicht, wie es in den friiheren Kategorieen yon Kranken der Fall war, davor zu f~r,'hten, dass der

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aufgehobene Consensus zwischen der Stellung und den natiirlichen Muskelenergieen sich in der Ausdauer des Sehacts irgend wie nachtheil)g iiussern werde, denn es handelt sieh hier nicht um eine excedirende Wirkung bei der Accommodation in die N~ihe, fiir welche jeden- falls der Effect noch unvollkommen corrigirend bleibt. Die Convergenz fiir die Enffernung wird, nach einge- leiteter Correction, auf circa 1/.,,,~ reducirt sein, mithin ausser Betrachr iallen, die Convergenz flit die nfichste N~ihe wird noch circa i '" betragen, demnach auch kei- nen wesentlich stSrendcn Einfluss mehr fibeS. Es kSnnte eingeworfen werden, dass nun bei Verringerung tier Excenu'ieit~it gleiehnamige Doppelbilder in nach- theiliger Weise aut'tauchen. Die Eri'ahrung widerlegt dies zur Genfige; gerade bei diesen Formen habe ich einen st~irenden Einfluss yon Doppelbildern niemals beob- achtet; wenn solche auftraten: war es beinahe stets v or- iibergehend, so dass die Hiilfe der Prismen nicht nachzu- suchen war. - - Ich wiederhole, dass man sieh bei Be: folgung der angegebenen Regeln vor einem excessiven Effect wenig zu ~irchten habe; selbst wenn Anfangs in dem Bereich des s Eint'aehsehens sich leichte Divergenz einstellte, so gleieht sich dieselbe aus, so wie die Accommodation in die N~ihe wieder mehr beansprueht wird oder so wie wit Uebungen dureh Concavgl/iser machen lassen. Wir k~innen dann sehr Ieicht den h(ihern Brechzustand als Convergenz ~eF6rderndes Mittel bcnutzen. Ueberhaupt sind Fdr die Ausgleichung kleiner Unregelm~issigkeiten in der Stel- lung durch den Sehact mittlere Absi~inde in mancher Beziehung am giinsfigsten, well hier die Muskelresisten- zen bereits ziemlich schwach und doeh die Netzhaut- bilder noeh gross genug sind.

Eine vollkommene Heilung der hier in Rede ste- henden F~ille, so dass f'fir alle Enffernung eine richtige

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_Fixation eintritt, l~sst sich nur iiusserst se|ten erreichen, und wir dih.fen ni~,rnals auf eine solt.he reehnen; wig werden auch nach der gelungensten Behandlung~ wenn wir genau untersuchen, in dcr Regel nachweisen kiinnen, dass beim Lesen das eine Auge durch eintretende Con- vergenz excludirt wird. W~iren lebhaft hervortretende Doppeibilder vorhanden, so wiirden wir dureh deren Benutzung wahrscheirilich vollkommenere Resultate er- zielen, aber es liegt gerade eine Eigenthiimlichkeit die- ser Patienten darin, dass sic sich im Bereiche des Schielens der gesonderten Th~itigkeit der Augen racist wenig bewusst werden, wie wir dies bereits oben ange- deutet haben, selbst wenn die Excentricitiit des Bildes dureh ~orangeschickte Riicklagert~ng oder durch Prismen bedeutend verringert wird. Auch in dem Augenblicke, wo das Auge yon der Fixation in die schielende Stellung fibergeht, geben nor Wea ige ' ) das Auftauchen yon Doppelbildern an; und doch existirt im Bcreiche der friiheren Einsteilung sicher ein gemeinsehaRlicher Sehact, denn die Fixation ist vollkommen scharf und stellt sich als solche immcr sofort wieder her, wenn die bedeckende Hand hinweggenommen wird. Selbst hierbei sind sieh nicht nile Kranken der Diplopie bewusst, welche noth- wendig den Hergang leiten muss. Sic werden es erst, wenn man dureh violette Gl~ser die Biider differencirt. Nor bei Vorlegung yon Prismen mit der Basis naeh unten oder nach oben oder aueh in schiefer Richtung geben sic ira ganzen Bereiche der Einstellung die I)op pelbilder an.

Es bediirfen die Kranken aus dieser Categoric nach ausgeFfihrter Correction einer l~ingern Beobachtung, als die moisten fibrigen Schieloperirten, und zwar

'*} Es sind diese Wenigen, die pag. 28"/ (untfin) Erwiihaten, bei welchen die Doppelsehen die Steigertmg der Ablonkung f'dr dio Eat- fernung bedingt.

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deshalb, well der ursprfingliehe Effect sich wieder ver- ringc~rt, so wie die Accomodatioa ffJr die Nahe be- ansprucht wird. Ich babe fi'iiher nicht selten unerwar- tete Riiekf~ille gesehen, obwohl drei, vice Wochen nach der Operatiorl die Ausgleichung ganz nach Wunseh erreicht war. Erst seitdem ich die oben angeffibrten Regeln ohne Furcht vor einer excedirenden Wirkung befolgt, sind die Rfiekfalle welt selteaer und in welt geringerem Grade eingetreten.

Im Uebrigen gehen diese F~ille, wie alle Falle yon periodischem Schielen, h~iuflg in stabiles Schie- len fiber, sic behahen dann aus der frfiheren Krank- heitsphase noch das Criterium, dass die Ablenkung bei hobem Accomodations-Zustaade bedeutend zu- nimrat, ferner, dass sic auch fiir weite Objectabst~inde unverb~iltnissrnassig mehr hervortritt, als f'fir mittlere Objectabst~iude. Es wird hierdurch natfirlich das therapeu- tische Problem wesentlich erleiehtert sein, nut dfirf'en wir nicht vergessea, dass uns alsdann die Hfils des gemeinschaftlichen Sehactes fchlt und dass wir also unsere Heilideen lediglieh auf die Ausgleiebung der Muskelspannungen zu basiren haben. Es kann sieh ereignen, dass dieser letzterw~ihnte Verlust fiir die Be- handlung mehr in die Wagschaale f/illt~ als der Ge- winn, den wir aus der Verbreitung der Ablenkung in die mittleren Objectabst~inde ziehen; wenn z. B. zwischen l ' und 3' eine Ableakung yon 1'", diesseits t ' eine Ab- lenkung yon 3'", jenseits 3' yon 2'"--2'/.,'" existirt und hierbei der gemeiaschaftliche Sehact aufgehoben ist, so rnfissen wit die Verh~ihnisse ffir ungfinstiger halten, als in jenem pag. 303 beispielsweise citirten Fall, in wel- chem zwischen t ' und 3' Einstellung und ausserhalb dieser Granzen genau die ebenerw';ihntcn Ablenkungen stattllnden, detm obwohl der scheinbare Uaterschied zwi- schen den Stelhmgen dort grtissev war, so war dies eben

20"

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nur ein seheinbarer Untersehied, weleher sieh sofort um t" ' verringerte, so wie wit das Auge yore gomein- sehaftlichen Set,acre ausschlossen. Wit batten also in den Muskelspannungen Fdr beide erw/ihnten F~lle die- selben Verh/iltnisse, fiir jenen Fall ausserdem die Vor- theile des gemeinschaf'tlich~'n Seimetes, durch welche eine irn Sinne der l leilung eingerichtete sc.hf'inbar excedirende Wirkung zul';issig" wurde. G~Jnstigor wer- den natSrlich die V,.rh/i',tnisse, wenn bei dem Ueber- gange ins stabile Schielen, wie es zu gesehehen pftegt, die Ablenkung auch f~ir mittlere Abst~inde m~'hr und mehr zunimmt. In dec R~,gel tritt dann die hoehg~'adige Ablenkung allm.:ihligbei gerb,gerem irnd noch g'eringerem Brechzu~tande ein und es fallen endlich alle Unterschiede zwisehen dem typisch eoneomitirenden Sehielen weg.

VIII.

Wiihrend wit uns in dem letzten Abschnitte bei- nahe ausschliesslich mit convergirendem Schielen be- sch~fiigten, wenden wit" uns jetzt zu einer Gruppe yon F'~llen, bei denen unter bestimmten Bedingungen im Sehacte eine pathologisehe Divergenz eintritt. Ich kSnnte diese F~ille als intercurrentes oder periodisehes diver- girendes Schielen bezeichnen, ziehe kS aber vor, die- selben unter dem Namen yon I n s u f f i e i e n z e n de r i n n e r e n g r a d e n A u g e n m u s k e l n zusammenzufas- sen, weil ieh hiermit zugleieh auf den Ursprung des Uebels hindeute.

Die Zusammenwirkung der Reeti interni bei der Aeeomodation in dig N~ihe ist aueh unter physiologi- sehen Verh~ltnissen bei verschiedenen Individuen eine ausserordentlich versehiedene. Es giebt Leute, welehe ein 2"~3" entferntes Gesiehtsobject re.it beiden Augen

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ziemlich ausdauernd fixiren k0nnen, wenn wir durch die gecigneten Convexgl'~ser deuselben ein scharf'es Erkennen des Obiectes vermitteln, es giebt andere, eben- falls normalfimctionireade Augen, wclche zu einer sol- chen Fixation selbst in 6"--7" Entfernut~g nicht mehr f'ah]g sind; es tritt l~]r so kleiae Abst~inde sehr bald eine l~istige, spannende Empfindung in den Augen au~ die sich bei forcirter FtJrtsctzung des Versuchs zu lebhaften Schmer- zen in den Verzweigungea des oberen Trigeminusastes steigert; mh dieser Nervenerregtmg verbindet sich Hy- persecrction yon Thr~nenflfissigkeit u n d e s muss end- lich dcr Sehact unterbrochen werden. Kurzsichtige brauchen ihres Accomodationszustandes wegen eine hShere Convergenz der Sehaxcn, brauchen deshalb auch eine kr~fiigere Zusammeawirkung der Recti interni. Es geh0rt eine solche daher zu einer relativ nor- malen Kurzsichtigkeit; sie spricht sich bereits in dem engeren Mesoropter der Kurzsichtigen aus, welcher ohne gcnaue Untersuchung zuweilen die Vermuthung eines leichten convergirenden Schielens erregL Wir mfisscn es als einea pathologischen Zustand ansehen~ wenn diese Stcigerung in dem SpannungsvermSgen der innern Augenmuskeln nicht in harmonischer Entwicke- lung mit tier Zunahme des Brechzustandcs bleibt. Kurz- sichtige, bei denen dies nicht stattfiadet, wcrden sich unter denselbenVerh~ilmissen befinden, wie die oben angetT]hrten Individuen, dcnen man nach Ausr0stung mit Convexgl~sern Ob.iectc in einer ungew6hnlichen N/~he vorh/ilt. Sic werden den Sehact unterbrechen mfssen, um ihre ianeren Au- genmuskeln zu ruben, oder werden das eine Auge yore Sehacte excludiren, indem sic es mit der Hand ver- decken., oder indem sie es durch eine willkfirliche Con- traction des Rectus externus in eine divergirende Lage bringen. Wit haben diese Verh~iltnisse schon frfiher in der Kfirze als Ursache einer bestimmten Form yon

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Gesichtsermlidung erwiihnt (s.A.f.O. Bd.II. t. S.t74. Anm.). Riistet mat, die Kranken mit schwacben Concavgl/isern aus, so sind sie bcf'~ihigt, die Gegenst~inde weiter zu halten und brauchen somit beim gemeinscha/'tlichen Sehact einen gerit~geren Verkiirzungsgrad der inneren Augenmuskeln; hiermit h~iren auch ihre Beschwerden auf. Ebenso hiiren die Beschwerden auf, wenn man fiir den friiheren geringeren Abstand des Gesiehtsob- jectes ein Auge ode," beide Augen mit einem Prisma ausriistet, dessert Basis nach innen liegt; es wird dann, behufs der gemeinsehaftlichen Fixation, ein geringerer Grad yon Sehaxenconvergenz erf'ordert. Dieselbe St(i- rung, welehe bei Myopischen dutch einen unbeutenden Grad yon Spannungsverringerung in den Reeti interni hervorgebracht wird, sehen wir bei Individuen mit nor- maler Breehkraft eintreten, wenn diese Spannnngsver- ringerung einen h~iheren Grad erreicht hat. Es wird dann aueh in den iiblichen Sehweiten von 8", t0", t2" eirl ~ihnliches Dilemma stattflnden, als dort in geringeren Ab- stlinden. In der Regel wird, naehdem der Sehact eine Weile gedauert hat, das eine Auge nach aussen fliehen, wobei sich bald perpetuirlich, bald periodisch auftau- chend, gekreuzte Doppelbihter zeigen. Dieses Abwei- chert naeh aussen hebt iibrigens die Beschwerden des Kranken nicht, denn abgesehen davon, dass er der Zu- sammenwirkung beider Augen beraubt ist, so entspricht die Verk0rzung des externus nieht dem natiirlichen Spannungsgrade, sondern sic ist eine, im Dienste der Diplopie zu einem ~4dernatiirlichen Excesse gesteigerte; ferner wirken gekreuzte Doppelbilder selbst in grossen Abstfinden immer noch st/irend. Die meisten Patienten f'dhlen sehr deutlich den ganzen Vorgang und geben die Erleichterung an, welehe ihnen aus dem Schliessen oder der Bedeckung des zweiten Auges hervorgeht. Sehr bald pfiegt die Spannungsverringerung der inne-

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ren Augenmuskeln sich dadurch zu ~iussern, dass auch in gri}sseren Entfernungen das eine Auge, wenn es verdeckt wird, nach aussen abweicht. Freilich hGrt auch unter physiologischen Verh//Itnissen die scharfe Fixation auf, so wie ein Auge vom Sehact exculdirt wird; die Abweb:hungen yon der fixirenden Stellung sind hierjedoch ausserordentlich gering, so dass es, ab- gesehen yon den Doppelbildern (helm Hinwegziehen der Hand), oft schwer f~illt, deren Richtung genau zu bestim- men ; ausserdem existirt Fdr diese Abweicbungen nicht eine constante Richtung, sondern sie wechseln nach der Lage des Gesichlsobjectes und besonders naeh dem Aceomo- dationszustande; wenn ein, im Verh~iltnisse zur Sehaxen- richtung hochgradiger Accomodationszustand angenom- men wird, so pfiegt auch das excludirte Auge etwas nach innen abzuweichen und umgekehrt. Am wenigsten aberrirend bei der Exclusion ist im Normalzustande die Einstelltmg, wenn ein Gegenstand genau in der Mitten linie angen~ihert wird, well Ffir diese Bedingungen der Goasensus zwischen Muskelverk0rzung und Aceomoda- tionszustand am meisten festgestellt ist. Bei unseren Kran- ken nun sehen wit entgegengesetzt zu diesen pbysiolo- gischen Verh~iltnissen unter allen Bedingungen eine Abweichung naeh aussen sieh bei der Exclusion ein- stellen, deren Grad allerdings dem Ursprunge des Uebels zufolge sich bei Ann~iherung des Gesiehtsobjee- tes propressiv vermehrt. In diesem Staditlm ist also den Muskeltendenzen zufolge bereits ein geringer Strabismus divergens dutch das ganze Gesichtsfeld verbreitet, die Kranken k~nnen abet denselben da, wo geringe Verkfirzungen der interni beansprucht wer- den, oder aueh wo hochgradigere Verkfirzungen bei schwacher Muskelresistenz (zum Beispiel seitlichem Blick bei einer Accomodation for entf'ernte Gegenst/inde) be- ansprucht werden, im Dienste des Einfachsehens unter-

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drficken. Ist unter der deckenden Hand das eine Auge nach aussen gewichen und wird null die deckende Hand hinweggezogen, so richter sich auch augenblicklich das afficirte Auge wieder ein, wobei die Kranken in der Regel das Zusammcntreten gekreuzterDoppelbilder be- merken. Im Uebrigen tauchen auch ohnc Verdeckung des Auges bei u derlei Doppclbilder periodisch auf. Wenn die Patienten z. 13. ihren Blick yon einem Gegenstande einem andern zuwenden, so vergeht eine gewisse Zeit, his die Fixation fi~r diesen zweiten Ge- genstand regulirt ist, es erscheint dana derselbe eine kurze Zeit doppelt, ebenso w~ihrend der Bewegung des Auges die zwischea beiden Fixirpunkten liegenden Ge- genst~nde, f'fir welche keine genaue Fixation eingeleitet und demgem~iss mehr die Stellung den natfrliehen Muskeltendenzen iJberlassen wurde. Pr'~gt sich die Spannungsv'erringerung in den inneren Augenmuskeln noch mehr aus, so wird die Einstellung der Sehaxen auch ffir entferntere Objeete mfihsam und his auf einen gewissen Punkt schmerzhas es vergeht ein l~ingerer Zeitabsehnitt, bis die Doppelbilder vereinigt sind, die Vereinigung selbst kann oR nicht lange unterhalten werden, die Patienten empfinden es, wie das Auge sich naeh aussen zieht und verdecken es meist mit der Hand. Sind sie einmal wirklich zur Fixation. gelangt, so fSrchten sio dieselbe zu verlassen, gewShnen sich deshalb~ mehr constante Richtungen Fdr die Fixation einzuha]ten, wodurch ihr Blick, wie sic es selbst f'tihlen, etwas Steifes, Unbewegliches erh~ilt. Beim gedanken- Iosen Blick pr~gt sich dann allemal schon ein sichtbarer Strabismus divergens aus. Ffir sehr weite Ob.ieete wird es aueh bald unmSglich, den Strabismus diver- gens zu unterdr~icken, weil t~ir solche, wie wit 5fters erw~hnten, die HerrschaR fiber die Doppelbilder fiber- haupt eine geringere ist.

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Je mehr die Aceomodation in die N~ihe beansprucht wird, ie mehr wird aueh das Uebcrgewicht des exter- nus gcn~ihrt und h~ufig zuletzt ein gleichm/issiges divergirendes Sehielcn erzeugt. Trotz der geringen Ver~inderungcn, die hier ursprfinglich in den Muskeln vorliegen, kann doch der Grad der Ablenkung all- m~ilig reeht betr~ichtlieh werden, well eben die Con- traction der externi zur Eatfernung der sehr stGren- den gekreuzten Doppelbilder mehr und mehr gesteigert wird.

Dass in diesen letzten Stadien die fraglicho Affe- ction der operativen Heilung, durch Rficklagerung des Rectus externus auf dem afficirten Auge, unterworfen werden k~3nne, gcht wohl deutlich aus der Symptoma- tologie hervor, aber auch in den ersten Stadicn, so lange die Ablenkung nut bei dcr Accomodation in die N/ihe stattfindet, besitzen wir in der richtig modificirten Ri]cklagerung ein ffir den Gebrauch der Augen sehr kostbares Heilmittel. Wit haben schon bei eincr frfi- heren Gclegenheit (A. f.O. Bd.II. t. S. 174. Anm.) crw~ihnt, dass f'dr die aus Insufficienz der interni hervorgehende Gesichtsermiidung auch andere Wcge, als der opera- tive, der Therapie often stehen. Obwohl wir zur Zeit das VerL/ihniss dieser verschiedenen Heilmethoden zu einander und die Wa~ll der Indicationen genau bespre- chen werden, so seien mir doch hier (in Anschluss an das 1. e. Gesagte) fiber diesen Punkt einige vorl~iufige Bemerkungen erlaubt.

Zun/ichst mi]ssen wit dieienigen Mittel, welche die Beschwerden der Paticntea vorl~iufig beschwichtigen, yon den eigentlichen Heilmitteln unterscheiden. Zu den ersteren gchGrt z. B. die Verordnung schwachcr (und leichtgebl~utcr) Coneavgl~ser, im Falle das Augenfibel sich bei Kurzsichtigcn vorfindct. Die Postulate an die

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inneren Augenmuskeln werden bei Benutzung soh:her Gliiser geringer, aber der eigentlich s~chlichc Ucbel- stand wird eher grSsser, als kleiuer. Es werden die Mtlskeln yon der ihnen zukSmmliehen Contraction ge- wissermaassen entw6hnt, w~ihrend doch die Kurzsieh- tigkeit der Augen dutch das permanente Tragen solcher G1Rser bei der Arbeit meist etwas gesteigert wird. Nut in gewissen Fiillen kSnnen wit solchen Verordnungen eiae gfinstigere Deutung geben, dana n:amlich, wenn die Insufficienz der innern Augenmuskeln dutch eine vorangegangene Uebermiidtlng enlstanden ist. Alsdann wird das Halten der Ob.jecte in grSsserer Entfernung den iibermfideten Mtlskeln gewissermaassen Ruhe ver- gSnnen, und es werden dieselben hierdurch sich yon ihrer Ermiidung erholen kSnnen. Man muss folgerecht nach einem gewissen Zeitraume dann die Concavgl~iser schw~icher und schw~icher w~hlen, um die Muskeln nach stattgefundener Erholung wieder methodisehen Uebun- gen zu unterziehen. Scheinbar ist dies ein ganz iihn- licher Weg der Behandlung, wie wit ihn bei Ermfidung des Accomodationsapparates einschlagen, wo wir erst dutch die geeigneten CoavexglRser Ruhe des Aceomo- dationsapparates, sprier durch die Wahl schwiicherer und schw~cherer ConvexglRser eine methodische Uebung desselben Apparates erstreben. Trotz der unteugbaren Analogie d[eser beiden Behandlungsweisen ist doch die Anwendung schwacher Concavgl~ser bei Muskelinsuf- ficienz yon viel untergeordneterem Werthe. Erstens entsteht das Uebel weir seltener als Accomodations- schwiiche dutch Uebermfidung, sondern es ist meist yon Anfang an ein gewisses Uebergewicht der externi aus- gepriigt; ferner ist die Verkleinerung der Netzhautbilder, bei zunehmenden Objectabstiinden~ fiir die Regulation der Muskelfunctionen hSchst ungfinstig. Es handelt sich hier grade um Verschmelzung yon Doplaelbfldern ,

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die den natfirlichen Muskeltendenzen nach entstehen wfirden, es kommt also auf die GrSsse der Netzhaut- bildcr wesentlich an. Endlich liegt eine grosse Gefahr darin, dass die Patienten (urn mSglichst grosse Netz- hautbilder zu haben) bei fortgesetzter Arbeit die Ob.jecte zu sehr ann~ihern und so ihren Aceomodationsztlstand forciren, wodurch gerade der s Gegensatz zwi- schen Brechzustand und Energie der inneren Augen- muskeln, gegen welehen wit ank~impt'en, mehr und mehr gesteigert wird. In summa hat mir die Erfahrung zur Genilge gelehrt, dass man auf dem genannten Weg• nur selten eine wirkliche Besserung erh~lt, welche sich durch nachweisbare Zunahme in dem Contractionsver- mSgen der inteni und grSssere Ausdauer des Sehacts ohne Concavgl~iser bekunden muss.

