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Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann ein zukunftsorientiertes Ausbildungskonzept? Analyse der geltenden Ordnungsgrundlagen im Hinblick auf künftige Absatzerfordernisse in Versicherungsunternehmen Von Brigitte Bauer, Köln Inhaltsübersicht 1. Problemlage 2. Zukunftsweisende Qualifikationsprofile von Versicherungsmitarbeitern 3. Aktuelle Ausbildungsschwerpunkte der Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann 3.1 Analyse des Ausbildungsrahmenplans 3.2 Analyse des Rahmenlehrplans 4. Möglichkeiten für eine stärkere Kundenorientierung im Rahmen der Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann 4.1 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierung im Rahmen der geltenden Ordnungsgrundlagen 4.2 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierung durch eine Neugestaltung der Ordnungsgrundlagen 5. Zusammenfassung und Relativierung 1. Problemlage Ausgehend von der Prämisse, beim immateriellen Wirtschaftsgut Versi- cherungsschutz handele es sich um ein stark erklärungsbedürftiges Produkt, zu dessen Absatz ein erheblicher antizipativer Informations- und Bera- tungsaufwand durch die Absatzorgane des Versicherungsunternehmens erforderlich ist, folgt daraus, daß der ökonomische Erfolg nicht unwesent- lich von einer adäquaten Qualifikation der Mitarbeiter abhängt. Diese enge Korrelation zwischen Qualifikationsprofil und Umsatz macht in zunehmendem Maße kundenorientierte, d. h. an den Absatzmärkten und den dort herrschenden Wettbewerbsstrukturen orientierte Marketingpolitik in Versicherungsunternehmen erforderlich, was eine tendenzielle Abkehr vom bisherigen Spartenprinzip mit festen, nach versicherungstechnischen

Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann — ein zukunftsorientiertes Ausbildungskonzept?

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Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann —

ein zukunftsorientiertes Ausbildungskonzept?

Analyse der geltenden Ordnungsgrundlagen im Hinblick auf

künftige Absatzerfordernisse in Versicherungsunternehmen

Von Brigitte Bauer, Köln

Inhaltsübersicht

1. Problemlage

2. Zukunftsweisende Qualifikationsprofile von Versicherungsmitarbeitern

3. Aktuelle Ausbildungsschwerpunkte der Berufsausbildungzum Versicherungskaufmann

3.1 Analyse des Ausbildungsrahmenplans3.2 Analyse des Rahmenlehrplans

4. Möglichkeiten für eine stärkere Kundenorientierung im Rahmen derBerufsausbildung zum Versicherungskaufmann

4.1 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierung im Rahmen der

geltenden Ordnungsgrundlagen4.2 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierung durch eine

Neugestaltung der Ordnungsgrundlagen

5. Zusammenfassung und Relativierung

1. Problemlage

Ausgehend von der Prämisse, beim immateriellen Wirtschaftsgut Versi-cherungsschutz handele es sich um ein stark erklärungsbedürftiges Produkt,zu dessen Absatz ein erheblicher antizipativer Informations- und Bera-tungsaufwand durch die Absatzorgane des Versicherungsunternehmenserforderlich ist, folgt daraus, daß der ökonomische Erfolg nicht unwesent-lich von einer adäquaten Qualifikation der Mitarbeiter abhängt.

Diese enge Korrelation zwischen Qualifikationsprofil und Umsatz machtin zunehmendem Maße kundenorientierte, d. h. an den Absatzmärkten undden dort herrschenden Wettbewerbsstrukturen orientierte Marketingpolitikin Versicherungsunternehmen erforderlich, was eine tendenzielle Abkehrvom bisherigen Spartenprinzip mit festen, nach versicherungstechnischen

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Regeln erstellten Versicherungsprodukten impliziert. Einer flexiblen Pro-duktpolitik entspricht im Bereich der beruflichen Bildung eine an der kom-plexen Risikosituation der Versicherungskunden ausgerichtete Qualifizie-rungsstrategie der Mitarbeiter in Versicherungsunternehmen.'

