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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Feature am Sonntag Endstation Hoffnung Das Hotel Magdas in Wien Von Barbara Spengler-Axiopoulos Sendung: Sonntag, 7. Mai 2017, 14.05 Uhr Redaktion: Gerwig Epkes Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Feature am Sonntag sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Feature am Sonntag Endstation Hoffnung Das Hotel Magdas in Wien

Von Barbara Spengler-Axiopoulos Sendung: Sonntag, 7. Mai 2017, 14.05 Uhr Redaktion: Gerwig Epkes Regie: Günter Maurer Produktion: SWR 2016

Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Feature am Sonntag können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören: http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/feature.xml Mitschnitte aller Sendungen der Redaktion SWR2 Feature am Sonntag sind auf CD erhältlich beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden zum Preis von 12,50 Euro. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Bestellungen per E-Mail: [email protected] Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradio s SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

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Musik

Regie: CD 1, Rainhard Fendrich, Stück 1, „I am from Austria“

O-Ton 1, Hotelgäste aus Österreich, ein Ehepaar. Zu erst der Mann Wir sind jetzt eine Nacht da gewesen und das ist wirklich schön, sind die alten Möbel verwendet. Find ja okay, dass man die alten Sachen weiterbenützt, nicht gleich wegtut, das sollte unterstützt werden. Ist eine gute Idee!

O-Ton 2, die Ehefrau schaltet sich ein Ich find das mit den Flüchtlingen so toll! Ich bin noch nicht in Berührung gekommen, weil im Internet ist gestanden, man könnte am Abend mit ihnen was trinken. Aber auf das wart ich noch. Vielleicht gibt’s heute was. Am Abend, vielleicht haben wir Zeit.

O-Ton 3, der Ehemann ergänzt: Man ein bissel ins Gespräch kommt.

O-Ton 4, Hotelgast aus England, englisch, voice ove r Ich arbeite gerade selbst an einem Projekt über soziale Innovationen und wie man die Gemeinden da einbinden kann. Einige meiner Kollegen kannten das Hotel. Es ist wirklich fantastisch. Ich bin sehr zufrieden und werde wiederkommen. Hier wird genauso effizient gearbeitet wie man es von einem Hotel erwartet und die Idee mit den upgecycelten Möbeln ist vielleicht etwas schräg, aber absolut großartig. Der Service ist gut und das Frühstück auch. O-Ton 5, ATMO vom Prater, Schreie von der Black Mam ba

Sprecherin 1: Ein Betonbau in der Laufenberggasse 12. Vom Prater wehen Musikfetzen herüber und Lustschreie, wenn die Kabine der Black Mamba zum Überschlag ansetzt. Über der grünen Augenlandschaft dreht sich träge das berühmte Riesenrad. Gegen Osten liegt die Donauinsel. In der Leopoldstadt, einem der teuersten Wiener Bezirke, hat ein Projekt Unterschlupf gefunden für die Ärmsten dieser Welt.

Sprecher 1: Das Haus hat eine schillernde Geschichte. Vor dem Krieg stand in der Laufenberggasse 12 die prunkvolle Jugendstilvilla der Musikerfamilie Harnoncourt. Schon 1945, als die Wohnungsnot in Wien groß war, wurde das Anwesen zum Übergangsquartier für ausgebombte Familien. 1956 gab es geflohenen Studentinnen und Studenten aus Ungarn seinen Schutz.

Sprecherin 2: Die Villa wurde 1972 abgerissen und wich einem ein tristen, mehrstöckigen Wohnensemble. Linoleumböden, niedrige Decken und dunkle Einbauschränke aus Spanplatten. In diesem gut geführten Altersheim wohnten Demenzkranke, die nicht wohlhabend genug waren, sich eine mondänere Bleibe leisten zu können. Vor

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eineinhalb Jahren blieben bei der Räumung ein paar Teddybären zurück. Danach war das Haus für kurze Zeit eine Notschlafstelle für die Obdachlosen vom Praterstern. Sprecher 2: Heute ist das Haus das Hotel Magdas. Magdas ganz einfach wie: Ich mag das. Ehemalige Flüchtlinge aus den Krisenregionen der Welt empfangen hier ihre Gäste. Die Eingangshalle ist zugleich Galerie. Hier hängen die Porträts der Mitarbeiter aus Guinea-Bissau, Ghana, Nigeria, Bangladesch, Afghanistan, Syrien und Iran. Es sind ernste, dunkle Augen, in die der Gast blickt. Im Gegensatz zu den Touristen und Geschäftsreisenden, die eintreffen, haben die Menschen, die hier arbeiten, die weiteste und schwierigste Reise hinter sich.

Regie: Musik, CD 1, Stück 1, „I am from Austria“ 1:14 – 1:33

O-Ton 6 ATMO Frühstücksraum O_Ton 7, Sheramad Razi, Mitarbeiter Ich heiße Sheramad Razi. Ich komme aus Afghanistan. Ich bin beim Frühstücksraum. Die Leute kommen dann in der Früh, ich bin immer um 6 Uhr da und ich vorbereite die Frühstück alle Sachen und gut aufräumen. Ich nehme auf die Zimmernummer, ich begleite, sage, wo ist Tisch, Tisch aussuchen, sitzen.

O-Ton 8, Anita, Mitarbeiterin Ich heiße Anita, ich komme aus Syrien. Ich bin jetzt Rezeptionistin. Meine Arbeit ist mit der Anreise und Abreise für die Gäste. Und helfen, wenn sie Fragen haben für Wien und alles, was immer sie möchten die Gäste im Haus. Sprecherin 1: Wie lässt sich in Wien ein Hotel mit 20 ehemaligen Flüchtlingen betreiben, die keine gelernten Hotelfachkräfte sind und nicht perfekt deutsch sprechen? 60.000 Hotelbetten hält die Stadt für ihre Gäste bereit, und an manchen Tagen sieht es so aus, als sei jedes Bett belegt. Das täuscht. Die durchschnittliche Auslastung liegt bei 60%. Das Hotel Magdas steht in einer grossen Konkurrenz. Dazu kommt, dass dem alternativen Hotel erst einmal nur fünf Jahre zugestanden wurden, sich zu beweisen. In dieser Zeit muss der Kredit von 1,5 Millionen€ erwirtschaftet und zurückgezahlt werden.

Sprecher 1: Das Hotel steht unter ökonomischem Erfolgsdruck, aber es ist auch eine kleine Sensation. Denn das Magdas ist weltweit das erste Hotel, in dem vorwiegend Flüchtlinge arbeiten. An der Seite der Migranten stehen zehn Hotelprofis, die die ungelernten Mitarbeiter ausbilden und beraten. Natalia Pschtolkowska ist Front Office Managerin. Die schlanke, dunkelhaarige junge Frau sitzt im Herzen des Hotels, an der Rezeption. Sie schlägt die Beine mit den flachen Ballerinaschuhen übereinander.

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O-Ton 9, Natalia Pschtolkowska Wir arbeiten mit ehemaligen Flüchtlingen und die sind keine Profis, wissen nicht, wie man in Hotels arbeitet und wir lernen sie von Anfang an ein und betreuen sie auch dazu. Ich denke mir, das ist eine große Herausforderung. Aber so viel Liebe und Motivation, wieviel man zurückbekommt, kriegt man, glaube ich, in keinem Hotel. Sprecherin 2: Natalia Pschtolkowska, gelernte Hotelfachfrau, ist seit der ersten Stunde dabei. Das Magdas eröffnete im Februar 2015:

O-Ton 10, Natalia Pschtolkowska Der Anfang war wirklich schwierig. Und das Telefon hat man 24 Stunden bei sich gehabt, weil wir eineinhalb Wochen vorher die Schulung hatten, was nicht genügend Zeit war und dann wirklich mit großem „Bumm“ eröffnet haben. Der Check In hat damals 20 bis 30 Minuten gedauert, das war schon eine Herausforderung, den Gästen auch zu erklären, wieso es so lange dauert. Also in normalen Hotels passiert es in 5 Minuten maximal und das war‘s auch schon!