Ein etwas besseres Mittel, aber immer noch kein eigentliches Heilmittel, liegt in der Anwendung prisma- tischer Gl~iser, mit der Basis nach ~nnen, welche wit den Patienten ffir die Arbeit in der N~he verordnen, um die relativ zu starke Convergenz zu umgehen. Auch hierbei kann Ruhe der fibermfideten Muskeln und spilter dutch Wahl schw~icherer Prismen methodische Uebung derselben erzielt werdem Gfinstig Ffir dies Verfahren ist, dass die Uebungen in der N~ihe, bei grossen Netzhautbildern, gemacht werden.

Dass die Exclusion eines Auges durch das Tragen dunkler Gl~iser auf diesem Auge oder dutch Verdeckung kein eigentliches Heilmittel constituirt, wenngleich da- dutch die Beschwerden der Kranken gemindert sind, bedarf keiner ErSrterung.

Die einzige Behandlungsweise, welehe ffir die frag- lichen F~ille mit der Tenotomie concurriren kann, ist die methodische Anwendung nach aussen brechender prismatischer resp. concav- prismatischer Gl~iser (s. 1. c.). Indem wir solche Gl~iser ffir die Entfernung

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tragen lassen, erhalfen wir einen gewissen Sfra- bismus convergens und vermehren allmfihlich den mitileren Spannungszusiand der schwachen Recti in- ierni. Je nachdem allm~ihlich st~irkere und st~irkere Prismen i'dr die Entfernung iiberwunden werden, sehen wit die gilnstige Wirkung sieh dadurch ~iussern~ dass eine imrrler hiihere und hShere Convergenz der Sehaxen andauernd unterhalten werden ](ann. So rationell und /'dr geringere Grade des Uebels erfolgreich diese Be- handlungsweise ist, so gehiirt doch zweifelsohne eine grosse Ausdauer des Patienien und eine minutiiise Ge- nauigkeit Seitens des Arztes zu derer Durchfdhrung; namentlich muss darauf gesehen werden, dass die Pris- men nicht zu stark gew~ihlt werden, widrigenfalls eine Versehmelzung der Doppelbilder fiir die Dauer unmiig- Itch und demgemiiss ein gerade eontr~rer Effect, n~im- lich Divergenz, eingeleitet wird. Ein weiterer Uebelstand liegt darin, dass es sehr schwer ist, die Kranken yon dem Ansehen naher Objeete abzuhalten, fiir wel- ches die Prismen nothwendig ungfinstig einwirken, da sic die ohnehin zu grossen Postulate der Con- vergenz noch steigern. Endlich kommen wir in allen denjenigen F~illen, wo das Uebel bereiLs einen hiiheren Grad erreicht hat, mit den Prismen nicht vorw~irts. Da n~imlich alsdann die Einriehtung /`dr weitere Entfernungen gegen die natiirliche Muskel- spannung forcirt war und diese Forcirung, wie wit ge- sehen haben, dutch das Hervortreten yon Divergenz periodisch unterbrochen ward, so miissen wit schon die gerade Einstellung der Sehaxe als ein die orthop~idi- sehen Heilregeln excedirendes Postulaf auffassen; noeh mehr wird dies yon ether jeden kiinstliehen Convergenz gelten.

Der Hauptxersuch, der die Wesenheit des Uebels nachweist, besteht darin, dass wir ein Object in der

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Mittellinie dem Kranken ann~hern und die fiusserste GrLiaze der aecomodativen Sehaxen-Einstellung pr~]fen. Die Einriehtung sei bei dieser Annfih,'rung his aui 7" vollkommen scharf und i]ir den Augenbli,.k ohne wesent- liche Mfihe, zwischen 7" und 5" ric.hte der Patient noch mhhsam, unter span~e,,der Empfindtmg, abet doch f'dr einige Augenblicke vollkommen sehar~', die Sehaxen ein. Gegen die Gr~inze yon 5" hin zeigen sich der Kampi zwischen dem Sehact und den Muskeltendenzen darin, dass das eine Auge schwar~kende Bewegtmgen nach aussen maeht, welche noc'h periodiseh in die richtige Einstel- lung zurfickkehren, bis bei Fortsetzung des Versuches das Auge nach aussen flieht; diesseits 5" trete der letztere Ausgang sofort ohne vorangegatlgene Schwan- kungen ein. Werden solehe Verh~ilmisse fiberhaupt FunctionsstSrungen bedingen? es h~ingt dies einmal yore Brechzustande ab. Ffir einen hor Kurz- sichtigen, der die Objecte in 5 " - - 6 " halten muss, wfirden wir in den angegebenen Symptomen bereits den Quell yon St~rungen erblicken, denn die Einstel- lungsgl'iinzen i~r den ausdauernden Sehact liegen immer weit entfernter, als ffir einen nut" wenige Augen- blicke fortgesetzten Versuch. Der ~usserste Contra- ctionsgratt, weicher f'dr eine bestimmte Summe yon Muskelresistenzen erreichbar ist, kann hie auf die Dauer erhalten werden, demgem~iss wird die nSthige Convergenz yon 6" Fdr den fortgesetzten Sehact un- erreichbar sein. Fhr einen Normalsichtigen, der viel- leicht die Gegenst,inde auf iO" h~lt, wird sieh dies bereits anders verhahen, dennoch wfirde wahrseheinlich auch diese Co~lvergenz mit den Muskehendenzen auf die Dauer nicht vertr~iglich sein.*) ~ Neh-

*) Mit absoluter Noihwendigkeit gehen ilbrigens niemah aus diesen Funetionsanornalien Beschwerdea flit den Krankea hervor; vieJ, o leraea es bald, im richtigen Zeitmoment das Auge aus tier

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men Mr nun an, Patient sei kurzsiehtig, so wird es zur weiteren Wiirdigung besonders darauf ankommcn, wie fiir enfferntere Objecte, deren Erkennen wit mlttelst Concavgl~iser ermiiglichen, die Stellung sich bei Exclu- sion des afficirten Auges verhiilt. Weicht dasselbe auch hier unter der deckenden Hand sofort um ein gewisses Quantum, z. B. 1/2'"--i'" nnch aussen ab, so liegt bereits der Fall jenseits der Griinzen, innerhalb derer prismatische Gliiser niitzen. Wir mfissen n/imlieh, um dann die Verh~ltnisse gfinstig zu ebnen, eine ziemlich umfangreiche Ver~nderung in den Muskelspannungen hervorbringen, und doch repr~isentirt die Einstellung selbst schon eine deutliche Forcirung der Mnskeln und concav-prismatische Gl~iser werden, auch noch so sehwach gew/ihlt, durch die iibcrtriebenen Postulate, die sic den Muskeln auferlegen, beinahe mit Sicherheit eincn eontr/iren Effect zur Folge haben. Der Fall wiirde demnach lediglich f~ir die Tenotomie des Rectus externus passen. ~ Ist dagegen derselbe Kranke nor- malsiehtig und tritt unter der deckendcn Hand Fdr die Entf'ermmg nur eine sehr geringe Ablenkung yon V~"' bis zu ~/2'" ein, so wird die Behandhmg mit Prismen wenigstens vet tier Hand zul~issig erscheinen. Um uns hieriiber n~her zu bestimmen, haben wit zu ermit- teln, wie starke Prismen Patient fiir die Entfernung durch convergirendes Schieleu beherrscht. Auch bier ist die augenblickliche Herrschaft yon der andau- ernden zu unterscheiden, und wenn selbst Patient m~issige Prismen Yon S, 10, t2Grad fiir den Augenbliek ohne Miihe iiberwindet, so kann es sich doeh nur um

Wahrnehmung zu exeludiren. War an den verschiedenen Einfluss yon Doppelbildern und Zerstreunngskrisen denkt, wird sich auch fiber diese Verschiedenheiten nicht wundern. In der Mehrzahl dec Faile treten bei Muskelinsufficienz StSrm]gen und beinaho immer ein gewisser Grad yon Schwaehsichtigkeit des excludirten Auges ein.

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den Gebrauch yon zwei- oder dreigr~diger Prismen handeln, die wit erst a[lm~ihlich verst~irken, je nachdem die gewiinschte Ver~inderung in den Muskeltend~nzen hervortritt. Es zeigt sich bei giinstigom Einfluss, dass die Ablenkung nach aussen, welche bei der Exclusion eintritt, geringer und geringer wird, (lass die Einstcllungs- gr~inze sich dem Patienten mehr und mehr niihert und endlich~ dass die Beschwerden bei der Arbeit in der N~ihe hinwegfallen. Die Behandlung muss iibrigens lange und fiber das scheinbar nfthige Maass fort- gesetzt werden; um des Effectes einigermaassen sicher zu sein, muss die Ablenkung bei excludirtem Auge g~inz- lich wegfallen, oder selbst, wenn mfglich, sich in eine geringe Convergenz umwandeln. Es neigen n~imlieh diese F~ille sehr zu Recidiven; eine unvollkommene Heilung wird meist dutch das allm~ihlich wieder auftauchende Uebergewicht tier Externi wieder giinzlich anullirt.

- - Dass man in der That vollkommene Heilung dureh prismatische Gl~iser erreieht, habe ich in einer nicht unbedeutenden Zahl yon F~illen erwiesen, abet ich ge- stehe often, dass ich in der letztverflossenen Zeit die Methode mehr und mehr ~'erlasscn und reich zur Teno- tomie gewandt habe, weil dieselbe allgemein, auch f~ir die geringsten Muskelinsuffieenzen, anwendbar ist und welt schneller zum Ziele fiihrt.

Die Mfglichkeit, trotz der richtigen Einstellung s grfssere Enffernungen, operativ eingreif'en zu kiirmen, liegt hier wiederum darin, dass die Einstellung nicht den ad~iquaten Ausdruck fiir die Muskeltendenzen ab- giebt, sondern einen im Dienste des Einfachsehens for- cirten Spannungszustand der Muskeln repr~isentirt. Hierffir argumentirt die Divergenz des excludirten Auges. Es ist cinleuchtend, dass wenn wir diese Divergenz dutch geeignete Riicklagerung des Rectus externus

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corrigiren, dass dann die Einstellung f~lr eben diese Enffernungen in nichts leiden, vielmehr leichter und natSrlichcr eintreten wird, well sie .ietzt den Muskel- energieen durchaus entsprieht; es ergie[,t si.ch ferner, dass wit dies Quaatum vort Correction im Dienste der Hcilung noeh um einiges vermehren k~lnnen. Setzen wir wiederum den Fall, dass ein Kurzsieh- tiger, der auf Grund seiner Brechv,,rh~ltnisse eine Convergenz yon 6" braucht, bei dem Einrichtungsver- suehe nur bis auf 8" gelangt, welcher Distanz f~ir die andauernde Th~itigkeit natilrlich eine weir gr~ssere zu substituiren w&ire, setzen wit ferner, ,lass f'tar weitere Ob.iecte beim gemeinschaftlichen Oeffn,'n zwar ridJtige Fixation, unter der deckenden Hand abet eine Diver- genz yon '/2'"stattfindet, so sind wir befugt, nicht blos diese ']~"' dutch Tenotomie zu corrigiren, sondern ohne Zagen das Doppelte. Es w0rde einer solchen Corre- ction freilich als unmittelbarer Effect eine Convergenz yon I/,,, (unter der deckenden Hand) folgen, mit dem- selben Rechte abet, als frSher die den Muskeln ent- sprechende Divergenz yon ~/~"' eorrigirt wurde, wird jetzt die Convergenz yon '/~'" ausgeglichen werden. Versuehe mit Prismen vet tier Operation k~}nnen uns wiederum hierSber belehren, es werden bei allen diesen Kranken f~r entferntere Objeete sehr starke Prismen mit der Basis nach innen beherrscht werden und der Grad, der hierbei auf die Dauer zu unterhaltenden Divergenz wird uns fiber das Maass der erlaubten Cor- rection Aufschlfisse geben. Der unmittelbare Effect muss fibrigens immer eia excessiver sein, die Einstel- lungsgrenze (f/it den Augenbliek) muss Ft~r Kurzsieh- tige auf 3, 3t/'a ", Ftir Normalsichtige auf 4" heranr~eken, u n d e s darf vor der Hand eine pathologische Conver- genz yon ' , /a'"~ !'" Ftir die Entfernung existiren. Ich habe gesueht, auch i~r diese F/ille ein Mittelquantum

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der Correction zu ermitteln, doch ist dies hier bei d e r

Vielseitigkeit der zu beobachtenden Momente nicht mSg- lich gewesen. Folgende Dinge sind bei der Bestim- mung zu berficksichtigen:

i) die n~thige Verschiebung der Einstellungsgr~n- zen, welche dem Brechzustande anzupassen ist,

2) der Grad dcr Ablenkung , wclche Fdr grSssere Entfernung bei der Exclusion des afficirten Auges eintritt,

3) die St~irke der Prismen (mit der Basis nach innen), welche f'dr weitere Abst~inde dutch divergirendes Schielen zu beherrschen sucht,

4) der Modus der Ablenkung selbst, die bei An- n~iherung des Gesichtsobjectes hervortritt. Weicht das Auge in dem Augenblicke, wo die Insuffieienz der ianern Muskeln sich geltend macht, plStzlich, wie dutch eine krampfhafte Zusammenziehung des externus nach aussen, so ist dies der Grund f'dr eine gewisse Steigerung der Correction. Weicht bei fort- schreitender Ann~iherung des Objectes das affieirte Auge ungeF~ihr in derselbenWeise nach aussen, wie das ge- sunde nach innen weicht und macht so gleichsam start tier accomodativen eine associirte Bewegung, so giebt dies bereits das Maass flir eine weniger starke Corre- ction. Bleibt endlich alas afficirte Auge bei einer ge- wissen Gr~inze in der erreichten Stellung stehen, ohne sichtbar nach aussen zu gehen, so wird dies eine noch grSssere Vorsicht bedingen. Diese versctliedenen Moda- lit~iten fallen besonders deshalb ins Gewicht, weil sich an dieselben ein verschiedener Grad yon Ohnmacht der interni resp. yon Contractionsbestreben der externi kniipft. In dem ersten Falle pflegt sich dies auch in einer Ver- ringerung oder wenigstens Erschwerung*) der Beweg-

") Das Auge wird dann, wenn wlr ein 8eslchtsobJect naoh der ent-

A_~hiv fltr Ophthahnologle. Bd. LU. 1. 2~

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liehkeit nach innen auszusprechen. Unterschiede in der Beweglichkeit nach innen setzen auch Unterschiedc in der Anlagerung der abgel~isten Muskelpartieen. Wird es den] Patienten nach ver(ibter Abl~isung des externus sehr schwer nach innen zu sehen, so tritt immer ein sehr geringer Effect eta, w~ihrend derselbe sein relati- ves Maximtlm erreicht, wenn der Patient in den ersten 24 Stunden ununterbroehen den Blick nach der entgegengesetzten Seite wendet.

Die Ausgleiehung ether nach der Operation hervor- tretenden Convergenz geM, besonders i]ir die Mittel- linie, ziemlich rasch in den ersten Woehen vor sich, abet selbst wenn naeh Ablauf yon 2 Wochen noch gleichaamige Doppelbilder vorhanden sind, deren Aus- gleichung Prismen yon 8 Grad erfbrdert, so kann man vollkommen ruhig sein und die Correction dem spon- tanen Verlaufe fiberlassen. Das Aufireten gleichnami- ger Doppelbilder giebt uns hier meist ein genaues Maass fiir die Stellung. Ich scheue mich, um die niithige Ann~iherung de]" Einstellungsgr~inze zu errei- chert, nicht, schon jenseits i ' - - i I / 4 ' gleichuamige Dop- pelbilder auhauehen zu lassen, wean Prismen yon 12-- i4 Grad unmittelbar nach der Operation zu deren Ver- schmelzung Ffir die weitesten Abst~inde genfigen. Un- niitz wird man natiirlich eine so umfangreiche Corre- ction nicht erzielen, sondern nut dann~ wenn es zur Normalisirung der Einstellungsgr~inze niithig erscheint. Kann z. B. eta m~issig Kurzsichtiger bis auf 6" (Fdr den Augenblick) fixiren und ist die divergirende Ablenkung

gegengesetzten Seife her[iberf'fihren~ "nicht gleichm~issig und rasch nach innen bewegt, sondern unter zuckenden StSssen~ ungef'~hr so wie wires bei flbr~ser Entartung des verk[irzten Antagonistea be- obachten. An der gussersten Griinze der Beweglichkeit ireten meist Schwa~3kungen ein, undes weicht allm~hlig das/Luge aus derselben etwas zur~ck.

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beim exeludirten Auge Fdr enffernte GegenstJiade ~iusserst gering, vielleieht '/4'" oder '~'", so wfirde eine totale Tenotomie des exteraus eine fiberm~issige Wirkung geben. Dieselbe mfisste jedenfalls dutch eiac Sutur beschr~nkt werden. Vorsichtiger w~re cs, nur eine partielle AblSsung zu voll~fihren, nach verfibter Ope- ration die Einstellungsgr/inze und den Grad etwai- ger Convergenz zu pr['d'en und nur~ wenn sich ein un- genfigendes Resultat ergeben sollte, noch die fibrigen Fasern zu durchtrennen. Ucberhaupt sind Fdr die ge- ringeren Grade partielle einseitige Rficklagerungen, Fdr die mittleren Grade partielle doppelseitige Rhcklagerun- gee und nur Fdr die h~heren Grade totale Tenotomieen auszuFfihren. Wird gegen diese Principien und gegen das oben fiber den Grad der Correction Gesagte der Effect in fibertriebener Weise gesteigert, so pflegt sich zwar auch noch die Convergenz in der Mittellinie mit der Zeit auszugleichen, aber es bleibt bei Wendung der Sehaxe nach aussen eine auf' Insufficienz des Muskels beruhende Diplopie zurfick.

Zuweilen hat das Uebel eine Beschaffenheit, welche die vollkommene Heilung auf operativem Wage unmSg- lieh maeht. Es ist dies dann der Fall, wenrl zwischen dem Grade tier Muskelinsufficieaz und zwischen der Neigung zur Divergenz Fdr grSssere Entfernungen ein Missvcrh~iltniss zu Gunsten der ersteren obwahet. Ich setze z. B. den Fall, dass bei einem excessiv Kurzsich- tigen, welcher nut diesseits 4" erkennen kann, die Ein- stellung der Schaxea nut jenseits 8" stattfindet, und dass bei weiterer Ann~iherung des Objeetes das eine Auge statt nach innen mehr und mehr nach aussen weicht. Ich setze ferner, dass bei Exclusion des Auges Ffir weitere Entfernung nut eine minima Ablenkung vor- handen sei. Um unter diesen Verh';iltnissen die n~Lhige Sehaxeneinstellung auk 4" zu erzielen, w~ire bercits ein

2 t*

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sehr umfangreicher Eingriff in den externus nSthig, denn es war fiir diese Entfernung schon recht erheb- fiche Divergenz vorhanden. Ein solcher Eingriff ia den Rectus externus, z. B. dutch totale AblSsung auf einer oder auf beideu Seiten, muss nothwendig Ffir weitere Abst~inde eine pathologische Convergenz herbeiffihren, da die s Divergeaz bei excludirten Augen bier beinahe Null war; es wird dies um so mehr eintreten, je schw~ichere Prismen mit der Basis nach innen eingelegt, friiher durch Divergenz beherrscht werden konaten. In derartigen F~illen haben wit uas aufs neue zu fra- gen, wie die Heilung zu modificirea und welehe Seite noch am unbescbadetsten in derselben zu vernachliis- sigen sei. Bei hochgradig Kurzsichtigen ist mei- nes Erachtens eine schwache Goavergenz yon %'", selbst t"' Fdr weitere Abstiinde nicht zu Ffirchten, wean wit mit diesem Opfer einen gemeinschaftlichen Ge- brauch der Augen ffir das natiirliche Accomodations- terrain erkauf'en. Ich erinnere wieder, daran, dass auch normal Kurzsichtige wegen ihres engeren Meso- ropter aus der Entfernung oft den Anscheia conver- girenden Schielens darbieten; bei der hSheren Spannung der interni treffen sich deren Sehaxen w~ihrend des gedankenlosen Blickes in einem ziemlich nahen Punkte. In der Regel ist abet kein convergirendes Schielen vorhanden, da Patient bei den Fixirproben beide Seh- axen auf Objecte in beliebiger Enffernung einstellen kann. Excessiv-myopische kSnaen dies bei wachsen- dem Abstand fi'eilich meist nur mit Mfihe oder gar nicht. Wit haben schon oben auf" die Fdr den physiologischen Sehact nothwendige Harmonie zwi- schen Brechzustand und mitflerem Spannungsgrad der interni hingewiesen. Wenn der letztere dem- aach bei excessiv Kurzsichtigen betr'iichtlich vermehrt ist, so dfirfen wit uns nicht darfiber wundern, wenn die

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Verringerung der Sehaxenconvergenz fiber eine gewisse Gr~inze hinaus denselbcn sehr schwer oder unmiiglich wird.

Entscheidend i'dr die Wahl des Heilweges sind die Ergebnisse fiber das SehvermSgen. Es zelgt sich, dass die Resultate in dieser Beziehung am besten ausfallen, wenn eine gemeinschafiliehe Benutzung der beiden Augen im natiirlichen Accomodationsterrain, selbst mit pathologischer Convergenz f'dr weiterc Abst~inde, erzielt wird. Ueberhaupt sei es hier anticipirend gesagt, dass die Einwirkung der Tenotomie auf die Distinctionsf~ihig- keit auch in dieser Categorie yon F~illen sehr giinstig ist. Ich babe unmittelbare Besserung nach vorange- schickten genauen Sehprfifungen in einem TheUe der Ffille sicher constatiren kiinnen, in einem andern gdisse- ren Theile cri'olgten dieselben allm~ihlich beim Gebrauche der hugen; endlich ist dutch die Ausgleichung der muskularen Missverh~iltnisse die Separatiibung des excludirten Auges wesentlich erleichtert, sie kann mit Convexgl~isern resp. ohne dieselben andauernd und ohne den Kranken anzugreifen verrichtet werden.

