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Bemerkungen zur progressiven Besteuerung und zur steuerlichen Leistungsfähigkeit Author(s): Heinz Haller Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 20, H. 1 (1959/60), pp. 35-57 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40909371 . Accessed: 17/06/2014 02:07 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.78.109.162 on Tue, 17 Jun 2014 02:07:17 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

Bemerkungen zur progressiven Besteuerung und zur steuerlichen Leistungsfähigkeit

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Bemerkungen zur progressiven Besteuerung und zur steuerlichen LeistungsfähigkeitAuthor(s): Heinz HallerSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 20, H. 1 (1959/60), pp. 35-57Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40909371 .

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Bemerkungen zur progressiven Besteuerung und zur steuerlidien Leistungsfahigkeit

von

Heinz Haller

I

Die progressive Besteuerung des Einkommens ist heute zur Selbstver- standlichkeit geworden. Gelegentlich kommt es zwar noch vor, daB jemand behauptet, sie sei ungerecht und es sei daher besser, zur proportionalen Be- steuerung zurfickzukehren ' doch bleiben solche kritischen Stimmen ohne Wirkung. Auch der Einwand, den C. Fohl gegen die progressive Einkommens- besteuerung erhoben hat: sie fuhre bei den Unternehmereinkommen gar nicht zu einer Differenzierung der Steuerbelastung, weil die Steuer im we- sentlichen iiberwalzt werde2, ist durch die anschlieBende Diskussion weit- gehend abgeschwacht und von Fohl selbst nur noch in stark reduziertem Umfang aufrechterhalten worden3. Die mitunter vorgebrachte Kritik, die Wirkung der progressiven Besteuerung verpuffe infolge Steuervermeidung, durfte ebenfalls nicht durchschlagend genug sein, urn die uberaus feste Stel- lung der Progressivbesteuerung zu erschiittern. Die angestrebten Belastungs- effekte, so wird man einraumen, treten zwar nicht in vollem Umfang ein, trotzdem, so wird man sagen, ist eine Tarifgestaltung, bei der die Steuer- satze mit der Hohe des Einkommens zunehmen, das beste Mittel, um eine Lastenverteilung nach der ,,Leistungsfahigkeit" zu erreichen.

Wie sehr in den Diskussionen des 19. Jahrhunderts um die Klarung der Frage gerungen wurde, ob zur Erzielung einer ,,gerechten", an der ,,Lei- stungsfahigkeit" orientierten Verteilung der Steuerlasten eine progressive Besteuerung erforderlich sei oder ob eine proportionate Besteuerung eher zu einem solchen Erfolg filhre, ist heute weitgehend in Vergessenheit ge-

1 Von bekannten Nationalokonomen hat sich Hayek vor einiger Zeit in diesem Sinne geauBert (vgl. F. A. Hayek, Die Ungerechtigkeit der Steuerprogression, Sohweizer Monatshefte, Jahrg. 32, S. 508 fif.). 1 C. Fohl, Kritik der progressiven Einkommensbesteuerung, Finanzarchiv, N. F., Bd. 14, S. 88 ff. 8 Vgl. C.Fohl, Das Steuerparadoxon, Finanzarchiv, N. F., Bd. 17, S. IS.; dort auch Anfiihrung der Diskussionsbeitrage.

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36 Heinz Hotter

raten. Die Frage gilt als entschieden, und zwar entschieden zugunsten der Steuerprogression. DaB ihretwegen einmal ein so heftiger Streit entbrannt war, erscheint kaum mehr begreif lich. Geniigt es nicht, auf den abnehmenden Grenz- nutzen zusatzlicher Einkommensteile hinzuweisen, um die Notwendigkeit einer progressiven Besteuerung evident zu machen ? Die Ergebnisse der da- maligen Diskussionen zeigen, daB dies nicht geniigt und daB man sich die Sa- che nicht so einfach machen kann, wie man heute, angesichts der Selbstver- standlichkeit der progressiven Besteuerung und in dem Gefiihl, hier auf ab- solut sicherem Boden zu stehen, vielfach glaubt.

Es erscheint durchaus angebracht, wieder einmal in Erinnerung zu bringen, daB man sich in dieser Frage insofern auf durchaus schwankendem Boden befindet, als man letzten Endes zur Begriindung der Forderung nach einer progressiven Einkommensteuer auf gefuhlsmaBige Nutzenabwagungen rekurrieren muB nach dem Schema : Die Abgabe einer gleichen Einkommens- quote bedeutet fur ein hohes Einkommen ein geringeres (relatives) Opfer als fur ein niedriges, weil die prozentuale NutzeneinbuBe (die relative Be- eintrachtigung der Bediirfnisbefriedigung) hier geringer ist. Stellt man zwei Jahreseinkommen von DM 100 000.- und DM 10 000.- einander gegeniiber, die beide mit 20% steuerlich belastet werden, so wird jedermann die Ab- gabe von DM 20 000.- gefiihlsmaBig geringer veranschlagen als die von DM 2 000.-, so daB sich die Forderung ergibt, zur Erreichung eines gleich groBen relativen Opfers das Einkommen von 100 000.- mit einem hoheren Satz als 20% zu belasten.

Die klassisch zu nennende Untersuchung zur Frage der Notwendigkeit einer progressiven Einkommensbesteuerung von A.J.Cohen Stuart1, der wich.tigste Beitrag der hollandischen Schule von Steuertheoretikern, fiihrt zu dem eindeutigen Ergebnis, daB die Abnahme des Grenznutzens zusatz- licher Einkommensteile die progressive Besteuerung keineswegs generell er- forderlich macht, um eine relativ gleiche NutzeneinbuBe der Besteuerten (ein gleiches relatives Opfer) zu erreichen. Vielmehr sind auch Falle denkbar, in denen trotz abnehmenden Grenznutzens eine proportionate oder gar eine degressive Besteuerung notwendig ist, um dieses Ziel zu verwirklichen. Ent- scheidend fur die anzuwendende Skala der Steuersatze ist der Umstand, in welcher Weise der Grenznutzen abnimmt. Es soil hier die Beweisfiihrung von Cohen Stuart nicht wiederholt werden, doch halten wir es fur niitzlich, in moglichst einfacher Weise eine Vorstellung da von zu vermitteln, wie die Art der Abnahme des Grenznutzens fur die Frage: Soil zur Erreichung eines gleichen relativen Opfers progressiv, proportional oder degressiv besteuert werden ?, entscheidend ist. Das Problem ist rein mathematischer Natur und besteht darin, zu zeigen, unter welchen Bedingungen die Beschneidung des Einkommens um eine bestimmte Quote fiir alle Einkommenshohen zu einer gleichen prozentualen Verminderung des Gesamtnutzens, unter welchen Be- dingungen sie bei steigendem Einkommen zu einer abnehmenden prozen-

1 A. J. Cohen Stuart, Bijdrage tot de theorie der progressive inkomstenbelasting, Den Haag 1889, englische tJbersetzung der wichtigsten Teile unter dem Titel: On Progressive Taxation, in: Classics in the Theory of Public Finance, herausgegeben von R. A. Musgrave und A. T. Peacock, London-New York 1958, S. 48 ff.

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tualen Verminderung des Gesamtnutzens und schlieBlich, unter welchen Be- dingungen sie bei steigendem Einkommen zu einer zunehmenden Verminde- rung des Gesamtnutzens fiihrt.

Verwenden wir eine graphische Darstellung und tragen wir in einem Koordinatensystem in der waagerechten Richtung das Einkommen, in der senkrechten die Grenznutzen der einzelnen Einkommensteile (bei gegebenem Preisniveau) ab (Fig. 1), so zeigt der Verlauf der auf diese Weise zustande

IP^W - r 0 DANE x

Fig. 1

kommenden Grenznutzenkurve die Art, in der die Grenznutzen abnehmen. Die bekannte Tatsache, daB es keinen absoluten MaBstab gibt, an dem die GroBe des Grenznutzens gemessen werden kann, braucht uns hierbei nicht zu storen. Die Art des Kurvenverlaufs bleibt von der MaBstabfrage unbe- riihrt oder, anders ausgedriickt, wir konnen die Grenznutzen mit jedem be- liebigen Faktor multiplizieren, ohne daB die Merkmale des Kurvenverlaufs, die fur unsere Frage relevant sind, geandert werden. Die Flache, die von der Grenznutzenkurve, den beiden Koordinatenachsen und der den Grenz- nutzen des letzten Einkommensteils darstellenden Ordinate begrenzt wird (so die Flache OEFM in der Fig. 1), stellt die GroBe des Gesamtnutzens dar, den das betreffende Einkommen gewahrt. Wird nun ein Einkommen von irgendwelcher Hohe um eine bestimmte Quote durch die Steuer gekiirzt, z. B. das Einkommen OA um ein Viertel auf OD, so laBt sich die NutzeneinbuBe in der entsprechenden Verminderung der Gesamtnutzenflache ablesen, hier also in der Verminderung der Flache OABM um die schraffiert gezeichnete Flache DABC. Das Verhaltnis der wegfallenden Flache zu der bisherigen Ge- samtflache zeigt die prozentuale GesamtnutzeneinbuBe an. Wird ein hohe- res Einkommen um die gleiche Quote gekiirzt, z. B. OE wiederum um ein Viertel auf OH, und ergibt sich dabei die gleiche prozentuale Gesamtnutzen- einbuBe, hier abzulesen als Relation der Flachen HEFG und OEFM, so fiihrt die proportionale Besteuerung zu einem gleichen relativen Opfer. 1st dagegen bei gleicher Kiirzungsquote der Einkommen die relative EinbuBe an Gesamtnutzen (das Verhaltnis der wegfallenden Flache zur urspriing- lichen Flache) geringer, so muB die Besteuerung progressiv sein; ist sie gro'Ber, so ist eine degressive Besteuerung erforderlich.

Die den Gesamtnutzen eines Einkommens darstellende Flache ist nichts anderes als das bestimmte Integral der Grenznutzenfunktion fur den Be- reich zwischen dem Einkommen Null und dem betreffenden Einkommen.