O-Ton 11, Omid Sharif, Afghanistan, Rezeption Ich finde, die sind extrem freundlich alle für mich. Ich versteh mich mit allen extrem gut, auch unsere Leitung, natürlich auch von der Rezeption die Frau Natalia, ist ein extrem netter Mensch. Man kann immer mit ihr reden, sie ist immer hilfsbereit.

Sprecher 2: Der 24jährige Omid aus Afghanistan ist neueingelernter Rezeptionist. Vor zehn Jahren kam er nach Österreich und besuchte hier die Schule.

Regie: Musik CD 2, Salif Keita, Anthology, Stück 1, „Seydou“, 00:45 – 00:59

Sprecherin 1: Hinter der Rezeption hängen pastellfarbene Plakate, die die Haltung des Hotels auf die Kurzform von Cartoons bringen: „Happy Openness“, „Happy Courage“ und „Happy Magdas“. Menschen mit verschiedener Hautfarbe und lässigem Outfit stehen für „Happy Diversity“ und links unten am Rand grüßt das Motto: „Stay open-minded.“ Mit „Upselling“, Zusatzverkäufen, sollen die Angebote des Hotels und somit die Einnahmen gesteigert werden. Die Rezeption bietet Kugelschreiber, Regenschirme und Tees zum Verkauf, auch Fahrräder können hier ausgeliehen werden.

O-Ton 12, ATMO Salon, nach etwa zehn Sekunden darüb ersprechen

Sprecher 1: An die Rezeption schließt sich der helle, weitläufige Salon an, ein Treffpunkt mit integrierter Bar. Im vorderen Bereich stehen ausladende Sofagarnituren, in grau und weinrot. Links davon öffnet sich ein Raum, der als Seminarbereich genutzt werden kann; seine weiß schraffierte Glaswand sorgt für Diskretion. Im hinteren Teil des Salons liegt rechts eine große Bibliothek, gegenüber stehen lange Tische. Hier wartet Gabriela Sonnleitner, Geschäftsführerin der Magdas Social Business Gruppe. Die

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schmale Frau mittleren Alters schaltet ihr Mobiltelefon auf lautlos und formuliert druckreif.

O-Ton 13: Gabriela Sonnleitner, Geschäftsführerin von Magdas Wir haben in unserer Gruppe mehrere Betriebe neben dem Hotel, einen Recycling-Betrieb, zwei Großküchen, eine Kantine, eröffnen jetzt im Frühjahr eine Reinigungsfirma. Wir sind eine 100% Tochter der Caritas. Caritas hat uns gegründet mit dem Ziel, dass wir soziale Probleme mit wirtschaftlichen Ansätzen lösen. Generelles Ziel von Magdas momentan ist es, 50% aller Arbeitnehmer hier im Hotel oder in anderen Betrieben müssen aus Zielgruppen kommen, die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben. Können Flüchtlinge sein, Langzeitarbeitslose, Menschen mit Behinderungen, Haftentlassene. Wir wollen beweisen, du kannst jeden Betrieb führen, auch mit diesen Menschen gemeinsam. Das ist unser Ziel momentan bei Magdas, hier Modellprojekt zu sein.

Sprecherin 2: Die 39jährige Sarah Barci, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit im Magdas Hotel, bringt das Problem auf den Punkt. Es scheint eine Quadratur des Kreises.

O-Ton 14, Sarah Barci Wir möchten beweisen, dass man sich wirtschaftlich selbst tragen kann und den sozialen Aspekt niemals aus den Augen lässt. Das ist ein durchaus schwieriger Balanceakt, wir sind jetzt dreißig Mitarbeiter, zwanzig davon ehemalige Flüchtlinge, die keine einschlägigen Qualifikationen haben.

Sprecher 2: Caritas? Klang das nicht einmal ein wenig nach Mottenkugeln mit einem Hauch von Bahnhofsmission? Kommen da nicht Bilder von strengen Frauen in weissen Blusen und wadenlangen Flanellröcken? Gabriela Sonnleitner streicht sich lachend durch das kurze Haar und erklärt, wie die Caritas zur Idee des „Social Business“ kam. Der charismatische Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus spielte eine entscheidende Rolle. Er entwickelte dieses Unternehmensmodell, das an Investoren keine Dividenden ausschüttet.

O-Ton 15, Gabriela Sonnleitner Die Caritas in Wien hat eine eigene Innovationsabteilung gegründet vor einigen Jahren, die Muhammad-Yunus-Anhänger waren und gesehen haben, dass der mit seiner Art zu denken, neu an Probleme herangeht. Man hat einfach versucht zu schauen, welche Herausforderungen haben wir denn heutzutage und welche modernen Lösungen gibt’s? Und nicht nur, was können wir selber erfinden, sondern was gibt es denn weltweit schon und was sollen wir dann in Wien einfach ausprobieren.

Regie: Musik, CD 2, Salif Keita, Stück, 1, „Seydou“, 1:32 – 1:48 runterziehen

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Sprecherin 1: Die mutige Entscheidung der Caritas, 1,5 Millionen € als Kredit zur Verfügung zu stellen für ein Hotel, das nicht nach rein unternehmerischen Prinzipien funktioniert, und dessen Gewinn zu 100% in die Firma reinvestiert wird, stieß bei der Magdas-Eröffnung im Februar 2015 auf großes Interesse.

O-Ton 16, Sarah Barci An und für sich hat ein Hotel von der Größe – wir haben jetzt 88 Zimmer – im seltensten Fall eine eigene Pressestelle. Bei uns ist das der Fall, weil wir dadurch, dass das Konzept einzigartig ist, weltweit wahnsinnig viele Presseanfragen haben.

Sprecher 1: über Atmo Frühstücksraum Die Wiener Caritas bleibt auch jung in Gestalt ihres Generalsekretärs Klaus Schwertner. Der 39jährige Vater von vier Kindern im blauen Kapuzenpullover unter seinem grauen Jackett hat seine grün-blaue Designersonnenbrille in die Stirn geschoben. Grüssend geht er durch den Frühstücksraum am Buffet vorbei, auf dem es neben Brötchen und Müsli auch Couscous, Hummus und Fallafel gibt. Er lässt sich einen Cappuccino von der italienischen Kaffeemaschine ein.

O-Ton 17, Klaus Schwertner: Wir haben das fast ein wenig unterschätzt, ja, und es war so, dass innerhalb kürzester Zeit, obwohl wir keine internationale Pressearbeit gemacht haben, wirklich eine Reihe von internationalen Medien sich angestellt hat. Es hat fast jede deutsche Tages- und Wochenzeitung über das Magdas Hotel berichtet, es war russisches Fernsehen genauso da wie italienisches fernsehen. Es hat die Huffington Post genauso darüber berichtet wie CNN. Wir waren in der sonderbaren Situation, dass wir bei der Terminvergabe sagen mussten, CNN bitte erst in einer Woche und Huffington Post erst übernächste Woche, weil wir so gerade in der Anfangsphase so viele Anfragen hatten.

Regie: Musik, CD 2, Salif Keita, Stück 2, „Mandjou“, 00:29-1:15

Sprecherin 2: Der Kerngedanke des Konzepts „Hotel Magdas“ bleibt das alte Prinzip: Hilfe zur Selbsthilfe. Und die funktioniert in der kapitalistischen Gesellschaft über die Arbeit, am besten über die bezahlte Arbeit.

