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57 Weltwoche Nr. 13.15 Bild: Samuel Golay (Ti-Press, Keystone) Schweiz Besser für die Wirtschaft Nach dem brutalen Nein zur Energiesteuer-Initiative der Grünliberalen hoffen konservative Exponenten, die Energiewende kippen zu können. Dabei zeigt eine genauere Betrachtung, dass eine «Nichtwende» höhere Subventionen und Auslandabhängigkeit zur Folge hätte. Von Bastien Girod O bwohl die Grünliberalen mit ihrer Initia- tive einen Weg vorschlugen, der weder von SP, Mitteparteien noch Swisscleantech unterstützt wurde, stellen nun einige konser- vative Exponenten aus SVP und FDP gleich die ganze Energiewende in Frage. Doch wer eine möglichst unabhängige und wirtschaftliche Energieversorgung möchte, sollte anerken- nen, dass sich die Realitäten im Strommarkt grundlegend zugunsten der Energiewende verschoben haben. Die Kosten der Stromge- winnung aus Wind und Sonne sind in den letz- ten zwanzig Jahren dank technischem Fort- schritt rasant gefallen. Nun folgt eine ebenso rasante Entwicklung bei der flexiblen Strom- gewinnung aus Biomasse sowie Speicherung und Koordination des unregelmässig anfal- lenden Stromangebots. Schon heute bieten in vielen Regionen die Wind- und Solaranlagen auch ohne politische Unterstützung die kostengünstigste Stromversorgung. Deshalb sehen wir für diese Erzeugungstechnologien in Europa einen starken Zubau. Aufgrund des liberalisierten Strommarktes führt diese Entwicklung auch in der Schweiz zu einer grundlegenden Veränderung der Strom- preise, unabhängig davon, ob die Schweiz beim Zubau mitmacht oder nicht. Im Unterschied zu flexiblen Biogas- oder Wasserkraftwerken kann man AKW nicht abschalten, und somit produ- zieren sie, auch wenn genug Strom auf dem Markt ist. Das ist in Europa immer häufiger der Fall, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Deshalb rentieren AKW in Europa nicht mehr – trotz Subventionen durch staatliche Versicherung der Risiken beim Betrieb der AKW und bei der Lagerung der nuklearen Ab- fälle. Das geplante AKW Hinkley Point in Eng- land ist hierfür exemplarisch. Für seine Finan- zierung benötigt es eine staatliche Bürgschaft für alle Kredite und eine kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), die höher ist als diejenige für erneuerbare Stromproduktion. Abschalten und staunen Die AKW weiterlaufen lassen ist je länger, je weniger eine Option. Wegen der Alterung der Materialien und der veralteten Technik muss immer stärker in die Sicherheit investiert wer- den. Die Betreiberin des AKW Mühleberg hat bereits selber erkannt, dass ein Weiterbetrieb wirtschaftlich keinen Sinn ergibt. Der Bau von Gaskraftwerken würde die Auslandabhän- gigkeit stark erhöhen und ist ohne staatliche Unterstützung auch nicht wirtschaftlich. Somit bleibt die Frage, ob wir die alten AKW durch Stromeffizienz und einen verstärkten Zubau von erneuerbarer Stromproduktion ersetzen wollen oder ob wir nach dem Abschal- ten der alten AKW erstaunt feststellen, dass wir von Importen aus dem Ausland abhängig geworden sind. Stromeffizienz ist die wirtschaftlichste Lö- sung. Wie die wettbewerblichen Ausschrei- bungen seit Jahren zeigen, kostet die Einspa- rung einer Kilowattstunde Strom deutlich weniger als die Produktion einer Kilowatt- stunde. Für den verbleibenden Strombedarf steht ein grosses Potenzial an erneuerbarer Stromproduktion in der Schweiz zur Verfü- gung. Bereits der Zubau der erneuerbaren Pro- duktion seit dem Jahr 2000 erlaubt eine Strom- produktion, die diejenige des AKW Mühleberg übertrifft. Die Projekte, die schon heute auf der Warteliste für die kostendeckende Ein- speisevergütung sind, würden mehr Strom produzieren als die drei ältesten AKW zusam- men. Und das alles, ohne dass die KEV-Abgabe über die vom Nationalrat beschlossene maxi- male Höhe von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde Strom ansteigen muss. Die künftigen Schwan- kungen der Stromproduktion von Wind- und Fotovoltaik können aufgrund unserer mächti- gen Wasserkraft und der flexiblen Biomasse sogar innerhalb der Schweiz ausgeglichen werden. Schliesslich wird der technische Wan- del zu intelligenteren Netzen und kosten- günstigen dezentralen Speichern die Integra- tion der erneuerbaren Produktion weiter vereinfachen. Für die Wirtschaft ist die KEV kein Problem, weil die energieintensiven Unternehmen davon befreit sind. Für die nicht energieinten- siven Unternehmen sind die maximal 2,3 Rap- pen pro Kilowattstunde kaum spürbar und in jedem Fall deutlich preiswerter als der Bau von AKW oder Gaskraftwerken. Gleichzeitig ist die Energiewende eine grosse Chance für unsere Wirtschaft. Träume aus den sechziger Jahren Wie einst die Eisenbahn die Industrie befruch- tet und zur Gründung von Unternehmen ge- führt hat, von denen wir bis heute noch profi- tieren (beispielsweise ABB und Stadler Rail), erlaubt die Energiewende den Unternehmen, Innovationen zu erproben und weiterzuent- wickeln. Erneuerbare Energien werden den Strommarkt weltweit prägen, damit wächst auch die globale Nachfrage nach entsprechen- den Produkten rasant. Die Energiewende macht deshalb die Schweiz für innovative und langfristig orientierte Unternehmen attrakti- ver. Das Erproben, Entwickeln und Herstellen von zuverlässigen Materialien, Speicher- oder Steuerungslösungen für eine effiziente und erneuerbare Energieversorgung sichert wert- volle Arbeitsplätze. Kurz: AKW sind keine Option mehr. Wer eine sichere, kostengünstige und einhei- mische Stromproduktion will, entscheidet sich für die Energiewende. Statt Träumen aus den sechziger Jahren nachzutrauern, die durch die Fakten der Gegenwart längst wider- legt sind, sollten auch konservative Politiker die Energiewende konstruktiv mitgestalten. Kernkraftwerke sind keine Option mehr. Bastien Girod ist Nationalrat der Grünen und ETH-Umweltwissenschaftler mit Doktortitel.