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38 Heinz Hotter

Schreiben wir die Grenznutzenfunktion an mit u = f(x) und bezeichnen wir das bei der Integration zu beriicksichtigende jeweilige Einkommen mit ? * und den Steuersatz mit q, so konnen wir die Bedingung fiir die Erreichung der relativen Opfergleichheit wie folgt formulieren:

f f (x) dx - c f f (x) dx, f(l-q) °

wobei c eine Konstante bedeutet. 1st diese Bedingung bei konstantem q er- fiillt, so ist die proportionate Besteuerung angemessen; ist sie nur erfiillbar, wenn q mit dem Einkommen ansteigt, so benotigt man die progressive Be- steuerung; wird ihr nur entsprochen, wenn q mit steigendem Einkommen sinkt, so muB man zur degressiven Besteuerung greifen. Denselben Sachver- halt kann man auch unter Verwendung der Gesamtnutzenfunktion, also des Integrals der Grenznutzenfunktion, formulieren. Schreiben wir diese mit

rs "l V = 'f(x) dx = F(%)> so ergibt sich:

I o J F(£)-F[£(l-q)]

= cF(e). Wir wollen nun zunachst einen Verlaufstyp der Grenznutzenkurve be-

trachten, bei dem zur Erreichung der Opfergleichheit eine progressive Be- steuerung erforderlich ist: eine gradlinig von links nach rechts abfallende Grenznutzenkurve. Mit Hilfe der Darstellung in Fig. 2 lafit sich auf einen Blick die Notwendigkeit der Steuerprogression erkennen. Um den Sach-

0 D A E NX

Fig. 2

verhalt moglichst drastisch sichtbar zu machen, haben wir die Grenznutzen- gerade bis zum Schnittpunkt mit der a;-Achse (in dem der Grenznutzen Null wird) durchgezogen und eine 50%ige Besteuerung angenommen. Wird das Ein- kommen OA mit 50% besteuert (Reduktion auf OD), so ergibt sich die schraffiert gezeichnete NutzeneinbuBe ABCD. Diese Flache ist annahernd

1 Eine exakte mathematische Darstellung verlangt hier die Verwendung einee neuen Symbols fiir die unabhangige Variable.

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halb so groB wie die Gesamtnutzenflache vor der Besteuerung. Sie ist nur um das kleine Dreieck BB'C kleiner als die Halfte dieser Flache. Besteuert man das Einkommen ON, dessen Grenznutzen in N Null wird, mit 50%, so ist die NutzeneinbuBe, dargestellt durch die schraffierte Flache ENF, wie leicht zu sehen ist, nur ein Viertel des Gesamtnutzens vor der Besteuerung (Flache ONM). Der gleiche Steuersatz von 50% fiihrt also bei dem groBeren Einkommen zu einer wesentlich geringeren prozentualen NutzeneinbuBe als bei dem kleinen Einkommen. Ein gleiches relatives Opfer ist nur erreichbar, wenn man das hohere Einkommen starker besteuert. Sind die Besteuerungs- satze niedriger und vergleichen wir die NutzeneinbuBe von zwei Einkom- men, die beide weit links vom Endpunkt N der Grenznutzengeraden liegen, so wird natiirlich der Unterschied weniger deutlich, aber er tritt, wie man intuitiv erkennen wird und exakt zeigen kann, auch hier auf. Es ist sicher nicht anzunehmen, daB die Grenznutzenkurve bei einem endlichen Punkt der w-Achse beginnt und bis zu einem Grenznutzenwert von Null gerad- linig abfallt. Die Grenznutzengerade stellt also keinen realistischen Fall dar. Sie wurde hier auch nur zu Demonstrationszwecken herangezogen.

Befassen wir uns nun mit einer Grenznutzenfunktion, die Cohen Stuart * verwendet, um zu zeigen, daB Verlaufe von Grenznutzenkurven denk- bar sind, bei denen die proportionate Besteuerung zu einem gleichen rela- tiven Opfer fiihrt. Es ist die Funktion

deren Bild die Fig. 3 zeigt. Die Kurve nahert sich der w-Achse asymptotisch,

u , 3 ''

,

0 123*56769 10 x

Fig. 3

was bedeutet, daB der Grenznutzen im Unendlichen beginnt. Sie fallt zu- nachst sehr steil ab, verlangsamt aber bald ihr Gefalle und verlauft in der Folge beinahe horizontal unter sehr langsamer Annaherung an die a?-Achse. Sie hat genau den Verlauf, der erforderlich ist fur die proportionate Besteue- rung. Die beiden schraffierten Flachen, die sich als Werte fiir den eingebiiB- ten Nutzen ergeben, wenn man das an ihrem rechten Rand ablesbare Ein- kommen durch die Besteuerung um ein Viertel reduziert, stellen beide den- selben Bruchteil der zu dem jeweiligen Einkommen gehorenden Gesamt- nutzenflache dar. Dies laBt sich durch Augenschein etwa erkennen, aber na- turlich nicht exakt nachpriifen. Der Beweis hierfiir laBt sich am einfachsten

1 Vgl. On Progressive Taxation, a. a. O., S. 57 ff.

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40 Heim Holler

analytisch fiihren, und zwar wie folgt : Wir schreiben das Integral unserer Funktion an und erhalten:

Wenn relative Opfergleichheit erreicht werden soil, so muB gemaB der oben formulierten Bedingung gelten:

2|/f-2|/f(l-,J=c-2j/£ oder 21/7-2 l/T^

• l/| = c • 2 l/f

oder 2 - 2 l/l - q = 2c

oder schlieBlich c = 1 - l/l - # •

Wir sehen also : Es ergibt sich eine konstante Relation c zwischen auf- gegebenem Nutzen und Gesamtnutzen, wenn eine konstante Besteuerungs- quote q verwendet wird, oder, anders ausgedruckt, man erreicht die Gleich- heit des relativen Opfers bei proportionaler Besteuerung. Wiirde f nicht herausfallen, so ware q von f abhangig, miiBte also mit f zusammen zu- oder abnehmen, damit Konstanz des relativen Opfers erreicht wird. Allgemein kann man sagen, daB solche Grenznutzenfunktionen, in deren Integral f nur als einfache Potenz (mit einem Exponenten, der kleiner als 1 ist) auf- tritt, eine proportionale Besteuerung bedingen. Es sind beliebig viele solche Grenznutzenkurven denkbar, die alle vom gleichen Verlaufstyp sind wie die betrachtete. Wie man aus der Integralfunktion ersehen kann, hat die Ge- samtnutzenflache, obwohl die w-Kurve im Unendlichen beginnt, fur end- liche f-GroBen einen endlichen Wert, so z. B. fur f = 1 den Wert 2, fur f = 4 den Wert 4. Da infolge des geringen Abf aliens von u rechts von x = 1 die Nutzenflache annahernd parallel zu f bzw. x wachst, kommt man mit der proportionalen Besteuerung zum gleichen Ergebnis wie durch die Progres- sion bei einer geradlinig abfallenden Grenznutzenkurve. DaB bei x = 1 be- reits der relativ flache Teil der Kurve beginnt und die sich iiber den Wert 1 erhebenden groBeren Grenznutzen alle bei einem Einkommen unter 1 auf- treten, mag zunachst die Kurve als wirklichkeitsfremd erscheinen lassen. Man muB aber hier beachten, daB man unter dem Einkommen von der GroBe 1 ohne weiteres ein Monatseinkommen von DM 1000.- verstehen kann. DaB die Grenznutzen der ersten Teileinheiten dieser DM 1000.- sehr hoch sind und daB sie fiir die letzten Einheiten einen Stand erreichen, der schon relativ niedrig ist und der nur noch langsam absinkt, ohne je Null zu wer- den, ist durchaus nicht so unrealistisch.

Stellt man sich nun vor, die Grenznutzenkurve in Fig. 3 verlaufe von Punkt S an etwas steiler, als es der dargestellten Funktion entspricht, etwa so wie die gestrichelt gezeichnete Linie, so sieht man, daB eine gleiche Be-

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Bemerkungen zur progression Besteuerung 41

steuerungsquote beim Einkommen 4 zu einem hoheren relativen Opfer ftihrt als beim Einkommen 1 : Die Relation zwischen der bei Einkommen 4 ge- zeichneten schraffierten Flache, die den eingebiiBten Nutzen darstellt, und der neuen Gesamtnutzenflache, die von S ab durch die gestrichelte Linie nach oben abgegrenzt wird, ist groBer als die entsprechende Relation der Flachen bei Einkommen 1, weil durch den Flachenzuwachs die Relation eingebiiBter Nutzen zu Gesamtnutzen gegeniiber der Situation bei dem alten Kurvenverlauf fur das Einkommen 1 starker reduziert wird als fur das Ein- kommen 4. Um ein gleiches relatives Opfer zu erreichen, muB also fur das Einkommen 4 ein niedrigerer Steuersatz verwendet werden als fiir das Ein- kommen 1, m. a.W., die Besteuerung muB fiir das Einkommen iiber 1 de- gressiv sein1.

Wir sehenalso, daB auch Verlaufe der Grenznutzenkurve denkbar sind, die eine degressive Besteuerung erfordern, damit gleiches relatives Opfer zustande kommt. Es ergibt sich aus dem Ausgefiihrten klar und deutlich, daB der sinkende Grenznutzen zusatzlicher Einkommensteile keineswegs generell eine progressive Steuer erfordert, daB vielmehr bei bestimmten Ver- laufen der Grenznutzenkurve eine proportionale, ja sogar eine degressive Besteuerung notwendig sein kann zur Erreichung eines gleichen relativen Opfers. Wir haben hier versucht, dies moglichst einfach und anschaulich zu zeigen.

Eine umfassende mathematische Analyse dieser Zusammenhange hat R. Frisch in Verbindung mit einer Untersuchung der Frage der MeBbarkeit des Grenznutzens und der Anwendung brauchbarer MeBmethoden durch- gefuhrt2. Frisch zeigt, daB bei der Zielsetzung de3 gleichen relativen Opfers die Flexibility des Steuersatzes (das Verhaltnis zwischen relativer Steuer- satzanderung und relativer Einkommensanderung), die bei progressiver Besteuerung positiv, bei degressiver negativ und bei proportionaler Null ist, in folgender Weise vom Verlauf der Grenznutzenkurve bestimmt wird. Sie betragt :

xu dux <p=- + -i.