O-Ton 18, Klaus Schwertner: Unser ursprünglicher Gedanke war, wir haben jahrelang in der Flüchtlingsarbeit gesehen, wie wichtig für die Integration der Zugang zum Arbeitsmarkt ist. Wir haben die Situation in Österreich, dass Asylverfahren mittlerweile zwar rascher abgewickelt werden von den Behörden. Aber dass wir in den letzten Jahren auch immer wieder gesehen haben, dass Asylverfahren mehrere Jahre dauern können und die Menschen in diesem Wartesaal des Lebens hängenbleiben, zum Nichtstun verdammt sind und in Wirklichkeit psychisch kaputt gemacht werden, keine Hoffnung mehr haben und auch nichts beitragen können. Wir haben jahrelang gefordert und fordern das bis heute: einen Zugang zum Arbeitsmarkt nach sechs Monaten.

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Sprecher 2: Der 38jährige Nicolas aus Nigeria steht im Salon hinter dem Tresen und tippt seine Bestellungen in den Computer. Er landete 2002 in Österreich. Bevor er an der Bar des Hotel Magdas als Kellner seinen Platz fand, verbrachte er schwierige Jahre in halber Illegalität zwischen Deutschkursen und Gelegenheitsarbeiten.

O-Ton 19, ATMO Salon O_Ton 20, Nicolas, Nigeria Es ist besser, weil früher habe ich nicht so gearbeitet. Weil schwarze Arbeit ist nix richtige Arbeit und manchmal eine Woche ich arbeitete nichts. Bin immer zu Hause. Und das ist langweilig. Und Fernsehen immer zu schauen ist auch langweilig. Und ich hab nicht so viele Freunde hier, weil das ist nix meine Heimat. Die Arbeit hilft, weil acht Stunden von dem Tag weg zu arbeiten, das ist gut! (lacht) Ich habe etwas zu tun in meinem Leben, nicht dass ich bleibe immer zu Hause und gar nichts. Sprecherin 1: Auch für die Syrerin Anita hat sich das Leben geändert, seit sie arbeiten darf. Innerhalb von zwei Jahren hat sie sich in Wien durch beharrliches Lernen und den Besuch von Deutschkursen zur Rezeption hochgearbeitet. Gerade erklärt sie einem älteren Ehepaar, das gegen 23 Uhr eingecheckt hat, wo es jetzt noch etwas zu essen bekäme. Beim Chinesen am Praterstern, sagt Anita und erklärt den Weg. Als sich die Schwingtüre hinter den beiden schliesst, bekennt die junge Frau:

O-Ton 21, Anita, Syrien Ich fühle mich wie ein neuer Mensch. Ich kann jetzt noch einmal einen Plan haben, ich wollte es so machen und dann habe ich die Chance, in Kurse zu gehen, etwas Neues zu lernen und mehr Erfahrungen zu haben und dann bin ich in ein paar Jahren auf einer anderen Stufe. Ich bleibe nicht im Gleichen. Wie andere, die sind schon Jahre hier und wollen die Sprache lernen. Wie ich war in Damaskus. Ich war immer so, im Arbeit was Neues lernen, fleißig, dass ich mein Ziel habe, dass ich bin zufrieden mit meinem Leben.

Regie: Musik. CD 2, Salif Keita, Stück 2, „Mandjou“, 1:57 – 2:16

O-Ton 22 ATMO Salon

Sprecher 1: Während des Gesprächs mit Sebastiaan de Vos tagt im Seitenzimmer eine Seminargruppe, gleich wird sie herauskommen und ihren Mittagsimbiß einnehmen. Der 29jährige Niederländer war nicht nur der erste Direktor des Hotels, sondern gleichzeitig Ausbilder, Motivationstrainer, Inneneinrichter und Sozialarbeiter. Er ist mit allen Problemen des Magdas vertraut. Heute ist er so genannter „Operations Manager“ des Hotels.

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O-Ton 23, Sebastiaan de Vos Ich fühle mich bei den Zahlen, Daten, Fakten und vor allem den Details sehr zu Hause. Unterm Strich muss eine schwarze Null herauskommen. Wir sind auf einem guten Weg. Wie zu jedem guten Unternehmen gibt es einen Businessplan. Unser Business-Plan schlägt vor, innerhalb von vier Jahren müssen wir alles zurückzahlen, beziehungsweise die schwarze Null erreichen.

Sprecherin 2: Das ist nicht einfach umzusetzen. Seit Anfang des Jahres ist der Hotelier und systemische Organisationsentwickler Gerhard Zwettler neuer Direktor des Hotels. Er beobachtete den Betrieb eine Weile, bevor er sich entschloss, diese Stelle anzunehmen. Zwettler ist Wiener, 51 Jahre alt und im Magdas omnipräsent. Bei der Mitarbeiterbesprechung, bei Anfragen von Seminarbuchungen, Treffen mit Kooperationspartnern und Journalisten.

O-Ton 24, Gerhard Zwettler, Hoteldirektor Es handelt sich um ein Social Business und im ersten Jahr war stärker der Aspekt auf dem Sozialen, weniger auf dem Businessbereich. Den haben wir jetzt ganz stark hereingeholt. Es gilt jetzt einfach, bei allen unseren Maßnahmen dafür zu sorgen, dass der Gast zufrieden ist, dass wir aber dennoch die Erträge von dem Gast, der bei uns im Hotel wohnt, steigern. Es beginnt schon beim Verkauf unserer Zimmer, das ist ein ganz simples Beispiel. Bislang, wenn man uns über die Homepage gebucht hat, kam man in Zimmerkategorien von der günstigsten Zimmerkategorie ab 62 € bis hin zu den Suiten. Durch einen ganz simplen Trick haben wir das dahingehend geändert, wenn du das jetzt eingibst, kommen zuerst die Suiten. Ich finde, dass unsere Suiten mit einem Preis von 125 € für manche unserer Gäste nach wie vor ein Schnäppchen darstellen. Das haben wir jetzt auch gemerkt, viele Gäste zum Beispiel aus Paris, aus London Suiten buchen, weil sie der Meinung sind, dass 125 € für das, was sie dafür bekommen, ein Schnäppchen ist.

O-Ton 25 Sebastiaan de Vos: Natürlich Wien ist ein heißer Markt. Es gibt so viele Mitbewerber hier, die einfach der Reihe nach grosse Hotels aus dem Boden stampfen. Und wir versuchen, mit unserem Konzept einfach aus der Masse hervorzustechen. Was mir persönlich sehr gut gefällt, dass das Magdas im Vergleich zu anderen Hotels gesagt hat, he Leute, wir öffnen unsere Türen und Ihr dürft‘s mitgestalten! So haben wir in allen unseren Zimmern solche Lampenschirme hängen, die von Freiwilligen gestrickt und gehäkelt worden sind. Oder unser Garten, was einfach ein Gemeinschaftsgarten ist.

Regie: Musik CD 3, Wanda, Stück 10, „Sterne“, 00:01 – 00:34

Sprecher 2: Sebastiaan de Vos sieht hinüber in den Hotelgarten. Hinter dem großen Holzponton mit den bunten Tischen und Stühlen wachsen hohe Büsche mit Rosmarin und Salbei. Geranienstauden blühen üppig. In mit Erde gefüllten bauchigen Zubern spriessen Pflänzchen.

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O-Ton 26, Barbara Wolf, Nachbarschaftsgärtner : Dann haben wir noch Badewannen gehabt, die sind aus dem Pensionistenheim übriggeblieben, so Emaillebadewannen. Und da konnten wir dann extra und vor Schnecken sicher Zucchini, Gurken und Melanzani anpflanzen.