Besser für die Wirtschaft

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Essay in der Weltwoche (März 2015)

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Page 1: Besser für die Wirtschaft

57 Weltwoche Nr. 13.15Bild: Samuel Golay (Ti-Press, Keystone)

Schweiz

Besser für die WirtschaftNach dem brutalen Nein zur Energiesteuer-Initiative der Grünliberalen hoffen konservative Exponenten, die Energiewende kippen zu können. Dabei zeigt eine genauere Betrachtung, dass eine «Nichtwende» höhere Subventionen und Auslandabhängigkeit zur Folge hätte. Von Bastien Girod

Obwohl die Grünliberalen mit ihrer Initia-tive einen Weg vorschlugen, der weder

von SP, Mitteparteien noch Swisscleantech unterstützt wurde, stellen nun einige konser-vative Exponenten aus SVP und FDP gleich die ganze Energiewende in Frage. Doch wer eine möglichst unabhängige und wirtschaftliche Energieversorgung möchte, sollte anerken-nen, dass sich die Realitäten im Strommarkt grundlegend zugunsten der Energiewende verschoben haben. Die Kosten der Stromge-winnung aus Wind und Sonne sind in den letz-ten zwanzig Jahren dank technischem Fort-schritt rasant gefallen. Nun folgt eine ebenso rasante Entwicklung bei der flexiblen Strom-gewinnung aus Biomasse sowie Speicherung und Koordination des unregelmässig anfal-lenden Stromangebots. Schon heute bieten in vielen Regionen die Wind- und Solaranlagen auch ohne politische Unterstützung die kostengüns tigste Stromversorgung. Deshalb sehen wir für diese Erzeugungstechnologien in Europa einen starken Zubau.

Aufgrund des liberalisierten Strommarktes führt diese Entwicklung auch in der Schweiz zu einer grundlegenden Veränderung der Strom-preise, unabhängig davon, ob die Schweiz beim Zubau mitmacht oder nicht. Im Unterschied zu flexiblen Biogas- oder Wasserkraftwerken kann man AKW nicht abschalten, und somit produ-zieren sie, auch wenn genug Strom auf dem Markt ist. Das ist in Europa immer häufiger der Fall, wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Deshalb rentieren AKW in Europa nicht mehr – trotz Subventionen durch staatliche Versicherung der Risiken beim Betrieb der AKW und bei der Lagerung der nuklearen Ab-fälle. Das geplante AKW Hinkley Point in Eng-land ist hierfür exemplarisch. Für seine Finan-zierung benötigt es eine staatliche Bürgschaft für alle Kredite und eine kostendeckende Einspeisevergütung (KEV), die höher ist als diejenige für erneuerbare Stromproduktion.