Während in der Weiterbildung eine unmittelbare, zeitlich kurzfristig zurealisierende Anpassung an veränderte Qualifikationsstrukturen durch ent-sprechende Schulungsmaßnahmen erfolgen kann, sind die Möglichkeiten,auf eine Änderung der Anforderungsprofile im Rahmen der Erstausbildungzu reagieren, durch die gesetzlichen Rahmenvorgaben der Ausbildungsord-nungen für die Ausbildung in anerkannten Ausbildungsberufen eng be-grenzt. Diese können wegen des langwierigen Neuordnungsverfahrens auchnicht kurzfristig geändert werden.

Um beurteilen zu können, inwieweit die geltenden Ordnungsgrundlagenin der Versicherungswirtschaft den aktuellen Qualifikationsanforderungenin diesem Wirtschaftszweig entsprechen, müssen zunächst die absehbarenVeränderungstendenzen erfaßt und ihre Vermittlungsmöglichkeiten auf derGrundlage der geltenden Ausbildungsordnung2 überprüft werden, um hier-aus Anhaltspunkte für mögliche Aktionspotentiale in der Versicherungs-wirtschaft ableiten zu können.

2. Zukunftsweisende Qualifikationsprofile von Versicherungsmitarbeitern

Aktuelle Qualifikationsprofile von Mitarbeitern in Versicherungsunter-nehmen werden durch eine überwiegend spartenorientierte Unternehmens-politik determiniert. Diese Absatzstrategie erscheint jedoch wegen ihrerrigiden Grundkonzeption — es handelt sich um standardisierte Versiche-rungsprodukte, die nach versicherungstechnischen und rechtlichen Regelnproduziert werden — kaum zur Berücksichtigung der durch die Nutzungneuer Technologien bedingten, ständig wechselnden Risikosituation geeig-net.

Daß es sich hierbei um ein Gefahrenpotential handelt, das — im Gegensatzzur Anfangsphase automatisierter Datenverarbeitung — keine isolierteAngelegenheit einiger weniger, innovativer Unternehmen darstellt, son-

1 Vgl. Farny, D.: Die zukünftigen Aufgaben der Versicherungswirtschaft in einersich schnell wandelnden Volkswirtschaft und die sich daraus ergebenden Ansprüchean die Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Die Versicherungsrundschau 32 (1977) 3,S. 76f.

2 Die folgenden Ausführungen orientieren sich an den gesetzlichen Grundlagen fürden Ausbildungsberuf Versicherungskaufmann aus der Verordnung über die Berufs-ausbildung zum Versicherungskaufmann vom 15.7.1977 (Bundesgesetzblatt Teil I,S. 1271, vom 21. Juli 1977) nebst Rahmenlehrplan über die Berufsausbildung zumVersicherungskaufmann (Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 24. Juni 1977,Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 170 vom 10. Sept. 1977), Bertelsmann Verlag, Biele-feld 1977.

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dery vielmehr in zunehmendem Maße breite Anwendungsfelder des ökono-mischen, sozialen und kulturellen Lebens betrifft, kann — gleichsam schlag-lichtartig — anhand aktueller Risikokonstellationen wie der Nutzung derGentechnologien oder der Gefahrenpotentiale bei Versagen oder Fehlreak-tionen hochkomplexer Expertensysteme im wirtschaftlichen oder militäri-schen Kontext aufgezeigt werden. 3

Angesichts des immensen Innovationspotentials mit seinen risikorelevan-ten Auswirkungen muß als Konsequenz für eine zukunftsweisende Qualifi-zierungsstrategie von Versicherungsmitarbeitern gefordert werden, diesesollten sich stärker als bisher mit den Folgen der Nutzung neuer Technolo-gien bei potentiellen Versicherungskunden auseinandersetzen, damit sie inder Lage sind, diejenigen Versicherungsprodukte gezielt aus dem vorhande-nen standardisierten Produktangebot auszuwählen, die der jeweiligen Risi-kosituation adäquat sind.

Ziel einer zukunftsweisenden Berufsausbildung in der Versicherungs-wirtschaft muß demnach sein, Mitarbeiter dahingehend zu qualifizieren,daß sie die Risikosituation der Versicherungskunden zu erfassen, zu bewer-ten und anschließend ein risikopolitisches Programm zu entwerfen vermö-gen, in dem die Versicherung eines unter mehreren möglichen gefahrmin-dernden Instrumenten darstellt.