Sprecherin 1: Barbara Wolf wohnt zehn Minuten zu Fuß vom Hotel Magdas entfernt und sieht das Projekt als Bereicherung ihres Wohnviertels, ihres „Krezzls“, sagt die Wienerin, wie ein Berliner „Kiez“ sagen würde.

O-Ton 27, Barbara Wolf, Nachbarschaftsgärtner : Ich hab dann erfahren, dass dieses Pflegeheim zu einem Hotel umgewandelt wird und nachdem es in diesem Bezirk, der zwar sehr schön ist, es aber einen Mangel an interessanten Lokalen gibt, habe ich mir gedacht, ich möchte es gerne näher kennenlernen. Und wie ich dann gesehen habe, wie das Konzept gemacht ist, wollte ich sofort Teil davon werden und habe mir eben gedacht, ich kann das als Freiwillige am besten tun. Und die Dinge, die ich übernehmen hätte können, die hat‘s dann auch gegeben: nämlich Gartenarbeit und Bibliotheksarbeit.

Regie: Musik, CD 3, Wanda, Stück 10, „Sterne“, 00:37 – 2:10,

Sprecher 1: Ein Glaskasten bei der Rezeption informiert über die Aktivitäten des Magdas. Ein Aushang erklärt: Gemeinsam mit NachbarInnen und Jugendlichen der Wohngemeinschaft Nuri verschönern wir den Garten vom Magdas Hotel. Unterzeichnet hat das Blatt Andrea Visotschnigg. Sie ist bei der Caritas angestellt und kümmert sich um Freiwilligenprojekte. Die junge Frau mit dem blonden Zopf braust mit einer kleinen Verspätung in die Hotelhalle und sprudelt los:

O-Ton 28, Andrea Visotschnigg, Freiwilligenkoordina torin Auch eine Betreuung des Strickkränzchens, da glaubt man, das ist nett, man sitzt zusammen und strickt, aber das ist wirklich aktive Betreuung! Dass alle das haben, was sie brauchen, dass sie sich wohlfühlen hier. Es haben auch wieder welche aufgehört.

Sprecher 2: Magdas, das ist auch Handarbeit. Die Lampen und Leuchten in den Zimmern sind aufeinander abgestimmt. Ist der Schirm der Deckenlampe dunkelrot-weiß, hat die Umhüllung der dazu gehörenden Stehlampe einen weißen Mantel, dessen Umrandung mit dem Rotweinton der oberen Leuchte korrespondiert. An machen Lampen hängen die Namen der Strickerinnen. Selbstbewußt signieren sie ihre Werke.

O-Ton 29, Andrea Visotschnigg: Als wir das Haus begonnen haben auszuräumen, haben sich Menschen gemeldet, die über die Medienberichte aufmerksam geworden sind auf dieses Hotelprojekt und haben gesagt, sie wollen da irgendwie mittun, sie wollen sich das anschauen. Und

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dann haben wir uns überlegt, dass wir das natürlich gut brauchen können aufgrund der begrenzten Ressourcen und haben jetzt das letzte Jahr ein Freiwilligenkonzept uns überlegt. In welchen Bereichen können wir Freiwillige einsetzen und haben parallel dazu Workshops begonnen.

Regie: Musik, CD 5, Georg Kreisler, track 5, Frühlingsmärchen, „Es ist Frühlingseit“, 00:32 – 00:45

Sprecherin 2: An diesem sonnigen Frühjahrsmorgen sind die Syrerin Anita und der Afghane Ehsan von der Rezeption zusammen mit anderen Mitarbeitern vom vierten Stock aus auf einer Dachleiter durch eine enge Luke geklettert. Sie wollen sehen, was Matthias Bichler tut. Der Imker ist dabei, seine Bienen in der neuen Umgebung einzugewöhnen.

O-Ton 30, Matthias Bichler, Imker Also wir haben jetzt die Bienenkästen geöffnet, dass die Bienen frei fliegen können, die hängen jetzt noch in einer Bienentraube zusammen vom Transport durch die Erschütterungen. Die werden sich jetzt langsam aus der Traube lösen und die Gegend erkunden. Das dauert jetzt ein bis drei Tage fliegen sich die Bienen ein und erkunden die neue Gegend und dann fliegen sie die Blüten an.

Regie: Musik CD 5, track 5, Georg Kreisler, „Es ist Frühlingszeit“, 2.17 – 2:33

O-Ton 31, Matthias Bichler, Imker : Die Kastanie ist doch eine einzigartige Geschichte im Wiener Prater. Soweit ich weiß, stehen da 70% der Wiener Kastanien und kann man mit einem guten Ertrag rechnen. Sprecherin 1: Unten im Hotel stehen währenddessen Mitarbeiter im Kreis. Gerhard Zwettler und sein Team besprechen kurz die tagesaktuelle Lage.

G.Z.: Guten Morgen zum Morgenmeeting, heute in kleiner Runde, weil wir ja gerade unsere neuen Gäste willkommen heißen und da sind einige unserer Teammitglieder eben am Dach. Unsere neuen Gäste sind die Bienen, die bei uns heute einziehen und uns hoffentlich dann köstlichen Praterhonig für unsere Gäste produzieren. Weitere Gäste, Natalia, wie schaut‘s denn aus heute mit Ankünften?

N.P.: Heute Anreisen zwölf, Abreisen haben wir sieben, also ein bisschen ruhiger Tag, aber hoffentlich wird sich das noch legen. (lacht)

G.Z.: Gibt es besondere Bedürfnisse?

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N.P.: Nein, auch keine Beschwerden reingekommen, keine Extrawünsche von den Gästen, alles ruhig.

G.Z.: Veranstaltungen haben wir heute…

S.B.: Keine, was insofern gut ist, als der Fotograf heute im Haus ist und sämtliche Seminarräume für unsere Broschüre fotografieren wird. Also die Räume sind gesettet, als würden gleich Gäste kommen, aber es ist für die Fotografen.

G.Z.: Ich wollte sagen, ich habe am Nachmittag heute eine Projektvorstellung mit dem CSR-Beauftragten des Ritz Carlton, der sehr angetan ist von unserem Projekt. Und ich werde ihm auch empfehlen, so wie wir das im Januar gemacht haben mit unseren Mitarbeitern, ihnen diese Möglichkeit anbieten, im Ritz Carlton an der Rezeption, im Service zu arbeiten, um Erfahrungen sammeln zu können, wie das in anderen Hotels funktioniert.

S.B.: Ich muss mich schon wieder verabschieden, weil ich sehe, es wartet noch ein Journalist an der Rezeption zu einer Hausführung.

G.Z.: Dann wünsche ich allen einen guten Tag, danke!

Regie: Musik, CD 2, Salif Keita, Stück 3, „Calculer“, 00:35 – 00:50

Sprecher 1: Mit CSR beruft sich Gerhard Zwettler auf den im englischen Sprachraum heute üblichen Begriff der Corporate Social Responsibility. Er meint Unternehmen, die in sozialer Verantwortung handeln und zum Beispiel Menschen, die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben, bevorzugt einstellen. Claudia Köhler ist Sozialberaterin im Magdas. Sie sitzt in ihrem kargen Büro im Erdgeschoß und räumt ihre Unterlagen beiseite. Dienstags und donnerstags steht sie den Mitarbeitern zur Verfügung. Bei Fragen, Behördengängen und Schwierigkeiten im Job.