Sehr h~iufig ereignet es sich, dass ein, mit einer Hornhauttriibung behaftetes Auge beim Sehea f'dr die N~-ihe dutch eintretende I)ivergenz excludirt wird. Da.q Sehvermiigcn steht alsdann mit dcm Grade der Horn- hauttriibung nicht in Proportion und es fiillt ein grosset Theil der obwaltenden Schwachsichtigkeit auf die Ex- clusion des Auges. Wit werden auc.h bier sehr im Sinne des Sehverm0gens handeln, wenn wit der Sepa- ratlibung die Tenotomie des externus total resp. partiell voranschieken. Auch wenn es zu keinem gemeinschah- lichen Gebrauche der Augen kommt, wirkt die Beseiti- gung dieser Divergenz bessernd auf das Sehvermiigen. Es ist also bier, wie s gewiihnliches Schielen, nicht blos die Exclusion der Grand der Sehschw~iche, sondern

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es participirt die Muskelaffection wesentlich an deren Begriindung.

IX.

W i t wollen uns jetzt mit der operativen Heilung der A u g e n m u s k e l p a r a ] y s e n besch~ihigen. Dass man jedes concomi~irende Schielen, welches nach L~ih- mungen entsteht, dutch Tenotomie angreifen kann, ist selhstverst~indlich;*) zun~ichst tritt eia Bedenken auf f'dr iene F~ille, welche sich im U e b e r g a n g e y o n den L~ih- m u n g s s y m p t o m e n zu d e n e n d e s c o n c o m i t i r e n - den S c h i e l e n s befinden. Wir verweisen in Betreff der Deutung dieser F~ille auf das pag. t87 Gesagte. Es sei nach vorausgegangener L~ihmung des linken musculus abducens die Beweglichkeit nach aussen noch um t ' A ''j

beschr~inkt, aber die convergirende Ablenkung gehe be- reits dutch das ganze Gesichtsfeld, betrage natiirlich nach links noch etwas mehr als nach rechts. Ist unter diesen Verh~iltnissen die Abl~isung des internus ange- zeigt? Eine vollkommene Heilung auf nicht operativem W e g e ist kaum annehmbar, da bereits die mittlere Liinga des internus ver~indert ist. Es kann vollst~ndige Wieder- herstellung der Inervation im abducens statffinden und ist je nach Ursachen der L~ihmung zu erwarten, aher es wird durch diese Wiederherstellung die Affection in eoncomitirendes Schielen und nieht in den Normalzu-

") Sehr h~uflg erelgnet es sieh, dass wir nicht des ursprfing- lieh mit Paralyse behaftete, sondern das andere Auge der Teno- tomie zu unterwerfen haben. Wurde aus Griinden in der Sehkraft oder in der Breehkraft zur Zeit der Paralyse mit dem afflcirten Auge tixirt,.so bilden slch die seeund~ren Ablenkungen auf dem zweiten Auge aus. Die mittleren Muskell~ngen vergndera sieh in demselben undes bleibt naeh Ablauf der Para[yse Schielen, und zwar (wagen des Uebergewichtes der Secund~trablenkungen) Schielen h~heren Grades auf diesem Auge zudiek.

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stand fihergef~ihrt werden. Sollte nun vielleicht die Tenotomie bis zu diesem Zeitpunkt versehoben werden? Sehen wit, dass der fehleade Rest yon Br sich rasch erg~inzt~ so m~chte diese vollsl~ndige Er- g~inzung allerdings abzuwarten sein. H~tffiger aber ereignet es sich, dass, nachdem die Beweglichkeit einen gewissen Grad erreicht hat, ein sehr langsamer Fort- gang der Besserung oder ein vollst~indiger Stillstand ia derselben eintritt, w~ihrend die Ablenkung nach der andern Seite des Gesichtsfeldes~ welche den Ueber- gang in concomitirendes Schielen markirt, gerade in dieser Zeit sich zusehends entwickelt. Es ist meines Erachtens die Tenotomie des verkfirzten Muskels unter diesen Verh';iltnissen nicht blos zul~issig, sondern sie constituirt ein wesentliches BefGrderungsmittel tilt" die Heiltmg. Abgesehen davon, dass wit das bereits eia- geleitete Missverh~iltniss der mittleren Muskell/ingen be- seitigen, ist gerade die Verringerung der Last fi]r den noch unvollkommen innervirten Muskel ausserordentlich gfinstig, derselbe kann ietzt einen h~hern Contractions- zustand eingehen und es dih'fen, ohae eine Ueber- mfidung dieses Muskels zu f'firehten, aueh h~Jhere Con- tractionszust~iade desselben auf dem Wege orthop';~di- scher Uebungen unterhalten werden. In dem Bei- spielsweise supponirten Falle wird aach Abl6sung des Rectus internus das Auge ]edens welter in die /iussere Ecke hineinbewegt werden kSnnen, denn die Last des bulbus ist ffir den noch paretischen ab- ducens leichter geworden. Wi t k~nnen durch Be- nutzung yon Schielbrillen etc. die st~irksten Aussen- wendungen der Sehaxe w~ihrend der Verheilungs- periode unterhalten, und wenn nach Anl~3thung des rfickgelagerten internus tier Widerstand f'dr den exter. nus wieder allm~ihlig w~ichst, so hat doch der letztere in dieser Zeit progressiv an Krah gewonnen und ausser-

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dam erreicht.ja der Widerstand wegen tier stattgefi~n- denen Rfieklagerung nicht mehr sein Frfiheres Maass.

Gegan die Tenotomie unter diesen Verh~ltnissen kSnnen freilich verschiedene Bedenken erhoben werden. Zun~ichst k~nnte es s~heinen, dass tier Endesaus- gang, den man hier erreicht, eigentlieh weniger gfinstig sei, als wenn man eine vollst~indige Wiederherstallung tier Innervation abwartet, resp. eine solche dutch thera- peufisehe agantia, z. B. dutch Eleatricitiit, erzielt. Wenn sp~iter - - so kSnnte man sagen - - der gel~ihmte Mus- kel restituirt ist, der Antagonist frfihzeitig zurfiekge- lagert wurde, so haben wit a u f der einen Seite einen normalen, auf der andern Seite einen zu schwach wir- kenden Muskel; as wird deshalb einerseits die summa- risahe Bewegliahkeit zwisehen beiden guskeln hinter tier Norm zuriiakbleiben, andrerseits aber der wieder normalisirte Muskel ein Uebergewicht fiber den zurfick- gelagerten guskel gewinnen. Dieser Einwand h~tte seine voile Riahtigkeit, wenn wir eben einfaeher noeh florider' sei es vollst~indiger odar unvollst~ndiger L~ih- mungen wegen, die Tenotomie verriehten wollten. In einer derartigen Empfahlung wfirden wit, wie es deut- lich aus n~ichstfolgenden Betrachtungen hervorgehen wird, einen groben MissgrifF sehen. Es handelt siah bier um solche Fiille unvollkommener oder rfickg~ingi- ger L~ihmungen, bei welchen der Uebergang in conco- mitirendes Schielen deutlich markirt, demnach auch die Bewegliahkeit nach Seiten des Antagonisten bereits deutlieh vermehrt ist. Freilich ist diese Bewegliah- keitsvermehrung bei weitem nieht so gross, als die noah iibrige Bewegliehkeitsverringerung im gel~ihmtan Mus- kal, aber sie deutet unzweifelhah an, class nach Wia- derherstellung der Innervation auch die mittlere Muskel- l~inge des abducens, wie beim coneomitirenden Schielen yon der Norm abweichen wird; es kann sich dem-

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gem/iss nicht mehr um eine vollkommene Normalisirung im abducens handeln, und es f/lilt der Einwurf, bei einer richtigen Abmessung der Correction. Im Uebrigen braucht man eine zu starke Rficklagerung unter diesen Verhaltnissen kaum zu f(irchten; es walten bier zwischen dem modus der Operation nnd zwischen dem Quantum der Rficklagerung ganz andere Propor- tionen, als beim concomidrend~m Schielen. Das Quan- tum yon Rficklagerung h~iagt ja yon dem Grade der Wendung ab, welche nach der Operation unter- halten wird, diese wieder yon der Energie des Anta- gonisten. Kann nun auch, nach Abl~sung des internus wegen unvollkommener Paralyse des abducens, das Auge mehr als zuvor in die ";iussere Ecke bewegt werden, so geschieht dies jedenfalls nicht in dem Maasse, als wenn die Operation wegen concomitirenden Schielens verrichtet ware. Es wird demnaeh auch das Quantum der R[]ck- lagerung sieh geringer als bei coacomitirendem Schie- len dosiren.

Aus diesem ungen[~genden Grade yon Rack- ]agerung k6nnte man sogar einen zweiten Einwurf gegen die Operation entnehmen, n/imlich den, dass der Effect ausbleibt, oder ein tempor';irer Effect wahrend der Verheilungsperiode wieder anullirt wird. Ein solcher Einwand ist offenbar nicht ohne Basis. Ich habe in den f'raglichen Fallen hanfig genug einen scheinbar vortrefflichen Effect der Schieloperation im Zeitraume einiger Wochen zurfickgehen und beinahe dem frfi- heren Zustande wieder Platz machen sehen. Nach- dem zuvor die Beweglichkeit im Sinne des paralysirten Muskels sich ungefiihr normalisirt, wurde sis &ufs Neue unvollkommener; es traten in der Nahe der aussersten Contraetions-Gr';inzen wieder jene characteristischen Sehwankungen und Zuekungen auf, die Doppelbilder stellten sich zuerst nach aussen, und dann immer weiter und welter in alas mittlere Gesichtsfeld ein-

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dringend, wieder her. Wenn nun auch in einom Theile dieser F'alle yon Re('idiven die mangelnde Acht- samkeit der Kranken w'ahrend der Nachbehandlung den Nichterfolg bedingen konnte, so zeigt sich doch bei einer unbefangpnen Uebersicht, dass die Gdin- zen, innerhalb derer mail mit dem Effecte zufrie- den sein konnte, nicht zu welt gesteckt werden dlirfen. Ist die Beweglichkeit mehr als t--1'/$"' ver- ringert, werden diese iiussersten Stellungen bereits unter Zuckungen erreicht and nicht dauernd erhahen, so diir- fen wit auf einen bleibendea Effect der Riicklagerung nicht bauen, und es wird besser sein, die Beweglichkeit auf therapeutischem Wege zu erg/inzen, oder wenn dies unrntiglich ist, zu einem anderen Operationsverfah- ren, n~mlich zu der unten zu beschreibenden Vorla- gerung zu fliichten.

Es giebt noch ein aaderes intermedi~ires, operatives Mittel, das ich unter iihnliehenUmst~inden angewendet babe, jedoch nut bei u n v o l l k o m m e n e n L ~ i h m u n g e n des R e c t u s i n t e r n u s , welehe den Uebergang in divergiren- des Schielen herausstellten. Es besteht darin, vor der Durchschaeidung einen Faden dutch die Sehne zu ziehen und das Auge mittelst dieses Fadens wShrend der ersten 24 resp. 36 Stunden nach der gegeniiber- liegenden Seite bin gewamtt zu erhalten. Dieses Mittel ist bereits yon D i e f f e n b a c h f~ir hochgradige F~ille yon Schielen aller Art, besonders aber fiir das divergirende Schielen mit Unbeweglichkeit nach innen, welches auf verungliickte Tenotomieen des internus sich einstellt, er- sounenworden. Andere Operateure haben es unterdenver- schiedensten Indicationen benutzt. Der Sinn einer solchen e i n f a c h e n F a d e n o p e r a t i o n oime Vorlagerung des geschwB.chten Muskels kann meines Eraehtens nut der sein, eine foreirte Riicklagerung zu erzielen, fiir welche die einfache Abllisung des verk(irzten Muskels unzu-

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reichend ist. Der letztere Umst,~nd kann wied~r davon herr{ihrcn, dass der Gr~ld des Schielens die natfirliche Ausdehnung einer einfachcn Rfickb, gerung fiberschreitet oder davon, dass dutch Sehwli,'he des Antagonisten der gew~3hnlir Grad yon Rfieklagerung vereitelt wird. Wegen hohen Grades einfa,'h concomitirenden Schielens wfirde ich niemals zu einer derartigen Fadenoperation schreiten, sondern mehrere RSckl,~gerungen an beiden Augen nach den Principien, wie ich sie oben angege- ben habe, verrichten. Wit haben ja in solchen Fiillen einen wirksamen Antagonisten u n d e s ist, wenn wir den Effect m~3glichst steigern wollen, die Sache der Nachbehandlung, das Auge durch Th~itigkeit des Anta- goaisten in der entgegengesetzten Ecke zu halten, bis die Anl~3thung erfolgt. Wir erzielen so das maximum yon R•cklagerung und der Faden ist fiberflfissig; der- selbe kann den Effect nut dadurch noch welter steigern, dass er die Th~itigkeit des abgel~3sten Muskels ilber das ffir richtig erkl~irte Maass hinaus verringert. Anders verh/ilt es sich, wenn aus dem zweiten Grunde, n~mlich wegen Schw~iche des Antagonisten, ein ungeni]gender Effect gef'drchtet wird; der Faden ersetzt hier den Antagonisten. Zieht sich nach einer Tenotomie der Antagonist nicht in genfigender Weise zusammen, so wird ein Rest yon Zurfickweichen nur dutch die eigene Elasticit~it des abgel~sten Muskels stattfinden. Dieses Zurfickweichen wird aber w~ihrend tier Vcrnarbungs- periode wieder verringert u n d e s kann, wenn der Retraction des Narbengewebes yon der andern Seite her kein Widerstand entgegengesetzt wird, der ursprfing- liche Effect wieder vollst~indig verschwinden. Ich habe bei Wiederholung der Eingriffe die Erfahrung gemacht, class nach Abl/~sungen wegen unvollkommener L~ihmung sich ein viel dichteres und massenhafteres Narbenge- webe um alas vordere Muskelende bildet, als in der

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Regel bei concomitirenden Schielen. Die Th~it]gkeit des Antagonisten scheint dutch Auszerrung die Verdichtung des Narbengewebes zu stSren. F~illt hiernach die Zu- riickziehmlg des Muskels dutch eigene Elasticit~it unzurei- chend aus, so bietet, um ein fehlendes Quantum zu er- setzen, das Hiniiberziehen des Auges mittelst eines Fadens in der That ein geeignetes Mittel. Bei Residuen yon Abdu- censl/ihmungen, we das Auge each aussen herfibergezerrt werden muss, hat die Fadcnoperation den grossen Nach- theil, ein betr~ichtliches Klaffen der Wunde mit Zurfick- ziehung der ThNinenkarunkel herbeizuf'fihren. Ich wfirde daher nicht zu deren Aus~ihrung rathen. Ist die Ver- ringerung der Beweglichkeit each aussen sehr hoch- gradig, so wird die einfache Fadenoperation ebent~alls nicht zum Zwecke f'fihren, sondern wit brauchen die Vorlagerung des abducens. Ist aber die Verringerung der Beweglichkeit nur unbetr~ichtlich, so werden wir lieber auf dem Wege wiederholter eini'acher Tenotomieen zum Zweeke kommen. Welt gfinstigere Bedingungen i"dr die Fadenoperafion bieten Residuen yon Paresen des Rectus internus mit eingeleitetem divergirenden Schie- lee, weil wit hier die Nachtheile der Thr~inenkarunkel- zurfiekziehung nicht zu f'firchten haben.

Die einfache Fadenoperation Fdhrt zwar keine eigent- lichen Gei'ahren mit sich, ist jedoch f'fir den Kranken un- endlich l~istiger und beschwerlicher, als die gewShnliche Tenotomie. Die absolut ruhige Lage w~ihrend ein oder zwei Tagen, die spannende Empfindung, welche der Faden mit sich bringt, bedingt dies schon; besonders abet ist die Entbltlssung der sclera hinter der Muskelinserfion zu erw~ihnen. Nach einer gewShnlichen Tenotomie, wenn wit nahe der cornea incidiren, ist die sclera hinter tier Muskelsehne durch die Conjunctiva bedeckt. Die kleine Wunde flillt dem Raume zwisehen der Horn- haut und der Muskelinsertion gegenliber, tier iiberdies

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noch zum Theil yore Bindegewebe gedeckt ist; ausser- dem ist die ganze Wunde viel kleiner. Bei einer Faden- operation erheischt schol~ das kunstgerechte Einlegen des Fadens eine bessere Uebersieht fiber die Muskel- sehne; die sclera wird hinter der Insertion in einem Be- reiche mehrererLinien e nibl~sst ; durch solche EntblSssung entstehen zuweilen Reizzust~inde, welche i , 2 Wochen dauern und einer sorgf/iltigen Pflege und Obhut bedhrfen. Endlich ist das Stehenlassen eines vorderen Sehneno stumpfes nicht mit Stillschweigen zu fibergehen; dieser Sehnenstumpf tr/igt die Schlinge des Fadens und muss, um dies mit Sicherheit w/ihrend 36 Stunden zu thun, ein gewisses Volumen haben. Andrerseits darf derselbe nicht so lang sein,um eine gfinstigeVerheilung des Muskels aufs Spiel zu setzen. Die seitlichen Einscheidungen des Muskels k~naen wir fi'eilich ohne Mfihe schonen, wenn wit den Faden recht hart an der Seleralinsertion durchziehen und alsdann ungef/~hr 3/4"' hinter dem Faden, zwisehen diesem und d em Schielhaken, durchschneiden. Dagegen zieht sich der Muskel schon hierbei h~iufig in die pag. i92 erw/ihnte zellgewebige Verdickung seiner Scheide zurfick, w.odureh die neue Anlagerang eine weniger solide wird, und wir mfissen deshalb, ganz abgesehea yon der Verkfirzung~ die der Muskel dureh Vereiterung des Sehnenstumpfes erleidet, nach einer jeden Fadenoperation aufdenVerlustvon ca. 1 ]--2"' Bewe~lich- keit rechnen. - - Aus alledem geht hervor, dass man die Fadenoperation nicht in unnfitzer Weise da der Teno- tomie zu substituiren habe, wo man mit dieser letzteren zum Zwecke kommt, und dass selbst wiederholte Teno, tomieen, wenn sie anders sichern Erlblg versprechen, den Vorzug vor einer Fadenoperation verdienen.

Fassen wit das fiber die fi'aglichen F~lle Gesagte der Uebersieht wegen zusammen, so w~ire es in s

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3 3 4

gender We i s s zu formuliren: W e n n naeh vorausge-

gangene r L~hmung der Uebergang in concomitirendes

Schielen deutlich ausgepr~igt uI~d die Bewegl[chkeit im

Sinne des paretischea Muskels nut etwa % - - l ' " ver-

ringert ist, so f~ihrt die einfache Tenotomie (nach dem

Grade der concomitirenden Ableakung zu dosiren) zum

Zweeke; betr~gt die Verr ingerung der Bewegliehkeit

etwas mehr, z. B. t - - l * / , ''~, so ist ebenfalls die einfache

Tenotomie anwendbar, jedoch muss die Naehbehandlung

sehr sorgf~iltig sein, es muss das Auge in den ersten

2 Tagen m~Sglichst schari' nach Seite des paretischen

Muskels gewendet werden. Aueh wird in solehen F~il-

len zuweilen der tempor~ire Effect wieder verringert

und wit mfissen auf sine Wiederholung der Tenotomie

gefass t Skin,*) besonders dann, wenn auch die ~iusserst

mSglichen Gontractionsgrade nut mfihsam und unter Zuckungen zu erhalten sind. Betr~igt bei Einleitung

yon concomitirendem Schielea die Beschr~nkung der

Beweglichkeit mehr als tl/2 *'j, so ist die Heilung durch

einfache Tenotomie hSchst unsicher. Ffir St rabismus

divergens kSnnen wir bei Beschr~inkung der Beweglich-

keit nach innen yon t i / z - - 2 ''' dig AblSsung des Rectus

*) Es dad hier die WieaBrho[ung des Eingriffes eher als bei concomitirendem Schielen auf demselben Augo verrichtet werden, well ja eben die gewfinschte R~cklagerung nicht eingetreten ist. Ist dieselbe zum grossen Theile, abet doch nicht vollkommen, ein- geleite~ worden, so karm freilich ganz unter denselben RtlcksichtenT wls beim concomitirenden Schiclen~ die Compensation auf dem zwei- ten Auge erzielt wcrden. Es w~tre iiberhaupt leichter, die Correction einer mitfleren Stellung hicr dutch eine Abl~sung auf dem gesunden Auge, als auf dem kranken, zu erzielen, well wit bei normalwirkendem Antagonisten die gewfinschte Rficklagerung eher zu Stands brlngen. Es wtlrdenjedoch dann die pag.$10-2|l geschilderten Missverh~tttnisss auftreten: die associirten Bewegungen w~iren nach der einen Seite herilber lsichter a[s nach der andcrn, auch die accomodativen Be- wegungen glngen nicht in der Mitteliinie am besten vor sioh end es wiirde hierdurch sine sehiefe Kopfhaltu~g eintrsten.

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externus mit Einleg,mg eines Fadens anwenden~ ffir die analogen Verh~ilil~isse abet bei Strabismus conver- gens, so wie fiir alle hochgradigeren Beschr~nkungen der Beweglichkeit passt nut die Vorlagerung des ge- schw~ichten Muskels.