Zur Erfüllung dieses Anspruchs muß der Mitarbeiter im Versicherungsun-ternehmen in der Lage sein, sich auf die individuelle Bedarfsstruktur desVersicherungsnehmers einzustellen, was wiederum voraussetzt, daß erdessen spezifisches Risikopotential auch tatsächlich zu beurteilen vermag;denn es genügt im Hinblick auf diese Zielsetzung nicht, die Problemlösungin Form standardisierter Versicherungsprodukte zu kennen, wenn daseigentliche Problem, d. h. die komplexe Gefahrensituation des Versiche-rungskunden, nicht erfaßt und interpretiert werden kann.

Ob die geltenden Ordnungsgrundlagen für die Berufsausbildung zum Ver-sicherungskaufmann geeignet sein könnten, diesem kundenorientiertenAnforderungsprofil zu entsprechen, soll im folgenden durch eine Analyseder geltenden Ordnungsgrundlagen der Berufsausbildung zum Versiche-rungskaufmann aus dem Jahre 1977 überprüft werden.

3 Zu den vielfältigen „Existenzrisiken der Gesellschaft" und ihrer Versicherbarkeitdurch die Assekuranz: vgl. Karten, W.: Existenzrisiken der Gesellschaft — Herausfor-derung für die Assekuranz. Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 77(1988) 3, S. 345ff.

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3. Aktuelle Ausbildungsschwerpunkte der Berufsausbildungzum Versicherungskaufmann

3.1 Analyse des Ausbildungsrahmenplans

Bei einer inhaltlichen Überprüfung der neun Vermittlungsbereiche4 imRahmen der betrieblichen Ausbildung ergeben sich als wesentliche Schwer-punkte zum einen ein an den betrieblichen Abläufen orientiertes Vermitt-lungsraster, zum andern die mit den Vertragsverhältnissen zusammenhän-genden Bearbeitungsroutinen.

So ist am Anfang der Ausbildung ein Überblick über die Organisations-struktur des Ausbildungsbetriebes vorgesehen, dem sich die mit dem Perso-nalbereich zusammenhängenden Vermittlungsgebiete anschließen. Büroar-beiten und der Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikations-technologien sind zweifellos Ausbildungsbereiche, die die Voraussetzungfür die aktive Mitwirkung der Auszubildenden in den nachfolgenden Abtei

-lungen darstellen, in denen die laut Ausbildungsrahmenplan vorgesehenenGebiete der Antragsbearbeitung, der Bestandsverwaltung, Änderungs- undLeistungsbearbeitung vermittelt werden. Der Bereich „Buchführung undKostenrechnung" kann im Hinblick auf die hier zu untersuchende Frage-stellung eines kundenorientierten Ausbildungsprofils keine geeignetenAnhaltspunkte bieten, so daß lediglich beim Ausbildungsbereich „Werbung,Kundenbetreuung und Wettbewerb" Ansatzpunkte für absatzorientierteVermittlungsanteile bestehen könnten.

Beim Teilbereich „Arten der Werbung des Ausbildungsbetriebes ", beidem unterschiedliche Werbemöglichkeiten des Ausbildungsbetriebes vorge-sehen sind, könnte z. B. detailliert darauf eingegangen werden, wie dieseWerbeträger auf die spezifische Zielgruppe abzustimmen wären, um eineeffizientere — in diesem Kontext, auf die individuellen Bedürfnisse besserausgerichtete — Bedarfsdeckung mit Versicherungsgütern zu erzielen.

Weitere Möglichkeiten ließen sich ebenfalls beim Teilbereich „Kundenbe-ratung und -betreuung" ausmachen. Hierbei ist im einzelnen vorgesehen, diefür die Kundenberatungsgespräche erforderlichen Unterlagen zusammen-zustellen und Kundengespräche nach Anleitung zu führen. Zur sachlich -fachlichen Vorbereitung der Beratungs- und Verkaufsgespräche gehörenebenfalls Informationen über die komplexe Interessenlage der Kunden.Hierbei könnte beim künftigen Versicherungskaufmann das Bewußtsein

4 Laut Ausbildungsrahmenplan sind für die Berufsausbildung zum Versicherungs-kaufmann vorgesehen: Organisation der ausbildenden Unternehmung; Personal-wesen; Büroarbeiten und Schriftverkehr; Buchführung und Kostenrechnung; Wer

-bung, Kundenbetreuung und Wettbewerb; Antragsbearbeitung; Bestandsverwaltung;Anderungsbearbeitung; Leistungsbearbeitung.

