3
E lektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar- denne-Institut in Dresden versucht, sie zur Praxisreife zu bringen. Mehr als ein Jahrzehnt später, 1995, beschloss man im Dresdener Fraunhofer Institut FEP, die Tech- nologie wiederzubeleben und daraus eine praxisfähige Maschine zu entwickeln. An- fang des neuen Jahrtausends war dann der Prototyp einer Anlage fertig, entwickelt vom FEP und der Schmidt-Seeger GmbH. Seit 2002 werden mit der e-ventus jähr- lich mehrere tausend Tonnen Saatgut ge- beizt und von Landwirten und Gartenbau- ern in ganz Europa verwendet. Schon nach wenigen Jahren wechselte sie als mobile An- lage, auf einen Sattelschlepper montiert, zur BayWa AG und Getreide AG, wo sie jährlich über 10.000 t Saatgetreide veredelt. Dr. Olaf Röder und Mathias Kotte waren damals beide schon dabei. Der eine, Röder, kommt vom Fraunhofer Institut, der andere vom Maschinenbau-Partner Schmidt-See- ger. Sie arbeiteten gemeinsam am Prototyp der e-ventus-Anlage und dachten weiter: Warum sollte man die Technologie nicht in einer kleinen, handlicheren Maschine unter- bringen können? So gründeten sie gemein- sam 2009 die Evonta-Service GmbH. Reine Physik Am Firmensitz des Start-up-Unternehmens in Radeberg nahe Dresden erklärt Dr. Olaf Röder das technische Prinzip, das hinter der Elektronenbeize steckt: „Unsere Beize wirkt rein physikalisch. Sie beruht auf der bioziden Wirkung von niederenergetischen Elektro- nen.“ Dafür wird der Saatgutstrom in der Ma- schine zu einem dünnen Vorhang vereinzelt, Beize aus der Steckdose Strom — also die gerichtete Bewegung elektrischer Ladungsträger — kann vieles: Er macht Licht, heizt, betreibt Elektrogeräte und erzeugt Magnetfelder. Aber Strom kann noch mehr: Er kann Saatgut von Schaderregern befreien. FOTOS: IMAGO, HAHN Kurz & knapp P Das Prinzip: Elektronen zerstören bis in eine festgelegte Eindringtiefe alle Pathogene auf Samenkörnern. P Diese Art Beize ist zuverlässig, nicht resistenzanfällig und sehr preiswert. P Große Anwender der Technologie: BayWa AG unter der Marke e-pura, Ceravis AG (e-vita). P Getreide-, Mais-, Gemüse- und Sonderkultursaaten können elektronen- gebeizt werden. N MAI 2016 agrarmanager 69 Pflanze PRODUKTION N Saatgutbehandlung

Beize aus der Steckdose - EVONTA€¦ · E lektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar-denne-Institut in Dresden

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Beize aus der Steckdose - EVONTA€¦ · E lektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar-denne-Institut in Dresden

Elektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar-denne-Institut in Dresden versucht,

sie zur Praxisreife zu bringen. Mehr als ein Jahrzehnt später, 1995, beschloss man im Dresdener Fraunhofer Institut FEP, die Tech-nologie wiederzubeleben und daraus eine praxisfähige Maschine zu entwickeln. An-fang des neuen Jahrtausends war dann der Prototyp einer Anlage fertig, entwickelt vom FEP und der Schmidt-Seeger GmbH. Seit 2002 werden mit der e-ventus jähr-lich mehrere tausend Tonnen Saatgut ge-beizt und von Landwirten und Gartenbau-ern in ganz Europa verwendet. Schon nach wenigen Jahren wechselte sie als mobile An-lage, auf einen Sattelschlepper montiert, zur BayWa AG und Getreide AG, wo sie jährlich über 10.000 t Saatgetreide veredelt.

Dr. Olaf Röder und Mathias Kotte waren damals beide schon dabei. Der eine, Röder, kommt vom Fraunhofer Institut, der andere vom Maschinenbau-Partner Schmidt-See-ger. Sie arbeiteten gemeinsam am Prototyp der e-ventus-Anlage und dachten weiter: Warum sollte man die Technologie nicht in einer kleinen, handlicheren Maschine unter-bringen können? So gründeten sie gemein-sam 2009 die Evonta-Service GmbH.

