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NOMOS ISSN 0946-7165 1/2008 15. Jahrgang Heft 1 Juni 2008 Hrsg. im Auftrag der Sektion Internationale Politik der DVPW Zeitschrift für Internationale Beziehungen Aus dem Inhalt Reinhard Wolf Respekt Ein unterschätzter Faktor in den Internationalen Beziehungen Thorsten Bonacker/Sina Schüssler Entgrenzungsfolgen NGOs und die Quellen politischer Macht in der Weltgesellschaft am Beispiel internationaler Sanktionen Marianne Beisheim/Achim Brunnengräber Das Parlament im Globalisierungsprozess Ein Desiderat in der Parlamentarismus- und Global Governance-Forschung Forum Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin Binder Ordnung wider Willen Eine Antwort auf unsere Kritiker Hanns W. Maull Wissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron? Eine Replik auf Peter Rudolf Thomas Widmer Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke Eine Replik auf Peter Rudolf

BeziehungenInternationale Zeitschrift für

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NOMOS

ISSN 0946-7165

1/200815. JahrgangHeft 1Juni 2008

Hrsg. im Auftrag der SektionInternationalePolitik der DVPW

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

Aus dem Inhalt

Reinhard WolfRespektEin unterschätzter Faktor in den Internationalen Beziehungen

Thorsten Bonacker/Sina SchüsslerEntgrenzungsfolgen NGOs und die Quellen politischer Macht in derWeltgesellschaft am Beispiel internationaler Sanktionen

Marianne Beisheim/Achim BrunnengräberDas Parlament im GlobalisierungsprozessEin Desiderat in der Parlamentarismus- und Global Governance-Forschung

Forum

Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin BinderOrdnung wider Willen Eine Antwort auf unsere Kritiker

Hanns W. MaullWissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron?Eine Replik auf Peter Rudolf

Thomas WidmerEvaluation in der Außenpolitik: Gründe für eineEvaluationslückeEine Replik auf Peter Rudolf

Zei

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Bez

iehungen

1/2

008

15:1

1

ZIB 1/2008

INHALT

Dank

.......................................................................................................................... 3

AUFSÄTZE

Reinhard Wolf

Respekt

Ein unterschätzter Faktor in den Internationalen Beziehungen ................................. 5

Thorsten Bonacker/Sina Schüssler

Entgrenzungsfolgen

NGOs und die Quellen politischer Macht in der Weltgesellschaftam Beispiel internationaler Sanktionen ................................................................... 43

LITERATURBERICHT

Marianne Beisheim/Achim Brunnengräber

Das Parlament im Globalisierungsprozess

Ein Desiderat in der Parlamentarismus- und

Global Governance-

Forschung ........ 73

FORUM

Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin Binder

Ordnung wider Willen

Eine Antwort auf unsere Kritiker........................................................................... 101

Hanns W. Maull

Wissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron?

Eine Replik auf Peter Rudolf ................................................................................. 113

Thomas Widmer

Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

Eine Replik auf Peter Rudolf ................................................................................. 125

Neuerscheinungen

............................................................................................... 139

Mitteilungen der Sektion

.................................................................................... 143

Abstracts

.............................................................................................................. 147

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

............................................................. 151

Dank

3

Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 3–4

Dank

Die Qualität der Beiträge, die in einer begutachteten Zeitschrift veröffentlicht wer-den, hängt nicht zuletzt von der Qualität der Gutachten ab. Die genaue Lektüre vonManuskripten ist zeitaufwendig und ihre differenzierte Bewertung mühsam. Es gibtaber wohl keinen Aufsatz, der durch eine Überarbeitung im Lichte der Kritik derGutachten nicht besser geworden wäre. Wir möchten deshalb an dieser Stelle alljenen danken, die diese wichtige Aufgabe im vergangenen Jahr auf sich genommenhaben und gutachtend für die

Zeitschrift für Internationale Beziehungen

tätig waren:

Katrin AuelRainer BaumannKathrin BerensmannMichael BlaubergerTanja A. BörzelAlexander Brand Helmut BreitmeierLothar BrockTanja BrühlMarie-Janine CalicSven ChojnackiThomas ConzelmannThomas DiezMatthias Ecker-EhrhardtRainer EisingAnne FaberJörg FaustSusanne FeskeAndreas Fischer-LescanoKatja FreisteinCornelius FriesendorfDoris FuchsBrigitte HammGunther Hellmann

Monika HeupelJochen HilsTanja Hitzel-CassagnesKarl HomannAnna HolzscheiterMarkus JachtenfuchsThomas JägerAnja JetschkeChristian JoergesMartin KahlPeter J. KatzensteinOliver KesslerMareike KleineHeiko KnobelGeorgios KolliarakisDirk LehmkuhlUrsula LehmkuhlKerstin MartensCarlo MasalaHanns W. MaullHartmut MayerAletta MondréAndreas NölkeFranz Nuscheler

Alexander PaquéeLothar RiethKlaus RoscherUta RuppertThomas SattlerSiegmar SchmidtHans Peter SchmitzGerald SchneiderChristian SchwaabeJens SteffekHolger StritzelCornelia UlbertKlaus von BeymeThomas Widmer Antje WienerKlaus Dieter WolfBernhard ZanglTanja ZintererReimut Zohlnhöfer

4

Editorial

5

Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 5–42

Reinhard Wolf

Respekt

Ein unterschätzter Faktor in den Internationalen Beziehungen

Der Beitrag vertritt die These, dass Staaten und andere Akteure in den internationalenBeziehungen nicht nur nach Sicherheit, Wohlfahrt und Macht streben, sondern auchnach der sozialen Würdigung ihrer Bedeutung – mit anderen Worten: nach Respekt.Ähnlich wie Individuen tun sie das zum einen deshalb, weil die Respektierung durchdas soziale Umfeld die Realisierung anderer Interessen erleichtert, zum anderen aberauch, weil fremder Respekt für internationale Akteure einen intrinsischen Wert besitzt.Besonders deutlich zeigt sich dies in symbolisch überhöhten Auseinandersetzungen, beidenen die materiellen Gewinnerwartungen die möglichen Kosten kaum aufwiegen. DerBeitrag grenzt zunächst den Begriff »Respekt« gegenüber ähnlichen Konzepten ab, er-örtert dann analytische Probleme der Erforschung von Respektstreben, um abschlie-ßend einschlägige Hypothesen und illustrative Beispiele vorzustellen. Sofern detaillier-tere Plausibilitätsproben den Einfluss dieses Faktors bestätigen sollten, könnte dieweitere Exploration dieses Themenfeldes ein neues Forschungsfeld für die IB eröffnen.

»Der Wilde lebt in sich selbst,der soziale Mensch weiß, immer außer sich,

nur in der Meinung der anderen zu leben;und sozusagen nur aus ihrem Urteil allein

bezieht er das Gefühl seiner eigenen Existenz.«Rousseau (1997: 193)

»To deserve, to acquire, and to enjoy therespect and admiration of mankind,

are the great objectives of ambition and emulation.«Smith (2004 [1791]: Abschnitt I, iii, 3)

»If I've learned one thing covering world affairs, it's this:The single most underappreciated force

in international relations is humiliation.«Friedman (2003: 11)

1. Einleitung

1

Weshalb haben die Palästinenser immer wieder den aussichtslosen Kampf gegen dasweit überlegene Israel verschärft, statt einen Kompromissfrieden zu suchen, der die

1 Für Hinweise auf inhaltliche Schwächen und einschlägige Literatur danke ich den Teilneh-mern der IB- und Theorie-Kolloquien in Greifswald sowie Rainer Baumann, KatharinaBeier, Manfred Bornewasser, Hubertus Buchstein, Gunther Hellmann, Dirk Jörke, DankoKnothe, Gert Krell, Catherine Lu, Gabriele Mordt, Maria Moynihan, Thomas Stamm-Kuhlmann, Ruth Zimmerling, sowie der ZIB-Redaktion und ihren GutachterInnen.

Aufsätze

6

relativen Kräfteverhältnisse angemessen berücksichtigt? Wieso hat die Jelzin-Regie-rung selbst in einer Phase offenkundiger Schwäche den Westen im Kosovo demons-trativ herausgefordert? Warum sprechen sich zwei Drittel der Europäer dafür aus,dass die USA einen militärischen Rivalen erhalten, obwohl eine solche Entwicklungkaum die globale Stabilität erhöhen dürfte? Wieso genoss ein Anstifter zum Massen-mord wie Osama bin Laden in vielen islamischen Ländern zeitweise hohes Anse-hen? Warum hat die letzte polnische Regierung ihr Land mit einer konfrontativenDeutschlandpolitik zunehmend isoliert und so ihre Forderung nach einer gemeinsa-men europäischen Russland- und Energiepolitik gefährdet? Diese Fragen lassen sichmit herkömmlichen IB-Theorien, die das Streben nach Macht, Sicherheit und Wohl-fahrt in den Mittelpunkt stellen, kaum befriedigend beantworten. Sie erfordern einebreitere Sicht auf die grundlegenden Motive grenzüberschreitenden Handelns, undzwar eine Perspektive, die stärker auf die sozial-evaluativen Beweggründe unsereralltäglichen Interaktion achtet.

Menschen ist im Allgemeinen sehr daran gelegen, dass ihre soziale Umwelt ihreBedeutung und ihren Wert möglichst oft bestätigt. Sie freuen sich über Lob, genie-ßen es, im Mittelpunkt zu stehen (und sei es bloß im Kreise ihrer Freunde), und sieleben auf, wann immer ihr besonderer Status durch andere bekräftigt wird. Dies liegtgewiss nicht zuletzt daran, dass soziale Anerkennung unseren Einfluss und die Aus-sichten auf materielle Zugewinne erhöht. Doch würde wohl niemand bezweifeln,dass diese Erfahrungen von Bestätigung und Anerkennung für uns auch einen gro-ßen intrinsischen Wert haben. Kaum jemand weiß dies besser als Professorinnenund Professoren, die als »ihre eigenen Chefs« gut dotierte Lebenszeitstellen beklei-den und trotzdem immer noch genauso um die Aufmerksamkeit und Wertschätzungihrer Kollegen bemüht sind wie junge Wissenschaftlerinnen, die noch am Beginneiner unsicheren Karriere stehen. Umgekehrt wissen wir alle, wie sehr es kränkenkann, wenn man »übersehen« oder offen diskriminiert wird, wenn die eigenenRechte verletzt werden oder wenn man einfach nicht die Anerkennung erfährt, dieman verdient zu haben glaubt. Nicht von ungefähr nehmen wir gelegentlich erhebli-che Mühen und Kosten auf uns, nur um uns vor anderen nicht zu blamieren. Vonanderen respektiert zu werden, ist ganz offensichtlich ein grundlegendes menschli-ches Bedürfnis (Sennett 2004: 49; ähnlich Goffman 1967: Kap. 1).

Umso verwunderlicher mutet es an, dass das menschliche Streben nach sozialemRespekt in der politikwissenschaftlichen Forschung bislang nur eine sehr unterge-ordnete Rolle spielt. Lediglich in der Politischen Philosophie ist in den letzten Jah-ren ein wachsendes Interesse an dieser Thematik zu beobachten. Zu nennen wärenhier vor allem die Arbeiten von Axel Honneth (1994), Richard Sennett (2004),Charles Taylor (1993) und Avishai Margalit (1999).

2

Allerdings stehen dabeizumeist normative Fragen im Mittelpunkt, allen voran die Frage, wer unter welchenUmständen welchen Anspruch auf Respekt besitzt. Außerdem liegt der Fokus aufAnerkennungsbeziehungen innerhalb einzelner Gesellschaften. Insofern bieten diese

2 Als interessanten und anregenden Konzeptionalisierungsversuch vgl. die Diplomarbeitvon Valentin Heyde (2005).

Reinhard Wolf: Respekt

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ZIB 1/2008

Arbeiten zwar wichtige Anregungen für die Untersuchung des Faktors Respekt inden internationalen Beziehungen, die faktische Bedeutung des Respektstrebens neh-men sie jedoch nicht in den Blick, schon gar nicht in grenzüberschreitender Perspek-tive.

3

In den Internationalen Beziehungen wurde diese Dimension sozialer Beziehungen

indes noch kaum erörtert. So sucht man im Register des renommierten »Handbookof International Relations« (Carlsnaes et al. 2002) vergebens nach den Stichwörtern»respect«, »recognition«, »status« oder »prestige«. Thematische Anknüpfungs-punkte finden sich bislang allenfalls in den Studien von Francis Fukuyama (1992),Erik Ringmar (2002) und Alexander Wendt (1999, 2003). Hervorzuheben wäre auchDavid Markeys (2000) unveröffentlichte Dissertation über das »Prestige motive ininternational relations«, die aber nur einen Randbereich des hier skizzierten For-schungsfeldes anspricht. Eine systematische Explikation und theoretische Verortungdes Respektstrebens steht für die internationalen Beziehungen aber noch aus – ganzzu schweigen von empirischen Untersuchen, die seinen tatsächlichen Einfluss bele-gen oder gewichten könnten.

4

Der vorliegende Beitrag soll und kann nur einen ersten Schritt auf diesem Weg zueiner systematischen Erforschung dieses Faktors bedeuten. Er beschränkt sich hier-für bewusst auf das Streben nach Respekt und behandelt andere Phänomene wie dasGenießen, Zeigen oder Verlieren von Respekt allenfalls am Rande. Dazu werde ichzunächst in Abgrenzung von stärker philosophisch orientierten Konzeptionalisie-rungsversuchen eine Definition und Operationalisierung von »Respekt« vorschla-gen, die mir für die IB heuristisch sinnvoll erscheint. Im Anschluss hieran möchteich erläutern, welche ontologischen und forschungslogischen Probleme offenbardafür verantwortlich sind, dass unsere Teildisziplin dem Streben nach sozialemRespekt bis jetzt weitaus weniger Aufmerksamkeit gewidmet hat als dem Interessean Macht, Sicherheit und materieller Wohlfahrt. Der darauf folgende Abschnitt sollaufzeigen, wie ein eigenständiger Einfluss des Respektstrebens nachgewiesen wer-den könnte, bevor ich einige Hypothesen zur relativen Bedeutung von Respektstre-ben in unterschiedlichen Kontexten vorstelle. Um die Untersuchung dieser Hypo-thesen überhaupt lohnend erscheinen zu lassen, werde ich dann Beispiele fürempirische Phänomene anführen, die unter Einbeziehung des hier expliziertenRespektbegriffs vielleicht erheblich besser erklärt werden könnten. Hierzu zähleninsbesondere die eingangs erwähnten Konflikte, deren Intensität und Persistenz

3 Eine Ausnahme bildet in dieser Hinsicht John Rawls (1999: § 3.3), der – allerdings ohnenähere Begründung – die These vertritt, dass zu den fundamentalen Interessen der Völ-ker neben Unabhängigkeit, Sicherheit und Wohlfahrt auch der Genuss von Respekt unddie Anerkennung von Gleichrangigkeit gehören (ähnlich Haacke 2005: 194).

4 Fragen der nationalen Reputation haben hingegen weit mehr Aufmerksamkeit gefunden.Entsprechende Untersuchungen thematisieren jedoch selten, ob Staaten ein intrinsischesInteresse an einer bestimmten Reputation haben, sondern befassen sich im Anschluss anökonomische und spieltheoretische Studien ganz überwiegend mit der Frage, inwieweitbestimmte Reputationen (z. B. für Entschlossenheit, Gewaltbereitschaft oder Ehrlichkeit)andere Staaten überhaupt beeinflussen (vgl. z. B. Guisinger/Smith 2002; Crescenzi 2007;Crescenzi et al. 2007; Sartori 2002; Miller 2004; Mercer 1996).

Aufsätze

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unverständlich bleiben, solange primär auf materielle Anreize geachtet wird.Abschließend werde ich praktische Implikationen aufzeigen und versuchen, The-menfelder zu entwickeln, die mir für die weitere Erforschung dieses Faktors vielversprechend erscheinen.

2. »Respekt« – ein Definitionsversuch für die IB

Angesichts der ausgeprägten Vernachlässigung, welche das Respektstreben bisher inder Politikwissenschaft erfahren hat, erscheint es ratsam, ersten Überlegungen einemöglichst weite Definition von »Respekt« zu Grunde zu legen. Vom Streben nachsozialem Respekt will ich deshalb immer dann sprechen, wenn Akteure (Individuen,informelle Gruppen, Organisationen) mit ihren Handlungen (auch oder ausschließ-lich) darauf abzielen, dass

ihr selbstempfundener Wert eine angemessene Beachtungdurch ihre soziale Umwelt erfährt

. Vereinfacht ausgedrückt verlangen wir nachmöglichst vollständiger Respektierung all dessen, worauf sich unser Selbstwertge-fühl gründet. Damit ist noch völlig ungeklärt, für welche ihrer spezifischen Aspekteoder Eigenschaften Individuen, Gruppen, Kulturen oder Staaten angemesseneBeachtung erwarten. Offen bleibt auch, wie die erwünschte Beachtung ausgedrücktwerden könnte. Beides will ich im Folgenden explizieren, indem ich mich mit vor-handenen Definitionsangeboten für »Respekt« und verwandten Begriffe wie »Ach-tung«, »Anerkennung«, »Prestige«, »Ansehen« und »Status« auseinandersetze.

Als Zugriff drängt sich zunächst der Definitionsversuch von Sennett auf, weil ersich als einziger der genannten Autoren explizit mit »Respekt« und seiner gesell-schaftlichen Bedeutung befasst. Leider hilft sein konzeptionelles Kapitel (Sennett2004: Kap. 2) aber nicht sehr viel weiter, denn Sennett geht in seiner Explikationsehr tastend und metaphorisch vor, etwa wenn er beschreibt, wie der Sänger DietrichFischer-Dieskau bei der Interpretation eines Schubert-Liedes die Bedürfnisse desbegleitenden Pianisten beachtet und ihn damit als gleichberechtigten Partner respek-tiert. Sennett macht auf diesen Seiten deutlich, dass »Status« und »Prestige« äußer-lich und asymmetrisch bestimmten Objekten und Personen zugeschrieben werden.»Anerkennung« fremder Bedürfnisse oder Ansichten greift ihm als Definition zukurz, weil sie das

Bewusstsein wechselseitiger Bedürfnisse

nicht ausreichend erfas-sen würde. Wofür genau Akteure Respekt erwarten, wird daraus aber noch nichtersichtlich. Sennett schließt dieses Kapitel denn auch mit der Feststellung, »whatrespect itself means is both socially and psychologically complex. As a result, theacts which convey respect – the acts of acknowledging others – are demanding, andobscure« (Sennett 2004: 59).

Philosophen haben sich in der Nachfolge Kants vor allem mit der Respektierungdes anderen als freie Person mit gleichen Rechten befasst.

5

Nach Kant (1788: 155-158) schulden wir allen vernünftigen Subjekten »Achtung«, weil sie – genau wie

5 Für einen sehr nützlichen Überblick zur philosophischen Diskussion über »Respekt« vgl.den betreffenden Stichwortartikel in der Stanford Encyclopedia of Philosophy (Dillon2003); weiterhin empfehlenswert ist die Darstellung von Darwall (1977).

Reinhard Wolf: Respekt

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ZIB 1/2008

wir selbst – fähig sind, die natürliche Welt der sinnlichen Antriebe zu transzendie-ren, indem sie sich an den Geboten des vernunftgemäßen Sittengesetzes orientieren.Andere Subjekte zu achten heißt, sie nie allein als Mittel, als bloße Objekte unsererHandlungen, sondern stets zugleich auch als Zweck an sich zu behandeln. Die Ver-nunft verlangt also von jedem autonomen Subjet, dass es alle übrigen als ethischgleichrangig anerkennt, statt sich selbst insgeheim Privilegien zuzuerkennen, indemes etwa bestimmte sittliche Normen nur für andere gelten lassen möchte.

Das subjektive Verlangen nach

Anerkennung unserer Rechte

durch die anderen

hat erst Hegel stärker in den Blick genommen. In seinen Jenaer Frühschriften inter-pretiert Hegel den Kampf im Hobbesschen Naturzustand unter einem neuenGesichtspunkt: Laut Hegel geht es dem Angreifer nicht so sehr um die präventiveAusweitung seiner Macht, sondern darum, den faktischen Besitzer eines Gutes aufdie eigene Gegenwart aufmerksam zu machen, indem er ihm das Gut entwendet:

»Der ausgeschlossne verletzt den Besitz des Anderen, er setzt sein ausgeschlossnes Fürsich seyn darein, sein Mein; er verdirbt etwas daran, -- vernichten, wie das der Begierde,um sein Selbstgefühl sich zu geben, aber nicht sein leeres Selbstgefühl, sondern seinSelbst in einem Anderen selbst setzend, in das Wissen, eines Anderen; -- die Tätigkeitgeht nicht auf das negative, das Ding, sondern das sich Wissen des Andern« (Hegel1976: 219).

Die daraus sich entwickelnde Auseinandersetzung macht beiden bewusst, dass dieBesitzergreifung des umkämpften Gegenstandes immer schon in einem implizitensozialen Kontext erfolgte: Die erste Inbesitznahme bezog sich nicht nur auf einenleblosen Gegenstand, sondern hat gleichzeitig auch die anderen Individuen von derBesitznahme ausgeschlossen. Aus deren Bedürfnis, nicht ignoriert zu werden, ergibtsich eine dialektische Abfolge von Anerkennungskämpfen, die letztlich das wechsel-seitige Bewusstsein der Personen als gleichrangige Inhaber von Rechten hervor-bringt (Honneth 1994: 68-94).

Axel Honneth hat Hegels – eher angedeuteten als ausgeführten – Gedankengangaufgegriffen und systematisiert. Ihm zufolge ist es neben allen materiellen Vorteilennicht zuletzt das Streben nach persönlicher Selbstachtung, welches das Subjekt zumKampf für sein Recht motiviert. Die Erfahrung rechtlicher Anerkennung bietet ihmdie Möglichkeit, »sein Handeln als eine von allen anderen geachtete Äußerung dereigenen Autonomie begreifen zu können« (Honneth 1994: 192). Wenn an Stelle die-ser Anerkennung hingegen Diskriminierung erfahren wird, erlebt der Betroffenedies als Missachtung, wenn nicht gar als ausschließende Demütigung (Honneth1994: 216; Margalit 1999: 186). Er fühlt sich dann behandelt »wie ein Mensch zwei-ter Klasse«. Der Betroffene verfügt dann allerdings über die Option, seine verwei-gerten Rechte aktiv einzuklagen oder zu erkämpfen, was ihm im Erfolgsfall erneutsinnfällig machen kann, »daß er als moralisch zurechnungsfähige Person allgemeineAnerkennung findet« (Honneth 1994: 194).

Wir erwarten nach Honneth von unserer sozialen Umwelt darüber hinaus auch dieallgemeine

Anerkennung unserer Beiträge zu ihrem Wohlergehen

. Es liegt unsdaran, dass unsere spezifischen Leistungen von anderen als wertvoll gewürdigt wer-den. Umgekehrt kränkt es uns, wenn sie nicht die nach unserer Auffassung ange-brachte positive Beachtung finden (Honneth 1994: 217). Unser Selbstwertgefühl

Aufsätze

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wird dann in Mitleidenschaft gezogen. Der Grad der Kränkung ergibt sich dabeizum einen aus dem Ausmaß der Geringschätzung, zum anderen aus dem Stellenwerteiner Leistung, Lebensweise oder einer Eigenschaft für das Selbstwertgefühl einerPerson oder Personengruppe. Nach Margalit (1999: 163-65; ähnl. Honneth 1994:217) wird es als besonders demütigend erfahren, wenn Zugehörigkeitsmerkmale zueiner identitätsstiftenden Gruppe disqualifiziert werden. Wo diese Leistungen oderGruppeneigenschaften aus Sicht der Betroffenen nicht ausreichend respektiert wer-den, initiiert diese Gruppe üblicherweise einen kulturellen Kampf um die Neu-Defi-nition des Wertekanons, an dem sich die Verteilung gesellschaftlicher Wertschät-zung bisher orientiert hatte (Honneth 1994: 205f).

In seiner aufschlussreichen Rekonstruktion und Weiterentwicklung der Hegel-schen Anerkennungsdialektik hat Honneth allerdings eine wichtige Anregungzunächst nicht weiterverfolgt, die auf eine weitere Facette des Respektstrebens ver-weist: Unabhängig von allen spezifischen Rechten, Leistungen oder Eigenschaftenlegen wir in der Regel erst einmal Wert darauf, dass unsere Präsenz

zur Kenntnisgenommen

wird. Wir alle wissen, dass es gelegentlich unangenehmer ist, »überse-hen« oder nicht »weiter beachtet« zu werden, als eine negative Bewertung zu erfah-ren.

6

Fehlende Aufmerksamkeit demonstriert womöglich sogar einen besonderseklatanten Mangel an Respekt. Im Extremfall sehen »Herren« buchstäblich durchSklaven oder Dienstboten »hindurch«. Auf diese Weise behandeln sie den betroffe-nen Mensch nicht als eigenständigen Akteur, auf dessen Standpunkt es gegebenen-falls ankommen könnte, sondern nur als Gegenstand, dem keine wirklichen Persön-lichkeitsrechte zukommen (Margalit 1999: 127-29; Honneth 2003: Kap. 1).Ignorieren kann so als eine ausgesprochen demütigende Form der Respektverweige-rung erlebt werden.

7

Wenn Akteure nach sozialem Respekt streben, so kann man das Bisherige zusam-menfassen, streben sie also nach der angemessenen Beachtung – ihrer physischen Gegenwart,– ihrer sozialen Bedeutung (im Sinne von »Wichtigkeit«)– ihrer Standpunkte, Ideen, und Werte,– ihrer Interessen und Bedürfnisse,– ihrer Leistungen, Fähigkeiten, Verdienste und Vorzüge– und ihrer Rechte.

8

6 So mancher Autor fühlt sich durch einen »Verriss« seiner Monographie wenigergekränkt als durch das vergebliche Warten auf eine Rezension.

7 Eine »Demütigung« ist insofern als eine besonders gravierende Form der Verweigerungvon Respekt anzusehen, als sie den kulturell festgelegten, überindividuellen Kernbereichmenschlichen Werts – die Würde des selbstbestimmt handelnden Individuums – offennegiert. Typischerweise zielen Demütigungen darauf ab, die Niedrigkeit oder »Nichts-würdigkeit« eines Akteurs zu demonstrieren, indem ihm (und seinem sozialen Umfeld)seine Hilflosigkeit und sein Kontrollverlust unmissverständlich vor Augen geführt wer-den (Lindner 2006: Kap. 1; Margalit 1999: 143-155; Saurette 2006: 506f).

8 Für eine sehr ähnliche Konzeptionalisierungen von »Respekt« vgl. Hill (1998: 283) undDillon (2007: 202).

Reinhard Wolf: Respekt

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ZIB 1/2008

»Beachtung« ist dabei nicht gleichzusetzen mit »Befürwortung« oder »Wertschät-zung«. Wertschätzung kann hinsichtlich ihrer Intensität deutlich über Respekt hin-ausgehen – bis hin zu Bewunderung oder Verehrung. Letztere stehen uns jedochnicht zu. Wir haben schon allein deshalb keinen Anspruch auf sie, weil ihnen subjek-tive Maßstäbe oder Vorlieben zugrunde liegen. Auf die Bezeugung von Respekt hatman dagegen einen Anspruch, er muss »gezollt« werden, wenn ungerechtfertigteDiskriminierung vermieden werden soll. Bleibt er aus, fühlen wir uns gekränkt undwillkürlich zurückgesetzt, und zwar nicht so sehr aufgrund unserer Eitelkeit, sondernaufgrund der Überzeugung, dass unser Gegenüber eigentlich wissen müsste, welcheBeachtung uns üblicherweise, wenn nicht gar »objektiv«, zustehen würde (Dillon2007: 203). Individuen und Gruppen, die sich missachtet fühlen, klagen deshalb häu-fig, ihr Umfeld messe mit zweierlei Maß, verwende also »double standards«.

9

Ge-mäß unseren subjektiven Erwartungen »muss« uns also Respekt gezollt werden – al-lerdings nur bis zu einem gewissen »Sättigungspunkt«. Bleibt die erwieseneBeachtung unterhalb dieses Niveaus, wird sie viel schmerzlicher erlebt als fehlendeBewunderung. Ist das als angemessen empfundene Niveau hingegen erreicht, kanndarüber hinaus gehende Wertschätzung kaum noch zusätzlichen Respekt zum Aus-druck bringen.

In einer anderen Hinsicht geht »Respekt« über den Begriff der Wertschätzungjedoch hinaus. Das Bezeugen von Respekt kann sich nicht nur auf positiv bewerteteEigenschaften oder Leistungen beziehen, sondern auch auf die bloße Bedeutungeines Akteurs oder einer Gruppe. Wir erwarten auch, dass man uns für wichtig hält,dass man uns »ernst nimmt«, dass man uns zumindest »gebührende Aufmerksam-keit« entgegenbringt, selbst wenn man keine ausgesprochen positive Meinung vonuns hat. Menschen wollen ganz allgemein bedeutend sein, sie schätzen das Gefühl,sie hätten Kontrolle über ihre Umwelt.

10

Welche Form und Intensität der Beachtung dabei als »angemessen« einzustufenist, bleibt damit natürlich noch im Unklaren. In vielen Fällen werden dazu die Auf-fassungen der Interaktionspartner auseinandergehen. Dies betrifft insbesondere dieIntensität. Subjektiv unzureichende Respektbezeugung wird auf Seiten desjenigen,dem nicht das erwartete Maß an Respekt erwiesen wird, zu Frustrationserfahrungen

9 Aus diesen Gründen besteht auch ein sozialer Anspruch auf Respekt, nicht jedoch aufbesondere Wertschätzung. Wer Letztere explizit einfordert, konterkariert sogar seinAnliegen, indem er seine Eitelkeit demonstriert (Brennan/Pettit 2004: 37).

10 Sozialpsychologische Experimente (vgl. Gilbert 2007: 51-57) zeigen deutlich, dass Men-schen nach Kontrolle auch um ihrer selbst willen streben können. Vor diesem Hinter-grund erscheint Morgenthaus Annahme eines angeborenen, invarianten Machttriebskeineswegs mehr als gänzlich abwegig. Da die Anerkennung von sozialer Bedeutungauch Kontrolle über andere anzeigt, wird die These, dass Menschen ihre Wichtigkeitbestätigt sehen möchten, die klassischen Realisten kaum überraschen. Dennoch wäre esvöllig verfehlt, Respekt- und Machtstreben gleichzusetzen: zum einen, weil Respektstre-ben längst nicht nur auf die Anerkennung sozialer Wichtigkeit gerichtet ist, zum anderenweil die Anerkennung der selbstempfundenen sozialen Wichtigkeit keineswegs auf einenstetigen Zuwachs an Macht, geschweige denn auf eine offensive Überwindung fremdenWiderstands, abzielen muss. Derart expansive Machtansprüche belegen auch dieerwähnten Experimente nicht.

Aufsätze

12

führen, die Auseinandersetzungen um Respekt auslösen können (Honneth 1994:222-225). Konflikte können sich allerdings auch an der Form der Beachtung entzün-den, wenn ein Akteur Beachtung im Sinne von positiver »Wertschätzung« erwartet,sein Gegenüber aber nur Beachtung in einer neutralen Weise (im Sinne von »Wich-tigkeit«) einzuräumen bereit ist.

11

Dieser Begriff von »Respekt« ist damit in mehrfacher Hinsicht weiter gefasst, alsder Begriff von »Anerkennung«, den Honneth seinem »Kampf um Anerkennung«zu Grunde legt. Erstens umfasst er neben den Rechten und Leistungen der Akteureweitere Aspekte, auf welche die Beachtung abzielen kann. Zweitens ist das hier ent-wickelte Verständnis von Respekt offener gehalten in Bezug auf die betroffenenAkteure und die sozialen Bezugssysteme, in denen die angemessene Beachtungangestrebt wird. Bei der hier vorgeschlagenen Definition von »Respekt« istzunächst völlig offen gelassen, ob Individuen, Klassen, Staaten, Nationen, Religi-onsgemeinschaften, Kulturkreise, NGOs oder Konzerne nach Respekt streben undin welchen sozialen Kontexten sie dies tun. Drittens soll die frühe Einengung vonRespektbeziehungen auf von Reziprozität und Symmetrie geprägte Anerkennungs-beziehungen (Honneth 1994: 209f; ähnlich Sennett 2004: 54-59) vermieden werden,weil gerade unter Staaten und anderen internationalen Akteuren stark asymmetri-sche Respektsbeziehungen häufig auftreten können. Dies gilt vor allem im Hinblickauf die Würdigung von Status und Prestige, bei denen ein starkes »Gefälle« nichtungewöhnlich ist.

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Zu guter Letzt ist noch auf zwei wichtige Unterschiede zu den Begriffen »Status«und »Prestige« hinzuweisen, die in dem obigen Definitionsversuch bereits angedeu-tet sind. Zum einen ist das allseitige Streben nach Respekt nicht zwangsläufig einNullsummen-Spiel, wie dies für den Wettbewerb um relativ bewertete Güter wieStatus oder Prestige gilt. Wenn man sich gegenseitig wahrnimmt und die jeweiligenLeistungen oder Vorzüge einander wechselseitig bestätigt, so kann auf allen betrof-fenen Seiten gleichzeitig das Verlangen nach Respekt erfüllt werden. Zumindest giltdies bis zu einem gewissen Punkt. Zusammen mit dem erwähnten »Sättigungsef-fekt« sorgt dieser Umstand dafür, dass das Streben nach Respekt soziale Konflikteweniger verschärft als Status- und Prestigeambitionen. Zum Zweiten wird Respektvor allem in performativen Akten zum Ausdruck gebracht. Hohes Ansehen oderPrestige bestehen meist solange, bis sie durch neue Informationen oder Behauptun-gen in Frage gestellt werden (vgl. Gilpin 1981). Angemessene Beachtung aber mussin Worten oder Gesten immer wieder neu zum Ausdruck gebracht werden, schonallein deshalb, weil fortgesetzte Nicht-Beachtung eine der unangenehmsten Krän-kungen darstellt. Respekt zu erweisen, erfordert deshalb oft regelrechte Rituale,

11 Darwall (1977) unterscheidet in diesem Sinne »appraisal respect« und »recognitionrespect«.

12 Für die Verwendung des Begriffs »Respekt« an Stelle von »Anerkennung« sprichtschließlich auch die klarere Fokussierung auf die Dimension der

sozial-evaluativen

Bestätigung, weil dieser Begriff im Gegensatz zu »Anerkennung« keine völkerrechtlicheBedeutung hat.

Reinhard Wolf: Respekt

13

ZIB 1/2008

wenn es nicht gar zu einer echten Kunst wird, welche die Akteure erst mühsamerlernen müssen (Sennett 2004: 226; Goffman 1967: Kap. 1).

Zusammenfassend lassen sich damit folgende Besonderheiten des Strebens nachRespekt hervorheben: Respektstreben – geht nicht zwangsläufig zu Lasten anderer;– ist meist begrenzt, weil es auf das Mindestmaß an Beachtung abzielt, das subjek-

tiv als angemessen empfunden wird;– zielt nicht unbedingt auf eine symmetrische Anerkennung;– erwartet in konkreten Situationen vom jeweiligen Gegenüber ein bestimmtes

Verhalten und nicht so sehr von der Allgemeinheit die Übernahme bestimmterAnsichten (Prestige) oder (rechtlicher oder quasi-rechtlicher) Einstufungen (Sta-tus);

– fordert die soziale Anerkennung dessen, was eigentlich unserem Umfeld längstbekannt sein sollte. Status- und Prestigestreben zielen dagegen auf eine Verbes-serung von Rang bzw. Ansehen ab. Entsprechend reagiert man auf einen Mangelan Respekt häufig mit dem Verweis auf »double standards«, während man unzu-reichendes Prestige eher mit zusätzlichen Anstrengungen oder Informationenüber unbekannte Leistungen zu korrigieren versucht.

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3. Probleme bei der Anwendung auf die IB

Wenn das Streben nach sozialem Respekt jeden einzelnen von uns alltäglichbestimmt, warum fristet seine Analyse dann in der Politikwissenschaft, namentlichin der Teildisziplin IB, bislang ein ausgesprochenes Schattendasein? Dafür sind ver-mutlich zwei Probleme verantwortlich: Zum einen spricht vieles dafür, dass Indivi-duen stärker auf die Bestätigung durch ihr Umfeld angewiesen sind, als dies fürGruppen oder kollektive Akteure gilt, zumal in gesellschaftsübergreifenden Kontex-ten. Insofern ist davon auszugehen, dass das Interesse an fremden Respektbezeugun-gen in den internationalen Beziehungen nicht so intensiv ausgeprägt ist. Zum ande-

13 Die entscheidende Frage aus der Respektperspektive zielt also auf die Übereinstimmung(oder Differenz) zwischen dem Verhalten, das mir (subjektiv) zusteht und dem, das ichtatsächlich erfahre. Wo es um Prestige geht, vergleiche ich hingegen mein Ansehen mitdemjenigen ähnlicher Akteure meines sozialen Umfelds. Insofern ist es in konkretenSituationen keineswegs ausgeschlossen, dass ein Akteur mit höherem Prestige sich stär-ker missachtet fühlt als einer mit geringerem Ansehen. Entscheidend für die Einforde-rung von Respekt ist jeweils die subjektive Erwartung zustehender Beachtung. Analoggilt dies für Akteure mit unterschiedlichem Status. Diese analytische Trennung solljedoch keineswegs den engen Zusammenhang negieren, der faktisch zwischen Respekts-bezeugungen und sozialem Ansehen besteht: Fraglos fördern Erstere auch das Prestige,wohingegen ihre ungeahndete Verweigerung das Ansehen verringert. Wohl aber soll diewissenschaftlich präzise Verwendung des Begriffs von seinem lockeren Alltagsverwen-dungen unterschieden werden: Wenn z. B. über eine Wissenschaftlerin gesagt wird, siewerde in Fachkreisen sehr respektiert, handelt es sich nach obiger Unterscheidung umeine Aussage über ihr Ansehen. Möglicherweise fühlt sie sich tatsächlich sogar von ihrenKollegen respektlos behandelt, weil sie glaubt, dass ihr aufgrund ihrer Leistungen nochweit mehr Prestige zustünde.

Aufsätze

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ren lassen sich Handlungen, die auf die Erlangung fremden Respekts abzielen, oftschwer von Aktionen unterscheiden, die durch die »klassischen Interessen« Macht,Sicherheit oder Wohlfahrt motiviert sind. Sie können sich gleichsam hinter Letzteren»verbergen«, ohne dass ihre tatsächliche Motivation zu Tage tritt. Dieser Umstanderschwert nicht nur die Analyse respektorientierten Verhaltens, sondern wirft auchdie berechtigte Frage auf, inwieweit die hier vorgeschlagene Perspektive überhauptzusätzliche Erklärungskraft verspricht.

3.1. Die Frage der Übertragbarkeit: Von Individuen zu kollektiven Akteuren

Warum suchen Menschen soziale Bestätigung? Weshalb sind sie so stark angewie-sen auf die Aufmerksamkeit und die positiven Urteile der anderen? Die Ursachenund Gründe hierfür sind vielfältig. Wer den Respekt seines Umfelds genießt, werbe- und geachtet wird, verfügt damit über große Vorteile bei der Realisierung seinermateriellen Interessen (s. u.). Abgesehen von diesem instrumentellen Nutzen hat dieErfahrung von Respekt für uns aber auch einen unmittelbaren Eigenwert. Wir freuenuns sofort über Lob oder besondere Aufmerksamkeit, und nicht erst, nachdem wirdie materiellen Vorteile überschlagen haben, die fremde Wertschätzung uns dereinstvielleicht einmal verschaffen wird. Philosophen und Sozialpsychologen sehen denHauptgrund dafür in der Tatsache, dass wir uns unserer Bedeutung und unseresWertes ohne fremde Bestätigung niemals sicher sein können. Unsere Identitäten undunsere Auffassung der Wirklichkeit, zumal der sozialen, sind in ganz wesentlichenTeilen sozial konstruiert (Mead 1973 [1934]; Berger/Luckmann 1969). Das heißtnatürlich nicht, dass wir jedes fremde Urteil ernst nehmen und gleich akzeptieren,zumal wenn es von Menschen mit ganz anderen Merkmalen oder Hintergründenstammt (Smith et al. 1998: 483, 490). Abweichende Urteile von ähnlichen Men-schen, die uns sehr vertraut sind, werden uns dagegen schnell verunsichern (Turneret al. 1987: Kap. 4; Abrams et al. 1990). Vom Urteil unserer Referenzgruppen kön-nen wir uns schwerlich lösen (Popitz 1992: 118, 133; Rawls 1979 [1971]: 480;Mead 1973 [1934]: Kap. 21). Sozialpsychologische Forschungen haben wiederholtbestätigt, dass das persönliche Selbstwertgefühl signifikant davon abhängt, wie vielRespekt uns andere Gruppenmitglieder entgegenbringen (Smith et al. 2003: 162-64).

Warum aber sollten uns Meinungen von Akteuren oder Gruppen kümmern, mitdenen wir gar nicht unmittelbar in Kontakt treten und die zudem vielleicht ganzandere Lebenswelten und Wertehorizonte haben? In der Tat ist aus den oben ange-führten Gründen zu erwarten, dass in solchen Fällen die größere Distanz zu abschät-zigen Urteilen oder Handlungen dazu führt, dass sie längst nicht so unangenehmerlebt werden. Aber das heißt keineswegs, dass sie gar nicht mehr verletzen oderirritieren könnten. Wer meine Bezugsgruppe herabsetzt, stellt damit auch die per-sönliche Bestätigung in Frage, die mir die Anerkennung innerhalb dieser Gruppeverschafft. Wer ihre Werte, Leistungen oder Eigenschaften beleidigt, beleidigt damitauch mich, soweit ich an diesen Werten, Leistungen oder Eigenschaften teilhabe

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(Mead 1973 [1934]: Kap. 26, 34; Worchel 2003: 482; Tyler/Blader 2000: 144-148,195). Wer ihre Weltsicht in Frage stellt, stellt damit indirekt auch mich und meineWeltsicht in Frage. Wer ihre Zugehörigkeit zu einer besonderen Statusgruppe inner-halb der Vielzahl sozialer Gruppen anzweifelt, weckt leicht auch in mir Zweifel amWert meiner Gruppenzugehörigkeit.

Zweifellos sind wir derartigen Erfahrungen nicht so schutzlos ausgeliefert wieKränkungen, die uns ganz persönlich gelten. Gekränkte Gruppenmitglieder könneneinander intersubjektiv stützen. In ihrer dichteren und weitgehend abgeschottetenKommunikation können sie viel freier und ohne »störende« Einwände von Außendie Bedeutung und Vorzüge der Eigengruppe erörtern. Deshalb sind sie weit eher alsisolierte Individuen dazu in der Lage, ihre internen Überlegenheitsgefühle gegenü-ber anderen Gruppen zu festigen, auszubauen oder neu zu erzeugen. Dies gilt insbe-sondere für Großgruppen wie Nationen.

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Hinzu kommt die für kleine Gruppennachgewiesene Tendenz, jeweils die Eigenschaften für besonders wichtig und wert-voll zu halten, welche die Eigengruppe in höherem Maße besitzt (Platow et al. 2003:270). Derartige Bewertungen lassen sich natürlich leichter aufrechterhalten, wenndie Kontakte zu Fremdgruppen eingeschränkt sind, die in dieser Hinsicht schlechterabschneiden und daher entsprechend andere Gewichtungen favorisieren.

Dennoch sind die besonderen Vorzüge der Eigengruppe erst dann wirklich aner-kannt, wenn entsprechende Ansprüche von externen Akteuren, die als Vergleichsfo-lie dienen, auch erkennbar verstanden, akzeptiert und gewürdigt werden (vgl. Gie-sen 1999: 123f). Gruppeninterne Bestätigung kann externe Anerkennung nicht aufDauer ersetzen, vor allem nicht, wenn die Kontakte zur Gruppenumwelt zunehmen.In diesem Fall erhöht die vorhergehende Abschottung sogar die Gefahr, dass eszu besonders intensiven Kränkungen kommt. Ohne die korrigierende Wirkungdes Austausches zwischen Gruppen tendiert der gruppeninterne Diskurs in besonde-rem Maße zu idiosynkratischen Übertreibungen aller Arten von Gruppenvorzügenoder -leistungen, die oft mit einer unzureichenden Würdigung fremder Eigenschaf-ten einhergehen. Je länger dieser Zustand andauert, umso größer ist das Risiko, dassbei Wiederaufnahme der Kommunikation Unverständnis und Enttäuschung, jaEmpörung über die gänzlich andere Sichtweise der Fremdgruppe besonders hochausfallen. Abschottung gegenüber fremden Urteilen ist somit kein wirklicher Ersatzfür mangelnden Respekt, schon gar nicht auf lange Sicht. Kränkungen werdenhöchstens auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, zu dem sie dann umso intensi-ver erlebt werden.

Wir empfinden mangelnden Respekt also nicht nur als unangenehm, wenn unsRespekt im direkten Kontakt mit Mitgliedern von Referenzgruppen versagt wird.Wir können uns auch von Fremden herabgesetzt fühlen, die uns persönlich gar nichtkennen, sondern mit ihrem Verhalten oder Urteil nur pauschal eine Gruppe herab-setzen, der wir uns zugehörig fühlen. Anders ist die Entstehung und Intensität vieler

14 Mead (1973 [1934]: Kap. 26); Jeismann (1991: 88f). Zur Bedeutung von Mythenbildungund selektivem Vergessen für die Festigung nationaler Identitäten vgl. insbesondere Ass-mann (2006: Kap. 1f); Wehler (2001: Kap. IIIf); ähnlich auch schon Renan (1993[1882]).

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ethnischer Konflikte gar nicht zu erklären (Horowitz 2000: Kap. 4f). Den glühendenNationalisten mag es aufs Höchste empören, wenn ein Vertreter einer sonst sehrangesehenen Nation das eigene Land grob beleidigt (Taylor 1993: 59f; Berlin 1992:306). Unter Umständen empört er sich darüber sogar mehr als über eine Beleidi-gung, die er selbst im Alltag erfahren hat. Umgekehrt kann Respekt, welcher dereigenen Gruppe erwiesen wurde, in manchen Fällen positiver erlebt werden alsRespekt, der einem ganz persönlich entgegengebracht wurde. Schon mancher Natio-nalist hat seine politische Handlungsfreiheit und seine persönlichen Rechte bereit-willig aufgegeben, um sich einem »größeren Ganzen« ein- und unterzuordnen,sofern dieser Verzicht dazu beitrug, der eigenen Ethnie endlich Selbständigkeit undinternationale Anerkennung zu verschaffen (Berlin 1995 [1969]: 240-243).

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Auchwenn uns Respekt im direkten persönlichen Kontakt zumeist wichtiger erscheint,spricht mithin vieles dafür, dass Respekt auch in distanzierteren, grenzüberschrei-tenden Beziehungen um seiner selbst willen geschätzt wird.

Handlungswirksam werden Anerkennungswünsche oder Missachtungs-Erfahrun-gen selbstverständlich erst dann, wenn sie von vielen anderen Gruppenmitgliederngeteilt werden. Dies setzt einen gemeinsamen Interpretationsrahmen für die miss-achteten Gruppenattribute und die Akte der Missachtung voraus (Honneth 1994:260-262; ferner Assmann 2006: 64-69). Inwieweit Respektstreben die Handlungenvon kollektiven Akteuren motiviert, sollte deshalb auch wenigstens teilweise anihren internen Diskursen zu erkennen sein.

In der internationalen Arena ist eine ganze Reihe von Konstellationen denkbar, indenen Gruppen oder Akteure nach Respekt streben. Besonders plausibel und wich-tig erscheinen vier grundlegende Konstellationen:– Das naheliegendste Beispiel sind Nationen, die ihr Ansehen oder ihren Status

gewürdigt sehen wollen oder einfach nur mehr internationale Beachtung findenmöchten. Dabei kann es sich natürlich auch um ethnische Gruppen handeln, die(noch) über keinen eigenen Staat verfügen.