Wit wenden uns nun zu den.ienigen F~illen yon L~ih- m u n g e n , ia denen e o n c o m i t i r e n d e s S c h i e l e n n ich t e i n g e I e i t e t worden ist. Ehe wit bei derartigen Kranken an einen operativen Eingriff denken, muss natiirlich die Miigliehkeit einer anderweitigen Heilung ausgeschlossen werden. Es ist bekanat, dass rheumatische, congestive, syphilitische L~ihmungen hiiufig yon selbst und in der Regel dutch eine entsprechende Behandlung geheilt werden; ebenso dass viele der yon centralen Ursaehen abh~ingigen L~ihmungen vergehen und wieder aufiau- chen, L~ihmungen anderer Muskelgruppen Platz machen u. s .w. Demnach kann yon einem operativen Eingriffe nur da die Retie sein, wo nach inveterirten L~ihmungen, z. B. nach jahrelangem Bestehen ein vollkommen sta- biles Verhalten und eine Unzug~inglichkeit ~ir die ge- wiihnlichen Arzneikr~ihe festgesetzt ist. - - Setzen wig beispielsweise den ]?all, es sei das linke Auge frfiher yon einer vollkommenen Abducensl~ihmung befallen ge- wesen, die allmiihlig riiekg~ingig wurde, so jedoch, dass noch immer 1"' an Beweglichkeit fehlt, die Neigung zu einer Ablenkung nach innen sei wenig oder gar nicht ausgesprochen, es gehen die Doppelbilder nur his zur Mittellinie oder allenf'alls etwas in die rechte H~ilfte des Gesiehtsfeldes hinfiber. Die richtigste Indi- cation ffir die Heihmg wird i'reilich bier, wie bei allen L~ihmungen, die sein, die Energie des zu schwachen Abducens zu vermehren. Da wir, wie vorausgesetzt, dessen Innervation nicht mehr heben kiinnen, so wfirden wit den mechanisehen Effect dutch eine Vorlagerung

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des Abducens erreichen; das gr~ssere Wirkungsver- m~gen auf Grund der Lagerung wi]rde dasjenige er- setzen, was in der Innervation nicht zu ersetzen ist; es k~3nnte somit eine vollkommene Mobilit/it nach aussen und eine vollkommen richtige Einstetlung des Bulbus Ffir jede Lage des Gesichtsobjectes erhalten werden. Die Vorlagerung, deren Technik wir . gleich be- schreiben werden, hat der einfachen Tenotomie ge- genfiber ungef';ihr die Nachtheile der Fadenopera- tion und es fr~gt sich demgem~ss auch, ob wit vielleicht in den vorliegenden F~illen mit einfachen Tenotomieea ausreichen. Ich setze, dass der links- seitige Internus abgeliSst und die Nachbehandlung so eingerlchtet werde, um eine Verringerung der Beweglichkeit nach innen um 1'" zu erzielen, so wird dann die Beweglichkeit nach aussen und naeh innen vollkommen symetrisch sein, und es wird ]eden- falls ffir. d ie mittleren Theile des Gesichtsfeldes Ein- fachsehen stattfinden, w~hrend ganz auf der linken Seite dutch ungenfigende Zusammenziehung des Ex- remus gleichnamige Doppelbilder, ganz nach rechts dutch ungenfigende Zusammenziehung des Internas gekreuzte Doppelbilder auftreten. Wahrscheinlich wird die Region des Doppelsehens so seitlich liegen, dass daraus nicht die mindesten Beschwerden ~ir den Kran- ken hervorgehen. Auch im physioIogischen Zustande umgehen wig die forcirte Seitenwendung der Sehaxe lieber dutch Kopf'drehung und lernen solehes bei krank, haften Zust~inden leicht Jn erh~htem Maasse thun. Ge- nau genommen, haben wit sogar den n;Sthigen Verlust zu hoch angeschlagen~ denn wenn frSher der Beweg- lichkeitsverlust nach aussen 1 '1~ betrug, und wit verria- gem die Beweglichkeit nach innen um t'", so wird au f Grund des verringerten Widerstandes Seitens des rfiek- gelagerten Internus die Beweglichkeit nach aussen jetzt

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vollkommener als friiher sein uad deren Beschdinkung vielleicht nut %/2"' ausmachen. Es ist sonach ein mittlerer W eg zu befolgen, um symmetrische Verh~ltnisse zu er- reichen. Vielleicht w(irde eine Beschr~inkung yon s / j ,

ge rade dem Zwecke en t sprechen ; die summar i sche Be-

schr~iakung der Beweglichkeit in der hor izonta len Visir-

ebene wfirde a l s d a n n IG'" bet ragen . W a s uns bier

leitet , ist i ibr igens welt weniger die Bes t immung der

Bewegl ichkei tsbeschr~inkung, als das Verha l ten der

Doppelbi lder . Der mittlere Theil des Gesichtsfeldes

muss Ffir des Einfachsehen g e w o n n e n , die Diplo-

pie nach den ~usseren Gr~inzen des Gesichtsf'eldes*)

zurfickgedr~ingt werden. - - S ind keine Doppelbi l-

der vorhanden~ so werden wi t f iberhaupt w e ge n tier

geringen Beschr~inkung der Beweglichkelt und der kaum sichtbaren Ablenkung sicher zu keinem operativen Ein- griffe fliichten.

Wenn bei geringen Besehr~nkungen der Beweg-

~) Im Verlaufo habe ich wiederholentlieh den Ausdruck: G e- s ichts feld in. einem nicht recht exacten Sinno gebraucht, weil dies zu keinen Missverst~indnissen Anlass geben konnte. Des G e sic h t s- feld wird durch diejenigen Objectpunkte umgr~inzt, deren excea- trischB Bilder bei constanter Fixation auf den peripheren Netzhaut- theilea noch eben zur Wahrnehmung gelangen. Des Vis i r fe ld umfasst diejcnigen Objectpunkte, welcho wit bcl constanter Kopf- haltung in des directe Sehen bringen kSnaen. Das Gesichtsfeld eines Auges ist gr~sser als das Visirfeid, da wir die Sehaxen nieht um 85"--90" von ihrer senkrcehten Stellung zur Angesichtsfl~iche ablenken kiinnen. Auchdas g e m e i n s c h a f t i i c h e O e s i c h t s f e l d ist wegen des Abstandes des Kreuzpunktes der Riehtungsstrah[en yon dem Drehpunkte des Auges grSsser ats das g e m e i n s c h a f t - l iche Visirfeld. Wenn man ein Object so welt nach der Seite hinhiilt, dass es flit das eine Auge bet gemachtem Fixationsversueho eben hinter der Nase verschwindet, so taucht es doeh sofort wieder auf, wenn eta geradeaus liegendes Objedt flxirt wird, es befand sich also das ersterw~ihnte Object noch im gemeinschaftlichen Gesichta- felde, abet es lag sehon ausserhalb des gemeinschaftUchen Visir- feldes.

A~ahlv ffir Ophth~lmologie. Bd. HI. I. ~2

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lichkeit das Doppelsehen nur bis zur Mittcllinie geht, so kSnnte man f'drchten, dass nach einer einfachen Tenotomie auch ia der mittleren Region (auf der Ope- rationsseite)~ also da Doppelbiider auftrcten, we fr~iher keine vcrha~dea warea. Wean z. B., win angenom- men, das linke Auge nach vorangegangener Abducens- l~hmung um i '" zu wenig nach aussen beweglich ist und die gleichnamigen Doppelbilder sich bereits vor der Mittellinie erreichen, so dass geradeaus und in der ganzen rechten H~lfte des Gesichtsfeldes Eini'aehschen obwaltet, so kSnnte man fiirchten, dass nach Riicklage- rung des Internus auch schon in der N~ihe der Mittel- linie nach rechts heriiber gekreuzteDoppelbilder entstehen, sofern doch der mechanische Effeet der Riicklagerung sich in einer jeden Stellung, in welcher Contraction des Internus stattfindet, ~iussern und demnach jetzt gegen friiher ein Unterschied stattfinden muss. Diese Besorg- hiss wird dutch die Effahrung zur Gcn[ige widerlegt. Wit werden, wean iiberhaupt, so ,iedenfalls nut ganz nach rechts heriiber gekreuzte Doppelbilder erhalten. Das Einfachsehen aber wird sich welt nach links aus- breiten, so dass dessen Bereich yon der rechten H~ilfte des Gesichtsfeldes nach dem mittleren Theile verschoben und gegea friiher auch bedeutend vergrSssert ist. Die Erkl~rung haben wit winder in dem Einflusse des Seh- acres zu suchen. Wurde friiher das Auge wir~lich bereits in der Mittellinie eingestellt, so entsprach diese Stellung nicht den natiirlichen Muskelenergieen. Die Richtung der Sehaxe geradeaus beruht auf ether Gleichgewichtsspannung des Rectus internus und des Rectus externus und doch hatten wit bier Muskeln yon verschiedener Energie. Verdecken wit das paralytische Auge mit der Hand, so wird auch fiir ein geradeaus gehaltenes Object allemal die Sehaxe etwas nach innen abweichen.

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Die grSssere oder goringe Macht des Sehactes fiber die Augenmuskein erkl~irt zum gL'ossen Thello die so verschied~nen Ausgitnge dcr Paralysen, auf wclehe wit schon pug. |81J aufinerk- sam gemacht. Ist das betrt~ffene Auge sehschwach oder oxisiirea Unterscbiede der l~rechkraft, w+dche zu einer Exclusion disponiven, so tritt sehr bald t in Abweichcn m~ch der gegen- tibertiegenden Scite, und sp~iter bei wiederkehremier Irmervalion Strabismus concomit~ns, bei fortbesteber~der L~hmtmg Con- tracturparalyse ein. Ist dagegen dcr Drang nach Zusammen- wirkung lebhaft, so wird tier Ablenkul~g nach Seite des Anta- gonistea mSglichst entgegengearbeitet ur~d es wer,len die ur- sprtingliehart Symptome der L~.hmung unvergndert erhatton.

Betr~igt die Beschdlnkung der Beweglichkeit mehr als t '" oder 1%'", so werden wit fiber die Resultate der Tenotomie nicht mehr so g['mstig urtheilen kSnnen. Wit mfissten dann die Bewegliehkeit nach der andern Seite sehon erheblich verringern und wfirden demgem~iss ein betr~ichtliches Quantum seitlicher Mobilit~t opfern. Es wfirde sich dieser Uebelstand jetzt mehr durch Steif- heit des Blickes, dutch Hervorspringen des Auges und dutch Doppelsehen nach beiden Seiten bekunden. Das nunmehr beschr~nkte Bereich des Einfachsehens erwei- tert sich dean auch nicht yon tier mittleren Region des Gesiehtsfeldes aus, wie ia den sub. VI. beschriebenen F~llen, in welchen keine wesentlichen Hindernisse in den Muskeln zugegea waren. Ferner erreicht man nach oben er~rterten Grfindea fiberhaupt schwer eine genfigende Rficklagerung, vielleicht nur dutch wiederbolte Tenoto- mieen oder vermittelst des Fadens. Es ist ersichtlieh, dass hier die Resultate noch welt ungfinstiger ausfallen, als wenn bei gleiehen Beschr~nkungen der Beweglich- keit Ablenkungen nach Seiten des Antagonisten sich ausgebildet hatten, denn m diesem letzteren Falle war ja eine gewisse Vermehrung der Beweg]ichkeit naeh der einen Seite hin vorhanden und wit konnten dem- gem~iss an dieser Seite ein gewisses Quantum yon Be- weglichkeit b_inwegnehmen resp. es auf die Seite des Ante-

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gonisten hiniibertragen, ohne noch auf irgend eine Weise stiirend einzugreifen. Ist dagegen die Beweglichkeit nach dem Antagonisten nicht vermehrt, so wird einjeder Abzug derselben zu erw~igen s e i n . - Finder sich in den ange- regten F/illen kein Doppelsehen, so wlirde ich zu keinem operativen Eingriffe rathen; sind dagegen st[irende Dop- pelbilder vorhanden, so ist die Heilung sehon der schie- fen Kopfhaltung und des einseitigen Lidschlusses wegen angezeigt. Es passt alsdann nut die Vorlagerung des geschw~ichten Muskels.

Fassen wire indem wir uns jetzt zur Beschreibung tier M u s k e l v o r l a g e r u n g wenden, noch einmal der Uebersicht wegen die F~ille zusammen, welche dies Ver/'ahren - - wenn fiberhaupt ein operatives Verfahren - - erheischen, so sind es:

i) F~ille. in denen eine Ablenkung nach Seiten des Antagonisten sich ausgepr~igt hat und die Beweglich- keitsbesehr~inkung mehr als 2"' betr~gt.

2) F';ille, in denen keine Ablenkung nach Seiteu des Antagonisten eingetreten, abet die Beweglichkeits- beschr~inkung mehr als i'/2'" betriigt und stiirende Dop- pelbilder vorhanden sind.

Wenn der Sinn der gewiihnlichen Tenotomie darin besteht, die Insertion der Muskeln nach hinten zu ver- schieben uad dadurch ihr Wirkungsvermiigen zu schw~i- chen~ so hat die V o r l a g e r u , l g einen entgegengesetzten Zweck, n~imlich die Muskelinsertion gegen die Hornhaut hin zu verrficken und dadureh zu schwachen Augen- muskeln ein grlisseres Wirkungsvermiigen zu ertheilen. Ich habe diese Operation gerade i~ir unheilbare Augen- muskelparalysen erdacht und bin, nachdem ich ver- schiedene Methoden durchversucht,*) zu einem Modus

~) Ich versuchte, zuerst den abgel~sten Muskel einfach durch ein Sutur mit einer der ttorahaut nahe liegenden Bindsgewebspartie

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gelangt, der den gestellten hnforderungen entspricht und sich dem yon J. Gudr in ert~undenen Verfahren ge- gen Nachschielen mit Unbeweglichkeit nach innen an- schliesst. Die wesentliche Verschiedenheit im Sinne beider Operationen bleibt die, class bet der Muskelvor- lagerung wegen Paralysen die Muskelinsertionen gegen die anatomische Norm vorgerfiekt werden, w~ihrend die J. G u d rin'sche, yon mir modificirte Operation des Nach- sehielens (siehe X.) den Zweck hat, normwidrig zurliek- gewichene Muskeln wieder in das Bereich ihrer nat~ir- lichen Anheftung hervorzuziehen. Ich operire jetzt in doppelter Weise:

i) V o r l a g e r u n g mi t p a r t i e l l e r T e n o t o m i e d e s A n t a g o n i s t e n und demgem~iss unbedeut ' en- der Sehw~ichung des le tz te ren . ZudiesemZweeke lSse ich den paralytischen Muskel yon seiner Insertion, ganz wie zu ether gewiihnlichen Tenotomie, ab, mit dem einzigen Unterschiede, dass ich nach der AblSsung mit der Cooper 'schen Scheere die ]ockeren Verbin- dungen zwisehen der hinteren Muskelfl~che und der sclera, wenn solche existiren, ziemlich weir nach hinten l~ise und das Bindegewebe zu beiden Seiten des Muskels etwas incidire. Die Conjunctivalwunde mache ieh, wie- wohl etwas griisser als bet der gew~hnlichen Tenoto- mie, doch nicht umfangreieh, lockere abet zwischen Conjuncfiva und der vorderen Muskelfl~iche mehr als dort. Es wird dutch eine solche Operation der Muskel freilich wie nach der Tenotomie an den seitlichen Einseheidungen anhaften, abet es wird der- selbe sammt dem ZeIlgewebslager sich s und in grossem Umfange auf der sclera sowohl naeh vorn als nach hinten verschieben lassen. Deshalb wiirde, wenn

zusammenzuheften und ihn so nach vorn zu br ingen, doch bl ieben diese, wie &hnUehe Versuche erfolglos.

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nun das Auge sich selbst iibf,rlassen bliebe, eine Riick- lagerung schon yon ungcwlihnlie.hem Effeete eintreten. Um start einer solchen umgekehrt eine Verschiebung des Muskellagers nach der Horahaut hin zu erzielen, muss daFdr gesorgt werden, dass das Auge ganz in die, dem abg,~li}sten Muskel entsprechende Ecke hin- eingewandt und so lange unverrfekt in derselben er- halten wird, his das Muskell,~ger mit der ~iusseren Seleralfl~iche in der angewiesenen Lage verl~lhet ist. In der n/imlichen Weise, wie bei dc.r Wendung des Aug~s nach dem entgegengesetzten Winkel das abge- l~te Muskelb~ger sich in maximo auf' der Sclera zu- rfickziebt, schiebt es sich bei einer Wendung nach der Opt.r~,tionsseite in maximo gegen dig Hornhaut vor, so .welt, dass es nach Belieben selbst aus die Hornhaut zu liegea kommt. Wir brauchen eine solche excessive Vorlagerung der Hornhaut wegen nicht etwa zu ffirehten. Ieh habe bei Strabismus divergens naeh oculomotorius- L~ihmnng das Auge zuweilen so welt in die innere Ecke hineingewandt, dass reichlich das innere Hornhautdrittel yon dem losgel~sten Mtlskellager bedeckt war. Eine YerlStl,ung scheint dutch die Epitelialoberfl~iehe der Hornhaut w'rhindert zu werden; es zieht sich sp~iter, wabrscheiulieh dutch den Einfluss der Vernarbung in dem hinterliegenden Subeon.iunctivalgewebe , auch dann alas Muskellager immer wieder bis hinter den Horn- hautrand zurfiek. Dagegen h/ingt es yon der vorflnd- lichen Affection ab, ob wir einen so hohen Grad yon Vorlagerung bezwecken. ~ Nachdem der erstere Theil der Operation, n~imlich die Abl~sutlg des paralytischen Muskels sammt seines Zellgewebelagers beendet ist, sehreite ich zum zweiten Theilo der Operation, welcher den Antagonisten betrifft. Ieh mache wie zu einer Tenotomio des letzteren eine kleine Conjunctivalwunde, eben so eine kleine Wunde im Subeonjunctivalgewebe

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und hole die Sehne mit einem Schielhaken hervor. Es braucht der Haken nicht deren ganze Breite, sondern nur genug zu tragen, um w~ihrend der Ein- legung einer Sutur des Fassens sicher zu sein, und um ilberhaupt die Lagenverh~iltnisse der Insertion klar zu pr~isentiren. Ich Ffihre nun eine, an einen Seidenfaden bes gekriimmte Nadel unter den einen freien Sehnenrand und durchsteche die Sehne yon hinten naeh vorn hart an der Sclera so, dass der Faden die gute tt~ilfte der Sehne u mfasst, alsdann sehliesse ich die Sutur ebenfalls dicht an der Sclera, iibergebe die heiden F~iden einem Assistenten, welcher angehal- ten ist, sie naeh der gegeniiberliegenden Seite (naeh der Hornhaut zu) lei(.ht anzuziehen, wiihrend ieh selbst die Muskelsehne mit dem Haken yon der Selera ab, naeh dem Augenwinkel anziehe. Au~" diese Weise spannt sieh d.er zwisehen der Sutur und dem Schiel- haken liegende Theil des Muskels und liisst sieh, ohne Gefahr die Sutur zu verletzen, in einem Abstande yon ungef'~ihr 3/4'" hinter derselben mit der Coop er 'schen Seheere durehsehneiden. Es wird mindestens die yon der Sutur strangulirte H~ilfte der Sehne, besser aher 2/3 oder s/4 derselben durchsehnitten, j a es muss das Verfahren .je naeh dem Widerstande, den wir yon die- sere Muskei hei der Seitenwendung des Auges priisumiren, abgestuft werden. Tritt bei derWendung noch ein Fdr den Kranken l~istiges Spannen ein, so wird naehtr~ig- lich der Schielhaken noch einmal unter die undurch- schnittenen Theile eingeFfihrt und diese bis auf wenige Fasern durchschnitten. Da die Operation unendlich liinger dauert: als eine einfache Schieloperation, so rathe ich zum. Gebrauche des Chloroforms. - - Kurz naeh der Operation, oder allenfalls 1/4 Stunde darauf, nachdem das Auge gehiirig gereinigt, der Kranke yon tier Chloroformnarkose zuriickgekommen und zweck-

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m~ssig gebettet ist, erfolgt der Verband. Der Sinn desselben ist t wie schon erw~ihnt, die Hornhaut w~ihrend 24 his 36 Stunden unverrfickt in der Ecke des paraly- tischen Muskels zu erhalten. Hierzu dient der durch die Sehne des Antagonisten gezogene Faden. Der Verband soll, um keine Reaction zu verursachen, so angele~ werden, dass die Hornhaut unberfihrt bleibt; s soll das Schliessen der Atlgenlider mSglich sein, ohne class tier Faden sich in den intermarginalen Theil des einen oder des andern Lides eindrfickt. Um den ersten Zweck zu erreichen, muss tier Faden yon seiner Inplantationsstelle ab sich ziemlich steil erheben; wird das Auge nach innen gewandt, so kSnnen wir keinen besseren Tr~ger Ffir den Faden finden, als den Nasenrticken. Es schfitzt bier auch schon die starke Innenwendung der Hornhaut vor dem Contaete mit Faden. Ist die Nase nicht hoch genug, so wird an deren Seitentheil noch eine kfinsfliche Stfitze durch eine untergelegte Pflasterrolle angebracht. Auf tier Backe der entgegengesetzten Gesichtsseite wird der Faden durch Pflasterstreifen in der gewfinschtea Lage erhal- ten. Um eine Verschiebung zu verhindern, legt man am besten zuerst einen L~ngstreifen gut klebenden Hes yon zwei Zoll L~nge fiber den Verlauf des Fadens, dr[~ckt diesen Streifen einige Minuten an und befestigt ihn unmittelbar.noch mit einer Reihe yon Ouerstreifen. Ein anderes Befestigungsmittel ist kaum nSthig. Sollte bei einer solchen Befestigung des Fadens derselbe sich beim Schliessen der Lider in die Randtheile des Augenlides eindr[icken, so muss ent- weder ein andrer Punkt des Nasenrfickens als Hypo- moehlion gew~hlt werden, oder, wenn der Faden hier abrutscht, d~r s Punkt beibehalten, aber die Rich- tung des Fadens dutch eine zwischen Auge und Nasen- r~icken eingelegte, an Sfirn oder Backe befestigte HeFt-

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pflastersehlinge in geeigneter Weise verfindert werden. Soll das Auge ia die ~iussere Ecke gewandt werden,

so ist start der Nase eine kfinstliche Erh(ihung durch Pflasterrollen, welche auf dem ~iusseren Orbitalraade angebracht und durch ~ihnliche Pflasterrollen yon tier Schl~ife her gestiltzt wird, zu benutzen. Es ist i~ir die- sen Fall der Verband etwas miihsam, weil leichter eine Verschiebung stattfindet. - - Der Patient muss his zur Herausnahme des Fadens ruhig liegen und die Wartung genau darauf achten, dass keine Verschiebung im Verbande eintritt. In diesem Falle muss Fdr eine sofortige Correction gesorgt werden, welche jedoch der Chirurg selbst zu iibernehmen hat.