Reine PhysikAm Firmensitz des Start-up-Unternehmens in Radeberg nahe Dresden erklärt Dr. Olaf Röder das technische Prinzip, das hinter der Elektronenbeize steckt: „Unsere Beize wirkt rein physikalisch. Sie beruht auf der bioziden Wirkung von niederenergetischen Elektro-nen.“ Dafür wird der Saatgutstrom in der Ma-schine zu einem dünnen Vorhang vereinzelt,

Beize aus der SteckdoseStrom — also die gerichtete Bewegung elektrischer Ladungsträger — kann vieles: Er macht Licht, heizt, betreibt Elektrogeräte und erzeugt Magnetfelder. Aber Strom kann noch mehr: Er kann Saatgut von Schaderregern befreien.

FOTO

S: IM

AGO

, HAH

N

Kurz & knapp

P Das Prinzip: Elektronen zerstören bis in eine festgelegte Eindringtiefe alle Pathogene auf Samenkörnern.

P Diese Art Beize ist zuverlässig, nicht resistenzanfällig und sehr preiswert.

P Große Anwender der Technologie: BayWa AG unter der Marke e-pura, Ceravis AG (e-vita).

P Getreide-, Mais-, Gemüse- und Sonderkul tursaaten können elektronen-gebeizt werden.

N

MAi 2016 agrarmanager 69

Pflanze PRODUKTION

N Saatgutbehandlung

Page 2: Beize aus der Steckdose - EVONTA€¦ · E lektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar-denne-Institut in Dresden

erklärt er weiter. Dieser Vorhang fällt durch zwei sich gegenüberliegende Elektronenge-neratoren, die zwischen sich eine „Elektro-nenwolke“ freisetzen.

Diese Elektronen dringen mit einer exakt eingestellten Energie in die Samenschale ein und zerstören dort jedes Pathogen: Mikro-pilze, Bakterien und sogar Viren. Die Be-handlungstiefe wird vorher nach der Dicke der Samenschale einer jeden Saatgutart und den Hauptpathogenen berechnet, dann kann diese Energiemenge per Knopfdruck an der Beizanlage eingestellt werden.

Beim Fall durch die Elektronenwolke wer-den also im Saatgutstrom die Schad erreger zerstört. Die volle Keimfähigkeit des Saat-gutes bleibt dagegen erhalten. Es wird nicht feucht und erwärmt sich auch nicht — daher unterliegt es keinem Beizstress.

Auch eine Resistenzbildung bei den Pa-thogenen ist, wie Röder erklärt: „sehr un-wahrscheinlich. Es werden schließlich alle Erreger sehr unspezifisch zerstört.“

Welche Krankheitserreger das in der Hauptsache sind, beschreibt Röder anschlie-ßend: „Im Getreide werden zum Beispiel Brandkrankheiten wie Steinbrand beim Wei-zen und Stängelbrand beim Roggen besonders wirksam erfasst. Mit Fusarium und Schnee-schimmel infiziertes Saatgut läuft nach der Behandlung besser auf. Insgesamt stellen wir einen um zwei bis fünf Tage verkürzten Feld-

aufgang fest. Wir denken, das liegt vor allem am fehlenden Beizstress.“

Zahlreiche wissenschaftliche Institutio-nen, Landesanstalten und Züchter haben sich in den vergangenen Jahren mit der Techno-logie beschäftigt. Offenbar mit positiven Er-gebnissen, denn die Beizung wird vom Bun-desforschungsinstitut für Kulturpflanzen, dem Julius Kühn-Institut (JKI), empfohlen. Sie ist als zugelassenes Verfahren im europä-ischen Saatgutstandard (EPPO) gelistet und — da keine chemischen Wirkstoffe zur An-wendung kommen — auch für ökologisch erzeugtes Saatgut zugelassen. Als Pluspunkt zählt auch, dass Bienen und andere Nützlinge geschont werden sowie in Trinkwasserschutz-gebieten keine chemischen Wirkstoffe frei-gesetzt werden können. Die Methode trägt nicht zuletzt dazu bei, den Einsatz der wegen ihrer endokrinen (hormonellen) Wirkung umstrittenen Fungizide zu reduzieren.