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dafür geschaffen werden, daß die vorhandenen Versicherungsprodukte sichu. U. nicht oder nur partiell mit dem effektiven Versicherungsbedarf des

Kunden decken, und es zu seinen Aufgaben gehört, nach einer Analyse derGesamtrisikosituation des Kunden aus dem Gesamtangebot der unter-schiedlichen Versicherungsprodukte diejenigen auszuwählen, die am ehe-sten zu einer Verbesserung der individuellen Gefahrenlage geeignet sind. In

einem zweiten Schritt muß der potentielle Kunde von der getroffenen Aus-wahl sachlich überzeugt werden, wobei wiederum der Bezug zur Risikosi-

tuation des Kunden nützlich ist.

Trotz dieser aufgrund der Ausbildungsgrundlagen gegebenen inhaltlichenMöglichkeiten zur Berücksichtigung einer kundenorientierten Berufsaus

-bildung beim Versicherungskaufmann muß dennoch relativierend ange-

merkt werden, daß die absatzbezogenen Ausbildungsanteile im Vergleich zu

den vertragsrechtlichen und den durch den Betriebsablauf determiniertendeutlich unterrepräsentiert sind, was sich u. a. in den zeitlichen Vorgaben

für die Vermittlung manifestiert. Die absatzbezogenen Ausbildungsinhaltesind lediglich für die erste und zweite Hälfte des zweiten Ausbildungsjahresvorgesehen, ohne eine Vertiefung im dritten Ausbildungsjahr, auf einer

höheren Kenntnisstufe. Geht man davon aus, daß es sich bei der Mehrzahl

der Ausbildungsverhältnisse in Versicherungsunternehmen um verkürzteAusbildungsgänge für Abiturienten handelt, dann bleibt aufgrund der gege-benen zeitlichen Rahmenvorgaben durch feststehende Berufsschulblöckeund urlaubsbedingte Unterbrechungen für eine inhaltliche Intensivierung

des absatzorientierten Ausbildungsbereiches wenig zeitlicher Spielraum,wenn das Ausbildungsziel, das Bestehen der Abschlußprüfung auf der

Grundlage der gesetzlichen Vorgaben, nicht gefährdet werden soll.

3.2 Analyse des Rahmenlehrplans

Der Rahmenlehrplan des Ausbildungsberufes Versicherungskaufmann

sieht drei Lernzielbereiche vor, 5 die weiter in Groblernziele und Teillern-

ziele differenziert werden.

Im Lernbereich „Versicherungslehre" werden zunächst ein allgemeiner

Überblick über die Bedeutung des Versicherungswesens für die Volkswirt-

schaft sowie Orientierungswerte über die Organisation der Versicherungs-

wirtschaft gegeben, anschließend die wichtigsten Versicherungssparten

behandelt. Die isolierte Behandlung von Versicherungszweigen ohne die

Berücksichtigung der komplexen Gesamtsituation des Versicherungsneh-

mers läßt eine Verknüpfung der theoretischen Grundlagen mit der konkre-ten Umsetzungssituation beim Kunden kaum zu und eignet sich daher nicht

5 Als Lernbereiche sind lt. Rahmenlehrplan vorgesehen: Allgemeine Wirtschafts-lehre, Rechnungswesen, Versicherungslehre.

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für die Erzeugung kundenorientierten Denkens und Handelns beim künfti-gen Versicherungskaufmann.

Dennoch ließen sich Möglichkeiten zur stärkeren Berücksichtigung absatz-orientierter Verhaltensmuster bei der Behandlung der einzelnen Versiche-rungssparten in der Weise realisieren, daß nicht ausschließlich die rechtli-chen und versicherungstechnischen Vertragsmerkmale der jeweiligen Versi-cherungsprodukte angesprochen werden, sondern ebenfalls gleichzeitig aufdie spezifische Risikolage der Kunden, die zur Nachfrage nach diesen Pro-dukten führt, hingewiesen wird. Hierbei würden auch Überschneidungenund Komplementaritäten. der einzelnen Versicherungsprodukte im Hinblickauf die komplexe Risikosituation des Versicherungskunden offenbar, dennzur Besserung der individuellen Risikolage sind u. U: nur Teilbereiche derangebotenen Programmpakete erforderlich.