2) V o r l a g e r u n g mit t o t a l e r T e n o t o m i e u n d demgem~iss b e d e u t e n d e r Schw~ichung des A n t a g o n i s t e n . - - Die erste H~ilfte der Operation bleibt hier unver~ndert; es wird ganz in der angege- benen Weise der paralytische Muskel mit seinem Zell- gewebslager auf der Sclera verschiebbar gemacht. Dage- gen fiihren wir einen griisseren Schielhaken unter die Sehne des Antagonisten in ihrer ganzen Breite und lassen uns vom Assistenten einen seidenen Faden rei- chen, an dessen beiden Enden sich eine gekriimmte Nadel befindet. Wit stechen die eine Nadel in der mitfleren Region der Sehne, iedoeh dem einen Rande etwas n~iher als dem andern, yon vorn nach hinten durch und f'd_hren sie am freien Rande der Sehne wieder heraus; sie umfasse das gute Drittheil der Sehaenbreite. In symmetrischer Weise fiihren wit die zweite Nadel naeh der andern Seite hindurch und schliessen nun die Sutur hart an der Sclera. In derselben liegen demge- m~iss die beiden ~iusseren Drittheile der Sehne, w~ih- ren'd das inhere Drittheil ausgesch]ossen bleibt. Als- dann wird die Sehne in ihrer ganzen Breite zwisehen

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.Schielhaken und Sutur durehschnitten. Der Zweck der anempfohlenen Sutur ist der, ein friihzeitiges Ausreissen zu umg~hen. Dieser Zweek wird uns hier n~iher ge- riiekt, weil wir die fragliehe Operationsweise gerade in F/illen anwenden, we die Wendung des Auges einen bedeutenden Widerstand bietet, z.B. in Contraeturpara- lysen. Zum Durchreissen einer solchen Sutur m~issen entweder die beiden /iusseren Drittheile des Muskels abgesehnfirt werden, oder es miissten der L~inge naeh die Muskelpartieen zwisehen der Sehnittfl~iche und den beidea Stiehstellen zerst~Jrt werden und alsdann der Faden abrutsf:hen. Wfrden wit blos den Muskel um- fassen, so rutseht die Sutur leieht ab; wiirden wir ihn einfach durehstechen, so ist ofl'enbar dem fr~ihzeitigen Ausreissen der Sutur minder sieher vorgebeugt, als bei doppelter Durchstechung. Der Verband ist hier wie frSher.

Ich wende die erstere Operationsweise da an, we geringe oder gar keine Ablenkungen nach Seiten des Antagonisten vorhaaden sind, und we die Bchinderung tier Beweglichkeit nut 2'"--2%"' betr~gt. In allen fibrigen F~illen aber, welche entschiedea die Mehrzahl constituiren, ziehe ich die letztere Operationsweise vor. Ist eiae Ablenkung nach Seiten des Antagonisten vor- handen, so ist hiermit auch eiae Schw~chung des letz- teren angezeigt und es ist angezeigt, alsdann R[ick- lagerung und Vorlagerung in e ine Operation zu ver- binden, well, abgesehen yea der AbkSrzung~ die v6llige Durchtrennung desAntagonistea das Zustandekommen der Vorlagerung entschieden versichert, iadem die Wendung des Auges mittelst des Fadens dadurch wesentlich er- leichtert wird. Ist zwar keine hochgradige Ablenkung nach Seiten des Antagonisten vorhanden, aber die Be- wegliehkeit im paralysirten Muskel ~iusserst reducir4 so

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erhalten wit ebenfalls dutch die Verbindung yon Rfiek- legorung und Vorl8gerung relativ die bestcn Effccte. Wir wSrden dutch eiae einfache Vorlagerlmg die Beweg- lichkeit nur etwas, abet langc nieht genfgend steigern; dur~.h gleichzeitige Scbw~ichung des Amagonisten |leben wit das Spiel des paralysirten Muskels um ein neues Quantum nnd erleichtern die Einstellung fiir den mittle- ten Theil des GesichTsi'eldes wegen der mehr symm~- trisrhen Verwendung der Kr~fte in dem pag. 336 ange- Fdhrtea Shine.

Ehe wir die Effocte dieser Operationsweisen n~iher wfirdigea, wollen wit fiber die N a c h b e h a n d l u n g und die o p e r a t i v e B e d e u t u n g derselbcn noeh einige Bemerkungen ankniipfen. Der Sehmerz, den die Anlegung des Verbandes im Augenblicko erregt, pflegt sich bald zu vermindern und eiaer leicht drfickenden, den Schlaf niebt hindernden Empfin- dung Platz zu marhen. SttJrt bei reizbaren Indivi- duen dennoeh dicker Sehmcrz die Ruhe, so dfirfen periodlseh kfihle Umsehl~ge angewandt werden, jedoch nut so lance, als dieselben dureh das Bedfirfniss des Kranken erheischt werden. Abgesehen davon, dass eine lange fortgesetzte Anwemlung yon kalten Um- schl~gen (nach Augenoperationen) die Reizbarkcit ge- wtShalich steigert und sogar zu eincr sehlechten Be- schaffenheit der Wundexsudate disponircn kann, ist hier schon wegen eiaer Lockerung des Vcrbandes deren Application.m~glichst bald aufzugeben. Ich habe (]berhaupt nut bei wenigen Kranken derlei Um- schl~ge machen lassen. ~ Das obere Lid l~uft zu- weilen leicht tJdemat~s an, was keine Bedeutung hat, wean man sich bei der Untersuchung des Auges davon (iberzeugt, dass keine Con.iunctivalreizung zugegen ist. Niemals wurde ich dutch Reizsymptome gezwungen, den Faden vor der geb[]hrenden Zeit, d. h. vor 24---36

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Stunden h e r a u s z u n e h m e n . - Nieht selten ereignet es sieh, dass der Verband nachI~isst, so dass die Hornhaut yon der ihr gegebenen Siellung im Augenwinkel wieder einigermaassen zurfickweicht; geschieht dies nach hb- lauf der ersten t2 Stunden, so pflegt es den End= effect nicht mehr zu stSren, denn es ist bereits die AnlSthung des Muskellagers eingeleitet und ein WeN chen des Auges um eine, selbst einige Linien vedindert die Lagerung nicht mehr wesentlich. Wenn dagegen der Verband v~llig nachl~isst oder wenn in den ersten 6, 8 Stunden eine gewisse Loekerung desselben matt- finder, so kann hierdurch der Effect vereitelt werden. Deshalb ist es nSthig, dass der Chirurg den Operirten in den ersten t2 Stunden mSglichst h/iufig sieht. Ffir die Mehrzahl der F/ille dfirhe es nicht erforderlieh sein, den Faden l~nger als 20--24 Stunden hat~en zu lassen; ist jedoch tier Patient vollkommen schmerzs und nicht der geringste Reiz siehtbar, so lasse ich den Faden 3 6 - - 4 8 Stunden liegen. Man kann auch nach 24 Stunden die Pflasterstreifen, welehe den Faden fixiren, lfiften und es yon der Stellung, die alsdann eingehalten wird, abh~ingig machen, ob der Faden ab- genommen oder wieder angelegt werde. Natfirlich wird bei dieser Lfiftung die Cornea aus ihrer ~iussersten

�9 Stellung im Winkel etwas zurfiekweichen, aber sie darf in keiner Weise sich der mittleren Stellung n~hern, sondern muss wenigstens um 3 #` mehr dem Winkel zugewandt bleiben, als man es ffir sp/iter beabsichtigt. Schon in den n/ichsten 3, 4 Stunden weicht sie um einiges und dann allm/ihlig mehr und mehr gegen die mittlere Stellung zurfick; wir werden unten sehen, dass ein exeessiver Effect hier iiberhaupt nicht zu ffirch- ten ist. - - Zur Herausnahme des Fadens zieht man denselben leieht an, so dass sich die Schlinge mit dem eingeschlossenen necrotisirenden Theile der Muskel-

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sehne deutlich pr~isentirt. Man kappt dureh eine Co o p e r- sehe Scheere hart unter der Sehlinge den Sehnenstumpf yon der Selera ab. Aueh rathe ieh, dureh nachtr~g- liche Besiehfigung den Fadens sieh zu fiberzeugen, ob wirklich die ganze Sehlinge ausgelSst oder ob sie etwa durehsehnitten int. lm letzteren Falle muss das im Sehnenstumpf has Fadenrudiment mit der Pineette naehtr~iglieh entfernt werden. - - Zuweilen 15st sieh die Sehlinge spontan in der gewShnliehen Zeit. Genehieht dies eher, so beruht es meist aus einem Feh- ler in der Anlegung den Fadens, hat jedoeh, wenn mehr als t8, 20 Stunden verflossen siud, gewShnlieh keine fible Folgen.

Die V o r l a g e r u n g nelbst kommt dadureh zu Stande, dass dan gesammte, s pr~iparirte Muskellager, besonders die vorderen Theile desselben, sieh an die ~iusseren Seleralfi~ehen anliJthen. Diese Theile sind gegen frfiher stark zusammengedr~iugt und markiren sieh denhalb dutch ihre gr6ssere Dicke und auch dureh einige Faltenbildung gcgen die anliegenden Con- junetivahheile. In der ernten Zeit int deren Verdickung noeh dureh die Hyperaemie und ~demat~se Schwellung vermehrt, das Ganze sieht zuweilen wie eine fli~gelfell- F6rmige Wulstung aus. Es verliert sich aber dieses Ausnehen mehr und mehr und es treten die vorgela- gerten Massen naeh 4, 6, 8 Woehen g~inzlieh in dan Niveau der anliegenden Theile zurSck~ so dass yon dem ZurSekbleiben irgend einer Entstellung keine Rede ist. Ieh hebe dies h~er hervor, weil eitl Utlge[ihter, in der Idee eine Wundgraautatioa vor sich zu haben, irrthi~mlieher Weise kauterisiren oder exeidiren kfnnte. Wundgranulationen kommen atff der Seite des vorge- lagerten Muskels nie vor; es dfirfte dies nur bei miss- lungener Vorlagerung der Fall sein, da sonst die Wunde selbst iiberm~isnig bedeekt ist. Man kSnnte glauben,

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dass die zwischen dem Hornhautrande und dem Ein- schnitt liegende Conjunctiva der VerlSthung entgegen- steht. Die Er~ahrung widerlegt dies, wean man anders n]cht welt vom Hornhautrande incidirt. Bei der Wen- dung des Auges in die Ecke wird durch das yon hin- ten nach vorn anrfickende Zellgewebslager diese sehmale Gonjunctivalpartie, vollends gegen den Hornhautrand hin- gedr~ingt nnd f~llt deshalb flit die Heilung nicht in Betracht. - - Leichte ConjunctivalrSthungen bleiben, ent- sprechend dem vorgelagerten Theft, zuweilen geraume Zeit zurfick. Dies findet sich jedoch in geringerem Grade auch nach einfachen Tenotomieen, fiberhaupt nach allen Conjunctivalverwundungen; jedenfalls ist die angegebene Technik der Operation, bei welcher nichts exscidirt wird, am geeigaetsten, Narbenbildungen, yon denen eben solche RSthungen abh~ingen, auF ihr Mini- mum zu beschdinken. Ein Umstand, den ich bier nicht unerw~ihnt lassen dart, liegt in dem st~irkeren Hervortreten der Carunkel, welches dem Zurficksinken derselben nach d~r Rfick]agerung analog ist; ein solches Hervortreten bedingt kaum irgend eine Eat- stellung, nachdem einmal die Schwellung der Theile zurfickgegangen ist, nut F~illt es bei Abmessung der Stellung nach den pag. 250 angegebenen Prinzipien in Betracht.

Wenn auf der Seite des vorgelagerten Muskels gar keine R e i z e r s c h e i n u n g e n zu-ffirchten sind, so gilt dies nicht in so allgemeiner Weise yon der gegenfiber- liegenden Seite. Wurde nur eine partielle AblSsung des Antagonisten vorgenommen, so kommt es auch nur zu eiaer unbedeutenden EntblSssung der Sclera hinter der durchschnittenen Sehnenportion; wurde da- gegen totale AblSsung ausgeFdhrt, so tritt bei der Wen- dung des Auges ein erhebliches Klaffen ein, die weisse Scleralfl~iche ist in ziemlich grossem Umfang, gewShn-

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lich2'"--2V~'" weir, der Lurt exponirt. Diese SteUe bildet auch stets den Ausgangspunkt tier geringen entziindlichen Reizung. Zwar steigert sich diese nicht leicht zu eincr bedenklichen HShe, doch bedarf sic einer strengen Ueberwachung und zuweilen selbst eines kr~iftigen Eingreifens. Wenn sich die Riithung und der Reiz, die am zweiten, dritten Tage eintreten, in eincr gcringea Hiihe halten und an den folgenden Tagen sichtbar verringern, so ist nichts welter niithig, als Abhaltung der Sch~idlichkeitea; man lasse die Kranken noeh einige Tage im Zimmer, bis die Wundr~inder um die weisse Stelie herum sich der Sclera lest anlegen, die entbliisste Partie sclbst sich yon tier Peripherie aus dutch Bildung ]ungen Bindegewebes verkleinert. Wenn dagegen die Rilthung am 4, 5., 6. Tage sich auf gleicher Hiihe erh~ilt oder gar etwas steigert, wenn iu den Subcon- junctivahheilen um die entbliisste Pattie herum sich einige Infiltration einfindet, wenn ferncr statt eines sp~ir- lichen, schleimig-eitrigen Secrets sich an dieser Stelle eine mehr dfinne, durchscheinende ~'lfissigkeit zeigt, welche auch unter den Wundr~indern hervordringt und diese gewissermaassen untergr~ibt, besonders aber wenn die Scleralfl~iehe, start matt und blasser zu werden, sich gl~ittet, st~irker gl~inzt und dahei etwas verf~irbt~ so schiebe man ein antiphlogistisches Verfahren nicht auf; es entstehen sonst langwierige und l~istige Reiz- zust~inde, ia es kSnnte selbst aus einem anfangs ge- ringen Uebel sich ein bedenklicher Zustand ent- wickeln. Dieser Symptomen-Complex markirt n~imlich einen gewissen Grad yon Entziindung der ~iusseren Scleralschichten, welche, wenn die Sache nicht iahibirt wird, sich sp~iter brliunlich verf/irben und hervor- buchten. Etwas Aehnliches habe ich zweimal auch nach einfacher Tenotomie, als ich die Conjunctival- wunden noch nicht so welt nach vorn anlegte, gesehen.

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Obwohl diese Entzfindung auch noch im hSherea Grade ohne Residuen zurfickgeht, so halte ich sie doch, ein- real ausgepr~igt, keineswegs Fdr unbedenklich, und mSchte den Nachahmern der Vorlagerung die Besorg- nisse ersparen, welche ich frfiher einmal in einem der- artigen Falle, wo die Ausbuchtung sehr erheblich wurde, gehabt. In den letzten 2 Jahren, wo ich es mir zum Grundsatz gemacht, bei den obenangeFdhrten Prodro- malsymptomen antiphlogistisch zu verfahren, d. h. ein resp. einige Male Blutegel zu legen, babe ich weder eine hochgradige Verfiirbung, noch Hervortreibung der Sclera beobachtet. - - WundknSpfe,*) die sp~iter ab- getragen werden mussten, kommen auf dieser Seite ziemlich h~iufig vor.

Fassen wir die Bede, nken, welche sich an die Aus- Ffihrung der Vorlagerung knfipfen, zusammen, so sind dieselben in keiner Weise gr~sser, als die, welche wir

*) Bei dieser Geiegenhcit sei as erwlihnt, dass die WundknSpfe sich nach einer Jeden klaffevden Conjunctivalwundo bilden kSnnen. Des Stehenlassen nines Sehnenstumpfes disponirt insofern, als hier- bei die Wundr~nder in der Regel mehr van eiaander weichen, auch mag tier mechanische Effect des Sehnenstumpfes mit in die Wag- achaia fallen; jedeafa[Is aber ist der Wundknopf nicht als eine Wueherung des Sehnenstumpfes selbst za betrachten, d a die Bildun- gen sich hinter dem Sel~nenstumpfe, van der entblSsstea Scleralpartie aus, erheben und auch bei der sorgf~,ltlgsten Abtragung der Sehne vorkommen. Eindringen yon Thr~nenfliissigkeit und Conjunctival- secret in dan erSffneta Bindegewebe bildet wahl din Hauptursache der Wueherung; ans diesem Grunde entwickeln sich die WundknOpfe anch auf der inneren Seite, we die angehAuften Thr/inen beim Lid- sehlusse gegen den Bu[bus angedriickt werden, welt hliuflger und in grSsserem Umfangn als auf der ~usseren Seita. Kleine Con- junetivalwunden warden am beaten gegen WundknSpfe sehfitzen. Ich bomerke hier fibrigens, dass man im Interesse der Abkfirzung dle KnSpfa nicht eher abtragen soil, als his sie angefangen haben, aich abzuschnilren. Sitzen sie noch breit auf, so erheben sie sich meis~ nach der Abkappung aufs Neue. Auch die Cauterlsation wirkt zuweilea weaig prompt, weshalb ich rathe, zu warren und dana ab- zutragen.

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Uir die einfaeheFadenoperation erw/ihnt haben; es wird sogarVorlagertmg rail partieller AblSsung des Antago- nisten weniger eingreifimd sein, als die einf~Jehe Faden- operation. - - Ein eigtmtlicher Unglii~ksi'all diirfie sieh naeh der Muskelvorlagerung nie ereignen oder zu jenea fiussersten Seltenheiten gehSren, welehe wit bei der ehirurgisehen Wahvseheinliehkeitsrechnung, ohne un- genau zu sein, vernaehl~issigen diir['en; dagegen ist die Dauer der Heilung und die Besehwerde des Krankea allerdings viel umfangreieher, als bei der eingachen Tenotomie. Zun&iehst muss Patient 2 Tage liegen, so- darm 8- -14 Tage das Zimmer hi]ten, zuweilen einige Male Blutegel legen, und endlieh dart" er sein Auge nieht eher wieder zur Arbeit brauehen, als bis die Infiltration d.er vorgelagerteu Theile vollkommen rfiek- g/ingig geworden ist, worfiber meist 4--6 Woehen ver- gehen. Eben diese Naehtheile sind es, weshalb wit die Vorlagerung aur aut' die.ienigen F~ille besehrlnkt haben, in denen die einfaehe Tenotomie hiichst unvollkommene Erfolge liefert i ieh werde niemals wegen kleiner, wenig stSrender Uebel eilm Vorlagerung' ausFdhren, vielmehr dabei einen unw)llkommenen Effect, dureh einf'aehe Teno- tomie errcicht, vorziehen. Fande nieht ein solcher Unter- sehicd zwisehen beiden Operationcn matt, so hitten wir aueh schon unter den t'r['lher erwihnten Krankheits- gruppen sub VI, VII nnd VIII ein ausgedehntes Terrain i~r die Vorlagerung get'undea, ja es wi~rde bedingungs- weise*) aueh beim einfach coneomitirenden Schielen die Vorlagerung des verl~.ngerten Muskels, mit partieller resp. totaler AbIBsung des Antagonisten verknfipft, grosse Vortheile bieten, indem wit stlrkere Cor- rectioneu mit geringeren Muskelinsufficienzen dadurch

t) Der Mangel an genauer Graduirung des Effects bei der Vor- lagerung begr~nzt dieso Bodingungen yon vornherein.

At.~hiv fth. Ophthalmolt~e. Bd. liI. 1. ~

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erhielten. Von alledem konnte aber keine Rede sein, so lang'e wit ann~iherungsweise befriedigende Resul- tate dutch die Teaotomie erhiehen; nut weil letz- teres bei den Paralysen fiber die angegebene Grenze der Beweglichkeitsbeschr/inkung hinaus nicht der Fall, haben wit gesucht, f'dr deren Behandlung die Vorlage- rung einzuf'Lihren.

Was den Grad der Vorlagerung betrifft, so hetr~igt derselbe ia maximo den Abstand der Muskelinsertion you der Hornhautgrenze, in der Regel abet etwas weniger, da das Muskellager, selbst bei sorgfiil- tigster Nachbehandlung, wieder um ' / ," ' - - i '" yore ttornhautrande zur~]ckweicht. In genauer Weise dosiren l~isst sich die Vorlagerung selbst nicht; wit mfissen immer auf einen ziemlich constanten Effect rechnen; passt dieser nicht f[ir dig Verh~iltnisse, so mfissen dieselbea nachtr~iglich durch Rficklagerungen corrigirt werden.

Man k~ante an dem Gelingen der Vorlagerung zweifeln, und ich selbst habe dies, ehe reich die Erl'ah- rung genfigend belehrt, gethaa; zur Zeit kaan ieh sagen, dass nach allen Operatiomm (fiber 30), die ich verfibt, mit Ausnahme zweier, dig Vorlagerung zu Stande kam; in einem dieser zwei Falle riss der Faden aus dem Sehnen- stumpf des Antagonisten weaige Stunden nach der Opera- tion aus, in dem andern liess tier Verband ebenfalls in tier ersten Periode los und es ~,ergingen Stunden, ehe ieh den Kranken sehen konnte. Es ist, da in beiden natfirliche Ursaehen des Misslingens vorhanden waren, nicht blos die M~glichkeit, sondern auch die Sicherheit, Augenmuskeln vorlagern zu k~nnen, geafigend bewie- sen, und sind .jetzt bereits fiber vier Jahre verflossen, dass ieh den ersten Operirten der Art, einen Fall voa Residuen beiderseitiger Oculomotorius-L~ihmung und deshalb ver[ibter Vorlagerung der Recti interni, dem

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Verein f'dr wissenschahliche I-teilkunde hierselbst vor- stellte und das Verfahren der Vorlagerung der weiteren chirurgischen Priis empi'ahl.