– Grenzüberschreitenden Respekt könnten ebenso administrative Eliten einfor-dern, die sich im besonderen Maße mit ihren jeweiligen Staaten identifizieren,also z. B. für die höhere Ministerialbürokratie oder die diplomatischen Füh-rungszirkel.

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– Denkbar ist aber auch, dass leitende Mitarbeiterinnen von Internationalen Orga-nisationen oder von NGOs ihr Verhalten u. a. daran orientieren, wie sehr es denRespekt für ihre Organisation vermehrt.

15 Interessanterweise haben sich jedoch viele Ethnien

gegen

die Unabhängigkeit ausgespro-chen, wenn sie nach dem Abzug der Kolonialmacht gemeinsam mit einer ›fortgeschritte-neren‹ und deshalb höher bewerteten Ethnie einen Staat hätten bilden sollen (Horowitz2000: 190f).

16 Der Respekt, der den eigenen Eliten von anderen Nationen oder deren Eliten erwiesenwird, kann dabei für die übrige Bevölkerung wiederum als Indikator für die generelleWürdigung der eigenen Nation fungieren (vgl. Horowitz 2000: 226).

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– Und schließlich ist es möglich, dass mächtige außenpolitische Entscheidungsträ-ger für sich persönlich nach dem Respekt ihrer internationalen Pendants streben.Gerade wenn sich solche Machthaber von ihrer nationalen sozialen Basis inner-lich weit entfernt haben, könnten vergleichbare Entscheidungsträger im Auslandwomöglich sogar zu ihrer wichtigsten »peer group« werden, d. h. zu der Refe-renzgruppe, auf deren Anerkennung sie am meisten Wert legen.

Es muss wohl kaum eigens betont werden, dass sich das Respektbedürfnis dieserunterschiedlichen Akteurstypen im Einzelfall auch noch gegenseitig verstärkenkann, etwa wenn ein autokratischer Herrscher gewahr wird, dass fehlender Respektseitens seiner ausländischen Verhandlungspartner nationalistische Gruppen dazuveranlassen könnte, sein Regime in Frage zu stellen. Daraus könnten sich unterUmständen Varianten von Zwei-Ebenen-Spielen ergeben, bei denen die

win sets

derEntscheidungsträger maßgeblich von den Respekterwartungen mächtiger innenpoli-tischer Akteure bestimmt werden.

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3.2. Instrumentell oder intrinsisch motiviertes Respektstreben?

Schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwieweit internationaler Respekt über-haupt um seiner selbst willen erstrebt wird. Zwar würde kaum jemand bestreiten,dass internationale Akteure, allen voran Staaten, zuweilen sehr darauf aus sind, dassihre Leistungen, ihre Rechte oder ihre Positionen genügend gewürdigt werden –ganz zu schweigen von dem Wert, den sie auf die Beachtung ihrer Bedürfnisselegen. Dies könnte indes ausschließlich oder ganz überwiegend daran liegen, dass alldiese Arten von Respektbezeugung die Aussichten für die Durchsetzung materiellerInteressen verbessern:– Wer nicht oder nur wenig wahrgenommen wird, kann seine Interessen offen-

sichtlich nur schlecht geltend machen.– Gleiches gilt für Akteure, deren Standpunkte, Ideen und Werte ignoriert oder

abgelehnt werden.– Umgekehrt erhöht großes Prestige infolge einer Anerkennung von Leistungen

oder Vorzügen oft die Aussichten dafür, dass Fremde die eigenen Vorschlägeoder Anliegen unterstützen (vgl. Nye 2004).

– Und schließlich versteht es sich fast von selbst, dass die Respektierung vonRechten oder Vorrechten die Realisierung eigener Interessen meistens erleich-tert.

Respekt in allen Formen, so hat es zumindest den Anschein, ist immer ein hilfrei-ches Mittel, wenn internationale Akteure ihre materiellen Interessen realisierenmöchten. Es gehört beinahe schon zum Wesen von Respekt, dass er seinem Objektgrößeren Einfluss verschafft (Heyde 2005: 13). Vor diesem Hintergrund ist es kei-neswegs verwunderlich, dass die IB – und insbesondere die in ihr dominierende

17 Ich danke Rainer Baumann für den Hinweis auf diese Konzeptionalisierung.

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rational choice

-Perspektive – das Streben nach Respekt bisher kaum thematisierthat. Es erscheint einfach redundant für die Erklärung vieler wichtiger Phänomene.

Die Anknüpfungspunkte zu konstruktivistischen IB-Theorien sind naturgemäßgrößer. Nach Alexander Wendt wird die Struktur von internationalen Ordnungenmaßgeblich vom Grad der gegenseitigen Anerkennung bestimmt (1999: 283-297,2003). Allerdings verkürzt Wendt den Anerkennungsbegriff weitgehend auf seinerechtliche Dimension (vgl. aber Wendt 1999: 236f), vor allem auf die wechselseitigeAnerkennung des Existenzrechts souveräner Staaten. Die große Bedeutung staatli-cher Identität ist ein weiterer Anknüpfungspunkt. Dennoch wäre es voreilig, die hierskizzierten Überlegungen zum Respektstreben zu einer Variante sozialkonstrukti-vistischer Theorie zu erklären. Dagegen spricht einstweilen nicht nur der Unter-schied zwischen Wendts Anerkennungsbegriff und dem hier ausformuliertenRespektkonzept. Mindestens ebenso gewichtig sind zwei andere Unterschiede: Zumeinen wird hier die These vertreten, dass die spezifische Identität des Akteurs seinStreben nach Respekt nur in mancher Hinsicht stark beeinflusst, nämlich weit mehr,wenn es um die Beachtung von Leistungen oder Vorzügen geht, als hinsichtlich derBeachtung von physischer Präsenz und etablierten Rechten. Zum anderen folgt ausden hier entwickelten Hypothesen (s. u.) nicht zwangsläufig, dass internationaleAkteure der Einhaltung von Normen große Bedeutung beimessen,

soweit es um ihreigenes Verhalten geht

. Sie folgen in ihren Handlungen nicht unbedingt einer Logikder Angemessenheit, sondern ihrem Bedürfnis nach internationalen Respekt. Dafürnehmen sie dann u. U. auch Regelübertretungen in Kauf. Sie reklamieren also dieLogik der Angemessenheit für das Verhalten, das man ihnen gegenüber zeigt, stattnotwendigerweise ihr eigenes Verhalten an ihr zu orientieren.

Bei genauerer Betrachtung könnte dieses geringe Interesse an Respektfragen mitzwei unterschiedlichen Problemen zusammenhängen: einem ontologischen undeinem analytischen. In ontologischer Hinsicht ließe sich im Extremfall argumentie-ren, dass Respekt womöglich gar nicht als eigenständiger Antriebsfaktor existiert.Diese Position liefe darauf hinaus, dass das Streben nach internationaler Beachtungimmer nur instrumentellen Charakter hat. Das analytische Problem bestünde hinge-gen darin, dass sich das Streben nach Respekt empirisch kaum von der Verfolgungmaterieller Interessen unterscheiden lässt. Selbst wenn es für die Betroffenen einenintrinsischen Wert besäße, ließe sich derart motiviertes Verhalten nicht gegenübergewöhnlicher Interessenpolitik abgrenzen, insofern der von anderen entgegenge-brachte Respekt für Letztere von Nutzen ist. Man könnte sich demnach nie sichersein, ob im vorliegenden Fall das Streben nach Respekt ein eigenständiger Antriebs-faktor ist oder eben doch nur Mittel zum Zweck. Wenn beide immer Hand in Handgehen, stellt sich natürlich auch die Frage, ob man mit dem Streben nach Respektüberhaupt bestimmte Phänomene (besser) erklären kann, als dies mit

rationalchoice

-Ansätzen möglich ist.Hinsichtlich des ontologischen Einwands ist zunächst darauf hinzuweisen, dass

selbst eine Ununterscheidbarkeit von »Interessenpolitik« und »Respektpolitik« nochkeineswegs bedeuten muss, dass Respekt nicht als eigenständiger Motivationsfaktorwirkt. Zum einen könnten beide gleichsam parallel auftreten (Tully 2004: 87). Grup-

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pen setzen sich für ihre Interessen oft auch deshalb so nachdrücklich ein, weil siederen Durchsetzung gleichzeitig als »Test« für ihre soziale Anerkennung verstehen(Ross 2001: 163). Zudem könnte ein staatlicher Akteur in einer internationalenKrise auch deshalb auf bestimmten Rechten beharren, weil er dem Eindruck entge-genzutreten sucht, er sei nur »ein Staat zweiter Klasse«.

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In diesem Fall würde dasRespektstreben erklären, weshalb auf die betreffenden Rechte hartnäckiger gepochtwird, als allein auf Grund ihrer materiellen Bedeutung zu erwarten wäre (vgl. Kap-lowitz 1990: 64, 68). Zum anderen erscheint es in solchen Fällen aber durchaus auchdenkbar, dass die Ziel-Mittel-Relation umgekehrt ist, d. h. das materielle Anliegenkönnte ebenso bloß deshalb verfolgt werden, um den internationalen Respekt zuwahren. So wie die private Anschaffung eines luxuriösen Fahrzeuges u. U. gar nichtder eigenen Bequemlichkeit dient, mag gelegentlich auch eine territoriale Erwer-bung oder die Entwicklung einer weitreichenden Rakete tatsächlich nur daraufabzielen, die subjektiv »verdiente« internationale Beachtung oder Anerkennung zufinden.

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In diesem Fall würde die materielle Erklärung nicht die notwendige Tiefehaben, um den eigentlichen Beweggrund des Verhaltens aufzudecken.

Damit ist indes noch nicht die Frage beantwortet, wie der Einfluss des Respekt-strebens analytisch von materiellen Anreizen getrennt werden könnte. Selbstaus-künfte hierzu sind bekanntermaßen unzuverlässig. Kränkungserfahrungen mögenvon den einen anklagend thematisiert, von anderen hingegen schamhaft verschwie-gen werden (Assmann 2006: 64-69; Scheff 2000: Kap. 3; Saurette 2006: 504).

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Gerade das Streben nach Respekt wird vermutlich von Fall zu Fall mal offener undmal verklausulierter angesprochen. Insofern sind Interpretationen von Selbstaus-

18 Der als unzureichend empfundene Respekt für Rechte eignet sich in besonderer Weisezur Differenzierung dieser unterschiedlichen Dimensionen. Mit der Missachtung einesRechtes ist (a) häufig unmittelbar ein materieller Nachteil verbunden, etwa wenn uns derfreie Zugang zu einem Ort verwehrt wird. Darüber hinaus kann diese Diskriminierungauch (b) mit Reputationskosten verbunden sein, die mittelbar materielle (und immateri-elle!) Kosten im Umgang mit Dritten zur Folge haben. Vor allem dann, wenn man nichtgegen die Missachtung vorgeht, entsteht bei Beobachtern leicht der Eindruck, dass manohne großes Risiko unsere Rechte ignorieren kann. Schließlich beschädigt diese Erfah-rung (c) auch unser Selbstwertgefühl, vielleicht sogar unsere Selbstachtung. Wer unsereRechte verletzt, signalisiert uns implizit, dass wir für ihn jemand sind, »mit dem man soetwas machen kann«. Dies allein bedeutet schon eine kränkende Zurücksetzung gegen-über denjenigen, deren Rechte weiterhin respektiert werden. Noch unangenehmer wirddiese Diskriminierung allerdings erlebt, wenn wir uns nicht erfolgreich dagegen zur Wehrsetzen (können). Dann müssen wir dem Rechtsbrecher sogar insgeheim Recht geben: Wirsind offenbar tatsächlich jemand, »mit dem man so etwas machen kann« (Miller 2001:541). Vor allem diese dritte Dimension wird in den rationalistischen IB-Theorien nichtnäher berücksichtigt. Sie ist jedoch vielleicht sogar die wichtigste von allen, weil sie nichtdas umgreift, »was wir haben«, sondern das, »was wir sind« (Ringmar 2002: 119f).

19 Interessanterweise hat ausgerechnet Adam Smith (2004 [1791]: Abschnitt I, iii, 2) dieThese vertreten, dass hinter dem Streben nach materiellen Gütern nicht so sehr das Ver-langen nach physischer Bequemlichkeit stehe, sondern letztlich der Wunsch danach, dieAnerkennung und (mehr noch) die Aufmerksamkeit anderer zu gewinnen.

20 In der Volksrepublik China gibt es sogar einen offiziellen »Nationalen Demütigungs-tag«, der die Bevölkerung an die Erniedrigung durch die imperialistischen Mächte erin-nern soll, die – natürlich – später unter der kommunistischen Führung überwundenwerden konnte (Callahan 2004: 202).

Aufsätze

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künften in jedem Fall durch Analysen zu ergänzen, die den Kontext der Entschei-dung einbeziehen.

Am einfachsten ist der analytische Nachweis von Respektstreben in den Fällen zuerbringen, in denen es für die jeweiligen Akteure absehbar

mit materiellen Nachtei-len verbunden

ist. Davon könnte man z. B. in den folgenden Fällen sprechen:– Außenpolitische Entscheidungsträger lenken in einer Krise bewusst die interna-

tionale Aufmerksamkeit auf ihren Staat oder ihre Nation, obwohl eine unauffäl-lige, zurückhaltende Politik mit geringeren Kosten und Risiken verbunden wäre(vgl. Schroeder 1994: 117). Hierunter könnten beispielsweise Aufsehen erre-gende Gewalt- oder Terrorakte fallen, welche absehbar die Positionen der Kon-trahenten verhärten.

– Entscheidungsträger bringen in einer marginalen Frage die nationale Positioneindringlich zu Gehör, obwohl sie davon ausgehen müssen, dass dies zu uner-wünschten diplomatischen Reaktionen führen kann, z. B. in Form von außenpo-litischen Verstimmungen oder in Form von Nachfragen, die Erklärungsnöteheraufbeschwören oder die geheimen Informationen betreffen, auf die sich dergeäußerte Standpunkt stützte.

– Entscheidungsträger brechen aussichtsreiche Verhandlungen ab, weil sie denEindruck haben, dass die Verhandlungspartner die vorgetragenen Positionennicht mit der erwarteten Aufmerksamkeit zur Kenntnis nehmen.

– Regierungen, NGO-Vertreter oder Internationale Organisationen beharren aufder Anerkennung von Rechten, obgleich deren Wahrnehmung mit kostspieligenPflichten verbunden wäre.

– Nationen führen einen aufwändigen Kampf für ihre Rechte, obwohl der erwar-tete materielle Nutzen deutlich unter den absehbaren Kosten liegt. Im Extremfallkämpfen sie »aus Prinzip«, auch wenn sie kaum Aussicht auf einen Sieg haben.

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Schwieriger wird ein indirekter Nachweis in Konstellationen zu führen sein, indenen das Streben nach Respekt

weder einen positiven noch einen negativen Ein-fluss

auf die Realisierung materieller Ziele hat. In derartigen Fällen kann die Wir-kung des Respektmotivs in dem Maße belegt werden, in dem bewiesen werdenkann, dass alternative Motive fehlten:– Eventuell ließe sich z. B. beobachten, dass Entscheidungsträger auch dann noch

ihre Positionen deutlich machen oder auf formalen Verhandlungen bestehen,wenn die eigentliche Entscheidung längst in ihrem Sinne gefallen ist (vgl. Miller2001: 531; Lind et al. 1990: 957).

– Möglicherweise zeigt sich auch, dass Entscheidungsträger auf Mitsprachemög-lichkeiten oder formalen Rechtspositionen bestehen, die für ihre materiellen

21 Vgl. Welch (1993) und Horowitz (2000: 134f) im Hinblick auf ethnische Konflikte.Welch geht allerdings nicht der Frage nach, inwieweit bei Kriegsparteien das »justicemotive« seinerseits durch das Streben nach Selbstachtung bedingt ist. Reiter/Stam (1998:380) sehen in der Tatsache, dass auch sehr schwache Staaten im Falle eines Angriffesfast ausnahmslos gewaltsamen Widerstand leisten, ein starkes Indiz dafür, dass vieleRegierungen von der Auffassung geleitet sind, »[that] honor in defeat is intrinsically pre-ferable to ignominious surrender«; ähnlich Aschmann (2006: 732f, 753-756).

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Interessenlage völlig bedeutungslos sind, sei es, weil eine geforderte Regelände-rung für sie gar keine materielle Verbesserung erwarten lässt, sei es, weil sie ausgeographischen oder technischen Gründen gar nicht in eine Lage kommen kön-nen, wo sie von diesen Rechten Gebrauch machen könnten.

Besondere analytische Schwierigkeiten treten schließlich in den zahlreichen Fäl-len auf, in denen die ergriffenen Maßnahmen vermutlich sowohl die materiellenInteressen als auch den internationalen Respekt fördern sollen. In diesen Fällenlässt sich die relative Bedeutung der unterschiedlichen Handlungsmotive fast nurdurch Vergleiche mit ähnlichen Situationen abschätzen:– Synchron ist dann zu überprüfen, inwieweit der fragliche Akteur auch in anderen

Situationen oder Problemfeldern nach angemessener Beachtung strebt.– Diachron kann analysiert werden, ob die angemessene Beachtung auch in den

Phasen entschieden eingefordert wurde, in denen materielle Interessen nochnicht oder nicht mehr betroffen waren.

– Weiterhin kann untersucht werden, inwieweit das Streben nach Respekt mit derBedeutung kovariiert, die ein Recht, eine Leistung, einen Wert oder einen Stand-punkt für die Identität des jeweiligen Akteurs hat (s. Abschnitt 3).

Hilfreich kann in solchen Situationen schließlich auch der Blick auf die Akteuresein, welche sich für die angemessene internationale Beachtung besonders einset-zen. Werden z. B. entsprechende Forderungen vor allem von nationalistischen Ver-bänden, Demonstranten oder Politikern und weniger von materiell betroffenen Res-sorts oder Interessengruppen erhoben, so ist davon auszugehen, dass Respektstrebenim Vordergrund steht.22

4. Hypothesen zur situativen Bedeutung des Respektstrebens

Unter welchen Umständen ist zu erwarten, dass Akteure in besonderem Maße nachinternationalem Respekt streben? In welchen Konstellationen und Problemfeldernsollte dieses Motiv eine größere Rolle spielen und Akteure womöglich sogar dazuveranlassen, im Zweifelsfall deutliche materielle Einbußen in Kauf zu nehmen?Unter welchen Bedingungen ist eher damit zu rechnen, dass das Streben nachRespekt den Sicherheits- und Wohlfahrtsinteressen untergeordnet wird? Wovonhängt es ab, welches Maß an Beachtung als angemessen empfunden wird? EinigeAntworten auf diese Fragen sind bereits oben gegeben worden. In diesem Abschnittsind diese zu ergänzen und zu systematisieren. Dies soll am Beispiel des Akteurs

22 Ein weiterer Indikator könnte unausgewogene Kritik an einem mächtigeren Akteur sein.Ohnmachterfahrungen gehen erfahrungsgemäß mit dem Bedürfnis einher, den als selbst-herrlich oder arrogant erlebten Gegenpart zumindest qualitativ abzuwerten. Individuenund Gruppen, die sich in einer Hinsicht unterlegen fühlen, suchen bekanntermaßen nachanderen, »wichtigeren« Vergleichsmöglichkeiten, bei denen sie sich dann umso vorteil-hafter gegenüber ihrer Umwelt abheben (Mead 1973 [1934]: Kap. 26, 40; Horowitz2000: 27f; Platow et al. 2003: 270). In dieser Hinsicht kann das Messen mit zweierleiMaß ein Hinweis darauf sein, dass die kritisierende Seite glaubt, von der kritisierten Seitenicht angemessen beachtet zu werden.

Aufsätze

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Nationalstaat geschehen. Grundsätzlich können folgende Faktoren die Stärke desRespektstrebens beeinflussen:– materielle Bedeutung des internationalen Respekts für die Gruppe oder die Ent-

scheidungsträger;– Bedeutung des tangierten Attributs für die Identität der eigenen Gruppe;– Sicherheit der eigenen Identität;– Außenbezug der eigenen Identität;– innenpolitische Bedeutung internationalen Respekts;– Stellenwert der anderen beteiligten Akteure;– Intensität der Bedrohung/Herabsetzung.

Dass auch die materiellen Interessen das Streben nach Respekt in all seinen Facet-ten stärken können, wurde schon verschiedentlich deutlich gemacht. Hieraus erge-ben sich insbesondere drei Hypothesen:– Je intensiver ein Staat in wichtige internationale Verhandlungen involviert ist,

umso größeren Wert werden seine Entscheidungsträger darauf legen, dass ihmRespekt gezollt wird.

– Je instabiler und konfliktreicher das regionale Umfeld des betroffenen Staates ist,desto größeren Wert wird die Staatsführung darauf legen, dass seine Reputationals »tougher« Akteur nicht durch respektloses Verhalten unterminiert wird.23

– Je fragwürdiger oder gefährdeter das (physische) Machtpotenzial eines Staatesim internationalen Kontext erscheint, desto größeren Wert wird die Staatsfüh-rung auf gleichbleibend hohen internationalen Respekt legen (vgl. Gilpin 1981:30-34).24

Die relative Bedeutung eines betroffenen Attributs für die Identität der eigenenGruppe (hier also des Nationalstaats) beeinflusst dagegen das intrinsisch motivierteStreben nach Respekt. Dieser Zusammenhang dürfte bei Rechten und hinsichtlichder generellen Aufmerksamkeit, die der jeweilige Staat genießt, noch eine ver-gleichsweise geringe Rolle spielen. Auf der ganzen Welt möchten staatliche Ent-scheidungsträger vermutlich ausschließen, dass ihr Staat auf Grund der Vorenthal-tung üblicher Rechte als »Staat zweiter Klasse« angesehen oder behandelt wird.Ebenso ist davon auszugehen, dass jeder Staat unabhängig von den spezifischenAusprägungen seiner Identität nach internationaler Aufmerksamkeit strebt. Hin-sichtlich der übrigen Attribute dürfte das verlangte Maß an Beachtung aber merklichdavon abhängen, wie sehr die Nation oder die sie repräsentierenden Eliten ihr eige-

23 Forschungen über das Verhalten von Straßenbanden in den inner cities der USA zeigen,dass »respect« vielen jungen Männern unverzichtbar erscheint, die sich in einer gewalttä-tigen Gesellschaft mit geringer Polizeipräsenz behaupten müssen (Anderson 1999: 10,33f; Bourgois 1999: Introduction). Dies entspricht auch den Erwartungen, die sich ausder rationalen Abschreckungstheorie ergeben (Schelling 1960, 1966). In der Realität zie-hen Regierungen bei der Beobachtung fremder Staaten jedoch kaum Rückschlüsse vomVerhalten in einer Krise auf deren Vorgehen in der nächsten (Mercer 1996). Insofern istes irrational, große Kosten in den Ruf der Entschlossenheit zu investieren. WeshalbRegierungen dennoch dazu neigen, erklärt Tang (2005).

24 Dass zusätzlich auch der materielle Nutzen eines zu beachtenden Attributs (z. B. einesRechtes) eine Rolle spielt, versteht sich von selbst.

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nes Selbstwertgefühl an dieses Attribut binden: eine nationale Errungenschaft, dieder Eigengruppe eher kurios oder sonst wie marginal erscheint (das Land mit denmeisten Käsesorten), muss das Ausland sicher weniger würdigen, als eine, die essen-tiell für die Identität ist (das Land der Aufklärung und der Menschenrechte). Hierausfolgt diese Hypothese: – Je wichtiger ein zu beachtendes Attribut (z. B. ein bestimmter Vorzug, ein Wert,

Standpunkt oder eine Leistung) für die eigene Identität ist, umso mehr wird dieStaatsführung auf seiner angemessenen Beachtung bestehen.

Ein weiterer Faktor ist die Sicherheit der eigenen Identität. Ähnlich wie beimSelbstbewusstsein von Individuen ist zu vermuten, dass Nationalstaaten, die sich iminternen Diskurs ihrer Errungenschaften, Vorzüge, Werte usw. gewiss sind, wenigerWert auf äußere Anerkennung legen als solche, deren Gesellschaft oder Elitengerade eine Orientierungskrise durchmachen. Letztere sind zum gegebenen Zeit-punkt viel stärker abhängig von äußerer Bestätigung und viel empfindlicher gegenü-ber ihrer Vorenthaltung (vgl. Huo/Molina 2006: 372; Lind/Tyler 1988: 238). Eineähnliche Rolle spielen vermutlich die unmittelbar zurückliegenden Erfahrungen mitausländischen Interaktionspartnern (Kaplowitz 1990: 50-52). Daraus ergeben sichzwei Hypothesen:– Je fragiler die eigene Identität momentan erscheint, umso mehr strebt die Staats-

führung nach internationalem Respekt.– Je kürzer eine gravierende Missachtungserfahrung zurückliegt, desto größeren

Wert wird die Staatsführung auf aktuelle Bezeugungen internationalen Respektslegen.

In eine ganz ähnliche Richtung wirkt die Variable Außenbezug der staatlichenIdentität. Es ist zu vermuten, dass bestimmte Staaten von Haus aus stärker aufäußere Bestätigung angewiesen sind als andere, die sich weit weniger über ihreinternationale Rolle oder Geschichte definieren. Dazu dürften vor allem neu gegrün-dete Staaten zählen oder solche, deren interne Legitimationsgrundlage fragwürdigerscheint, etwa weil sie keine kompakte Nation repräsentieren. Ein naheliegendesBeispiel dafür war die frühere DDR.25 – Je stärker der Außenbezug der staatlichen Identität, umso intensiver strebt die

Staatsführung nach internationalem Respekt.Die innenpolitischen Vorteile internationalen Respekts sollten vor allem gefähr-

dete Machthaber beeinflussen, die sich gegenüber Gruppen mit einem starkenAußenbezug rechtfertigen müssen. Fragile Regime müssen dem Eindruck entgegen-treten, dass es ihnen nicht gelingt, die Nation nach außen würdevoll zu vertreten.

25 An diesem Beispiel zeigt sich erneut, wie sehr intrinsisches Respektstreben und materi-elle Interessen der Elite Hand in Hand gehen können: Offenbar sah die DDR-Führung inäußerer Anerkennung ein probates Mittel zur Stabilisierung ihrer eigenen Herrschaft.(Nicht von ungefähr ließ sie selbst in der tiefsten Provinz Schilder aufstellen, welche dieAufschrift trugen: »Die DDR – ein weltweit geachteter Staat«. [Foto im Besitz des Ver-fassers]). Gleichzeitig legte sie vermutlich auch großen Wert darauf, dass die von ihrgeschaffene Republik, »ihr persönliches Werk«, internationale Anerkennung fand.

Aufsätze

24

Das (materielle) Herrschaftsinteresse der Elite macht es unter solchen Umständenerforderlich, das (intrinsisch motivierte) Respektstreben interner Gruppen zur Richt-schnur der Außenpolitik zu machen (Aschmann 2006: 734-45; Lepsius 1990). – Je stärker nationalistische Gruppen die Herrschaft der Regierungseliten gefähr-

den, desto intensiver strebt die Staatsführung nach internationalem Respekt.26

Der Stellenwert der Interaktionspartner für die Eigenwahrnehmung bestimmtdeshalb die Intensität des Respektstrebens, weil Status und Ähnlichkeit der anderenAkteure Einfluss darauf haben, wie wichtig ihre Einschätzungen und Aktionengenommen werden. Von ähnlichen Akteuren erwartet man im Allgemeinen eherAnerkennung als von solchen, die nur wenige Attribute mit einem teilen (Turner etal. 1987: Kap. 4; Smith et al. 1998: 483, 490; Miller 2001: 539). Besonders wichtigist auch der Respekt, der von Akteuren mit hohem Status erwiesen wird, nichtzuletzt deshalb, weil solche Respektsbezeugung von Dritten eher wahrgenommenund übernommen wird (Brennan/Pettit 2004: Kap. 3). Ceteris paribus gelten dem-nach folgende Hypothesen:– Je ähnlicher der Interaktionspartner ist, desto größeren Wert legen Staatsführung

und Gesellschaft auf seinen Respekt.– Je höher der Status des Interaktionspartners ist, desto größeren Wert legen

Staatsführung und Gesellschaft auf seinen Respekt.27

Schließlich dürfte die Intensität der Bedrohung oder Herabsetzung des eigenenSelbstbilds das Streben nach Respekt fördern. Eine massive Beleidigung, fortge-setzte Demütigung oder eine konsequente Nichtbeachtung sollte intensivere Bemü-hungen zur Wiederherstellung des als angemessen empfundenen Respektniveausauslösen, da (a) stärkere Missachtungserfahrungen bei den Betroffenen auch intensi-vere Emotionen wie Empörung, Wut oder Frustration auslösen und dadurch dieindividuelle Motivation für Gegenwehr fördern (Honneth 1994: 219-225; vgl. Tyler/Blader 2000: 112; Smith et al. 2003: 171) und (b) bei intensiveren Verletzungenauch eine größere Chance besteht, dass sie von einer Vielzahl der Betroffenen alssolche interpretiert werden. Und ohne diese gemeinsame Deutung ist eine kollektiveReaktion schlecht vorstellbar (Honneth 1994: 260-262).– Je intensiver das eigene Selbstbild bedroht oder beschädigt wird, umso stärker

streben die betroffenen Akteure nach Respekt.

26 Andere Wissenschaftler wie z. B. Winkler (1985: 30), van Evera (1994: 30-33) undSnyder (2000: Kap. 2) betonen eher die Instrumentalisierung nationalistischer Diskurseseitens gefährdeter Eliten. In diesem Fall ist das Respektstreben gesellschaftlicher Grup-pen nicht eine unmittelbare, sondern nur eine ermöglichende Ursache internationalerKonflikte. Indes kann es bei der Anwendung solcher Diskursstrategien auch zum sog.blowback kommen, der die Eliten zu Gefangenen ihrer eigenen Rhetorik macht (Snyder1991: 41-49).

27 Daraus kann eine Abhängigkeit resultieren, die man mit Popitz (1992: Kap. 4f) durchausals eine Machtbeziehung sehen kann, wenn besonderer Wert auf die Anerkennung durcheine ganz bestimmte »Autoritätsperson« gelegt wird. Wer in hohem Maße auf die Aner-kennung anderer angewiesen ist, passt sich eher deren Maßstäben und Erwartungen an.Sofern er dadurch tatsächlich Anerkennung hinzugewinnt, tauscht er gleichsam ein höhe-res Selbstwertgefühl gegen die Öffnung gegenüber fremdem Einfluss.

Reinhard Wolf: Respekt

25ZIB 1/2008

Angesichts der analytischen Probleme, welche mit der Abgrenzung zwischenmateriellen Interessen und Respektstreben verbunden sind, liegt zunächst allerdingsdie Frage nahe, was überhaupt für die Beschäftigung mit dieser Dimension spricht.Finden sich in Konstellationen, welche den antecedens-Bedingungen dieser Hypo-thesen gut entsprechen, Beispiele für Respektstreben, das politisches Verhaltenerkennbar beeinflusst hat?

5. Der mögliche »Mehrwert« der Analyse von Respektstreben: Einige Indizien

Wie viel uns ein Gut bedeutet, können wir oft erst dann richtig ermessen, wenn wires verloren haben. Diese Alltagsweisheit gilt wahrscheinlich auch für internationalenRespekt. Dass die Nordamerikaner und Westeuropäer, welche die Disziplin derInternationalen Beziehungen maßgeblich entwickelt haben, dabei der Bedeutung desFaktors Respekt kaum Aufmerksamkeit geschenkt haben, liegt wohl zu einem Gut-teil daran, dass ihre Staaten und Nationen in vieler Hinsicht nicht unter einem Man-gel an Respekt gelitten haben (Berlin 1992: 324).28 Anhaltspunkte für die Bedeutungvon Respekt wird man deshalb eher finden, wenn man versucht, sich die Perspektivevon Akteuren zu Eigen zu machen, die im internationalen System weniger Einfluss,Rechte und Prestige genießen, (weiteren) Macht- oder Statusverlust befürchten odersich in ihrer Identität stark bedroht fühlen. Im Folgenden soll kurz auf drei Beispieleeingegangen werden:– Aussichtslose oder nahezu aussichtslose Kämpfe um Anerkennung, die von

Juden und Palästinenser angestrengt wurden;– Islamische Forderungen nach größerem Respekt seitens »des Westens« sowie– Europäische Erfahrungen mit als unzureichend empfundenem Respekt seitens

der USA und der Bundesrepublik.Wie oben erwähnt, ist die Führung aussichtsloser Kämpfe ein wichtiges Indiz

dafür, dass bei der unterlegenen Seite materielle Motive keine zentrale Rolle spie-len. Wenn zudem noch plausibel gemacht werden kann, dass demütigende Erfahrun-gen die Identität dieser Seite gravierend in Frage stellen, dann spricht vieles für dieVermutung, dass der Kampf hauptsächlich (fort)geführt wird, um den Respekt desüberlegenen Gegners und die eigene Selbstachtung wiederzuerlangen. Offene Auf-lehnung ist in manchen dieser Situationen dafür die einzige Option. Die Anwendungvon Gewalt trägt dann aus Sicht der Betroffenen ihren Wert fast schon in sich. Siemag zwar keine Aussicht verschaffen, dauerhafte politische Ziele zu verwirklichen.Aber sie zwingt den meist als sehr arrogant erlebten Gegner wenigstens dazu, dieunterlegene Gruppe wieder zu beachten. Diese wiederum kann sich den bewaffnetenKampf, so aussichtslos er langfristig auch sein mag, vorübergehend vom reinenObjektstatus befreien. Sie wird wieder zum handelnden Subjekt und kann dadurch

28 Auch diese Vermutung wird zumindest indirekt durch sozialpsychologische Untersu-chungen gestützt (vgl. Wright/Taylor 2003: 443).

Aufsätze

26

ihre Selbstachtung wiederherstellen.29 Dies allein, die zeitweilige Erneuerung dermenschlichen Würde, wiegt offenbar für viele Beteiligte schwerer als die beinahesichere Aussicht auf Tod, Verwundung oder Entbehrung.

Der Warschauer Aufstand von 1943 ist vielleicht der klarste Fall einer gewaltsa-men Auseinandersetzung, die ganz bewusst beschlossen wurde, obwohl es keinerleiErfolgsaussicht gab: »Es ging nicht darum zu siegen, sondern zu kämpfen. Siegenkonnten die Juden unmöglich« (Kurzman 1979: 95; ähnlich Friedländer 2006: 552;Kula/Zaremba 1994: 99f). Angesichts der bevorstehenden Räumung des Ghettosgingen die meisten Kämpfer davon aus, dass sie auf jeden Fall bald von der SS getö-tet würden, egal ob sie Widerstand leisteten oder sich in die Vernichtungslagerabtransportieren ließen. Der Kampf war aber zweifellos anstrengender und kräfte-zehrender für die unterernährten Juden, und er konnte jederzeit zum sofortigen Todführen. Ganz pragmatisch gedacht war er für die meisten die allerschlechtesteOption.30 Dass die letzten Überlebenden dennoch zur Waffe griffen, war zum einenauf ihren Wunsch nach Rache für die bereits ermordeten Angehörigen zurückzufüh-ren (Goldstein 1992: Kap. V). Noch wichtiger war für viele offenbar aber dieAbsicht, zum Schluss noch einmal die eigene Handlungsfähigkeit, Würde, Mensch-lichkeit und Selbstachtung zu dokumentieren (Kula/Zaremba 1994: 103f; Friedlän-der 2006: 557). Entsprechend lautete der letzte Appell, den die Widerstandsbewe-gung an die Ghettomauern anschlagen ließ: »Kämpfen und für die Ehre unseresVolkes sterben!« (Kurzman 1979: 93, ferner 12, 19, 22, 47). Die Aufständischenwählten sogar angesichts ihrer drohenden Ermordung nicht die Flucht, sondern setz-ten lieber ihr Leben dafür ein, um für sich und ihre Gruppe ihre Würde als selbstbe-stimmte Menschen unter Beweis zu stellen.

Das Streben nach Respekt kann in ähnlicher Weise zur Erklärung langwierigerAuseinandersetzungen herangezogen werden, in denen die unterlegene Seite bei reinmateriellen Kosten-Nutzen-Kalkulationen eigentlich längst hätte nachgeben müs-sen. Beispielhaft hierfür ist der Nah-Ost-Konflikt. Spätestens mit dem Oktober-Krieg von 1973 musste der arabischen Seite klar sein, dass Israels militärische Über-legenheit auf absehbare Zeit nicht zu brechen sein würde. Auch an der Entschlos-senheit Israels, zur Sicherung seines Kernterritoriums alle Mittel bis hin zu Nuklear-waffen einzusetzen, konnte wenig Zweifel bestehen. Gleichwohl haben dieverschiedenen palästinensischen Gruppen, von zeitweiligen Unterbrechungen abge-sehen, am bewaffneten Kampf festgehalten. Ein Kompromissfrieden, der naturge-

29 Auf diesen intrinsischen Wert des Kampfes für das diskriminierte Individuum verweistauch Honneth (1994: 263). Gemäß seiner Interpretation von innergesellschaftlichenAnerkennungskämpfen können die Angehörigen der diskriminierten Gruppe dabei dienoch zu erkämpfende Anerkennung schon ein Stück weit einseitig vorwegnehmen. ImZuge der Auflehnung bekennt sich der Kämpfer offen zur identitätsstiftenden Bedeutungder bis dahin missachteten Gruppeneigenschaft. Das, was bisher als Anlass zu Kränkungund Scham fungierte, wird damit öffentlich umgedeutet in eine Gruppeneigenschaft, fürdie es sich zu kämpfen lohnt.

30 Tatsächlich hatte die polnische Untergrundarmee den jüdischen Kämpfern unmittelbarvor dem Ghetto-Aufstand sogar angeboten, sie aus dem Ghetto herauszuschleusen, damitsie sich in den Wäldern den Partisanen anschließen konnten (Friedländer 2006: 551).

Reinhard Wolf: Respekt

27ZIB 1/2008

mäß eher zu Lasten der Palästinenser gegangen wäre, scheiterte u. a. an der religiösüberhöhten Bedeutung Jerusalems, insbesondere seines Tempelbergs, aber auch ander Zersplitterung beider Gesellschaften, welche die interne Durchsetzung einesunbefriedigenden Kompromisses stark erschwerte (Beck 2001; Enderlin 2003).Gegenüber dem mächtigen Israel nachzugeben und das zu akzeptieren, was es zuzu-gestehen bereit war, war jedoch auch deshalb wenig attraktiv, weil es mit der paläs-tinensischen Vorstellung von Würde schlecht zu vereinbaren war (Rubin 1999: 164-166). Dies verschaffte wiederum den radikalen Gruppierungen Zulauf, die das Exis-tenzrecht Israels grundsätzlich in Frage stellen.

Der Oslo-Prozess mag in pragmatischer Hinsicht die beste Chance auf Selbstbe-stimmung eröffnet haben, welche sich den Palästinensern seit dem Krieg von 1967darbot. Seine vorgesehene Verfahrensweise degradierte sie aber einmal mehr zu blo-ßen Objekten der israelischen Politik. Der Alltag in den besetzten Gebieten warzuvor schon mit vielen Maßnahmen verbunden gewesen, die von der Masse derPalästinenser als demütigend empfunden wurden. Dies galt für die zahlreichen Aus-gangssperren und die langwierigen israelischen Kontrollen an den vielen checkpoints (Buruma/Margalit 2004: 138). Es galt für die völlig unausgewogene Auf-teilung der knappen Wasserbestände und natürlich erst recht für die völkerrechtlichsehr fragwürdige Fortsetzung des Siedlungsbaus. Aus Sicht der Palästinenserzeigten diese und andere Vorgehensweisen, dass die Israelis sie in ihrem eigenenLand als Menschen zweiter Klasse, als Objekte behandelten (Croitoru 2007: 68-78).Der Oslo-Prozess eröffnete zwar eine Perspektive auf Verbesserungen bis hin zueinem eigenen Staat. In der praktischen Umsetzung blieb indes die israelische Seiteeinmal mehr Herr des Verfahrens. Aus nachvollziehbaren Gründen bestand sie aufeinem schrittweisen Vorgehen, bei dem israelische Teilabzüge nur erfolgen sollten,wenn die palästinensische Seite durch vorangehendes Wohlverhalten ihreVertrauenswürdigkeit unter Beweis gestellt hatte. Dadurch wurden junge Palästi-nenser, die während der Intifada den israelischen Truppen noch Aufsehen erregendeStraßenschlachten geliefert hatten, erneut zur passiven Erduldung israelischerSicherheitspolitik verdammt. Insofern kann es nicht überraschen, wenn viele mili-tante Aktivisten den Ausbruch der zweiten Intifada als Rückkehr zu einem Zustandbegrüßten, in dem man wieder selbstbestimmt, Auge in Auge mit den Besatzern fürseine nationalen Rechte kämpfen konnte.31 Dieser Kampf eröffnete vielleicht keinebesseren Aussichten auf einen palästinensischen Staat mit einer Hauptstadt Jerusa-lem. Er erschien in der gegebenen Situation, zumal nach Sharons provozierendemBesuch des Tempelbergs, aber Vielen als probates Mittel, um den Respekt der Israe-lis und die eigene Selbstachtung wiederherzustellen.

31 Bezeichnend ist vielleicht die Äußerung eines Oberschülers, der infolge der ersten Inti-fada drei Jahre in israelischen Gefängnissen zugebracht hatte: »Nowadays, I sit aroundand recall the beauty of the intifada…when we were wanted by the Israelis and how wefought together against a common enemy. We felt that we were making a step forward,no matter how small, toward a greater goal. The intifada made us feel so equal to theIsraelis« (nach Rubin 1999: 102; meine Hervorh.). Vgl. auch Lindner (2006: 113f);Perthes (2006: 112) und – im Hinblick auf den palästinensischen Widerstand vor demZweiten Weltkrieg – Croitoru (2007: 26).

Aufsätze

28

Ebenso bleibt die große Popularität, die Osama bin Laden nach dem 11. Septem-ber in weiten Teilen der islamischen Welt genoss (nebst ihrer Konsequenzen für diePolitik der betreffenden Staaten) unverständlich (Pew Global Attitudes Project2006: T-44), wenn man sie mit herkömmlichen Ansätzen verständlich machen will.Schließlich entsprachen die Angriffe auf das World Trade Center kaum islamischenMoralvorstellungen, die die wahllose Massentötung von friedlichen Zivilsten striktausschließen (Aslan 2006: 105, 108; Lewis 2003: 165). Materiellen Nutzen konntendie vielen Sympathisanten bin Ladens ebenso wenig von den Anschlägen erwarten.Im Gegenteil: Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass die USA mit ihren Ver-bündeten zum Gegenschlag ausholen würden. Auch ein engerer Schulterschluss miteiner ohnehin schon unnachgiebigen israelischen Regierung war von vornhereinabsehbar. Aber für viele Muslime hatten es bin Laden und seine Attentäter denscheinbar so unverwundbaren, arroganten USA »endlich einmal gezeigt«. NachJahrzehnten, in denen die USA scheinbar nach Belieben in arabische Angelegenhei-ten eingreifen und Regierungen demütigende Vorschriften machen konnten, muss-ten sie zum ersten Mal die Macht der islamischen Welt gleichsam »am eigenenLeib« spüren. Sie mussten den »Islam« als Faktor der Weltpolitik endlich ernst neh-men (Lewis 2003: 165f; Perthes 2002: 21f; Heine 2004: 154).

Überhaupt scheint im Verhältnis zwischen dem Westen und der islamischen Weltder Faktor Respekt eine zentrale Rolle zu spielen. Bei einer Gallup-Umfrage im Jahr2005 gaben jeweils mehr als 60% der Iraner, Saudis und Türken an, sie fühlten sichvom Westen missachtet. Ägypter und Palästinenser teilten diese Einschätzung sogarzu 80% bzw. 84%. Wenn danach gefragt wurde, wie der Westen die Beziehungen zuden islamischen Ländern verbessern könne, lautete überall in der muslimischenWelt die häufigste Antwort, er solle größeren Respekt für den Islam zeigen undnicht länger auf Muslime herabsehen (World Economic Forum 2008: 131). Dieserscheint wenig verwunderlich angesichts der Erfahrungen des Nahost-Konflikts, inder die arabische Seite immer wieder auf westliche Doppelmoral hinwies (Glaser2006: 266f). Deutlich wurde die divergente Erwartungshaltung auch in der unter-schiedlichen Sicht auf die gewaltsamen Proteste gegen die Mohammed-Karikaturen,die in einer dänischen Tageszeitung erschienen waren. Während man in westlichenLändern die Ausschreitungen ganz überwiegend als Ausdruck muslimischer Intole-ranz ansah, waren sie in der Perspektive der meisten Muslime eine legitime Reak-tion auf westliche Missachtung (vgl. Abb. 1, S. 30). Diese krasse Divergenz, diesogar zwischen verschiedenen Religionsgruppen innerhalb eines Landes auftrat,weist auf die Aktivierung tief sitzender Stereotypen hin. Die besondere Sensitivitätfür Missachtungserfahrungen zeigt sich auch in der Politik der Türkei, des islami-schen Landes, das am stärksten »verwestlicht« worden war. Erinnert sei nur an dasunnachgiebige Verhalten in der Zypernfrage, das Ankaras EU-Beitritt gefährdet,oder an die gewohnt harschen Reaktionen auf westliche Stellungnahmen zum Völ-kermord an den Armeniern. Die Verletzlichkeit der islamischen Welt, ihr Gefühlfortgesetzter »Demütigung«, »Verachtung« und »Erniedrigung« (Mahathir 2003),hat immer wieder pragmatische Vereinbarungen vereitelt, die zum beiderseitigenVorteil ausgefallen wären. Sofern Respektstreben als Faktor der internationalen

Reinhard Wolf: Respekt

29ZIB 1/2008

Beziehungen ernst genommen wird, erscheinen diese verpassten Chancen indes kei-neswegs mehr so rätselhaft oder irrational. In dieser Perspektive scheinen islamischeLänder geradezu prädestiniert für kostspieliges Insistieren auf angemessener Beach-tung durch den Westen:– Das Insistieren auf persönlicher Ehre und nationaler Würde ist in vielen islami-

schen Kulturen besonders tief verwurzelt.32

– Sie zeichnen sich durch einen religiös begründeten Anspruch auf das einzig rich-tige Rechts- und Gesellschaftsmodell aus.

– Sie haben in den letzten Jahrzehnten machtpolitisch und wirtschaftlich einenfortgesetzten Niedergang erfahren, der insofern noch schmerzlicher erfahrenwird, als Muslime lange Zeit gewohnt waren, im Siegszug des Islam den Beweisfür göttlichen Beistand und damit für die Überlegenheit ihres Glaubens und derdarauf basierenden Gesellschaftsordnung zu sehen (Aslan 2006: 152; Lewis2003: 30).

– Sie sind konfrontiert mit und abhängig von einer westlichen Welt, die sie in wei-ten Teilen entweder überhaupt nicht beachtet oder nur als »rückständige Stören-friede« wahrnimmt.

– Und sie werden weitgehend von autoritären Eliten mit fragiler gesellschaftlicherLegitimität beherrscht (Bakr et al. 2003).

Selbstbild und Fremdbild klaffen hier besonders weit auseinander. Zudem habendie Eliten einen machtpolitischen Anreiz, diese kollektiven Frustrationserfahrungenin Solidarität mit den autoritären Regimen zu transformieren, indem sie durch Pro-paganda oder symbolische Aktionen die gemeinsame Front gegenüber dem »arro-ganten Westen« betonen.33

32 Dies ist nicht bloß ein westliches Klischee, sondern entspricht offenbar auch der Eigen-wahrnehmung, zumindest in den arabischen Ländern. Um es in den drastischen Worteneines reformerischen Wahhabiten-Scheichs zu sagen: »Die Araber sind bekanntlichbereit, ganze Nationen umkommen zu lassen, um ihre Würde wiederherzustellen« (zit.nach Perthes 2006: 218).

33 Auch dieser Aspekt findet sich deutlich in der drastischen Rede des damaligen malaysi-schen Premierministers Mahathir (2003). Das Gefühl, immer wieder herablassend behan-delt zu werden, spielt in vielen anti-westlichen Diskursen eine zentrale Rolle; vgl.Johnston/Stockman (2006: 192); Lynch (2006: 218); Buruma/Margalit (2004: 88, 94f,127).