Beim Lernbereich „Allgemeine Wirtschaftslehre", bei dem Elemente desbetrieblichen Leistungsprozesses behandelt werden, lassen sich im Rahmender Absatzfunktionen beim Grobziel „Markt und Preis", in dem das Ange-bots- und Nachfrageverhalten der Marktteilnehmer behandelt wird,Ansatzpunkte für eine mehrdimensionale, d. h. sowohl die Angebots- alsauch die Nachfrageseite einbeziehende Erfassung des GrundtatbestandesVersicherungsschutz vermuten. Ob allerdings die hier vorhandenen Mög-lichkeiten, auf die Determinanten des Nachfrageverhaltens bei den Versi-cherungsnehmern einzugehen, angesichts der Einbettung in den makroöko-nomischen Gesamtkontext der Entstehung von Marktpreisen tatsächlichgenutzt werden können, mag bezweifelt werden, da das Nachfrage- Anbie-ter-Verhalten in seinem globalen Kontext zur Bestimmung des Marktgleich-gewichts abgehandelt, nicht dagegen auf seine Kausalität im Hinblick aufkonkrete Verhaltensausprägungen der Marktteilnehmer — hier Versiche-rungskunden — untersucht wird.

Der Lernbereich „Rechnungswesen" scheidet für die Vermittlung kun-denorientierter Lerninhalte aus.

Faßt man die Inhaltsvermittlung in der Berufsschule zusammen, so kannals Kritik eine zu starke Spartenorientierung der Lerninhalte im Fach Ver-sicherungslehre festgestellt werden. 6 Ansatzpunkte für eine Analyse derindividuellen Entscheidungsparameter zur Erklärung des Nachfrageverhal-tens von Versicherungsnehmern sind im Fach Allgemeine Wirtschaftslehrevorhanden, ihre Realisation erscheint jedoch angesichts der makroökonomi-schen Lernzielausrichtung fraglich.

6 Vgl. auch Farny, D.: Über den Stand der wirtschaftlichen Theorie der Versiche-rung und Folgerungen für die Ausbildung zum Versicherungskaufmann. In: Fachdi-daktik der Wirtschaftslehre in der Sekundarstufe II, hrsg. von B. Nibbrig. Wirt-schafts- und Berufspädagogik in Forschung und Praxis, Bd. 6. Köln/Wien 1983,S. 149f.

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Soll angesichts dieser Diskrepanz — auf der einen Seite die Notwendigkeiteiner mehr auf die Kundenbedürfnisse ausgerichteten Qualifizierung vonMitarbeitern im Versicherungsunternehmen, auf der anderen Seite eineberuflichen Erstausbildung, die am Spartenprinzip orientiert ist — dennocheine Kompromißlösung gefunden werden, die eine Aktualisierung undZukunftsorientierung der Ausbildung im Sinne einer stärkeren Kunden-orientierung ermöglicht, dann ergeben sich einerseits Gestaltungsoptionenim Rahmen der geltenden Ordnungsgrundlagen, andererseits durch derenUmgestaltung in einem Neuordnungsverfahren.

4. Möglichkeiten für eine stärkere Kundenorientierungim Rahmen der Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann

4.1 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierungim Rahmen der geltenden Ordnungsgrundlagen

Ausschöpfung der inhaltlichen Möglichkeiten

Ausbildungsordnungen stellen ordnungspolitische Rahmenkonstruktedar, bei deren Ausschöpfung durch die Ausbildungsbetriebe erheblicheGestaltungsoptionen gegeben sind, d. h. bei der Umsetzung der gesetzlichenVorgaben in die betriebliche Praxis sind durchaus Freiheitsräume zurBerücksichtigung betriebsspezifischer Ausbildungsbedürfnisse gegeben.?

Der Gesamteindruck, der aufgrund der Analyse der Ordnungsgrundlagengewonnen werden konnte, spricht nicht für eine auf die Absatzbedürfnisseder Versicherungsunternehmen ausgerichtete rechtliche Basis der Berufs-ausbildung. So konnten bei der Untersuchung an den beiden Lernortenlediglich partielle Ansatzpunkte für die Realisation absatzorientierter Qua-lifikationsmerkmale ausgemacht werden, hauptsächlich durch Ausnutzungder vorhandenen inhaltlichen Spielräume, wie vorab gezeigt wurde.