O-Ton 33, Claudia Köhler, Sozialbetreuerin: Das ist schon das Besondere hier, dass sozusagen die Arbeit mehr ist als die Arbeit, dass es ein riesiges Arbeitspensum zu erfüllen gibt. Aber auch hier wir uns miteinander in einem sehr speziellen Klima bewegen. Es ist gut, dass es hier eine Aufmerksamkeit gibt. Dass es erlaubt ist, dass man eben auch seine Geschichte hat, dass man das sehr wohl auch ansprechen kann.

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Sprecherin 2: Diesem Konzept liegt ein Denkansatz zugrunde, der Flüchtlinge als Menschen ernst nimmt und fragt, was ihre beruflichen Fähigkeiten sind. Im Tourismus mit seinen verschiedenen Arbeitsbereichen sieht Gabriela Sonnleitner eine ideale Branche:

O-Ton 34, Gabriela Sonnleitner: Wir drehn’s einfach um, das ist unsere Strategie, wir sagen, wir schauen nicht auf das Defizit, was er nicht kann. Sondern wir schauen, was die Leute können. Wir glauben, dass diese Leute sehr viel mitbringen für diese Branche. Das sage ich immer, wer eine Flucht schafft, der wird wohl auch den Job schaffen. Das muss den Menschen erst einmal jemand nachmachen. Wir gehen davon aus, dass die ganz viele Potenziale haben und wir haben Mitarbeiter hier, die viele Sprachen sprechen. Also wir reden hier von High Potentials, ja?

O-Ton 35, Anita, Rezeption: Ich bin in Syrien geboren, in Damaskus. Meine Großeltern sind Flüchtlinge, von Armenien nach Syrien gekommen. Aber da bleibt unsere Sprache Armenisch. Muttersprache dazu auch Arabisch. Beide sind Muttersprachen in Schrift und Wort. Und sprechen müssen wir beide, Armenisch und Arabisch. Wir haben auch armenische Schule in Syrien. Und dazu Englisch und Deutsch habe ich gelernt.

O-Ton 36, Ehsan, Service Ich spreche fünf Sprachen: ich spreche Deutsch, ich spreche Türkisch, meine Muttersprache ist Usbekisch und ich kann Afghanisch und Persisch kann man auch sagen.

O-Ton 37: ATMO afghanische Musik aus dem Frühstücksraum, dazu das Geklapper von Besteck, das eingeräumt wird Sprecher 2, darunter afghanische Musik laufen lasse n bis zum Ende (Atmo O-Ton 37) Ehsan und Sheramad haben das Frühstück abgeräumt, es sind keine Gäste mehr im Frühstückssaal. Für Ehsan ist der Augenblick gekommen, in dem er seine Lieblingsmusik hören kann. Er setzt sich an einen Tisch, auf dem er die halbleeren Salzstreuer versammelt hat. Er schraubt die Öffnung auf und schüttet behutsam Salz nach. Und hört ein Lied aus seiner Heimat. Er setzt das Salzpaket ab und hält inne.

O-Ton 38, Gerhard Zwettler: Wir haben auch junge Mitarbeiter, die als unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge gekommen sind. Die das Fehlen der Mutter zum Thema machen. Wo man ganz deutlich sieht, die sind zu einer Zeit aufgebrochen, wo es eigentlich noch die Nähe zur Mutter und zum Vater gebraucht hätte und das eben nicht der Fall war, ja? Ich glaube, dass für viele unserer Mitarbeiter das Magdas Hotel nicht nur ein Arbeitgeber ist, sondern auch in manchen Bereichen ein bissel einen Ersatz der Familie darstellt. Und das ist uns bewusst und wir wollen das auch ganz gezielt fördern, damit die Mitarbeiter sich hier wohl und aufgehoben fühlen.

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O-Ton 39, Nicolas, Nigeria, Service: Wir sind Familie hier. Weil, wir haben längere Zeit zusammen gearbeitet und wir haben zusammen oft Urlaub gemacht. Wir kommen gut miteinander da.

Regie: Musik CD 2, Salif Keita, Stück 4, „Madan“, 1:10 – 1:32 Sprecherin 1: Ist die Rezeption das Herz des Hotels, so ist die Küche dessen Bauch. Das kulinarische Angebot des Hauses soll in der nächsten Zeit noch erweitert werden. Mittags wird im Salon eine Suppe angeboten, dazu Mezze, die beliebten arabischen Vorspeisen. Gegrilltes Gemüse, gebackener Schafskäse und Fladenbrot. Für den Abend sind so genannte Schöpfgerichte wie Eintöpfe geplant, die im Wasserbad heiß gehalten werden. Bei Veranstaltungen im Haus werden zusätzlich Mittags- und Abendmenüs angeboten.

Sprecher 1: Die Küche schließt sich an den Frühstücksraum an. Sie ist durch drei verschiedenfarbige Vorhänge in rot, mintgrün und sandfarben vom Publikum abgetrennt. Wenn sie sich öffnen, hört man verheißungsvolles Töpfeklappern. Auf dem großen Herd brodelt und dampft es und der Koch rührt den Inhalt des 20Liter Topfes noch einmal vorsichtig um:

O-Ton 40, Koch: Ich koche hier grad Kichererbsen für unser Hummus, das wir draußen am Frühstücksbuffet anbieten. Heute gibt’s Gemüselaibchen fürs Personal mit Bratkartoffeln. Und für unsere Gruppe, wir haben später eine Mittagsveranstaltung, gibt’s Spinatlassagne mit Tomatensauce und frischen Blattsalat dazu. Das Besondere: den Leuten Küche zu erklären. Es ist eigentlich so, als ob man einen Lehrling ausbildet. Ich sag, a bissel schwieriger ist es, den Leuten das Kochen zu erklären, teilweise, weil eben die Deutschkenntnisse noch nicht passen. Aber ansonsten ist das eine eigene Herausforderung, da wird das Kochen eigentlich fast zur Nebensache (lacht) Meine Leute auszubilden und das fängt beim Brotschmieren an, mit der Hygiene an.

Sprecherin 2: Gegenüber schneidet und belegt ein schmaler, intellektuell wirkender junger Mann mit Brille Baguettes.

O-Ton 41: Küchenhelfer Rasouli, Afghanistan Ich bin Rasouli, ich komme aus Afghanistan. Heute mache ich die Sandwiches für die Bar, für die Gäste: Schinken, Käse, Salami. Als nächstes geht der Schinken, Käse, wieder kommt der Salat und Tomaten und ein Deckel.

Regie Musik, CD 4, Bilderbuch, Stück 1, „Dschungel“, 00:06 – 00:25

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Sprecher 2: Ein Stockwerk höher steht Chichi aus Nigeria in einem der langen Gänge und kontrolliert die Wäsche, die auf dem Rollwagen angeordnet ist. Sie sagt, sie sei erkältet und nicht in bester Form.

O-Ton 42: Chichi, Nigeria, Hausdame Ich arbeite als Hausdame. Abteilung Hausgebiet. Also Zimmer checken, ich bestelle dann auch die Wäsche.

Sprecherin 1: Abiena aus Ghana geht Chichi zur Hand. Sie hat ihr volles Haar mit einem schwarzen Samtnetz gebändigt. Die beiden Frauen zwitschern wie Freundinnen durch die Zimmer, die mit guten Teppichböden in verschiedenen Blau- und Grüntönen ausgelegt sind. Die Wände schimmern salbeigrün. Abiena legt das Staubtuch zur Seite:

O-Ton 43: Abiena aus Ghana, Stubenmädchen. Ich heiße Abiena, ich komme aus Ghana und arbeite hier als Stubenmädchen. Zimmer reinigen, putzen, Betten frisch machen, Badezimmerreinigung und Bodensaugen, Staub abwischen. Für Abreisezimmer brauche ich 25 Minuten, für Bleibezimmer brauche ich zehn bis fifteen Minuten. Im Magdas gefällt’s mir sehr!