Aufsätze

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Abbildung 1: Wahrnehmung des Cartoon-Streits

Anmerkung: Grafik übernommen aus Pew Global Attitudes Project (2006: 21).

Ähnliche Einstellungen und Verhaltensweisen sind allerdings auch in abge-schwächter Form im euro-atlantischen Raum festzustellen. Vor allem die Eliten inPolen und Russland, aber zuletzt auch die westeuropäischen Gesellschaften, habenmit mehr oder weniger großem Erfolg für sich größeren internationalen Respekt ein-gefordert. Die russische Führung hat nach Beendigung der »romantischen« Periodezu Beginn der neunziger Jahre vermehrt kostspielige Aktionen durchgeführt, umsich wieder größere Beachtung seitens des Westens zu verschaffen. Als Beispieleseien nur die riskante Luftlande-Operation im Kosovo, als russische Fallschirmjägerhandstreichartig den Flugplatz von Priština besetzten, und die weitgehende Blo-ckade des NATO-Russland-Rats genannt. Beide Verhaltensweisen belasteten

Reinhard Wolf: Respekt

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erheblich die Beziehungen zur NATO, und das in einer Zeit, in der RusslandsAbhängigkeit von westlichen Währungskrediten noch keineswegs überwunden war.Wirtschaftlich war diese Vorgehensweise nicht sehr rational. Aus Sicht einer status-bewussten Großmacht, die zusehends an Macht und Bedeutung zu verlieren schien,war sie jedoch weitaus besser nachzuvollziehen (Simes 2007). Nach all den »Krän-kungen und sogar Verletzungen« (Boris Jelzin, zit. nach Mommsen 2004: 146), dieaus russischer Sicht insbesondere mit der Osterweiterung der NATO verbundengewesen waren (Mommsen 2004: 154f), glaubte sich der russische Präsident – soJelzin wörtlich – »zu einer deutlichen Geste der Eigenständigkeit verpflichtet«, ginges doch »darum zu zeigen: Russland hat sich moralisch nicht besiegen und sich nichtin den Krieg hineinziehen lassen« (zit. nach Mommsen 2004: 187).

Auch die jüngsten Belastungen im deutsch-polnischen Verhältnis sind wesentlichauf polnische Missachtungserfahrungen zurückzuführen. Polen ist bekanntlich eineNation mit einer stark entwickelten nationalen Identität, die besonderen Wert aufinternationale Anerkennung legt. Besonders deutlich wurde dies erwartungsgemäß,als angebliche deutsche Versuche, die Täter-Opfer-Beziehung im Zweiten Welt-krieg umzukehren, in Warschau auf eine fragile Koalitionsregierung unter Führungder nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« trafen. Ihre Außenmi-nister bekannten sich in ihren programmatischen Reden ganz unumwunden dazu,dass sie für ihr Land Respekt und größeres internationales Prestige erstrebten (Mel-ler 2006; Fotyga 2007), und für den damaligen Premierminister Jaroslav Kaczynskilautete sogar »der Grundsatz aller Grundsätze« seiner Regierungspolitik: »It isworthwhile to be a Pole, it is worthwhile that Poland continues as a large and impor-tant European country« (Kaczynski 2006). Umso kränkender muss es dann erlebtwerden, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden, ohne dass WarschausPosition gebührend gewürdigt wird. Exemplarisch ist hier die deutsch-russischeEntscheidung für die Ostsee-Pipeline zu nennen: »Zu den deutschen Fehlern – soder ehemalige Präsident Kwasniewski – gehört die Art, wie die deutsch-russischePipeline zustande kam, ohne Einbeziehung Polens. Generell hat man den Eindruck:Die Beziehungen zu Polen sind für Deutschland mehr Pflicht als Wunsch. Wir wer-den noch nicht für voll genommen« (Tagesspiegel, 8.11.2006; vgl. Der Spiegel 25,18.7.2007: 30-36). Aber auch darüber hinaus hatte sich bei den polnischen Eliten inden letzten Jahren die Auffassung durchgesetzt, dass Berlin den östlichen Nachbarnnicht als echten Partner, ja nicht einmal als wirkliches außenpolitisches Subjektwahrnehme (Buras 2006). Die national-konservative Kaczynski-Regierung hat hier-auf mit einer deutlichen Verhärtung polnischer Verhandlungspositionen reagiert:»Die Konsequenz aus der Frustration – die dem Gefühl entspringt, von Deutschlandgering geschätzt zu werden – ist folglich die Überzeugung, dass man in den Bezie-hungen mit dem westlichen Nachbarn mit harten Bandagen kämpfen und unnach-giebig seinen Standpunkt verteidigen muss« (Buras 2006: 4). Besonders deutlichwurde dies bei den Verhandlungen über die EU-Abstimmungsregeln, für die derMinisterpräsident wörtlich die Parole »Sterben für die Quadratwurzel« ausgab(Schuller 2007). Dahinter stand ganz offiziell die doppelte Zielsetzung, deutschen

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Einfluss in der EU zu beschneiden und gleichzeitig durchzusetzen, dass Polen inter-national als gleichberechtigter Staat wahrgenommen wird (Süddeutsche Zeitung,23.7.2007: 13; Der Spiegel 25, 18.7.2007: 30-36). Warschaus Verhalten in der Ver-fassungsfrage ist somit ein klares Beispiel dafür, wie Missachtungserfahrungen einprononciertes Respektstreben fördern können, das internationale Zusammenarbeitstark belastet (Economist, 5.7.2007).

Aber nicht nur die Transformationsländer und die arabischen Staaten, sondernauch enge Verbündete der USA haben inzwischen wieder erfahren, was es bedeutet,von mächtigen Partnern nicht länger so beachtet zu werden, wie man es selbst fürangemessen hält. Dass die amerikanischen Alleingänge in Europa soviel Bitterkeitund publikumswirksamen Widerstand auslösten, ist vermutlich nicht allein auf Inte-ressendivergenzen sondern auch auf ungewohnte Missachtungserfahrungen zurück-zuführen. Während des Ost-West-Konflikts und selbst während der Balkankriegehatte Washington seinen europäischen Verbündeten noch weit mehr Mitsprache-möglichkeiten eingeräumt, als man aufgrund der reinen Machtverteilung hätteerwarten können (Risse-Kappen 1995; Daalder/O’Hanlon 2000). Die Bush-Admi-nistration hingegen ließ die Europäer sehr deutlich spüren, dass ihre nachlassendeMachtposition auch immer weniger Rücksichtnahme nötig machte. Europa galtzunehmend als ein zweitrangiger Schauplatz, dessen Regierungen vor vollendeteTatsachen gestellt werden könnten. Auf den Ausstieg aus dem Kyoto-Protokoll unddem Internationalen Strafgerichtshof folgte so schließlich auch die einsame Ent-scheidung, Saddam Hussein militärisch zu stürzen. Nicht zuletzt der deutsche Bun-deskanzler und sein Außenminister beklagten sich während der Irak-Krise öffentlichüber die Umgangsformen der Bush-Administration. Schließlich sei – so Außenmi-nister Fischer wörtlich – die Bundesrepublik kein »Satellitenstaat« (zit. nach Gor-don/Shapiro 2004: 100). Umgekehrt sorgten persönliche Angriffe auf Bush für deut-liche Verstimmung in Washington. Die bislang fundierteste Untersuchung der Krisegelangt zu dem Urteil, dass undiplomatische Rechthaberei der USA und europäischeRessentiments sich gegenseitig soweit aufschaukelten, dass die möglichen Folgenfür die NATO nicht länger berücksichtigt wurden (Gordon/Shapiro 2004: 156, 159).Die langfristigen Konsequenzen des eigenen Vorgehens traten zurück gegenüber derForderung, von den Verbündeten respektvoll behandelt zu werden.

Die nonchalante Weise, in der sich die Bush-Administration über die Standpunkteder Verbündeten und die etablierten Normen der diplomatischen Zusammenarbeithinwegsetzte, wurde in vielen europäischen Hauptstädten – und mehr noch in derBevölkerung – als Brüskierung durch eine arrogante »Hypermacht« erlebt. Tatsäch-lich zeigen die Umfragen in Asien und Europa, dass eine große Mehrheit den USAeine mangelnde Beachtung fremder Interessen ankreidet (Abb. 2). Von daher kannes kaum überraschen, dass im Jahr 2005 mehr als zwei Drittel der befragten Europä-er es prinzipiell für wünschenswert hielten, wenn die USA einen ebenbürtigen mili-tärischen Rivalen erhielten (Abb. 3). Sobald jedoch spezifisch nach den erwünschtenRollen für mögliche Rivalen gefragt wurde, ergab sich ein anderes Bild. So sprachensich die Europäer mit großer Mehrheit dagegen aus, dass China bzw. die EU mit den

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USA militärisch rivalisieren sollte.34 Dies deutet stark darauf hin, dass sich die Euro-päer von einer Ausbalancierung der USA grundsätzlich ein rücksichtsvolleres Ver-halten Washingtons erhoffen würden, ohne jedoch spezifische Vorstellungen davonzu haben, wer den Vereinigten Staaten in welchen Punkten entgegentreten sollte.Die anderweitigen Konsequenzen eines amerikanischen Machtverlusts scheinenüberhaupt kaum bedacht zu werden: Dass die Verschiebung der Machtverteilung inRichtung auf eine bipolare Struktur weltweite Instabilität, Rivalität und Rüstungs-konkurrenz begünstigen würde, wird entweder nicht wahrgenommen oder es wirdklar überschattet von der emotionalen Reaktion auf die mangelnde Beachtung.

Abbildung 2: Einschätzung US-Amerikanischer Rücksichtnahme

Anmerkung: Grafik übernommen aus Pew Global Attitudes Project (2005: 23).

34 Jeweils 71% der Briten, Franzosen und Russen sowie 82% der Deutschen wandten sichgegen die Vorstellung, dass China zum militärischen Rivalen der USA aufsteigen solle(Pew Global Attitudes Project 2005: 33). 2005 sprachen sich drei Viertel der Europäer,die eine europäische Supermachtrolle befürworteten, dafür aus, dass eine solche EU mitden USA kooperieren solle, statt mit ihr zu konkurrieren (German Marshall Fund of theUnited States/Compagnia di San Paolo 2005: 9).

Aufsätze

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Abbildung 3: Ablehnung US-Amerikanischer Dominanz

Anmerkung: Grafik übernommen aus Pew Global Attitudes Project (2005: 30); Die Formulierung der inEuropa gestellten Fragen verwies explizit auf die EU und China.

6. Ausblick: Wissenschaftliche und praktische Implikationen

Weshalb könnte sich für die Internationalen Beziehungen eine eingehende Beschäf-tigung mit dem Thema »Respekt« lohnen? Dafür scheinen sowohl wissenschaftlicheals auch pragmatische Gründe zu sprechen. Am Anfang weitergehender Untersu-chungen sollte allerdings eine Plausibilitätsuntersuchung stehen, in der zu klärenwäre, ob das Streben nach Respekt einen eigenständigen Einfluss auf das internatio-nale Geschehen ausübt.

In wissenschaftlicher Hinsicht könnte die Einbeziehung des Respektstrebens ins-besondere neues Licht auf die Hindernisse und Erfolgsbedingungen internationalerZusammenarbeit werfen. Dies gilt sowohl für die Gegenstände von Konflikten alsauch für Verhandlungsprozesse und Kompromissoptionen. Hinsichtlich der Gegen-stände dürfte deutlich geworden sein, dass das Streben nach fremdem Respekt einwichtiges Ziel sein könnte, das zuweilen Konflikte (mit) auslöst, intensiviert und

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verlängert. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass wechselseitige Respektbezeugun-gen auf die Dynamik der Konfliktinteraktion einwirken. Vor allem bei Beziehungenzwischen Akteuren, die selten interagieren und sich hinsichtlich ihres relativen Sta-tus im Unklaren sind, könnte die Berücksichtigung des Faktors Respekt zu plausib-leren Erklärungen führen. Gegenseitige Respektbezeugungen, so die Vermutung,sollten nicht nur eine allgemeine Entkrampfung angespannter Situationen begünsti-gen, sondern auch Statuskonflikte entschärfen, deliberative Lernprozesse begünsti-gen und gegenseitige Empathie fördern.35 Auf diese Weise könnten sowohl daswechselseitige Vertrauen als auch die Schnittmenge der verhandlungsleitenden winsets vergrößert werden (ähnlich Tyler/Blader 2000: 194-198; De Cremer 2002).Schließlich könnte die Einbeziehung dieses Faktors auch in mehrfacher Hinsichterklären helfen, weshalb eigentlich rationale Kompromisslösungen in der Realitätoft scheitern. Zum einen könnte dies daran liegen, dass materiell vorteilhafte Ver-einbarungen den Respektbedürfnissen der Akteure nicht genügen, zum anderendaran, dass die Aufteilung umstrittener Gegenstände oder der Ausgleich durchKompensationszahlungen mit den Respektansprüchen konfligieren.

Sofern diese vermuteten Zusammenhänge tatsächlich bestehen, könnte die außen-politische Praxis von einer systematischeren Berücksichtigung des Faktors Respekterheblich profitieren. Zum Bespiel wären Entscheidungsträger dann gut beraten, beiallen verteilungspolitischen Konflikten die Respekterwartungen der Interaktions-partner einzubeziehen. Des Weiteren könnte es sich lohnen, die symbolische Seiteder Diplomatie wieder stärker zu betonen, etwa indem man die Beachtung internati-onaler Akteure stärker daran orientiert, wie empfänglich die jeweiligen Adressatenfür derartige Gesten sind. So wäre vielleicht darüber nachzudenken, ob hochrangigeBesuche nicht besser auf Länder fokussiert werden sollten, die fremder Anerken-nung in höherem Maße bedürfen, und weniger auf solche, mit denen ohnehin ver-trauensvolle Arbeitsbeziehungen bestehen.36 Ferner erschiene es ratsam, der Ana-lyse geeigneter Ausdrucksmittel größere Bedeutung zu schenken. Glücklicherweiseist die Bezeugung von Respekt nicht immer ein Nullsummenspiel. Dort, wo es nichtum relativ bewertete »Güter« wie Prestige oder Status geht, können u. U. alle Betei-ligten gleichzeitig ihre Respektbedürfnisse befriedigen lassen – und zwar auch überStatusgrenzen hinweg. Allerdings erfordert die Respektbezeugung eines »ranghöhe-ren« Akteurs gegenüber einem »rangniedrigeren« oft besonderes »Fingerspitzenge-fühl«, damit sie glaubwürdig und nicht gespielt oder gar herablassend wirkt (Taylor1993: 76f). Deshalb könnte es von Nutzen sein, wenn Akteure gezielt eine beson-dere Sensibilität für die Respekt vermittelnden Gesten oder Formen entwickeln, diein der Kultur des Interaktionspartners üblich sind.

35 Hierzu und zu weiteren Wirkungen von Respekt und Missachtung auf internationaleAkteure und ihr Verhalten vgl. Wolf (2008).

36 Womöglich hätten die USA den Widerstand gegen ihre Besatzungstruppen im Irakerheblich dämpfen können, wenn sie frühzeitig mit hochrangigen Regierungsbesuchenihren Respekt für die zivilisatorische Vorreiterrolle des Zweistromlandes sichtbar bekun-det hätten.

Aufsätze

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Überhaupt scheint es in der hier skizzierten Perspektive geboten, die Eigenheitenund besonderen Bedürfnisse der anderen, d. h. der nicht-westlichen, Kulturen einge-hender zu beachten. Aufgrund ihrer dominanten Stellung in der Weltpolitik leidengerade die westlichen Akteure in dieser Hinsicht oft unter einem Mangel an Sensibi-lität. In einer Welt, die im Zuge der Globalisierung immer »enger zusammenrückt«,könnte es sich als entscheidendes Manko erweisen, die Anerkennungserwartungenanderer Kulturen und ihrer Akteure zu leicht zu nehmen (Maalouf 2000: Kap. 2; Sen2007: Kap. 5, 152-154; Lindner 2006: Kap. 3). Dies gilt nicht zuletzt für denBereich der Entwicklungszusammenarbeit, interagieren hier doch Akteure ausunterschiedlichen Kulturen vor dem Hintergrund asymmetrischer Interdependenz,die in der persönlichen Begegnung leicht als unangemessene Statusdifferenz erlebtwerden kann.37 »Entwicklungshilfe« kann so von ihren Adressaten als herablassen-des Verhalten wahrgenommen werden (Iweala 2007; Tevoedjre 2002: 43, 84; Lind-ner 2006: 83). Verschärft wird dieses Problem womöglich noch durch den westli-chen Menschenrechtsdiskurs, insofern er unter seinen Adressaten die Erwartunggleicher Anerkennung weckt oder verstärkt (Lindner 2006: 28, 43, 83-87). Westli-che Organisationen, die sich für Menschenrechte und Entwicklung einsetzen, kön-nen sich deshalb um die Früchte ihrer Arbeit bringen, wenn sie einerseits Anerken-nungsbedürfnisse verstärken, die sie andererseits durch die unbeabsichtigteVerweigerung von Respekt frustrieren.

Ähnliches gilt für die Beziehungen zur islamischen Welt und speziell zum arabi-schen Kulturkreis. In Anbetracht der zahlreichen internationalen und innenpoliti-schen Konflikte, der demographischen Herausforderungen und der besonders inten-siven Missachtungserfahrungen dieses Kulturkreises ist ein einfühlsamerer Umgangmit ihm, insbesondere mit seinen zivilgesellschaftlichen Akteuren, zweifellos gebo-ten. Der interkulturelle Dialog stellt hier, wenn er mit dem nötigen Respekt geführtwird, tatsächlich ein Stück »aktive Sicherheitspolitik« (Foroutan 2006: 25) dar. Da-bei kann es aus westlicher Perspektive natürlich nicht darum gehen, dass menschen-rechtsverachtende Diktaturen ausdrücklich größerer Respekt gezollt wird. Dies istweder notwendig, noch wäre es hilfreich (vgl. Lewis 2003: 119-122). Weit deutli-cher als in der Vergangenheit ließen sich allerdings islamische Beiträge zur kulturel-len Entwicklung der Menschheit würdigen. Die Ignoranz, die weite Teile der westli-chen Gesellschaften diesbezüglich »auszeichnet«, ist in der Tat eine »fataleSchwäche« (Müller 1998: 241). Sie erschwert nicht nur das Verständnis der regio-nalen Politik, sondern sie muss auch ungewollt den Eindruck erwecken, dass arabi-sche Politiker und Gruppen nur die Aufmerksamkeit westlicher Akteure und Gesell-schaften gewinnen können, wenn sie Gewalt anwenden, nachMassenvernichtungswaffen streben oder den »Ölhahn« zudrehen. Ansonsten laufensie Gefahr, nahezu ignoriert zu werden (Hafez/Richter 2007).

37 Bezeichnenderweise trägt der Bericht einer unabhängigen Kommission afrikanischerExperten, die im Auftrag von Kofi Anan die Entwicklungsperspektiven ihres Kontinentsaufzeigen sollte, den programmatischen Titel »Winning the War against Humiliation«(Tevoedjre 2002).

Reinhard Wolf: Respekt

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Der erste Punkt auf der weiteren Agenda sollte jedoch eine Plausibilitätsprobesein, mit der zu untersuchen wäre, ob das Streben nach Respekt überhaupt ein eigen-ständiges Anliegen oder Interesse internationaler Akteure darstellt. Hierfür bietetsich zunächst die Betrachtung von »most likely cases« an, in denen man gemäß denoben vorgestellten Hypothesen besonders starkes Respektstreben erwarten würde.Unter solchen Fällen wären zunächst diejenigen auszusuchen, die mit den auf mate-rielle Interessen fokussierten Theorien nicht gut zu erklären sind, z. B. kostspieligeKonflikte, die ohne realistische Aussicht auf Erfolg fortgeführt werden. Erst wenneinige solcher Tests bestanden worden sind, wäre an theoretische Verfeinerungenund detaillierte Analysen zu denken. Dabei verdienen folgende Punkte besondereBeachtung: Zum einen sollte der konzeptuelle Apparat verfeinert werden. Hierzuwären die verschiedenen Dimensionen von »Respekt« genauer gegeneinander abzu-grenzen und ggf. auf kulturell spezifische Konnotationen zu untersuchen. ZumZweiten sind die hier nur grob skizzierten Hypothesen genauer auszuformulieren.Hierfür sollten nicht zuletzt Ergebnisse von Nachbardisziplinen wie der Sozialpsy-chologie, Soziologie oder der Verhandlungstheorie systematisch berücksichtigt wer-den, aber u. U. auch Erfahrungen aus der diplomatischen Praxis. Drittens wäre zuanalysieren, unter welchen Bedingungen internationale Akteure wie stark nach wel-chen Bezeugungen von Respekt streben. Viertens wären unter Verwendung dieserErgebnisse die interaktiven Dynamiken des Respektstrebens eingehend zu erfor-schen, wobei besonderes Augenmerk auf Respektstreben als unabhängige Variablezu legen wäre (vgl. Wolf 2008). Fünftens wären weitere Interaktionsformen zuuntersuchen, bei denen Respekt ebenfalls eine besondere Rolle spielt, insbesonderedie verschiedenen Handlungen und Gesten mit denen Respekt bezeugt, eingefordertund wieder verloren wird.38 Sofern die Plausibilitätsproben »bestanden« werden,eröffnet die Analyse des grenzüberschreitenden Respektstrebens also ein neues For-schungsfeld für die Internationalen Beziehungen. Die heute schon komplexe Diszi-plin würde dadurch kaum an Übersichtlichkeit gewinnen, vielleicht aber anPraxisrelevanz und Realitätsnähe.

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38 Den Hinweis auf diese sinnvolle Öffnung für Fragen jenseits des Strebens nach Respektverdanke ich einem der Gutachten.

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Thorsten Bonacker/Sina Schüssler

EntgrenzungsfolgenNGOs und die Quellen politischer Macht in der Weltgesellschaft am Beispiel internationaler Sanktionen

Der Artikel knüpft an die jüngst von Zürn et al. (2007) fortgesetzte Debatte umdie Entstehung einer transnationalen politischen Ordnung an. Im Gegensatzzu steuerungstheoretischen Analysen dieses Wandels orientiert sich der vorlie-gende Beitrag an einer stärker soziologisch ausgerichteten Theorie derWeltgesellschaft, die den Wandel der internationalen Beziehungen vor allem alsEntgrenzung der Staatenwelt beschreibt. Anliegen des Aufsatzes ist es, eineForschungsperspektive zu stärken, die sich den Folgen von Entgrenzungsprozessenund der Neuformierung von Ordnungs- und Strukturmustern internationaler Politikzuwendet. In unserem Beitrag konzentrieren wir uns auf Entgrenzungsfolgen fürNichtregierungsorganisationen. Zu diesem Zweck rekonstruieren wir Entgrenzungs-und Ordnungsbildungsprozesse in der internationalen Politik. Unsere These lau-tet, dass sich Entgrenzung als Ausdifferenzierung von autonomen Quellentransitiver und intransitiver politischer Macht verstehen lässt und dass dieseAusdifferenzierung für NGOs neue Einflussmöglichkeiten eröffnet, dies aberzugleich mit neuen Handlungsdilemmata und Zielkonflikten für NGOs verbundenist. Wir illustrieren diese These am Beispiel der Rolle von NGOs bei derVerhängung und Forderung von internationalen Sanktionen.

1. Einleitung

Der forschungsprogrammatische Beitrag von Michael Zürn, Martin Binder, MatthiasEcker-Ehrhardt und Katrin Radtke aus dem vorletzten Heft der Zeitschrift für Inter-nationale Beziehungen liefert eine Analyse der Entwicklung der internationalenPolitik nach dem Zweiten Weltkrieg hin zu einer politischen Ordnung jenseits desNationalstaats. Aus einer steuerungs- bzw. governance-theoretischen Perspektiveerläutern die Autoren, dass sich das Regieren zunehmend auf supra- und transnatio-nale Institutionen verlagert hat, dass diese Verlagerung als nichtintendierte Hand-lungsfolge der internationalen Gesellschaft zu verstehen ist und dass dieser Prozessvon einer Politisierung internationaler Institutionen begleitet wird. In Anlehnung aneine Formulierung von Dieter Senghaas (1998) wird diese Transformation der inter-nationalen Beziehungen als eine »politische Ordnungsbildung wider Willen« (Zürnet al. 2007: 129) beschrieben, deren Entwicklungsdynamiken es mit den Mitteln deshistorischen Institutionalismus zu erklären gelte.

Im Folgenden greifen wir die Grundintention dieses Beitrages auf, indem wirebenfalls von einem Wandel der internationalen Politik hin zur Institutionalisierung

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transnationaler Ordnungsmuster ausgehen.1 Insbesondere rekurrieren wir dabei aufdrei aus unserer Sicht plausible Argumente: erstens auf die These, dass sich dieserOrdnungswandel in den internationalen Institutionen als – nichtintendierter – Wan-del von einem regierungszentrierten, exekutiven hin zu einem gesellschaftlichen,nachhaltigen Multilateralismus vollzieht (vgl. Zürn et al. 2007: 133). Zweitens tei-len wir in theoretisch-konzeptioneller Hinsicht die Einschätzung der Autoren, dasses nach den Debatten zwischen Realismus, Liberalismus und Konstruktivismusdarum geht, eine Mittelposition zu finden, die auf der einen Seite von Macht alseinem Zentralbegriff der Internationalen Beziehungen ausgeht und die auf der ande-ren Seite »für die Bedeutung von Normen und gesellschaftlichen Akteuren offenist« (Zürn et al. 2007: 141). Letzteres verweist auch aus unserer Sicht, drittens, aufdie Notwendigkeit einer stärker soziologischen Perspektive auf Formen internatio-naler und globaler Vergesellschaftung (vgl. Bonacker 2007b).

Eine solche stärker soziologische Position wollen wir im Folgenden einnehmenund dabei in Bezug auf die Beschreibung des Wandels politischer Ordnung andereAkzente setzen als der aus unserer Sicht zu stark steuerungstheoretische Ansatz vonZürn et al. Erstens entfalten wir unsere Argumentation im Rahmen einer Theorie derWeltgesellschaft, in der der Wandel der internationalen Politik in erster Linie als»Entgrenzung der Staatenwelt« (Albert 1998) beschrieben wird. Interessant amweltgesellschaftlichen Entgrenzungskonzept ist aus unserer Sicht, dass es erlaubt,den Wandel der internationalen Beziehungen nicht als Transformation einer Ord-nung in eine neue Ordnung zu denken, sondern als Ausdifferenzierung unterschied-licher, gleichzeitig existierender Ordnungsmuster, die unter Umständen miteinanderin Konflikt geraten können. Hier teilen wir die in Brocks Replik vertretene Auffas-sung, dass für die entgrenzte Weltgesellschaft die Gleichzeitigkeit unterschiedlicherProzesse und Ordnungsmuster charakteristisch ist (vgl. Brock 2007). Im vorliegen-den Beitrag entwickeln wir zu diesem Zweck eine differenzierungstheoretische Per-spektive auf den Wandel und die Formierung politischer Ordnungen in der Weltge-sellschaft. Unsere Kernthese lautet dabei, dass sich im Zuge der politischenEvolution der Weltgesellschaft drei Quellen politischer Macht im Rahmen verschie-dener politischer Ordnungsmuster ausdifferenziert haben, die Akteure der internati-onalen Politik in unterschiedlicher Weise (de-)legitimieren und die von Akteuren inunterschiedlicher Weise als Handlungsressource verwendet werden können.

Zweitens gehen wir davon aus, dass politische Ordnung nur dann dauerhaft stabilist, wenn sie sich auf intransitive Macht, also auf die Symbolisierung einer gemein-sam geteilten Leitidee stützen kann (vgl. Göhler 2000). Eine transnationale politi-sche Ordnung bedarf also nicht nur transnationaler Institutionen des Regierens, son-dern ebenso einer Symbolisierung der Geltungsgrundlagen dieser Ordnung, etwa

1 Für Anregungen und Kommentare danken wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmernder Tagung »Macht, Ohnmacht, Gegenmacht: Nicht-staatliche Akteure im globalenRegieren« am Hanse-Wissenschaftskolleg, organisiert von der Graduate School of SocialSciences (GSSS) und dem Institut für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS)der Universität Bremen, sowie André Brodocz, Christoph Weller und den Gutachternund Gutachterinnen der ZIB.

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durch universelle Normen (vgl. Bonacker/Brodocz 2001). Und drittens wollen wirmit dem Beitrag eine Forschungsperspektive auf die Folgen – und weniger auf dieUrsachen – des politischen Entgrenzungsprozesses und der Neuformierung vonOrdnungsmustern der internationalen Politik stärken. Im vorliegenden Text konzen-trieren wir uns dafür auf die Folgen der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Quel-len politischer Macht für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und entwickelnunsere theoretisch-konzeptionelle Forschungsperspektive auf Entgrenzungsfolgenin der Weltgesellschaft im Anschluss an die Debatte um die Bedeutung und den Ein-fluss von NGOs in der internationalen Politik. Unsere These dazu lautet, dass politi-sche Entgrenzung nicht gleichbedeutend ist mit einem gestiegenen Einfluss vonNGOs, wie es viele Beiträge der Forschung zu gesellschaftlichen Akteuren nahele-gen. Vielmehr entstehen mit der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Quellen poli-tischer Macht für NGOs sowohl neue Handlungsoptionen als auch neue Handlungs-dilemmata und Rationalitätskonflikte.

Für einen theoretischen Rahmen der Analyse von Entgrenzungsfolgen für NGOsbietet sich unseres Erachtens eine weltgesellschaftliche Perspektive an. Theorien derWeltgesellschaft haben den Vorzug, keinen staatszentrierten Blick auf die internati-onale Politik zu werfen2. Politik ist aus weltgesellschaftlicher Sicht eine global aus-differenzierte Sphäre, in der Staaten nur in einer bestimmten historischen Phase undin bestimmter Hinsicht dominante Akteure waren (vgl. dazu auch die Beiträge inAlbert/Stichweh 2007). Darüber hinaus fokussieren Theorien der Weltgesellschaft,hierin dem von Zürn et al. nahegelegten historischen Institutionalismus durchausähnlich, auf gesellschaftlichen Wandel, also auf die Veränderung politischer Struk-turen und auf die Entstehung emergenter Ebenen politischen Handelns und Regie-rens.

Unsere Überlegungen wollen wir schließlich nicht in einer rein theoretischen Dis-kussion, sondern im Rahmen eines spezifischen Politikfeldes der internationalenBeziehungen entwickeln und illustrieren, nämlich am Beispiel der Verhängung undDurchführung von internationalen Sanktionen. In einem ersten Schritt wollen wirzeigen, dass politische Entgrenzung im Fall von Sanktionen zu einem Nebeneinan-der unterschiedlicher Sanktionsstrategien geführt hat. NGOs versuchen unter Rück-griff auf unterschiedliche Quellen politischer Macht Einfluss auf die Verhängungund Durchführung von Sanktionen zu nehmen bzw. treten im Zuge der Entstehungpostterritorialer politischer Macht vermehrt selbst als Sanktionsagenten auf. Politi-sche Entgrenzung eröffnet damit auf der einen Seite Einflussmöglichkeiten fürNGOs. Auf der anderen Seite – und dies wollen wir abschließend zeigen – kann dieAusdifferenzierung unterschiedlicher Quellen politischer Macht auch zu neuenDilemmata und zu Rationalitätenkonflikten führen, mit denen sich NGOs konfron-tiert sehen.

Der Aufsatz soll als konzeptioneller Beitrag für eine empirische Forschung zu denFolgen von Differenzierungs- und Entgrenzungsprozessen der Politik der Weltge-

2 Vgl. Bonacker/Weller (2007); vgl. zur soziologischen Theorie der Weltgesellschaft auchLuhmann (1971); Stichweh (2000, 2007); Luhmann (2000: 220-227).

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sellschaft verstanden werden. Für NGOs bedeuten diese Prozesse, so unsere These,nicht nur eine Optionssteigerung in Bezug auf mögliche Quellen politischer Kom-munikation, sondern sie führen angesichts struktureller Komplexität auch zu neuenHandlungsproblemen, mit denen sich NGOs konfrontiert sehen. Eine von unsabschließend diskutierte Folge der Differenzierung von Machtquellen besteht etwadarin, dass sich NGOs im Zuge der strukturell abgesicherten Möglichkeit postterri-torialer Sanktionsmacht zunehmend selbst als mächtige Akteure der Weltpolitik dar-stellen müssen, damit aber eine andere, klassische Quelle ihrer Macht gefährden.

2. Transitive und intransitive Macht in der internationalen Politik

Nachdem Weltpolitik im Rahmen der westfälischen Ordnung in erster Linie eineAngelegenheit staatlicher Außenpolitik war, ist in den letzten Jahren die zuneh-mende Bedeutung nicht-staatlicher Akteure und speziell von NGOs in der internatio-nalen Politik betont worden. Die Diagnosen dazu reichen von der Behauptung einerweitgehenden »Privatisierung der Weltpolitik« (Brühl et al. 2001) bis hin zur Beob-achtung der Entstehung einer transnationalen Zivilgesellschaft, die die Macht derStaaten auf globaler Ebene begrenze. »The power of transnational civil society«, soAnn Florini (2000: 211), »manifests itself at virtually every stage of policy making,from deciding what issues need attention to determining how problems will be sol-ved to monitoring compliance with agreements«. Sie bringt damit den Konsens inder Forschung zur neuen Macht nicht-staatlicher Akteure im Zuge der Entstehungeiner emergenten Ebene transnationalen Regierens auf den Punkt: NGOs erfüllenwichtige Aufgaben im Kontext von Global Governance und sie sind aus mehrerenGründen ein mittlerweile unverzichtbares Element der Weltpolitik: Als transnatio-nale Akteuren stellen sie eine Art »conscience of the world« (Willets 1996) dar,indem sie einen weltgesellschaftlichen Bezugrahmen für politisches Handeln schaf-fen. Darüber hinaus übernehmen sie in gewissem Umfang selbst Regierungsfunktio-nen, beispielsweise wenn sie selbstständig mit Unternehmen vertragsähnliche Rege-lungen vereinbaren. Zusätzlich inkludieren sie über advocacy networks Teile derWeltbevölkerung, die ansonsten keinen Zugang zur Weltpolitik hätten, etwa weilStaaten sie nicht politisch teilhaben lassen (vgl. Keck/Sikkink 1998). Schließlichverfügen NGOs zum Teil über wichtige Expertise und über einen privilegiertenZugang zu Wissen, der sie für effektives transnationales Regieren beispielsweise inder Entwicklungszusammenarbeit im Kontext eines globalen Systems sozialer Hilfeoder auch in der Unweltpolitik (vgl. u.a. Brühl 2003) unverzichtbar macht.

Weil viele dieser Erfolge mit einer Beeinflussung des außenpolitischen Handelnsvon Staaten und der Arbeit internationaler Organisationen verbunden sind, scheintdie These nahezuliegen, dass die politische Macht in der Weltgesellschaft eine ArtNullsummenspiel ist: Was Staaten auf der einen Seite an Macht einbüßen, gewinneninternationale und nicht-staatliche Akteure auf der anderen Seite hinzu. Bestärktwird diese Sichtweise zudem dadurch, dass transnationale NGOs Staaten auch

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innenpolitisch mitunter so stark unter Druck setzen können, dass sich jene zu einemPolitikwechsel etwa gegenüber unterdrückten Gruppen gezwungen sehen.

Zwei Argumente sprechen jedoch gegen eine solch simplifizierende Sichtweise:Erstens verwechselt sie Macht und Einfluss. Einfluss greift zwar auf Macht zurückund Macht muss in Einfluss umgesetzt werden, dennoch sind beide terminologischvoneinander zu unterscheiden: Macht ist eine Bedingung der Möglichkeit der Ein-flussnahme. Stünde nicht-staatlichen Akteuren gesellschaftlich nicht die Möglich-keit zur Verfügung, auf Macht zurückzugreifen, könnten sie keinen Einfluss aufpolitische Entscheidungen ausüben. Die Tatsache, dass nicht-staatliche Akteurepolitisch, also mit Macht handeln können, sagt aber wiederum noch nichts überihren tatsächlichen Einfluss aus, sondern nur darüber, auf welche Form politischerMacht sie sich stützen. Während im Fall des politischen Einflusses der Zugewinnder einen Seite einen Verlust von Einfluss auf der anderen Seite nach sich ziehenkann, ist Macht gesellschaftsweit verfügbar, ohne dass sie verbraucht werdenwürde. Ansonsten wäre politisches Handeln dem Risiko ausgesetzt, die eigene Vor-aussetzung, nämlich die Verfügung über Macht, zu untergraben. Es wäre alsoschlicht zu riskant, politisch zu handeln.

Zweitens homogenisiert die Sichtweise von der Gegenüberstellung staatlicher undnicht-staatlicher Macht die internationale Politik in Richtung auf einen »clash ofactors« und verfehlt damit das Hauptmerkmal der postwestfälischen internationalenOrdnung, nämlich die Komplexität der Weltpolitik, die sich nicht auf eine Plurali-sierung weltpolitischer Akteure beschränkt. Vor diesem Hintergrund ist ThomasRisses kritischem Kommentar zur starren Gegenüberstellung von staatlichen undnicht-staatlichen Akteuren beizupflichten: »It would be preposterous to claim thatINGO world simply represents global civil society against the inter-state system«(Risse 2002: 260; ähnlich Ougaard 2002: 32). Eine solche einfache Gegenüberstel-lung verbietet sich nicht nur, weil Staaten nicht-staatliche Akteure finanzieren, aktivunterstützen, in ihrem Anliegen bestärken oder gelegentlich auch instrumentalisie-ren können, sondern auch, weil sie den Wandel der internationalen Beziehungen miteinem gestiegenen Einfluss von NGOs gleichsetzt. Die Folgen der Entgrenzung derStaatenwelt erschöpfen sich aber keineswegs in der Feststellung, NGOs seien ein-flussreicher oder mächtiger geworden (vgl. dazu Brunnengräber et al. 2005).

Um Macht und Einfluss nicht vorschnell gleichzusetzen, bedarf es einer konzepti-onellen Erweiterung des klassischen Machtbegriffs. Macht gehört zu den zentralenBegriffen nicht nur der Politikwissenschaft und politischen Soziologie, sondern vorallem auch der Internationalen Beziehungen. Seit gut dreißig Jahren gibt es immerwieder neue Anläufe, dem neorealistischen Machtbegriff, der die InternationalenBeziehungen lange Zeit dominierte, etwas entgegenzusetzen und Macht nicht nurals Maxime außenpolitischen Handelns zu verstehen (vgl. für eine Übersicht Bar-nett/Duvall 2005). Einflussreich für die neuere Diskussion um Macht war vor allemLukes’ Erweiterung des klassischen, Weber entlehnten Machtbegriffs um eine dritteDimension von Macht: Während Macht klassisch als Fähigkeit (oder Chance) vonAkteuren, ihren Willen gegen Widerstand durchsetzen, verstanden wird, weisen Ste-ven Lukes (1974, 2005) sowie Peter Bachrach und Morton Baratz (1963) darauf hin,

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dass Macht bereits dort anfängt, wo Themen vorselektiert und legitime Identitätenkonstruiert werden. Macht kann sich auch im Konsens darüber ausdrücken, dassbestimmte Themen, Ansichten, Diskursarten und Akteure legitime Elemente inter-nationaler Politik sind und andere nicht. Diese Form der Macht ist in gewisserWeise konstitutiv für das Handeln von Akteuren. Zahlreiche Autoren und Autorin-nen haben – begrifflich jeweils unterschiedlich – im Anschluss an diese Unterschei-dung Vorschläge gemacht, den klassischen Machtbegriff zu reformulieren. Im Kernlaufen viele dieser Vorschläge darauf hinaus, zwischen – mindestens – zwei Fähig-keiten sozialer Akteure zu unterscheiden: zwischen der Fähigkeit, den eigenen Wil-len gegen andere durchzusetzen und der Fähigkeit, soziale Beziehungen zu struktu-rieren. Ersteres bezeichnet ein direktes Machthandeln, letzteres ein indirektes (soetwa Barnett/Duvall 2005). Ähnlich gelagert ist die Unterscheidung zwischen powerover und power to: Während power over die unmittelbare Machtausübung meint,zielt power to auf die institutionellen oder strukturellen Voraussetzungen der unmit-telbaren Machtausübung und ist in diesem Sinne – wie im Anschluss an Michel Fou-cault hervorgehoben wird – produktiv. Im Rahmen der Diskussion um die Machtvon NGOs wird vor diesem Hintergrund vor allem deren Fähigkeit betont, Einflussauf die Agenda internationaler Politik zu nehmen und nicht-materielle Machtres-sourcen wie Wissen oder moralische Autorität zu mobilisieren (vgl. etwa Holzschei-ter 2005). Auch das soft power-Konzept von Joseph Nye zielt in diese Richtung: Alssoft power beruht Macht nicht auf unmittelbarem Zwang, sondern darauf, dass Ideenund Handlungsoptionen für andere attraktiv sind (Nye 2004; Mattern 2005). Kon-struktivistische Ansätze heben in diesem Zusammenhang hervor, dass Ideen undNormen, an denen sich NGOs orientieren, ihnen eine spezifische Handlungsmachtin der internationalen Politik verleihen. Aus dieser Perspektive erscheint die Machtvon NGOs, ihre Vorstellungen gegen Widerstand durchzusetzen (power to), auf derMacht universalistischer Normen zu beruhen, die wiederum NGOs ermächtigen, alsrelevante Akteure der internationalen Politik aufzutreten (power over).

In gewisser Weise spiegelt die neuere Diskussion um Macht als Kernbegriff derInternationalen Beziehungen damit die Auseinandersetzungen zwischen handlungs-und strukturtheoretischen Konzepten in den Sozialwissenschaften wieder. Machtwird auf der einen Seite als Fähigkeit (capacity) von individuellen oder kollektivenAkteuren und auf der anderen Seite als Effekt von Strukturen verstanden, dieAkteure erst ermächtigen (empowerment), zu handeln und Macht auszuüben. Es ver-wundert daher auch nicht, dass es mittlerweile auch Vorschläge gibt, Macht als Dua-lität von Struktur und Handeln zu konzipieren.3 Allerdings führen aber auch dualis-tische Ansätze noch insofern einen klassischen Machtbegriff mit, als unter Machtein spezifisches Handlungsvermögen verstanden wird – unabhängig davon, ob die-ses Vermögen Strukturen vorausgeht oder von Strukturen hervorgebracht wird. Eingutes Beispiel dafür ist die an Anthony Giddens orientierte, dualistische Macht-Konzeption von Bas Arts: »Power is the organizational and discursive capacity of

3 Vgl. allgemein Haugaard (2003); Clegg (1989) und speziell für die InternationalenBeziehungen natürlich Wendt (1999).

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agencies, either in competition with others or jointly, to achieve certain outcomes inglobal governance, a capacity which is, however, co-determined by the social struc-tures in which these agencies operate« (Arts 2003: 13).

Gegen den klassischen sozialwissenschaftlichen Machtbegriff, der Macht alsHandlungsvermögen versteht, etwas gegen erwarteten Widerstand durchzusetzenbzw. Ergebnisse kausal zu beeinflussen, hat Niklas Luhmann eingewendet, dass dieBeobachtung von Kausalität selbst eine typische Eigenschaft politischen Handelnsist. Etwas als Macht zu beschreiben, heißt, es als absichtsvolle Handlung zu katego-risieren, die gezielt und erfolgreich Einfluss auf anderes Handeln genommen hat.Luhmann wechselt damit die Fragerichtung: Statt kausale Zusammenhänge zurekonstruieren, fragt er danach, was passiert, wenn in sozialen Beziehungen aufMacht zurückgegriffen wird. Seine Antwort lautet: Typischerweise werden Beteilig-ten Motive und Kausalitäten unterstellt. Politisches Handeln benötigt offenbar sol-che Unterstellungen, um als solches erkennbar zu sein. Damit ist ein grundsätzlicherWechsel in der Diskussion um Macht als Kernbegriff der Internationalen Beziehun-gen vollzogen: Es geht aus Luhmanns Sicht darum zu zeigen, wie Macht kommuni-ziert wird, wie es also im Rahmen von Kommunikationsprozessen gelingt, Machteinzuführen und auf Macht zurückzugreifen, um soziale Beziehungen zu strukturie-ren.

Als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium dient Macht dazu, Kom-munikation zu ermöglichen und fortzusetzen. Vor allem aber motivieren Kommuni-kationsmedien dazu, Kommunikationsangebote und die mit ihnen einhergehendenSelektionen anzunehmen, sich also gleichsam auf Macht einzulassen und auf Machtmit Macht zu antworten. Das Charakteristikum einer Macht- im Gegensatz zu einerRechts-, Liebes- oder einer Wirtschaftskommunikation besteht darin, dass Machtdie Beteiligten in Machthaber und Machtunterworfene einteilt und impliziert, dassdas Handeln der einen Seite das Handeln der anderen Seite kausal beeinflusst.Macht bedeutet also zum einen Kontingenz, nämlich die Unterstellung, dass alleBeteiligten auch anders handeln könnten. Zum anderen werden durch die Verwen-dung von Macht Handlungsalternativen asymmetrisiert. Mit einer Machtkommuni-kation wird nicht nur mitgeteilt, dass man ein spezifisches Verhalten der anderenSeite erwartet und bei Erwartungsenttäuschung entsprechend reagieren würde, son-dern auch, dass man diese Reaktion lieber nicht realisieren würde (vgl. Luhmann1975: 50).

Im Rahmen der Diskussion um den Machtbegriff der Internationalen Beziehungenhat vor allem Stefano Guzzini (2004) den Vorzug, aber auch die Probleme von Luh-manns Machtbegriff hervorgehoben. Ein Hauptkritikpunkt lautet dabei, dass Luh-mann Macht letztlich auf Durchsetzungsmacht reduziert. Demgegenüber hat Ger-hard Göhler im Rahmen der Theorie institutioneller Ordnung vorgeschlagen,zwischen transitiver und intransitiver Macht zu unterscheiden:

»Das Grundmuster transitiver Macht ist die Unterordnung des Willens unter den Willeneines anderen. [...] Wenn Macht ausgeübt wird, so hat diese Beziehung die Struktur, dassdurch den Willen des Akteurs ALTER die Handlungsoptionen des Akteurs EGO entspre-chend der Präferenzen von ALTER eingeschränkt bzw. ausgerichtet werden« (Göhler1997: 40).

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Transitive Macht ist stets auf andere bezogen und zielt als politische Macht auf dieMöglichkeit, kollektiv bindende Entscheidungen zu beeinflussen. Intransitiv istMacht hingegen, wenn sie reflexiv, d. h. auf sich selbst bezogen ist und einengemeinsamen, symbolisch präsenten Handlungsraum schafft bzw. ihn reproduziert.

»Während transitive Macht als Willensdurchsetzung stets konfliktiv angelegt ist,erscheint eine auf gemeinsame Überzeugungen beruhende Macht als konsensuell. Ver-stetigt wird diese Form der Macht jedoch erst, wenn sie durch Leitideen symbolisiertwird. Nur so bleiben die Ordnungsprinzipien über den Moment ihrer Genese dauerhaftpräsent, ohne die paradoxe Anforderung, den Konstituierungsakt selbst immer wiederho-len zu müssen« (Brodocz 2005: 18).

Macht hat in diesem Sinne immer auch einen Legitimationsbezug. Jede Machtkom-munikation knüpft an – und generiert damit – eine spezifische Symbolordnung desPolitischen, innerhalb derer Akteure, Themen, Kausalitätsvorstellungen oder norma-tive Ideen erfolgreich Geltung beanspruchen können. Intransitive Macht ist insoferngleichbedeutend mit empowerment, d. h. mit der Ermächtigung und der sozialenKonstruktion legitimer Akteure, und mit Standards angemessenen Verhaltens undgültiger kollektiv geteilter Deutungsmuster.4 Intransitive Macht ist in diesem Sinnekonstitutiv, d. h. sie generiert einen Handlungsraum, innerhalb dessen Akteure Ein-fluss aufeinander ausüben können.