J/ (x)dx d x u o

Der erste Summand stellt die Relation dar zwischen dem Produkt aus Einkommen und Grenznutzen (Frisch nennt es ,, rectangle-utility") und dem Gesamtnutzen des betreffenden Einkommens, der zweite Summand ist die ,,Grenznutzenflexibilitat". Ist die Summe beider groBer als 1, so ist die Flexibilitat des Steuersatzes positiv, die erforderliche Besteuerung also pro- gressiv; ist sie kleiner als 1, so ist die Flexibilitat negativ und dementspre- chend die Besteuerung degressiv; ist sie gleich 1, so ergibt sich fur die Flexi- bilitat der Wert Null, die Besteuerung muB also proportional sein. Es laBt sich leicht nachrechnen, daB fur die oben betrachtete ,,Proportionalitats-

1 Vgl. hierzu die Ausfuhrungen von Cohen Stuart, a. a. O., S. 57 ff. 1 R. Frisch, New Methods of Measuring Marginal Utility, Beitrage zur okono- mischen Theorie, 3, herausgegeben von E. Lederer u. J. Schumpeter, Tubingen 1932.

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grenznutzenkurve" die Flexibility des Steuersatzes tatsachlich Null ist. Frisch hat auch fiir andere in der Literatur vertretene und theoretisch denk- bare Besteuerungszielsetzungen (gleiches absolutes Opfer, Opferminimum usw.) analoge Untersuchungen durchgefiihrt und die Bedingungen eruiert, unter denen did betreffenden Zielsetzungen eine progressive Besteuerung er- fordern K Wir wollen hier auf diese anderen Zielsetzungen und die sich aus ihnen ergebenden steuerlichen Erfordernisse nicht naher eingehen. Wenn man die Relationen zwischen den sich auf Grand der marktwirtschaftlichen Einkommensbildung ergebenden Bediirfnisbefriedigungsniveaus aufrecht- erhalten und ,,nach der Leistungsfahigkeit" besteuern will, so ist das gleiche relative Opfer die einzige sinnvolle Zielsetzung. Will man die Einkommen nivellieren, wie das bei der Besteuerung mit dem Ziel des Opferminimums der Fall ist, so trennt man dieses Ziel u. E. besser von dem der Besteuerung nach der Leistungsfahigkeit ab. Die von Sax geforderte gleiche absolute NutzeneinbuBe ist nur sinnvoll, wenn man wie Sax 2 in unzulassiger Weise eine kommerzielle Beziehung zwischen Staat und Staatsbiirger konstruiert.

Frisch hat versucht, mit Hilfe zweier hieb- und stichfest erscheinender Methoden den empirischen Verlauf von Grenznutzenfunktionen zu bestim- men, wobei er im einen Fall von Zahlenmaterial einer Pariser Genossenschaft ausgeht, im anderen Material des amerikanischen ,,Bureau of Labor Stati- stics" zugrande legt3. Fiir die relativ kleinen Einkommen der Pariser Ge- nossenschaftsmitglieder berechnet er Werte fiir die Grenznutzenflexibilitat, die iiber 1 liegen, fiir die hoheren amerikanischen Einkommen Werte unter 1 (in beiden Fallen sinken die Werte mit zunehmendem Einkommen ab)4. Nach der Formel fiir die Flexibilitat des Steuersatzes ergibt sich hieraus die Konsequenz, daB fiir die kleineren Einkommen eine progressive Besteuerung angemessen ist, weil schon die Grenznutzenflexibilitat ausreicht, urn die Steuersatzflexibilitat positiv zu machen, wahrend fiir die groBeren Einkom- men keine Aussage dariiber gemacht werden kann, ob eine Progression er- forderlich ist oder nicht, da die GroBe des ersten Summanden nicht be- kannt ist. Auch wenn die empirische Bestimmung der Grenznutzenflexibili- tat in brauchbarer Weise gelingt, wird, so kann man allgemein sagen, in alien Fallen, in denen diese unter 1 liegt, nichts iiber die Notwendigkeit der Progression gesagt werden konnen. Die empirische Ermittlung des Gesamt- nutzens, die erforderlich ware zur Berechnung des ersten Summanden, liegt auBerhalb des Moglichen. Sie wird immer daran scheitern, daB die Grenz- nutzen der ersten Einkommensteile (im Bereich des Existenzminimums) nicht feststellbar sind. Frisch schlieBt zwar in seiner mathematischen Ana- lyse die Grenznutzen der unter das Existenzminimum fallenden Einkom- mensteile aus und bezieht nur den Gesamtnutzen von einem Minimaleinkom- men an6 in die Betrachtung ein, doch scheint uns dieses Verfahren recht pro-

1 Vgl. die zusammenfassende Ubereicht, a. a. 0., S. 135. 1 Vgl. E. Sax, Grundlegung der theoretischen Staatswirthschaft, Wien 1887, femer: Die Progressivsteuer, Zeitschrifb f. Volkswirtschaft, Socialpolitik und Ver- waltung, I. Bd. (1892), S. 43 ff. 8 Vgl. a. a. O., S. 28 ff. und 59 ff. 4 Vgl. a. a. O., S. 32 und 64.

* Vgl. a. a. O. S. 116 und 122.

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blematisch zu sein. Einmal ergeben sich fur die erforderliche Besteuerung sehr verschiedene Konsequenzen je nachdem, bei welchem Einkommen man die Grenze des Existenzminimums zieht, zum anderen diirfte es nicht be- rechtigt sein, bei der Berechnung des relativen Opfers einen Teil des Grenz- nutzens, und zwar einen besonders wichtigen, unberiicksichtigt zu lassen. Als Grund ftir den AusschluB der Grenznutzen im Bereich des Existenz- minimums kann man natiirlich anfiihren, es handle sich dabei um Grenz- nutzenwerte von so immenser Hohe, daB sie inkommensurabel seien und daB man sie nur mit Unendlich in die Rechnung einsetzen konne, wodurch diese dann vollig unbrauchbar werde. DaB trotz unendlicher AnfangsgroBe des Grenznutzens ein endlicher Wert des Gesamtnutzens zustande kommen kann, zeigt der Fall der oben von uns betrachteten, eine proportionate Be- steuerung erfordernden Grenznutzenkurve.

Unsere bisherigen Darlegungen zeigen, wieviel Problematik in der pro- gressiven Einkommensbesteuerung zur Erreichung eines gleichen relativen Opfers steckt. Sicher diirfte sein, daB die Grenznutzenkurve bei ihrem Be- ginn steil abfallt und daB sie spater nur noch relativ wenig geneigt ist. Alle Autoren haben tiber diesen Punkt dieselbe Meinung. Hieraus ergibt sich jedoch keineswegs mit Notwendigkeit eine Progression: die von uns betrach- tete ,,Proportionalitatskurve" weist ja gerade einen solchen Verlaufstyp auf. Andererseits kann aber niemand beweisen, daB der empirische Verlauf der ,,durchschnittlichen" Grenznutzenkurve mit dem einer ,,Proportionalitats- kurve" zusammenfallt. Frischs Untersuchungen, die auf einem sehr be- schrankten Material basieren, ergeben fur relativ kleine Einkommen eine iiber 1 liegende Grenznutzenflexibilitat, die eine progressive Besteuerung er- forderlich macht. Fur eine Bestimmung des Progressionsverlaufs reichen die Ergebnisse der Frischachen. Untersuchung, die an sich einen auBerst wert- voflen Beitrag zur empirischen Erforschung von Grenznutzenverlaufen dar- stellt, in keinerWeise aus. Es ist hochst unwahrscheinlich, daB man jemals die hierfur notwendigen durchschnittlich geltenden empirischen Werte er- mitteln und so den richtigen Progressionsverlauf berechnen kann. Trifft es zu, daB die Grenznutzen von Einkommensteilen oberhalb einer nicht allzu hoch liegenden Grenze nur noch sehr wenig abnehmen, so muB die Progres- sion zum Stillstand kommen, ja evtl. in eine Degression iibergehen, und zwar bei einer Einkommenshohe, die u. U. gar nicht besonders extrem ist. Setzt man den Gesamtnutzen mit Unendlich an, was u. E. keine sehr sinn voile An- nahme ist, so ergibt sich auf Grund der Ergebnisse von Frisch fur den Be- reich der untersuchten amerikanischen Einkommen bereits eine Degression. Betrachtet man den Gesamtnutzen nicht als unendlich, so kann die Frage, ob fur diesen Bereich noch eine Progression angemessen ist oder ob man proportional bezw. degressiv besteuern sollte, nicht beantwortet werden.

Ist der Finanzbedarf des Staates bescheiden und der durchschnittliche Steuersatz niedrig, wie zu den Anfangszeiten der Einkommensbesteuerung, so braucht man, auch wenn man mit dem Steuersatz Null beginnt, die Pro- gression nicht sehr scharf zu machen, weil man mit einem relativ niedrigen Hochstsatz auskommt. Anders ist dies heute bei der hohen steuerlichen Be- lastung. LaBt man das Existenzminimum unbesteuert, beginnt also die Be-

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steuerung beim Satz Null, so muB man den Steuersatz (hier ist natiirlich immer die Rede von dem fur eine bestimmte Einkommenshohe geltenden Durchschnittssatz) bis auf einen hohen Endstand ansteigen lassen. Will man die Progression bis zur gleichen Einkommenshohe fortfiihren wie bei einer niedrigen Besteuerung, so muB sie sehr viel scharfer sein als bei dieser. Will man dagegen das Tempo der Progression gegeniiber der niedrigen Besteue- rung nicht steigern, so muB man sie bis in weit hohere Einkommensbereiche hinein fortfiihren, bis in Einkommensbereiche, in denen - natiirlich immer unter dem Gesichtspunkt des gleichen relativen Opfers - eine progressive Besteuerung nicht mehr angemessen ist. Die Steuerfreiheit des Existenz- minimums, das mit zunehmender Steuerbelastung trotz der sog. ,,kalten", durch Preiserhohungen herbeigefuhrten Progression eher erhoht als gesenkt wurde, zwingt also zu Konsequenzen, die einigermaBen problematisch sind - bei der hohen Besteuerung von heute. Sie stort iiberhaupt, worauf schon Sax hingewiesen hat1, die Besteuerung mit dem Ziel des relativ gleichen Opfers. Eine geringfiigige Besteuerung auch des Existenzminimums wiirde zu einer konsequenteren Verwirklichung des relativ gleichen Opfers fiihren. Andererseits kann man natiirlich sagen, das Existenzminimum diirfe nicht angetastet werden, und dabei insbesondere darauf hinweisen, daB es ja be- reits zu einem gewissen Grade besteuert sei durch indirekte Steuern. Wir haben diesem Umstand, daB die Besteuerung zu einem erheblichen Teil indirekt erfolgt, bisher nicht Rechnung getragen. Zu all den Unsicherheiten, mit denen die Frage der progressiven Einkommensbesteuerung behaftet ist, tritt also die hinzu, die sich aus der Beriicksichtigung der indirekten Besteue- rung ergibt. Wie soil der Belastungsverlauf sein, wenn unter EinschluB der Belastungswirkung der indirekten Besteuerung gleiche relative Opfer zu- standekommen sollen ? Diese Frage ist natiirlich vollig unlosbar, wenn man nicht einmal in der Lage ist, anzugeben, welche Tarifgestaltung angemessen ware, wenn man ausschlieBlich das Einkommen als geeignetsten MaBstab zur Ermittlung der steuerlichen Leistungsfahigkeit als Bemessungsgrundlage der Besteuerung verwenden wiirde. Konnte man sich mit der Einkommens- besteuerung begniigen, was bekanntlich wegen einiger Nachteile dieser Be- steuerungsform nicht moglich ist, so ist fur das Ziel der Belastung nach der Leistungsfahigkeit oder der Auferlegung eines gleichen relativen Opfers fiir alle noch eine Frage bedeutsam, von deren Losung die angemessene Las ten -

verteilung nicht weniger abhangt als von der Tarifgestaltung, die Frage namlich, was als Einkommen zur Messung der Leistungsfahigkeit heran- gezogen werden soil. Werden die Einkommen nicht gleich gemessen, so wird der bestgemeinte Versuch, gleiche Opfer iiber eine angemessene Gestaltung der Satze zu erreichen, scheitern. Wir wollen im folgenden diese vielleicht schnell beantwortbar erscheinende Frage untersuchen.