Analysiren wir nun den Einfluss~ den vine Vor- lagerung auf die Stellung und auf die Bewegungen des Auges ausiibt. Wiirden wit einen normal inner- virten Augenmuskel vorl,gern, so miisste dersclbe offenbar an Wirkungsvermligen zunehmen, die Beweg- lichkeit nach Seiten dieses Muskvls miisste steigen und das Auge, abgesehen yore Einflusse des Svh- acts, sich au(.tl fiir mittlere Stclhmgen naeh Seite des vorgvlagerten Muskels ablvnken. Die Bvwvglivhkvit nach Sviten des Antagonisten wSrde abnehmen, jedoch in g~,ringere,n Grade, als die Bewvglir'hkeit hn vur- gelagerten Mu.skel zunimmt. Die Verringvrung muss daraus resultiren, dass der Widerstand, den der vor- gvlagerte Muske] setzt, gNisser ist, als zuvor, und dass dvrselbe, al)gosehen yon viler muskularen Tldidgkeit, einfach als elastisches Band .ietzt den Bulbns mehr nach sviner Seite hvriiberlenkt. Dass der Bewe~.lit'h- keit~bogen im Allgemeinen zwisehen den beiden anta- gonistischen Muskeln gvgvn die No,'m zunehmen wil'd, gvht daraus hervor, dass die Summe der bewegenden Kriii'te vermehrt ist. Es wird dieser Effect eben so sicher sein, als dass naeh Riicklagerung vines Augen- muskels der Beweglichkeitsbogen zwischen diesem und seinem Antagonisten etwas abnimmt, wie wir dies zur Gcnfige bei der Lehre yon der einl%chen Tenotomie besprochen haben. ~ Handelt es sieh nun nieht um einen normalen Augenmuskcl, sondern um einen pare- tisehen Muskel, so wi.'d auf Grund dcr Vorlagerung die Excursion dieses Muskels zunehmen, wei] ja bei der neuen Lage die Last t'dr denselben geringer ge- worden ist. Die Beweglichkeit im Antagonisten wird

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um einiges, jedoch, wenn wir yore Effect einer gleich- zeifigen Rficklagerung in dem letzteren vorl~ufig abstra- hiren, in sehr untergeordneter Weise schw~icher ausfallen als zuvor; es bekommt diescr, gesuade Muskel dutch die gr/}ssere elastische Retraction, welehe der paretische Antagonist gewonnen hat, eine grSssere Last; wenn wir abet daran denken, dass die muskularen Eigen- scha~en des vorgel3gerten Muskels verringert sind uud dass in der Regel der mittlere Spannungszustand in dcm Antagonisten zugenommen hat, so wird das Aufgeben einiger Bewegliehkeit in diesem Muskel 5berhaupt nieht in die Waagsehale fallen; ja wean wir selbst den grSss- ten Theil der Bewegliehkeit, die wir nach Seiten des paralysirten Muskels gewinnen, auf der Seite des An- tagonisten aufg~iben, so erreichten wir immer das Ziel, die vorhandene Beweglichkeit yon den seitlichen in die mittlerea Theile dc.s Gesichtsfeldes zu verpflanzen und so zu sagen den vorhandenen Beweglichkeitsbogen Fdr Stellung und Function nut' das BestmSgliche zu be- autzen.

Wird mit der Vo,'lagerung die totale Rficklagerung des Antagonisten verbunden, so geben wit in der That immer ein bedeutendes Quantum Beweglichkeit auf der eiuea Seite auL Nach unserea Erfahrtangen exeedirt dieses Quantum bei richtiger AusFdhrung nie t % ' " ~ 2 ''~. Es ist, um keinen weiteren Excess zu bekommen, dringend nSthig, die Sehne so ,mhe hinter der Sutur zu durehschneiden, als es sich ohne eiae Verletzuug der letzteren thun lfisst i werden etwa die seitlichen Ein- scheidungeu des Muskels durchtrennt, so wird hier noch mehr als bei der einfachen Tenotomie Unbewegliehkeit entstehen, da das gewaltsame Hinfiberziehen nach der andern Seite nothwendig eia Maximum yon Zur~Jck- ziehung des durchschnittenen Muskels bedingen muss. Die Rficklagerung des gcsunden Muskels, die wit

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auch durch die einfaehe Fadenoperation h/itten erreichen kiinnen, wird sich, yon der Vorlagerung abgesehen, einmal dllrch eine Verringerung in dem Beweglicbkeits- bogen dieses Muskels und sodann dutch ein Hiniiber- sehiehen des Beweglichkeitsgebietes naeh Seite des paralytischen Muskels iiussern. Setzen wir den Fall einer vollkommenen Abdueens-L~ihmung, so ist das Auge durch Th~tigkeit des Internus yon der Miitellinie bis zum innersten Winkel beweglieh; die Riickhewegung vom innersten Winke] his zur Mittellinie geschieht dutch Erschlaffung des Internus. Wiirde nun unter diesen Verh~iltnissen der Rectus internus um ein bestimmtes Quantum zurfickgelagert, so miisste nothwendig der ~iussersten Verl~ingerung des Muskels nicht mehr, wie fi'iiher, eine Sehaxenrichtung goradeaus, sondern eine nach aussen zielende Sehaxenrichtung entsprechen; bei der stiirksten Verkiirzung wfirde eine nach innen zielende, abet nicht mehr die ~iusserste WinkelsteUung der Hornhaut eintreten; .ia es wiirde diese Verschiebung der Contracfionsgrenze auf Grund des verringerten Wirkungsvermiigens griisser ausfallen, als die Ver- schiebung der ersteren (Ausdehnungs-) Grenze, und demgem~iss wiirde der Bewegliehkoitsbogen gegen fri'lher verringert sein. Jedenfalls kann ielzt das Auge (lurch die blosse Erschlaffung des Internus ohne jede Th~tigkeit des Externus um ein gewisses Quantum naeh aussen gewandt werden. Combiniren wir nun mit dem angegebenen Effect der Riieklagerung die Wirkung, welche aus einer Vorlagerung des paraly- tischen Externus um 2'" hervorgeht. Es wird dieser Muskol, ganz abgesehen yon seinen muskularen Eigen- sehaften, als ein elasfisehes, der Hornhaut .]etzt nilher angekniipftes Band don Bulbus nach aussen mehr herumhalten, es wird hierdureh der gesammte Beweg- lichke.itsbogen, dot aus der Riieklagerung hervorging,

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noch einmal naeh aussen verrfickt werden. Obwohl keine Contraction des Rectus externus stattfindet, so wird jetzt dutch blosse Erschlaffung des Internus die tIornhaut um ein betr~ichtliches Quantum, vielleicht um 2%"~--3 "', nach aussen gewandt werden, w~ihrend sic bei der ~iussersten Contraction des Internus lange nicht mehr bis zur Carunkel geht, sondern vielleicht ebenfaUs nut 3"' yon der mittleren Stellung abweicht, Was die Gesammtgr~isse der Beweglichkeit betrifft, so wird die Vorlagerung einen der Riicklagerung enigegenge- setzten Einfluss ausiiben; dieselbe wird den dureh die Riieklagerung etwas verringerten Beweglichkeitsbogen wieder vergrSssern, und zwar je nach der relativen Ausdehnung beider Operationen in eompensirender oder fibereompensirender Weise. Es erhellt, dass die Aus- dehnungsgrenze des Internus jetzt mehr nach aussen heriiberriiekt als die Verkiirzungsgrenze, denn es ver- steht sich, dass der vorgelagerte Muskel zwar einem jeden Contractionsgrade des Antagonisten einen grSs- seren Widerstand als frfiher entgegenbietet, aber dass diese Widerstandszunahme sich weir mehr auf die nie- deren als auf die hohen Contractionsgrade des Anta- gonisten bezieht; bei den letzteren entwiekelt sieh die muskulare Energie zu einer grSsseren Herrsehaft iiber die elastischen Verh~iltnisse, bei den ersteren treten auch im Internus die muskularen Qualit~iten mehr zu- riick, und es muss ein Uebergewicht aus Elasticit~its- grfinden nothwendig mehr in die Waagschale fallen. Freilieh kfnnte dies Raisonnement sieh umdrehen, wenn i]ir die fragliehe Contractionsgrenze des Internus eine excessive Anspannung des Externus und demnach einc excessive Steigerung der elastischen Gegenwirkung zu Stande k~ime. Da jedoch (nach combinirter Riiek- und Vorlagerung) die Beschr~inkung der Beweg- liehkeit nach innen jedenfalls viel erheblicher aus-

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f'tillt, als das Quantum der Vorlagerung selbst, so wird auch die ~usserste Verl~ingerung des Abducens.jetzt unter der Norm bedeutend zurfickbleiben, und wit haben demnaeh ein solches flit unsere Zwecke feindliehes Enlgegentreten der Elasticit~itswirkungen nicht zu fiireh- t e n . - Fassen wit den Effect der combinirten Riick- und Vorlagerung in F~illen vollkommener Augenmuskel- l~ihmung zusammen, so gelingt e~, den v o r h a n d e n e n B e w e g l i e h k e i t s b o g e n mi t u n g e f ~ i h r e r E r h a l - t u n g s e i n e r E x c u r s i o n in den m i t t l e r e n The i l des G e s i c h t s f e l d e s zu v e r p f l a n z e n . Cosmetisch ist hiermit ziemlich Alles gewonnen; hmctionell sind wenigstens in so welt die Verh'~ltnisse geebnet, als Patient in dem mittleren, wichtigsten Theile seines Gesichtsfeldes die Augen gemeinschaftlich einrichten kann. - - Wenn man die gegcn anderweitige Opera- tionsversuehe allerdings fiberraschenden Heilungen, die man dureh Vorlagerung erreicht, zum ersten Male prfift, kann man w]rklieh in Zweifel gerathen, ob hier vielleicht dureh elnen indirecten Effect der Teno- tomle aui~s Neue ein Theil tier Innervation im gel~hmten Muskel hergestellt sei ; es ist diese Muthmaassung:deshalb eine natfirliehe, da das Auge nun im Sinne des geltihm- ten Muskels um einen betr~ichtlichen Bogen bewegt werden kann. Auch wurde mir, Ms ich die ersten an inveterirten Oculomotorius-L~ihmungen operirten Indivi- duen meinen Collegen vorstellte, diese Muthmaassung yon vielen Seiten her aufgeworfen. Dennoch erkl~r~ sich die Sache lediglich dutch die vedinderten Lage- rungsverh~ltnisse, also rein mechanisch, und es wird die T~iusehung eben nut dadurch nahe gelegt, dass Stellungen, welehe im Normalzustande schon die vor- geriickte Contraction eines Muskels bezeichnen, jetzt ohne irgend eine Mitwirkung desselben, lediglieh dutch will- kfihrliche Erschlaffung des Antagonisten, erreicht werden.

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Sind (lie Resuliate der Vor]agerung bet i'ortbeste- henden, vollkommenen L~ihmungen bleibend? Es ist begreiflich, dass der wirklieh innervirte Muskel, der keinen aetiven Gegner hat, ein gewisses Bestreben ~iussert, sich zu verkiirzen, und demgem~iss die erreichte Stellung aui% Neue zu stiiren. Wir kiinnen die ~Miig- lichkeit eines solehen Ausganges nieht ]~iugnen, haben aueh in ein]gen yon unseren Vorla~erungen aus diesen Ursachen naeh Jahresfrlst eine ung(instige Vergnderung, aber niemals eine Riickkehr zu dem fi'iiheren Zustand beobachtet. Eine ri(htige Auswahl der F~ille wird uns im Allgemeinen gegen unvermuthete Verschlechterungen der Art schiitzen. Ich babe bereits am Anfang dieses Abschnittes hervorgehoben, dass es sich fiberhaupt nur um operative Eingriffe bet inveterirten, station~iren L~h- mungen handeln kSnne. Hier sind die secundfiren L~ingenver~inderungen, welche der Antagonist eingeht, entweder schon besehlossen, oder deutlich genug aus- gepr$igt, um den Op•rationsmodus riehtig zu basiren. Ist z. B. naeh mehrj~hrigom Bestehen ether vollkom- menen Lfihmung kein erheblieher Grad yon Contractur im Antagonisten aufgetreten, so wird aller Wahrsehein- liehkeit naeh auch sp~ter ein soleher fern hleiben, und wir k~nnen den glinstigen Erfi)]g als bleibend betraehten. Ist umgekehrt eine seeund~re Ablenkung eingeWeten, so kann dieselbe zwar immer noeh gTiisser werden, allein es wird gerade die Riicklagerung des Muskels (und hiermit die Erschwerung der Last f~ir denselben) der weiteren Zunahme mSglichst vorbeugen und es wird jedenfalls der dutch die Operation erreiehte Gewinn in seinem vollen Maasse als Correction derjenigen Stellungen erhalten, welche ohne die Operation bei zunehmender Yerkiirzung des Muskels eingetreten w~ren. Sollten naehtr~igliche Ver~inderungen den ur- spr;ingliehen Effect theilweise zerstSren, worauf" wir in

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derlei F~llen vorbereitet sein mfissen, so kann eine neue Vorlagerung verfibt werden, wenn fi]r eine solche noch R~um gegeben ist, oder es muss gesueht werden, durch Ri'~eklagerung im kranken resp. im gesunden Auge den Erfolg zu erg~inzen. Im Allgemeinen gilt die Regel, bei allen diesen Kranken einen vet der Hand excessi- yen Effect zu erzielen. Die mittlere Stellung muss nach 8 Tagen wenigstens noeh i l / ~ ' " - - 2 ''' gegen den vorgelagerten Muskel hin verri]ekt erscheinen; yon diesem Excess wird in 4--6 Wochen nur weniges und nach Ablauf einiger Monate nichts mehr erha]ten sein. Je geringer di~ Besehr~inkung der Beweglichkeit in Richtung des riickgelagerten Muskels ausfiel, desto yeller darf dieser Excess gerechnet werden.

Unendlich giinstiger als F,alle yon vollkommenen Muskclliibmungen sind solche, in denen ein Theil der Bewegliehkeit wied(,r eingetreten ist. Diese eonstituiren alas eigentliche Terrain der Operation, in welchem ich einem .jeden Nachahmer die lohnendsten Resultate ver- spreehen kann. Geben wir einem unvollkommen wir- kenden Muskel einen Ansatz mehr naeh vorn, so wird dessert muskulares WirkungsvermSgen reell ge- steigert und der Beweglichkeitsbog~'n dieses Muskels reell vermehrt. Wenn wir diese Vermehrung neben den obigen Ergebnissen in Anschlag bringen, so errei- chen wir f~ir u n v o l l k o m m e n e M u s k e l l i i h m u n g e n n ich t all~,in den E f f ec t , den B e w e g l i e h k e i t s - b o g e n n a c h B e l i e b e n in den m i t t l e r e n The i l des G e s i c h t s f e l d e s zu v e r p f l a n z e n , s o n d e r n auch d e n s e l b e n w e s e n t l i c h zu v e r g r t i s s e r n ; wit kiinnen hierdurch aus einer sehr mangelhaf~en Be- wegliehkeit des Bulbus eine der Norm sich eng an- sehliessende gewinnen. Wenn z. B. die Beweglichkeit naeh aussen um 3'" beschr'ankt war, so kSnnen wir nieht allein die Hiilfte dieses Defects yon aussen naeh

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innen fibertragen, sondern die Sache bei richtiger Ab- messung vielleicht so einrichten, dass das Ange gegen den inneren und getgen den ~.usserenWinkel nur 3/4'11--t"' zurfiekbleibt. Eine solche Beweglichkeit ist beinahe als normal zu betrachten. Am aUergiinstigsten werden die F~ille sein, wo neben der Beweglichkeitsbeschrfinkung eine secund~ire Ablenkung nach Seite des Antagonisten mit vermehrter Beweglichkeit in dPssen Bereich sich ausgebildet hat; es ist ja hierbei der wirkliehe Beweg- lichkeitsbogen, den wir henutzen kSnnrn, nieht um das volle Quantum, welches nach einer Seite hin fehlt, beschr~inkt.

Es kann sich ereignen, dass z~visehen der Beweg- lichkeitsabnahme und zwist.hen der mittleren Stellung des Auges ein Ffir die Operation unglinstiges Ver- h&iltniss obwaltet. Wenn z. B. die Beweglichkeit nach aussen um 3'" verringert ist, w~hrend das Auge, un- geF~ihr wie bei einer frisehen L/ihmung, sieh Fdr ein in der Mittellinie liegendes Ob.icct einriehtet, so klinnte es seheinen, dass die behufs der Bcwegliehkeit zu ver- ~ibende Operation f~ir mittlere Stellungen eine leiehte Divergenz einleitet. Nun haben wir zwar pag. 338 hervorgehoben, dass dies (Fir geringere Beschr~inkungen der Beweglichkeit) im Allgemeinen nicht zu Fdrehten sei, well unter der deckenden Hand auch schon fiir die Mittellinie eine entsprechende Ablenkung eintritt, aber es kommen doeh hierher gehiirige F&ille (bei grilsserer Besehr~inkung der Beweglichkeit) vor, wo die Ab- lenkung unter der deckenden Hand F'dr die Mittellinie relativ zu klein ist und demnach aueh die genannte Bef'drchtung sich rcchtferti~. Es kSnnte sonderbar erseheinen, dass wit bei der Herstellung einer symme- trisehen Beweglichkeit das Abweichen flit die Mittellinie Fdrchten. In der Regel erkl~irt sich die Sache dutch vorher bestehende Anomalieen in den mittleren Muskel-

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llingen. Wenn z. B. ein Auge an Insufficienz des inneren Muskels oder an leiehtem Strabismus divergens litt, und es wurde der Externus yon einer Paralyse befallen, so werden wir das oben erw~ihnte Missver- h~hniss beobachten und nach Herstellung symmetrischer Beweglichkeit wieder einen gewissen Grad yon Diver- genz erhalten. Fiir solehe F~ille bin ieh zu folgender Praxis gelangt. Ich stelle auf dem paralysirten Auge ein miiglieh gfnstiges und symmetrisches Verhfiltniss in den Beweglichkeiten her und corrigire die etwa hier- bei gesetztcn Ablenkungen dutch compensirende Riick- lagerung im gesunden huge. War z. B. die Beweg- liehkcit naeh aussen linkerseits um 3"' beschr~inkt, aber i~ir die Mittellinie bei excludirtem Auge gar keine oder ~iusserst geringf'figige Ablenkung nach innen, so verfibe ieh trotzdem die f'dr die Bewegliehkeiten angezeigte Operation links und corrigire den etwa entstandenen Strabismus divergens durch eine Tenotomie des rechten Rectus externus.

Wir haben bisher die Vorlagerungen nur fiir F~lle yon P a r a l y s e n mit oder ohne secundilrer Con- tractur des Antagonisten in Vorsehlag gebracht. Sic ist ebenfalls dann angezeigt, wenn in Fo lge yon i n v e t e r i r t e m c o n c o m i t i r e n d e n S c h i e l e n oder yon primiiiven Muskelcontracturen A b n a h m e d e r B e w e g li c h k e i t nach Seiten des verl~ingerten Muskels entstand. Ein geringcr Defect an Beweglich- keit ist freilich, wie wit im Verlauf dieser Abhand- lung sehon wiederholentlieh eriirterten, Fdr den Erfolg der einfaehen Riicklagerung nicht siiirend, alle hoch- gradigen Beschr~inkungen vereitelu aber denselben, und haben wir dann in der mit der Riicklagcrung verbun- denen Vorlagerung ein vortrelTliches Heilmittel. In diesen F~illen tritt noch ein neues giinstiges Moment

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heraus. Durch die flbrSse Entartung des verk[irzten Muskels war dessen Ausdehnbarkeit beschr/inkt. Die Verl/ingerung gesehah miihsam, absatzweise, und in zu geringem Umfange. Wir rechnen die bierauf beruhende Abnahrae yon Bewegliehkeit leicht der Unth,~t]gkeit des Antagonisten zu, und erhalten nach der OpEration, wenn der fibr~ise Muskel gelSst ist, ein bedeutendes plus yon Bewegliehkeit. Dieses verringert sich s mit WiederanlSthung des Muske]s; allein es ist bei gen[igender Ri]c'klager~mg der Widerstand immer nn- endlieh geringer als fri)her, und wir behalten noeh gegen die gew~bnliehen Reebnungen einen sehr vor- theilhaften Ueberschuss yon Beweglichkeit. ~ Zum Theil gilt dies iibrigens auch f[ir Con~raeturparalysen, welche sieh nach L/ihmungen entu'iekeln. Dass oft ein s~hr grosses Quantum yon Bewegliehkeit, wenn ieh so sager darf, unter der fibr~sen Entarttmg eines Augen- muskels schlummert, bewies mlr zuerst der Fall einer alten Frau, deren Hornh/iute friiber fast unbeweglieh unter den Carunkeln begraben lagen, und wolehe dureh eine dreimalige Operation (zweimal Vorlagerung mit Rr und einmal eini~cbe Fadenoperation) bei~ahe parallele Sehaxen und eine fi'eie Bewegliehkeit dureh den gr~ssPren Theil des GesichtsFeldes erhalten hat.

X.