Regie: Musik, CD 4, Bilderbuch, Stück 1, „Willkommen im Dschungel,“ 00:55 – 1:14

O-Ton 44: Gabriela Sonnleitner: Weil wir ja nicht viel Geld gehabt haben, haben wir auch beim Haus geschaut, wie kann man aus Nachteilen, die wir hier haben, nämlich alte Hütte, Vorteile machen. Und deshalb haben wir diesen Upcycling-Stil auch gewählt. Diese Bank im Vorzimmer, der Schreibtisch, das Nachtkastl, haben wir gebaut aus den alten Einbauschränken, die es vorher in diesem Zimmer gegeben hat. Wenn Du dir keine teuren Designerschirme leisten kannst, dann hab eine kreative Idee!

Sprecher 1: Die Zimmer, die Abiena, Chichi und ihre Kolleginnen täglich inspizieren und reinigen, gehören zu den Attraktionen des Hotels. Mit dem schicken Etikett „Upcycling“ versehen, sind all die Möbel gemeint, die unter der Leitung des Designers und Innenarchitekten Daniel Büchel überarbeitet und umfunktioniert wurden.

O_Ton 45, Daniel Büchel: Ich wurde eigentlich gerufen, um das Interieur zu entwickeln, weil natürlich kein Budget mehr hier war und das ist eigentlich alles aus dem Haus geschöpft worden. Also es wurde gar nichts gekauft, gar nichts. Kein Tisch, kein Stuhl, nichts.

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Sprecherin 2: Für seine kreativen Ideen wurde dem Magdas 2015 der österreichische Staatspreis für Design verliehen. Daniel Büchel ist ein bescheidener Mensch, der für seine Arbeit und die Sache, die er vertritt, brennt. Nichts wegschmeißen, sagt er, sei Erziehungssache und hier habe er aus dem Vollen schöpfen können. Neu sind im Magdas nur die Badezimmerfliesen, der Teppichboden und die Matratzen für die Betten:

O-Ton 46: Daniel Büchel: Im Keller wurde eine Kapelle entweiht und mit freiwilligen Helfern und mit Flüchtlingen haben wir das gebaut im Keller unten. Das komplette Interieur. Also sämtliche hundert Zimmer sind‘s jetzt genau und alles, was da drinnen ist: Bett, Tisch, Garderobe, Bank, Stuhl. Bis auf das Fauteuil, das wurde dann ergänzt.

Sprecher 2: Daniel Büchel erinnert sich gerne an diese Zeit des Umbaus. Die internationale Mischung der Mitarbeiter und wie man im Laufe der Zeit zusammengewachsen sei, das sei wunderbar gewesen. Nicolas aus Nigeria war dabei. O-Ton 47, Nicolas aus Nigeria : Meine erste große Arbeit war, das waren achtzig Zimmer! Das war lustig für uns und wir haben geredet und die Leute haben gesagt, dass gibt eine Hoffnung für uns, dass wenn das Hotel fertig ist, gibt es eine Chance für uns zum Arbeiten.

Sprecherin 1: Alle grösseren Zimmer, die neben den preiswerteren einfachen Doppelzimmern entstanden, wollten liebevoll möbliert werden. Einer der originellsten Räume ist das so genannte „Jägerzimmer.“ An einer Wand hängen nebeneinander die nach oben gebogenen Lenker von drei Fahrrädern, die jeweils weiß und schwarz gespritzt wurden. In die Mitte jeder Lenkstange wurde ein schwarzer Sattel einmontiert, dessen Spitze nach unten zeigt. Drei Hirschgeweihe à la Magdas im Vintage Stil. Kissen mit Jagdmotiven und zwei Trachtenkommoden vervollständigen diesen wunderbar ironischen Heimatsalon. Sebastiaan de Vos, Mann der ersten Stunde, war vor zwei Jahren auf Möbelsuche für das Hotel.

O-Ton 48, Sebastiaan de Vos: Wir waren auf der Suche nach Möbeln für unser Haus oder Sesseln, haben einen kleinen LKW gemietet und sind durch ganz Österreich, Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark, Burgenland zu diesen Leuten gefahren, die gesagt haben, he, wir haben da was für Euch! Wir können es euch nicht vorbeibringen, aber wenn ihr wollt, kommt’s abholen! Und so haben wir einige Tage damit verbracht, Österreich abzuklappern. Diese Sessel hier zum Beispiel, die haben wir dann gesäubert und die stehen jetzt in unseren Hotelzimmern. Und so ist ein Stück Individualität von außen ins Hotel gekommen. Es gab eine Pensionsauflösung in einer Stadt in der Nähe von Passau, noch auf der österreichischen Seite, und wir betreten diese Pension, die wollten umbauen. Dann gehen wir in den Keller und da schaun wir: schöne Tischchen! Tische aus den Jahren sechzig, die in einem Topzustand waren, und da haben wir gefragt, was haben Sie denn mit diesen

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Tischen vor? Die wollten sie eigentlich wegschmeissen. Und da haben wir gesagt, die wären super, wir würden sie gerne weiterbenutzen und da hat er gesagt, okay, weißt’s was, nehmt’s mit!

Sprecher 1: Die Tische aus einem Keller in Oberösterreich leben weiter im Frühstücksbereich, in der Lobby und einigen Zimmern. Daniel Büchel erläutert das praktische Magdas-Design-Konzept.

O-Ton 49, Daniel Büchel Es ist halt ein so genanntes echtes Upcycling und sehr, sehr günstig geworden. Also es wurden wirklich keine 5.000 € für diese hundert Zimmer aufgebracht. Lediglich Transportkosten sind angefallen, um das Material zu bearbeiten. Wo das Upcycling in Wirklichkeit immer teurer ist wie eine Neuanschaffung. Hier ist das Upcycling kein Gag. Aber hier war das eben gefordert für die Caritas, günstig zu arbeiten.

Regie: Musik,CD 4; Bilderbuch, Stück 12, „Gibraltar,“ 00:50 – 1:12

Sprecherin 2: Gelegentliches Hämmern und Klopfen aus der Umgebung machen auf die schöne Nachbarin des Hotels aufmerksam. Nebenan in der Kurzbauergasse liegen die Bildhauerwerkstätten der Akademie der Bildenden Künste Wiens. Der prächtige Atelierbau mit den hohen Decken und den Biberschwanzziegeln legt sich wie ein tröstender Arm um das hässliche Betonbauschwesterchen Hotel Magdas. Die Beziehung zwischen Beiden ist eng: Kunststudenten halfen bei der Außengestaltung der Hotelfassade und in jedem Hotelzimmer hängt das Werk eines Künstlers. Außerdem nimmt Magdas Künstler auf. Die Stipendiatenwohnungen wurden nach Entwürfen Daniel Büchels hergerichtet.

O_Ton 50, ATMO Hotel, Musik und Bargeräusche

Sprecher 2: Die 28jährige Camila Lobos aus Chile ist auf dem Sprung. Sie lebt für drei Monate als Artist-in-Residence im Magdas Hotel. Als Stipendiatin in Wien muss sie diversen Verpflichtungen nachkommen. Sie ist unterwegs zu einer Begegnung mit südamerikanischen Künstlern, die hier leben. Die junge Frau soll außerdem im Magdas ihre künstlerische Spur hinterlassen. Sie plant eine Installation für den Hoteleingang.