1 Vgl. E. Sax, Die Progressivsteuer, a. a. O. S. 65.

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Bemerkungen zur progressives, Besteuerung 45

II

Bei alien Progressionsuberlegungen hat man das Geldeinkommen im Auge, das die einzelnen Einkommensempf anger beziehen. Dieser MaBstab der Besteuerungsfahigkeit gentigt nicht. Wenn man ein gleiches relatives Opfer fur alle erreichen will, so muB der Gesamtnutzen, den sich ein Staats- biirger verschaffen kann in einer Periode, um die gleiche Quote gekiirzt wer- den wie bei alien anderen Staatsbiirgern. Der Gesamtnutzen resultiert aber nicht allein aus der moglichen konsumtiven Nutzung von Geldeinkommen (a), und es ist nicht der Gesamtnutzen des Einkommensbeziehers relevant, sondern der der einzelnen zu versorgenden Person, gleichgiiltig, ob sie selbst Bezieher von Geldeinkommen ist oder von einem Geldeinkommensempfanger alimentiert wird (b). Dies soil nun naher dargelegt werden.

a) Das Geldeinkommen ist in der Regel die wichtigste Bestimmungskom- ponente der GesamtnutzengroBe. Zu ihm hinzuzuschlagen ist zunachst das Realeinkommen in der Form des Selbstverbrauchs von Produkten, die auch fur den Markt hergestellt werden (z. B. in der Landwirtschaft), sowie das in naturaler Form ausbezahlte Einkommen aus unselbstdndiger Tdtigkeit (Depu- tate usw.). Einkommenselemente dieser Art werden in der Regel, bewertet in Geld, im Rahmen der Einkommensbesteuerung zum Geldeinkommen hin- zugerechnet. Es sind aber noch weitere, die Hohe des Lebensstandards (Gesamtnutzens) beeinflussende reale Einkommensteile zu beriicksichtigen, namlich die ,,hauslichen Dienste", die Dienstleistungen also, die im Rahmen des Haushalts fur den eigenen Bedarf verrichtet werden, sowie die Nutzungen dauerhafter Konsumguter.

Die Bedeutung der hauslichen Dienste erkennt man sofort, wenn man zwei Personen mit gleichem Geldeinkommen miteinander vergleicht, von denen die eine sich mit hauslichen Diensten selbst versorgen kann, die andere jedoch nicht. Das Realeinkommen der ersten ist um den Betrag der hauslichen Dienste groBer als das der zweiten, die einen Teil ihres Geldeinkommens fiir diese Dienste ausgeben muB. Anders ist die Situation natiirlich, wenn jemand reichlich Zeit hatte, um die hauslichen Dienste selbst zu verrichten, dies aber nicht tut, weil er die MuBe hoher schatzt als den zusatzlichen Konsum. Bei der Betrachtung dieses Falles stoBen wir auf ein neues Element, das fiir die GroBe des Gesamtnutzens von Bedeutung ist: die Mufie oder Freizeit, die iiber das normale MaB hinausgeht. Hierauf wird unten zuriickzukommen sein.

DaB die Nutzungen von dauerhaften Konsum- (Gebrauchs-)giitern Be- standteil des Gesamtnutzens sind und als reale Einkommenselemente ge- rechnet werden miissen, ist ebenfalls leicht zu erkennen. Wenn von zwei Emp- fangern gleicher Geldeinkommen der eine Eigentiimer aller Gebrauchsguter ist, deren Verwendung zum normalen Lebensstandard von heute gehort, der andere dagegen auBer seinen Kleidern nichts besitzt und gezwungen ist, die Gebrauchsgegenstande (Wohnung, Wohnungseinrichtung, Kraftwagen usw.) zu mieten, so ist sein Gesamtnutzen naturlich entsprechend geringer. Genau- sogut konnen wir sagen, der Gesamtnutzen des ersten sei um den Betrag der Giiternutzungen' hoher als der Nutzen, den das Geldeinkommen gewahrt. Die Nutzungen der dauerhaften Giiter miissen, in Geld veranschlagt, als reale Einkommensbestandteile zum Geldeinkommen hinzugerechnet wer- den bei der Ermittlung des den Gesamtnutzen bestimmenden Einkommens.

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46 Heinz Holler

Nun ist hier aber folgendes zu bedenken: Die Anschaffung der Gebrauchs- guter war fur denjenigen, der sie besitzt und sich mit ihren Nutzungen selbst versorgen kann, abgesehen von den Fallen der Schenkung, der Vererbung und des Lotteriegewinns, nur dadurch moglich, daB er auf die sofortige kon- sumtive Nutzung von Teilen des Geldeinkommens verzichtet hat. Hatte er in friiheren Perioden nicht fiir die Anschaffung gespart, so hatte er sich in diesen einen hoheren Gesamtnutzen verschaffen konnen. Der zu dem Nutzen aus der Verwendung des Geldeinkommens hinzukommende Nutzen aus dem Gebrauch der dauerhaften Giiter ist also erkauft mit Nutzenverzichten in friiheren Perioden. Es ergibt sich somit die Konsequenz, daB, wenn man die Nutzungen von Gebrauchsgiitern als reale Einkommensteile zum Geldein- kommen hinzufiigt bei der Ermittlung des steuerlich relevanten Einkommens, man dann die Ersparnisse, die einen entsprechenden Nutzenverzicht bedeu- ten, vom steuerlich relevanten Einkommen absetzen muB. Das gleiche gilt natiirlich, wenn die Ersparnis ganz oder zum Teil erst nach der Anschaffung erfolgt. Da die Ermittlung der Werte, die fur die Nutzungen dauerhafter Konsumgiiter einzusetzen waren, praktisch viel zu kompliziert und zu kost- spielig ist und man bei ihrer Berticksichtigung andererseits die Anschaf- fungsersparnisse ebenfalls ermitteln und absetzen miiBte, ist es natiirlich am zweckmaBigsten, auf diese beiden Korrekturen, die sich weitgehend in ihrer Wirkung kompensieren, zu verzichten.

In einem Fall nun sind die Nutzungen von so hohemWert und sind zu- gleich die Schwierigkeiten bei ihrer Feststellung so ertraglich, daB man sie bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens zum Geldeinkommen hin- zuzuschlagen pflegt : Es sind dies die Nutzungen von Wohngebduden. Wenn man so verfahrt, darf man aber andererseits die negative Korrektur bei der steuerlichen Einkommensermittlung nicht vergessen, d. h. man muB die Ersparnisse, die der Anschaffung vorausgingen und ihr in Form von Til- gungen folgen, in vollem Umfang als steuerlich abzugfahig anerkennen. Mit der Absetzbarkeit der Abschreibungen, die ja nur zum Ausgleich der Ab- nutzung der Wohngebaude zugelassen ist, ist dem aus der Ersparnis resul- tierenden Nutzenverzicht natiirlich nicht Rechnung getragen. Es kann kein Zweifel dariiber bestehen - urn dies nochmals zu betonen -, daB derjenige, der sich ein Wohnhaus zusammenspart, einen geringeren Gesamtnutzen in der Zeit der Ersparnisbildung hat als der Empfanger eines gleichen Einkommens, der nicht spart. Er braucht dafiir nach der Anschaffung keine Wohnungs- miete zu bezahlen, hat also ein urn den Betrag der berechneten Wohnungs- miete hoheres Einkommen als jener. Es ist richtig, wenn dieser seinen Ge- samtnutzen vergroBernde Posten in Rechnung gestellt wird, aber dann muB die seinen Gesamtnutzen vermindernde Ersparnis genauso beriicksichtigt werden.

Das hier angeschnittene Problem tritt nicht nur in dem eben betrach- teten Fall auf, sondern hat eine viel allgemeinere Bedeutung. Wenn der Eigen- tiimer eines Wohnhauses sein Haus vermietet, erzielt er ein Geldeinkommen, das ja ohne weiteres in das steuerlich relevante Einkommen eingeht. Hin- sichtlich des Nutzen verzichts, der mit der Ersparnis des im Wohnhaus in- vestierten Vermogens einhergeht, gilt fiir ihn genau dasselbe wie fiir den, der

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Bemerkungen zur progressives, Besteuerung 47

sein Haus selbst bewohnt. Das zusatzliche Geldeinkommen, das er sich durch die Vermietung verschaffen kann, ist nur dadurch moglich geworden, daB er fruher auf konsumtive Einkommensnutzungen verzichtet hat. Was fur den Vermieter vonWohnraum gilt, gilt fur jeden, der Vermogensnutzungen real oder in abstrakter Form zur Erzielung von Geldeinkommen verwendet, so- fern er das Vermogen, das er in dieser Weise nutzt, selbst erspart hat. Es er- gibt sich also die Konsequenz, dafi gesparte Einkommensteile, die die Erzielung eines Geldeinkommens aus Vermogensverwertung ermoglichen, bei der Ermitt- lung des zu versteuernden Einkommens abzugsfdhig sein mussen, weil siefiir den Gesamtnutzen der Steuerperiode ohne Bedeutung sind. Wenn dann aus der Ver- mogensverwertung Geldeinkommen entstehen, die konsumiert werden, er- gibt sich eine VergroBerung des Gesamtnutzens und dementsprechend des zu versteuernden Einkommens. LaBt man den vollen Abzug der Ersparnisse nicht zu, so werden die Bezieher von Vermogenseinkommen, die ihr Vermogen selbst erspart haben, benachteiligt. Sie werden im Vergleich mit denen, die nicht sparen oder die nur in einer Periode sparen, um in der nachsten den Konsum entsprechend zu vergroBern, zu hoch besteuert *. Auf die Besteue- rung des aus der Vermogensverwertung entstehenden Geldeinkommens kann man auf keinen Fall verzichten; man sollte aber dann unbedingt der Tat- sache Rechnung tragen, daB das Vermogenseinkommen nur durch eine Ein- schrankung des Konsums zustandekam, also einen Abzug der Ersparnis bei der Feststellung des steuerbaren Einkommens zulassen.