Di, ~ mangelade Bewegliehkeit nach einer SPite bin kann dureh Paralyse des entspreehenden Musk~ls oder dutch beschr~inkte Ausdehnbarkeit seines Antagonisten, si,e kann abar a~zch dutch abnorme Lagerungsverh~dt- nisse bedingt .~,'in. Dies finder start, wenn naeh einem operativea EingritF eine e x c e s s s i v e R ~ i e k l a g e r u ng des M u s k e l s eingetreten ist. Ein gewisser Grad yon Be-

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weglichkeitsbeschr'Snkung mUdS nothwendig einer.jeden R{~cklagerung folgen; wir haben abet bei ErSrterung der nat.h Tenotomieen folgenden Muskelinsuf'ficienzen hervorgehoben, class ein solcher Defect wegen der widernatfirlichen Vermehrung der Bewegliehkeit beim eoneomitirenden Schielen wenig StOrendes in sich sehliesst. Wird abet die Tenotomie nicht nach den Regeln vollzogen, oder den obwaltenden Verh~iltnissen nieht angr so bleibt eine zu grosse Beschr~inkung tier BewegliChkeit zur{]ck. Am eclatantesten zeigt sich dies dann, wenn der Muskel zu weit nach hinten, .jen- seits der Tenon'schen Kapsel oder ill dem Durchboh- r,mgsberei~'h sammt den seitlichen Einseheidungen dureh- schnitten wurde. L~st man bei richtiger Abtrennung der Sehne das Bindegewebe in grossem Umfange nach beiden Seiten, so kann auch hierdureh, wie wir pag. 193 (Anmerkung) er~rtert, ein zu hoher Grad yon R{ieklagerung mit besehr~inkter Beweglichkeit entstehen. Es paart sich rnit tier Bc:weglichkeitsbeschdinkung naeh unrichtig vollzogener Sehieloperation bekanntlich oh noeh ein anderer Umstand, n~imlich Hin{iberweichen der Hornhaut nach Seite des Antagonisten. Mit Nothwen- digkeit finder die Coineidenz dieser beiden Uebelst~inde nicht~statt. Ausserordentlich grosse BeschrAnkung oder v~Sllige Aufhebung der Bcweglichkeit wird freilich ein Hini~berweiehen der Hornhaut nach der anderen Seite (aueh FC~r mittlere Stellungen) in sich schliessen, aber eine in mAssigem Grade das n5thige Quantum {]ber- sehreitende BeschrAnkung der Beweglichkeit kann selbst mit unvollkommener Correction der urspr{ingliehen Ab- lenkung Hand in Hand gehen. Wih'de z. B. eines sehr hoehgradigea eonvergirenden Schielens wegen statt alternirend auf" beiden Augen wiederholentlich auf einem und demselben Auge operirt, so kann tier Muskel die- ses Auges in unzwer Weise gesehwAcht

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werden (siehe pag. 2t3), ohne dass die Sehielablenkung vollkommen ausgegliehen, geschweige in eine entgegen- gesetzte umgedreht ist. - - Die hSchsten Grade yon Be- weglichkeitsbeschr~inkung mit Umschlagen des Auges nach der anderen Seite werden, da sic nur aus ganz fehlerha~'ter Operation herstammen, zum Gliick Ftir die Tenotomie, immer seltener werden, .je mehr sich riehtige Grunds~itze iiber die Operations-Teehnik und die Ope- rations-Modalitiiten unter dem ~irztlic'hen Publikum ver- breiten; sie siad auch bereits unendlieh sehener gewor- den; 5bet 80 Procent der vielen derartigen F~ille, welche sieh mir vorstellten, datirten yea 1/iager als t2 Jahren, also aus dern ersten Lustrum der Schieloperation. Besondcrs unheilbringend war in dieser BPziehung die Periode, we D i e f t ' c n b a e h uzld seine Schiller, um eiae recht nachdrficklic.he Correction zu erhalten, darauf aus- gingen, den Muskel welt nach hinten zu durchschneiden, we man Theile der Sehne excidirte u. s. w. Obwohl nun die hoehgradigerea Entstelhmgen, nut" weh.he ich unten zurfickkommen werde, hoffentlieh mit der Zeit g~inzlieh verschwinden werden, so sc}wint es mirimmer noeh an der Zeit, deren operative B~,handhmg zu be- spreehen, thetis weil noeh viele hundert derardge Indi- viduen existiren, ferner, well ein geringerer Grad des Fehlers sich noch in der Hand vieler Chirurgen yon Zeit zu Zeit einstellen wird, und endlieh, weil die Art der Heilung selbst eta physiologisehes Interesse bietet, auch den Ausgangspunkt der yon mir Fdr paralydsche Augenmuskeln erdachten, im v6rigen Absehnitt besehrie- benen VorlageruDgsmethode gebildet hat.

Handelt es sich um einen Kranken, der friiher an Strabismus eonvergens litt, und bet welchem dureh zu ausgedehnte Rfieklagerung die Bewvglichkeit nach innen urn e in g e r i n g e r e s Q u a n t u m , z. B. urn

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t t / z "~ - -2 " ' beschr~inkt ist, so werden wit, bei fehlenden Doppelbildern, an einen operativen Eingriff fiberhaupt nur denken, wenn gleichzeitig Strabismus divergens sich eingestellt hat. Wit haben alsdann zuzusehen, ob die Beweglichkeit dieses Auges nach aussen das normale Quantum um Einiges excedirt; finder sich dies, so kSn- hen wir ohae Scheu die Tenotomie des externus ver- richtea; es wird sich die Sache ungef~ihr, wie bei einer unvollkommenen L~ihmung des interrms mit hinzuge- tretener Ablenkung nach aussen verhalten, die Beweg- lichkeit nach innen wird nach solcher Operation um Einiges zunehmen und die mittlere Stellung wird sich bei richtiger Abmessung corrigiren. War der Grad yon Divergenz bei der erw~ihnten Beweglichkeitsbe- beschr~inkung sehon ein mittlerer oder grSsserer, so werden wit in der Regel noch eine zweite Tenotomie des externus auf dem andern Auge zu verrichten haben. Es darf nicht vergessen werden, dass die Riicklagerung des externus hier, wie bei unvollkommener Paralyse, wegen des geringen Wirkungsverm[;gens der Rectus internus unter dem gewShnlichen Ma~sse zurfickbleibt. Immer muss das Auge bei tier Nachbehandlung stark nach innen gerichtet werden, damit der Effect nicht vollkommen verloren gehe. Finder sich, class die Beweg- lichkeit nach aussen nicht vermehrt, zugleich dass die Lidspalte welter geSffnet ist, so halte ich es fiir besser, den Effect entweder allein oder vorwaltend im zweiten Auge zu erzielen, dean es wfirde dutch eine corrigirende Beweglichkeitsbeschr~inkung nach aussea die Unbeweg- lichkeit des betroffenen Auges und die scheiobare Grfissenvermehrung sich in ung[instiger Weise steigern. Erzielen wit die Correction lediglich auf dem gesunden Auge, so werden freilieh die pag. 212 erSrterten Uebel- st~iade sich geltend machen: die Bewegungen fallen auf beide,l Augen nach der einen Seite des Gesichts['e].-

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des leiehter aus als nach der andern, was zu einer sehiefen Kopfhaltt,ng dispotlirt. Es ist .jedoch dies bis auf eine gewisse Gr/~nze weniger st~rend als gr~sseres Hervortretetl eiues Auges, besonders w e n n wir die Kopfhaltutlg dureh das Tragen yon Sehielbrillen in der geeigneten Weise fiben.

Ist bei derselben geringen Beschr~nkung der Beweg- liehkeit zwar kein Strabismus divet'gens, abet auf der einen Seite des Gesichtsfcldes St3rurlg dutch gekreuzte Doppelbildervorhar~den,*) so haben wit eine Ausgleichung der Stellung f'dr die mittlere Region des Gesichtsfeldes naeh den ffir unvollkommene Paralysen er~rterten Prin- eipien zu erzielen. Es kann dies dutch einfache oder mehrf'ache Rfieklagerungen geschehen. Eine genaue Riehtsehnur erhalten wit bei Verdeckung des Auges in tier mittlcren Stellung des Gesichtsobjects. Tritt hierbei unter der deekenden Hatld hereits kin Ueberweichen naeh aussen ein, so haben wit Tenotomie des Rectus externus auf diesem resp. auf dem anderen Auge, oder (partielle) Tenotomien des extcrtms atli" beiden Augen zu verriehten. Tritt dagegen keine oder nur eine mi- nime Ablenktmg bei der Exclusion ein, so befinden wit uas in einem sehon mchrfach hervorgehoben,:n I)ilemma ; maehen wit n~imlich dann dureh Riicklagerung des ex- ternus die Beweglichkeit nach aussen und nach innen symmetrisch, so eatstcht wiedorum eine unerwiinschte Convergenz f'tir die mittlere Stellung. Es ist hier die, unter analogen Verhfiltnissen bei Paralysen erw/ihnte

") Ist weder Strabismus divergens noch Diplopie auf der gegen- ~berliegenden Seite des Geaichtsteldes vorhanden, so werden wir wegen oiner Bewegliehkeitsboschr~nkung yon l ~ ' " - - 2 " ' an einen operativen Eingriff deshalb nicht donken, weil alsdann gar keine kosmetischo St5rung existirt und die Erscheinungen der Muskoi- Insumcienz beim seiflichen Blick an uad for sich, d. h. ohne Di- plopie, nur nnbedeutend in die Waagschale fallen.

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Praxis zu empfehlen: man mache durch Rileklagerung des externus die Beweglichkcitsverh&ihnisse auf dem betroffGnen Auge symmetrisch und corrigire die Con- vergenz durch eine partielle resp. totale Tcnotomie des Rectus internus im gesunden Auge. Ich hcbe diesen Fall deshalb noch einmal hervor, well er sich hier nicht sehen, namentlich bei hochgradiger fibrSser Entartung des inneren Augcnmuskels nach convergirendemSchielen ereignet. Unter diesen 13edingungen ist n/imlich das normale Verh~iltniss zwischen Muskelinsultlcienz und Correction der mittleren Stellung t~r die Tenotomie etwas pervertirt; es trcten bei denselben Correctionen verh~ltnissm~issig st/irkere Beweglichkeitsbeschr~nkungen ein. Dies f'fihrt uns dazu, bei sehr fibr~sen Augenmuskeln zuweilen auf die Vollkommenheit der Correction zu ver- ziehten, um lieber einen nicht mehr wesenttich entsteIlenden Ueberrest der Ablenkung bei guten Beweglichkciten zu erhalten. Ist .jedoch einmal, was eiaem Jeden vorkom- men wird, die Beweglichkeitsbeschr~inkung etwas zu stark ausgefallen, so haben wir in der angegebenen Methode, welehe den Fehler gewissermassen zwisr beide Augen vertheilt, eiaen cmpfehlenswerthGn Ausweg.

Nach Tenotomien des Rectus externus ereignet es sich hSchst selma, dass eine sg3rende Beweglichkeits- beschr/inkung zurfickbleibt. Die starkG Aussenwendung der Sehaxen ist einmal viel weniger wichtig, well sic bei den accomodativen BGwegungen nic~t in Betracht kommt und sodann ergeben die Tenotomieea des Rectus externus geringere Rficklagerungen. Solhe trotzdem ein analoger Fehler sich einfinden, wig es sich z. B. bei zu dreister Tenotomie wegea Insufficienz der iaterni er- eignea k~ante, so w~iren fi~r die operativen Heihmgen ganz dieselbea Gesichtspunkte~ wie sic SO eben erSrtert wurden~ einzuhahen.

Archly /~r Ophthedmolog/e. Bd. lll_ 1. 2 ~

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Auch gegen die secund/iren Abweiehungen naeh aussen mit h o e h g r a d i g e r B e s c h r ~ n k u n g tier B e w e g l i c h k e i t n a c h i n n e n suchte man sich durch einmalige und wiederholte Tenotomieen des Rectus ex- ternus zu helfen. Es hat sieh jedoeh web1 ein jeder unbefangene Beobaehter bald fiberzeugt, dass dieses Verfahren hier, wie bei hochgradigen Paralysen gar keine oder sehr unbefriedigende Resultate liefert. Die blosse Zur[ickziehung des abgelgsten Muskels dutch seine E[astieit~t ohne Gegeuw~rkung des Antagvnisten bedingt eine zu geringe RSeklagerung. Schon der unsterblicheUr- heber derSehieloperation hatte dies eingesehen und war des- halb gerade fhr diese F~ille auf den Gedanken veffallen, die Innenwendung des Auges dureh einen in die Sehne des abdueens eingelegten Faden zu forciren. Ich gebe zu, dass wir dutch dies Mittel eine gr•ssere R~ieklagerung des abdueens erreiehen und Fdr eine mittiere Beschr~inkung der Beweglichkeit naeh innen z. B. yon 2'/,"' eine un- geNhr symmetrische Beweglichkeit der bulbus erzielen k~3nnen; deunoeh ziehe ieh, wenn einmal ein Erfolg der gew~hnliehen Tenotomie nicht mehr zu erwarten steht, die Vorlagerung der einfachen Fadenoperation vor. Dass beide Verfahren ungef/ihr dieselbeu Bedenken bieten, ha ben wir im vorigen Abschnitt ergrtert; die namhafien Vorz[ige der Vorlagerung sind f'olgende: Einmal ist bei hochgradigen Beschr~inkungen der Beweglichkeit nach innen die Thdinenkarunkel in einer entstellenden Weise vertieft; die Vorlagerung des internus hilh die- sere Uebelstande ab, die einfaehe Fadenoperatiou l~isst denselben unberiihrt. Zweitens springt in der Regel das affieirte Auge mehr hervnr, sei es dutch wirkliche Verrfiekung des Drehpunktes, oder wie gewghnlich durch weiteres Klaffen der Lidspalte; die Vorlagerung hilft auch diesem Uebelstande ab, w~hrend die einfache Fadenoperation, indem sie nach der andern Seite bin

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eine Beweglichkeitsverringerung setzt, denselben reell eher vermehrt (und nut scheinbar dutch richtigere Stelhmg der Hornh~ut aui" denselben gSnstig influJrt). Endlich erhalten wit dutch die Vorlagerung cinch viel griisseren Beweglichkeitsbogcn, somit normalere Fun- ction, resp. weiteres Bereich des Einfachsehens.

Fiir alle s e h r h o c h g r a d J g e n B e s e h r ~ i n k u n g e n de r B e w e g l i c h k e i t o d e r s vo l l s t~ ind ige Auf- h e b u n g d e r s e l b e n ist die Vorlagerung yon vorn herein das einzige Heilmittel. Selbst wenn es gelingen w[irde, z.B. dutch partielle Excision oder dutch exces- sive R[icklagerung den abducens so zu schw~ichen, dass zwischen der Beweglichkeit nach aussen und der Be- weglichkeit nach innen ein symmetrisches Verh~iltnisa errungen w~ire, kiinnten wit hierin wahrhah ein Heil- resuhat sehen? Da die vorgefundene Unbeweglichkeit nicht etwa auf'Contractur des Antagonisten, sondern lediglich darau~ beruhte, dass der zu sehr zuriickgezogene oder iiberhaupt unvollkommen mit dem bulbus verliithete in- ternus seine Wirkungsf~,ihigkeit eingebi~sst hat: so m[isste doch ein Lihnlicher Zustand in dem abdu- cens eingeleitet werden, um eine Gleichgewichtslage zu erzielen, und was h~itten wit dana gewonnen? Einen nach zwei Richtungen hin unbeweglichen, noch mehr als i'r(iher hervorspringendcn bulbus. Dieses Hervor- springen des bulbus ist dutch den glotzenden Ausdruck, den es bedingt, oft noch sIi~render als die Ablenkung selbst, und markirt sich gerade hierdurch im Verein mit der Thr~inenkarunkelvertiefung das Secund~irschie- len kosmetisch gegen das gewiihnliche divergirende Schielen. Eine Correction durch Riicklagerung des Antagonisten, selbst wenn sic erreichbar w';ire, wiirde demnach hier noch weniger erwlinscht erscheinen als bei vollkommenen L~ihmungen.

Die Idee, normwidrig zuri;lckgelagerte Muskeln wie- 24*

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der naeh vorn zu bringen, r[~hrt yon J u l e s Gu6r in her, und bleibt ein grosses Verdienst dieses, mit Un- recht yon vielen deutschen Fachgenossen zurfickge- setzten Chirurgen. D i e f f e n b a c h hatte t'reilich bereits mit der einfachen FadenoperatJon eine Wiederanfri- schung der frSheren Operationswunde verbunden. Allein ich glaube behaupten zu mfissen, dass der Gedanke an eine Vorlagerung des zurfickgezogenen Muskels ihm vollkommen fremd blieb, und dass .iene Anfrischung lediglieh im Sinne hatte, durch eine, aufs Neue in und unter die Conjunctiva gesetzte, Narbenbildung die Innen- wendung des bulbus zu uflterstfitzen. J u l e s Gu6rin sprach zuerst deutlich die Ursache des Secund~irschie- lens aus, bek~Jmpfie den noch immer bei vielen Chirur- gen herrschenden Gedanken, dass ein spasmotiseher Innervationszustand im abducens oder den obliquis, dutch die pl[itzliche Aufhebung des Widerstandes ein- geleitet, das Uebel bedinge. Er knfipi'te an seine An- sicht den Vorschlag, den zu welt zurfickgetretenen in- ternus wieder mehr naeh vora zu bringen und f'fihrte auch hierauf zielende Operatioaen mehrmals aus. Wit finden eine derselbea bei D e s m a r r e s (Traitt~ des mala- dies des yeux, ed. I. pag. 802) beschrieben. Seine Methode land jedoch mit Ausnahme D e s m a r r e s ' s nut wenig Nachahmer. Ich glaube, dass sich dies aus mehreren Uebelst~nden erkl~irt, denen ich dutch Ab~nderung des Veri'ahrens abzuhelfen bem~iht war. Nach EiaFdhrung dieser Ab'~nderungen hat die Vorlagerung beim Secun- d~irschielen alle vernfinftigen Anforderungen auf das Vollkommenste erf~illt und die kosmetischen Erwartun- gen der Kranken immer anf das G1/inzendste fibertrot'- fen. Ieh selbst habe die Operation in me hr als 40 Fiil- len verrichtet und viele yon meinen frfiheren Zuhtirern haben dieselbe mit den gleichen Ert'olgen vol]Ffihrt.

J u l e s Gu~r in trachtete danach, den zur[ickge-

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zogenen internus vollkommen f'rei zu pr~pariren; er ging zu diesem Zwecke an der sclera sehr weir nach hinten, entbl~sste den grSssten Theil der innern Augapfel- Wandung und unterwarf die natfirlichen und neugebil- deten Zellscheiden, welche er vorfand, wie er mehrfach hervorhebt, ,,einer mirmti~3sen Dissection"'. Ich glaube , dass eine solche Isolirung des Muskels durchaus 5ber- flfissig, und dass .die Zerschneidung der verschiedenen Zellgewebslagen sogar ffir das Gelingen gefiihrlieh ist. Es handelt sich meines Erachtens lediglich darum, das Zellgewebslager, in dem der Muskel liegt, auf der sclera beweglich zu machen; der Muskel selbst bleibe ia die- sem Lager ungest~3rt eingebettet. Erreichen wir die Verschiebbarkeit dieses Muskellagers, so ist tier Zweck erfdllt und die Sieherheit der gewfinschten Verklebung w~ichst nothwendig mit der Breite tier zur Verl~thung sich darbietenden ~'l~iche. Eine weit nach hinten gehende Entbl~ssung der sclera halte ich desgleichen ffir unn~thig und keineswegs f'dr gleichgfiltig. Es wird eine solche EntblSssung mit gleichzeitiger Dissection der Zellge- websschichten zuweiien gef~ihrliche Entzfindungen in den episcleralen Schichten und selbst in der sclera her- vorrufen. Endlich erhellt aus den Gu~r in ' schen Ope- rationen, dass das Auffinden des isolirtenMuskels sehr mfihselig und auch einigermaassen unsicher ist, w/ih- rend folgende Weise der Vorlagcrung eigentlich gar keinen erheblichen Schwierigkeiten unterliegt.

Ieh fasse die Conjunetiva ungegdhr in der Gegend der natfirlichen Muskelinsertion mit einer Schieberpin- cette und er~ffne dieselbe dicht vor tier Pincette, wie zur gew~hnlichen Tenotomie, nut in etwas grSsserem Um- fange. Ieh fibergebe alsdann die geschlossene Sehieber- pincette einem[Assistenten, welcher angewiesen ist, die ge- t'asste Conjunetiva yon der sclera abzuziehen, so dass man in das Bindegewebe m~Jglichst frei, wie in einen Trichter,

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hineinsieht. Gegen die ursprlingliche Muskelinserdon strahlen gew0[mlich yon d~m hiutern Muskellager sp$ir- lithe Faserz0ge aus, welche gleich yon der selera ab- gel0st werden k0nnen; noch vorsichtiger ist es jedoch, auch diese Abllisur,g vorI~ufig zu verschieben. Ich f'dhre welter eine Hakenpincette in den Raum zwi- schen der abgezogenen Con]unctiva und der sclera ein, gehe mit den geSffneten Branchen dieser Pincette stefl auf das an der Innenfl~iehe der Conjunctiva liegende Bindegewebe los, fasse es und ziehe es an, als wenn ieh es yon tier Conjunctiva losreissen und zugleich naeh vorn anzerren w01lte. Hierbei spannen sich die oben erw~ihnten, in sehr versehiedenem Maasse entwickelten Verbindungsfasern mit der friiheren Insertion und lassen sich leicht yon der sclera abliisen. Auf der andern Seite spannen sich zwischen den beiden Pincetten die straffen Faserziige, welche die gefasste Schicht mit der Coniunctiva verbinden: u n d e s wird nun die gefasste Schicht yon der Conjunctiva lospr~iparirt. Man geht

hierbei so weit yon vorn nach hinten, dass sich die Schicht ohne Widerstand hervorziehen und bis an den Hornhautrand oder gar noch fiber denselben hinweg- legen l~isst. Diese Sehieht steht allemal mit dem Zell- gewebslager des zurfickgezogenen Muskcls in confinuir- licher Verbindung, ja sie ste]lt nichts anderes dar, als die vorderen Ausl~iufer des Muskellagers. Wenn wir dieselbe gen0gend hervorziehen kiinnen, wie es am Ende der Pr~iparation der Fall sein soll, so erkennen wit an ihrer hinteren Fliiehe sehr deutlich die paralelen riithlich tingirten Faserziige, welche uns den in seinem Lager eingebetteten Muskel bekunden. Bei meinen ersten Operationen babe auch ich den Muskel in die- sere Lager dutch seidiche Trennungen beweglich ge- macht. Seitdem ich dies unterlassen, haben die Erfolge nicht das Mindeste verloren, und die ganze Operation

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hat an Leichtigkeit und an Sicherheit gewonnen. W~ihrend des Ab15sens der Zellgewebsschicht yon der Conjuiletiva habe ich zuweilea die Ietztere yon innen nach aussen gefenstert; die Beffirchtung, das Muskel- la~er zu verletzen, gab hierzu Veranlassung. Da dieser kleine Fehler keine Folgen mit sieh fShrt, so gen~ig t eine einfaehe Erw~ihnung. An der Selera herum zu pr~ipariren, halte ich nut da t'fir erforderlich~ we wirklich in den hinteren Theilen Adh~irenzen~ welche die Vorlegung des Zellgewebs hindern, sieh darbieten. In der fiberwiegenden Zahl der F~ille finden sich solche nicht. Wenn sie existiren, so verf~ihrt man am sehonendsten so, dass man dieselben vor- l~iufig unberfieksichtigt l~isst und erst successive~ wenn bet der empfbhlenen Vorziehung des Muskellagers eta Widerstand an der innern Fl~iche sich zeigt, diesen dutch kurze Scheerenschnitte zwisehen Selera und Mus- kellager hebt. Von einer eigentlichen, zu welt naeh hinten gelegenen Insertion des Muskels land ieh gerade in d~,n F~illen volIkommener Immobilit~it nichts; tier Muskel endigt hier blind im Bindegewebe ,and dieses ist nur dutch sp~irliehe Faserziige mit der urspriing- �91 Insertion oder mit einigen hinteren Stellen ver- bnnden. Da, we noch ein Theil der Beweglichkeit er- hahen war, wurden s stets markirte Andeutungen ether hintern Insertion vorgefunden, welche sich der Hervorziehung des Muskellagers entgegenstemmten und in tier angegebenen Weise durchschnitten werden muss- ten. Zu meirmm Verwundern hatte in vielen F~illen, selbst t5-.ifihriger Unth~itigkeit, der Muskel, wenn es m~iglich war seinen Bau zu eontrolliren, ein gutes flei- sehiges Aussehen, in andern seltnern F~illen ersehien derselbe sehr diinn und blass.