Macht hat als Medium der internationalen Politik folglich zwei Seiten: Sie speistsich sowohl aus transitiver als auch aus intransitiver Macht. Machtkommunikationbezieht sich auf kollektiv bindende Entscheidungen und auf kollektiv geteilte Deu-tungsmuster. Sie hat mit anderen Worten eine instrumentelle und eine symbolischeKomponente, indem sie mit der gleichen Operation regulativen Einfluss auf Ent-scheidungen nimmt und symbolisierte Ordnungsprinzipien reproduziert bzw. zu ver-ändern versucht.5

In der Diskussion um die Macht von NGOs ist die Unterscheidung zwischen tran-sitiver und intransitiver Macht insofern von Bedeutung, als mit ihr hervorgehobenwird, dass sich diese Macht zum einen auf Strategien der Beeinflussung und damitauf die Herstellung politischer Entscheidungen beziehen kann. Zum anderen mobili-sieren NGOs aber auch symbolische Ressourcen, um Deutungsmuster zu beeinflus-sen, was in der Debatte um die Macht nicht-staatlicher Akteure häufig auch als dis-kursive Macht bezeichnet wird (vgl. Holzscheiter 2005). Diskursive Macht zielt aufdie kommunikative Konstruktion kollektiver Deutungsmuster politischer Probleme:

»A discourse refers to a more or less coherent set of values, norm, ideas, concepts, buzz-words, testimonies, produced, reproduced or transformed by a group of societal actors, togive meaning to a certain practice. […] NSA’s [non-state actors, TB/SiS]‚ framing thepolitical discourse’ means that these private actors give meaning to a certain politicalphenomenon, such as global warming, by formulating and using new sets of values,ideas, concepts, etc. or by adapting or re-interpreting old ones« (Arts 2003: 23, vgl. auchArts 2000).

4 Vgl. auch Göhler (2004); für die IB auch Lipschutz (2005).5 Vgl. zur Unterscheidung zwischen instrumenteller und symbolischer Dimension auch

Brodocz (2002, 2005); Bonacker/Brodocz (2001); vgl. zur Bedeutung von Macht fürpolitische Ordnungsbildung auch Zürn et al. (2007: 152-154).

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Entscheidend ist hier aus differenzierungstheoretischer Sichtweise zweierlei: Ers-tens, dass nicht nur nicht-staatliche Akteure wie NGOs in der Lage sind, auf intransi-tive bzw. diskursive Macht zurückzugreifen. Auch Staaten üben in hohem Maße dis-kursive Macht aus. Und zweitens ist intransitive Macht an die Ausdifferenzierungpolitischer Sphären und weniger an spezifische Akteure gebunden.

Typische Strategien von NGOs lassen sich nicht auf eine der beiden Dimensionenpolitischer Macht beschränken, sondern umfassen beide: Campaigning, lobbying,Protest, aber auch das Bereithalten von Expertise und advokatorisches Handelnrekurrieren als verschiedene Varianten von Machtkommunikation sowohl auf politi-sche Entscheidungsprozesse, die gesteuert werden sollen, als auch auf Ordnungs-prinzipien und auf mit ihnen verbundene Sichtweisen des Politischen, die das eigeneHandeln legitimieren und anderes delegitimieren können.

3. Quellen politischer Macht in der Weltgesellschaft

Politische Macht gibt es nicht außerhalb des politischen Systems der Weltgesell-schaft. Die politische Evolution der Weltgesellschaft lässt sich treffend als Prozessder Entgrenzung beschreiben, d. h. als ein Vorgang, in dessen Verlauf die strukturie-rende Kraft territorialer Grenzen abnimmt. Das heißt freilich nicht, dass Staaten ver-schwinden, sondern zunächst nur, dass territoriale Grenzen für die Konstruktionpolitischer Ordnungszusammenhänge eine geringere Rolle spielen.

»Globalisierung bezeichnet in diesem Sinne nicht bestimmte Entwicklungstendenzen inPolitik, Wirtschaft, Kultur usw., sondern vielmehr den Umstand, dass alle diese Entwick-lungstendenzen sich als Ausdifferenzierung von Referenzsystemen vollziehen, insbeson-dere von solchen, die territorialstaatliche überspannen« (Albert 1998: 51; vgl. auchLinklater 1998).

Mit Entgrenzungsprozessen entstehen neue Ordnungsmuster, die nicht an die Stellealter, territorialer Ordnungen, sondern neben sie treten. Für die Staatenwelt bedeutetEntgrenzung mithin, dass sie nur noch ein Strukturelement internationaler Politikneben anderen ist (vgl. Brock/Albert 1995). Zentrale Mechanismen einer Entgren-zung der Staatenwelt sind Prozesse der Verrechtlichung der internationalen Bezie-hungen und die Entwicklung intergouvernementaler Organisationen; die Bildungtransnationaler, funktionsspezifischer Regime, die Herausbildung inter- und transna-tionaler politischer Netzwerke und natürlich die Entstehung weltpolitisch relevanternicht-territorialer politischer Akteure und kollektiver Identitäten. Aus steuerungs-bzw. governance-theoretischer Sichtweise ist dieser Prozess bekanntlich als Denati-onalisierung und als Ausdifferenzierung unterschiedlicher Entscheidungsebenenbeschrieben worden, die sich in einem komplexen System von Global Governancezunehmend wechselseitig voraussetzen und durchdringen.6

Aufgrund der Annahme, dass Macht die basale Operation des politischen Systemsdarstellt, liegt es nahe, Entgrenzung nicht nur als Deterritorialisierung der Politik,

6 Vgl. auch hierzu Zürn et al. (2007); Nye/Donahue (2000); Zürn (1998); Jachtenfuchs/Kohler-Koch (1996).

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sondern auch als Ausdifferenzierung unterschiedlicher Quellen politischer Macht zuverstehen.7 Dieser Vorschlag folgt in gewisser Weise der Intention von JamesRosenaus Konzept der »spheres of authority« (1997: 39), in denen Gefolgschaft auf-grund von zugeschriebener oder wahrgenommener Autorität mobilisiert werdenkann. Diese Mobilisierung funktioniert nur im Rahmen ausdifferenzierter Sphärenmit jeweils unterschiedlichen Deutungsmustern und Politikkonzepten. Autorität ist,so ließe sich mit Blick auf Rosenau sagen, demnach abhängig von intransitiverMacht.

Rosenau entwickelt sein Konzept nicht zuletzt mit Blick auf die neuen, nicht-staatlichen Akteure der internationalen Politik. Es geht ihm darum zu zeigen, inwie-fern jene unsere Sichtweise auf legitime Staatlichkeit verändert haben, sodass Staa-ten gezwungen sind, sich diesem Wandel anzupassen, wenn sie nicht ihre weltge-sellschaftliche Anerkennung aufs Spiel setzen wollen. Gegenüber Rosenau wird hierEntgrenzung weniger als Differenzierung unterschiedlicher Akteursgruppen ver-standen, sondern stärker als Differenzierung unterschiedlicher politischer Rationali-täten und unterschiedlicher Referenzsysteme kollektiv bindenden Entscheidens.Anders gesagt: Entgrenzung bedeutet die Differenzierung unterschiedlicher Quellenpolitischer Macht, die sich auch als »governmental rationalities« (Sending/Neuman2006), d. h. als Rationalitäten internationaler Politik verstehen lassen.

Um diese Quellen politischer Macht zu beschreiben, greifen wir einen Vorschlagvon Lothar Brock (2004) auf, dem zufolge zwischen territorialen, semi-territorialenund postterritorialen oder globalen Elementen der Weltpolitik unterschieden werdenkann (vgl. auch Bonacker 2007a). Diesen drei Elementen entsprechen unterschiedli-che Perspektiven auf die internationale Politik sowie unterschiedliche Standardserwartbaren Verhaltens:

»If we look at the world as an international system constituted by the interaction of statesin the context of anarchy, we would consider it appropriate if political actors pursued acourse of defending autonomy. If we look at the world as an international society consti-tuted by institution-building and collective action derived from the very fact that statesconstitute each other by the way of mutual recognition, then political actors should bedriven more by considerations of self-binding than by considerations of autonomy«(Brock 2004: 91).

Das dritte, postterritoriale Element entsteht Brock zufolge durch multiple Repräsen-tation:

»Multiple representation refers to a plurality of actors who define their interests decrea-singly in terms of territorial demarcations and increasingly in terms of issue areas rela-ting to substantive or procedural concerns. In this way, change could easily be identifiedas a change of relative importance of autonomy, self-binding states and multiple repre-sentations« (Brock 2004: 91-92).

Alle drei Elemente bezeichnen Strukturbildungen innerhalb des politischen Systemsder Weltgesellschaft, die sich entweder stärker an der segmentären oder stärker ander funktionalen Binnendifferenzierung des politischen Systems orientieren.

7 Der Begriff der Machtquelle ist hier in einem strikt nichtessentialistischen Sinnegemeint. Eine Machtquelle existiert nicht außerhalb und unabhängig von ihrer Verwen-dung, sondern wird im Zuge der Referenz auf sie generiert und reproduziert.

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Politische Strukturbildungen sind nicht ohne Macht vorstellbar. Um die Theseeiner Entgrenzung des politischen Systems der Weltgesellschaft zu untermauern,scheint es deshalb sinnvoll, nach unterschiedlichen Formen bzw. Quellen der Machtzu suchen, über die sich politische Kommunikationen rekursiv vernetzen und Struk-turen bilden. Diese Strukturbildung vollzieht sich im Medium transitiver Macht zumeinen als Herausbildung von Zentren politischen, d. h. kollektiv bindenden Ent-scheidens. Zum anderen vollzieht sich Strukturbildung im Medium intransitiverMacht als Herausbildung und Reproduktion symbolischer Ordnungen, die legitimeAkteure, Ziele, Interessen und Beobachtungsschemata beinhalten.

Die Territorialisierung politischer Macht, die für die westfälische Staatenwelt ide-altypisch war, beruht weitestgehend auf einer territorialen Monopolisierung physi-scher Gewalt. Vor allem Michael Mann (2001) hat gezeigt, wie der Territorialstaatunterschiedliche Machtbereiche und soziale Klassen im Prozess des caging, also desterritorialen Eingrenzens, organisatorisch bündelte. Darüber gelang eine Zentralisie-rung politischer Macht im Inneren mit der Folge einer – nicht immer friedlichen –Koexistenz unterschiedlicher Souveräne im Äußeren (vgl. auch Held et al. 1999:38).

Transitive Macht beruht auf der möglichen Beeinflussung kollektiv bindenderEntscheidungen, wobei sich die kollektive Bindung auf das Prinzip der territorialkonstruierten Staatsbürgerschaft bezieht. Intransitive Macht geht auf das Prinzip derexklusiven Territorialität zurück, demzufolge alles, was auf dem Gebiet eines Staa-tes passiert, unter der Kontrolle des souveränen Staates steht (vgl. Sassen 2000). Mitexklusiver Territorialität ist die Vorstellung verbunden, Nationalstaaten seien powercontainer, die in internationalen Beziehungen nach Sicherheit streben und nationaldefinierte Interessen durchsetzen wollen. Territoriale Macht ist in diesem Sinnestaatlich kontrolliertes politisches Entscheiden – ohne dass nicht auch nicht-staatli-che Akteure an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt wären – durch das sichpolitische Macht in der Staatenwelt konstituiert. Legitime Akteure der internationa-len Politik sind dann in erster Linie Staaten. Symbolisiert werden Ordnungsvorstel-lungen über nationale Politik häufig durch Bezugnahme auf Verfassungen, die denGeltungsbereich und die Reichweite kollektiv bindender Entscheidungen festlegenund Souveränität im Sinne einer imaginär geschlossenen politischen Gemeinschaftsichtbar machen.

Eine zweite, semi-territoriale Quelle politischer Macht ist im Zuge der Herausbil-dung internationaler Institutionen entstanden. Im Anschluss an die English Schoollässt sich dieses Strukturelement der Weltpolitik als internationale Gesellschaft sichwechselseitig anerkennender und kooperierender Staaten beschreiben (vgl. Buzan2004). Transitive Macht beruht hier auf Verträgen und Abkommen zwischen Staa-ten, die sich selbst kollektiv binden. Ihre Schwäche zeigt sich unter anderem dort,wo Sanktionen eben nicht durch die Monopolisierung physischer Gewalt gedecktsind und Durchsetzungsmacht letztlich wieder an die Staaten, also an territorialeMacht delegiert wird (vgl. dazu Zangl/Zürn 2003). Intransitive Macht folgt derLogik kollektiver Sicherheit bzw. staatlicher Selbstbindung an international verein-barte Normen. Symbolisiert wird eine solche internationale Gesellschaft über multi-

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laterale internationale Organisationen, die auf dieser Ebene das funktionale Äquiva-lent zu nationalstaatlichen Verfassungen darstellen. Legitime Akteure sind indiesem Zusammenhang vor allem Staaten, aber auch internationale Organisationenals eigenständige, Normbefolgung überwachende kollektive Akteure. Die Legitimi-tät von Akteuren wird nicht zuletzt davon beeinflusst, was als angemessenes politi-sches Verhalten im Kontext intransitiver Macht auf internationaler Ebene institutio-nalisiert ist – ob es etwa ausreicht, dass ein Staat sein Territorium kontrolliert, oderob sich die Auffassung durchsetzt, dass weitere Qualitätskriterien im Sinne vongood governance hinzutreten müssen.

Semi-territorial ist diese zweite Quelle der Macht insofern, als territoriale Grenzenimmer noch konstitutiv für die Weltpolitik sind. Sie dienen gewissermaßen nichtmehr, wie bei territorialer Macht, als Interdependenzunterbrecher, sondern als Inter-dependenzhersteller. Demgegenüber verlieren bei postterritorialer, globaler Machtterritoriale Grenzen ihre strukturierende Kraft. Global ist transitive Macht hier nicht,weil sie alle anderen Quellen der Macht dominierte – eher ist das Gegenteil der Fall– sondern weil sich auf einer emergenten globalen Ebene politische Strukturen her-auszubilden beginnen, die nicht mehr auf territoriale Grenzen bezogen sind. Transi-tive Macht beruht hier auf kollektiv bindendem Entscheiden jenseits des Staates,vorzugsweise in sektoriellen, transnationalen Regimes. Klassische Beispiele dafürsind die Lex Mercatoria, aber auch die Internet Corporation for Assigned Namesand Numbers (ICANN) oder das Internationale Olympische Komitee (IOC) (vgl.Zürn 1998: 407). Aber auch das Umwelt- und das Menschenrechtsregime werdenklassisch zu Arenen postterritorialer Macht gezählt. Schließlich können Entwicklun-gen hin zu einem globalen System der Entwicklungszusammenarbeit (vgl. Leisering2007) oder bestimmte Entwicklungen der multilateralen Interventionspolitik ebensoals Elemente postterritorialer Macht verstanden werden wie die Etablierung globalerSanktionsregime.

Ausgangspunkt für globale Macht im Sinne einer kollektiven Entscheidungsbin-dung jenseits territorialer Grenzen ist vor allem ein Wandel internationaler Instituti-onen, den Zürn als einen Paradigmenwechsel vom executive multilateralism hinzum sustained multilateralism beschreibt:

»One can thus say that international politics are no longer a matter for a few corporativeagents – in particular powerful states – which coordinate their interests in camera andarrive at common policies which than have to be implemented domestically. World poli-tics are less a form of executive multilateralism, but rather developing into a form ofmultilateralism borne by society and accountable to both national and transnationalpublics« (Zürn 2006: 42f; ähnlich Sørensen 2002: 52).

Transitive globale Macht bedeutet die Möglichkeit, auf postterritoriale, bindendepolitische Entscheidungen Einfluss zu nehmen bzw. in der Machtkommunikationauf ein solches postterritoriales System von Regeln und Entscheidungen zu rekurrie-ren. In der Regel handelt es sich hierbei um »a vast and interlocking network of glo-bal regulation and sites of decision-making where policies of a (quasi-)global natureare made« (Higgott/Ougaard 2002: 2). Global polity kann demzufolge als transnatio-nale und postterritoriale Form des Regierens verstanden werden, bei den sich politi-sche Entscheidungsprozesse auf globaler Ebene verdichten. Beispiele dafür sind vor

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allem der weltweite Menschenrechtsschutz und die Etablierung einer globalen Straf-gerichtsbarkeit, aber auch Versuche der Regulierung von Biodiversität oder Steue-rungsversuche von Finanzmärkten.

Intransitive Macht entsteht aus einer Logik der kooperativen Lösung globaler Pro-bleme und universaler Normen. Besonders sichtbar ist intransitive Macht dort, wodie politische Lösung gesellschaftlicher Probleme nicht mehr an den Staat als Ent-scheidungsinstanz, sondern an internationale Organisationen wie die VereintenNationen adressiert wird. Offenbar besteht politisch gesehen dann in jedem Fall derBedarf globaler Macht, auch wenn ihre transitive Dimension im Vergleich zu terri-torialer und semi-territorialer Macht noch unterinstitutionalisiert ist. Symbolisiertwerden die Leitideen einer solchen globalen Ordnung durch funktionale Äquiva-lente von Verfassungen auf globaler Ebene. Andreas Fischer-Lescano (2005) hatdafür das Konzept der Globalverfassung eingeführt. Beispiele für symbolische Insti-tutionalisierungen intransitiver Macht sind die UN-Weltkonferenzen und die Welt-berichte oder die Millenniumsziele der Vereinten Nationen. Legitime Akteure glo-baler Macht sind neben Staaten und internationalen Organisationen auchtransnationale NGOs, was natürlich nicht heißt, dass alle auch über den gleichenEinfluss verfügen.

Vor dem Hintergrund dieser Ausdifferenzierung von Quellen politischer Machtlässt sich die politische Evolution der Weltgesellschaft auf der einen Seite alsBedeutungsverlust territorialer Grenzen und auf der anderen Seite als Pluralisierung– und damit in gewisser Weise auch Fragmentierung – politischer Autoritätbeschreiben. Analog zum Rechtspluralismus entsteht damit ein Machtpluralismus,der aus diachroner und aus synchroner Perspektive betrachtet werden kann.

Als Prozess, also diachron verstanden, bedeutet Entgrenzung den relativen (!)Bedeutungsverlust territorialer Macht und den Bedeutungsgewinn postterritorialerMacht. Damit verbunden sind offenbar Komplexitätssteigerungen im politischenSystem, in dem nun mehrere Zentren politischen Entscheidens und verschiedeneQuellen der Legitimierung politischen Handelns existieren.

Synchron meint Entgrenzung die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher politischerRationalitäten und unterschiedlicher Differenzierungsmuster des politischen Sys-tems (vgl. auch Sending/Nauman 2006). Was Fischer-Lescano und Gunther Teub-ner für das globale Rechtssystem festgestellt haben, kennzeichnet auch das politi-sche System: Die traditionelle Binnendifferenzierung

»nach dem Prinzip der Territorialität in relativ autonome nationale Rechtsordnungen[wird] überlagert von einem sektoriellen Differenzierungsprinzip: der Differenzierung[…] nach transnational einheitlichen Rechtsregimes, die ihre Außengrenzen nicht territo-rial, sondern issue-spezifisch definieren und einen globalen Geltungsanspruch erheben«(Fischer-Lescano/Teubner 2006: 36).

Dies hat mit Blick auf die Macht von NGOs zwei wichtige Konsequenzen: Erstenskann es für sie damit zu Widersprüchen, Kollisionen und Konflikten zwischenunvereinbaren Logiken politischen Handelns und Deutens kommen. Die Diskussionum Global Governance reflektiert steuerungstheoretisch die Ausdifferenzierungunvereinbarer politischer Kalküle als Notwendigkeit stärkerer Kooperation und alsPolitisierung der Weltpolitik. Demgegenüber betonen historisch-materialistische

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Ansätze den konflikthaften Charakter von Entgrenzung, in dem sie auf zunehmendeinternationale Kämpfe um Hegemonie im Sinne einer strukturell abgesicherten Vor-herrschaft spezifischer Deutungsmuster politischer und gesellschaftlicher Problem-lagen verweisen (vgl. u.a. Görg/Brand 2001).8

Diese Politisierung wird, zweitens, sichtbar an den symbolischen Kämpfen in derinternationalen Politik (vgl. auch Hahn/Holzscheiter 2005): Welche Entscheidungs-instanz ist bei spezifischen Fragen relevant? Welche Akteure dürfen überhaupt ent-scheiden? Um welche Fragen geht es? Welche Instrumente sind zur Lösung politi-scher Probleme angemessen? Die Ausdifferenzierung verschiedener Quellenpolitischer Macht erlaubt unterschiedliche Antworten auf diese Fragen. Und sieführt darüber hinaus dazu, dass unterschiedliche politische Akteure – Staaten,NGOs, internationale Organisationen, soziale Bewegungen – unter Berufung aufunterschiedliche Quellen der Legitimation versuchen, politische Entscheidungen zubeeinflussen (vgl. auch Fischer-Lescano/Teubner 2006: 162). Deshalb ist Rose/Mil-ler (1992: 190) beizupflichten, wenn sie mit Blick auf die unterschiedlichen, weltpo-litisch ausdifferenzierten Programme des Regierens resümieren: »The world of pro-grammes is heterogeneous, and rivalrous. Programmes complexify the real, sosolutions for one programme tend to be the problem for another.«

4. Sanktionen und die Politik der Weltgesellschaft

Im Folgenden wollen wir die These von der Ausdifferenzierung autonomer Quellenpolitischer Macht in einem speziellen Politikfeld der internationalen Beziehungennachvollziehen und illustrieren, nämlich am Beispiel internationaler Sanktionen, dieim Kontext internationaler Institutionen ein klassisches Beispiel für den von Zürn etal. (2007) diagnostizierten exekutiven Multilateralismus sind. Die folgenden beidenAbschnitte dienen dementsprechend zur Illustration der These von der Ausdifferen-zierung von Quellen politischer Macht.

Auf der Basis der Ausdifferenzierung dreier Quellen politischer Macht habenNGOs unterschiedliche Möglichkeiten, Einfluss auszuüben: Auf Seiten transitiverMacht können sie auf unterschiedliche Arenen kollektiver EntscheidungsprozesseBezug nehmen: auf territorial gebundene, auf semi-territoriale und auf postterritoria-le. Auf Seiten intransitiver Macht können sie auf entsprechend unterschiedliche In-terpretationen des Politischen und damit einhergehenden Legitimationen politischen

8 Neomarxistische Ansätze liefern damit eine wichtige konflikttheoretische Ergänzung dersteuerungstheoretischen Perspektive, reduzieren aber Entgrenzungsprozesse vorschnellauf eine Transformation von Herrschaftsverhältnissen. Zurecht lässt sich dagegen dasvon Zürn et al. (2007) stark gemachte Argument der politischen Evolution durch nichtin-tendierte Handlungsfolgen einwenden: Die Ausdifferenzierung von Machtquellen istdemnach weniger das Ergebnis einer neuen Form der Herrschaftssicherung unter postfor-distischen Vorzeichen, als vielmehr ein Prozess der rekursiven Stabilisierung von For-men politischen Handelns jenseits einer territorialen Logik. Richtig ist vermutlich dieneomarxistische Einschätzung, dass Staaten – zumal jene aus dem OECD-Raum – besserin der Lage sind, aus diesen Prozessen strategische Vorteile zu ziehen.

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Handelns zurückgreifen: auf Logiken territorialer Souveränität, wie sie idealtypischin Selbstbeschreibungen staatlicher Außenpolitik zum Ausdruck kommen; auf Logi-ken einer internationalen Gesellschaft, in der sich Staaten an Normen binden undauf Logiken kooperativer globaler Problemlösung, bei der multiple Akteure weltge-sellschaftliche Prozesse zu steuern versuchen. Diese gesellschaftsstrukturelle Aus-gangslage eröffnet NGOs die Möglichkeit, so unsere These, politisches Handeln aufunterschiedliche Machtquellen zu stützen. Zugleich entstehen mit dieser Komplexi-tätssteigerung des politischen Systems aber auch spezifische Probleme und Zielkon-flikte für NGOs. Wir wollen diesen bislang weitgehend theoretisch entwickelten Zu-sammenhang zwischen politischer Entgrenzung und der Macht von NGOs nun amBeispiel der Verhängung und Durchführung von Sanktionen verdeutlichen.

Sanktionen sind ein klassisches Instrument internationaler Politik. Im Gegensatzzu zivilrechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionen sind internationale Sanktionen inder Regel auf das zukünftige Handeln eines Akteurs bezogen. Diese stellen somit einVerhandlungsinstrument dar, mit dem Ziel das Verhalten eines bestimmten Akteurs(meist die Regierung eines Drittstaates) zu verändern (vgl. u.a. Galtung 1967: 381;Nossal 1989: 312). In manchen Fällen stellen die sanktionierenden Akteure aller-dings auch die Bestrafungsfunktion in den Vordergrund (bspw. im Fall der UN-Sanktionen gegen den Irak wegen des Überfalls auf Kuwait). Meist sind für die Beto-nung der Bestrafungsfunktion von internationalen Sanktionen praktische Erwägun-gen verantwortlich, denn diese Sanktionen erreichen immer ihr Ziel, sind also durchdie bloße Implementierung erfolgreich. Wohingegen Sanktionen als Verhandlungs-instrument erst ihr Ziel erreichen, wenn eine Politikänderung im intendierten Sinn er-folgt (vgl. Doxey 1987: 92). Politisch bedeutsam werden Sanktionen, wenn sie imMedium politischer Macht angedroht und angeordnet, also als kollektive Zwangs-maßnahme verstanden werden. Als Machtkommunikation verweist die Drohung mitnegativen Sanktionen auf die Möglichkeit, für alle Beteiligten unerwünschte Hand-lungsalternativen zu realisieren. Der soziale Sinn von Sanktionen besteht mithin da-rin, Machtüberlegenheit und Machtunterlegenheit kommunikativ herzustellen, alsoeine soziale Beziehung unter dem Aspekt der Macht zu strukturieren. Dies kann na-türlich Widerstand hervorrufen, denn Macht produziert häufig Gegenmacht. Typi-scherweise ist die Drohung mit Sanktionen deshalb eingebunden in ein Kommunika-tionssystem, das sich über Macht reproduziert und aufgrund dessen erwartet werdenkann, dass Macht verstanden und mit Macht beantwortet wird. Auf Sanktionsdro-hung folgt in der Regel nicht weniger, sondern mehr (Macht-) Kommunikation.

Im politischen System ist die Drohung mit Sanktionen an transitive Macht gebun-den, also mit Durchsetzungsmacht verknüpft. Sanktionen werden in der Regel auchpolitisch nur dann angedroht, wenn ihre Durchsetzung bei Widerstand glaubhaft ist.Dennoch muss man den zweifachen Sinn von Sanktionen sehen: Sanktionen sindzum ersten eine klassische Quelle der Durchsetzung von Macht. Allein schon dieAndrohung zeugt davon, dass sich eine Seite als mächtiger wähnt, dabei allerdingsdas eigene Handeln – und darin besteht eine grundsätzliche Paradoxie von Sankti-onsdrohungen – vom Handeln des Unterlegenen abhängig macht. Hinter solchertransitiver Macht steht aber aufgrund dieser Paradoxie ein Erzwingungsapparat, der

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die Handlungsoptionen des Machtunterlegenen asymmetrisiert. Nutzentheoretischformuliert will transitive Macht die Kosten bei Nichtbefolgen erhöhen. Zum zweitenhaben Sanktionen aber immer auch eine intransitive Seite: Sie beziehen sich aufbestimmte Ordnungsprinzipien und Leitideen, die Sanktionen legitimieren. Sanktio-nen sollen dementsprechend nicht nur Verhaltensänderung bewirken, sondern auchdie normativen Grundlagen, die dem Wunsch nach Verhaltensänderung zugrundeliegen, bestärken. Sie haben deshalb immer auch die Funktion, kollektive Deutungs-muster und Interpretationen politischer Ordnung zur Geltung zu bringen.

Als Machtkommunikationen des politischen Systems können sich Sanktionensomit auf drei ausdifferenzierte Quellen der Macht beziehen: auf territoriale, semi-territoriale und postterritoriale Macht. Im Kontext territorialer Macht stützen sichSanktionen auf die staatliche Monopolisierung physischer Gewalt und damit nachaußen letztlich auf militärische Abschreckung. Unter intransitiven Aspekten rekur-rieren Sanktionen auf das Prinzip staatlicher Autonomie und Souveränität in derWeltgesellschaft. Sanktionen werden als Instrument internationaler Politik dannwahrscheinlicher, wenn sich territorial gebundene Akteure von äußeren Gruppenbedroht fühlen. Klassisch hierfür ist die Versicherheitlichung territorialer Identitätim Zuge wahrgenommener Bedrohungen durch andere Staaten. Sanktionsforderun-gen müssen im Kontext territorialer Macht an solche Bedrohungen geknüpft wer-den, sie müssen gleichsam die Sprache des nationalen Interesses sprechen, damitStaaten als legitime Akteure der unilateralen Verhängung und Durchsetzung vonSanktionen erscheinen können. Sanktionen werden hier als staatliche Zwangsmaß-nahmen gegen andere Staaten verstanden, bei denen NGOs zwar Einfluss ausübenkönnen, aber nicht unmittelbar am Entscheidungsprozess beteiligt sind.

Im Kontext semi-territorialer Macht stellen Sanktionen ein Instrument der interna-tionalen Gesellschaft dar, d. h. sie sind Zwangsmaßnahmen internationaler Organisa-tionen, die sich in der Regel gegen eigene Mitglieder richten (sogenannte member-ship sanctions) und die im Extremfall den Ausschluss aus gemeinsamenOrganisationen zur Folge haben können. Solche Sanktionen beziehen sich legitimato-risch auf zwischenstaatliche Verträge und Vereinbarungen, deren Nichteinhaltungoder Nichtbefolgung (non-compliance) Sanktionen nach sich ziehen. Ein Problem se-mi-territorialer Sanktionsmacht besteht darin, dass ihre effektive Durchsetzung häu-fig auf territoriale Macht angewiesen bleibt. Im Kontext internationaler Institutionenkönnen NGOs ebenfalls Einfluss ausüben, in der Regel partizipieren sie aber auchhier nicht systematisch an Entscheidungsprozessen – insbesondere deshalb nicht,weil sie nicht – wie Staaten – formelle Mitglieder internationaler Organisationen sind.

Zürns Unterscheidung zwischen executive und sustained multilateralism aufgrei-fend lässt sich behaupten, dass Sanktionen im Rahmen postterritorialer Macht danneinsetzt, wenn sie nicht mehr nur von Staaten – ob allein oder in gemeinsamen Insti-tutionen – verhängt oder angedroht werden. Sanktionen im Rahmen einer globalpolity bedeuten, dass in transnationalen Regimes kollektiv bindende Entscheidun-gen auf die Verhaltensänderung von Akteuren zielen. Legitimiert werden Sanktio-nen in diesem Zusammenhang in der Regel durch universale Normen, die sich alsForm intransitiver Macht durchaus auch als Symbolisierung globaler Vergemein-

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schaftung beschreiben lassen (vgl. Albert 2002; Bonacker/Brodocz 2001). NGOsbeziehen sich bei der Forderung nach Sanktionen häufig auf postterritoriale intransi-tive Macht, weil sich ihre moralische Autorität als wichtige symbolische Ressourceaus der Identifikation mit universellen Geltungsansprüchen speist.

Aus diachroner Perspektive lässt sich die Ausdifferenzierung unterschiedlicherQuellen politischer Macht als Entwicklung von unilateralen zu nachhaltig multilate-ralen Sanktionen verstehen. Zugleich vergrößert sich mit diesem Wandel sowohl dieMenge der verhängten Sanktionen als auch die Zahl der Sanktionsinstrumente undder Sanktionsakteure, was in der Sanktionsforschung dazu geführt hat, von einer»sanctions decade« (Cortright/Lopez 2000) zu sprechen. Weil Sanktionen – wie dasBeispiel des Territorialstaates zeigt – ein wichtiges Mittel sind, um ein Strukturmus-ter politischer Macht zu institutionalisieren, führt die Binnendifferenzierung despolitischen Systems fast zwangsläufig zu ihrer Inflationierung.

Synchron betrachtet erhöht Entgrenzung Komplexität, denn der Wandel von uni-lateralen zu multilateralen Sanktionen ist vor allem eine Ausdifferenzierung ver-schiedener, gleichzeitig präsenter Quellen von Sanktionsmacht. Sowohl Staaten alsauch internationale Organisationen und NGOs treten unter Bezugnahme auf unter-schiedliche Machtquellen als Sanktionsakteure auf. Die Synchronizität von Macht-quellen wird darüber hinaus deutlich, wenn man einzelne Sanktionsprozessegenauer betrachtet und feststellt, dass in ihnen aus unterschiedlichen Gründen undmit unterschiedlichen Mitteln von verschiedenen Seiten Sanktionen angedroht wer-den. Ein zentrales Problem bei der Zielerreichung von Sanktionen ist die mangelndeEffektivität, die weniger aus zu wenig Macht – etwa aus zu geringer Motivation vonStaaten, Sanktionen zu verhängen – sondern eher aus zuviel Macht herrührt.

Entgrenzung führt nämlich auch zu dem, was Zürn (1998: 408) treffend als Politi-sierung internationaler Politik beschreibt: Bei Sanktionen geht es immer auch umdie Frage der Deutungsmacht, d. h. darum, spezifische Ordnungsvorstellungen inter-nationaler Beziehungen weltgesellschaftlich durchzusetzen. Sanktionen haben inso-fern einen irreduziblen symbolischen Gehalt. Mit ihnen wird nicht nur versucht,Machtüberlegenheit und -unterlegenheit zu konstruieren, sondern auch Ordnungs-vorstellungen zur Geltung zu bringen, mit denen bestimmte Verhaltensmuster undAkteure legitimiert bzw. delegitimiert werden. Insbesondere die Sanktionsforderun-gen bzw. eigenständigen gesellschaftlichen Sanktionen gegen die Regierung desdamaligen Apartheidstaates Südafrika waren mit spezifischen Ordnungsvorstellun-gen zivilgesellschaftlicher Akteure verbunden. Die in Südafrika rechtlich legiti-mierte Benachteiligung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit stand konträr zu derNorm einer (anzustrebenden) international geltenden Gleichberechtigung aller eth-nischer Gruppen, auf die sich die Anti-Apartheidbewegung bezog.

5. Die Sanktionsmacht von NGOs

Nachdem wir im vorangegangenen Abschnitt Sanktionen generell im Kontext derweltgesellschaftlichen Ausdifferenzierung politischer Macht betrachtet haben, wen-

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den wir uns nun den Quellen politischer Macht von NGOs in Sanktionsprozessennoch einmal genauer zu.9 Diese Quellen, mit denen NGOs Einfluss auf die Verhän-gung und die Durchführung von Sanktionen nehmen, beinhalten immer eine transi-tive und eine intransitive Komponente, die sich jeweils auf territoriale, semi-territo-riale und postterritoriale Referenzsysteme beziehen – je nachdem, auf welcheEntscheidungsprozesse und welche Legitimationsmuster NGOs rekurrieren.

Transitive, territoriale Sanktionsmacht mobilisieren NGOs, wenn sie Einfluss aufterritorial verfasste Akteure, klassisch auf Staaten nehmen. Dieser Einfluss musszum Ziel haben, Staaten dazu zu bewegen, Sanktionen gegen andere Staaten oderGruppen zu verhängen. Sanktionen gehen hier auf kollektiv bindende Entscheidun-gen im territorial begrenzten politischen System zurück, sind also Ausdruck derSouveränität eines Staates. Dies begrenzt den Einfluss von NGOs auf solche Ent-scheidungen, weil sie sich strukturell in der Peripherie politischen Handelns befin-den. Typisch sind hier deshalb das öffentliche, massenmedial wirksame Protestie-ren, aber auch gezieltes lobbying und breit angelegte Kampagnen, etwa dasInformieren in der Öffentlichkeit über Unterdrückungen und Menschenrechtsverlet-zungen in anderen zu sanktionierenden Ländern. Eine große Schwierigkeit fürNGOs besteht hier darin, dass sie im Rahmen einer Logik territorialer Souveränitätargumentieren und damit unilaterale Sanktionen als Ausdruck staatlicher Autono-mie darstellen müssen. Des Weiteren können NGOs Sanktionen multilateral imKontext transitiver, semi-territorialer Macht einfordern. Hier müssen sie nicht denUmweg über staatliche Autonomievorstellungen nehmen, sondern können an dieVerletzung der Normen der internationalen Gesellschaft anknüpfen. Semi-territori-ale Sanktionsmacht verwenden NGOs demzufolge, wenn sie Einfluss auf internatio-nale bzw. in internationalen Institutionen ausüben, Sanktionen gegen Mitgliederverhängen, oder im Namen internationaler Institutionen an Staaten appellieren, siegleichsam an das Versprechen erinnern, Durchsetzungsmacht gegenüber anderen imFalle fehlender Normbefolgung zu mobilisieren. Dieser Einfluss kann daraufzurückgehen, dass NGOs an internationalen Organisationen partizipieren auch wennsie nicht unmittelbar in den Entscheidungsprozess eingebunden sind – etwa im Falleder Vereinten Nationen oder der Europäischen Union. Eine bedeutende Rolle vonNGOs besteht auch im Bereitstellen von Expertise und Informationen, die für dieEinschätzung der politischen Lage im Zielland, aber auch für die effektive Durch-führung von Sanktionen wichtig sind. Transitive, postterritoriale, globale Machtnutzen NGOs in dem Maße, wie sie in transnationalen Regimes Sanktionen einfor-dern oder verhängen, oder wie sie Staaten, aber auch andere Akteure im Namen uni-verseller Normen wie Menschenrechte, Umweltschutz oder Anti-Korruption selbst-ständig sanktionieren. Solche Sanktionen vollziehen sich nicht nur über Instrumentedes naming and shaming, sondern beispielsweise auch über Boykotte. Wie NGOs

9 Die empirischen Daten basieren auf einem laufenden Forschungsprojekt am Zentrum fürKonfliktforschung der Philipps-Universität Marburg zur Bedeutung nicht-staatlicherAkteure im Sanktionsprozess (vgl. auch Schüssler 2006).

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als Rechtssetzer in der Weltgesellschaft operieren können, so können sie auch dieRolle selbstständiger Sanktionierer übernehmen.

Im Folgenden wollen wir zeigen, auf welche Quellen politischer Macht NGOs ihrHandeln in Sanktionsprozessen stützen können. Die Sanktionen gegen Myanmar(Burma)10 dienen uns dabei als primäre Illustration, die aber punktuell durch andereFälle ergänzt wird. Zugespitzt gesagt können NGOs dabei entweder Sanktionendurch andere Akteure einfordern oder sie können selbst als Sanktionsverhänger auf-treten.

Ausdruck transitiver, territorialer Sanktionsmacht von NGOs ist beispielsweisedas Gesetz des Staates Massachusetts zur Regulierung der Beziehungen mit Unter-nehmen, die geschäftliche Verbindungen zu Myanmar oder Investitionen in Myan-mar unterhalten, das sogenannte Burma Law. Bereits Anfang der 1990er Jahre, nachdem Militärputsch in Myanmar und der beginnenden Repression der demokrati-schen Bewegung, die auch zur bis heute andauernden Inhaftierung der Generalsek-retärin der National League for Democracy (NLD) und FriedensnobelpreisträgerinAung San Suu Kyi führte, entstanden in den USA verschiedene Initiativen, die sichfür ein demokratisches Myanmar (Burma Initiativen) engagieren. 1995 gründetesich die Free Burma Coalition (FBC) als Dachverband der verschiedenen bestehen-den Initiativen.11 Während sich Teile der Free Burma Coalition auf Boykottmaß-nahmen gegen einzelne Unternehmen konzentrierten, die Investitionen in Myanmargetätigt hatten, forderten andere auf Bundesstaatenebene staatliche Sanktionsmaß-nahmen gegen Unternehmen ein. Der Erfolg der Lobbyarbeit äußerte sich schließ-lich in dem Massachusetts Burma Law. Nach diesem Gesetz mussten Firmen, diemit Unternehmen in Myanmar kooperierten oder investierten, 10% des Vertragswer-tes zusätzlich als Strafe zahlen. Von dem Gesetz sollten alle Unternehmen betroffensein, die sowohl mit Myanmar als auch mit dem Staat Massachusetts wirtschaften.12

Die Free Burma Coalition nahm bei den Sanktionsforderungen Bezug auf intransi-tive, territoriale Ordnungsprinzipien. Die Sanktionsforderungen wurden damitbegründet, dass die Militärregierung nicht die legitime Regierung von Myanmar sei,da diese das Ergebnis der Wahlen von 1990, welche die NLD klar für sich entschied,nicht anerkannte und die Einnahmen der ausländischen Investoren zu Aufrechterhal-tung des repressiven Machtapparates missbraucht werden.

10 Die aus ehemaligem Militär bestehende Regierung des heutigen Myanmars benannteBurma 1989 in Myanmar um. Der neue Name Myanmar sollte außenwirksam die Abkehrvon Kolonialzeit und Sozialismus demonstrieren und wurde von den Vereinten Nationenanerkannt. Einige Staaten wie Australien und alle NGOs, die sich für die internationaleUnterstützung der demokratischen Opposition in Myanmar engagieren, halten weiterhinan dem Namen Burma fest, um ihrer Missbilligung der Militärregierung Ausdruck zuverleihen.

11 Bis zur Gründung der US Campaign for Burma war die Free Burma Coalition die ein-flussreichste Burma Bewegung der USA. Nachdem der Vorsitzende der FBC angekün-digt hatte, in Zukunft keine Boykottmaßnahmen gegen Myanmar mehr unterstützen zuwollen, kam es zur internen Spaltung und Gründung der US Campaign for Burma.

12 Das Burma Law wurde schließlich 1998 vom Obersten Gerichtshof der USA gekippt, daMassachusetts keine Befugnis habe, in den internationalen Handel einzugreifen.

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Ein weiteres Beispiel für transitive, territoriale Macht von NGOs ist die Einforde-rung von Sanktionen gegen Südafrika in den USA. Zur Beendigung der südafrikani-schen Apartheidpolitik formierte sich besonders in den USA eine starke Bewegung,die zugleich Bezug auf intransitive, postterritoriale Legitimationsmuster nahm. Diezivilgesellschaftlichen Akteure erinnerten die US-Regierung an ihre Verpflichtungzur Einhaltung der Menschenrechte. Die Aufrechterhaltung wirtschaftlicher undkultureller Austauschbeziehungen mit Südafrika, so die Begründung der Sanktions-forderungen, stünde der Wahrung grundlegender Menschenrechte entgegen, da diesüdafrikanische Regierung hierdurch ermuntert würde, die Diskriminierungspolitikgegenüber der schwarzen Bevölkerungsmehrheit fortzusetzen. Die Anti-Apartheid-bewegung, die auch mit diversen Boykottaufrufen gegen einzelne Unternehmenarbeitete, fand in den USA breiten gesellschaftlichen Zuspruch unter anderem beiKirchen und Gewerkschaftsverbänden und erhielt weite internationale Aufmerk-samkeit.

Transitive, territoriale Sanktionsmacht von NGOs wird auch innerhalb von Strate-gien der US-amerikanischen Save Darfur Coalition ausgeübt, um die Vetomächtedes UN-Sicherheitsrats zur Verhängung stärkerer Sanktionen gegen die sudanesi-sche Regierung zu veranlassen. Die Save Darfur Coalition wendet sich dabei zumeinen an die US-Regierung, die im UN-Sicherheitsrat Resolutionen gegen die suda-nesische Regierung vorantreiben soll, und an die chinesische Regierung, von derverlangt wird, ihr Veto gegen Sanktionen aufzugeben. Die Allianz, der mehr als 100Menschenrechts- und humanitäre NGOs angehören, greift bei ihren Sanktionsforde-rungen auf intransitive, postterritoriale Macht zurück, da sie mit der Logik globalerProblemlösung argumentiert. Die humanitäre Katastrophe in der Provinz Darfur,argumentiert die Save Darfur Coalition, sei nur durch eine abgestimmte Strategieder internationalen Gemeinschaft beizulegen, die auf Druck und Kontrolle basiert.Ihre Bedeutung bei der kooperativen Problemlösung sehen die NGOs in erster Liniein der Bereitstellung von detaillierten Informationen über die menschenrechtlicheSituation in Darfur und beim Monitoring, d. h. in der Überwachung bzw. Bewertungder beschlossenen Maßnahmen.

Bezug auf transitive, semi-territoriale Macht nahmen NGOs beispielsweise beiden Sanktionsforderungen gegen die Regierung von Myanmar, die an die Europäi-sche Union gerichtet wurden. Zu den Strategien von NGOs wie dem AlternativenASEAN Netzwerk zu Burma (ALTSEAN) und der International Crisis Group (ICG)gehört dabei auch die Bereitstellung von Wissen. In Berichten wie »Ready, Aim,Sanctions, Non-Military Options to support Burma’s Democratization« (ALTSEAN2003) oder »Sanctions, Engagement or another Way forwards?« (ICG 2004) emp-fehlen diese NGOs Entscheidungsträgern der Europäischen Union Maßnahmen zurFörderung von Demokratie und Menschenrechten in Myanmar. Die NGOs machendabei detailliertes Fachwissen besonders in Bezug auf die politische, wirtschaftlicheund menschenrechtliche Situation geltend, mit dem die Handlungsempfehlungenbegründet werden. Die ICG rät beispielsweise davon ab, ein Investitionsembargogegen Myanmar zu verhängen, das wiederum von anderen NGOs wie ALTSEANBurma favorisiert wird, da laut ICG 750.000 Menschen allein in der Textilindustrie

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direkt von der europäischen Präsenz abhängig sind (ICG 2004: 20). Stattdessenempfiehlt ICG, die internationalen Forderungen zu begrenzen und insbesondere aufdie Freilassung von Aung San Suu Kyi zu drängen. Beide NGOs beziehen sichdabei auf die gleichen transitiven Machtressourcen, da beide darauf abzielen, denEntscheidungsprozess der EU zu beeinflussen. Allerdings werden an den divergie-renden Forderungen von ICG und ALTSEAN die unterschiedlichen intransitivenMachtressourcen deutlich. Die ICG benutzt semi-territoriale Machtquellen, wasdurch den Normbezug der Forderungen deutlich wird. Im Gegensatz dazu findetsich bei ALTSEAN mit dem Argument der Illegitimität der Militärregierung einBezug zur territorialen Macht. ICG fordert Maßnahmen, um die Durchsetzung derMenschenrechte zu realisieren, während ALTSEAN umfassende Wirtschaftssankti-onen verlangt, um einen Regierungssturz herbeizuführen.

Über transitive, semi-territoriale Machtressourcen verfügten NGOs auch bei denSanktionen der International Labour Organization (ILO) gegen die Regierung vonMyanmar. Dabei richteten NGOs ihre Sanktionsforderungen nicht direkt an die ILO,sondern informierten die Öffentlichkeit, wie beispielsweise Amnesty Internationalseit 1989, über die staatliche Verwendung von Zwangsarbeit in Myanmar. Im Juni2000 reagierte die ILO auf den Bruch der Forced Labour Convention und forderteihre Mitglieder auf sicherzustellen, dass kein begünstigender Einfluss auf dieZwangsarbeit ausgeübt wird. NGOs verwendeten dabei intransitive, semi-territori-ale Macht und beriefen sich auf die Logik globaler Problemlösung zur Beendigungder Zwangsarbeit. Zum einen stellten sie ihre Expertise öffentlich zur Verfügung,um über die andauernde Verwendung von Zwangsarbeit zu informieren, zum ande-ren überwachten NGOs wie die Burma Campaign UK oder die Clean Clothes Cam-paign die Empfehlungen der ILO, indem westliche Unternehmen, die von derZwangsarbeit in Myanmar profitierten, an den Pranger gestellt wurden.