Die kleine SchwesterDie Evonta Service GmbH, die all diese Er-kenntnisse in die Entwicklung der „kleinen Schwester“ der e-ventus-Anlage steckte, hat inzwischen acht Mitarbeiter und fünf studentische Hilfskräfte (www.evonta.de). Das kleine Unternehmen versucht sich auf einem Gebiet zu etablieren — der Saatgut-beizung — das eigentlich seit Jahrzehnten gut erforscht und fest auf verschiedene Markt-

1 Die Evonta e-3 wurde auf der Agritechnica 2015 als Weltneuheit vorgestellt. Die kom-pakte kleine Schwester der bisherigen Anlagen kann mit einem Durchsatz von bis zu 6 t je Stunde verschiedenste Kulturen beizen.

2 Versuche laufen zu zahlreichen Kulturen: Neben Getreide, Mais, Raps oder Zuckerrüben sind vor allem Sonderkulturen interessant, für die es zum Teil keine zugelassenen che-mischen Beizmittel gibt.

3 Dr. Olaf Röder (links) und Mathias Kotte sind Geschäftsführer der Evonta Service GmbH. Die vertreibt das Beizgerät, forscht am Prin-zip der Elektronenbeize für verschiedene Kulturen und bietet die Beizung von Saatgut als Dienstleistung an.

1 2

3

70 agrarmanager MAi 2016

PRODUKTION Pflanze

N Saatgutbehandlung

Page 3: Beize aus der Steckdose - EVONTA€¦ · E lektronen als Saatgutbeize — die Idee ist nicht ganz neu. Schon in den 1980er Jahren wurde im Manfred-von-Ar-denne-Institut in Dresden

teilnehmer aufgeteilt ist. Röder kommentiert trocken: „Es gehört eben Mut dazu, erfolg-reich zu sein“.

Die „Evonta e-3“, die schließlich nach jahrelanger Entwicklungsarbeit als Welt-neuheit auf der Agritechnica 2015 vorge-stellt wurde, funktioniert nach dem gleichen Wirkprinzip, steckt aber in einem vergleichs-weise geradezu handlichen Kasten von etwa 3 mal 2,2 m Größe, der dennoch mit einem Durchsatz von bis zu 6 t in der Stunde Ge-treide beizen kann.

Der Prototyp steht in der Werkshalle in Radeberg. Mit ihm wird Versuchssaatgut be-handelt, hier finden Vorführungen statt, in der Saison beizt das Gerät für Kunden Saat-gut von Sonderkulturen und Getreide.

Beizung als Dienstleistung und Verkauf der Anlagen — das sind die beiden Geschäfts-zweige von Evonta. Potenzielle Käufer müs-sen sich auf eine längere Wartezeit einrich-ten, denn die etwa 650.000 € teuren Geräte werden vollständig in Handarbeit hier in die-ser Halle zusammengesetzt. Bei neun Mona-ten liegt die Bestellzeit im Moment. Danach amortisiert sich — bei ausreichender Produk-tionsmenge — das Gerät recht schnell: Kos-tet doch das Beizmittel für eine Dezitonne Saatgut bei allen Kulturen etwa 20 ct. Das ist der Preis für den Strom, den das Gerät ver-braucht. Keine Wirkstoffkosten, keine Rück-trocknung des Saatgutes.

Ein weiteres aufwendiges Betätigungs-feld für das kleine Unternehmen ist die For-schung. Es gibt in dieser neuen Technologie so gut wie keine Ergebnisse anderer Wissen-schaftler, auf die man zurückgreifen könnte. Deshalb bestehen Kontakte zu wissenschaft-lichen Institutionen wie dem JKI und zu vie-len Hochschulen, unter anderem zum Fach-bereich Agrarwirtschaft der HTW Dresden. Denn die wissenschaftliche Vorarbeit ist enorm aufwendig: Jede Kultur hat ihre eige-nen typischen samenbürtigen Schädlinge. Die müssen erfasst und ihre Widerstandsfähigkeit untersucht werden, ebenso wie die bereits erwähnte Eindringtiefe der Elek tronen in die Samenschale bestimmt werden muss.