O-Ton 51, Camila Lobos, Chile, englisch, voice over Ich arbeite viel mit Licht, denn es erlaubt mir, „hell“ und „dunkel“ metaphorisch zu betrachten: es gibt Themen in unserem Leben, die wir ins rechte Licht rücken und Themen, die wir lieber im Dunkeln lassen. Wie ich das künstlerisch ausgestalte, weiß ich noch nicht, aber die Initiative für dieses Hotel ähnelt meiner Arbeit. An diesem Projekt arbeiten eine Reihe von Menschen und es ist eine komplizierte Situation mit Flüchtlingen und sie belichten dieses Problem und geben den Menschen eine Chance. Darüber möchte ich arbeiten

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Regie: Musik, CD 3, Wanda, Stück 3, „Bussi Baby“, 1:05 – 1:28

Sprecherin 1: Alle diese Aktivitäten haben dem Hotel viel Aufmerksamkeit von außen beschert. Wie aber sieht es in seiner Innenwelt aus? Hier werden 23 Sprachen gesprochen, wie farsi, dari, arabisch, nigerianisch, swahili, portugiesisch, französisch, englisch, deutsch, italienisch und niederländisch. Und es leben hier Menschen aus vierzehn Nationen wie Afghanistan, Nigeria, Syrien, Bangladesch und Guinea Bissau. Wir kommen sie miteinander aus?

Sprecher 1: Für Sarah Barci sind es nicht die großen Konflikte, die Probleme bereiten, sondern viele kleine Begebenheiten aus dem Alltag, bei denen sie merkt, das hätte man noch einmal durchsprechen müssen.

O-Ton 52, Sarah Barci Es war am ersten Adventssonntag und wir hatten einen großen, schönen Adventskranz hier gehabt und haben dem Mitarbeiter, der Dienst hatte, mitgeteilt, also die Kerze soll dann angezündet werden. Und dann komme ich zurück am ersten Adventssonntag und alle vier Kerzen brennen! Das ist eine Kleinigkeit, für ihn war klar, da gibt es vier Kerzen und die gehören angezündet. Ich wäre nie auf die Idee gekommen zu sagen, jetzt zünden wir die erste Kerze an, weil die zweite kommt erst am nächsten Adventssonntag.

Sprecherin 1: Hoteldirektor Gerhard Zwettler nennt ernstere Problemfelder des Zusammenlebens:

O-Ton 53, Gerhard Zwettler Dennoch braucht es für unsere Mitarbeiter immer wieder Sensibilisierungsseminare in Richtung interkulturelle Unterschiede und was im europäischen Kontext erwartet wird. Hier möchte ich ein konkretes Beispiel ansprechen, das Thema sexuelle Nähe. In manchen Kulturen wird vielleicht geflirtet, das ist okay. Der anderen Kultur geht das aber schon eine Spur zu weit. Und hier haben wir laufend Sensibilisierungsseminare mit unseren Mitarbeitern, um sie über die Akzeptanz und Grenzen zu informieren. Wir haben schon durchaus auch Fälle gehabt, wo wir Mitarbeiter entlassen mussten, weil sie diese Grenzen nicht einhalten konnten.

Regie: Musik, CD 2; Salif Keita, Stück 5, „Yamore“, 00:35 – 00:58

Sprecher 1: Das Hotel hat einen Seitenflügel; hier ist im ersten Stock die Wohngemeinschaft Nuri untergebracht. Im Eingangsbereich steht ein Flipper, von der Wand hängt ein Punchingball herab. Auf dem Wäscheständer hängen verloren ein paar Jeans, ein rotes Sweatshirt und ein paar Socken. Nuri ist das Wiener Zuhause für zwölf minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge; sie werden rund um die Uhr betreut. Heute

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hat Khosrow Bahrami, ein 60 jähriger Iraner, Dienst. Er wirkt voller Empathie, nur ein bißchen müde und man glaubt ihm gern, wenn er sagt, dass Missverständnisse zwischen den Kulturen für die Jugendlichen das weitaus größte Problem seien.

O-Ton 54, Khosrow Bahrami Begegnungen mit Frauen, die manchmal sind verunsichert. Manchmal für sie normal ist, aber für die europäische Gesellschaft unnormal ist. Von der Essenskultur bis zur Unterhaltung gibt es jede Menge Probleme. Was Essen betrifft, sind sie meist sehr verunsichert, ob das „halal“, erlaubt ist, weil sie hauptsächlich Moslems sind, unsere Jugendlichen. Wie sie da waren am Anfang, haben wir ihnen sehr tolles Brot, dieses dunkle Brot serviert. Nach zwei, drei Tagen haben alle protestiert, das ist kein Brot! Obwohl es sehr teuer war und tolles Brot war. Dann haben wir dieses türkische Fladenbrot für sie besorgt, das viel billiger ist und sie waren sehr glücklich.

Sprecherin 2: Einigen der Jugendlichen wird in Aussicht gestellt, später eine Ausbildung im Hotel Magdas zu beginnen. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Nazir, ein junger Mann von 17 Jahren, putzt sein Zimmer und lehnt für einen Moment den Besen gegen die Tür. Im Bett nebenan hat sein Freund die Decke über den Kopf gezogen und versucht, weiterzuschlafen. Er wälzt sich unruhig hin und her.

O-Ton 55, Nazir, junger Flüchtling In Österreich in Future ich möchte in einem Büro arbeiten. Ich wohne 5 Monate hier. Ich gehe in Deutschkurs vormittags und nachmittags ich komme zurück in mein Zimmer, Küche, waschen, bisschen Computer spielen, manchmal Fußball spielen.

Sprecher 1: Geprägt durch Todesangst und Verzweiflung seien die jungen Asylbewerber sehr sensibel und empfindlich. Sie hätten erwartet, in eine heile Welt, in ein Paradies zu kommen, in dem alles einfach, angenehm und geregelt ist.

O-Ton 56, Khosrow Bahrami Also die sind noch nicht so weit, dass sie daran denken, sie müssen Deutsch lernen, müssen eine Ausbildung haben. Diese Sachen hat es nicht gegeben in ihrer Heimat, so eine Ausbildung. Man konnte dort vielleicht jeder auf die Strasse gehen und arbeiten. Diese Vorstellung ist noch immer bei ihnen da, schnell zu Geld zu kommen. Wir müssen sehr viel daran arbeiten, überzeugen. Es ist mühsam, aber wir haben schon Erfolg gehabt.

Regie: Musik, CD 2, Salif Keita, Stück 5, „Yamore“, 1.56 – 2:24, ausklingen lassen

Sprecherin 2: Das Haus ist voll mit Geschichten. Sie schwirren durch die langen Hotelflure, werden vom Kellner an der Bar erzählt oder von den Zimmermädchen. Es sind Geschichten von Flucht und Vertreibung, von Krieg und Einsamkeit. Es sind Geschichten aus Nigeria, Somalia und Syrien. Die Traumata sitzen tief. Ehsan aus Afghanistan macht Mittagspause. Er sucht einen ruhigen Platz vor dem Hotel und zündet sich eine

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Zigarette an. Von Afghanistan bis Iran lief er in fünf Tagen zu Fuß. Weiter von dort durch die Türkei bis nach Griechenland.