Der Bezug von Geldeinkommen (und entsprechend eines bei der Be- steuerung mit herangezogenen Realeinkommens) aus Vermogensverwertung kann nun zu einer Leistungsfahigkeitssituation fiihren, die dazu berechtigt, eine zusatzliche Besteuerung vorzunehmen. Vergleichen wir die Situation zweier Einkommensempfanger miteinander, die ein gleich hohes Einkommen beziehen, wobei dieses Einkommen im einen Fall ausschlieBlich Vermogens- einkommen, im anderen ausschlieBlich Arbeitseinkommen sein soil. Der Be- zieher des Vermogenseinkommens ist in der Lage, die Zeit, in der der andere arbeiten muB, um sich sein Einkommen zu verdienen, ganz irgendwelchen

1 Ganz klar weisen auf diese Tatsache hin : J. St. Mill (Principles of Political Economy, deutsche tTbersetzung nach der 7. Aufl. : Grundsatze der politischen Oko- nomie, Jena 1921, V. Buch 2. Kap. § 4), A. Marshall (Memorandum on the Classi- fication and Incidence of Imperial and Local Taxes, 1897, in: Official Papers by Alfred Marshall, London 1926, S. 327 ff.), /. Fisher (Income in Theory and Income Taxation in Practice, Econometrica, Vol. V, 1937, S. 1 ff., und: The Double Taxa- tion of Savings, The American Economic Review, Vol. XXIX, 1939, S. 16 ff.), N. Kaldor (An Expenditure Tax, London 1955) und A. C. Pigau (A Study in Public Finance, 3. Aufl., London 1956).

Pigou sohreibt (ebenda S. 118): ,,An income tax . . . differentiates against sa- ving, by striking savings both when they are made and also when they yield their fruits". Er halt jedoch eine einkommensteuerliche Befreiung der Ersparnis nicht fur praktikabel, hauptsachlich wegen der zu erwartenden steuerverwaltungstech- nischen Schwierigkeiten (Nachversteuerung entsparter Betrage, vgl. a. a. O. S. 123). In der deutschen Literatur hat vor allem Ritschl (vgl. H. Ritschl, Theorie der Staats- wirtschafb und Besteuerung, Reine Theorie der Staatswirtschaft und allgemeine Steuerlehre, Bonn und Leipzig 1925, S. 197 ff.) eine bevorzugte einkommensteuer- liche Behandlung der Ersparnis gefordert, allerdings mit Argumenten, die von den oben entwickelten ganzlich verschieden sind.

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privaten Liebhabereien zu widmen und damit eine zusatzliche Bedurfhisbe- friedigung zu erzielen. Er hat hierfiir nicht nur entsprechend Zeit zur Verfii- gung, sondern auch seine vollen, durch Erwerbsarbeit nicht beeintrachtigten physischen und geistigen Krafte. Sein Gesamtnutzen ist also ohne Zweifel um den Wert der Bedurfnisbefriedignng, die ihm der GenuB und die seinen Neigungen entsprechende Verwertung der Freizeit gewahrt, hoher zu veran- schlagen, als der des Beziehers von Arbeitseinkommen. Fur die Zwecke der Besteuerung kann man auf die Hohe des Gesamtnutzens nur indirekt schlieBen aus der Hohe des in Geld gemessenen konsumierten Gesamteinkommens. Man muB also, um dem hoheren Gesamtnutzen des Beziehers von Vermogens- einkommen Rechnung zu tragen, den Wert seiner Freizeit in ein- zusatzliches Einkommen umrechnen, das er auBer seinem Geldeinkommen bezieht, m. a. W. muB man ein fiktives zusatzliches Geldeinkommen beriicksichtigen. Man kann unterstellen, daB ihm die Freizeit mindestens so viel wert ist wie das zusatzliche Geldeinkommen, das er sich durch Arbeit verschaffen konnte, denn ware es anders, so wiirde er arbeiten und dadurch sein Geldeinkommen erhohen. Eine theoretische Losung fur die Berechnung des in Geld gemessenen und fur den Gesamtnutzen relevanten Gesamteinkommens besteht also darin, daB dasjenige Geldeinkommen zu seinem Vennogenseinkommen hinzugefiigt wird, das er verdienen wiirde, wenn er seine Fahigkeiten zur Verrichtung von Arbeitsleistungen voll, d. h. in gleichem Umfang wie der Bezieher des Ar- beitseinkommens - von dem wir annehmen wollen, daB er ,,normal" lang ar- beitet - fur Erwerbszwecke verwerten wiirde. Wiirde er voll (normal lang) ar- beiten, so wiirde er dieses Einkommen tatsachlich als Geldeinkommen bezie- hen, und sein Gesamtnutzen wtirde steuerlich entsprechend gewertet1.Wiirde er nur die Halfte der normalen Arbeitszeit arbeiten, so ware der ,,Freizeitzu- schlag" nur in halber Hohe vorzunehmen. Man muB bei einer solchen Rech- nung immer von einer normalen oder durchschnittlichen Arbeitszeit ausgehen, fur die man dann unterstellt, daB sie mit einer bestimmten durchschnittlichen Arbeits-,, disutility" verkniipft ist. Wer diese Arbeitszeit und die entspre- chende ,,disutility" erreicht hat, kann von dem ,,Freizeitzuschlag" entbunden werden.

Die Zugrundelegung einer Normalarbeitszeit fiihrt zu der allgemeinen Konsequenz, einen >tFreizeitzuschlag(( vorzunehmen, sofern jemand nicht ,,normal lang" erwerbstatig ist, gleichgiiltig, ob er Vermogenseinkommen bezieht oder nicht. MuB jemand langer arbeiten, um das gleiche Einkommen zu erzielen wie ein anderer bei normaler Arbeitszeit, so ist sein Gesamtnut- zen geringer, weil er eine uberdurchschnittliche ,,disutility" in Kauf nehmen muB. Bei ubernormaler Arbeitszeit sollte man daher nur dasjenige Einkom- men voll anrechnen, das bei normaler Arbeitszeit hatte erzielt werden kon-

1 Bei dieser Betrachtungsweise wird unterstellt, daB der Nutzen (abzuglich Arbeiteleid), der bei Erwerbstatigkeit aus dem Arbeitseinkommen gezogen werden konnte, ebenso hoch veranschlagt wird wie von denjenigen, die im ArbeitsprozeB stehen. Es wird von dem Fall abgesehen, daB der fireiwillige Verzicht auf ein erreich- bares Arbeitseinkommen so zu erklaren ist, daB nicht der Freizeitnutzen hoher als von den arbeitenden Vergleichspersonen bewertet, sondern der Nutzen (abzuglich Arbeitsleid) des moglichen Arbeitseinkommens geringer eingeschatzt wird und dar- auf die Praferenz f iir die Freizeit beruht.

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Bemerkungen zur progressiven Besteuerung 49

nen. Fur das Zusatzeinkommen ware ein Abschlag vorzunehmen, der der verstarkten ,,disutility" und dem entgangenen ,,Freizeitnutzen" Bechnung zu tragen hatte.

Halten wir nochmals fest: Einkommen aus Vennogensverwertung sollte nur dann gegenuber dem aus Arbeitsleistungen stammenden Einkommen zusatzlich besteuert werden, wenn der Erwerber sich nicht im ,,normalen" Umfang mit Arbeitsleistungen am Erwerbsleben beteiligt. Tut er dies, so hat er keinen besonderen ,,Freizeitnutzen" und ist daher im Vergleich mit einem Bezieher eines gleichen Gesamteinkommens, das in vollem Umfang aus Arbeitsleistungen stammt, nicht im Vorteil ' Bleibt er unter der norma- len Arbeitszeit, so ist er entsprechend dem Umfang des Darunterbleibens zusatzlich zu belasten durch Hinzurechnung eines fiktiven Arbeitseinkom- mens, das er bei normal langer Betatigung zusatzlich hatte erzielen konnen. Es ist klar, daB mit einer einheitlichen prozentualen Belastung desVermo- gens im Kahmen einer Vermogensteuer eine angemessene Berticksichtigung der Vorteile, die die Bezieher von Vermogenseinkommen besitzen, nicht er- folgen kann. Eine Berechnung der in Geld gemessenen Leistungsfahigkeit unter Beriicksichtigung des Freizeitnutzens diirfte jedoch zu einem brauch- baren Resultat fiihren. Der Freizeitnutzen muB aber dann allgemein bei der Berechnung der Leistungsfahigkeit herangezogen werden, entweder durch Zuschlage - in Fallen, in denen die normale Arbeitszeit nicht erreicht ist - oder durch Abschlage - wenn die Normalarbeitszeit iiberschritten ist. -

Wie hoch die Abschlage bemessen werden sollten, ist eine schwierig zu ent- scheidende Frage. In voller Hohe sollte man das ,,tTberstundeneinkommen" jeden- falls nicht von der Besteuerung ausnehmen, weil der entgangene Freizeitnutzen unter diesem liegt.