Eine weitere Möglichkeit der Ausübung von Sanktionsmacht, besteht für NGOs inder Verwendung postterritorialer Macht. Im Kontext territorialer und semi-territori-aler Macht sind NGOs in den Sanktionsprozess, Sanktionsentscheidung und -durch-führung, nicht institutionell eingebunden, im Zusammenhang mit postterritorialerMacht werden NGOs allerdings zu legitimen Sanktionsakteuren, die in transnationa-len Sanktionsnetzwerken Sanktionen eigenständig verhängen oder im Rahmen derPartizipation in internationalen Organisationen Sanktionen einfordern können. Post-territoriale Sanktionsmacht nutzten NGOs beispielsweise 2003, als 15 europäischeBurma Initiativen wie die Burma Campaign UK und das Austrian Burma Center die»I am not going to Burma« Kampagne zum Tourismusboykott begannen. NGOsberiefen sich dabei, wie auch beim Massachusetts Burma Law, auf territoriale Legi-timationsmuster, indem sie auf die Illegitimität der myanmarischen Regierung ver-wiesen. Die Militärregierung, begründeten NGOs den Tourismusboykott, verwendetdie Devisen aus der Tourismusindustrie hauptsächlich zur Ausstattung des Militärsund damit zur Unterdrückung der demokratischen Opposition. Im Zusammenhangmit dem Tourismusboykott unternahmen Burma Initiativen vielfältige Strategien:Sie richteten beispielsweise Boykottaufrufe an Reisebuchverlage wie Lonely Planet,welche die politische und Menschenrechtssituation in ihren Publikationen nicht

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umfassend dargestellt hatten, leisteten Lobbyarbeit bei westlichen Entscheidungsträ-gern, um diese für die Unterstützung des Tourismusboykotts zu gewinnen undbetrieben ein ausgedehntes blacklisting mit Reiseagenturen, die Touren nach Myan-mar anboten. Durch diese Strategien konnte zum Beispiel die Unterstützung desehemaligen Premierministers Tony Blair gewonnen und Reiseveranstalter wie diebritische Agentur Acrombie & Kent zum Rückzug aus Myanmar veranlasst werden.

Transitive, postterritoriale Sanktionsmacht nutzten NGOs auch 2001 zur Umset-zung menschenrechtlicher Standards in der myanmarischen Textilindustrie. Die Trä-ger der NGO-Kampagne beriefen sich dabei auf die Einhaltung global geltenderNormen, die Konzerne wie Triumph gebrochen hatten, da sie Infrastruktureinrich-tungen nutzten, die, wie die ILO bewiesen hatte, von Zwangsarbeitern errichtet wor-den war. Zwei Wochen nach Beginn der Anti-Triumph Kampagne schloss sich auchdas norwegische Team der Olympischen Winterspiele den Boykottmaßnahmen anund kündigte den Sponsorenvertrag mit Triumph auf. Länder wie Australien, dieden ILO-Empfehlungen gefolgt waren und ein generelles Importverbot für in Myan-mar produzierte Waren erlassen hatten, stärkten die Legitimität des gesellschaftli-chen Boykottaufrufs.

Zur Abschaffung der Apartheid in Südafrika bzw. zur Delegitimierung der dorti-gen Regierung nutzten zahlreiche NGOs besonders in der westlichen Welt transi-tive, postterritoriale Machtquellen, um Akteure zur Verhängung von Sanktionen zuveranlassen oder verhängten eigenständig Sanktionen. Auf intransitive, postterritori-ale Macht bezog sich dabei die internationale Kampagne, die sich zur Beendigungder Diskriminierung Schwarzer im Sport formiert hatte. Das Ziel der Kampagnebestand darin, durch eine Politisierung der sportlichen Beziehungen auf internatio-nale Organisationen einzuwirken, südafrikanische Wettkampfteams zu suspendie-ren, bis diese auch schwarze, südafrikanische Sportler bei internationalen Veranstal-tungen zulassen (vgl. Black 1999). Durch die zunehmende Politisierung derwirtschaftlichen und kulturellen Austauschbeziehungen mit Südafrika bezogen auchandere Organisationen wie der Tennisweltverband und die International CricketConference (heute International Cricket Council) Stellung gegen die südafrikani-sche Diskriminierungspolitik und verhängten Boykottmaßnahmen.

Im Unterschied zu territorialen oder semi-territorialen Machtressourcen war dasEngagement von NGOs zur sportlichen Isolierung Südafrikas nicht darauf ausge-richtet, in den Entscheidungsprozess von internationalen Regierungsorganisationeneinzugreifen, um bei diesen die Verhängung kultureller Sanktionen einzufordern.Vielmehr fand innerhalb der boykottierenden Organisationen eine Auseinanderset-zung darüber statt, wie eine Diskriminierung im Sport verhindert werden könnte,verbunden mit einer Politisierung des Sports und der Kultur. Diese Politisierung ent-wickelte sich so weit, dass nicht mehr nur weiße Südafrikaner, als direkte Profiteureder Apartheid, Opfer von Boykottmaßnahmen wurden, sondern auch Personen, diedurch ihre Teilnahme an südafrikanischen Veranstaltungen nicht zur Delegitimie-rung der südafrikanischen Regierung beitrugen und somit einer globalen Problemlö-sung entgegen gearbeitet hatten. So boykottierten 22 afrikanische Staaten die Olym-

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pischen Spiele 1976 wegen der Teilnahme Neuseelands, dessen Rugby-Mannschaftwährend des Soweto-Aufstandes ein Testspiel in Südafrika absolviert hatte.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass NGOs bei ihrem Versuch, Sanktions-macht auszuüben, immer Bezug auf territoriale, semi-territoriale oder postterritori-ale transitive und intransitive Machtquellen nehmen. Das bedeutet allerdings nichtdie ausschließliche Verwendung einer Machtquelle. NGOs können im Verlauf desSanktionsprozesses ihre Strategie wechseln, wenn sich der Erfolg beispielsweisenicht einstellt oder parallel auf unterschiedliche Machtquellen zurückgreifen. MitKampagnen bauen sie beispielsweise innerstaatlichen Druck auf, der politische Ent-scheidungsträger für die Forderungen von NGOs sensibilisieren soll, tragen aller-dings gleichzeitig durch internationale Kampagnen zum agenda setting von interna-tionalen Regierungsorganisationen bei und sanktionieren, sofern es sich umBoykottmaßnahmen handelt, parallel internationale Konzerne. In der folgendenTabelle haben wir unsere Beispiele noch einmal in der Übersicht dargestellt:

Tabelle 1: Beispiele für die Sanktionsmacht von NGOs

6. Folgeprobleme politischer Entgrenzung für die Sanktionsmacht von NGOs

Die Entgrenzung der Staatenwelt eröffnet NGOs neue Möglichkeiten, Sanktions-macht auszuüben: Sie können nicht mehr nur von Staaten oder internationalenRegierungsorganisationen Sanktionen gegen andere Staaten fordern, sondern sie

Transitiv, territorial Transitiv, semi-territorial

Transitiv, post-territorial

Intransitiv, territorial

Free Burma Coalition lobbyierte für Burma Law– Bundesstaaten-Ebene– Illegitimität der

Militärregierung

Alternative ASEAN Network on Burma fordert Sanktionen – EU-Ebene– Illegitimität der

Militärregierung

Aufruf zu Tourismusboykott – NGOs als

Sanktionsagenten– Illegitimität der Militär-

regierung

Intransitiv, semi-territorial

Anti-Apartheid-bewegung in den USA– Staatsebene– Gleichberechtigung

von Schwarzen und Weißen

ICG fordert Modifi-zierung der Myanmar-Sanktionen– EU-Ebene– Umsetzung von

Menschenrechten

Clean Clothes Campaign – NGOs als Sanktions-

agenten– Einhaltung menschen-

rechtlicher Standards

Intransitiv, post-territorial

Save Darfur Coalition fordert UN- Sanktionen – Staatsebene– UN soll humanitäre

Katastrophe in Darfur stoppen

Boykottkampagnen bestärkt Sanktions-entscheidung der ILO– internationale Regie-

rungsorganisation– Eindämmung von

Zwangsarbeit

NGOs beeinflussen Olympisches Komitee– internationale

Organisation als Sanktionsagent

– Verhinderung der Dis-kriminierung im Sport

Aufsätze

66

können Sanktionen selbstständig verhängen oder an ihrer Verhängung und Durch-führung zentral beteiligt sein. Sie generieren damit eine eigenständige Quelle vonSanktionsmacht: postterritoriale Sanktionsmacht. Diese Optionssteigerung bringtallerdings auch eine Reihe von Folgeproblemen und Dilemmata für NGOs mit sich,die abschließend skizziert werden sollen.

Erstens könnten NGOs in internationalen Organisationen auf die Zusammenarbeitmit Staaten angewiesen sein, um Sanktionsforderungen durchzusetzen, die sie inanderen Zusammenhängen selbst sanktionieren wollen. So fordert beispielsweisedie Save Darfur Coalition in den USA, der unter vielen anderen Amnesty Internatio-nal USA und ICG angehören, China im UN-Sicherheitsrat auf, Sanktionen gegen diesudanesische Regierung zu verhängen. Insbesondere von Amnesty InternationalUSA war China zuvor mehrmalig auf Grund der Missachtung von Menschenrechtenselbst an den Pranger gestellt worden. Hier ergibt sich dann beispielsweise das Pro-blem, dass die chinesische Regierung nicht durch die Expertise von Amnesty Inter-national zu überzeugen ist, die, als es um die Verletzung von Menschenrechten inChina ging, von der chinesischen Regierung bereits als Lüge abgeurteilt wurden.Amnesty International USA kann daher nur schwerlich direkten Einfluss auf die chi-nesische Regierung nehmen, im UN-Sicherheitsrat Sanktionen gegen den Sudan zuverhängen, es sei denn die Kritik an der chinesischen Innenpolitik wird zurückge-nommen, was wiederum zu Einbußen der moralischen Autorität von Amnesty Inter-national führen würde.

Innerhalb von NGOs kann es darüber hinaus zu Widersprüchen zwischen unter-schiedlichen politischen Rationalitäten kommen: Soll man politisches Handeln eheran territorialen Logiken ausrichten, also Staaten überzeugen, Sanktionen zu verhän-gen, oder soll man selbstständig sanktionieren? Welcher Weg wird als erfolgver-sprechender wahrgenommen? Nach der zunehmenden Eskalation des Bürgerkriegeszwischen sudanesischer Regierung und der sudanesischen Volksbefreiungsarmee(SPLA) Ende der 1990er, forderten NGOs die Vereinten Nationen und die EU auf,mit deutlichen Maßnahmen gegen die sudanesische Regierung vorzugehen. Dahin-ter stand die Ansicht, dass nur umfassende Maßnahmen der internationalen Gemein-schaft zu einer Verbesserung der humanitären Lage und Menschenrechtssituation imSudan führen könnten. NGOs wie die European Coalition on Oil in Sudan (ECOS)forderten die EU auf, ein Investitionsverbot für die Ölindustrie im Sudan zu verhän-gen, da die Gewinne der Ölförderung von der sudanesischen Regierung zur militäri-schen Aufrüstungen gegen die südsudanesische Unabhängigkeitsbewegung SPLAbenutzt wurden. Allerdings zeigte sich, dass weder die EU noch die UN bereitwaren, ernsthafte Sanktionsmaßnahmen zu erlassen. Prinzipiell hätte auch die Mög-lichkeit bestanden, gesellschaftliche Sanktionen gegen im Sudan tätige Unterneh-men wie den chinesischen Ölkonzern CNPC zu verhängen.

Des Weiteren stellt sich im Rahmen der Pluralität von Machtquellen die Frage, obdie Logik staatlicher Souveränität reproduziert werden soll, die NGOs auch symbo-lisch in die Peripherie der Weltpolitik drängt oder ob versucht werden soll, transna-tionale Sanktionsnetzwerke zu schmieden, die aber unter Umständen wenig effektivsind. Im Fall der massiven Menschenrechtsverletzungen in der sudanesischen Pro-

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vinz Darfur riefen zahlreiche NGOs und Menschrechtsnetzwerke wie die Save Dar-fur Coalition, die Gesellschaft für bedrohte Völker und Human Rights Watch zuumfassenden UN-Sanktionen gegen die sudanesische Regierung auf, die allerdingsbis heute nicht verhängt wurden. Zur Isolierung der südafrikanischen Apartheidre-gierung entstand ein weitläufiges transnationales Sanktionsnetzwerk, das auchunkonventionelle Bereiche wie Wissenschaft, Sport und Kultur umfasste. Die inter-nationale Anti-Apartheidbewegung forderte also nicht bei internationalen Regie-rungsorganisationen wie der UN Sanktionen ein, wahrscheinlich auch, weil die UNerst durch das Ende der Blockkonfrontation im Sicherheitsrat eine erstzunehmendeSanktionsinstanz wurde, sondern richtete die Isolierungsaufrufe an diverse Organi-sationen und Akteure unterschiedlicher Bereiche. Dadurch wurden NGOs und Anti-Apartheidaktivisten zum wesentlichen Träger des Apartheid-Boykotts. Danebenstellt sich für NGOs die Frage, ob sie stärker partizipatorisch-inklusiv in internatio-nalen Organisationen arbeiten und sich auf Verhandlungsprozesse mit Staaten ein-lassen oder grundsätzlich systemkritisch auftreten sollen. Ein Großteil beispiels-weise des Engagements der Burma Campaign UK umfasst Lobbyarbeit bei derbritischen Regierung, um diese zur Verhängung von Sanktionen gegen Myanmaraufzufordern. Im Gegensatz dazu wendet sich die Clean Clothes Campaign mitihrem Protest direkt an Unternehmen, die Menschenrechtsstandards missachten, undfordert diese durch öffentlichen Druck auf, bei der Bekleidungsproduktion ethischeKriterien zu achten.

Zweitens sind NGOs auch auf dem Feld von Sanktionen in die Politisierung inter-nationaler Politik involviert. Sanktionen dienen auch dazu, ausdifferenzierte Macht-quellen intransitiv abzustützen, d. h. Leitkonzepte politischer Ordnung zu institutio-nalisieren und gegen andere Konzepte zu verteidigen und durchzusetzen. Sogesehen macht es einen erheblichen Unterschied, Sanktionen an globalen Normenoder an territorialen Bedrohungen zu orientieren, Staaten als legitime Akteure auf-zufordern, Sanktionen zu verhängen, oder selbstständig zu sanktionieren. Andersgesagt: Sanktionsforderungen dienen NGOs immer auch dazu, sich selbst als legi-time Akteure der Weltpolitik darzustellen und die »eigene« Macht symbolisch zumAusdruck zu bringen. Bei den Sanktionen gegen den Irak verwiesen NGOs auf dievordringliche Aufgabe, Menschenrechte und Menschenleben im Irak zu schützenund forderten eine umfassende Modifizierung der bestehenden Sanktionen. Hierbeiwurde ein paralleles Bezugssystem aufgebaut, das sich nicht auf eine (konstruierte)territoriale Bedrohung durch die irakische Regierung stützte, sondern den Schutzder Menschenrechte als oberste Norm formulierte. Insbesondere Menschenrechtsor-ganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International können hier-durch ihre eigene Legitimität in der internationalen Politik, als Wächter der Men-schenrechte, stärken.

Drittens sind NGOs nicht zuletzt auch Motoren der Entgrenzung der Staatenwelt,d. h. hier des Wandels von unilateralen zu nachhaltig multilateralen Sanktionen. AlsKernorganisationen der global polity tragen sie dazu bei, transitive politische Machtjenseits territorialer Muster zu institutionalisieren. Erfolgreich ist diese Institutiona-lisierung in dem Maße, wie kollektiv bindende Entscheidungen auf einer gegenüber

Aufsätze

68

territorialer und semi-territorialer Macht eigenständigen Fähigkeit beruhen, Sanktio-nen durchzusetzen und globale Normen zur Geltung zu bringen. Insbesondere inSüdafrika konnten NGOs durch die Verhängung gesellschaftlicher Sanktionen sol-chen Normen zur Geltung verhelfen und dadurch zur offiziellen Beendigung derApartheid beitragen. Regierungen und internationale Regierungsorganisationen wiedie Europäische Gemeinschaft, die zunächst ablehnend auf die Sanktionsforderun-gen der Gesellschaftswelt reagiert hatten, mussten sich schließlich diesem Druckbeugen und Sanktionen verhängen. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hattensich Deutschland und Großbritannien geweigert, bindenden Sanktionsbeschlüssenzuzustimmen, mussten schließlich allerdings doch Stellung zu Menschenrechten alsglobale Norm beziehen und wenigstens begrenzte Sanktionen zulassen. Auch inMyanmar waren die gesellschaftlichen Boykottaufrufe gegen Unternehmen, die vonZwangsarbeit profitieren, erfolgreich und unterstützten die Verhängung der ILO-Sanktionen, welche die Geltung dieser Norm international verstärken.

Ein viertes Problem ergibt sich aus der Binnendifferenzierung des politischenSystems, die zu einer Verantwortungsdiffusion führen kann. Eindeutige Kausalitäts-zuschreibungen werden schwieriger, weil damit konfrontierte Akteure immer aufandere Entscheidungsarenen und auf vermeintliche Sachzwänge verweisen können,die aus der Multiplizierung von Steuerungsagenten entstehen. Während der Darfur-Krise fordern bzw. forderten sich beispielsweise unterschiedliche internationaleRegierungsorganisationen gegenseitig auf, Maßnahmen gegen die massiven Men-schenrechtverletzungen einzuleiten, ohne dass diese eigenständig aktiv gewordensind. Das europäische Parlament beispielsweise forderte China auf, im UN-Sicher-heitsrat Sanktionen gegen den Sudan nicht länger zu blockieren, setzte sich aller-dings gleichzeitig nur unzureichend beim Rat der EU für Sanktionen ein. Auch dieUS-Regierung forderte seit 2004 umfassende UN-Wirtschaftssanktionen gegen denSudan, konnte sich selbst allerdings erst Ende Mai 2007 zu schärferen unilateralenSanktionen entschließen. Auch die EU erwägt seit Monaten weitere Sanktionengegen den Sudan, macht ihre Entscheidung allerdings davon abhängig, ob auch dieUN weitere Sanktionen verhängt.

Der vorliegende Beitrag sollte einen theoretischen Rahmen für die Analyse derFolgen politischer Entgrenzungsprozesse für NGOs liefern. Dafür haben wirzunächst einen Machtbegriff entwickelt, in dem zwei Dimensionen von Macht alsKommunikationsmedium internationaler Politik unterschieden werden: transitiveDurchsetzungsmacht und intransitive Deutungsmacht. Im Anschluss daran habenwir die politische Evolution der Weltgesellschaft als Ausdifferenzierung unter-schiedlicher transitiver und intransitiver Machtquellen interpretiert. NGOs versetztdiese Ausdifferenzierung in die Lage, unterschiedliche Quellen politischen Einflus-ses zu nutzen sowie auf unterschiedliche Symbolisierungen politischer OrdnungBezug zu nehmen. Sie können, vereinfacht gesagt, als postterritoriale Sanktioniereroder als territoriale Sanktionsforderer auftreten. Allerdings ist diese Möglichkeitnicht schon gleichbedeutend mit einem gestiegenen Einfluss von NGOs. Vielmehrhaben wir auf der Basis einer differenzierungstheoretischen Theorie der Weltgesell-schaft die Vermutung, dass mit politischer Entgrenzung spezifische Probleme und

Thorsten Bonacker/Sina Schüssler: Entgrenzungsfolgen

69ZIB 1/2008

Dilemmata politischen Handelns für NGOs entstehen. Verdeutlicht wurde dies ander Rolle, die NGOs bei der Forderung, Verhängung und Durchführung internatio-naler Sanktionen spielen. Dabei zeigt sich, dass NGOs zwar auf der einen Seiteselbst an der Generierung postterritorialer Sanktionsmacht entscheidend beteiligtsind. Zugleich müssen sie sich damit aber auch als sanktionsmächtige Akteure derinternationalen Politik darstellen. Dies wiederum gefährdet und schwächt unterUmständen territoriale Machtquellen, die auch darauf basieren, dass NGOs in transi-tiver Hinsicht ohnmächtige Akteure der Weltpolitik sind und deshalb Staaten undinternationale Regierungsorganisationen dazu bewegen müssen, Sanktionen zu ver-hängen. Umgekehrt stärken NGOs als Sanktionsforderer gegenüber Staaten undinternationalen Regierungsorganisationen territoriale und semi-territoriale Musterinternationaler Politik, die sie selbst aber als periphere und in diesem Sinne ohn-mächtige Akteure erscheinen lassen.

In dem Maße aber, wie NGOs zu selbstständigen postterritorialen Sanktionierernwerden, begeben sie sich auch in einen symbolischen Kampf um legitime Macht-quellen und damit in einen Kampf um legitime internationale Politik (vgl. ein ähnli-ches Argument für das Recht bei Fischer-Lescano/Liste 2005). NGOs büßen dannihre moralische Autorität ein, wenn sie als strategische Akteure wahrgenommenwerden, die eigene Machtquellen geltend machen. Als selbständige Sanktionierersehen sich NGOs in der öffentlichen Diskussion mit Legitimitätsproblemen kon-frontiert, die unter Umständen ihre moralische Autorität untergraben. Hinter demEinwand, NGOs seien durch nichts außer durch ihr Engagement legitimiert, stecktim Grunde ein Kampf um symbolische Macht, d. h. um legitime Quellen politischerMacht und um die Selbstbehauptung politischer Ordnungsmodelle (vgl. dazu auchAltvater/Brunnengräber 2002). Die Partizipation von NGOs in internationalen Orga-nisationen und die Inszenierung als sanktionsmächtiger Akteur im Rahmen postter-ritorialer Sanktionsmacht ist vor diesem Hintergrund ein zweischneidiges Schwert,denn sie setzen andere Einflussmöglichkeiten aufs Spiel, die gerade aus der periphe-ren Position von NGOs in der Politik der Weltgesellschaft entstehen.

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Marianne Beisheim/Achim Brunnengräber

Das Parlament im GlobalisierungsprozessEin Desiderat in der Parlamentarismus- und Global Governance-Forschung

Sowohl in der Parlamentarismusforschung als auch in der Literatur zu GlobalGovernance wird thematisiert, dass sich die Rolle parlamentarischer Institutionenverändert. Nationale Parlamente geraten durch Globalisierungsprozesse unter Druck,sodass sie ihre Funktion bei der demokratischen Legitimation und Steuerungpolitischer Prozesse nur noch eingeschränkt ausüben können. Die Kontrolle derRegierung, die Politikgestaltung durch autonome Gesetzgebung und auch dieKommunikation und Repräsentation mit Bezug auf die Gesellschaft sind davonbetroffen. Gleichzeitig wird ein erhebliches Legitimitätsdefizit intergouvernementalerPolitik konstatiert – regionale Parlamente oder transnationale parlamentarischeVersammlungen bieten bislang keine hinreichende Lösung des Problems. DieserArtikel resümiert die Beiträge aus beiden genannten Literatursträngen und macht aufForschungsdesiderate aufmerksam. So wird z. B. die Frage, unter welchenBedingungen parlamentarische Institutionen welche Beiträge zur Legitimation vonGovernance in Mehrebenensystemen leisten, bislang nur unzureichend theoretisiertund empirisch untersucht.

1. Einleitung1

Parlamenten werden zentrale Aufgaben bei der demokratischen Legitimation vonPolitik zugesprochen. Dieser Beitrag fragt zunächst danach, inwiefern nationale Par-lamente bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben zum einen durch Globalisierungs-und zum anderen durch Internationalisierungsprozesse, d. h. Global Governance,unter Druck geraten und welche Probleme dies nach sich zieht. Darauf aufbauendstellen wir vor, welche institutionellen Reaktionen auf diese Entwicklung beobacht-bar sind bzw. wie diese in der Literatur analysiert und bewertet werden. Auf Basisder Auswertung der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur, aber auch der politi-schen Diskussion zu dieser Problematik, werden wir schließlich auf offene Fragenfür die empirische Forschung hinweisen. Unserer Ansicht nach können sowohl dieParlamentarismusforschung als auch die Teildisziplin der Internationalen Beziehun-gen davon profitieren, wenn Forschungsergebnisse zum Thema gegenseitig wahrge-nommen werden und die Debatte über legitimes Regieren im Zeitalter der Globali-sierung um die parlamentarische Dimension erweitert wird.

1 Für Hinweise und konstruktive Kritik zu einer früheren Fassung danken wir den anony-men Gutachterinnen und Gutachtern der ZIB, unseren Kolleginnen und Kollegen, u. a.im Kolloquium der Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheits-politik, v. a. Carina Sprungk und Tanja Börzel, sowie Katrin Auel und Stefan Marshall.Außerdem danken wir den vielen Gesprächspartnern im Umfeld unserer Tätigkeit imDeutschen Bundestag, denen wir zahlreiche Einsichten und Einschätzungen verdanken.

Literaturbericht

74

2. Globalisierung, Global Governance und Parlamente – ein Problemaufriss

Die wissenschaftliche Literatur zum Parlamentarismus ist kaum überschaubar.2

Gleiches gilt für die Literatur zu den Themen Globalisierung und Global Gover-nance.3 Hingegen liegen zu der spezifischen Frage, wie Parlamente auf Globalisie-rung und Internationalisierung reagieren und welche Rolle parlamentarische Institu-tionen bei der Demokratisierung internationaler governance leisten können, inbeiden Literatursträngen bislang nur wenige Analysen vor. Diese möchten wir imFolgenden vorstellen. Während die Parlamentarismusforschung einige Beiträge her-vorgebracht hat (2.2), stehen Parlamente als Akteure im Kontext von Globalisie-rungs- und Global Governance-Analysen nicht gerade im Zentrum der Aufmerk-samkeit (2.1). Dies muss verwundern, denn die institutionalisierte Machtbegrenzungder Regierung durch das Parlament gehört zu den zentralen Errungenschaften derparlamentarischen Demokratie (Helms 2005a: 392).

2.1. Globalisierung und Global Governance: Parlamente als blinder Fleck in der Literatur?

Demokratie bedeutet, dass die Herrschaft aus dem Volk hervorgeht, dass sie durchdas Volk selbst und in seinem Interesse ausgeübt wird. Grundlage hierfür ist dieangenommene Kongruenz von Regierenden und Regierten (Scharpf 1998: 236; Wolf2000: 21; Zürn 1998: 237f) – vom Volk gewählte Parlamente spielen hierfür einezentrale Rolle. Diese Annahme einer Deckungsgleichheit der Interessen derjenigen,die von Entscheidungen betroffen sind, mit den Interessen derjenigen, die die Ent-scheidungen treffen und zu verantworten haben, ist bereits auf nationalstaatlicherEbene im Rahmen repräsentativer Demokratieformen prekär und konfliktträchtig.

Durch Prozesse der Globalisierung potenzieren sich die Probleme. Die »gesell-schaftliche Denationalisierung« (Beisheim et al. 1999; Zürn 1998, 2003) vollziehtsich in einem komplexen ebenen- wie politikfeldübergreifenden Prozess, in dessenVerlauf die Kongruenzbedingung durch externe Effekte oft verletzt wird. Immeröfter haben externe staatliche und nichtstaatliche Akteure, seien es multinationaleKonzerne oder Nichtregierungsorganisationen (non-governmental organizations,NGOs), entscheidenden Einfluss auf grenzüberschreitende gesellschaftliche, wirt-schaftliche und politische Prozesse. Sie werden damit zu (Mit-)Entscheidern, dienicht demokratisch rückgebunden sind. Noch dazu liegen die zeitlich beschleunig-

2 Vgl. stellvertretend Lijphart (2002); Marschall (2005a); Maurer (2002); Patzelt (2003,2005); Sebaldt (2002); von Beyme (2002); zum deutschen Parlament siehe insbesondereIsmayr (2000) und Oberreuter et al. (2001).

3 Für einen Überblick zur Literatur zu Globalisierung siehe u. a. Altvater/Mahnkopf(2002); Beisheim/Walter (1997); Beisheim et al. (1999); Behrens (2005); Held/McGrew(2003); Schirm (2006); Zürn (2002); zu Globalisierung und Global Governance vgl.stellvertretend für viele andere Benz (2004); Brand et al. (2000); Desai (1998); Held(2002); Keohane (2002); Kennedy et al. (2002); Koiman (1993); Mürle (1998); Schup-pert (2005); Senghaas/Roth (2006); Wilkinson/Hughes (2002); Zürn (1998).

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ten ökonomischen Prozesse im Kontext globalisierter Handels- und Finanztransfersmit der Langsamkeit demokratisch legitimierter und eben meist kleinräumiger Poli-tik über Kreuz (von Weizsäcker 2002).

In der Literatur und Politik zu Globalisierung wird oft herausgestellt, eine effek-tive Bearbeitung globaler Problemstellungen mache internationale Kooperationerforderlich. In ausgewählten Problembereichen der Wirtschafts-, Finanz- oderUmweltpolitik werden dem politischen Willen der nationalen Regierungen folgendtatsächlich Kompetenzen und Zuständigkeiten an internationale Instanzen wie dieEuropäische Union (EU), die Welthandelsorganisation (WTO) oder den Sicherheits-rat der Vereinten Nationen überantwortet. In diesen Fällen werden Legitimationsket-ten, die in den lokalen Wahlkreisen ihren Anfang haben, bis in den internationalenRaum hinein verlängert – oft eine Überdehnung und Überstrapazierung. Bei denÜberlegungen, wie dieser unbefriedigenden demokratischen Absicherung internatio-naler Politik begegnet werden könnte, sind sich die meisten Expertinnen und Exper-ten einig, dass sich westlich-liberale Demokratieformen aus Wahlen, Wählerschaft,Parteienkonkurrenz, parlamentarischem System und gewählten Regierungen nichtumstandslos auf die Ebene jenseits des Staates übertragen lassen (vgl. Beisheim/Nuscheler 2003; Papadopoulos 2004; Schmalz-Bruns 2006; Wolf 2002; Zürn 2003).Stattdessen haben Global Governance-Konzepte Hochkonjunktur, verstanden alsRegieren im internationalen Mehrebenensystem unter Einbezug einer Vielfalt (zwi-schen-)staatlicher und nichtstaatlicher Akteure sowie mittels einer Kombination aushierarchischer Regulierung, horizontalen Verhandlungen und freiwilligen Vereinba-rungen (vgl. u. a. Benz 2004). Damit kommt aber neben der Verletzung der Kongru-enzbedingung und den überstrapazierten Legitimationsketten zusätzlich das Problemhinzu, dass gesamtgesellschaftlich nicht legitimierte private Akteure auf globalerEbene mitregieren sollen – weitere Konkurrenz für parlamentarische Akteure.

In der Literatur zu Global Governance findet sich zudem wenig zur spezifischenRolle von Parlamenten. Entweder wird konstatiert, dass die Leistungsfähigkeitdemokratischer Institutionen und damit die demokratische Legitimation der Natio-nalstaaten (Leibfried/Zürn 2006: 49) oder der Europäischen Union (Moravcsik2005: 338) soweit »intakt« sind, dass eine »Legitimationskrise« oder ein »demo-cratic deficit« gar nicht bestehe. Oder die Forschungsliteratur zur Legitimität inter-nationalen Regierens geht nur beiläufig auf die Problematik der Schwächung vonParlamenten ein und noch seltener auf deren potenziellen Beitrag zur Legitimationdes internationalen Regierens.4 Ausnahmen gibt es jedoch, so etwa die jüngst vonBeate Habegger (2005) und Stefan Marschall (2005b) abgeschlossenen Projekte,deren Ergebnisse noch zu besprechen sind.5 Diese weitgehende Vernachlässigung

4 Vgl. Offe (2003); Cain et al. (2003); Grande/Pauly (2005); Held/Koenig-Archibugi(2005); Koenig-Archibugi/Zürn (2006).

5 Vgl. auch die Beiträge von Benz (1998); von Beyme (1998); Slaughter (2004, v. a.Kap. 3 zu »legislative networks«); Wolf (2000) oder auch Zürn (1998: 350f, 2003,2005). Im Bremer Sonderforschungsbereich »Staatlichkeit im Wandel« beschäftigt sichein Projekt mit dem Thema »Deparlamentarisierung«; es stellt jedoch die Prozesse desLegitimationswandels in den Vordergrund, nicht das Parlament als Akteur (vgl. Schnei-der et al. 2006).

Literaturbericht

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der parlamentarischen Dimension verwundert insbesondere angesichts des Umstan-des, dass ein nicht geringer Anteil der Forschungsliteratur zur Demokratisierungvon Global Governance auf alternative Legitimationsstrategien verweist. Sehr oftwird beispielsweise das Zusammenspiel von NGOs mit den Repräsentanten derExekutive nationaler Systeme oder auch direkt mit Vertreterinnen und Vertreterninternationaler Organisationen thematisiert (Beisheim 2004; Brühl 2003; Walk/Brunnengräber 2000; Liese 2006; Schuppert 2006). Oder deliberative Verfahrenwerden als legitimierende Prozesse beworben (Dingwerth 2007; Neyer 2006). Dabeiwird durchaus das Risiko gesehen, »dass Governance die Tendenz zu einer demo-kratischen Elitenherrschaft zusätzlich verschärfen wird« (Papadopoulos 2004: 220).Ulrich Beck weist darauf hin, dass viele der diskutierten Antworten auf das globaleDemokratie-Dilemma »auf die eine oder andere Weise die Schleusen für demokrati-sche Legitimation jenseits von und ohne Parlamente« (Beck 1998: 36) öffnen; dieRede ist von »post-parliamentary governance« (Andersen/Burns 1996).

2.2. Parlamentarismusforschung: Niedergangsszenarien oder Reformoptimismus?

Auch die Parlamentarismusforschung beschäftigt weniger die Frage, wie Parlamentezur Demokratisierung des globalen Regierens beitragen können. Notorisch ist jedochdie Debatte um die Bedeutung bzw. den Bedeutungsverlust nationaler Parlamente,entweder bezweifelt als eine »von keinerlei empirischen Befunden gerechtfertigteAbstiegsprognose« (Zeh 2005) oder hervorgehoben als ein »Thema mit Zukunft«(Patzelt 2005: 299). Einige Beiträge – dann auch oft an der Schnittstelle zwischenvergleichender Regierungslehre und Internationalen Beziehungen gelegen –beschäftigen sich spezifisch mit der Frage, wie Parlamente auf die genannten Pro-zesse reagieren oder wie parlamentarische Optionen in der internationalen Arenaaussehen könnten. Doch zunächst zur Grundfrage, ob und wie Globalisierung undGlobal Governance die Arbeit der Parlamente beeinträchtigen.

In der Parlamentarismusforschung gilt es als Gemeinplatz, dass Parlamente dreiGrundfunktionen haben, die sich alle auf die demokratische Legitimation und Steue-rung politischer Prozesse beziehen (vgl. Patzelt 1995, 2003; von Beyme 2002): (1)Kontrolle der Regierung und Verwaltung, (2) Politikgestaltung, v. a. durch Gesetz-gebung, und (3) Kommunikation und Repräsentation mit Bezug auf die Gesell-schaft.6 Im Mehrebenensystem des Regierens zwischen lokalem und globalemRaum sind jedoch deutliche Machtverschiebungen zu beobachten (vgl. Brunnengrä-ber 2007), die nationale Parlamente mit Blick auf diese drei Aufgaben unter Drucksetzen. Dementsprechend diskutiert ein Großteil der Literatur zu Parlamenten seit

6 Als weitere Funktion kommt klassischerweise die Wahl von Amtsträgern (die sog.»Kreation«) hinzu. Wir vernachlässigen diese im Folgenden, obwohl man auch hier dasArgument machen könnte, dass durch globalisierungsbedingte Beschleunigungsprozessein der Politik eine Legitimation der Exekutive allein über Wahlen alle vier Jahre kaummehr ausreicht. Vgl. auch Kayser (2007), der untersucht, wie ökonomische Globalisie-rung »electoral politics« beeinflusst.

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den siebziger Jahren drei zentrale Problemstellungen: (1) die Loslösung der Exeku-tive aus der Kontrolle durch die Legislative, (2) die Abgabe von Gesetzgebungs-kompetenzen an internationale Institutionen und (3) die mangelnde Partizipationvon Parlamentarierinnen und Parlamentariern an der internationalen Politik unddementsprechend die Einschränkung auch der Kommunikationsfunktion. Diese dreiProblemstellungen untergraben mithin die zentralen demokratischen Grundfunktio-nen des Parlaments. Für die Parlamentarismusforschung mag diese Diskussion zumpotenziellen Bedeutungsverlust des Parlaments ein »alter Hut« sein, in der GlobalGovernance-Debatte werden die vorliegenden Forschungsergebnisse hierzu jedochbislang nur ansatzweise rezipiert; daher hier ein kurzer Abriss der Argumentation,der die Ergebnisse der Forschung wiedergibt.

2.2.1. Bedeutungsgewinn der Exekutive

In parlamentarischen Demokratien unterliegt das Handeln von Regierungen forma-len innerstaatlichen Mechanismen der demokratischen Kontrolle (vgl. Helms 2005a,2006). Diese Kontrolle sollte zuvorderst durch Wahlen und – im politischen Alltags-geschäft – durch das Parlament gewährleistet sein. Im Globalisierungskontextgewinnt jedoch mit der zunehmenden Bedeutung internationaler Verhandlungen dieExekutive gegenüber der Legislative an Spielraum, denn internationale Verhandlun-gen führen in der Regel Vertreterinnen und Vertreter der verantwortlichen Ministe-rien. Die direkt an den Verhandlungen beteiligten Akteure der Exekutive haben denbesseren und schnelleren Zugang zu relevanten Informationen, beispielsweise übervölkerrechtliche Verträge. Die Weitergabe solcher Informationen an das Parlamenterfolgt üblicherweise »zu dem Zeitpunkt, der der Regierung angemessen erscheint«(Weichert 1960: 620, zit. nach Münzing/Pilz 1998: 578), in der Vergangenheit oftauch erst ex-post mit der Vorlage des Ratifikationsgesetzes. Die Exekutive erlangtalso die Position eines »›gate-keeper‹ in multi-level governance« (Auel/Benz 2005:380). Dies wird von Parlamentarierinnen und Parlamentariern im Deutschen Bun-destag auch problematisiert, beispielsweise im Zusammenhang mit den GATS-Ver-handlungen im Rahmen der WTO:

»Die Macht wurde in diesem Prozess von den Parlamenten auf die Exekutiven verlagert.Nationale Parlamente haben aufgrund der Komplexität und des Zeitrahmens der Ver-handlungen bisher im Prozess der Bestimmung der Verhandlungsangebote und in denlaufenden Verhandlungen immer weniger Ausmaß, Richtung und Wertevorstellungendefinieren können und daher häufig das Verhandlungsergebnis ohne umfassende parla-mentarische und öffentliche Diskussion ratifiziert.«7

Darüber hinaus kann sich die Exekutive bei den Verhandlungen im Rahmen desMehrebenenregierens der Zwei-Ebenen-Logik bedienen (Putnam 1988; Scharpf1993; Moravcsik 1997; Zangl 1999): Einerseits dient ihr die Notwendigkeit interna-tionaler Kooperation gegenüber dem Parlament zuhause als Druckmittel für unpopu-läre Politiken (vgl. Wolf 2000: 17f), andererseits kann sie die Position des Parla-

7 SPD/Bündnis 90/Die Grünen (2003).

Literaturbericht

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ments als Begründung für eigene abweichende Positionen bei den Verhandlungenanführen. So können Verantwortlichkeiten auf andere Ebenen abgeschoben werden,regierende Eliten »blame avoidance« betreiben (Offe 2003: 15) und sich mit diesemHinweis der Verantwortung entziehen, sodass weder nationale noch regionale Parla-mente eine lückenlose Kontrolle garantieren können (Grande 2000: 22; Scharpf1998: 230f).

Die politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse der Exekutive lösensich dadurch aus den Fesseln nationaler parlamentarischer Kontrolle. Dabei stehendem Parlament durchaus einige Instrumente zur Verfügung, um aktiv mitzugestal-ten, so etwa das Selbstbefassungsrecht oder Anspruch auf Auskunft durch dieRegierung (vgl. Münzing/Pilz 1998: 578f; Hellmann et al. 2006: 54).8 Wie stark dasParlament diese Instrumente nutzt oder etwa aufgrund mangelnder Information,Kapazitäten oder diplomatischer Rücksichtnahme auf notwendige Flexibilitäten dar-auf verzichtet, wäre eine Untersuchung wert. Vieles deutet darauf hin, dass derInformationsfluss hinsichtlich internationaler Entscheidungen zwischen Parlamen-ten und Regierungen unzureichend ist und parlamentarische Kontrollmöglichkeiteneingeschränkt werden. Mit Blick auf die USA diagnostiziert Saskia Sassen eine»entfesselte Exekutive« und konstatiert ein doppeltes Demokratiedefizit, das auf der»wachsenden Macht- und Geheimhaltungskonzentration im Bereich der Exekutive«basiere und auf den »begrenzten Möglichkeiten der Wahlsysteme, Demokratie tat-sächlich zu gewährleisten« (Sassen 2005: 13). Auch in Deutschland werden solcheProbleme im Parlament thematisiert.9

2.2.2. Kompetenzabgabe an supranationale Institutionen

Die bereits angesprochene internationale Kooperation zur Bearbeitung von Globali-sierungsproblemen führt in einigen Politikbereichen zur Abgabe von Kompetenzenan internationale Institutionen, in deren Rahmen dann die Vertreterinnen und Ver-treter nationaler Regierungen verhandeln und entscheiden. Durch diese intergouver-nementalen Verhandlungen entsteht eine gegenseitige »Selbstbindung« der Staaten-gemeinschaft, die entdemokratisierende Effekte haben kann (vgl. Wolf 2000: 17f,61f). Internationale Verträge sind demzufolge bei der Ratifikation zu vertretbarenpolitischen Kosten kaum noch durch das Parlament revidierbar. Hat die eigeneRegierung einem Abkommen auf internationalem Parkett zugestimmt, wird ein Par-lament aus diplomatischen Gründen wie aus Gründen der Glaubwürdigkeit undKontinuität der Außenpolitik (von Beyme 1998: 21f) das Abkommen kaum mehr-heitlich ablehnen; zumindest dann nicht, wenn Regierungsmehrheit und Parlaments-mehrheit politisch auf der selben Seite stehen. So bleibt nationalen Parlamentenkaum eine Alternative dazu, international verhandelte und gefasste Beschlüsse anzu-

8 Vgl. auch die völkerrechtlichen Aufsätze in Geiger (2003) zum Verhältnis von Gesetzge-ber und Exekutive im Bereich der auswärtigen Gewalt.

9 Vgl. Gehrcke (2006).

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nehmen.10 Dies trifft auch auf die Verträge zu, die in der Europäischen Union vonden Regierungskonferenzen ausgehandelt und vom Europäischen Rat verabschiedetworden sind (vgl. Sturm/Pehle 2001: 58). Parlamente werden oft über sog. »fasttrack«-Verfahren11 zum reinen Administrator europäischer wie internationalerBeschlüsse, ohne dass sie deren Inhalte beeinflussen oder nachträglich verändernkönnten. Hinzu kommt, dass damit eine inhaltliche Bindung erzielt wird, die denSpielraum nachfolgender Gesetzgebungsinitiativen beschränkt. So beklagt etwa derzuvor bereits zitierte Antrag im Deutschen Bundestag mit Blick auf die WTO-Regeln, mit diesen »neuen international eingegangenen Verpflichtungen« würden»die Möglichkeiten der nationalen Parlamente im Rahmen der Gesetzgebung diesePolitikfelder zu gestalten, deutlich eingeschränkt.«12

Weitreichende Prozesse hinsichtlich der Abgabe von Gesetzgebungskompetenzensind im Rahmen der europäischen Integration zu verzeichnen: Durch die Verträgevon Maastricht und Amsterdam wurden wesentliche Aufgaben in die grundsätzlicheKompetenz der Europäischen Gemeinschaft überführt – die Regelungsdichte durcheuropäisches Recht ist dementsprechend gewachsen und führte zu einer »Europäi-sierung der öffentlichen Aufgaben« (Schmidt 1999). Den nationalen Parlamentenbleibt »im Rahmen der Gesetzgebung häufig nur die Rolle des legislativen Notars,die bereits beschlossenen EU-Richtlinien per Anpassungsgesetz in nationales Rechtumzusetzen« (Oberreuter et al. 2001: 11). Zwar haben Parlamente »das letzteWort«, aber auch hier verbleibt ihnen »nur die Wahl zwischen Annahme oderAblehnung« (Kohler-Koch 2000: 30). Sicherlich gäbe es die Möglichkeit, europäi-sche Richtlinien so zu formulieren, dass gesetzgeberischer Handlungsspielraum fürdie nationalen Parlamente bliebe. Aber die de facto-Aushöhlung der Gesetzgebungals Aufgabe nationaler Parlamente durch die europäischen Institutionen wird schonlänger als Legitimationsproblem kritisiert (Kielmansegg 1996: 53).

Dabei verwies das Bundesverfassungsgericht in seinem Maastricht-Urteil(BVerfGE 89, 155) vom 12. Oktober 1993 auf die Zweigleisigkeit der Legitimationder Europäischen Union: Neben dem Europäischen Parlament komme primär dennationalen Parlamenten die Hauptrolle bei der demokratischen Legitimation derEuropäischen Union und ihrer Entscheidungsorgane zu (vgl. Steffani 1995: 43f;Hölscheidt 2000). Dazu bedarf es aber der Beteiligung nationaler Parlamente an derWillensbildung in den Angelegenheiten der Europäischen Union – die vorliegendenStudien dazu kommen jedoch selbst im europäischen Kontext zu einer eher skepti-schen Einschätzung.13 Dies führt zurück zum Problem der Stärkung der Exekutiveund damit zur Verletzung eines zentralen demokratischen Prinzips, der horizontalen

10 Nach der Geschäftsordnung hat der Bundestag lediglich die Möglichkeit der Annahmeoder Ablehnung. Von der Möglichkeit der Ablehnung der Ratifizierung völkerrechtlicherVerträge hat er in den vergangenen Jahren keinen Gebrauch gemacht.

11 »Fast track«-Gesetzgebung bedeutet, dass das Parlament über Gesetzesvorschläge nur ins-gesamt entscheiden kann und nicht nachträglich bestimmte Verhandlungsaspekte ablehnenbzw. zusätzliche Forderungen als Preis für die Verabschiedung eines Gesetzes stellen kann.

12 Vgl. SPD/Bündnis 90/Die Grünen (2003).13 Vgl. Weber-Panariello (1995); Steffani/Thaysen (1995); Kamann (1997); Norton (1996);

positiver Maurer (2002) und Holzhacker (2007).

Literaturbericht

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Gewaltenteilung (vgl. Börzel/Sprungk 2007), und zur Gefahr einer »De-Legitimie-rung politischer Entscheidungen« (Helms 2005b: 556).

Bezogen auf internationale Verhandlungen dürfte die Beteiligung von Parlamen-ten an der innerstaatlichen Entscheidungsfindung, der Schluss liegt zumindest nahe,noch geringer sein – auch wenn hierzu systematische empirische Erhebungen nochfehlen. Im Kontrast zu dieser ernüchternden Realität formulierte der ehemaligeGeneralsekretär der Vereinten Nationen (VN), Kofi Annan, es läge an den »Parla-mentariern mit ihrer einzigartigen Gesetzgebungskompetenz – und nicht zuletzt mitihrer Macht über die Finanzen, internationale Vereinbarungen in die Tat umzuset-zen« (Annan 2002). Während sich Parlamente mithin eher durch die Kompetenzeninternationaler Organisationen in der Freiheit ihrer Politikgestaltung entmachtetsehen, hofft Annan auf die Macht der Parlamente, den oft nur unverbindlichen inter-nationalen Vereinbarungen über die Umsetzung in nationales Recht zu mehr Wir-kungsmächtigkeit zu verhelfen. Wie wissenschaftliche Studien zeigen, befördernstarke parlamentarische Strukturen in der Tat die rasche Ratifizierung und zuverläs-sige Implementierung internationaler Abkommen (Martin 2000). Unter Umständen,genauer gesagt in den Fällen, in denen mit diesen internationalen Abkommen Libe-ralisierung und Deregulierung beschlossen werden, sind Parlamente in der wider-sprüchlichen Situation, mit der Ratifizierung zu ihrer Selbstentmachtung beizutra-gen (Brunnengräber/Beisheim 2006).