O-Ton 57, Ehsan, Afghanistan, Service Ich bin selber fast drei- viermal unterwegs gestorben, ich war im Wasser, ich war in den Bergen, ich hatte kein Essen, ich war ganz allein, aber Gott hat mich gerettet. Damals konnte ich nicht Leuten vertrauen einfach. Viele Leute, dass sie unterwegs gestorben sind, der Schlepper hat sie verarscht. Ja, das war gefährlich. Ich war unter LKW 36 Stunden. Ich konnte nichts essen, ich konnte nicht Wasser trinken, obwohl ich alles neben mir hatte. Ja, das war die gefährlichste Zeit in meinem Leben, dass ich 36 Stunden unter einem LKW war. Ich kann das nicht vergessen. Sprecher 2: Die Mitarbeiter dürfen ihre persönliche Geschichte haben, auch wenn manche sie nicht erzählen mögen. Ein Therapieplatz aber ist das Magdas nicht. Es legt Wert darauf, zu funktionieren wie ein normales Hotel. Von einem Mitarbeiter mit einer schwierigen Biografie wird die gleiche Leistung erwartet wie von allen anderen. Es soll ein Ort der Begegnung sein, an dem sich Menschen unterschiedlicher Kulturen treffen und austauschen können. Omid von der Rezeption hatte nicht nur angenehme Erfahrungen mit den Gästen, die er empfangen hat.

O-Ton 58, Omid, Rezeption Jetzt gab’s zum Beispiel vorletzte Woche eine Gruppe aus Deutschland, die hatten Reservierung für zwanzig Zimmer. Und die kommen rein und schauen das Hotel sagen sofort zu mir: „Das Hotel ist scheiße!“ Das waren Jugendliche, die waren wegen einem Konzert hier. Da habe ich gesagt, okay, du sagst zu mir, ich habe keine Ahnung, was ich hier mache, dann halt ist es Deine Entscheidung! Du kannst hier bleiben, aber für das Geld, das Du jetzt zahlst, bekommst Du kein 5-Sterne Hotel! Wenn Du mehr Wünsche hast, musst Du mehr zahlen und dann bekommst du ein besseres Hotel.

Sprecherin 1: Omids Mittagspause ist zu Ende. Bevor er an seinen Arbeitsplatz zurückgeht, denkt er noch einmal über diesen Vorfall nach und führt seine professionelle Reaktion auf diese persönlichen Beleidigungen auf die verschiedenen Schulungen zurück, die er durchlaufen hat. Der einzige Fonds, für den das Hotel sammelt, ist die Magdas Academy. Die Mitarbeiter sollen noch besser und umfassender ausgebildet werden. Durch Deutschkurse, Coachings und andere konkrete Lernerfahrungen. Natalia, die Chefin der Rezeption, erwartet Omid. Sie hat ihren Mitarbeitern von Anfang an den Rücken gestärkt.

O-Ton 59, Natalia Pschtolkoska, Rezeption Ich hab irgendwie meinen Input den Rezeptionisten gegeben, aber außerdem haben sie noch Schulungen extra bekommen, wie man einen Gast betreut. Was macht man, wenn Beschwerde von einem Gast kommt, wie reagiert man? Wie kann man Telefonat und Gast in der Rezeption in einem verbinden, damit es irgendwie nicht stört? Und das haben sie, glaub ich, sehr gut gemanagt.

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Regie: Musik,CD 2, Salif Keita, Stück 10, „La Difference“, 00:06 – 00:29

Sprecher 1: Über internationale Anerkennung konnte das Hotel nicht klagen. Von der Nachbarschaft aber fühlt es sich bisher unbeachtet und nicht genügend gemocht. Die Hotelmanager und Verantwortlichen wünschen sich mehr Interesse, denn sie möchten deutlich machen, dass Flüchtlinge ein Teil der Stadt sind. Einmal im Monat wird ein Social Dinner veranstaltet, bei dem jeweils 30 Wienerinnen und Wiener mit 30 Flüchtlingen zusammentreffen.

Sprecherin 2: Ein Kinoprojekt ist zusammen mit dem Volkskino geplant. Es sollen vorwiegend Filme zum Thema Flucht, Migration und Integration gezeigt werden. Auch die Bibliothek im Salon widmet sich diesen Themen als Schwerpunkt. Fernsehen gibt es nur in den Suiten, in den einfachen Doppelzimmern begrüßt eine kleine, eigensinnige Literaturauswahl die Gäste. Die Freiwilligenkoordinatorin Andrea Visotschnigg:

O-Ton 60, Andrea Visotschnigg, Freiwilligenkoordina torin Ganz wichtig ist, dass das Hotel hier nicht wie auf einer Insel steht, sondern dass es wirklich in den Stadtteil reinwirkt, auch auf verschiedenste Arten. Dass das Hotel eben nicht nur für Touristen aus aller Welt ist, sondern auch für alle Wiener und Wienerinnen, die herkommen wollen.

O-Ton 61, Klaus Schwertner, Generalsekretär Caritas Wien Was wir manchmal merken ist, dass wir international fast besser bekannt sind als direkt hier im Krezzl. Wir merken auch, dass die Wienerinnen und Wiener noch nicht gemerkt haben, dass wir nicht nur ein Hotel haben, sondern auch einen Gastronomiebetrieb quasi. Wo man auf das Bier nach der Arbeit gehen kann, das Glas Wein oder auf den Frühstückskaffee, ja? Wir bieten hier auch Brunch und Frühstück an.

Sprecher 2: An der Außenfassade des Hotels sind auf Anregung der Studenten der Kunstakademie quadratische Kupferplatten, 15 x 15 Zentimeter groß, angebracht. Es ist ein wachsendes Mosaik aus Wertgegenständen, eine Außenhaut, die das Haus allmählich bedeckt. Auch Hotelgäste können beitragen, indem sie einzelne Platten erwerben. So entwickelt sich eine ambulante Sparkasse, ein temporäres Investment, eine auflösbare Rücklage. Nicht unähnlich der Situation der Flüchtlinge, die oft alles, was sie besitzen, am Körper tragen

O-Ton 62, ATMO Hotel, Erdgeschoss, Musik, Klappern von Tassen O-Ton 63 Gabriela Sonnleitner : Was ich will, ist, dass die Tourismuswirtschaft aufwacht, dass sie sieht, oh, aha, ja, ist recht, da ist eine Zielgruppe, die sehr spannend ist für uns, aber wie kann ich die denn gut integrieren? Was wir gern weitergeben würden, was braucht‘s denn, damit Flüchtlinge oder ehemalige Flüchtlinge gut in den Arbeitsprozess hineinkommen? Vom Recruitment über die Ausbildung, über die sozialen Faktoren, was muss man

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tun, damit das ein guter Prozeß wird und erfolgreich für beide Seiten? Unser Ansatz ist, wenn wir vorzeigen wollen, dass Integration in einem Hotelbetrieb funktioniert, dann müssen wir das mit den Mitteln machen, die die Hotellerie oder die Tourismuswirtschaft hat.

O-Ton 64, Gerhard Zwettler: Dann haben wir vielleicht in diesen 5 Jahren vierzig, fünfzig Menschen mit Fluchthintergrund, denen wir diese Chance gegeben haben. Das ist schön, aber nicht ausreichend in der Wirkung. Daher haben wir jetzt auch beschlossen, in die Bundesländer zu gehen und anderen Hoteliers Mut zu machen, ebenso wie wir Menschen mit Fluchthintergrund anzustellen. Damit mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, in den österreichischen Jobmarkt integriert zu werden und damit können wir auch unsere Wirkung insgesamt erweitern.

O-Ton 65, Ehsan, Service: Seit ich in Österreich bin, ich fühle mich sehr wohl. Ich fühle mich in Sicherheit. Ich bin glücklich hier. Ich arbeite da. Alles ist schön jetzt im Moment. Ehrlich gesagt, das Projekt von Caritas ist ein cooles Projekt in Wien, ein Superprojekt, Magdas Hotel. Wir sind ein Team, eine Gruppe. Wir halten immer zusammen und wir helfen unseren Kollegen. Und das bedeutet für mich Vieles, dieses Hotel.

Regie: musikalischer Ausklang, CD 1, Rainhard Fendrich, Stück 1, „I am from Austria“, ***********************************************************