Ob diese Gestaltungsoptionen genutzt werden können, hängt u. a. vonderen Stellenwert im Rahmen des Ausbildungsverlaufs ab. Da die absatzbe-zogenen Ausbildungsbereiche im Vergleich zu den übrigen zu behandelndenSachgebieten relativ knapp gehalten sind, ist bei einer isolierten Intensivie-rung eines Ausbildungsbereiches stets die Gefahr gegeben, andere Ausbil-dungsbereiche, die im Hinblick auf das Bestehen der Abschlußprüfung mög-licherweise wichtiger sind, zu vernachlässigen. Eine einseitige Forcierungabsatzorientierter Ausbildungsinhalte erscheint daher nicht unproblema-

7 Diese Gestaltungsmöglichkeiten führen in der Praxis dazu, daß trotz einheitlicherRechtsgrundlagen im Einzelfall recht unterschiedliche Ausbildungsergebnissezustande kommen: vgl. Brumhard, H.: Warum dauert die Erarbeitung von Ausbil-dungsordnungen so lange? Der Ausbilder 34 (1986) 3, S. 35.

46 Zeitschr. f. d. ges. Versicherungsw. 4

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tisch und bedarf einer sorgfältigen Überprüfung und Abwägung im Rahmender gesamten Ausbildungskonzeption.

Zusatzangebote im Rahmen der regulären Ausbildungsgänge

Ausbildungsordnungen stellen Mindestanforderungen dar, die von allenAusbildungsbetrieben einzuhalten sind. Wird eine Vermittlung der durchdas Berufsbild vorgesehenen Kenntnisse und Fertigkeiten sichergestellt,dann ist es den Ausbildungsbetrieben freigestellt, auch über die gesetzlichenBestimmungen hinaus auszubilden. Zusatzangebote im Rahmen regulärerAusbildungsgänge kommen vor allem für Abiturienten in Frage. 8 Im Rah-men der freiwilligen Zusatzangebote würden durchaus Möglichkeiten exi-stieren, die Schulung außenorientierter, stärker auf die Kundenberatungund -betreuung ausgerichteter Verhaltensmerkmale zu realisieren. Legtman einen weiten Kundenbegriff zugrunde, so sind die vielfach angebotenenFremdsprachenkurse ebenfalls eine Form von Vorbereitung auf künftigeBeratungsleistungen — in diesem Fall für ausländische Kunden. Rhetorik-Kurse könnten ebenfalls für die Realisation der globalen kundenorientier-ten Ausrichtung in Frage kommen.

4.2 Möglichkeiten zur stärkeren Kundenorientierung durcheine Neugestaltung der Ordnungsgrundlagen

Neuordnung der Ausbildungsgrundlagenzu einem außenorientierten Berufsbild

Diskrepanzen zwischen geltenden Ordnungsgrundlagen und den Qualifi-kationsanforderungen bei einer Mehrzahl von Ausbildungsbetrieben kön-nen Tatbestände darstellen, die zu einer Neuordnungsdiskussion Anlaßgeben. Sicherlich erhalten solche Überlegungen auch vor dem Hintergrundder seit der letzten Neuordnung erfolgten technologischen Entwicklung derneuen Informations- und Kommunikationstechnologien und deren Nutzungin Versicherungsunternehmen einen hohen Aktualitätsgrad.

Ob allerdings eine Neuordnung des seit dem Jahre 1977 geltenden Berufs-bildes zum Versicherungskaufmann eine realistische Möglichkeit zurLösung aktueller Qualifizierungsprobleme in der Versicherungswirtschaft

8 Erhebungen des Instituts der deutschen Wirtschaft aus dem Jahre 1986 zufolge,wurden im Bereich der kaufmännischen Ausbildungsberufe als Zusatzangebote fürAbiturienten nach fachspezifischen Lehrgängen an zweiter Stelle Sprachkurse,gefolgt von EDV-Kursen und Rhetorikkursen, angeboten: vgl. Konegen-Grenier, Ch. /Lenske, W.: Abiturienten und betriebliche Berufsausbildung. Beiträge zur Gesell-schafts- und Bildungspolitik des Instituts der deutschen Wirtschaft, Heft 130, hrsg.vom Institut der deutschen Wirtschaft. Köln 1987, S. 50.