So wie die gewilnschte Versehiebbarkeit des Mus- kels erreieht ist, gehe ich zum zweiten Theil der Ope-

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ration auf der ~iussern Hemisphere des bulbus fiber. Um bier exact zu manSvriren, mtlss das Auge mittelst einer Hakespincette (in der N~he des innern Hornhaut- randes anzulegen) stark nach innen herfiber gewendet werden; bet dem erstea Theil der Operation war eine analoge Fixation nic'ht n~Jthig, well die vorhandene Diver- genz das Operationsterrain in geeigneter Weise zug~ng- Itch maehte. Ich verfahre 5brigens jetzt ganz wie es im vorigen Abschnitt f'dr die mit totalcr ROcklagerung ver- bundeae Vorlagerung angegeben wurde. Es unter- scheidet sich auch hier mein Verfahren yon dem Gudrin'schen, nach welchem der Faden durch alas episclerale Gewebe oder dutch die sclera selbst ge- zogen wurde. Abgesehen davon, dass mir eine Ein- legung des Fadens dureh die $iussern Sclerallagen nicht ohne Bedenken scheint, ist offenbar die Haltbarkeit des Fadens hier weniger als in der Muskelsehne abzumes- sen, und sodann llegt f'dr reich in der Durchschneidung des Ant,~gonisten eine wichtige B~irgschaft fOr das Gelin- gender ganzen Operation. DerZug des undurchschnittenen Antagonisten wird sich dem Zug des Fadens entgegen- setzen, letzterer wird weir mehr spannen, weniger gut ver- tragen werden, eher ausreissen etc. Endlich kommt die Schw~chung des Antagonisten in sehr gfinstiger Weise dem Effeete der Vorlagerung entgegen. Wir dOrfen nicht vergessen, dass der zurOckgezogene Mus- kel dutch die oh langj~hrige Unth~tigkeit wenigstens einen Theil seines WirkungsvermSgens eingebfisst hat, und dass ein StOck desselben gewShnlich dutch den Modus der frSheren Operation selbst verloren ging. Demzufolge wird es nicht zu erwarten sein, dass er trotz der Vorlagerung einem normalen Antagonisten alas Gleichgewicht bietet. Die Beffirchtung, dass durch Trennung des Abducens die Bewegliehkeit nach aussen verloren geht, gilt nur, wenn die Durchschaeidung ge-

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gen die angeffihrten Grundslltze, etwa zu weir nach hinten, verrichtet wird. Bei richtig befblgter Technik verlieren wit in maximo |!s an Beweglichkeit nach aussen, ein Verlust, der uns zur Herstellung der Symmetrie wesentlich zu statten kommt. - - Ffir Fiille, wo wir keiue sehr umfangreiche Vorlagerung des internus nSthig haben, genfigt auch eine partielle Abl6sung des Abducens, wie sie im vorigeu Abschnitt beschriebea wird. Es sind dies jedoch die lsei weitem seltneren Umstiiade.

Eine Schwierigkeit Ftir die Anlegung des Fadens tritt dadurch auf, dass auch der Rectus externus frfiher durchschuitten ward, wenn n~irnlich, wie es noch immer vorkommt, der Operateur sich gegen die entstandene Difformitiit auf diese Weise zu helfen gesucht. .Wir mfissea alsdann entweder eine hintere Insertion im Ab- ducens oder die Bindegewebsschicht so gut als mSglich Ffir die Anlegung des Fadens benutzen. Uaendlich vorzuziehen ist immer das Narbengewebe , welches den zurfickgezogenen Muskel mit der sclera verbindet; es eignet sich zum Stfitzpunkt viel mehr durch seine gr~ssere Diehtigkeit: Wird das subconjunctivale Binde- gewebe benutzt, wozu ich nur in zwei F~illen gezwun- gen war, so rathe ich, zwei F~iden an zwei verschiede- hen Often einzulegen, deren Wirkung sieh unterstfitzt und yon denen der eine beim Ausreissen des andern als Nothfaden dient.

Ueber den Verband und die Nachbehandlung habe ich zu dem im vorigen Abschnitt Gesagten nichts hin- zuzuFdgen.*)

") I~'h babe auch f~r das SecundKrschielen die Vorlagerung, ohne Anlegung eines Fadens in die Sehne des Antagonlsten, durch einfaches VornP.ben des mobil gemachten Muskellagers zu erreichen gesucht. Doch blieben diese Versuche auch hier ohne sichern Er-

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Was die Heilung anbetrifft, so finder hier ebenfalls eine Fl~cheuverlSthung des Muskellagers relativ mit vorderen Scleraltheilen start. Man t~usehe sieh bei der Beurtheilung des sp~tern Ortes des Muskels nieht. Wenn es aueh gelingt, das Zellgewebslager his in die N~ihe des Hornhautrandes zu bringen, so liegt doeh das vordere Ende des Muskels nieht an dem Anfange dieses Lagers, sonderu bereits in der Continuit~it des- selben, mithin einige Linien yore Hornhautrande ent- fernt.

Der Effect der Vorlagerung stellt sieh beim Secun- d~rsehielen noeh unendlieh gfinstiger als bei Muskel- 1/ihmungen heraus. Zuerst haben wit zweier, bereits im Vergleieh mit der einfachen Fadenoperation er- w/~hnter, kosmetiseher Uebelstgnde aufs Neue zu ge- denken, denen die Operation auf das Vortheilhaffeste entgegentritt, n~mlieh der Thrgnenkarunkelvertiefung und des seheinbaren Exophthalmos. Es ist aus der Operationsteehnik leicht begreiflieh, dass der die ThrN- nenkarunkel tragende Coniunetivallappen, indem er sich wieder naeh der Hornhautgr/inze hinstreekt, aueh s e i n e

sinu~se Form verliert. Die Karunkel trht erfahrungs- gem~iss wieder ganz in ihr Niwau zuri~ek und es l~isst nach dieser Seite bin die Operation nieht das Mindeste zu wfinschen fibrig. Das Hervortreten des Auges war zum Theil dutch die Muskelunth~/tigkeit (Verrfiekung des Drehpunktes), zum Theil dutch das umfangreiehe Zurfiek- weiehen des Zellgewebs yon der Horuhautgr//nze (Klaf- fen der Lidspahe) bedingt. Die Erfahrungsresultate best~itigen auf das GI~nzendste, dass die Vorlagerung diesen beiden Ursaehen steuert. Die Augen bekommen ganz ihre uormale Prominenz und ihre normale Oeff-

folg. Sio wi~rden nur da etwa wieder aufzunehmen sein, wo sich auf dor /iussern Seite gar kein Faden aubringen l~.sst.

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nung wieder. Am schSnsten konnte ieh dies bei meh- reren Patientinnen beohachten, welche auf beiden Sei- ten in ungleiehem Grade mit der Entstellung behaftet waren. Wurde zuerst das meist entstellte Auge ope- rift, so erschien dieses nun kleiner und weniger ge~Sff- net als das zweite. Nach der Operation des letzteren wurden entweder beide Augen gleich oder auch das letztoperirte noch um ein Weniges kleiner a]s das erst- operirte.

Die Hauptsache Ffir das Aussehen und Ffir die Function bleibt natfirlich der Wiedergewinn einer nor- ma[en Stellung und einer guten Bewegliehkeit. Auch in diesen Beziehungen leistet die Vorlagerung das m0g- lichste und hier unendlich mehr als bei den Muskell~ih- mungen. Dieser Vorzug erkl~rt sich eben daraus, dass wit beim Secund~irsehielen nicht blos ein vorhandenes Quantum Bewegliehkeit in gilnstigerWeise naeh dem mitt- leren Theil des Gesiehtsfeldes zu verpflanzen, allenfalls um eine geringe Quote zu vermehren haben, sondern class ein grosses Quantum his dahin latenter Beweglichkeit dureh die Operation wieder erweekt und richtig benutzt wird. Der zur[lckgezogene Muskel hatte eine ungenil- gende und jedeni'alls eine unwirksame Verbindung mit dem Bulbus. Sein Wirkungsverm6gen war hierdureh annullirt oder ~iusserst gesehw~icht. Wird nun alas Muskellager so welt nach vorn gebracht, dass das vordere Muskelende ungeF~ihr der nat[lrlichen Insertion entspricht, so wird der Muskel wieder wirkungsf~ihig und erh~ilt vielleicht einen Bewegliehkeitsbogen, der nur wenige Linien unter der Norm zurfickbleibt. Wird nebenbei der Antagonist in geeigneter Weise dutch R~eklagerung gesehw~ieht, so kann ein vollkommen symmetrisehes Verh~iltniss hergestellt werden, und es unterscheidet sich nunmehr tier Zusatnd yon dem normalen nur dadurch, dass der Bulbus nach beiden

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Seiten um t '", h~ehstens 2'", weniger beweglich ist. Dies sind in der That die Resultate, welche ich con- slant beim Secund~rsehielen erreiche, selbst in b'~illen, we neben st~irkster Diverg'enz n u t noch beschr~nkte Beweglichkeit im ~ussern Abschnitte des Gesichtsfeldes und die hSchste Entstellung durch Exophthalmos vor- handen waren. Ueberraschend ist auch das Wieder- erwachen der Beweglichkeit nach andern Richtungen, z. B. naeh oben oder nach unten, welche frfiher durc.h die abnorme Stellung verhindert wurde.

Es geh~rt o~enbar in kosmetischer Beziehung die Operation des Secund~rschielens zu dem Dankbarsten, was die Chirurgie hietet. Besonders wenn das Uehel ein beiderseifiges ist, sind diese Kranken mit ihren immobilen glotzenden Augen und oft unertr~glicher Diplopie in der That h~chst bedauernswerth. Es dfirRe kaum je durch eine andere Operation eine grSssere Ver~aderung im Gesichtsausdruek erreicht werden. Interessant f'fir die Localisation des Gesichtsfeldes ist der heftige Schwindel, welcher nach diesen nmfang- reichen Drehungen der Aug~ipfel hilufig in' den ersten Tagen nach der Operation stattfindet. Ich habe hierauf bere~ts andern Orts (siehe A, s O. Bd, I, t. S, t9,) aufmerksam gemacht.

Obwohl wir hier ein Nachlassen der urspriingliehen Operationswirkung in derWeise wie beiMuskelliihmungen nicht zu f~irchten haben, well ja der vorgeJagerte Inter- nus wirklich seine muskulare Th~itigkeit wieder fiber- nimmt, so ist doch eine scheinbar excessive Wirkung f'fir die erste Zeit zu erstreben. Das Bindegewebe n~mlich, welches die VerlSthung des Muskellagers mit der Sclera vermittelt, ist dehnbar, uad es zieht sich demgem~ss t/as Muskellager allm~]~g wieder I jj' oder l'A'" zurfick. Kurz nach Herausnahme des •adens

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muss das Auge dem innern Winkel nahe stehen. Tags darauf muss mindestens noch eine Convergenz yon 2'" bis 21~ ''', und noch nach zwei Wochen eine Gonver- /

genz yon i " ' ffir eine mittlere Stellung erhalten sein. Je vollst~indiger die Beweglichkeit naeh innen wieder hergestellt ist, desto geringer braucht verh&iltnissm';issig diese Convergenz ffir eine mittlere Stellung zu sein; je unvollkommener die Bewegliehkeit, desto hochgradiger die Convergenz. Unter ersteren Verh~ihnissen haben wit w~hrend tier Anl~3thungsperiode des Abducens ein geringeres, im zweiten Fall abet ein bedeutendes Nach- lassen der primiiren Wirkung zu erwarten.

Da wit das Quantum yon Vorlagerung nicht genau dosiren k~innen, sondern uns im Allgemeinen darauf beschr~inken, das Muskellager mSglichst nach vorn zu riicken, so ist es auch ersichtlich, dass die mittlere Stellung sich nicht genau voraus bestimmen l~isst. Es werden Schwankungen in derselben yon t ' " - - 2 ' " gegen die Pr~isumption eintreten, und wit mfissen deshalb Fdr alle F~ille darauf vorbereitet sein, behufs der mittleren Stellung noch eine zweite com- pensirende Operation zu verrichten. Ffir diese w~ihlen wit das zweite Auge. War tier Grad der Divergenz ein excessiver und die Beweglichkeit nach innen vollkommen aufgehoben, so wird auch nach der Vorlager ungnoch ein gewisser Rest yon Divergenz zurfickbleiben. Der Zu- stand, in dem wir den Internus vorfinden, wird meist hierfiber entscheidend sein. Alsdann muss entweder eine Tenotomie des Rectus externus auf der andern Seite, oder, wenn vielleicht aueh hier, nach vor- ausgegangener Operation, eine erhebliche Beweg- lichkeits-Besehr~lkung naeh innen existirte~ Vor- lagerung des Internus mit Riiek]agerung des Abducens gemaeht werden. Sehr h~iufig ereignet sich aueh der entgegengesetzte Fail, dass n~ixnlieh bei der Wieder-

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herstellung der Beweglichkeit eine excessive Wirkung Fdr die mittlcre Stellung, demnach Strabismus conver- gens eingeleitet wird. Es ist dieser Ausgang voraus- zusehen, wenn das Quant,~m yon Beweglichkeitsbe- schr~nkung, welches wit vorfinden, f~r die Divergenz excedirend gross ist.*) Haben wir z. B. linkerseits voll- kommene Unbeweglichkeit nach inncn~ abet fiir ein in der Mittellinie gehaltenes Ob.ject nur eine divergirende Abweichung -con tiff ' ' ' , so wird die Vorlagerung des Internus, in der Weise wie sic zur Wiederherstellung der Beweglichkeit nSthig ist, sicher eine pathologischo Gonvergenz herbcif/~hren. Diese ist dann dutch Rfick- lagerung des lnteraus im gesunden Auge zu corrigiren. Ich pftege hier yon vornherein die Kranken auf die Nothwendigkeit einer so]chert corrigirenden Operation vorzubereiten. Waltet zwischen dcr Divergenz und der Unbeweglichkeit das gew[inschte Verh~hniss, so kann allerdings die einmalige Operation genfigen, doch sind wir~ wie bereits erw~ihnt, nicht im Stande, kleinen Aber- rationen vorzubeugen~ und deshalb ist auch hier lieber die Nothwendigkeit zweier Operationen in Aussicht zu s t e l l e n . - Im Uebrigen ist auch die sp~itere Nachbe- handlung in den vorliegenden Fiillen yon grosser Wich- tigkeit. Es ereignet sich sehr h~ufig, dass, wenn das friiher an Secund~rschielen leidende Auge zur Fixa- tion benutzt wird, die Ablenkung des zweiten gering ausffillt, w~ihrend bei der Fixation mit diesem letztern das erste noch recht aufFtillig abweicht. Besonders finder sich dies dann, wenn durch die Hauptopcration neben der Herstellung der Beweglichkeit eine patholo- gische Convergenz erzielt war, die dann durch Riick- lagerung des Internus auf dem zweiten Auge verringert

*) Dies besonders, wenn hinter hochgradiges convergirendes Schielen mit flbr0ser Entartung des In~ernus zugegen war (siehe pag. 369).

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abet vorl/iufig noch nicht ganz aufgehoben wurde. We t an das friiher fiber den Weehsel der Seeund/irablen- kung nach Tenotomie Gesagte denkt, wird diese Er- scheinur~g erkl/irlich finden. Ein Schema fiir die Nach- behandlung 1/isst sich im Allgemeinea nicht geben. Man probire, unter welchea Fixationsverh~iltaissen die Stel- lung am g['mstigsten aust~illt, und diese Stellung iibe man, soi'ern sie anders bei den Bedingungen im Sehact zu benutzen ist, dutch Verdeckung eines Auges oder dutch das Tragen einer Schielbrille.

Wir kiinnen die Vorlagerung zurfiekgezogener Muskeln nicht verlassen, ohne auf zwei physiologisch interessaute Thatsachen aufmerksam zu machen. Die e r s t e liegt darin, dass iiberhaupt die Anheilung des MuskeHagers nach vorn gelingt. Bei der beschriebenen Operationstechnik bleibt die hintere F1/iehe des Muskels vollkommen glatt und uaverwundet; ebenso die etwa noeh auf der Sclera liegenden dfinnen Schichten epi- seleralen Bindegewebes. Die Besorgniss, dass ohne nachdrilckliche Verwundung an beiden zu verliithenden Theilen keine Anheilung stattilnden wiirde, Ffihrte eben J u l e s G u d r i n zu dem Gedanken, die Theile dureh Dissection wund zu machen und den isolirtea Muskel gewissermaassen in ein blutig vorbereitetes neues Zell- gewebslager einzubetten. Die Erfahrung hat zur Ge- niige bewiesen, dass ohne solche Verwundung die Anllhhung gelingt, und ieh glaube.demgem~iss, dass es lediglich der Lu[teintritt in diese Theile ist, der einen gewissen Grad yon F1/ichenexsudation herbeifiihrt. Eine sehr natiirliche Erkl~rung w~ire die, dass iiber- haupt keine Verl0thung der Fl~ichen zu Stande k~me, sondern dass lediglich die vorderen, verwundeten Rand- partieen eine Verbindung mehr nach vorn eingehen und hierbei das iibl'ige Muskellager mit sich ziehen.

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Dass dies jedoch nicht exact ist, habe ich in zwei Ffillen~ wo ich die Vorlagerung auf einem Auge wiederholte, gesehen. Es gingen die Adh~irenzen, obwohl nach vorn st~irker, doch sehr welt nach hin- ten und mussten ia grossem Umfange gelfist werden.

Die z w e i t e Thalsache ist die, dass der Mus- kel nach so langcr Unth~itigkeit noch eine muskulare Structur besitzt und ether Wiederaufnahme ~einer Function flihig ist. Ich habe drei odor vier F~ille aus dem ersten Jahre dcr Schieloperation und fiber zwan- zig aus den ersten drci Jahren operirt. In allen diesen F~illen trat, trotz der mehr als t3j~hrigen Unth~itigkeit, eine ganz erwfinschte Beweglichkeit wieder eta. Gra- duello Unterschiede hierin sind freilieti nicht zu ver- kennen. Zuweilen sehen wit beim Vorziehen des Zell- gewebelagers, wie oben erw~ihnt, noch eine rSthliche fleischige Masse den Muskel darstellend, in andern Flillen ist derselbe blass und verdfnnt. Trotz die- ser Unterschiede trat immer der gr~sste Theil der Beweglichkeit wieder ein.*) Offenbar mfissen wir, schon um uns diese Erhahung des Muskels zu crkl~iren, annehmen, dass derselbe permanent Inervationsimpulse empfing und dass nut dos Contractionsbcstehen sich deshalb nicht ~iussern konnte, weil ffir die Lage des Mus- kels die Last des herfbergezogenen Bulbus zu gross war. Bet Muskell~ihmungen finden wir schon nach viol kiirzeren Terminen atrophisches Schwinden dot Muskel- substanz, zuweilen ouch wohl fettige Entartung, obwohl ich se[bst 5her diesen letzten Punkt keine einschl~gige Beobachtung aus meiner Praxis anfi~hren kann.

Dass nach Tenotomieen des AbdOmens zu grosse

o) Wir m~ssen bei Taxation c~.er Beweglichkeit natfirlich yon vornherein dos Quantum abziehea, welchos sich dutch Uebertragung yon der ~iussern H~lfte des Bulbus her auf Grund der Abducens- Rilcklagerung crklgrt.

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Unbewegliehkeit nach aussen und Ueberweiehen naeh innen entstPht, kommt h~3chst selten vor. Ich habe nut zweimal deshalb zur Opf:ration gPgriffen, wek.he mutati~ mutandis gauz in derselben Wei~e ausge~il,rt wurde. Dagegen ereignet es sich, wenu wegen des Secund':ir. Schielens nach aussen wiederholte Tenott~mieen dos Abdu- eens oder Exei~ionen in demselben verrichtet wurden, dass ein vollkommea immobiler Bulbus vorgefunden wird. Ist hierbei die mittlere Stellung nicht wesentlich pervertirt und der gxophthalmos nicht zu entstellend, so wfirde es fiberhaupt kaum geeignet seth, eine Operation zu unternehmen. Bet eiuer Patientin, wo hierbei gleich- zeitig Divergenz, :,iusserste Verllefung der Carunkel und Exophthalmos zugegen war, anhm i~:h zuerst dis Vorlagerung des Internus und ein halb Jahr sp;iter dis Vorlagerung des gxternus vor. Bet der letzteren dureh- schnitt ich natiirlich das vorgeschnbene ~,Iuskellager an der innern Seite dee Cornea nicht, sondern begt~iigte mich~ einen Theil desselben mit der FadenschlirJge zu umfassen, nachdem zuvor das Lager des Abducens beweglich gemacht worden war. - - Mehrere F/ille yon Unbewegl]chkeit nach unten resp. nach oben habe ich aus der ~V.iegenzeit tier Sch;eloperation, wo man mit Durch- schneidung vieler Augenmuskela in eitmm Auge sehr li'ei- gehig war, zu Gesicht bekommen. In einem derselben, wo ein hSchst entstellendes Schielen nad~ oben bet voll- kommener Unbeweglichkeit naeh uaten zugegen ist, habe ich die Vorh, gerung des Rectus inferiur mit Rilck- lagerung des superior proponirt, abet noch Ilicht aus- gef'dhrt.

Indem ich hiermit mettle erste Abhandlung fiber Sehielen der OeR'entliehkeit ~bergebe, bemerke ich, dass die. beidea n~ichsten Abhandlungen, welche die Aetio-

J~lbiv /'~- Opht,b-b.',ologie. Bd. TIT- 1. ~,~

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logie und Pathogenie des Schielens, das Verh~iltniss zum Sehverm6gen, die affatomischen Ver~inderungen in den Muskeln und in dcn Gebilden des Augapi'els, spon- tane Heilung so wie Heilung auf nichtoperativem Wege, lndicafionea zur Operation und Nachbehandlung um- fassen, nicht unmittelbar, sondern erst in sp~itern B~inden s werdea.