2.2.3. Mangelnde Partizipation von Parlamentariern im internationalen System

Parlamentarierinnen und Parlamentarier sollen die Kommunikation zwischen Wahl-kreis und Bundesebene, d. h. zwischen der Basis und der zentralen Entscheidungse-bene, sicherstellen. In den immer bedeutsameren Arenen der internationalen Politikspielen sie jedoch eine nur untergeordnete Rolle (vgl. Marschall 2002). Mit Blick aufviele internationale Organisationen, wie z. B. die WTO, wird deshalb auch eher von»exekutivem Multilateralismus« (Zürn 2003, 2005) oder vom »Club Model« multi-lateraler Kooperation gesprochen (vgl. Keohane/Nye 2001). Die »Agenda for Demo-cratization« des ehemaligen VN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali (1996)verweist auf die Bedeutung gerade der Kommunikationsfunktion nationaler Parla-mente: Sie sollen sowohl die internationale Politik durch ihren Input demokratisierenhelfen, als auch zu einem verbesserten Verständnis der Bürgerinnen und Bürger fürinternationale Politik beitragen. Die Relevanz der Vermittlung zwischen lokalerWahlkreisebene und globaler Politik im Kontext des demokratischen Mehrebenenre-gierens betont auch die Enquete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft«in ihrem Abschlussbericht: »Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen ihrenAuftrag als demokratische Mittler zwischen den Bürgerinnen und Bürgern auf dereinen und den internationalen Institutionen auf der anderen Seite wahrnehmen, umMisstrauen, Ohnmachtsgefühle und Unzufriedenheit abzubauen« (Deutscher Bun-destag 2002: 449). In einem Gutachten für die Enquete-Kommission fordert Dirk

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Messner (2001), dass Parlamente ihre Aufgabe als »Schnittstelleninstitution« desMehrebenenregierens besser erkennen und umsetzen müssten.

De facto sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier aber kaum in der internatio-nalen Arena aktiv. Stattdessen artikulieren transnational vernetzte NGOs in diesenArenen den Willen der grassroots-Ebene im Umfeld internationaler Gipfeltreffen.Dabei zeigen empirische Studien, dass die Artikulation und Repräsentanz gesell-schaftlicher Interessen in der globalen Arena durch Gewerkschaften, Verbände, Par-teien oder auch durch die sog. »New Global Opposition« (Altvater/Brunnengräber2002) zwar zunimmt, ihre politische Effektivität aber gering bleibt (vgl. Beisheim2004; Brunnengräber et al. 2005; Zürn/Walter 2005). Hinzu kommt, dass der Inter-essenpluralismus auf der nationalen Ebene im Rahmen eines ausgleichenden parla-mentarischen Systems situiert ist, während auf globaler Ebene eine solche repräsen-tative Institution, die das öffentliche Allgemeinwohl vertritt, fehlt (Falk/Strauss2001: 212). Das Parlament als der Ort, an dem ein solcher Ausgleich oder auchoppositionelle Politik nationalstaatlich institutionell verankert sind, ist in der GlobalGovernance-Literatur konzeptionell eine »Leerstelle« (Weisensee 2006: 673f).

Auch in neuartigen Gremien der politischen Konsultation, wie z. B. Runden Ti-schen, Multi-Stakeholder-Initiativen oder ähnlichen Politiknetzwerken, sind Parla-mentarierinnen und Parlamentarier nur selten vertreten (vgl. Deupmann et al. 2001).Im Rahmen dieser meist multisektoral besetzten Institutionen werden oft (Vor-)Ent-scheidungen für Gesetzgebungsprozesse getroffen. Dadurch eröffnet sich zum einendie Möglichkeit, unter Einbeziehung der Positionen und Ressourcen privater Akteu-re die Steuerung globaler Strukturen zu verbessern und globale Probleme effektiverzu bearbeiten. Es besteht aber auch die Gefahr, dass es zu einer fortschreitenden »In-formalisierung der Politik« (Altvater/Mahnkopf 2002; Greven 2005) kommt, bei dernationalen, europäischen oder transnationalen Akteursgruppen politische Entschei-dungsmacht zufällt, die nicht primär am gesellschaftlich definierten Gemeinwohl,sondern am wirtschaftlichen Eigeninteresse orientiert sind (Papadopoulus 2004).Die Einrichtung solcher Gremien verstärkt zudem den allgemeinen Trend, dass ge-sellschaftspolitische Akteure ihr nationales Parlament immer weniger als ihren zen-tralen Ansprechpartner sehen – sie wenden sich lieber gleich an die Exekutive, anNGOs, die Medien oder internationale Organisationen. Der ehemalige Bundestags-präsident Wolfgang Thierse befürchtete in diesem Zusammenhang einen »Bedeu-tungsverlust« des Parlaments zu »Abnickern« (Thierse 2001).

2.3. Die politikpraktische Diskussion

Wie bereits angedeutet, wird auch gerade in der politischen Diskussion eine Ausein-andersetzung mit diesen Fragen gefordert. So befürchtet der ehemalige Bundespräsi-dent Richard von Weizsäcker eine Krise der repräsentativen Demokratie: Da sichdie Verhandlungsdemokratie in der Hand der Exekutive befinde, bestehe die Gefahreines »Exekutiv-Autokratismus« (Körber-Stiftung 2001: 45; vgl. auch Leicht 2001).Auf Seiten der deutschen Politik haben sich im Deutschen Bundestag sowohl der

Literaturbericht

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Unterausschuss »Globalisierung« des Auswärtigen Ausschusses als auch die En-quete-Kommission »Globalisierung der Weltwirtschaft« mit diesem Thema be-schäftigt und zu seiner weiteren Erforschung aufgefordert (vgl. Deutscher Bundes-tag 2002; vgl. auch Weisensee 2006). 2004 setzte sich ein interfraktioneller Antrag»für eine parlamentarische Dimension im System der Vereinten Nationen« ein, dersich auf die von der »Cardoso-Kommission«14 geäußerten Vorschläge zur VN-Re-form bezieht (vgl. von Winter 2005).

Auch im Rahmen verschiedener internationaler Gremien beschäftigten sich Ver-treterinnen und Vertreter von Parlamenten, aus Wissenschaft und Zivilgesellschaftmit dem Thema. Die Commission on Global Governance (CGG 1995: 286) hat inihrem Bericht vorgeschlagen, bestehende internationale Parlamentarierversammlun-gen auszubauen. In der bereits genannten »Agenda for Democratization« werdenkonkrete Politikempfehlungen benannt, die parlamentarische Strukturen stärken sol-len: Sowohl transnationale parlamentarische Strukturen als auch die Parlamente inden VN-Mitgliedstaaten sollen aufgewertet werden, damit sie in der Lage sind,sowohl national als auch international im Rahmen von Global Governance den Wil-len ihrer Bürgerinnen und Bürger zu vertreten.15 Die World Commission on theSocial Dimension of Globalization sprach sich für eine Global Parliamentary Groupaus, die v. a. die Kohärenz und Konsistenz der Politik der verschiedenen internatio-nalen Organisationen überwachen solle (WCSDG 2004: 120f). Im Rahmen des sog.Helsinki Process on Globalisation and Democracy wurden ebenfalls eine Reihepolitikpraktischer Reformvorschläge diskutiert (vgl. Lee 2004). Eine besondereHerausforderung ergibt sich schließlich mit Blick auf die Parlamente in vielen Ent-wicklungsländern oder failing/failed states; hierzu gibt es kaum wissenschaftlicheLiteratur, dafür einige politikpraktische Diskussionspapiere.16

14 In dem Bericht des »Panel hochrangiger Personen zu den Beziehungen zwischen den VNund der Zivilgesellschaft« (UN-Dok. A/59/354 vom 11. Juni 2004) werden verschiedeneVorschläge für die Institutionalisierung eines solchen Projekts erörtert, etwa durch dieSchaffung einer »Zweiten Kammer« neben der Generalversammlung. Die Initiative derInterparlamentarischen Union (IPU) übte Kritik am Cardoso-Bericht, u. a. weil sie nichtmit der Zivilgesellschaft gleichgesetzt werden möchte (von Winter 2005: 18f). Zur Kritikan den Vorschlägen siehe auch Bundestags-Drucksache 15/3711, in: http://dip.bundes-tag.de/btd/15/037/1503711.pdf; 25.2.2008.

15 »Member States should consider: encouraging and facilitating the closer involvement ofparliamentarians in United Nations efforts to provide international support for democrati-zation within States; establishing a continuing committee or commission on the UnitedNations within their national parliaments; and urging the Inter-Parliamentary Union toconvene every three years at a United Nations location in order to foster internationaldialogue and debate on the United Nations and issues before the United Nations and itsMember States« (Boutros-Ghali 1996).

16 So betreibt etwa die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) einProjekt zu »Democratisation and the Rule of Law«, in dessen Rahmen auch die Stärkungvon Parlamenten zur Herstellung von Good Governance behandelt wird (siehe u. a.Chungong 2002; Eberlei 2001; Neyer 2005). Auch das BMZ und die Deutsche Stiftungfür internationale Entwicklung (DSE) förderten einen »International Policy Dialogue«zum Thema »The Participation and Interface of Parliamentarians and Civil Societies forGlobal Policy« (DSE 2002).

Marianne Beisheim/Achim Brunnengräber: Das Parlament im Globalisierungsprozess

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3. Institutionelle Reaktionen und deren Grenzen

Die diskutierten Problemstellungen für parlamentarische Demokratien im Globali-sierungsprozess führen zu zwei wichtigen Fragenkomplexen. Erstens: Wie versu-chen die nationalen Parlamente auf die Globalisierungsherausforderungen zu reagie-ren? Welche Anpassungsstrategien wurden gewählt, welche offiziellen Gremienwurden geschaffen, welche Reformversuche unternommen, um sich auf Globalisie-rungsprobleme und das Regieren in Mehrebenensystemen einzustellen? Damit engverbunden ist, zweitens, die Frage, welche parlamentarischen Institutionen im Rah-men von Global Governance-Strukturen die Legitimität internationalen Regierensstärken könnten. Die Tabelle listet ein Spektrum möglicher bzw. bereits beobachtba-rer Reaktionen und Institutionen auf, die in der Literatur diskutiert werden

Tabelle 1: Optionen zur Stärkung der parlamentarischen Dimension von Global Governance

Reaktionen & Institutionen Beispiel

National Bewusste Beschränkung auf nationale Aufgaben und innenpolitische Umsetzung internationaler Politik

1:1 Umsetzung von EU-Direktiven

Nationale mikropolitische Anpassungsprozesse

Stärkung von voice- u. Veto-Rechten, Schaffung von mehr Transparenz, verstärkter Informationsaustausch

Nationale parlamentarische Gremien Schaffung von Europaausschüssen, Enquete-Kommission zu Globalisie-rungsthemen

Bilateral Bilaterale parlamentarische Kooperation Stärkung bilateraler Parlamentarier-gruppen und -konferenzen

Regional Regionale parlamentarische Kooperation

Stärkung regionaler Parlamentarier-gruppen, Aufwertung von COSAC

Regionale Parlamente Forderung nach Kompetenzerweiterung des EP

Trans- bzw. Interna-tional

Transnationale parlamentarische Netzwerke

Stärkung von Institutionen wie GLOBE, e-Parliament, PnoWB

Transnationale parlamentarische (An-)Gremien/Parlamentarische Versammlungen

Stärkung von IPU, OSZE-Versammlung u. a.

Internationales Parlament Aufbau einer parlamentarischen Struktur bei den VN, z. B. UNPA

Literaturbericht

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Diese in der Literatur genannten Optionen zur Stärkung der parlamentarischenDimension von Global Governance wollen wir im Folgenden zunächst vorstellen(3.1) und anschließend ihre Bedeutung für die Legitimität des Regierens in Mehre-benensystemen diskutieren (3.2).

3.1. Reaktionen auf die neuen Problemlagen

Bei den denkbaren Reaktionen nationaler Parlamente auf die benannten Globalisie-rungsprobleme kann zwischen (1) internen nationalen Reformen und (2) externen,grenzüberschreitenden Vernetzungsversuchen unterschieden werden:

(1) Nationale Parlamente können sich zunächst bewusst als die nationale Ebeneim Kontext einer Mehrebenenpolitik verstehen und sich auf nationale Aufgaben unddie innenpolitische Umsetzung internationaler Beschlüsse konzentrieren. Dies kön-nen sie im Rahmen bestehender Bestimmungen tun oder sie können interne Refor-men anstreben, um ihre Position im Mehrebenenspiel zu stärken. So könnte die Teil-habe von Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei der Bestimmung dernationalen Verhandlungspositionen vor und während internationaler Verhandlungenverbessert werden, indem vorab eine verschärfte Kontrolle der Regierungspositionerfolgt. Ekkehard Münzing und Volker Pilz formulieren, vor allem der »kontinuier-liche außenpolitische Dialog mit der Bundesregierung« versetze »die Abgeordnetennach eigener Einschätzung am ehesten in die Lage, die deutsche Außenpolitik kon-kret zu beeinflussen und gleichzeitig ihrer Kontrollaufgabe nachzukommen« (Mün-zing/Pilz 1998: 601). Im Rahmen solcher Diskussions- und Entscheidungswegezwischen Abgeordneten und der Bundesregierung werden die Positionen gegensei-tig abgeglichen und ggf. korrigiert – diese Diskussionsforen müssten gestärkt wer-den. Alternativ könnten auch voice- oder Veto-Rechte für Parlamentarierinnen undParlamentarier – auch aus der Opposition – in Verhandlungsdelegationen geschaf-fen werden (so z. B. Zürn 1998: 352). In den Niederlanden, Dänemark oder denUSA ist es beispielsweise gängige Praxis, dass Parlamentarierinnen und Parlamen-tarier Teil internationaler Delegationen sind. Auch die Einrichtung spezialisierterparlamentarischer Gremien ist denkbar, beispielsweise ein Globalisierungsaus-schuss nach dem Vorbild des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäi-schen Union.

(2) Foren zur externen Vernetzung sind zunächst die in vielen Parlamenten exis-tierenden bilateralen Parlamentariergruppen, also interfraktionelle Zusammen-schlüsse, die die außenpolitischen Beziehungen zu den Parlamenten anderer Staatenpflegen. Die Anzahl dieser Gruppen hat z. B. im Deutschen Bundestag in den letztenLegislaturperioden ständig zugenommen. Derartige Parlamentariergruppen existie-ren auch zur regionalen Vernetzung (beispielsweise die Deutsch-SüdamerikanischeParlamentariergruppe). Sie stellen nicht nur ein Forum zum internationalen Mei-nungsaustausch dar, sondern bieten v. a. auch eine zusätzliche Informationsquellefür Abgeordnete. Die Bildung von Parlamentariergruppen geht u. a. auf eine Initia-

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tive der IPU zurück, die ihre halbjährlichen multilateralen Konferenzen um bilate-rale Gesprächsmöglichkeiten erweitern wollte.

Darüber hinaus sind auch transnationale Vernetzungsprozesse mit NGOs zu beo-bachten. Das Verhältnis von Parlamentarierinnen und Parlamentariern zu NGOs istdabei zwiespältig: Einige sehen transnational agierende NGO-Vertreterinnen undVertreter als unliebsame und nicht legitimierte Konkurrenz, andere votieren für stra-tegische Allianzen. Zwei parlamentarische Netzwerke, die bei ihrer Arbeit zumThema auch zivilgesellschaftliche Akteure einbeziehen, sind Global LegislatorsOrganization for a Balanced Environment (GLOBE) und e-Parliament. GLOBEverfolgt seit 1989 als internationales Forum mit mehr als 1200 Mitgliedern aus mehrals 100 Ländern v. a. das Ziel, Informationen über internationale Umweltpolitikpro-zesse sowie über innovative Politikoptionen auszutauschen.17 Die Initiative e-Parli-ament setzt auf das Internet, um die internationale Kooperation unter den Parlamen-tarierinnen und Parlamentariern zu verbessern (vgl. Johansen 2002). Dazu soll eintransnationales Forum samt einer virtuellen Ausschussstruktur geschaffen werden.18

Eine nächste Stufe der grenzüberschreitenden parlamentarischen Institutionalisie-rung sind die parlamentarischen (An-)Gremien bei internationalen Organisationen,die oft auf die Gründungsinitiative von Parlamentarierinnen und Parlamentariernzurückgehen und auf dem »Wunsch [basieren], die Parlamente in den außenpoliti-schen Angelegenheiten zu stärken« (Marschall 2002: 386). Das Besondere an dieseninterparlamentarischen Institutionen ist das »Doppelmandat« (Habegger 2005: 20f;Marschall 2006: 694) der Abgeordneten, die so als Mitglieder staatlicher Parlamenteeine direkte Repräsentationskette im internationalen Mehrebenensystem herstellen.Typische parlamentarische Versammlungen sind z. B. die 1949 eingesetzte bera-tende Parlamentarische Versammlung (PV) des Europarates und der Westeuropäi-schen Union (WEU), die Parlamentarische Versammlung der OSZE oder die Nord-atlantische Versammlung (NAV), die ihre Beschlüsse der NATO zuleitet (vgl.Habegger 2005; Kuper 1991; Kuper/Jun 1997; Marschall 2005b). An die VereintenNationen lehnt sich die 1889 gegründete Interparlamentarische Union (IPU) an (vgl.Pöhle 2003; Marschall 2005b; Habegger 2005). Mit den Parliamentarians for Glo-bal Action19 hat die IPU seit Ende der siebziger Jahre Konkurrenz durch ein globalesParlamentariernetzwerk bekommen, das politisch-progressiver als die IPU auftrittund ohne das doppelte Mandat arbeitet (d. h. individuelle Mitgliedschaft gewählterParlamentarier).

Europäische parlamentarische Institutionen sind für diese Diskussion von beson-derem Interesse. Die EU und das Europäische Parlament (EP) gelten als »Laborato-rium der Globalisierung« (Kreile 1999: 608) und werden dementsprechend auch

17 http://www.globeinternational.org.18 http://www.e-parl.net.19 http://www.pgaction.org.

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umfänglich beforscht.20 Interessant ist der Reformvorschlag, die »Konferenz derEuropaausschüsse der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlamentes«(COSAC)21 aufzuwerten, um eine stärkere Beteiligung der nationalen Parlamenteam Gesetzgebungsprozess der EU zu erreichen. Darüber hinaus wird diskutiert, fürdie diversen europäischen parlamentarischen Versammlungen eine »interparlamen-tarische Plattform« zu schaffen (Habegger 2005: 233f). Parallel hat das EuropäischeParlament einen Bedeutungswandel vom reinen Beratungsorgan zum supranationa-len Parlament mit einigen Kompetenzen erlebt (vgl. Steffani 1995: 35; Dreischer2005), zuletzt durch den Ende 2007 in Lissabon beschlossenen EU-Reformvertrag.Die Stärkung regionaler Parlamente könnte gleichzeitig aber auch eine weitereSchwächung nationaler Parlamente bedeuten (vgl. Kohler-Koch 2000: 31). Nichtzuletzt, um dem entgegen zu wirken, ist im EU-Reformvertrag die EU-Kommissiondazu verpflichtet worden, nationale Parlamente über Entwürfe von Rechtsaktenfrühzeitig zu informieren. Nationale Parlamente sollen die Einhaltung des Subsidia-ritätsprinzips kontrollieren und können erreichen, dass der Entwurf nochmals über-prüft werden muss.22 Ihre Mitberatungs- und Kontrollrechte werden also erweitert(vgl. Hänsch 2007: 501). Der Vertrag von Lissabon stärkt auch die Rolle des Euro-päischen Parlaments, indem das Mitentscheidungsverfahren zum Regelfall wird.

Hingegen besteht Konsens, dass es die Einrichtung eines Weltparlaments aufabsehbare Zeit nicht geben wird. Diese scheitere an praktischen, politischen, kultu-rellen, ideologischen und sozio-ökonomischen Fragen (vgl. von Winter 2005: 19ffür eine zusammenfassende Diskussion). Jeffrey Laurenti (2003) und RainerSchmalz-Bruns (2005) sehen die weltgesellschaftlichen Voraussetzungen für einesolche Parlamentarisierung nicht gegeben. Nichtsdestoweniger setzen sich immerwieder verschiedene Akteure wissenschaftlich wie realpolitisch für dieses Ziel ein,v. a. im Kontext der Diskussion um die VN-Reform (vgl. Archibugi 1995: 138f;Falk/Strauss 2001). Habegger (2005: 136f) stellt verschiedene Modelle zur Parla-mentarisierung der VN vor, die theoretisch wie politisch debattiert werden. InDeutschland ist v. a. das Modell einer United Nations Parliamentary Assembly(UNPA) bekannt (Bummel 2005).23 Dieses setzt darauf, eine parlamentarischeDimension bei den VN schrittweise aufzubauen. So soll die Generalversammlung

20 Die umfangreiche Literatur hierzu kann im Rahmen dieses Beitrages nicht ausführlichgewürdigt werden, siehe jedoch die in Abschnitt 3.2 behandelten Beiträge und stellver-tretend Corbett et al. (2000); Dreischer (2003); Judge/Earnshaw (2003); Krauß (2000);Kreppel (2002); Marschall (2002); Maurer (2002); Maurer/Wessels (2003); Pinder(1999); Ruff (2001); Sebaldt (2002); Steffani (1995); Steunenberg/Thomassen (2002);Sturm/Pehle (2001).

21 Conférence des Organes Spécialisés en Affaires Communautaires. Vgl. hierzu auchbereits Pöhle (1998).

22 Letztlich entscheiden dann der Rat und das EP, ob sie dem Vorschlag der Kommissionoder der Auffassung der nationalen Parlamente folgen wollen. Wenn 55% der Mitgliederdes Rates oder eine Mehrheit des EP die Auffassung der nationalen Parlamente teilen,wird der Gesetzesvorschlag nicht weiter verfolgt. Für weitere Details vgl. Baddenhausenet al. (2007: 3); Sampol (2007).

23 Dies Modell wird v. a. von der NGO »Komitee für eine demokratische UNO« (KDUN)unterstützt, vgl. http://www.uno-komitee.de/de/projekte/unpa/; 18.12.2006.

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zunächst durch eine beratende parlamentarische Institution ergänzt werden, z. B.mittels eines Kooperationsabkommens mit der IPU oder durch die Einrichtung einesNebenorgans nach Art. 22 VN-Charta. Langfristig soll im Rahmen einer umfassen-den Reform eine UNPA als Weltparlament mit echten Befugnissen ausgestattet wer-den. In einer Resolution zur VN-Reform unterstützte das Europaparlament im Juni2005 diesen Vorschlag und betonte, dass »diese Parlamentarische Versammlungüber das uneingeschränkte Recht auf Information, Teilhabe und Kontrolle verfügenund in der Lage sein sollte, Empfehlungen für die Generalversammlung der Verein-ten Nationen anzunehmen.«24

3.2. Bedeutung dieser parlamentarischen Initiativen und Institutionen

Wie nun bewertet die wissenschaftliche Literatur diese parlamentarischen Initiativenund Institutionen im Hinblick auf die Sicherstellung der Legitimität des Regierensim Kontext von Globalisierung und Global Governance?

Interne Reformbemühungen der nationalen Parlamente stoßen schnell an Gren-zen. Diese ergeben sich zum einen aus strukturellen Zwängen, wie rechtlichen oderinstitutionellen Rahmenbedingungen.25 Christian Demuth (2006) zeigt auf, wie Par-lamentsreformen grundsätzlich eingebettet sind in institutionelle Restriktionen undUmweltbedingungen, die Anpassungsbestrebungen verhindern oder konterkarierenkönnen und so institutionelles Lernen erschweren. Zum anderen mangelt es vielenParlamentarierinnen und Parlamentariern schlicht an Zeit, Ressourcen oder Exper-tise, sich mit den vielen und komplexen globalen Entscheidungsprozessen so zubeschäftigen, dass von echter Mitgestaltung bei der Entscheidungsfindung gespro-chen werden könnte (Weber-Panariello 1995: 267; Sprungk 2003; Demuth 2006).Oft bleiben Reaktionen daher symbolischer Natur, beispielsweise wenn sich Parla-mentarierinnen und Parlamentarier im eigenen Hause bzw. gegenüber der Regierungüber mangelnde Beteiligung beschweren. Da die Exekutive bei der Implementie-rung internationaler Abkommen auf die Parlamente angewiesen ist, bemüht mansich aber wohl generell, zumindest einen Minimalstandard parlamentarischer Mit-sprache im Vor- und Umfeld intergouvernementaler Verhandlungen zu sichern(Münzing/Pilz 1998: 601). Nach Aussage befragter Beteiligter versuchen Parlamen-tarierinnen und Parlamentarier diese Chance der Partizipation so zu nutzen, dass siezumindest die allgemeine Linie der Verhandlungsposition mitzugestalten versuchen.

Benz (1998: 215f) spricht in diesem Zusammenhang von der Erfordernis einer»losen Arenenkopplung«: Parlamente sollten Themen autonom diskutieren, gleich-zeitig sollen die international verhandelnden Regierungsvertreterinnen und -vertre-

24 Entschließung des Europäischen Parlaments zur Reform der Vereinten Nationen, PE357.491, angenommen am 9. Juni 2005.

25 Beispielsweise bedürfen nach Art. 59, Abs. 2 des Grundgesetzes von der Exekutive aus-gehandelte völkerrechtliche Verträge zwar der Zustimmung des Bundestages, ein materi-elles Mitbestimmungsrecht bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Verträge hat dasParlament jedoch nicht.

Literaturbericht

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ter aber nicht an parlamentarische Vorgaben gebunden sein, um deren Verhand-lungsspielräume und Kooperationsfähigkeit nicht einzuengen. Stattdessen müsse esgelingen, Bürgerinnen und Bürger über Elemente der direkten Demokratie und Par-lamentarierinnen und Parlamentarier über deliberative Kommunikationsprozesse anSachentscheidungen frühzeitig zu beteiligen. Katrin Auel und Arthur Benz (2004,2005, 2006) fanden in vergleichenden empirischen Studien heraus, dass wenigerneue offizielle Gremien und formale Beteiligungsrechte, als vielmehr informelle»mikropolitische« Anpassungsstrategien dazu dienen, die Einbindung der nationa-len Parlamente – in diesem Fall in die Angelegenheiten der EU – zu verbessern. Soversuchen etwa die Arbeitsgruppen der Fraktionen im Deutschen Bundestag infor-mell Kontakte zur Regierung bzw. auch direkt zu Akteuren auf der europäischenEbene aufzunehmen. Auf solche Mechanismen informaler26 Mitsteuerung bei derRegierungspolitik durch Parlamentarierinnen und Parlamentarier (hier der Regie-rungsfraktionen) verweist auch Manfred Schwarzmeier (2001: 383f). Er betont dieBedeutung von Fach- und Kommunikationskompetenzen der Parlamentarierinnenund Parlamentarier als entscheidenden Faktor dafür, wie erfolgreich derartige Stra-tegien sind. Axel Schäfer, Michael Roth und Christoph Thum (2007) verweisen aufjüngste Anstrengungen, die der Bundestag zur Stärkung seiner Europatauglichkeitunternommen hat. So soll dem Parlament zeitnah Zugang zu umfassenden Informa-tionen gegeben und sollen personelle und organisatorische Ressourcen ausgebautwerden.

Zur Europäisierung der Arbeit nationaler Parlamente27 und zur Rolle der Parla-mente für die Demokratie in Europa28 liegen erste empirische Studien vor, derentheoretisch angeleitete vergleichende Analysen von Anpassungsstrategien nationa-ler Parlamente im europäischen Mehrebenensystem des Regierens überzeugen (vgl.beispielsweise Auel/Benz 2004, 2005, 2006; Maurer 2002; Sprungk 2003). Wiebereits angesprochen, zeigen diese, wie Parlamentarierinnen und Parlamentarier(v. a. aus den Europa-Ausschüssen29) jenseits von Veto-Drohungen und symboli-scher Politik Opportunitätsstrukturen strategisch ausnutzen, die sich ihnen im Zugeder europäischen Integration eröffnet haben. Vergleichende Studien zeigen, dass dieReaktionen klar pfadabhängig mit Blick auf die Stellung des Parlaments im jeweili-gen politischen System sind (vgl. dazu Börzel 2000; Maurer 2002). Parlamente sindalso offenbar unterschiedlich gut gewappnet, mit derartigen Herausforderungenumzugehen. Es wäre zu untersuchen, ob diese Erkenntnisse auch für globale Politik-

26 Auf die Probleme einer solchen »Informalisierung« wurde bereits hingewiesen.27 Vgl. u. a. Auel (2003); Auel/Benz (2004, 2005, 2006); Börzel (2000); Holzhacker

(2007); Maurer/Wessels (2001); Maurer/Becker (2004); Sturm/Pehle (2001); Töller(2004).

28 Vgl. Andersen/Burns (1996); Blondel et al. (1998); Grunauer (2002); Maurer (2002);Norton (1996); Pöhle (1998); Schieren (2001); Weber-Panariello (1995). Auch derSchwerpunkt eines Sonderheftes der Zeitschrift für Parlamentsfragen zu »Demokratie inEuropa« (Steffani/Thaysen 1995) lag auf der Rolle von Parlamenten als »Schlüsselinsti-tution(en) demokratischer Systeme« (Thaysen 1995: 8).

29 Vgl. hierzu auch Sturm/Pehle (2001: 59f), die die Schwierigkeiten bereits bei der Her-ausbildung des Europa-Ausschusses des Deutschen Bundestages beschreiben.

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prozesse gelten oder ob sich die Situation angesichts schwächerer und stärker frag-mentierter institutioneller Strukturen anders gestaltet.

Studien zu den transnationalen parlamentarischen Foren (z. B. IPU oder andereparlamentarische Versammlungen) bewerten deren politische Relevanz sehr unter-schiedlich:30 Völlig unverbindlich bleibt die Kooperation in den meisten Netzwer-ken. Viele Kontakte, seien sie im Kontext von Parlamentariergruppen oder im Rah-men der IPU, dienen zwar dem individuellen Austausch, führen aber nur selten zukoordinierten Aktionen mit realer politischer Bedeutung.31 Bei den ebenfalls weit-gehend machtlosen parlamentarischen Versammlungen variiert die Bewertung vonder rein symbolischen Politik der IPU bis hin zum immerhin greifbaren Einfluss derparlamentarischen Versammlung des Europarates (Habegger 2005: 225). Die IPUhat seit 2002 offiziellen Beobachterstatus bei der Generalversammlung der Verein-ten Nationen zugesprochen bekommen; etwas, das sonst intergouvernementalenOrganisationen vorbehalten ist (vgl. Habegger 2005: 138f). Ob diese institutionelleNeuerung den politikgestalterischen Einfluss der IPU im Rahmen der VN tatsäch-lich erhöht, bleibt abzuwarten. Die IPU als Institution – teilweise sogar als Vorläufereines Weltparlaments gehandelt – leidet darüber hinaus unter diversen Problemen,v. a. hinsichtlich der Qualität ihrer Mitgliedschaft und Repräsentativität (vgl. Pöhle2003; von Winter 2005). So sind beispielsweise Parlamente nichtdemokratischerStaaten Mitglieder der IPU, während Vertreter des amerikanischen Kongresses anden IPU-Treffen nicht mehr teilnehmen.

Marschall (2005b: 328f) zeigt auf, wie die Zusammenarbeit im Rahmen parla-mentarischer Versammlungen – ungeachtet dessen, dass diese schwachen Institutio-nen ohne unmittelbaren Einfluss auf Entscheidungen seien – innovative demokrati-sche Akzente setzen kann, sowohl im Sinne der Stärkung nationalstaatlicherParlamente als auch im Sinne eines transnationalen Parlamentarismus. Er stellt vorallem die two-level-Kapazitäten der Abgeordneten in Kombination mit ihrer Freiheitzur öffentlichen Kritik jenseits diplomatischer Rücksichtnahme heraus. Die Strate-gie der »Parlamentsverflechtung« (Marschall 2005b: 334) könne sowohl Optionenfür nationale Parlamente bergen, Handlungsfähigkeit zurück zu erlangen, als aucheinen Beitrag zur Demokratisierung von Global Governance leisten.

In der Tat haben sich transnationale parlamentarische Institutionen mit Blick auftypische Globalisierungsthemen engagiert. Beispielsweise hat die IPU zahlreicheEntschließungen zu typischen Globalisierungsthemen verabschiedet und sich imVorfeld und im follow-up der Weltkonferenzen der neunziger Jahre engagiert (vgl.Habegger 2005: 170f). Außerdem wurden themenspezifische parlamentarischeNetzwerke gegründet, wie z. B. das International Parliamentary Network on GATSoder das Parliamentary Network on the World Bank (PnoWB). Immer wieder findet

30 Vgl. Habegger (2005); Kuper (1991); Kuper/Jun (1997); Pöhle (2003); Marschall(2005b).

31 Auch wenn der Bundestag selbst mit Blick auf seine Parlamentariergruppen und die Aus-landsdienstreisen seiner Mitglieder von einem wichtigen Instrument zur parlamentari-schen Kontrolle im außenpolitischen Bereich spricht (vgl. z. B. Drucksache 14/4851, in:http://dip.bundestag.de/btd/14/048/1404851.pdf; 18.12.2006).

Literaturbericht

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sich in der Literatur hierzu der allgemeine Hinweis, dass transnationale Aktivitätenviele Ressourcen der einzelnen Parlamentarierinnen und Parlamentarier in Anspruchnehmen, was sich aus deren Perspektive im nationalen Rahmen bzw. im Wahlkreiskaum »bezahlt« macht. Ist schon die Kluft zwischen Wahlkreis und nationalem Par-lament nur schwer überbrückbar, bleibt der Wandel zum »globalen Mehrebenen-spieler« eine noch schwieriger zu bewältigende Aufgabe.

4. Fazit und Ausblick: Offene Fragen für zukünftige Forschung

Folgende vorläufige Ergebnisse lassen sich mit Blick auf (1) die Parlamente im Glo-balisierungsprozess und (2) entsprechende Reaktionen formulieren. Beides könnteder Ausgangspunkt für (3) zukünftige empirische Forschung sein, bei der die politik-wissenschaftlichen Teildisziplinen der Parlamentarismus- und der Global Gover-nance-Forschung kooperieren sollten.

(1) Parlamente im Globalisierungsprozess: Erstens kommt es zu einem Verlust anKontrolle der Exekutive durch die Legislative, u. a. da relevante Informationen zuinternationalen Verhandlungsprozessen die Parlamente erst spät erreichen und poli-tische Verantwortlichkeiten in Mehrebenensystemen schwerer lokalisier- und damitauch kontrollierbar sind. Zweitens hat die nationale Legislative nach Abgabe vonKompetenzen an supranationale Institutionen kaum Einfluss auf die Gesetzgebungim Rahmen internationaler Politikprozesse. Diese Problematik stellt sich in beson-derem Maße im Kontext der europäischen Integration, aber auch internationale Ver-träge sind kaum noch revidierbar, wenn sie den nationalen Parlamenten vorgelegtwerden. Umso wichtiger wäre eine umfassende Beteiligung nationaler Parlamentean der innerstaatlichen Willensbildung im Vorfeld internationaler Verhandlungen.Drittens werden nationale Parlamente aufgrund ihrer mangelnden Präsenz und Rele-vanz in der globalen Arena von Bürgerinnen und Bürgern immer weniger als zen-trale Plattform für Kommunikation und Repräsentation gesehen.

(2) Reaktionen und weitere Entwicklung: Die Aktivitäten der IPU, des EP undtransnationaler Parlamentariernetzwerke können als Versuche einer transnationalenparlamentarischen Begleitung und damit Demokratisierung von internationalenpolitischen Prozessen gewertet werden, wobei die Bewertung der Effektivität dieserInstitutionen stark variiert. Über die weitere Entwicklung lässt sich zunächst nurspekulieren. Insgesamt ist wahrscheinlich, dass die Kontrollfunktion nationaler Par-lamente weiter geschwächt wird. Denn die Mehrheit im Parlament ist nicht daraninteressiert, dass die Verhandlungsspielräume sowie die Kooperationsfähigkeit»ihrer« Regierung eingeschränkt werden (Benz 1998: 216). Informelle, querlie-gende Kooperationsstrukturen zwischen Parlament und Regierung als Verbindungzwischen den beiden Arenen (im Sinne einer »losen Kopplung«) sind eine realeOption – aber auch sehr anfällige und brüchige Konstrukte, die keinen gleichwerti-gen Ersatz für parlamentarische Kontrolle darstellen können. Grundsätzlich versuchtdie Idee einer losen Kopplung zwei Kriterien der normativen Bewertung der Rollevon Parlamenten unter einen Hut zu bringen: zum einen demokratietheoretische Kri-

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terien wie Partizipation, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Kontrolle, zumanderen Aspekte der Effektivität und Effizienz des Regierens im Mehrebenensystem(vgl. schon Steffani 1971). Einigkeit besteht darüber, dass auch das Regieren imMehrebenensystem nicht nur der Output-, sondern möglichst auch demokratischerInput-Legitimität bedarf – die reine Steuerungsfähigkeit reicht nicht aus (Kohler-Koch 2000: 32). Wie genau die Abwägung aussehen soll, ist jedoch umstritten.

Selbst im Rahmen der europäischen Integration ist es kaum gelungen, eine Rück-gewinnung von Kontrolle über die Stärkung der formellen Kompetenzen parlamen-tarischer Institutionen zu erreichen. Ein Großteil der Literatur zeichnete bislang eher»Niedergangszenarien« (Helms 2005a: 398), in denen die Parlamente als Verliererund die Regierungen als Gewinner der Europäisierung bezeichnet werden. Das Par-lament sei »dem Brüsseler ›Alltagsgeschäft‹ mehr oder weniger ausgeliefert«(Sturm/Pehle 2001: 71).32 Ob die neuen Bestimmungen des EU-Reformvertrages defacto zu einer Stärkung der Parlamente führen, muss sich erst noch in der Praxis zei-gen.

Auf globaler Ebene erscheint es vor diesem Hintergrund utopisch, von einemWeltparlament Kontrollleistungen zu erwarten. Hier ist wohl eher angebracht,zunächst über alternative Formen demokratischer Institutionen und Verfahren nach-zudenken (vgl. z. B. Held 1995). Parlamentarische Repräsentation ist eine Form derDemokratisierung von Global Governance, die durch andere Elemente ergänztwerden kann, z. B. durch die Kontrollfunktion transnationaler NGOs, globaler(Massen-)Medien, Regulierungsbehörden oder auch judikativer Institutionen (vgl.Zangl/Zürn 2004). In diesem »Bedeutungszuwachs neuartiger Kontrolleure desnichtstaatlichen Bereichs« sieht Ludger Helms (2005a: 391, 2006) eine wichtigeEntwicklung; gleichzeitig sei dieser Fokus auf »nicht-majoritäre Institutionen« undderen Output-bezogene Legitimationsleistungen problematisch. Die Besonderheitvon Parlamenten bleibt es, Input-Legitimität durch gesamtgesellschaftliche Reprä-sentation und Verantwortung schaffen zu können – durch demokratische Verfahren,die sich auf einen territorial definierten demos beziehen.

(3) Forschungsbedarf: Zwar gibt es eine Menge Forschungsliteratur zu Globali-sierung, Global Governance oder Parlamenten – es fehlt jedoch an theoriegeleiteterempirischer Forschung zu den Wechselbeziehungen. Mittels systematisch verglei-chender Fallstudien könnte man untersuchen, in welchem Umfang und unter genauwelchen Rahmenbedingungen nationale Parlamente relevanten Einfluss auf die For-mulierung gouvernementaler Außenpolitik und die Kontrolle internationaler Politik-prozesse gewinnen (vgl. Holzhacker 2007: 9). Helms beklagt in diesem Zusammen-hang, dass die »Interdependenz und Dynamik unterschiedlicher Formen derKontrolle von Regierungsmacht weitestgehend ausgeblendet« (Helms 2005a: 393)bleiben. Weiterführend wäre zu untersuchen, inwiefern die vorliegenden instrukti-ven Ergebnisse aus der Europäisierungsforschung zu Kompensationsstrategien ein-

32 Vgl. hierzu auch Grande/Pauly (2005: 298) sowie den Beitrag von Helms (2005b), dersich kritisch mit der durch von Bogdandy (2005) formulierten »Fortschrittsthese« zumeuropäischen Parlamentarismus auseinandersetzt.

Literaturbericht

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zelner Parlamente auf globale Politikprozesse übertragbar sind. Was ist strukturellgleich, was anders? Entsprechende Hypothesen sollten erarbeitet und empirischüberprüft werden.

Auch inwieweit die transnationalen Aktivitäten der nationalen Parlamente oderneuer parlamentarischer Gremien dazu beitragen, dem Ziel einer demokratisch legi-timierten Global Governance zur Verregelung von Globalisierungsproblemen näherzu kommen, ist eine empirisch offene Frage. Zwar liegen wie besprochen erste Stu-dien zu den traditionellen parlamentarischen Versammlungen vor (Habegger 2005;Marschall 2005b), aber die jüngeren Initiativen (z. B. e-Parliament oder die sog.Meetings of Parliamentarians auf den Weltkonferenzen) oder auch die sektor- bzw.themenspezifischen Netzwerke (z. B. GLOBE oder PNoWB) sind noch nichterforscht. Zudem sind Wege der Einbindung nationaler Parlamente in die Struktu-ren und Prozesse von Global Governance noch wenig untersucht (Benz 1998: 219).Wie Benz erwartet auch Marschall, dass parlamentarische Körperschaften im Meh-rebenensystem von Global Governance »ihren Platz finden und sich miteinanderverflechten [müssen]« (Marschall 2002: 390; siehe auch Sebaldt 2002). Richtig ist,dass ein solcher transnationaler »Neoparlamentarismus« (Marschall 2002, 2005a, b)andere Funktionen ausüben und anderen Logiken unterliegen wird – aber welche(n)genau ist noch nicht geklärt.

Erste Erkenntnisse, wie sich nationale Parlamente über interne Reformen undexterne Vernetzungsbemühungen als Mehrebenenspieler beweisen und damit auchzur Legitimation von Global Governance beitragen könnten, sind in der Literaturaber durchaus vorhanden: Erstens sollte intern die Kommunikationsfunktion des Par-laments gestärkt werden. Im Kontakt zur Öffentlichkeit und zu den Bürgerinnen undBürgern liegt die Stärke nationaler Parlamente, hier liegen Möglichkeiten der Mit-gestaltung von Außen- und Globalisierungspolitiken über öffentliche Debatten.Zweitens kann die externe Vernetzung im Rahmen transnationaler parlamentarischerGremien wohl v. a. dann eine Hilfe bei der Rückgewinnung von parlamentarischerGestaltungsmacht sein, wenn es gelingt, relativ schnell und effizient strategischwichtige Informationen über aktuelle globale Entscheidungsprozesse auszutau-schen. Nur dann wird es möglich sein, während bzw. bereits im Vorfeld internatio-naler Verhandlungen mitzureden. Dies hebt drittens auf die Bedeutung der Stärkungvon Mitspracherechten im Vorfeld intergouvernementaler Verhandlungen ab. Diesekönnten für Parlamente zumindest eine gewisse Kompensation für den Verlust vonKontrolle bedeuten. Bislang sind diese Mitspracherechte im Kontext der Europäi-schen Integration stärker institutionalisiert als bei Globalisierungsproblemen – undauch besser untersucht (vgl. z. B. Auel/Benz 2006). Eine relevante Forschungsfragewäre also, wie solche Mitspracherechte – jenseits rein informeller Mitsteuerung –im Hinblick auf internationale Politikprozesse aussehen könnten.

Nicht nur für die normative Diskussion über die Zukunft der parlamentarischenDemokratie wären die Ergebnisse eine wertvolle Basis – vor allem der Diskurs überlegitime und effektive Formen von Global Governance könnte damit entscheidendergänzt werden. Legitimität und demokratische Partizipation bleiben relevante Fak-toren für effektive Steuerung auch in globalen Strukturen. Es genügt nicht, allein auf

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die Output-Legitimität internationaler Governance zu verweisen, auch wenn diedurch Globalisierung »zerfaserte Staatlichkeit« es erschweren mag, »vorauszuse-hen, welche Strukturen die demokratische Legitimation politischer Entscheidungensicherstellen könnten« (Leibfried/Zürn 2006: 54). Generell fehlt bislang bei denÜberlegungen zu Global Governance die »Perspektive der vergleichenden Regie-rungslehre fast vollständig« (Weisensee 2006: 674). Edgar Grande und ThomasRisse (2000) haben in dieser Zeitschrift bereits thematisiert, dass die verschiedenenTeildisziplinen der Politikwissenschaft, v. a. Internationale Beziehungen und Regie-rungslehre, zusammenkommen müssten, um die Folgen von Globalisierungsprozes-sen angemessen erforschen zu können. Übersetzt auf das Thema dieses Beitragsbedeutet dies, dass es wünschenswert wäre, wenn die Internationalen Beziehungenzukünftig bei der Diskussion über legitime Global Governance die Ergebnisse derParlamentarismusforschung stärker rezipieren und die Parlamentarismusforschungdie Forschungsergebnisse zu Globalisierung und Global Governance in ihrerDebatte über die Zukunft der Parlamente stärker berücksichtigen würden. Gemein-sam ließe sich dann auch die Frage bearbeiten, wie und unter welchen BedingungenParlamente zur Legitimation von Global Governance beitragen können.

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Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin Binder

Ordnung wider Willen Eine Antwort auf unsere Kritiker

Der vorliegende Beitrag reagiert auf die Kritik an unserem Forumsbeitrag. Darinhaben wir zum einen die These vertreten, dass die Verlagerung des Regierens aufinternationale Institutionen einen nichtintendierten Trend zur Supra- undTransnationalisierung der politischen Steuerung zur Folge hat. Zum anderen wirdargumentiert, dass die zunehmende Eingriffstiefe und der Bedeutungszuwachssolcher trans- und supranationalen Institutionen im Laufe der Zeit wesentlich(mit)verantwortlich sind für eine verstärkte Politisierung dieser Institutionen. Diegegen diese Thesen vorgebrachten Kritikpunkte empfinden wir als sehr hilfreich.Wir reagieren auf diese Einwände, indem wir im Folgenden zu zeigen versuchen,dass wir weder von einer Gleichgerichtetheit der von uns skizzierten Entwicklungausgehen, noch Akteure und deren strategische Interessen gänzlich unberücksichtigtlassen. Zudem beschränken sich unsere Thesen nicht allein auf die internationalenWirtschaftsbeziehungen, es finden sich ebenso Anhaltspunkte in anderenSachbereichen der internationalen Politik. Schließlich werden Gegenstand undMotive gesellschaftlicher Politisierung sowie unsere Vorstellungen einer »normativgehaltvollen Ordnung wider Willen« präzisiert.

1. Einleitung

Lothar Brock, James W. Davis, Andres Nölke und Antje Wiener haben auf unserenBeitrag »Politische Ordnungsbildung wider Willen« eine Kritik in konstruktiverAbsicht verfasst. Wir empfinden die vorgetragene Kritik als äußerst hilfreich undwollen uns dafür bedanken. Freilich stimmen wir nicht in allen Punkten überein. Inunserer Replik gehen wir auf sechs Einwände ausführlicher ein und fassen sie hierfürin drei Zweierbündel zusammen, die wir der Einfachheit halber »realistische Ein-wände«, »politökonomische Einwände« und »sozialkonstruktivistische Einwände«nennen.

Zur Erinnerung: Unser Beitrag entwickelt eine theoretisch-konzeptionelle Pers-pektive auf die institutionellen Dynamiken in den internationalen Beziehungen nachdem Zweiten Weltkrieg, die mit der Schaffung von zwischenstaatlichen Institutio-nen einsetzten und möglicherweise zu einer normativ gehaltvollen politischen Ord-nung jenseits des Nationalstaates führen. Vor dem Hintergrund einer Diagnose überdie Erfolge und Misserfolge internationaler Institutionen werden zwei zentrale The-sen und die mit ihnen verbundenen Kausalmechanismen entwickelt, die den nichtin-tendierten Folgen von politischen Eingriffen eine zentrale Bedeutung zuschreiben.Der ersten These zufolge hat die Verlagerung des Regierens auf internationale Insti-tutionen einen nichtintendierten Trend zur Supra- und Transnationalisierung der

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politischen Steuerung zur Folge. Die zweite These geht davon aus, dass die zuneh-mende Eingriffstiefe und der Bedeutungszuwachs von trans- und supranationalenInstitutionen im Laufe der Zeit Legitimationsprobleme politischer Steuerung jen-seits des Nationalstaats generieren, die wesentlich (mit)verantwortlich sind für eineverstärkte Politisierung gesellschaftlicher Akteure bei internationalen Problemstel-lungen.