Es braucht nicht naher ausgefuhrt zu werden, daB die praktische Er- fullung der hier aufgestelUen Forderungen auf erhebliche Schurierigkeiten stoflt. Die Festsetzung der ,,normalen" Arbeitszeit stellt ein nicht leicht zu losen- des Problem dar. Die Ermittlung der tatsachlichen Arbeitszeit ist bei Ar- beitnehmern zwar verhaltnismaBig einfach, um so schwieriger aber bei den Selbstandigen, die in der Regel die Bezieher von Vermogenseinkommen sind. Die Berechnung von fiktiven Arbeitseinkommen diirfte in den Fallen, in denen gar kein Arbeitseinkommen vorliegt, recht schwierig sein2. Sie wird, auch dariiber muB man sich klar sein, vielfach zur Begnindung von Schein- arbeitsverhaltnissen fiihren, mit deren Hilfe solche Zurechnungen umgangen werden konnten. Eine Kontrolle, die zur Ausschaltung von Scheinarbeits- verhaltnissen fiihren soil, ist bekanntlich schwer durchfiihrbar. Theoretisch kann also eine brauchbare Methode zur Erfassung der Leistungsfahigkeit

1 Vemachla8sigt sind bei dieser Feststellung allerdings evtl. vorhandene Un- terechiede in den Ausbildungskosten und im Anstrengungsgrad der Arbeit, Unter- schiede, die kaum erfaBbar sein durften. Die Ausbildungskosten konnte und sollte man jedoch bei ihrer Entstehung ebenso wie die Ersparnis von der Steuer befreien, weil sie wie diese den Konsum reduzieren und ihre spateren ,,Friichte" besteuert werden.

2 Man konnte sich wohl nur mit einem Pauschbetrag helfen, der einem irgend- wie ermittelten ,,mittleren" Arbeitseinkommen entsprechen wurde.

4 Finanzarchiv N. F. 20. Heft 1

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50 Heinz Holler

angegeben werden, praktisch ist diese Method e jedoch auBerst schwierig zu handhaben.

Betrachten wir nun noch einmal die steuerliche Behandlung der Er- sparnis, die sich aus unseren Uberlegungen als angemessen ergab, unter praktischen Gesichtspunkten. Die Forderung auf Steuerbefreiung derjeni- gen Ersparnisse, die zur Anschaffung von Gebrauchsgiitern (auBerWohn- hausern) verwendet werden, haben wir fallen lassen unter der Voraussetzung, daB gleichzeitig die Nutzungen dieser Gebrauchsgtiter auBer Ansatz bleiben, was aus praktischen Griinden unumganglich ist. Ersparnisse, die zu spdte- ren steuerlich zu belastenden Vermogensertrdgen fuhren, sollten jedoch von der Besteuerung ausgenommen sein. Hier ergibt sich augenscheinlich folgende Schwierigkeit : Wenn eine Ersparnis getatigt wird, steht keineswegs fest, zu welchem Zweck der gesparte Betrag spater verwendet wird. Es bleibt also nur die Moglichkeit, zundchst jede Ersparnis von der Steuer zu befreien und im Falle der spdteren Auflosung durch Kauf von Konsumgiitern einschlieB- lich Gebrauchsgiitern die Besteuerung nachzuholen. Bei der Ermittlung des steuerbaren Einkommens miiBten also sowohl die Neubildung als auch die Auflosung von Ersparnissen beriicksichtigt werden. Riickgangig gemachte (aufgeloste) Ersparnisse lagen auch vor, wenn der Produktion iiberlassenes Vermogen (Produktionsgiiter, Beteiligungspapiere, Anleihen usw.) abgesto- Ben wiirde oder wenn die Ersatzbeschaffung realer Produktionsgiiter unter- bliebe, und zwar zugunsten des Konsums. Es miiBte also bei der Ermitt- lung des steuerbaren Einkommens stets eine Vermogensbilanz herangezogen werden, die das gesamte Vermogen mit Ausnahme des Gebrauchsvermogens enthalten wiirde. Nur so konnte die (positive oder negative) Nettoersparnis beriicksichtigt werden.

Von der nachtraglichen Besteuerung aufgeloster Ersparnisse miiBte man jedoch eine Ausnahme machen in solchen Fallen, in denen die Auflosung des- wegen erfolgt, weil die betreffenden Vermogenseigentiimer wegen Alters, In- validitat oder Krankheit nicht mehr oder voriibergehend nicht in der Lage sind, sich ein Arbeitseinkommen zu verschaffen. Eine Steuerbefreiung auf- geloster Ersparnisse ergabe sich fiir diese Falle automatisch in einer gewis- sen Hohe aus dem steuerlichen Existenzminimum. Wenn das steuerliche Existenzminimum so hoch ist, daB es einen ausreichenden Lebensstandard garantiert, so wiirde dies geniigen. Liegt es niedriger, so miiBte man fiir solche Falle ein hoheres Minimum ansetzen. Die Steuerfreiheit fiir die fruher gesparten und nunmehr konsumierten Einkommensteile ware in einem sol- chen Rahmen absolut angemessen. Sie wiirde dem wichtigen Umstand Rech- nung tragen, daB man die Leistungsfahigkeit eines Einkommensempfangers nicht nur kurzfristig, fiir eine Einkommens- bzw. Steuerperiode, sehen darf, sondern langfristig, iiber das ganze Leben hinweg. Normalerweise werden bei hoherem Alter die Erwerbsmoglichkeiten geringer, wahrend die Bediirfnisse annahernd konstant bleiben. Wenn dafiir gespart wird, daB man im Alter oder in eventuellen Krisensituationen einen ausreichenden Lebensstandard aufrechterhalten kann, so ist es richtig, die Vorsorgeersparnisse von der Steuer zu befreien, auch wenn sie spater konsumtiv verwendet werden. Nur so wird der Gesamtleistungsfahigkeit im zeitlichen Sinne, iiber das

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Bemerkungen zur progressiven Besteuerung 51

ganze Leben hinweg, Rechnung getragen und ein Ausgleich der Leistungs- fahigkeit zwischen den einzelnen Phasen der Einkommenserzielung ermog- licht. Die steuerliche Behandlung des Sparens und des Entsparens, wie sie sich aus unseren t)berlegungen als angemessen ergab, ist natiirlich mit auBerordentlichen Schwierigkeiten verkniipft 1.

Man kann hier nun fragen, ob sie iiberhaupt in dieserWeise bei der Ein- kommensbesteuerung notwendig sei angesichts der Tatsache, daB bei der generellen indirekten Besteuerung in Form der Umsatzsteuer die Ersparnis ja verschont bleibe. Hierzu sei folgendes bemerkt: Es ist richtig, daB die all- gemeine indirekte Besteuerung letzten Endes die konsumtive Verwendung des Einkommens trifft, weil die steuerliche Belastung von Produktions- giitern im Prinzip auf die mit ihrer Hilfe hergestellten Konsumgiiter iiber- walzt wird. Wenn jemand Ersparnisse in Produktionsgiitern investiert, so kann er von diesen natiirlich auch weniger kaufen, wenn sie mit Steuern be- lastet sind. Dies spielt fur ihn jedoch keine Rolle, da seine Leistungsfahigkeit in dem hier verstandenen Sinne des tatsachlichen Lebensstandards nicht beeintrachtigt wird. Eine solche Beeintrachtigung tritt, abgesehen von Er- tragsriickgangen, liber der en Auf t re ten nichts Sicheres gesagt werden kann, erst ein, wenn er die Ersparnisse ruckgangig macht. Insoweit ist die Wirkung in vollkommener Harmonie mit der oben von uns aufgestellten Forderung. Aber es besteht hier keine Moglichkeit, denjenigen die steuerbefreiende Wir- kung der Ersparnis zu erhalten, die zum Entsparen gezwungen sind, weil sie sich kein oder jedenfalls kein ausreichendes Arbeitseinkommen mehr ver- schafFen konnen. Jede aufgeloste Ersparnis wird hier automatisch nachver- steuert, so daB die Benicksichtigung der Leistungsfahigkeit uber das ganze Leben hinweg unmoglich ist. Aus diesem Grunde ist die Steuerfreiheit der Ersparnis im Rahmen der indirekten Besteuerung unzureichend 2. Es kommt noch hinzu, daB die indirekte Besteuerung ja nur einen Teil der gesamten Be- steuerung darstellt.

Wenden wir uns nun weiter den Konsequenzen zu, die sich daraus er- geben, daB die Leistungsfahigkeit immer nur pro Person in Rechnung zu stellen ist.

b) Selbstverstandlich kann man bei einem Leistungsfahigkeitsvergleich ohne Bedenken von Gruppen ausgehen, etwa von einem Familienhaushalt. Vergleichbar sind aber dann nur Gruppen (Familienhaushalte) mit gleicher Personenzahl. Ist diese verschieden, po bedeutet der Konsum eines gleichen Gesamteinkommens (aus Geldbetragen und realen Bestandteilen resultierend) Verschiedenes. Sind die Bediirfnisse der einzelnen Personen unterschiedlich (Erwachsene, Kinder, Jugendliche), so ist nicht nur die Zahl der aus dem Ein-

1 Wie bereits bemerkt, sieht Pigou die Schwierigkeiten, die sich aus einer Nach- versteuerung aufgeloster Ersparnisse ergeben, als so groB an, daB er die Steuer- befreiung der Erspamis als undurchf uhrbar halt.

2 Eine direkte Ausgabenbesteuerung, die eine Erfassung des konsumierten Teils des Einkommens erfordern wiirde, ware technisch kaum durchfiihrbar. Moglich durfte nur eine indirekte Ermittlung des konsumierten Einkommens sein uber die Feststellung des gesparten Einkommensteils, wie sie von uns zur Diskussion ge- stellt wurde.

4*

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k&mmen versorgten Personen relevant, sondern auch die bediirfnismdfiige Ka~ tegorie, der sie angehdren.

Bei Kindern, die noch nicht in der Berufe- oder hoheren Sohulausbildung stehen, wird man vielleicht mit einem Bediirmisstand rechnen konnen, der nur halb so hoch ist wie der einer erwachsenen Person, so daB man mit einem halb so grofien Kon- sumbetrag zum gleichen Sattigungsgrad kommt. Bei Kindern, die sich in der Aus- bildung befinden, wird man vielleicht mit einem Bedarf rechnen konnen, der drei Viertel desjenigen einer erwachsenen Person ausmacht. Jedenfalls muB man, wenn man zu einem Vergleich kommen will, das f iir den Konsum zur Verf iigung stehende Einkommen je Person in Betracht ziehen, wobei die Personen verschieden gewich- tet werden miissen, soweit dies erforderlich erscheint. Die Erwachsenen wird man als Vollpersonen in die Rechnung einsetzen, die Kinder mit irgendwelchen Bruch- teilen der Vollpersonen. Setzt man kleinere Kinder mit % an> 8O ̂ einem Fami- lienhaushalt mit drei Erwachsenen bei gleichem Konsumeinkommen dieselbe Lei- stungsfahigkeit zugesprochen wie einem Familienhaushalt mit zwei Erwachsenen und zwei kleineren Kindern. Die VergleichsgroBe ist bei unterschiedlicher Personen- zahl das Konsumeinkommen je Vollperson. Ein Junggeselle, der nur f iir sich selbst zu sorgen hat, hat also beispielsweise bei gleichem Konsumeinkommen ein dreimal so groBes Konsumeinkommen je Person wie die Angehorigen eines Familienhaus- haltes mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern, was naturlich nicht bedeutet, daB sein Gesamtnutzen dreimal so groB ist.