Erhältlich ist e-ventus-gebeiztes Saatgut derzeit für Getreidearten, Mais, verschiedene Gemüse sowie Arznei- und Gewürzpflanzen. Besonders im Getreide ist natürlich, wie Röder

bestätigt, die Bekanntheit wegen der jahre-langen Aktivitäten von BayWa AG und Ce-ravis recht gut. Im Mais laufen Versuche mit verschiedenen Züchterhäusern. In Zucker-rüben, erzählt der Geschäftsführer, funktio-niert die Technologie zwar ebenfalls tadellos. Aber hier machen ihnen die Marktstruktu-ren Schwierigkeiten: Der Markt ist gut auf-geteilt, Vermehrung und Aufbereitung lie-gen in Züchterhand. Ähnliches gilt für den Raps: Versuche haben gezeigt, dass die Elek-tronenbeize vor allem bei Phoma, Alternaria und Xanthomonas sehr gut wirkt. Aber es ist für das kleine Unternehmen zeit- und per-sonalaufwendig, Kontakt zu den Züchtern herzustellen.

Recht etabliert, sogar europaweit, ist dage-gen die Beizung verschiedener Sonderkultu-

Technische Daten der Evonta e-3

Universelle vollautomatische Anlage für den stationären und mobilen Einsatz

Vollautomatischer Betrieb mit „3-Tasten“ Bedienung

Elektronische Qualitätsüberwachung, Integriertes Diagnose- und Fernwartungssystem

Preis der Beizung: 4—6 kWh/t, etwa 20 ct/dt Saatgut

Gerätepreis: etwa 650.000 €

Saatgutarten Alle gut vereinzelbaren Saatgutarten, z. B. Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Raps, Lupine, Erbsen, Mais, Sonnenblume, Petersilie, Möhre, Kohlarten u.v.m.

Leistung N Getreide: 3—5 t/h N Gemüse: 50 kg—1.000 kg/h (abhängig von der Saatgutart)

Elektronische Beizung N Vollautomatische Regelung, entsprechend den individuellen Anfor-derungen des Saatgutes

N Verbesserte Keimfähigkeit durch innovatives Produkthandling und optimale Prozessführung

N Nachweis und Vergleichbarkeit durch physikalische Referenzierung

Dimensionen e-3 Anlage (H × B × T) ca. 2,7 × 3,2 × 2,2 m, Transporthöhe: 2,5 m

Elektr. Anschluss 1 × CEE 63 A/400 V/50 Hz

Elektr. Leistungsaufnahme 25—30 kW (abhängig von Saatgutart)

Betriebsart Vollautomatisch gesteuerter Betrieb

Sicherheit EG-konform, Vollschutzsystem nach geltenden Sicherheitsstandards

Gewicht ca. 5.900 kg

ren: In Mohn beispielsweise existieren keine chemischen Beizmittel. Sie sind dem allseits bekannten Dilemma der Lückenindikatio-nen zum Opfer gefallen. Also ist schon die Hälfte des in Tschechien angebauten Moh-nes elektronengebeizt. Für Gemüse und Ge-würzpflanzen gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Züchterhaus Christensen, bei Son-nenblumen wird mit verschiedenen Züch-tern kooperiert. Im Bereich Gemüse- und Sonderkulturen, vor allem bei Tomaten und Kohlgemüse, haben unsere holländischen Nachbarn großes Interesse.

Es sieht ganz so aus, als stünde die nicht ganz neue Idee der Beize aus der Steckdose nun endgültig vor ihrem Durchbruch.

Catrin Hahn, Redaktion agrarmanager

MAi 2016 agrarmanager 71

PRODUKTION Pflanze

N Saatgutbehandlung