2. Realistische Einwände

Ein erster Einwand stellt die Richtigkeit unserer ersten These in Frage. So bezwei-felt Davis die »Beschreibung einer gleichförmigen und einseitig gerichteten (…)Bewegung weg von zwischenstaatlichen Formen der Global Governance hin zuTrans- und Supranationalität« (Davis 2007: 177), indem er auf Anzeichen für eine»fortschreitende Renationalisierung in den internationalen Beziehungen« (Davis2007: 176) nach dem Ende des Kalten Krieges sowie die Rückkehr zum Bilateralis-mus als Strategie der Autonomiesicherung »kompetenzbesorgter Staaten« (Davis2007: 178) verweist. In ähnlicher Weise vermutet Nölke (2007: 194), dass sich hin-ter Supranationalisierungs- und Transnationalisierungsprozessen häufig schlicht spe-zifische Akteursinteressen verbergen.

An dieser Stelle gibt es keinen Dissens, vielmehr gilt es Missverständnisse auszu-räumen. Zum einen gehen wir definitiv nicht von einer »gleichförmigen und einsei-tig gerichteten Bewegung aus«. Es ist gerade unser besonderes Anliegen, auf dieBrüche der und Gegenbewegungen zur Supra- und Transnationalisierung hinzuwei-sen. Es ist explizites Ziel des Forschungsprogramms zu erklären, wie es zu einerPolitisierung und zu wachsenden Widerständen gegen internationale Institutionenkommt. Wir listen in unserem Beitrag ausführlich solche Widerstände auf. Insofernrennt Davis hier offene Türen ein. Gleichzeitig ist es wichtig, nicht jeden unilatera-len Akt und jeden Vorfall der Schwächung internationaler Institutionen als Ende desMultilateralismus zu betrauern. Ein vorurteilsfreier Blick auf Indikatoren wieAnzahl multilateraler Verträge, Anzahl von Schiedsgerichtsstellen und Anzahl voninternationalen Institutionen mit Mehrheitsentscheidungen zeigt, dass solche Institu-tionen in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen haben. Ähnliches lässtsich für transnationale Arrangements sagen. Die zu erklärende Tendenz ist also einedoppelte: die der Stärkung internationaler Institutionen einerseits und ihrer zuneh-menden Infragestellung andererseits. Das ist keine »gleichförmige«, sondern – bild-lich gesprochen – eine »gebrochene« abhängige Variable.

Zum anderen muss auch gleich an dieser Stelle konzediert werden, dass supranati-onale und transnationale Institutionen keinesfalls interessenfrei und wertneutralsind. Ohne Frage spiegelt die Gestaltung internationaler Institutionen bestimmtedominante Interessenlagen wider. Das ist im innenpolitischen Bereich nicht anders.Entscheidend ist aber, dass sich in supranationalen und transnationalen Institutionenaufgrund festgelegter und konsentierter Verfahren Entscheidungen ergeben können,die einzelne Staaten dazu »zwingen«, etwas zu tun, was sie andernfalls nicht getan

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hätten. Während also der primäre Regelungsgehalt solcher Institutionen zu einemerheblichen Maße Interessen- und Machtlagen widerspiegelt, stellen die sekundärenVerfahrensregeln einen gewissen Schutz für die Schwächeren bereit. Freilich gibt esauch heftige Kritik an den Verfahren internationaler Institutionen, die sich aberzumeist auf die Missachtung oder Umgehung der Verfahrensnormen bezieht.

Ein zweiter Einwand dieser Art beklagt die mangelnde Berücksichtigung der stra-tegischen Kapazitäten der Akteure, insbesondere der Staaten. »Der Staat, sofern erüberhaupt vorkommt, ist in der Analyse von Zürn et al. extrem schwach. Er wirdvon unten, von der Seite und von oben dominiert. Die Gesellschaft handelt, der Staatreagiert« (Davis 2007: 177). Ähnlich: »Gerade für eine institutionalistische Theorieist die Vernachlässigung der Rolle internationaler Organisationen als Akteure (…)etwas überraschend« (Nölke 2007: 197). Eine solche Vernachlässigung von agencyverhindert, so die Kritik, folglich auch, dass »fundamentale Macht- und Herrschafts-verhältnisse« (Nölke 2007: 192) und Gegenstrategien gegen die von uns beschriebe-nen Entwicklungen (Davis 2007:177) in den Blick geraten. Im Ergebnis werdedamit eine »unpolitische Theorie politischer Ordnungsbildung« vorgelegt (Nölke2007: 192).

Über die angemessene Konzeptualisierung des Verhältnisses von Akteur undStruktur kann man trefflich streiten. Es gibt keine »Meta-Theorie«, die uns sagenkönnte, wie die notwendige Balance gehalten werden kann. Insofern wollen wirauch gar nicht den Anspruch erheben, es wirklich geschafft zu haben. Was wir aberin Anspruch nehmen, ist die Entwicklung eines Modells, welches ganz bewusst dieInteraktionen von Akteursentscheidungen einerseits und den intentionalen undnichtintentionalen Struktureffekten andererseits thematisiert. Wir nehmen das»Gespräch« zwischen agency and structure gerade zum Ausgangspunkt unsererÜberlegungen und verweisen auf das Konzept der nichtintendierten Konsequenzenals Brücke: »Der Trend zur Supra- und Transnationalisierung ergibt sich […] alsmehr oder weniger unbeabsichtigtes, indirektes Ergebnis einer Vielzahl gewollterpolitischer Reaktionen auf wahrgenommene funktionale Anforderungen« (Zürn etal. 2007: 137, Hervorh. dort).1 Durch die Hervorhebung der nichtintentionalenEffekte von intentionalen Akteursentscheidungen erweist sich in unserem Modelldie Struktur als etwas Ganzheitliches, das nicht allein durch Akteursintentionenerklärt werden kann. Insofern erscheint die Strukturseite gleichsam »intentionsarm«,da vieles, was auf der Strukturebene beobachtet werden kann – etwa die Supranatio-nalisierung internationaler Institutionen – als solches als Strukturmerkmal von viel-leicht niemanden gewollt war. Andererseits hat die Strukturseite nichts Subjektlo-ses, weil sie im Modell immer das Resultat von Akteurshandeln ist. Zudem wollenwir durch die permanente (heuristisch gedachte) Interaktion von Akteurshandelnund Strukturdefekten eben beide Seiten der Medaille in den Blick nehmen. Dasschließt keinesfalls aus, dass die Frage gestellt wird, wem bestimmte Struktureffekte

1 Diese Formulierung schließt mimetische Prozesse als Ursache internationaler Instituti-onsbildung nicht per se aus. Die Wahrnehmung entsprechender funktionaler Anforderun-gen muss nicht auf einer soliden Analyse erfolgen, sie kann auch auf Nachahmungswün-schen beruhen.

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nützen und welche Macht- und Herrschaftsverhältnisse dadurch reproduziert wer-den. Indem aber Intention und Effekt voneinander getrennt werden, verzichten wirauf die problematische cui-bono-Gleichsetzung. Wir können zum einen fragen, wel-che Verteilungs- und Herrschaftseffekte durch bestimmte Entscheidungen erzeugtwerden sollten, und wir können zum anderen fragen, welche Implikationen die dannletztlich emergierende Struktur hatte und welche Reaktionen diese wiederum ausge-löst hat. Wir blenden die Verteilungs- und Herrschaftsfrage also nicht aus, sondernstellen sie doppelt. Wir blenden auch Akteure nicht aus, konzeptualisieren sie aberkonsequent im Zusammenspiel mit der Struktur.

Führt dies zu einer unpolitischen Theorie politischer Ordnungsbildung? Wir mei-nen nein. Es führt freilich zu einer Theorie politischer Ordnungsbildung, die man –um einen Begriff zu verwenden, der in anderen Kontexten der InternationalenBeziehungen inzwischen Verbreitung findet – als »post-heroisch« bezeichnen kann.Ordnungsbildung ist dann nicht das Resultat der gezielt durchgesetzten Visionen dergroßen Helden der Geschichte. Wer die historischen Dokumente zu anderen grund-legenden Aspekten der politischen Ordnungsbildung in der Neuzeit liest, mag dem-entsprechend Zweifel bekommen, ob etwa die Territorialstaatlichkeit, die sich imZuge des Eliasschen oder Tillyschen Prozess der Bildung des Gewaltmonopols ent-wickelte, wirklich zivilisatorischen Visionen der entsprechenden Königshäusergeschuldet war, oder ob der Kampf der Selbstbestimmung der amerikanischen Sied-ler – wie etwa eindrucksvoll von Thomas Paine vorgetragen – wirklich auf dieVision einer parlamentarischen Demokratie ausgerichtet war, oder ob Bismarck beider Einführung der Sozialversicherung in Deutschland wahrhaftig primär an dersozialen Integration der gesamten deutschen Bevölkerung interessiert war. In alldiesen Fällen spricht vieles dafür, dass die Protagonisten der neuen Ordnung häufigkurzfristigere und eigennützigere Ziele im Auge hatten als die Schaffung einerneuen Struktur. Eine post-heroische Theorie sieht Ordnungsbildung daher als etwasEmergentes, erwachsend aus dem Zusammenspiel vieler Akteurshandlungen und alsAbfolge einer permanenten Interaktion von Akteur und Prozess, solange bis dies zueinem (vorübergehenden) Gleichgewicht führt. Wir halten dies für realitätsadäqua-ter als die Vorstellung, dass positive und negative Helden der Geschichte ihre politi-schen Ordnungsvorstellungen gegen alle Widerstände durchsetzen – und letztlichauch für politischer.

Kurz und gut: Wir nehmen Akteure mit strategischen Kapazitäten, Staaten, Machtund Herrschaftsstrategien sehr ernst. Wir glauben aber nicht, dass institutionelle undordnungspolitische Entwicklungen jenseits des Nationalstaates auf solche Strategienreduziert werden können.

3. Politökonomische Einwände

Ein dritter, eher der politökonomischen Kritik zuzurechnender Einwand bemängelt,dass wir unser Argument überdehnen, indem wir Entwicklungen und Wirkungsme-chanismen aus dem Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen auf die

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Sicherheitspolitik übertragen (Brock 2007: 167, Davis 2007: 176; Nölke 2007: 194).Am deutlichsten bezweifelt Nölke unser Argument, wonach – in seiner Formulie-rung – Wandlungsprozesse im Bereich der »Weltgesellschaft und der Gewaltanwen-dung« als ein Prozess beschrieben werden können: Weil »die empirischen Bezügeim weiteren Verlauf des Beitrags fast ausschließlich aus dem Bereich der Weltge-sellschaft stammen […] stellt sich doch sehr die Frage, ob wir im Sicherheitsbereichwirklich einen parallelen Prozess, also eine von internationalen Institutionen(mit)verantwortete Denationalisierung, deshalb eine deutliche Zunahme transnatio-naler und supranationaler Institutionen und schließlich eine von diesen ausgelöstePolitisierung feststellen können« (Nölke 2007: 194).2

Zugegeben, der Versuch diese Entwicklungen als ein und denselben Prozess zudenken, ist ambitioniert. Wir konzedieren auch gerne, dass die Denationalisierungvon Sicherheitsbedrohungen (Neue Kriege, transnationaler Terrorismus) nicht alleinauf die Festschreibung des internationalen Status quo und gesellschaftliche Denati-onalisierung zurückzuführen sind, sondern die Ost-West-Konfrontation und derenEnde (das allerdings auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Denationa-lisierung gesehen werden kann) eine wichtige Rolle für diesen Prozess spielen. Wirbehaupten aber, dass die Entwicklungen in beiden Bereichen erstaunliche Ähnlich-keiten aufweisen. Auch im Bereich der internationalen Sicherheitsbeziehungen, derals ein hard case für unser Forschungsprogramm gelten kann, lassen sich widerErwarten Anzeichen der Trans- und Supranationalisierung feststellen, welche wie-derum eine gewisse Politisierung der entsprechenden Sicherheitsinstitutionen inGang gesetzt haben. Unsere These beruht auf der Beobachtung, dass die von unsidentifizierten Kausalmechanismen auch im Sicherheitsbereich vorhanden sind.

Zum einen sei hinsichtlich der Supranationalisierung der internationalen Sicher-heitspolitik zunächst zugestanden, dass dieser Bereich nicht in hohem Maße supra-nationalisiert ist. Gleichwohl lassen sich hier Prozesse beobachten, die darauf hin-deuten, dass auch hier das internationale Konsensprinzip zunehmend überwundenwird und rechtsförmige Entscheidungsmodi auf dem Vormarsch sind. In Reaktionauf massive Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkriege, komplexe humanitäre Kri-sen, Staatszerfall und terroristische Bedrohungen – also allesamt behind the borderissues – hat der UN-Sicherheitsrat mit supranationalen Zwangsmaßnahmen reagiert:Im Modus der Mehrheitsentscheidung und ohne die Zustimmung der betroffenenRegierung oder Konfliktpartei hat er Sanktionen verhängt, Übergangsverwaltungenund ad hoc Strafgerichte eingerichtet und militärische Interventionen autorisiert.Damit wurde tief in die betroffenen Staaten eingegriffen. Mit dem Artikel 4 (h), derden Mitgliedstaaten das Recht gibt, bei schweren Menschenrechtsvergehen in einen

2 Nölke argumentiert zudem, dass die internationalen Nachkriegsinstitutionen keine hin-reichende Erklärung für die gesellschaftliche Denationalisierung seien, und verweiststattdessen auf veränderte kapitalistische Produktionsbedingungen. Hier kann leichtEinigkeit erzielt werden: Auch wir sehen den »embedded liberalism« nicht als hinrei-chenden Erklärungsfaktor für die wirtschaftliche Globalisierung. Offene Grenzen sindaber fraglos eine notwendige Bedingung für die Globalisierung und wohl auch für daspostfordistische Akkumulationsregime.

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anderen Mitgliedstaat militärisch zu intervenieren, hat ein solches Element suprana-tionalen Zwangs auch Einzug in die Charta der Afrikanischen Union gehalten.Schließlich finden mit der Gründung des internationalen Strafgerichtshofes und derzunehmenden Zahl internationaler und internationalisierter ad hoc Strafgerichtezudem rechtsförmige Entscheidungen vermehrt Anwendung. Auch der Sicherheits-rat selbst ist als »Weltgericht« beschrieben worden, das über Fälle der Regel- bzw.Normkollision (Menschenrechte gegen Souveränität) zu befinden hat. Dieser Pro-zess reflektiert nicht zuletzt auch den tiefgreifenden Wandel der normativen Struk-tur des internationalen Systems, in dessen Zuge nicht länger allein Staaten, sondernauch Individuen zu Trägern von Sicherheitsrechten (Stichworte: human security,responsibility to protect) und damit zu Regelungsadressaten internationaler Sicher-heitspolitik werden.

Mit dem Verweis auf den sprunghaften Anstieg privater Sicherheitsdienstleisterhaben wir zum anderen versucht, Prozesse der Transnationalisierung im Sachbe-reich Sicherheit deutlich zu machen. Hier ließe sich hinzufügen, dass zur Verifika-tion von Verstößen gegen Menschenrechte und zur Erbringung humanitärer HilfeStaaten und internationale Organisationen auf transnational agierende NGOs ange-wiesen sind, deren Zahl seit den 1960er Jahren ebenfalls enorm angestiegen ist. Undmit der Extractive Industries Transparency Initiative oder dem Kimberley-Prozesslassen sich weitere Beispiele für public private partnerships im Bereich Sicherheitanführen. Wir wollen es aber auch nicht übertreiben. Im Vergleich etwa zum Poli-tikfeld internationale Umweltpolitik oder zu Institutionen wie der EuropäischenUnion nehmen sich Umfang und Bedeutung solcher Entwicklungen natürlich weit-aus bescheidener aus. Aber: Solche Trends existieren und sie lassen sich auf ganzähnliche Mechanismen zurückführen, wie wir sie für andere Bereiche der internatio-nalen Politik formuliert haben.

Haben diese Entwicklungen schließlich auch zur Politisierung internationalerSicherheitsinstitutionen geführt? Gewiss haben sich in Reaktion auf Trans- undSupranationalisierungsprozesse in den internationalen Sicherheitsbeziehungen keineWiderstände à la Seattle oder Genua formiert. Nichtsdestoweniger lassen sich Politi-sierungstendenzen verzeichnen – Brock verweist diesbezüglich völlig zu Recht aufden »selektive[n] Interventionismus der internationalen Gemeinschaft und dessenSkandalisierung« (Brock 2007: 168).3 Wenig überraschend ist somit, dass der

3 Unseres Erachtens stellt im Übrigen die NATO-Nachrüstungsdebatte der 1980er Jahre –anders als dies Nölke (2007: 198) anmerkt – bei genauerer Betrachtung durchaus einModellfall von Politisierung in unserem Sinne dar. Gestiegene Ansprüche auf politischePartizipation und politische Autonomie im Zuge der postmateriellen Wende haben sei-nerzeit zur zentralen Kontextbedingung der Friedensbewegung gehört und einen erhebli-chen Teil der deutschen Bevölkerung für den Einfluss der NATO auf die deutscheSicherheitspolitik sensibilisiert. Folgerichtig wurde die Nachrüstung auch als Ausdruckeiner Fremdbestimmung durch eine US-dominierte NATO empfunden und eben nichtallein gegen deren Politik, sondern auch für einen Austritt aus der NATO gestritten. Soschließt Petra Kelly ihren Beitrag »Warum ich den Krefelder Appell unterstütze« vielsa-gend mit: »Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind! Seid mis-strauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu müssen […] Seiunbequem, seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt!« (Kelly 1981: 25).

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Sicherheitsrat im Zuge seiner Kompetenzerweiterung schon jetzt zur Zielscheibevon Kritik und Partizipationswünschen gesellschaftlicher Akteure geworden ist.Systematisch werden dem Gremium ein hohes Maß an Intransparenz, mangelndeRepräsentativität und Teilhabe sowie eine Politik der Selektivität vorgeworfen. Undin der Tat hat sich das Gremium in Form informeller Konsultationen (Arria For-mula) zögerlich für gesellschaftliche Akteure geöffnet, wenngleich eine institutio-nelle Reform des Rates bis heute ausgeblieben ist.

In der Summe lässt sich darum feststellen, dass die von uns behaupteten Prozesseauch im Sicherheitsbereich auffällige Ähnlichkeiten aufweisen, wenngleich sie hierdeutlich weniger ausgeprägt sind. Diese Ähnlichkeiten unbeachtet zu lassen, hießeden Blick auf Gesamtentwicklungen in der internationalen Ordnung zu verstellenund stattdessen die These von der Unterschiedlichkeit der Subsysteme unhinterfragtzu übernehmen. Unsere Argumente beziehen sich auf die internationale Ordnung alsGanzes und gerade deshalb müssen auch die Bereiche in den Blick genommen wer-den, bei denen die behaupteten Entwicklungen least likely sind. Wir behaupten: Dieinternationale Sicherheitspolitik ist nicht länger domaine reservé der Staaten, dievon Anforderungen nach Legitimität und Fairness aus der Gesellschaftswelt ver-schont wird. Und diese These soll ergebnisoffen untersucht werden.

Ein vierter Einwand bezieht sich direkt auf den Charakter »klassischer« Globali-sierungskritik etwa an IWF und Weltbank und stellt den Politisierungsgehalt inFrage. So schreibt wiederum Nölke, die von uns angesprochene Politisierung sei»weniger die Folge des Bedeutungsgewinns internationaler Institutionen und derenttäuschten Mitwirkungsansprüche gesellschaftlicher Akteure, als vielmehr Aus-druck einer fundamentalen Auseinandersetzung über die richtige wirtschaftlicheStrategie und eines zunehmenden gesellschaftlichen Widerstands gegen den vondiesen Institutionen vertreten Neoliberalismus« (Nölke 2007: 198). Es gehe alsomehr um die »Substanz jener Politik […], gegen die sich politischer Protest regt«(Nölke 2007: 198) als um die Macht internationaler Institutionen und darauserwachsene Ansprüche. Dazu ist grundsätzlich festzuhalten, dass eine Politisierungmachtloser Institutionen grundsätzlich nicht plausibel erscheint. Wenn also gesell-schaftliche Akteure politisiert werden, dann müssen die adressierten Institutionen –gleichsam als notwendige Bedingung – zunächst als politisch relevant wahrgenom-men werden. Dabei vermuten wir insgesamt einen Machtzuwachs, über den man mitBlick auf einzelne Institutionen sicher streiten kann, der aber gerade von den mobili-sierten Akteuren der Gesellschaftswelt häufig unterstellt wird.4 Darüber hinaussehen wir neben den Forderungen nach Partizipation oder Transparenz fraglos auchdezidiert Output-bezogene Ansprüche wie Gerechtigkeit und Effektivität.

4 In diesem Sinne ist die Plausibilität der Politisierungsthese letztlich sogar unabhängigvon der These einer faktischen (!) Machsteigerung internationaler Institutionen. Auchhier gilt das alte Thomas-Theorem in voller Stärke: Was Akteure für wahr halten, istwahr in seinen Konsequenzen. Unsere Politisierungsthese setzt insofern nur voraus, dasseine immer größere Zahl gesellschaftlicher Akteure von der Macht dieser Institutionenüberzeugt ist und dass dies – im Verbund mit anderen Faktoren bzw. Bedingungen –Ansprüche an diese Institutionen generiert, die enttäuscht werden und zu Kritik undWiderstand führen.

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In Nölkes Verweis scheint aber unseres Erachtens wiederum auch die »politöko-nomische« Skepsis durch, inwieweit wir – wie bereits oben angesprochen – dieRolle von Interessen (»Sorge um das eigene soziale Modell«, Nölke 2007: 199)nicht zugunsten lediglich rhetorisch ventilierter Normen unterschätzen. Diese Kritikbleibt subtil, begegnet uns aber immer wieder und erscheint uns im Hinblick aufeine generelle Rezeption unserer Überlegungen zentral. Spricht die Tatsache, dasses hier um Verteilungsfragen und die Interessen eines gewichtigen Teils der Weltbe-völkerung geht, gegen unsere Idee einer »normativ gehaltvollen Ordnung widerWillen«?

Wir denken nein, und zwar angesichts zweierlei Beobachtungen: Zum einen über-sieht der Verweis auf die »substanzielle« Neoliberalismus-Kritik und die damitinvolvierten Interessen und Verteilungsfragen, dass hier oftmals nicht die Betroffe-nen selbst klagen, sondern dezidiert normativ argumentierende Advokaten. Dasadvokatorische Auftreten von Kritikern der OECD-Welt ist dabei direkter Ausdruckeiner »normativ gehaltvollen Ordnung« in unserem Sinne, weil sich diese Advoka-ten für bestimmte Interessen Anderer in der Nicht-OECD-Welt einsetzen und durchdie Verletzung fundamentaler Ansprüche auf Fairness und Gerechtigkeit motiviertwerden. Sie verhelfen damit grundlegenden Normen im Rahmen ihres eigenen Wir-kungsrahmens zur Geltung.

Zum anderen ist auch zu beobachten, dass eigene Interessen im Rahmen inter-und transnationaler Foren heute in immer größerem Maße normativ begründungsbe-dürftig werden. Man mag dies als reine Rhetorik abtun, jedoch erzeugt weltgesell-schaftliche Öffentlichkeit mittlerweile eine ähnliche Dynamik wie im nationalenRahmen: Interessen müssen als verallgemeinerungsfähig dargestellt werden, umlegitim zu erscheinen, und diese Begründungspflicht mutet den Akteuren – Staaten,Unternehmen, Interessengruppen usw. – den affirmativen Rekurs auf die normati-ven Grundlagen einer fairen und gerechten Weltordnung zu, ob sie an dieser nunbereitwillig »mitbauen« oder ihr nur im Sinne eines vordergründigen Lippenbe-kenntnisses Tribut zollen. So unterstrichen etwa die Regierungen der in Cancun als»G-21« gemeinsam auftretenden Entwicklungsländer ausdrücklich, dass sie mehrals 51 % der Erdbevölkerung und 63 % aller Bauern repräsentierten (Ambrose2003). Dass die beteiligten Regierungen wie etwa von China, Brasilien und Indiendabei aus einer Logik der Interessen heraus auf Repräsentativität drängen, ist nahe-liegend. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass hier normativ gehaltvolleArgumente vorgebracht wurden, die ein weltgesellschaftliches Publikum adressier-ten und erfolgreich Resonanz erzeugten. Wir vermuten, dass eine solche normativeRhetorik einer »fairen und gerechten Weltordnung« im Sinne einer fortschreitendenKonstitutionalisierung der internationalen Politik bedeutsam ist (vgl. auch Risse etal. 2002; Schimmelfennig 2003). Was wir sehen ist nämlich nicht weniger als die»civilizing force of hypocrisy« eines sich auch global konstituierenden Publikums-systems, dessen Effekt es nun auch im weltgesellschaftlichen Maßstab ist, »toreplace the language of interest by the language of reason« (Elster 1998: 111). EinSchlüssel zum Verständnis internationaler Politik liegt somit zunehmend in den fürMacht- und Legitimitätsfragen sensibilisierten Gesellschaften, die sowohl als aktive

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Kritiker ins Bild gehören, wie auch als »passives« Publikum, das sich eine Meinungbildet und um dessen Unterstützung die Akteure (Regierungen, internationale Insti-tutionen, Bewegungsorganisationen, Unternehmen usw.) streiten.

Nölke verweist im Übrigen mit Recht darauf, dass die von uns thematisierten An-sprüche (Partizipation, Transparenz, Gerechtigkeit etc.) vor allem von einer post-materialistisch geprägten OECD-Mittelschicht gestellt werden und Widerstände jen-seits der OECD (Cancun) angesichts autoritärer Herrschaftssysteme keinen Schlussauf mobilisierte Gesellschaften zulassen. Unsere Politisierungsthese sei also höchstensfür die OECD-Welt plausibel, vielleicht sogar nur für Europa wirklich signifikant.Diese Kritik unterschlägt allerdings die komplexe Dynamik gesellschaftlicher Mobili-sierungsprozesse im Kontext weltgesellschaftlicher Politisierung. Nationale Herr-schaftssysteme gehören zweifelsohne zu den wichtigsten Opportunitätsstrukturen ge-sellschaftlicher Mobilisierung – ob nun gegen nationale, inter- oder transnationaleInstitutionen. Es ist dabei plausibel, wenn auch keineswegs evident, dass Politisierungje nach Herrschaftssystem bzw. Gesellschaftsordnung im weiteren Sinne höchst unter-schiedliche Bedingungen hat. Autoritär verfasste Systeme erschweren erfahrungsge-mäß die öffentliche Artikulation unliebsamer Ansprüche auf Freiheitsrechte, politi-sche oder soziale Teilhabe, und es ist nur zu wahrscheinlich, dass dies fallweise auchfür Ansprüche etwa gegenüber internationalen Institutionen gilt. Daraus ist nicht zuschließen, dass Politisierung per se nur in Demokratien zu erwarten ist, die entspre-chende Forschung lehrt anderes (Tilly 1978; McAdam et al. 2001). Es kann hier aufdie öffentliche Mobilisierung im Iran im Konflikt mit der internationalen Atom-energieorganisation IAEO bzw. dem UN-Sicherheitsrat sowie die Ablehnung einerEinmischung der UN in den Darfurkonflikt in der sudanesischen Gesellschaft ver-wiesen werden. Entsprechend bleibt ein wesentliches Desiderat des von uns beschrie-benen Forschungsprogramms, die gesellschaftliche Politisierungsdynamik im Kontextregionaler politischer Kulturen, Interessenlagen und Opportunitätsstrukturen zu er-forschen. Hier ist freilich ohne einen Schulterschluss mit der Regionalwissenschaftkaum das Versprechen empirisch tiefgehender Forschung einzulösen.

4. Sozialkonstruktivistische Einwände

Ein fünfter Einwand kann als sozialkonstruktivistisch eingestuft werden. SowohlAntje Wiener als auch Lothar Brock wenden sich gegen unsere Behauptung, dass dieinternationale Ordnung im Zuge der von uns beschriebenen Entwicklungen »norma-tiv gehaltvoller« wird. Brock argumentiert, die neue Ordnung werde nicht unbedingtanspruchsvoller, sondern der Streit gehe vielmehr darüber, »wer wie mit dieser Ord-nung und mit welchen Folgen« (Brock 2007:169) umgeht. Ähnlich Wiener: »ImKern geht es um die Frage, ob Souveränität oder Menschenrechte als Grundnormvölkerrechtlich verfasst ist« (Wiener 2007: 186). Auch sie verweist somit auf dennormativ »gleichwertigen« Gehalt des Systems souveräner Staaten.

Es ist zu konzedieren, dass unsere Rede von der »normativ anspruchsvollerenOrdnung« tatsächlich missverständlich ist. Es geht uns nämlich nicht um die

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Beschreibung eines linearen Prozesses von normarmen internationalen Beziehungenzu stark normhaltigen internationalen Beziehungen. In der Tat ist die Norm der Sou-veränität und der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten im Zuge der von unsskizzierten Prozesse geschwächt worden. Es geht uns vielmehr um einen neuenTypus von Normen, der Einzug in die internationale Sphäre hält: die normativenKriterien, die an gute politische Ordnungen angelegt werden, die lange – eben mitdem Verweis auf die Staatensouveränität – aus der internationalen Politik herausge-halten werden konnten. In diesem Sinne sprechen wir von »normativ gehaltvoller«.Die von Brock im Sinne des klassischen Völkerrechts verstandene »gehaltvolle Ord-nung« (Brock 2007: 169) bleibt in diesem Sinne erkennbar schwach, solange sienicht – hierauf haben Wiener (2004) und andere mehrfach an anderer Stelle zuRecht hingewiesen – durch eine weltgesellschaftlich breite wie kulturell »dichte«Anerkennung von Normen unterfüttert wird.

Wiener trägt einen sechsten Einwand vor. Danach ist die Politisierung internatio-naler Institutionen keine nichtintendierte empirische Konsequenz, sondern der reintheoretisch generierte Nebeneffekt einer funktionalistischen Grundkonzeption. Sieschreibt: »Der Nebeneffekt, der durch diesen Prozess entsteht, kommt vor allemdann zum Vorschein und wird zum theoretischen puzzle, wenn mit der Grundan-nahme der Blickwinkel funktionalistisch verengt wird« (Wiener 2007: 188). Abs-trakt betrachtet kann ihr da nicht widersprochen werden. Ein puzzle braucht tatsäch-lich immer zwei Ingredienzen: eine theoretische begründete Erwartung und eineBeobachtung, die (zumindest zunächst) mit der Erwartung schwer in Einklang zubringen ist. Insofern wird die Beobachtung der Politisierung internationaler Instituti-onen erst durch die Zugrundelegung einer Theorie zum puzzle, die eben diese Politi-sierung als überraschend ansieht. In der Tat liegt einer solchen Einschätzung eineTheorie zugrunde, die die Entstehung internationaler Institutionen als eine Funktionvon zwischenstaatlich vermittelten Interessen, Ideen und Machtverhältnissen ansiehtund mithin es als wenig überraschend einstuft, dass internationale Institutionenlange Zeit nicht politisiert worden sind. Die Grundlegung einer solchen Theorieimpliziert aber nicht, die »Wechselbeziehungen in ihrer Wirkung auf Institutionen-bildung und ihre Konsequenzen [seien] unsichtbar« (Wiener 2007: 187). Das unse-rem Forschungsprogramm zugrunde liegende Modell thematisiert jedenfalls dieWechselwirkung zwischen Institutionen und deren Effekten und damit auch dieWechselwirkung zwischen Akteuren und deren Intentionen einerseits und Struktu-ren und deren Effekten andererseits.

5. Fazit

Brock schreibt in seiner Kritik, dass sich unsere »forschungsprogrammatischenÜberlegungen einer (…) schnellen Zuordnung zu einem bestimmten theoretischenAnsatz (Institutionalismus, Rationalismus, Funktionalismus, Konstruktivismus) ent-ziehen« (Brock 2007: 171). Wir lesen dies als Kompliment. Dass in den Repliken dieKritik aus der Perspektive unterschiedlicher Theorietraditionen vorgetragen wird,

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bestätigt dies und stimmt uns so gesehen froh. Vielleicht greift auch hier diebekannte Logik, dass man nicht ganz falsch liegen kann, wenn das Feuer gleichzeitigvon links und rechts freigegeben wird. Allerdings trifft gerade dann der BrockscheVerweis auf die Nichtberücksichtigung eines ganzen »Spektrum(s) von wissen-schaftlichen Arbeiten, die für das vorliegende Projekt eigentlich von Interesse seinmüssten« (Brock 2007: 171) in voller Schärfe. Wenn wir den Eindruck eines»Selbstgesprächs« erwecken, so war dies keinesfalls die von uns beabsichtigteKunstform. Wir wollen und müssen diesen Defekt gerne in unserer zukünftigenArbeit lindern. Das Ziel bleibt aber tatsächlich, einen theoretischen Beitrag zur Ent-wicklung internationaler Ordnungsbildung zu leisten, der sich von abgenutzten The-oriedebatten der Internationalen Beziehungen löst und sich stattdessen in der Tradi-tion des historischen Institutionalismus unterschiedlicher Theoreme, Mechanismenund Konzepte bedient und diese zu einer Erklärung zu integrieren sucht. Ob diesdirekt zu einem Lob des Eklektizismus (Katzenstein/Sil 2004) führen muss, seidahingestellt und hängt letztlich davon ab, wie ernst das Kohärenzkriterium bei derTheorieentwicklung genommen wird.

Selbst wenn die selbstgestellte Aufgabe zu 100 Prozent erfüllt werden könnte –was schon unwahrscheinlich genug ist –, so bleibt dennoch die Differenz zwischenErklärung und Prognose bestehen. Theorien sind im Allgemeinen nicht die besteGrundlage für die Prognose. Wenn es darum geht, ein Wahlergebnis zu prognosti-zieren, so wird man im Zweifelsfall eher auf die letzten Wahlumfragen als auf The-orien der Wahlentscheidung zurückgreifen. Dementsprechend scheint es uns schonrichtig, dass sich These 2 – wie Brock moniert – in »Mehrdeutigkeiten« auflöst. Erschreibt: »Da hätte man doch gerne über die Benennung denkbarer Entwicklungen(Konstitutionalisierung, Renaissance des exekutiven Multilateralismus, institutiona-lisierte Asymmetrie) hinaus einen Clou, in welche Richtung die bis 1945 und darü-ber hinaus zurückverfolgte Dynamik heute unter den Bedingungen der Politisierungweist« (Brock 2007:172). Gerade weil soziale Entwicklungen letztlich durchAkteure bestimmt werden, die unter Umständen aufgrund der Theorie und neuerKenntnisse neuartig reagieren, bleibt das Geschäft der Prognose schwierig, insbe-sondere dann, wenn es sich um die Zukunft handelt, wie Karl Valentin es aus-drückte. Freilich soll nicht verschwiegen werden, dass wir derartige informierteAnalysen über denkbare Zukunftsentwicklungen als Teil des Forschungsprogrammsverstehen. Ein Diskussionsbeitrag dazu ist gerade in der Politischen Vierteljahres-schrift erschienen, der die rechtliche Stratifizierung als eine denkbare Entwicklungs-richtung diskutiert (Zürn 2007).

Literatur

Ambrose, Soren 2003: 50 Years Is Enough (Global Exchange Cancun Bulletin), in: http://www.globalexchange.org/campaigns/wto/1036.html.pf; 10.11.2007.

Brock, Lothar 2007: Zauberlehrlinge, oder: Die List der (Un-)Vernunft in den internationalenBeziehungen. Eine Replik auf Zürn et al., in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen14: 1, 165-174.

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113Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 113–123

Hanns W. Maull

Wissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron?Eine Replik auf Peter Rudolf

»Wissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation« wird in ihren Möglichkeiten durch zweigrundsätzliche Probleme deutlich stärker eingeengt, als Peter Rudolf dies wahrhabenwill: Durch die im mathematischen Sinne »chaotische« bzw. »turbulente« Natur derinternationalen Beziehungen und durch die intrinsischen (ontologischen wie episte-mologischen) Grenzen sozialwissenschaftlichen Orientierungswissens. Außenpolitik-Evaluierung auf wissenschaftlicher Grundlage kann und sollte zwar spezifische Stra-tegien und Politiken kritisch hinterfragen; fundierte Verbesserungsvorschläge lassensich generell allerdings höchstens für die Organisation von außenpolitischen Ent-scheidungsprozessen und für allgemeine Richtlinien der Außenpolitik vorstellen. Fürdie Evaluation spezifischer außenpolitischer Entscheidungen und die Ableitung spezi-fischer Empfehlungen aus ihren Wirkungen fehlen den Sozialwissenschaften dagegenüberzeugende Kausalmodelle. Außenpolitik-Evaluation ist daher eher Kunst alsexakte Wissenschaft. Dennoch ist sie nicht nur erstrebenswert, sondern auch durchaussinnvoll, ja wichtig, wenn sie sich ihrer Grenzen bewusst bleibt und diese systematischreflektiert. Die überzeugendste Form der Außenpolitik-Analyse ist daher grundsätz-lich die dialogische, zwischen WissenschaftlerInnen und außenpolitischen Entschei-dungsträgern.

1. Außenpolitik-Evaluation: Eine vernachlässigte Aufgabe der Politikwissenschaft?1

Peter Rudolfs Beitrag in der letzten Ausgabe der ZIB stößt eine für die Disziplinwichtige Debatte an und gibt dazu zugleich zahlreiche inhaltliche Anregungen. Ichbin mir zwar nicht so sicher, ob die Evaluierung von Außenpolitik bislang tatsäch-lich so sehr vernachlässigt wurde, wie er es behauptet: Tatsächlich sollten sich – undhaben sich! – nicht nur die Politikwissenschaft, sondern vor allem die Außenpolitikselbst aus ganz offensichtlichen Gründen für die Frage interessiert, wie sie im Sinneder Problemlösung besser werden könnte. Allerdings lief das in der Vergangenheitzumeist nicht unter dem Stichwort der »Evaluierung«. Nicht selten beruhte außenpo-litische Praxis – wie etwa die weit reichenden Neuorientierungen der Außenpolitikender USA nach 1917 (aus der Sicht des damaligen Präsidenten Woodrow Wilson »thewar to end all wars« und eine Chance zur Transformation der Weltpolitik in ein leis-tungsfähiges System kollektiver Sicherheit) oder auch die Neujustierung der deut-schen Außenpolitik(en) nach 1949 oder derjenigen Japans nach 1951 – dennochimplizit und oft auch explizit auf einer »Evaluierung« vorangegangener, gescheiter-

1 Für wichtige Anregungen danke ich Marco Overhaus, Siegfried Schieder und MartinWagener.

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ter Politiken. Es gibt auch in jüngerer Zeit etliche Beispiele für Außenpolitik-Evalu-ierung, das von Rudolf zitierte Beispiel der Wirtschaftssanktionen ist keineswegs dieAusnahme: Ich nenne nur die umfangreiche Literatur zu lessons learned aus demBereich der friedenssichernden Maßnahmen und des state building (United Nations2000), aber auch beim Einsatz militärischer Machtmittel (vgl. etwa Mair/Perthes2007; Crocker et al. 2007). Amerikanische Denkfabriken wie die RAND Corpora-tion beziehen einen nicht unbeachtlichen Teil ihrer Regierungsaufträge aus Evaluie-rungsprojekten, und auch die Stiftung Wissenschaft und Politik, an der Rudolf arbei-tet, hat gerade – unter einem anderen Stichwort – eine Evaluierung der deutschenEU-Ratspräsidentschaft vorgelegt (Kietz/Perthes 2007). Dasselbe gilt auch für diePolitikwissenschaft: Von Hans-Joachim Morgenthau bis John Mearsheimer, vonEdward Hallet Carr bis Karl Deutsch, von Henry Kissinger und Joseph Nye bis Ste-phen Walt haben sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen immer wieder mitkritischen Bewertungen der jeweils betriebenen Außenpolitik zu Wort gemeldet undVerbesserungen vorgeschlagen.

So neu und unterbelichtet ist das Thema also nicht – zumal Rudolf selbst denBegriff der Evaluierung nicht besonders präzise benutzt: Es soll dabei um dieBewertung der »Effektivität von Strategien und Programmen« (Rudolf 2007: 319)gehen, dann aber auch um »systematische Bewertung außenpolitischer Strategien«(Rudolf 2007: 319) und um die »Analyse und Bewertung der Wirkungen staatlichenHandelns« mit dem Ziel »der Verbesserung lösungsorientierter Politiken« (Rudolf2007: 321). Dennoch bleibt Rudolfs Anregung bedeutsam, weil sie uns dazu einlädt,die Möglichkeiten und die Kriterien der wissenschaftlich fundierten Bewertung vonAußenpolitik zu reflektieren. Diese Anregung soll im Folgenden in Form von eini-gen (hoffentlich) weiterführenden Überlegungen aufgegriffen werden. Dabei setzeich – wie Rudolf dies vorschlägt – an bei der Suche nach Möglichkeiten zur »Ver-besserung lösungsorientierter Politiken« (Rudolf 2007: 321) und akzeptierezunächst einmal auch seine Schlussfolgerung: »Entscheidend ist die Ausrichtungder Forschung auf die Wirkungsanalyse« (Rudolf 2007: 321). Es geht, um ihn nocheinmal zu zitieren, in der Tat um »Orientierungswissen« (Rudolf 2007: 321).

2. Wirkungsanalyse: Was weiß die Politikwissenschaft über internationale Politik, und was kann sie wissen?

Aber wie weit reichen die Fähigkeiten und Möglichkeiten der Disziplin, derartigesOrientierungswissen tatsächlich zu generieren und anzubieten? Die Frage konfron-tiert uns nicht nur mit der Tatsache, dass der Bestand des wirklich unbestrittenenWissens in der Disziplin recht überschaubar, die Vielfalt der theoretischen Perspekti-ven auf Phänomene der internationalen und damit auch der Außenpolitik dagegenzunehmend unüberschaubar ist, ja, dass es aus ontologischen wie epistemologischenGründen ein Missverständnis ist, von der Disziplin autoritatives Orientierungswis-sen zu erwarten. Damit zusammenhängend stellt sich das Problem des mit demWunsch nach Orientierungswissen verbundenen Politikverständnisses. Können die

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115ZIB 1/2008

Wirkungen von Außenpolitik wirklich verstanden werden als das Ergebnis eindeutigzu identifizierender Ursachen, oder handelt es sich nicht eher um spezifische Kon-stellationen in komplexen, im mathematischen Sinne, chaotischen Prozessen? DieFrage stellen heißt wohl auch schon, sie zu beantworten!2 Die Geschichte der inter-nationalen Politik war noch nie determiniert; doch wäre sie es je gewesen, so hättedie Komplexitätszunahme des Systems der internationalen Beziehungen spätestensseit 1990, wohl aber schon seit ca.1960,3 die sich beispielhaft an der – in etlichenFeldern exponentiellen – Zunahme der Zahl der relevanten Akteure und Interakti-onsprozesse (vom Welthandel bis zu grenzüberschreitenden e-mails)4 zeigt, dafürgesorgt, dass politische Prozesse gerade in der internationalen Politik mit linearenPolitikmodellen kaum noch angemessen zu erfassen sind. Der berühmte Stoßseufzerdes britischen Premierministers Harold Macmillan auf die eifrige Frage eines jungenJournalisten, was ihm denn das Leben als Politiker und Staatsmann am schwerstenmache: »Events, my dear boy, events!«,5 gilt heute sicherlich nicht weniger alsdamals, und zwar gerade in der internationalen Politik, die ja einen vergleichsweisesehr niedrigen Grad von Verrechtlichung, Verregelung und Institutionalisierung unddamit jener Mechanismen und Arrangements aufweist, die komplexe Prozesse kana-lisieren und einhegen können.

Allerdings ist unsere Neigung, Politik als linearen, kausal bestimmten Prozess zubegreifen, äußerst hartnäckig – und in diesem Sinne erscheint mir auch PeterRudolfs Argumentation nicht immer widerspruchsfrei. Auf der einen Seite sieht erdas Problem durchaus – etwa, wenn er einräumt, dass mit »Wirkungsketten«(Rudolf 2007: 326) zu rechnen und deshalb der Zeitrahmen der Untersuchung einwichtiger Faktor sei; im Klartext heißt das doch wohl, dass Politik sich, legt man nurlängere Zeiträume zugrunde, als äußerst unberechenbar erweisen könnte; oder wenner mehrfach im Text auf »unbeabsichtigte« (Rudolf 2007: 321, 325, 327) Wirkun-gen von Entscheidungen abhebt. Auf der anderen Seite will er lediglich zugestehen,dass »aufgrund der methodischen Probleme […] nicht immer eine einigermaßensolide Wirkungsanalyse« (Rudolf 2007: 326) möglich sein wird. Er setzt deshalbauch vor allem – und dies teile ich! – auf kritische Überprüfung vorliegender außen-politischer Strategien, die so genannte Designevaluation: Wenngleich Politikwissen-schaft nicht in der Lage ist, »richtige« Wirkungsmodelle anzubieten, so kann siedoch »falsche« Wirkungsannahmen identifizieren. Des weiteren erhofft sich Rudolf

2 Vgl. hierzu grundlegend Küppers (1996).3 Erinnert sei hier an die schon 1989 erschienene Studie von James Rosenau, der die inter-

nationalen Beziehungen schon seit ca. 1960 im Zustand der »Turbulenz« (Rosenau 1989)im chaosmathematischen Sinne vermutete. Der wenig später eintretende Zerfall derSowjetunion und damit der bis dahin dominierenden weltweiten Konfliktformation desOst-West-Gegensatzes war aus dieser Sicht nicht überraschend.

4 Nach Angaben von Secure Computing, einer Beratungsfirma, die den E-Mail-Verkehrweltweit beobachtet, wurden im November 2007 weltweit täglich etwa 150 Mrd. E-Mailsversandt, davon rund 80% sog. Spams. Das Volumen des E-Mail-Verkehrs verdoppeltesich dabei im Vergleich zum Vorjahr, primär aufgrund der erhöhten Spam-Zahlen.(Secure Computing Corporation 2007).

5 Vgl. den Eintrag zu Harold Macmillan in Wikipedia: http://en.wikipedia.org/wiki/Harold_Macmillan; 20.1.2008.

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Aufschlüsse für eine bessere Außenpolitik von der Zuordnung strategischer Kon-zeptionen zu bestimmten »allgemeinen konzeptionellen Modellen« (Rudolf 2007:327). Hier bin ich skeptischer: Ob bestimmte Theorieperspektiven tatsächlich trag-fähige Grundlagen für außenpolitische Entscheidungen liefern können, hängt sehrvon der jeweiligen theoretischen Perspektive des Urteilenden ab. Es mag ja sein,dass dieser Zugang der Politikwissenschaft »einiges an Erkenntnissen« (Rudolf2007: 327) für die Bewertung von Strategiekonzeptionen beizutragen hat. Vorsichtist hier allerdings geboten, weil damit umgekehrt auch die kleinen und großen theo-retischen »Debatten« der Disziplin ins Feld der Außenpolitik-Evaluation importiertund dort dann neu ausgefochten werden könnten.

Zwei fundamentale Probleme, der sehr begrenzte Fundus an gesichertem Wissenund geteilten Perspektiven der Disziplin und der turbulente Charakter ihres Gegen-standes, der internationalen Politik selbst, beeinträchtigen und begrenzen also sehrausgeprägt die Möglichkeiten der Politikwissenschaft, Orientierungswissen für diePolitikevaluation zu schaffen. Sie machen das allerdings auch nicht unmöglich; eskommt nur darauf an, sich der Grenzen unserer Möglichkeiten bewusst zu sein undsie einzubeziehen.

All das lässt sich gut an den beiden Beispielen illustrieren, die Rudolf kurz disku-tiert: Die Außenpolitik der Einbindung Chinas (engagement) und die Problematikvon Sanktionen. Einer amerikanischen Chinapolitik, die ausschließlich auf Einbin-dung setzte, läge in der Tat ein spezifisch liberales Wirkungsmodell zugrunde – undzugleich ein im Sinne eines komplexen Politikverständnisses recht problematisches,einseitiges. Faktisch wurde eine derartige Politik allerdings auch niemals betrieben,sondern eher eine (im einzelnen unterschiedlich akzentuierte) Mischung aus Einbin-dungs- und Eindämmungspolitik. Der Vorzug dieser Politikmischung liegt vermut-lich vor allem darin, dass sie eine größere Palette möglicher Zukunftsszenarienabzudecken vermag, nicht aber in einem überlegenen Wirkungsmodell.