Wird das Konsumeinkommen in einer Gruppe (einem Haushalt) ge- meinsam verbraucht, so ist alles, was an Einkommen zusammenstrdmt von den einzelnen Mitgliedern, zusammenzufassen und gleichmaBig auf die be- teiligten Personen umzulegen in der Annahme, daB ihre Bedurfnisse gleich zum Zuge kommen. Fur jedes Mitglied des Haushaltes wird so durch Divi- sion des Gesamteinkommens durch die Personenzahl mit entsprechend ver- minderten Gewichten der Kinder eine gleiche Leistungsfahigkeit berechnet.

Steht beispielsweise fiir eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern, die als halbe Vollpersonen gerechnet werden, ein Konsumeinkommen von DM 30 000.- zur Verf iigung, so ergibt sich eine Leistungsfahigkeit fiir die Erwachsenen von je DM 10 000.-, f iir die Kinder eine solche von je DM 5000.-, die einer Erwach- senen-Leistungsfahigkeit von DM 10 000.- entspricht. Die Steuer berechnet sich f iir den Gesamthaushalt dann folgendermaBen: die beiden Erwachsenen haben je DM 10 000.- zu versteuern, jedes Kind DM 5000.-. Da angenommen wird, daB die DM 5 000.- f ur die Kinder dieselbe Leistungsfahigkeit darstellen wie die DM 10 000.- fiir die Erwachsenen, ist auf die DM 5000.- derselbe Steuersatz anzuwenden wie auf die DM 10 000.-, fiir beide Kinder zusammen errechnet sich also der gleiche Steuerbetrag wie fur eine erwachsene Person. Die Gesamtsteuer ergibt sich somit als der dreifache Betrag der je Vollperson aus DM 10 000.- zu zahlenden Steuer. Ware nur ein Kind vorhanden, so waren die DM 30 000.- durch 2,5 zu teilen, was eine Leistungsfahigkeit je Vollperson von DM 12 000.- ergabe und einen Gesamt- steuerbetrag in Hohe des 2,5fachen der je Vollperson fin* DM 12 000.- zu entrich- tenden Steuer.

Bezieht man also die Leistungsfahigkeit auf die einzelnen Angehorigen des Haushalts - und nur so kommt man zu einer gleichartigen Leistungs- fahigkeitsermittlung fiir alle zu Belastenden -, so mufi man einen ,,Familien- koeffizienten" als Divisor verwenden und einVollspliUing vornehmen, wie sie in der franzosischen Einkommensbesteuerung eingefuhrt sind. Problema- tisch ist dabei naturlich immer die Gewichtung der Kinder. Um die Rech- nung nicht zu sehr zu komplizieren, wird man die Kinder bis zu einem ge-

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wissen Alter als halbe Personen einsetzen miissen und danach als Vollper- sonen, wobei die richtige Grenzziehung nicht ganz einfach ist.

Weder eine getrennte Besteuerung der einzelnen in einem Haushalt zu- sammenstromenden Einkommen noch die Besteuerung des Gesamteinkom- mens unter Einraumung von Freibetragen fiir die einzelnen Haushalts- angehorigen (Ehefrau und Kinder) fiihrt zu einer einheitlichen Beriicksichti- gung der Leistungsfahigkeit fiir alle. Die getrennte Besteuerung ist deswegen nicht angemessen, weil angenommen werden muB, daB alle am Konsum des Gesamteinkommens gleichmaBig beteiligt sind, die Leistungsfahigkeit also nivelliert wird im Haushalt. Hiervon. gibt es natiirlich Ausnahmen, insbe- sondere den Fall, in dem verdienende Kinder ihr Einkommen behalten diir- fen und zu Hause nur ein - meist bescheidenes - ,,Kostgeld" zu entrichten brauchen. Unter der Annahme, daB dieses ,,Kostgeld" gerade die entsprechen- den Selbstkosten des Haushalts deckt, konnte man in diesen Fallen die ver- dienenden Kinder getrennt besteuern. Verdient dagegen die Ehefrau mit, so kann angenommen werden, daB ihr Einkommen mit dem des Ehemanns zum gemeinsamen Konsum verwendet wird, bei dem alle Haushaltsangehorigen in gleichem Umfang beriicksichtigt werden.

Eine Besteuerung des Gesamteinkommens ohne Splitting unter Ein- raumung von Freibetragen benachteiligt Familienhaushalte gegeniiber allein- stehenden Einkommensbeziehern unter alien Umstanden, weil Freibetrage keinen Ersatz fiir die Zugrundelegung der Leistungsfahigkeit der einzelnen Personen darstellen. Die Alleinstehenden haben nur fiir sich selbst zu sorgen. Ein Ehepaar, das das gleiche Einkommen zur Verfiigung hat, hat je Person nur eine halb so groBe Leistungsfahigkeit, wobei es gleichgiiltig ist, wie die beiden Ehegatten an der Erzielung des Einkommens beteiligt sind. Auf Einsparungen, die sich aus der gemeinsamen Vornahme des Konsums er- geben, die sog. Haushaltsersparnis, die meist zur Begriindung der Gesamt- besteuerung angefiihrt wird, wird unten noch zuriickzukommen sein. Mit dem Freibetrag ist natiirlich der Tatsache, daB hier je Person nur eine halb so groBe Leistungsfahigkeit vorliegt, nicht Rechnung getragen. Der Frei- betrag steht vielmehr jeder Person bei Beriicksichtigung ihrer individuellen Leistungsfahigkeit als Existenzminimumfreibetrag zu. Die Besteuerung der iiber das Existenzminimum hinausgehenden Leistungsfahigkeit hat fiir jede Person besonders zu erfolgen. Vollig unangebracht ist es zu sagen, der allein verdienende Ehemann ,,spare" an Steuern infolge des Splittings soundsoviel auf Grund seines Verheiratetseins, die Ersparnis sei soundsoviel hoher als beim Freibetragsystem, und sie steige ungerechterweise mit der Hohe des Einkommens. Solche Feststellungen tragen der Tatsache nicht Rechnung, jdaB die Leistungsfahigkeit halbiert wird. DaB sich bei einer pro- gressiven Besteuerung unterschiedliche ,,Ersparnisse" bei verschiedenen Ein- kommenshohen ergeben, ist als unentrinnbare Konsequenz der Besteuerung mit dem Ziel, die Leistungsfahigkeit aller in relativ gleichem Umfang ein- zuschranken, hinzunehmen. Derjenige, der einen hoheren Steuersatz zu zah- len hat, wird eben starker entlastet, wenn man zur Beriicksichtigung der Leistungsfahigkeit je Person iibergeht, und nur diese fiihrt zu einer gerech- ten Verteilung der Las ten. Von ,,Steuerersparnissen", die die Ehefrau ein-

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bringt, kann hier gar nicht die Rede sein ; die Besteuerung wird nur der tat- sachlichen Leistungsfahigkeit angepaBt.

Bei dieser Anpassung kann man jedoch nicht haltmachen bei den Kin- dern und, wie es bei den letzten Anderungen der deutschen Einkommens- besteuerung geschehen ist, die Freibetragsregelung bestehen lassen rait der Begriindung, der Ehemann erziele schon genugend hohe und mit dem Ein- kommen wachsende Ersparnisse fiir seine Frau. Wie oben dargelegt wurde, sollte auch bei den Kindern die Leistungsfahigkeit je Person zugrundegelegt werden durch entsprechende Einkommensaufspaltung. Die Belastung des Einkommensempfangers durch die Kinder ist der Art nach die gleiche wie die durch die Ehefrau. Dem geringeren Bediirfnisstand muB allerdings Rech- nung getragen werden durch verringerte Gewichtung, die auch eine ent- sprechende Verminderung der Freibetrage bedeutet. Eine Kombination von Splitting und Freibetragssystem ist inconsequent. Wenn das Splitting da- durch gerechtfertigt wird, daB mit seiner Hilfe die Leistungsfahigkeit je Per- son beriicksichtigt werden kann - und dies scheint uns die wirklich stich- haltige Rechtfertigung des Splittings zu sein -, so muB es auf alle Personen angewandt werden. Die Kinder konnen dabei nur insoweit verschieden be- riicksichtigt werden, als ihnen - wie oben angefiihrt - ein unterschiedlicher Bediirfnisstand zugeschrieben werden muB, also entsprechend dem Alter und der Ausbildungsstufe, nicht jedoch nach der Kinderzahl.

Was nun die Berechnung des zu spaltenden Gesamteinkommens des Haushalts anlangt, so ist an die unter a) behandelten Elemente der zu er- fassenden Leistungsfahigkeit anzukniipfen. Fur die Ermittlung des gesam- ten Komsumeinkommens des Haushalts ist insbesondere der Wert der haus- lichen Dienste der Hausfrau von Bedeutung. Die Ehefrau, die nicht erwerbs- tatig ist, kann im Umfang der normalen Arbeitszeit hausliche Dienste ver- richten, die die Leistungsfahigkeit erhohen und mindestens mit dem Be- trag zu veranschlagen sind, der ausgeworfen werden mtiBte, wenn die ent- sprechenden Dienste gegen Entgelt von einer fremden Person zur Verfiigung gestellt wiirden. Eine halbtagig erwerbstatige Ehefrau kann nur die Halfte dieser hauslichen Dienste bereitstellen, und entsprechend ist deren Wert zu reduzieren. Bei der voll erwerbstatigen Ehefrau ware kein derartiger Zu- schlag zu berechnen. Wenn die Ehefrau nicht erwerbstatig ist und auch im Haushalt nicht arbeitet, obwohl sie voll arbeitsfahig ist, mtiBte fiir sie ein Freizeitnutzen, wenigstens im Werte der hauslichen Dienste eines vollen Arbeitstages, in die Rechnung eingesetzt werden. Ist sie fiir einen Beruf aus- gebildet, so konnte man sogar daran denken, den Freizeitnutzen mit dem Einkommen anzusetzen, das sie verdienen konnte, wenn sie ihren Beruf ganztatig ausiiben wiirde. Unter Beriicksichtigung der Interessen eines (mannlichen oder weiblichen) Junggesellen, der nicht in der Lage ist, wah- rend des Arbeitstages hausliche Dienste zu verrichten oder die Freizeit zu genieBen, ware ein solcher Zuschlag unbedingt geboten. Wenn man die Lei- stungsfahigkeit auf die einzelne Person bezieht und beim Haushalt ein voiles Splitting vornimmt, so muB die Leistungsfahigkeit auch voll erfaBt werden. SchlieBlich ist ein Zuschlag vorzunehmen zur Beriicksichtigung der bereits erwahnten Haushaltsersparnis, die, was allerdings nicht unbestritten ist,

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zu einem gewissen Grade dadurch entsteht, daB die Haushaltsangehorigen gewisse Einrichtungen gemeinsam benutzen, was im Vergleich mit einem Alleinstehenden zu geringeren Nutzungskosten je Person fiihrt.