Abschalten und staunen

Die AKW weiterlaufen lassen ist je länger, je weniger eine Option. Wegen der Alterung der Materialien und der veralteten Technik muss immer stärker in die Sicherheit investiert wer-den. Die Betreiberin des AKW Mühleberg hat bereits selber erkannt, dass ein Weiterbetrieb wirtschaftlich keinen Sinn ergibt. Der Bau von

Gaskraftwerken würde die Auslandabhän-gigkeit stark erhöhen und ist ohne staatliche Unterstützung auch nicht wirtschaftlich.

Somit bleibt die Frage, ob wir die alten AKW durch Stromeffizienz und einen verstärkten Zubau von erneuerbarer Stromproduktion ersetzen wollen oder ob wir nach dem Abschal-ten der alten AKW erstaunt feststellen, dass wir von Importen aus dem Ausland abhängig geworden sind. Stromeffizienz ist die wirtschaftlichste Lö-sung. Wie die wettbewerblichen Ausschrei-

bungen seit Jahren zeigen, kostet die Einspa-rung einer Kilowattstunde Strom deutlich weniger als die Produktion einer Kilowatt-stunde. Für den verbleibenden Strombedarf steht ein grosses Potenzial an erneuerbarer Stromproduktion in der Schweiz zur Verfü-gung. Bereits der Zubau der erneuerbaren Pro-duktion seit dem Jahr 2000 erlaubt eine Strom-produktion, die diejenige des AKW Mühleberg übertrifft. Die Projekte, die schon heute auf der Warteliste für die kostendeckende Ein-speisevergütung sind, würden mehr Strom produzieren als die drei ältesten AKW zusam-men. Und das alles, ohne dass die KEV-Abgabe

über die vom Nationalrat beschlossene maxi-male Höhe von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde Strom ansteigen muss. Die künftigen Schwan-kungen der Stromproduktion von Wind- und Fotovoltaik können aufgrund unserer mächti-gen Wasserkraft und der flexiblen Biomasse sogar innerhalb der Schweiz aus geglichen werden. Schliesslich wird der technische Wan-del zu intelligenteren Netzen und kosten-günstigen dezentralen Speichern die Integra-tion der erneuerbaren Produktion weiter vereinfachen.

Für die Wirtschaft ist die KEV kein Problem, weil die energieintensiven Unternehmen davon befreit sind. Für die nicht energieinten-siven Unternehmen sind die maximal 2,3 Rap-pen pro Kilowattstunde kaum spürbar und in jedem Fall deutlich preiswerter als der Bau von AKW oder Gaskraftwerken. Gleichzeitig ist die Energiewende eine grosse Chance für un sere Wirtschaft.

Träume aus den sechziger Jahren

Wie einst die Eisenbahn die Industrie befruch-tet und zur Gründung von Unternehmen ge-führt hat, von denen wir bis heute noch profi-tieren (beispielsweise ABB und Stadler Rail), erlaubt die Energiewende den Unternehmen, Innovationen zu erproben und weiterzuent-wickeln. Erneuerbare Energien werden den Strommarkt weltweit prägen, damit wächst auch die globale Nachfrage nach entsprechen-den Produkten rasant. Die Energiewende macht deshalb die Schweiz für innovative und langfristig orientierte Unternehmen attrakti-ver. Das Erproben, Entwickeln und Herstellen von zuverlässigen Materialien, Speicher- oder Steuerungslösungen für eine effiziente und erneuerbare Energieversorgung sichert wert-volle Arbeitsplätze.

Kurz: AKW sind keine Option mehr. Wer eine sichere, kostengünstige und einhei-mische Stromproduktion will, entscheidet sich für die Energiewende. Statt Träumen aus den sechziger Jahren nachzutrauern, die durch die Fakten der Gegenwart längst wider-legt sind, sollten auch konservative Politiker die Energiewende konstruktiv mitgestalten.

Kernkraftwerke sind keine Option mehr.

Bastien Girod ist Nationalrat der Grünen und ETH-Umweltwissenschaftler mit Doktortitel.