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darstellen könnte, mag — zumindest auf kurze Sicht — angesichts der derzei-tigen Dauer von Neuordnungsverfahren bezweifelt werden. Fraglich istebenfalls, ob eine derart auf die Außenfunktionen ausgerichtete Berufsaus

-bildung von der gewerkschaftlichen Seite, deren Einwilligung gemäß demKonsensprinzips bei Neuordnungen vorausgesetzt werden muß, akzeptiertwerden könnte, da die gewerkschaftliche Bildungspolitik von einer breiten,möglichst viele Bereiche umfassenden beruflichen Qualifizierung im kauf

-männischen Bereich ausgeht. 10

Erfüllung der Innenfunktionen durch den Bürokaufmann

Eine andere Alternative auf ordnungspolitischer Ebene würde sich durcheine bessere interne Abstimmung der verschiedenen kaufmännischen Aus

-bildungsberufe anbieten. Die ordnungspolitische Ausrichtung kaufmänni-scher Ausbildungsberufe unterscheidet von ihrer Systematik her zwischensolchen Ausbildungsberufen, die eher auf den Verwaltungs- und Innenbe-reich ausgerichtet sind, und solchen mit einer stärkeren Branchenorientie-rung. 11 Wenn man davon ausgeht, daß zur Erledigung der Verwaltungsar-beiten im Versicherungsunternehmen vielfach keine versicherungsspezifi-schen Kenntnisse erforderlich sind, weil es sich um bestimmte prozeßgebun-dene Arbeitsroutinen handelt, die nach einer kurzen Einweisung auch vonMitarbeitern mit einer anderen kaufmännischen Grundausbildung ausge-führt werden können, dann würde sich eine interne Arbeitsteilung in derWeise anbieten, daß die innenorientierten Aktivitäten so weit wie möglichvom funktionsorientierten Querschnittsberuf Bürokaufmann erledigt wür-den, diejenigen Aufgabenstellungen dagegen, bei denen versicherungsspezi-fische Fachkenntnisse nach wie vor unumgänglich sind, die Kundenkon-takte und Vertriebsaktivitäten, vorwiegend von Versicherungskaufleutenmit einer zusätzlichen kundenorientierten Qualifizierung wahrgenommenwürden.

9 Das Konsensprinzip bei der Neuordnung von Ausbildungsordnungen beinhaltetdas Erfordernis der inhaltlichen Abstimmung zwischen den beteiligten Sozialpart

-nern sowohl bei der Erarbeitung der Ausbildungsordnungen als auch bei derenAbstimmung mit den Rahmenlehrplänen: vgl. Bundesinstitut für Berufsbildung: Ausder Arbeit des Hauptausschusses des BiBB. Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis15 (1986) 1, S. 26.

10 Vgl. Krebs, H.: Veränderungen der Ausbildungs- und Lernorganisation in kauf-männischen Berufen. In: Kaufmännische Berufe im Umbruch — Qualifizierung unterneuen technologischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Fachtagung Wirtschaftder Hochschultage Berufliche Bildung 1984 unter Leitung von J. Dikau u. a., hrsg. vonJ. Dikau, Frankfurt a. M. 1985, S. 126.

11 Vgl. zu der Konzeption kaufmännischer Ausbildungsberufe: Bauer, B.: Über-tragbarkeit und Optimierung methodischer Neubrientierungen in der Berufsausbil-

dung. Untersuchung am Beispiel des Ausbildungsberufes „Bürokaufmann/frau" imHandwerk. Wirtschafts- und Berufspädagogische Schriften, Bd. 7 hrsg. von W. Stra-tenwerth, B. Schurer, H.-J. Albers, Bergisch Gladbach 1989, S. 30ff.

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Anhaltspunkte für den Opportunitätsgehalt dieser Varianten lassen sichdurch eine Gegenüberstellung der Ausbildungsordnungen der beiden Be-rufsbilder gewinnen, wobei beim künftigen Kaufmann/frau für Organisationinfolge des derzeit nicht abgeschlossenen Neuordnungsverfahrens lediglichvon den durch die Sozialpartner vereinbarten Eckwerten für ein künftigesBerufsbild ausgegangen werden kann.' 2

Die von den beiden Berufsbildern vorgesehenen Ausbildungsbereicheweisen vor allen Dingen dort Überschneidungen auf, wo sich prozeßbezo-gene Ausbildungsfelder des Versicherungskaufmanns mit den funktions-orientierten kaufmännischen Grundfunktionen des Bürokaufmanns über-schneiden.