Zu einem ahnlichen Ergebnis wie mit Hilfe der Zuschlage fiir die bevor- zugten Haushalte kommt man dadurch, daB man denjenigen, die ungiinsti- ger gestellt sind, Freibetrage gewahrt, also ihre steuerliche Leistungsfahigkeit reduziert ansetzt. Solche Freibetrage miiBten also eingeraumt werden fiir halbtagig oder ganztagig erwerbstatige Ehefrauen, ferner fiir Alleinstehende ; fiir diese einmal deswegen, weil sie im Rahmen des Normalarbeitstages keine hauslichen Dienste verrichten konnen, zum anderen zum Ausgleich der Haus- haltsersparnis l.

Ganz korrekt ist dieses Verfahren nicht, weil nicht mehr die voile Leistungs- fahigkeit zum MaBstab der Besteuerung gemacht wird, aber es mag sein, daB das Zuschlagsverfahren praktisch zu schwierig durchzuf iihren ware und man daher auf das Freibetragsverfahren angewiesen ist. Beim letzteren ergibt sich durchweg eine geringere Belastung, weil die Leistungsfahigkeit nicht in vollem Umfang heran- gezogen wird. Wenn die gleiche Steuereinnahme erzielt werden soil, wird man die Steuersatze entspreohend hoher ansetzen miissen.

Ill

Wir wollen zum SchluB die wichtigsten Ergebnisse dieser Betrachtungen noch einmal kurz zusammenfassen.

1. Aus dem abnehmenden Grenznutzen zusatzlicher Einkommensteile ergibt sich, wie schon Cohen Stuart gezeigt hat, nicht zwangslaufig eine pro- gressive Besteuerung, wenn das Ziel verfolgt werden soil, alien Staatsbiir- gern ein gleiches relatives Steueropfer aufzuerlegen. Es ist jedoch anzuneh- men, daB der Verlauf der Grenznutzenkurve des Einkommens so beschaffen ist, daB eine Steuerprogression zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Vermutlich wird allerdings die Progression nicht bis zu sehr groBen Einkom- menshohen weitergehen diirfen. Die Gesamtprogression der Besteuerung ist weder genau bestimmbar im Sinne der ,,richtigen" Progression, da die er- forderlichen empirischen Daten iiber den Verlauf der ,,durchschnittlichen" Grenznutzenkurve nicht ausreichend ermittelt werden konnen, noch in ihrem tatsachlichen Verlauf exakt zu ermitteln, weil der EinfluB der indirekten Besteuerung auf diesen nicht ausreichend genau festgestellt werden kann. Man wird also sowohl hinsichtlich des ,,richtigen" als auch des tatsachlichen Progressionsverlaufs kaum jemals voile Klarheit erreichen konnen.

2. Hinsichtlich der zu besteuernden ,,Leistungsfahigkeit" sollten einige der gangigen Vorstellungen iiberpriift werden. Zunachst erscheint es ange- messen, nur den dem Konsum gewidmeten Teil des Einkommens, der die Hohe des Lebensstandards bestimmt, zur Besteuerung heranzuziehen, Er-

1 Der Freibetrag fiir die Haushaltsersparnis ware nur einzuraumen, wenn man nachweist - die Steuerbehorde konnte sich mit einer eidesstattlichen Erkla- rung begniigen -, daB man nicht mit anderen zusammen in einem gemeinsamen Haushalt lebt. Auf diese Weise wiirden Haushalte, die nicht Familienhaushalte sind, nicht bevorzugt behandelt.

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sparnisse also von der Steuer zu befreien, riickgangig gemachte Ersparnisse in die Besteuerung einzubeziehen. Dies kann damit begriindet werden, daB die, soweit sie nicht gespart werden, der Besteuerung unterworfenen Ver- mogensertrage ja nur dadurch zustandekommen, daB durch die voraus- gehende Ersparnis der Lebensstandard freiwillig eingeschrankt wird. Wer- den Ersparnisse mitbesteuert, so hat derjenige, der spart und dessen Ge- samtnutzen entsprechend kleiner ist bei gleichem Einkommen, dieselbe Steuer zu entrichten wie der Nichtsparer mit seinem sich aus dem vollen Ein- kommen ergebenden ungeschmalerten Gesamtnutzen, ja er hat infolge des ihm spater zuflieBenden Vermogenseinkommens mehr Steuern zu zahlen1. Fur arbeitsfahige, aber nicht ,,normal" lang arbeitende Einkommensbezieher empnehlt sich ein Zuschlag zum Geldeinkommen fiir den Freizeitnutzen, der dem erzielbaren Arbeitseinkommen entsprechen sollte. Fiir Einkommen aus Arbeitszeiten, die iiber die normale Lange hinausgehen, sollte ein Abschlag gemacht werden fur die uberdurchschnittliche ,,disutility" bzw. den ent- gangenen Freizeitnutzen. Fur nicht erwerbstatige Ehefrauen ware ebenfalls ein Zuschlag - hier zum Familieneinkommen - zu berechnen, entweder fur die hauslichen Dienste im Rahmen der normalen Arbeitszeit oder fiir den Freizeitnutzen, in dem Umfang, in dem der Normalarbeitstag nicht durch hausliche Dienste ausgefiillt ist. Reale Bestandteile des Konsumeinkommens in Form von Nutzungen von Gebrauchsgiitern kann man von der Besteue- rung ausnehmen, wenn deren Anschaffung als Konsum gewertet wird. So- weit jedoch solche Nutzungen dem Einkommen zugerechnet werden wie bei Wohnhausern, ware die fur die Anschaffung notwendige Ersparnis von der Steuer zu befreien bzw. die Anschaffung selbst nicht als Auflosung einer Er- sparnis zu betrachten.

3. Die Leistungsfahigkeit kann immer nur je Person gesehen werden. Die Ermittlung der Steuerschuld sollte daher nur so erfolgen, daB das Gesamt- einkommen eines Haushalts, das fiir den gemeinsamen Konsum zurYerfiigung steht, durch einen Familienkoefnzienten geteilt, die Steuer je Person berech- net und dann wieder mit dem Koeffizienten multipliziert wird. Fiir Kinder bis zu einem gewissen Alter kann dabei ein reduziertes Gewicht (z. B. %) verwendet werden. Es wird dabei von der Annahme ausgegangen, daB jeder Angehorige des Haushalts im Rahmen seiner Bediirfhisse im gleichen Um- fang am gemeinsamen Konsum teilhat. Neben den Zuschlagen fur die nicht erwerbstatige Ehefrau ware ein Zuschlag fiir die Haushaltsersparnis von einer gewissen Hohe angemessen.

Die Berechnung der Leistungsfahigkeit und der Steuerschuld sei noch an einem einfachen Beispiel gezeigt: Das Geldeinkommen einer Familie mit drei Kindern unter 10 Jahren (mit Yi gerechnet) betrage DM 30 000.-. Es soil vom Ehemann in der ,,normalen" Arbeitszeit verdient sein. Fiir die Arbeit der Hausfrau und die Haushaltsersparnis sollen DM 4000.- angesetzt werden, die Nettoersparnis betrage DM 6000.-. Das zu versteuernde Gesamteinkommen ergibt sich dann zu DM 30 000.- + 4000.- -=-6000.- = DM 28000.-. Der Familienkoeffizient betragt 3,5, das steuer-

1 Es ist zu beachten, daB die Frage der steuerlichen Behandlung der Erspar- nisse hier ausschlieBlich unter dem Leistimgsfahigkeitsgesichtspunkt behandelt wurde. Die Beriicksichtigung anderer (z. B. wirtschaftspolitischer) Zielsetzungen mag gewisse Korrekturen der abgeleiteten Ergebnisse erforderlich machen.

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bare Einkommen (als Ausdruck der Leistungsfahigkeit) pro Vollperson demnach DM28000.- : 3,5, also DM 8000.-. Betragt der Steuersatz bei DM 8000.- 20%, so ergibt sich eine Steuer je Vollperson von DM 1600.- fur die gesamte Familie also von DM 1600.- X 3,5, das sind DM 5600.-.

4. Wahrend man die Frage des richtigen Progressions verlaufs immer zu einem gewissen Grade wird ungelost lassen miissen und selbst den tatsach- lichen Progressionsverlauf nur sehr schwer ermitteln kann, diirften die hier vor- geschlagenen Korrekturen fiir die Ermittlung der Leistungsfahigkeit, allerdings unter Inkaufnahme nicht unbetrachtlicher Komplikationen der Steuererhe- bung, wenigstens zu einem gewissen Grade realisierbar sein. In einzelnen Punk- ten muB man mehr oder weniger willkiirlich entscheiden, so bei der Festsetzung der Normalarbeitszeit und der Gewichtung der Kinder. Rechnet man mit fiktiven Einkommen, die dem Geldeinkommen zugeschlagen werden, so wird man dies nur unter sehr einfachen Annahmen tun konnen, so z. B. fiir die Hausfrauen ein einheitliches Haushaltseinkommen ansetzen. Man kann hier auch mit der Freibetragsmethode arbeiten, wobei man die Freibetrage eben- falls mehr oder weniger willkiirlich festsetzen muB. Die Beriicksichtigung des Freizeitnutzens derjenigen arbeitsfahigen Manner, die als Bezieher groBer Vermogenseinkommen sich gar nicht oder nur beschrankt der Erwerbsarbeit widmen, ist nur positiv, in Form eines Zuschlages, moglich. Die Ermittlung eines solchen Zuschlages wird allerdings erhebliche Schwierigkeiten machen. Wahrscheinlich wird man hier auch zu einem Einheitsbetrag Zuflucht neh- men miissen.

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