In beiden Ausbildungsberufen ist am Anfang der betrieblichen Ausbil-dung eine Orientierungsphase über die Organisationsstruktur des Ausbil-dungsbetriebes vorgesehen.

Die Büroarbeiten sind sachlich ebenfalls fast identisch, d. h. sie sehen denUmgang mit Karteikarten, Postbearbeitung und die Nutzung der neuenInformations- und Kommunikationstechnologien vor — ein Ausbildungsbe-reich, der beim Bürokaufmann neu in das Berufsbild aufgenommen wordenist.

Im Bereich Personalwesen sind graduelle Unterschiede feststellbar, dennder Versicherungskaufmann muß lediglich die grundlegenden gesetzlichenBestimmungen im tarifvertraglichen Bereich kennen, während ein Schwer

-punkt der Ausbildung beim Bürokaufmann bei der Lohn- und Gehaltsbuch-haltung liegt. Ähnliche Unterschiede existieren ebenfallh bei der intensi-

tätsmäßigen Ausrichtung der Buchführung und Kostenrechnung.

Der Bereich der außenorientierten Ausbildungsbereiche wie Werbung undKundenkontakte fehlt beim Bürokaufmann ganz, bei der Vertragsbearbei-tung und Bestandsverwaltung, die Schwerpunkte der Ausbildung beim Ver-sicherungskaufmann darstellen, sind dagegen Parallelen auszumachen, dader Bürokaufmann gleichfalls mit den allgemeinen Grundlagen der Auf-tragsbearbeitung vertraut ist.

Somit erscheint, von den Ausbildungsinhalten der beiden Berufstypen hergesehen, eine innerbetriebliche Funktionsteilung bei den beiden kaufmän-nischen Ausbildungsberufen durchaus realistisch.

12 Zu den Eckwerten der Neuordnung der Ausbildungsordnung zum Bürokauf-mann: vgl. Oppel, W.: Neuordnung von Ausbildungsberufen. Gewerkschaftliche Bil-

dungspolitik, 1988, Heft 7/8, Beilage, o.S.

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5. Zusammenfassung und Relativierung

Kundenorientierte, d. h. an den spezifischen Sicherheitsbedürfnissen derVersicherungskunden orientierte Verhaltensmuster der Mitarbeiter in Ver-sicherungsunternehmen erfordern von der Qualifizierungsseite her ein anden Absatzbedürfnissen des Versicherungsunternehmens orientiertes Ver-mittlungsmuster im Rahmen der beruflichen Erst- und Weiterbildung.

Wie die Überprüfung der Ordnungsgrundlagen ergab, bestehen lediglichpartielle Anhaltspunkte für außenorientierte Ausbildungsmöglichkeiten imRahmen der Erstausbildung. Eine gezielte und planmäßige Ausnutzung dervorhandenen inhaltlichen Gestaltungsoptionen für stärker kundenorien-tierte Verhaltensmuster kann sicherlich neben weiteren Zusatzangebotenim Rahmen der regulären Ausbildung dazu beitragen, einen höherenZielerreichungsgrad in dieser Hinsicht zu erzielen.

Weitergehende ordnungspolitische Maßnahmen, wie z. B. die Initiierungeines Neuordnungsverfahrens, sind vor allem unter dem zeitlichen Aspektzu beurteilen, denn es handelt sich bei solchen grundlegenden Änderungender Ausbildungsgrundlagen um Maßnahmen, die nur langfristig und imKonsens mit den Sozialpartnern zu erzielen sind.

Flexiblere Aktionsparameter stellen dagegen betriebsorganisatorischeMaßnahmen dar, nach denen die vorhandenen kaufmännischen Ausbil-dungsgänge, Versicherungs- und Bürokaufmann, mit ihren jeweiligen spezi-fischen Qualifikationsprofilen gezielt bei der innerbetrieblichen Stellenbe-legung eingesetzt werden. Der Vorteil dieser Lösung liegt vor allen Dingenin ihrer Flexibilität und der raschen Realisierbarkeit — Argumente, die vorallem im• Hinblick auf die bevorstehende Verwirklichung des EG-Binnen-marktes einen hohen Stellenwert besitzen; denn die Sicherung entscheiden-der Wettbewerbsvorteile hängt nicht zuletzt von einer zukunftsorientiertenQualifikationsstruktur der Mitarbeiter in Versicherungsunternehmen ab.