Bei der Handhabung von Sanktionen als Instrumenten der Außenpolitik konsta-tiert Rudolf eine breite wissenschaftliche Zustimmung zum Ansatz der smart sanc-tions, also der gezielt auf Entscheidungsträger des zu sanktionierenden Staatesabzielenden Maßnahmen. Diese Präferenz entspringt in der Tat einer Evaluierungder Erfahrungen mit und der Ergebnisse von Sanktionen in der Vergangenheit. Auchhier ist allerdings unklar, ob das zugrunde liegende Wirkungsmodell dem der altenSanktionspolitik, die den Staat als einheitlichen, geschlossenen Akteur sieht, wirk-lich überlegen ist. Zweifel scheinen da angebracht. Denn zum einen zeigte die Eva-luierung der alten Sanktionspolitik, dass Wirtschaftssanktionen unter bestimmtenBedingungen durchaus Chancen besitzen, das Verhalten des Zielstaates imgewünschten Sinne zu beeinflussen (Maull 1991); das alte zugrunde liegende Wir-kungsmodell, so ungenau es war, war doch unter bestimmten Umständen ausrei-chend. Das neue, liberale Wirkungsmodell unterschätzt dagegen systematisch dieMöglichkeiten einer Regierung, die Kosten auch gezielter Sanktionen innerhalb desZielstaates umzuverteilen bzw. wirksame Gegenstrategien zu entwickeln. Dieszeigte sich in jüngster Zeit etwa, als die USA versuchten, den nordkoreanischenDiktator Kim Jong-il über die Blockade seiner Bankkonten in Macao zu treffen:

Hanns W. Maull: Wissenschaftliche Außenpolitik-Evaluation: Ein Oxymoron?

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Kim reagierte, indem er die Sechs-Parteien-Gespräche über eine Entnuklearisierungder koreanischen Halbinsel so lange blockierte, bis die Sanktionen aufgehoben wur-den (Cumings 2007). Zudem zeigt der Fall Nordkorea, dass unappetitliche Regimewie das in Pjöngjang selektive Sanktionsstrategien auch dadurch konterkarierenkönnen, dass sie Geiseln nehmen – notfalls auch die eigene Bevölkerung. Konfron-tiert mit Bildern einer leidenden Zivilbevölkerung, kann so die internationaleGemeinschaft zu Hilfsmaßnahmen bewegt werden, die dann auch dem Regimezugute kommen. Die Schwachstelle selektiver Sanktionen liegt deshalb in den viel-fältigen Gegenstrategien, die grundsätzlich jeder funktionierenden Herrschaftsord-nung, insbesondere aber rücksichtlosen Gewaltregimen zur Verfügung stehen.Zudem bedeutet die Neuorientierung der Sanktionspolitik auf selektive Sanktionenauch, dass der beachtliche Fundus an empirischen Untersuchungen zu den Wirkun-gen von Sanktionen weitgehend irrelevant wurde: Zu smart sanctions gibt es bis-lang, wenn ich es recht sehe, nur wenige fallspezifische empirische Befunde.

Diese Beispiele illustrieren eine allgemeine Schlussfolgerung zu Wirkungsanaly-sen: Die Politikwissenschaft tut sich schwer damit, Wirkungsanalysen anzubieten,die situationsadäquate Empfehlungen erlauben würden. Ihre Stärke liegt zum einendarin, vorliegende Wirkungsmodelle kritisch zu hinterfragen, wie Rudolf dies jaauch vorschlägt. Allerdings würde ich daraus einen etwas anderen Schluss ziehenals er: Rückwirkungen im Sinne einer Verbesserung der Außenpolitik können dar-aus dann entstehen, wenn diese kritische Reflexion in die Entscheidungsprozesseselbst einbezogen und dort berücksichtigt wird, nicht aber durch die unkritischeÜbernahme alternativer Wirkungsmodell-Angebote aus der Politikwissenschaft.Zum anderen kann die politikwissenschaftliche Evaluierung zwar in der Regel keinebegründeten situationsspezifischen Handlungsvorschläge machen, wohl aber ver-mag sie allgemeine Empfehlungen zu außenpolitischen Strategien zu geben, umdiese dem fundamental »chaotischen« Charakter politischer Prozesse anzupassen,indem sie Außenpolitiken darauf ausrichtet, Komplexität systematisch einzuhegenund zu kanalisieren. Auch politikwissenschaftliche Analysen kommen deshalb hin-sichtlich der amerikanischen Chinapolitik mehrheitlich zu dem Urteil, dass eine Ele-mente der Einbindung und der Einhegung verknüpfende Strategie einseitigen Politi-ken der Eindämmung oder der vorbehaltlosen Integration überlegen ist (Lampton2005; Gill 2007; Shirk 2007). Allerdings beruht dieses Urteil nicht auf einem geteil-ten, mit eindeutigen Kausalzusammenhängen ausgestatteten Wirkungsmodell, son-dern auf den Ergebnissen intensiver Debatten und damit auf der Schnittmenge unter-schiedlicher politikwissenschaftlicher Perspektiven zu dieser Frage.

3. Kriterien für Verbesserung der Politik im Sinne der Problemlösungen: Gibt es einen archimedischen Punkt?

Klammern wir dennoch zunächst einmal die Problematik unterschiedlicher Aus-gangspunkte und Perspektiven bei der Bewertung von Außenpolitik aus undbegrenzen unsere Argumentation zur Außenpolitik-Evaluierung mit Rudolf aus-

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schließlich auf sachliche Gesichtspunkte.6 Welche Kriterien lassen sich dabei heran-ziehen? Was bedeutet das »besser« in der (impliziten) Aussage wohl jeder Evaluie-rung: Die Außenpolitik hätte (i.S. von sachgerechterer Politik) besser sein können?Hier einige mögliche Antworten:

(1) Die Vorgaben der Akteure selbst: Wenn Außenpolitik ihre Ziele klar definiertbzw. sich klare Zielhorizonte ermitteln lassen, dann lässt sich leicht feststellen, obdiese Ziele erreicht wurden. Damit ist allerdings noch nichts für die Ursachenfor-schung und damit auch für die Schlussfolgerungen im Sinne einer Verbesserung derPolitik gewonnen: es kann so lediglich ermittelt werden, dass ein Defizit bestehenkönnte (denn vorstellbar wäre ja auch, dass die Zielvorgabe von vorneherein unrea-listisch war oder die Nichterreichung des Ziels nichts mit der Politik des Akteurs zutun hatte).

(2) Ergiebiger als selbst deklarierte Ziele sind als Bewertungskriterien dagegenvon den Akteuren formulierte und für verbindlich erklärte (normative) Vorgaben.Die Evaluierung kann dann überprüfen, ob und inwieweit das außenpolitische Ver-halten den Verhaltenserwartungen entspricht, die sich aus diesen Normen ergeben.Die zentralen außenpolitischen Verhaltensnormen des Zivilmachts-Rollenkonzeptesder Bundesrepublik Deutschland lauteten in der wohl knappsten Fassung: neveragain (= grundsätzliche Abkehr von nationalistischer bzw. nationalsozialistischerMachtpolitik und allen deutschen Sonderwegen), never alone (= keine deutschenAlleingänge, prinizipieller Multilateralismus), und politics before force (= Skepsisgegenüber den Möglichkeiten militärischer Machtmittel; Einsatz nur im Verbundmit anderen und auf der Grundlage klarer Legitimität) (Maull 2001). In der Regellässt sich leicht feststellen, ob und inwieweit sich die deutsche Außenpolitik nachwie vor an diesen Verhaltensnormen orientiert. Dieses Bewertungskriterium erlaubtAussagen, die unabhängig von den Positionen des Beobachters sind, aber es besagtnichts darüber, ob eine Außenpolitik der Problematik selbst angemessen ist.

(3) Andere normative Kriterien, die unabhängig von den Rollenkonzepten derAkteure formuliert werden. Normen reflektieren als generalisierte Verhaltenserwar-tungen zum einen Annahmen darüber, was »richtig« bzw. »gut« ist – unabhängigdavon, welche Auswirkungen aus dem Verhalten entstehen. Sie transportieren mög-licherweise aber auch probabilistische Annahmen über die Auswirkungen des ent-sprechenden Verhaltens: Die Norm »never again« etwa kann sowohl als Form der

6 Allerdings ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die strikte Trennungvon »Akteur«, »Beobachter« und »Problem« einem positivistischen Wissenschaftsbe-griff verhaftet ist, der epistemologisch nicht mehr haltbar erscheint. Ein praktisches Bei-spiel hierfür lieferte der inzwischen weitgehend verdrängte Anschlag mit Milzbrand-Erregern in den USA im Gefolge des 11. September 2001. Dieser Anschlag wurde mitErregern verübt, die aus den Beständen der amerikanischen B-Waffenlaboratorienstammten; er wurde bislang nicht aufgeklärt (vgl. hierzu Federal Bureau of Investigation(2008)), der Verdacht richtete sich aber auf einen hohen Mitarbeiter dieser Waffenpro-gramme, Dr. Steven Hatfill; als Motiv wurde vermutet, der Mann habe die Öffentlichkeitauf die Gefahren terroristischer Anschläge mit biologischen Massenvernichtungswaffenhinweisen und sie wachrütteln wollen. Hatfill wies die Anschuldigungen zurück undsetzte sich damit auch gerichtlich durch (Shane 2005). Der Vorfall illustriert das schönegeflügelte amerikanische Wort: We have met the enemy – and it is us!

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moralischen Wiedergutmachung wie auch als Wegweiser verstanden werden, wieangestrebte außenpolitische Ziele mit großer Wahrscheinlichkeit erreicht werdenkönnen. Versteht man Normen (auch) in diesem letzterem Sinne, dann ist dieBewertung außenpolitischen Handelns anhand dieses Kriteriums auch relevant ausder Sicht der Sachlogik. Die besagte Norm ließe sich dann etwa als Bewertungskri-terium nicht nur an die Außenpolitik Deutschlands anlegen, sondern auch an dieJapans – mit der durchaus plausiblen Schlussfolgerung, dass Japans Außenpolitik,indem sie diese Norm nicht hinreichend berücksichtigte, weniger erfolgreich imErreichen ihrer Ziele war, als sie hätte sein können (Maull 2004).

(4) Als Mittelweg zwischen den beiden zuletzt diskutierten Kriterien ließen sichnormative Bewertungsmaßstäbe schließlich auch aus der Entfaltung idealtypischerRollenkonzepte gewinnen. Diese leiten Normen nicht aus je konkreten außenpoliti-schen Rollenkonzepten ab, sondern formulieren sie im Sinne des Vorgehens vonMax Weber idealtypisch. Dadurch wird die Kluft zwischen außenpolitischemAnspruch und Wirklichkeit gewissermaßen analytisch geschärft und damit die kriti-sche Evaluierung erleichtert – allerdings möglicherweise auf Kosten des Realitäts-gehaltes der Evaluierung. Wie das oben angeführte Beispiel aus der japanischenAußenpolitik zeigt, kann auch diese Form der Evaluierung, die Japan etwa am Ideal-typus der Zivilmacht misst, durchaus aufschlussreiche Ergebnisse zeitigen. Ichselbst – wie daran anknüpfend übrigens auch Rudolf (2005)! – habe den Idealtypusder Zivilmacht seit vielen Jahren immer wieder zur »Evaluierung« der deutschenAußenpolitik herangezogen und damit jeweils recht frühzeitig Einschätzungen ent-wickeln können, die sich inzwischen weitgehend durchgesetzt haben. Dies betrifftinsbesondere die deutsche Außenpolitik in den ersten Jahren nach 1990 (vgl. etwaMaull 1995/96; Rittberger 1999), aber auch die Außenpolitik der rot-grünen Koali-tion (Maull et al. 2003).

(5) Weitere mögliche Bewertungskriterien sind Kohärenz und Konsistenz. Ich ver-wende diese Begriffe hier allerdings anders als Rudolf: Bei ihm bezieht sich Kohä-renz auf die logische Stimmigkeit einer Außenpolitik, Konsistenz auf ihre Überein-stimmung mit empirischen Befunden (Rudolf 2007: 326). »Kohärenz« kann sichaber auch auf die Geschlossenheit einer Außenpolitik beziehen –kohärente Außen-politik ist eine Außenpolitik aus einem Guss, die mit einer Stimme spricht und ein-heitlich umgesetzt wird; mangelnde Kohärenz betrifft das Gegeneinander unter-schiedlicher bürokratischer oder politischer Akteure. »Konsistenz« beschreibt ausmeiner Sicht eine Außenpolitik des langen Atems, der Geschlossenheit und Dauer-haftigkeit über längere Zeiträume hinweg (die freilich nur unter der Maßgabe sinn-voll ist, dass sich die Gegebenheiten nicht wesentlich verändert haben!). Ich habeinsbesondere diese Bewertungskriterien in meiner jüngsten kritischen Bestandsauf-nahme der rot-grünen Außenpolitik herangezogen (Maull 2006: 277).7 Allerdingssagen auch diese Kriterien, gleichgültig ob in der Begriffsbestimmung Rudolfs oder

7 Die Behauptung, dieser Band gebe sehr deutlich »den Mangel an expliziter, systemati-scher Strategieevaluation wider« (Rudolf 2007: 320), ist daher für mich nicht nachvoll-ziehbar, zumal Rudolf auf die dort explizit entfalteten Kategorien (power, consistencyund coherence of purpose, process) nicht eingeht.

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meiner, hinsichtlich der Angemessenheit einer Politik im Sinne der Sachlogik bes-tenfalls eines aus: Inkohärente bzw. inkonsistente Außenpolitik dürfte in der Regeldefizitär sein, eine kohärente und konsistente Politik wird dadurch aber noch keines-falls effektiv im Sinne der Problembearbeitung. Und bei spezifischen Entscheidun-gen mag noch nicht einmal diese sehr vorsichtige Aussage ihre Gültigkeit behauptenkönnen.

(6) Aus dem bisher Gesagten sollte bereits deutlich geworden sein, dass ich PeterRudolfs Akzentsetzungen auch in einem weiteren Punkt nicht teile: Wissenschaftli-che Außenpolitik-Evaluierung sollte sich sehr wohl und gerade mit den Prozessender Außenpolitik-Formulierung auseinandersetzen.8 Denn angesichts der skizziertenSchwierigkeiten der Politikwissenschaft, tragfähige Aussagen über Wirkungsmo-delle zu machen, liegt der Wert der Außenpolitik-Evaluierung aus meiner Sicht vorallem in der Prozessanalyse, wie dies Rudolf später ja selbst ausführt (Rudolf 2007:325, 326). Prozessanalysen können verdeutlichen, wo und warum Wirkungsannah-men unreflektiert übernommen, mögliche Komplikationen unzureichend vorbedachtoder Handlungsalternativen unzureichend breit überprüft wurden.

(7) Schließlich sollte als Bewertungskriterium für Außenpolitik auch untersuchtwerden, ob und in welchem Umfang außenpolitische Entscheidungsträger angemes-sen dazu beigetragen haben, die für die betriebene Politik erforderlichen gesell-schaftlichen Ressourcen (im weitesten Sinne des Wortes verstanden) zu mobilisie-ren. Meinem Eindruck nach steckt nationalstaatliche Außenpolitik nämlich geradeunter den Bedingungen der Globalisierung in einer permanenten strukturellen Über-forderung zwischen den Anforderungen an die und den Möglichkeiten der Außen-politik, auf im Kern globale Entwicklungsprozesse im Sinne der eigenen nationalenPräferenzen einzuwirken. Wenn überhaupt, kann diese permanente (und wahr-scheinlich weiter zunehmende) Überforderung nur durch zusätzliche Anstrengungenin zwei Richtungen behoben werden: Zum einen durch verstärkte zwischenstaatli-che und transnationale Zusammenarbeit und Integration, zum anderen durch dieMobilisierung zusätzlicher gesellschaftlicher und transnationaler Ressourcen fürZwecke dieser Kooperationen.

Keines dieser Kriterien kann freilich völlig überzeugen, keines liefert wirklichkonsensfähige und problemadäquate Möglichkeiten der Außenpolitik-Evaluierung.Die Gründe dafür liegen in den beiden bereits diskutierten Problemen a) der Naturpolitischer Prozesse, b) der spezifischen Möglichkeiten und Grenzen der Politikwis-senschaft. Hinzu kommt ein dritter, bislang noch nicht thematisierter Faktor, näm-lich c) die Eigenlogik politischen Handelns. Außenpolitische Entscheidungen jen-seits von Routinehandlungen unterliegen in der Regel ja nicht nur der Sachlogik,sondern auch einer politischen Logik, bei der es darum geht, die Chancen der Ent-scheidungsträger zu wahren und zu mehren, auch in Zukunft über Entscheidungs-kompetenz zu verfügen. Für die politikwissenschaftliche Evaluierung von Außenpo-litik wirft das die Frage auf, ob – und wenn ja, in welcher Weise – sie diese Logik

8 Bei Rudolf heißt es: »Außenpolitik ist primär auf die Wirkungsanalyse und nicht auf diePolitikformulierung ausgerichtete Forschung« (2007: 319, 321).

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integrieren kann und will. In jedem Falle aber ist diese politische Logik als Teil derHerausforderung an Außenpolitik anzuerkennen – ein in der Bewertung von Außen-politik aus der Sicht der Wissenschaft häufig vernachlässigter Effekt, der auch in derAnalyse von Rudolf fehlt. Aber außenpolitische Entscheidungen können sich ebennicht nur an der Sachlogik ausrichten, sondern sie müssen auch im Sinne der politi-schen Logik »ratifizierbar« (Putnam 1988) sein.

4. Schlussfolgerungen

Aus meiner Sicht ergibt sich aus all dem zunächst die Schlussfolgerung, dass Außen-politik – wie letztlich jede Politik – der wissenschaftlichen Evaluierung nur begrenztzugänglich ist. Daraus folgt nicht, dass Außenpolitik-Evaluierung überflüssig, undauch nicht, dass sie nicht Sache der Politikwissenschaft sei. Es folgt daraus aber,dass Außenpolitik-Evaluierung nicht allein durch die Politikwissenschaft betriebenwerden kann und dass diese dabei kaum autoritative Wirkungsmodelle anbietenkann, sondern bestenfalls »kluges«, ebenso intuitiv wie intellektuell begründetesErfahrungswissen aus ihrer spezifischen Erfahrungsperspektive. Am sinnvollstenerscheint es daher, wie Rudolf das auch andeutet, die Außenpolitik-Evaluation dialo-gisch im systematischen Austausch von Wissenschaft und Entscheidungsträgern mitdem Ziel des außenpolitischen Lernens (Levy 1994) zu betreiben. Aber auch diebeste Außenpolitik-Evaluation in diesem Sinne wird nicht in der Lage sein, die Ent-scheidungsträger von ihrer Verantwortung zu entlasten. In Bismarcks berühmtemDiktum, die Außenpolitik sei die »Kunst des Möglichen«, ist die Betonung auf dasWort »Kunst« zu legen: Die gelungene Integration von sachlich angemessenen, jakreativen Problemlösungen und der Mobilisierung politischer Unterstützung ist eineKunst, keine Wissenschaft.

Insgesamt sollte sich die Politikwissenschaft also der Herausforderung derAußenpolitik-Evaluierung, die Peter Rudolf formuliert hat, stellen – aber mit dergebotenen selbstkritischen Bescheidenheit. Der Mehrwert ihrer Beiträge dürfte vorallem in der kritischen Reflexion der jeweiligen außenpolitischen Designs und inEmpfehlungen allgemeiner, strategischer Art liegen, die die komplexe Natur inter-nationaler Politik explizit anerkennen und daraus Schlussfolgerungen ableiten, wiemit dieser Komplexität am besten umzugehen ist.

Zum zweiten sollte sich die Politikwissenschaft um den Dialog mit den Entschei-dungsträgern im Sinne einer systematischen und gemeinsamen, also dialogischenEvaluierung und um die Voraussetzungen außenpolitischer Lernfähigkeit bemühen.Dabei sollten auch und gerade normative Aspekte, also die Ethik der Außenpolitik,einbezogen werden. Auch hier lässt sich von der Politikwissenschaft keine eindeu-tige Klärung im Sinne eines eindeutigen Wirkungsmodells erwarten, aber dochempirische Befunde, die die praxeologische Relevanz normativer Grundpositionenbelegen oder falsifizieren. Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist Immanuel KantsTheorem des demokratischen Friedens, das spätestens seit der Präsidentschaft desamerikanischen Politikwissenschaftlers Woodrow Wilson erhebliche Bedeutung für

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die internationale Politik gewonnen hat. Diese Bedeutung dürfte letztlich eher mora-lische als empirische Wurzeln haben: Die Auffassung, dass »Demokratie« per seeine gute Sache sei, gehört zum Grundbestand der politischen Kultur Amerikas undwurde deshalb bereits zu einem Zeitpunkt politisch wirkungsmächtig, als für dieAnnahme eines Zusammenhangs zwischen demokratischer Ordnung im Inneren undFriedensbereitschaft gegenüber anderen Demokratien noch kaum empirische Argu-mente sprachen.

Praxeologisch ist die Orientierung außenpolitischer Strategie an der Stichhaltig-keit dieses Zusammenhangs sicherlich nach wie vor grundsätzlich sinnvoll. Aberauch hier gibt es noch kein gesichertes Wirkungsmodell, das es erlauben würde, ein-deutige Kriterien für die Evaluierung bestimmter außenpolitischer Entscheidungenjenseits der Möglichkeit zu offerieren, problematische Außenpolitik-Designs zuidentifizieren. Die Politikwissenschaft kann hier sicherlich schlechte Politik ausma-chen, hat aber selbst auch nur allgemeine Orientierungen wie den Verweis daraufanzubieten, dass Demokratieförderung grundsätzlich friedensstiftend wirken sollteund wirken kann. Sie »beweist« damit nicht, aber sie unterstützt doch die Ausrich-tung außenpolitischer Strategien an einer bestimmten ethischen Grundüberzeugungund damit auch eine Integration ethischer Gesichtspunkte in die Außenpolitik, diegerade im Kontext der Globalisierungs-Herausforderungen der Politik dringendgeboten ist.

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125Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 125–137

Thomas Widmer

Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine EvaluationslückeEine Replik auf Peter Rudolf

In seinem Forumsbeitrag in der Zeitschrift für Internationale Beziehungenthematisiert Peter Rudolf (2007) die Vernachlässigung der Evaluation vonAußenpolitik in der Außenpolitikanalyse. In Reaktion darauf differenziert dervorliegende Beitrag aus der Perspektive der Evaluationsliteratur die Aussagen vonRudolf, denen aber im Grundsatz zugestimmt wird. In Ergänzung werden empirischeBefunde zur Evaluationslücke in der Außenpolitik aus der Schweiz vorgestellt. InFortführung der Argumentation von Rudolf werden acht Thesen zur Erklärung derdiagnostizierten Evaluationslücke präsentiert. Der Beitrag schließt gestützt auf dieseThesen und auf Erfahrungen mit Evaluation in anderen Politikfeldern mitÜberlegungen zur Machbarkeit und Wünschbarkeit einer Ausweitung derEvaluationstätigkeiten in der Außenpolitik.

1. Einleitung1

Die Evaluation hat sich mit Beginn in den 1960er Jahren in den USA und ausgehendvon Feldern sozialer Dienstleistungen wie Bildung und Erziehung sukzessive invielen Ländern und Politikfeldern als Instrument zur Bewertung staatlicher Aktivi-täten etabliert.2 Die vielfältigen Erscheinungsformen der Evaluation reichen vonkontrollähnlichen bis zu lernorientierten Zugängen und von praxisnahen Kleinst-projekten zu umfangreichen, wissenschaftsnahen Analysen.3 Als Gemeinsamkeitdieser – schwer abzugrenzenden – Aktivitäten wird hier unter Evaluation einewissenschaftliche Dienstleistung zur systematischen und transparenten Bewertungeines Gegenstandes verstanden. Für den vorliegenden Beitrag kann der Gegenstandder Evaluation auf Aktivitäten der Außenpolitik eingegrenzt werden, wobei der Be-griff Aktivität weit zu fassen ist und damit Maßnahmen, Projekte, Programme, Stra-tegien, Prozesse, Gesetze, Staatsverträge etc. einschließt. Unter Außenpolitik wirddie Gestaltung der Außenbeziehungen eines Landes verstanden, unter Einschluss

1 Ich danke den anonymen Gutachterinnen und Gutachtern der ZIB für die – vor allem ineinem Fall – sehr hilfreichen Hinweise, die mich dazu veranlasst haben, einige wesentli-che Anpassungen vorzunehmen. Bei Céline Widmer bedanke ich mich für die Unterstüt-zung. Selbstverständlich liegt die Verantwortung für diesen Beitrag alleine bei mir.

2 Vgl. Weiss (1998: 10-15); Furubo et al. (2002); Fitzpatrick et al. (2004: 30-43); Leeuw(2006); Stufflebeam/Shinkfield (2007: 32-42); Widmer et al. (2008).

3 Vgl. Beywl (1987: 44-79); Vedung (1997: 35-92); Stufflebeam et al. (2000); Fitzpatricket al. (2004: 53-167); Stufflebeam/Shinkfield (2007: 131-248).

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126

der Entwicklungszusammenarbeit, jedoch unter Ausschluss der Verteidigungspoli-tik.4

Während die Entwicklung der Evaluation im angelsächsischen Sprachraumbereits früh dazu führte, dass staatliches Handeln weitgehend von evaluativen Maß-nahmen durchdrungen wurde, ist die Entwicklung in Kontinentaleuropa, besondersim deutschen Sprachraum, für lange Zeit eher träge verlaufen und gewann erst inden 1990er Jahren an Dynamik. Seither hat sich die Evaluation aber auch in diesenLändern als Profession etabliert (Widmer 2004; Joint Committee 2006). Sie ist invielen Politikfeldern zu einer gängigen Praxis geworden (vgl. dazu die Beiträge inStockmann 2006a; Widmer et al. 2008) und inzwischen auch in den rechtlichenGrundlagen verankert (Bussmann 2007; Widmer 2007).

Peter Rudolf (2007) legt in seinem Beitrag im letzten Heft der Zeitschrift für In-ternationale Beziehungen aus der Perspektive der Außenpolitikanalyse überzeu-gend dar, dass die Außenpolitikevaluation in Deutschland bisher weitgehend ver-nachlässigt wurde. Wie ich in diesem Beitrag ausführen werde, unterscheidet sichdie Situation in der Schweiz nicht wesentlich. Wie noch zu zeigen sein wird, hatsich die Evaluation auch in der schweizerischen Außenpolitik nicht so weit etablie-ren können wie in anderen Politikfeldern. Der vorliegende Beitrag befasst sichschwergewichtig mit den Gründen für diese Situation und stellt dazu Thesen zurDiskussion.

Im nachfolgenden Abschnitt werden vorerst Umfang und Grenzen dieser Evalua-tionslücke aufgezeigt und dabei auch einige Differenzierungen zum Beitrag vonRudolf (2007) vorgenommen, um dann im dritten Abschnitt den Gründen für dieeher schwach ausgeprägten Evaluationsaktivitäten in der Außenpolitik im allge-meinen und in der Schweiz im besonderen nachzugehen. Der Beitrag schließt miteinigen weiterführenden Überlegungen. Der vorliegende Beitrag führt damit dievon Rudolf (2007) aufgeworfene Diskussion weiter, indem er erstens die Proble-matik der schwach ausgeprägten Außenpolitikevaluation auf konzeptionellerEbene differenziert, zweitens zusätzliche Evidenz für die schweizerische Außenpo-litik einbringt und drittens der Frage nachgeht, aus welchen Gründen die konsta-tierten Schwächen auftreten. Letzteres erlaubt auch eine Diskussion der Frage, obes möglich und sinnvoll ist, eine verstärkte Evaluationstätigkeit in der Außenpolitikzu realisieren.

2. Umfang und Grenzen der Evaluationslücke

Ausgehend von einer Perspektive der Außenpolitikanalyse diagnostiziert Rudolf(2007) einen vernachlässigten Bereich in der Evaluation von Außenpolitik. Nament-lich wird darauf verwiesen, dass sich die Außenpolitikanalyse in erster Linie mitFragen der Politikformulierung befasse (siehe etwa Klöti et al. 2005) und dabei Fra-

4 Viele der nachfolgenden Überlegungen treffen mutatis mutandis auch auf die Verteidi-gungspolitik zu.

Thomas Widmer: Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

127ZIB 1/2008

gen nach den Wirkungen dieser Außenpolitiken vernachlässigt würden (Rudolf2007: 320). Die diagnostizierte Leerstelle bezieht sich demnach auf eine Lücke inder Analyse von Wirkungen, nicht auf den Evaluationsansatz per se – der sich jaauch mit der Bewertung von außenpolitischen Entscheidungsprozessen und derenUmsetzung (also der Politikformulierung respektive der Implementation) befassenkann.5 Ich bin jedoch der Auffassung, dass der Evaluationsansatz – unabhängig vomjeweiligen Evaluationsfokus (sei dies nun Formulierung, Entscheidungsfindung, Im-plementation oder Wirkung) – im Feld der Außenpolitik generell schwach entwi-ckelt ist. Untersuchungen der Außenpolitik setzen sich in aller Regel zum Ziel, zubeschreiben, zu verstehen, zu erklären und/oder zu prognostizieren, selten jedochwird (in expliziter Weise) eine Bewertung angestrebt, wie sie dem Evaluationsan-satz eigen ist. Sicherlich befasst sich die Evaluationspraxis in anderen Politikfeldernhäufig mit Fragen nach Politikwirkungen (die als Grundlage einer Bewertung derentsprechenden Politik dienen), der Evaluationsansatz beschränkt sich konzeptionellhingegen nicht auf die politikinduzierten Auswirkungen, sondern kann ebenso For-mulierungs- oder Umsetzungsprozesse bewerten. Demzufolge besteht die Evaluati-onslücke in der Außenpolitik nicht alleine bei der Wirkungsanalyse, sondern auchbei der Analyse der Politikgestaltung – auch hier sind Evaluationen eher spärlichvertreten.

Im Gegensatz dazu bestehen jedoch einige außenpolitische Aktivitäten, die sehrwohl eine teilweise bereits sehr lange Evaluationstradition aufweisen. An ersterStelle ist dabei die Entwicklungszusammenarbeit zu nennen, wo – wie Rudolf(2007: 319-320) darlegt – in den Geberländern seit längerem entsprechende Evalua-tionsfunktionen bestehen.6 Zweitens sind neben den von Rudolf (2007) genanntenSanktionen weitere außenpolitische Instrumente, wie etwa in den Bereichen Handel,Direktinvestitionen oder Mitwirkung bei internationalen Organisationen, Evaluatio-nen unterzogen worden.7 Und drittens ist darauf zu verweisen, dass das Instrumentder Evaluation bei vielen gouvernementalen wie nicht-gouvernementalen internatio-nalen Organisationen fest etabliert ist. Exemplarisch zu nennen ist etwa die UnitedNations Evaluation Group (UNEG 2007), das Operations Evaluation Department(OED; Grasso et al. 2003) der Weltbank, oder die International Union for Conser-vation of Nature and Natural Resources (IUCN Monitoring & Evaluation Initiative2004). Das heißt, dass bei multilateralen Beziehungen, die im Rahmen einer interna-tionalen Organisation abgewickelt werden, sehr oft auf der internationalen Ebeneentsprechende Evaluationsfunktionen bestehen. Die hier einzugrenzende Evaluati-onslücke betrifft demzufolge stärker die bilaterale als die multilaterale Zusammen-

5 Vgl. etwa Chen (1996: 123-125); Patton (1997: 195-214); Vedung (1997: 209-245);Weiss (1998: 8-10); Rogers (2000); Love (2004); Davidson (2005: 56-58); vgl. auch dasvon Daniel Stufflebeam (2000, 2004) bereits in den 1960er Jahren entwickelte CIPPModel der Evaluation (CIPP steht hier für context-input-process-product).

6 Vgl. Dabelstein/Rebien (2002); Pitman et al. (2004); Feinstein/Beck (2006); für Deutsch-land Stockmann (2006b); für die Schweiz Widmer et al. (2001: 29-34); Widmer/Neuen-schwander (2004: 395-396).

7 Vgl. etwa Dupont et al. (2003); Picciotto/Weaving (2004); EFK (2005); Borrmann et al.(2007).

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arbeit, jedenfalls soweit letztere im Rahmen einer internationalen Organisation miteigener Organisationskultur abläuft. Trotz dieser bestehenden Evaluationsaktivitä-ten bleibt auffällig, dass sich die Evaluation in der Außenpolitik bisher weniger eta-blieren konnte als in vielen anderen Politikfeldern.8 Dieser Umstand wird in derLiteratur schon seit längerem diskutiert.9

Für die Schweiz lassen sich zur Evaluation in der Außenpolitik folgende Feststel-lungen machen (Tabelle 1): In der Bundesverwaltung sind gemäß den Angaben desBundesrates in seinen Geschäftsberichten von knapp 150 wichtigen Wirksamkeits-überprüfungen gerade drei – das entspricht einem Anteil von lediglich zwei Prozen-ten – der Außenpolitik (ohne Entwicklungszusammenarbeit) zuzuordnen. Die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK), die im Rahmen der parlamenta-rischen Oberaufsicht im Auftrag parlamentarischer Kommissionen Evaluationendurchführt, hat in den Jahren 1995 bis 2007 insgesamt 47 Berichte publiziert. Geradefünf dieser Berichte setzen sich mit außenpolitischen Themen auseinander. Einerdieser Berichte befasst sich mit Entwicklungszusammenarbeit, so dass sich die Eva-luationstätigkeit der PVK (wie sie sich aufgrund der Berichtslegung präsentiert) mitvier Berichten zu 8,5 Prozent mit Außenpolitik jenseits der Entwicklungszusammen-arbeit befasst. Im Vergleich zur Umweltpolitik (5 Berichte), zu den Sozialversiche-rungen (6 Berichte) oder zur Gesundheitspolitik (7 Berichte) erscheint dies alsgering.10 Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), die unter der BezeichnungWirtschaftlichkeitsprüfung im Auftrag des Parlaments, der Regierung oder aufeigene Initiative ebenfalls Evaluationen durchführt, hat in den Jahren 2000 bis 200722 entsprechende Projekte realisiert. Davon entfallen gerade drei Projekte auf dieAußenpolitik, wovon wiederum zwei der Entwicklungszusammenarbeit zuzuordnensind. Die damit einzige seit 2000 realisierte Evaluation der EFK zur Außenpolitikjenseits der Entwicklungszusammenarbeit befasst sich mit der Exportförderung(siehe EFK 2005). Auf der Seite der Exekutive wurden gemäß einer Erhebung vonAndreas Balthasar (2007: 388-391) in den Jahren 1999 bis 2002 insgesamt 278 Eva-luationsstudien veranlasst. Davon entfallen 33 Studien auf das EidgenössischeDepartement für Auswärtige Angelegenheiten, das sich (neben dem Staatssekretariatfür Wirtschaft, das namentlich für die Außenwirtschaft zuständig ist) mit denschweizerischen Außenbeziehungen befasst. Von diesen 33 Studien sind nur gerade

8 Vgl. Rudolf (2007: 321, 327); für die Situation in Deutschland, Österreich und derSchweiz Widmer et al. (2008).

9 Vgl. exemplarisch Bobrow (1973); Cohen/Harris (1975); Rosenau (1980: 90-91); Ray-mond (1987); Baldwin (2000).

10 Aufgrund der ausgeprägt föderalistischen Struktur und der stark dezentralisierten Aufga-benverteilung erhalten die Außenbeziehungen (die weitgehend eine Bundeskompetenzdarstellen) in der Schweiz auf Bundesebene ein größeres Gewicht als andere Aufgaben-felder, die zu einem wesentlichen Teil in kantonaler Kompetenz liegen. Im Jahre 2006lagen gemäß Finanzrechnung die Bundesausgaben für „Beziehungen zum Ausland“ bei2419 Mio. Franken (Entwicklungshilfe 1572 Mio. Franken; Politische und Wirtschaftli-che Beziehungen 845 Mio. Franken), jene für „Umwelt und Raumordnung“ bei 644 Mio.Franken, jene für Gesundheit bei 192 Mio. Franken und jene für Sozialversicherungenbei 13.183 Mio. Franken (Bundesrat 2007). Die Sozialversicherungen weisen aufgrundder Bundesbeiträge an die bundeseigenen Sozialwerke sehr hohe Zahlen aus.

Thomas Widmer: Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

129ZIB 1/2008

sechs Studien nicht der Entwicklungszusammenarbeit zuzuordnen, was einem Anteilvon rund zwei Prozent an den gesamten Evaluationstätigkeiten des Bundes ent-spricht.

Tabelle 1: Evaluationstätigkeiten in der schweizerischen Außenpolitik

AP: Außenpolitik; EZ: Entwicklungszusammenarbeit

Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich in der Schweiz Evaluationen auf Bundes-ebene nur zu einem kleinen Anteil mit außenpolitischen Gegenständen befassen unddass dabei vor allem die Entwicklungszusammenarbeit und selten andere Elementeder Außenpolitik evaluiert werden. Weiter ist festzustellen, dass sich die Aufsichts-

Quelle Zeitraum Anzahl1 davon AP (in %)

davon AP ohne EZ (in %)

Geschäftsberichte Bundesrat2 2000-2006 149 6 (4.0) 3 (2.0)

Parlamentarische Verwaltungs-kontrolle (PVK)3

1995-2007 47 5 (10.6) 4 (8.5)

Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK)4

2000-2007 22 3 (13.6) 1 (4.5)

Studie Balthasar (2007)5 1999-2002 278 33 (11.9) 6 (2.2)

1 Die zugrunde gelegten Quellen enthalten teilweise dieselben Fälle und es werden unter-schiedliche Zähleinheiten verwendet, weshalb keine Spaltentotale berechnet werden.

2 Quelle: Eigene Berechnungen aufgrund der Berichte des Bundesrates über seine Geschäfts-führung in den entsprechenden Jahren [http://www.admin.ch/br/org/00072/index.ht-ml?lang=de; 7.1.2008]. In den Anhängen zu diesen Berichten werden jeweils die wichtigstenim Berichtsjahr abgeschlossenen Wirksamkeitsüberprüfungen der Bundesverwaltung aufge-führt. Nicht berücksichtigt wurden Studien der Aufsichtsorgane PVK und EFK. In den Ge-schäftsberichten werden teilweise Berichte angeführt, die kaum als Evaluationen bezeichnetwerden können, vgl. dazu etwa den Rechenschaftsbericht zur schweizerischen Präsenz beider Weltausstellung EXPO 2005 Aichi, Japan (Generalkommissariat 2006). Die Zahlen inder Tabelle enthalten aber auch solche Berichte.

3 Quelle: Eigene Berechungen aufgrund der Angaben auf der Website der PVK [www.parla-ment.ch/d/kommissionen/ko-kommissionen/ko-au-pvk/ko-au-pvk-veroeffentlichungen/sei-ten/index.aspx; 7.1.2008]. Zähleinheit bildet hier ein Bericht, wobei teilweise im Rahmeneiner Evaluationsstudie mehrere Berichte veröffentlicht wurden. Einer der Berichte befasstsich gleichzeitig mit Außen- und Verteidigungspolitik, wurde hier aber trotzdem der Außen-politik zugeordnet.

4 Quelle: Eigene Berechungen aufgrund der Angaben auf der Website der EFK [http://www.efk.admin.ch/deutsch/pr%FCfungsberichte.htm; 7.1.2008]. Zähleinheit bildet hier dieeinzelne Wirtschaftlichkeitsprüfung bzw. Evaluation mit teilweise mehreren Berichten. An-dere Untersuchungsformen, wie etwa Revisionen, Querschnittsprüfungen oder reviews,wurden nicht berücksichtigt.

5 Quelle: Balthasar (2007: 388-391); die Angaben wurden den graphischen Darstellungen ent-nommen, da keine numerischen Angaben enthalten sind.

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organe PVK und EFK tendenziell noch eher mit der Außenpolitik (ohne Entwick-lungszusammenarbeit) befassen als dies gemäß den vorliegenden Angaben die dafürzuständigen Verwaltungsstellen tun. Auch wenn diese Aussagen mit einer gewissenVorsicht zu interpretieren sind, lassen sie den Schluss zu, dass es zumindest in derSchweiz auch empirische Evidenz dafür gibt, dass Evaluationen in der Außenpolitik(mit Ausnahme der Entwicklungszusammenarbeit) wenig Gewicht beigemessenwird, wie dies auch Rudolf (2007) festhält.

Es stellt sich daher die Frage, welche Ursachen dazu führen, dass Formulierung,Implementation und Wirkung von Außenpolitik selten in systematischer und trans-parenter Weise evaluiert werden.

3. Gründe für die Evaluationslücke

Nachfolgend sollen acht Thesen diskutiert werden, die meines Erachtens wesentlichdie dargelegte Evaluationslücke erklären zu vermögen. Ausgangspunkt meinerÜberlegungen bildet das schweizerische politische System. Dabei ist zu beachten,dass diese Thesen je nach spezifischem Kontext im jeweiligen politischen Systemnicht für alle Länder in gleicher Weise Geltung beanspruchen können.

(1) Außenpolitik ist ein traditionelles Kerngebiet staatlicher Tätigkeit, das nichtgrundsätzlich in Frage gestellt wird und demnach einen geringen Legitimationsbe-darf hat.

Es bestehen zwar in der Politik sehr wohl unterschiedliche Auffassungen zur spe-zifischen Ausgestaltung von Außenpolitik. Hingegen bleibt unbestritten, dass sichein souveräner Staat im Grundsatz außenpolitisch betätigen soll. Außenpolitik istausreichend legitimiert, auch ohne dass sie einen systematischen und transparentenNachweis ihrer Wirksamkeit erbringt. Die unterschiedlichen Auffassungen zur Aus-gestaltung von Außenpolitik sind aber wesentlich dafür verantwortlich, dassgewisse Gebiete innerhalb der Außenpolitik durchaus über Evaluationsaktivitätenverfügen. Hier illustrativ ist das Beispiel der Entwicklungszusammenarbeit, die seitihrem Bestehen unter wechselnden Vorzeichen immer wieder in ihrer Existenz inFrage gestellt wurde und deshalb einen für außenpolitische Aktivitäten überdurch-schnittlich hohen Rechtfertigungsbedarf aufweist. Vor derartigen Erfordernissensind andere Bereiche der Außenpolitik (etwa die diplomatischen und konsularischenDienste) weitgehend verschont geblieben.

(2) Außenpolitik liegt im Zuständigkeitsbereich der Exekutive (Regierung undVerwaltung) und ist deswegen weniger einer öffentlichen Debatte ausgesetzt undauch der Legislative nur beschränkt zugänglich.

Aufgrund des Umstandes, dass die Außenpolitik weitgehend im Zuständigkeitsbe-reich der Exekutive liegt (vgl. Klöti et al. 2005: 288-289), stellt sie in geringeremMaße Gegenstand öffentlicher Debatten dar. Zwar werden außenpolitische Themendurchaus in der medialen Öffentlichkeit diskutiert, es handelt sich dabei jedoch nurum die Spitze des Eisbergs. Die große Masse an außenpolitischen Aktivitäten wirdweder im Parlament noch in den Medien zum Thema gemacht. Auch wenn sich die

Thomas Widmer: Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

131ZIB 1/2008

Außenpolitik in den letzten Dekaden gewandelt hat, ist – zumindest für die Schweiz– kein stärkerer Einbezug von weiteren Akteuren (also eine Pluralisierung) in dieEntscheidungen zu Staatsverträgen zu beobachten (Klöti et al. 2005: 112, 259-260).In den 1980er und 1990er Jahren wurden in der Schweiz mehr als drei Viertel allerStaatsverträge von der Exekutive (Regierung und Verwaltung) abschließend verab-schiedet (Klöti et al. 2005: 103). Die Transparenz ist daher bei außenpolitischenEntscheidungen deutlich geringer als bei innenpolitischen. Die Möglichkeiten (unddas Interesse, siehe unten) des Parlaments zur Mitgestaltung sind kleiner11 und es istselten, dass das Parlament die Initiative ergreift und im Bereich der AußenpolitikEvaluationen veranlasst. Ein Anspruch der Transparenz besteht bei der Außenpolitikin einem deutlich geringeren Maße als in der Innenpolitik. Diese These steht inengem Zusammenhang mit der folgenden:

(3) Das Interesse der Öffentlichkeit und der Politik ist bei außenpolitischen Akti-vitäten verhältnismäßig gering, was zu einer geringeren Nachfrage nach Evaluatio-nen führt.

Viele außenpolitische Aktivitäten lösen bei den Bürgerinnen und Bürgern nur einesehr geringe Betroffenheit aus, weshalb hier auch das Interesse der Massenmedienund der Politik schwächer ist. Selbstverständlich gilt dies nicht für alle außenpoliti-schen Vorhaben; in Einzelfällen ist die Aufmerksamkeit sogar überdurchschnittlichgroß. Trotzdem lässt sich feststellen, dass die (wenigen, siehe oben) vom Parlamentverabschiedeten Staatsverträge äußerst selten kontroverse Debatten auslösen undnur in Ausnahmefällen zu umstrittenen Entscheiden führen, wobei solche in derSchweiz in den 1990er Jahren häufiger waren als in den 1980er Jahren (Klöti et al.2005: 94-95, 256-258). Das Phänomen eines allgemeinen Desinteresses spiegeltsich auch in der massenmedialen Berichterstattung, wo die Außenpolitik ein Schat-tendasein führt (Goetschel et al. 2002: 98-100). Auch dies gilt selbstverständlichnicht für jegliche Außenpolitik, weil singuläre Ereignisse durchaus eine erheblicheMedienberichterstattung auslösen können. Der überwiegende Teil außenpolitischerAktivitäten bleibt aber unter der Wahrnehmungsschwelle der medialen Öffentlich-keit und der Politik (Hirschi 2000; Vögeli 2007).

(4) Die Verheißungen der Evaluation, über eine systematische und transparenteAnalyse Lernimpulse zu erhalten, werden als deutlich weniger attraktiv eingeschätztals die Bewahrung des Selbstbestimmungsrechts.

Kernbereiche der Außenpolitik, wie etwa die Diplomatie, sind geprägt durchstarke Professionen. Neben einem selektiven Ausbildungszugang charakterisierendiplomatische Korps einerseits eine stark verankerte, kollektive Identität und ande-rerseits der Umstand, dass sie von Personen getragen wird, die sich in der Bürokratieüber Jahre hochgedient haben. Das diplomatische Korps verfügt – obwohl diesimmer wieder in Frage gestellt wird – über eine starke Machtposition (Schneider1998: 39; Goetschel et al. 2002: 227). Aufgrund ihrer nach wie vor starken Position

11 Falls über einen Staatsvertrag im Parlament entschieden wird, dann hat dieses lediglichdie Möglichkeit, den Staatsvertrag entweder anzunehmen oder abzulehnen. Hingegenkönnen keine Änderungen vorgenommen werden, wie dies bei innenpolitischen Vorla-gen möglich und in der Schweiz auch häufig ist.

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gelingt es der Diplomatie, sich recht erfolgreich gegen professionsfremde Zugriffezur Wehr zu setzen und Evaluationserfordernissen weitgehend zu ignorieren. Diestark sozialwissenschaftlich geprägte Evaluation (wie auch die Außenpolitikana-lyse; vgl. Schneider 1997) findet den Zugang zur stark juristisch und historischgeprägten Karrierediplomatie kaum. Diese Konstellation ist durchaus vergleichbarmit anderen Feldern, wo die Evaluation mit starken Professionen konfrontiert ist,wie etwa in der Medizin oder in der Justiz. Ähnlich ist die Situation auch an univer-sitären Hochschulen, wo die Professorinnen und Professoren sorgsam ihre fachlicheAutonomie verteidigen. In diesen vergleichbaren Fällen wird in der Regel Evalua-tion vermittelt über die entsprechende Fachlichkeit vorangetrieben, etwa in sogenannten peer reviews. Die Evaluation medizinischer Leistungen erfolgt unterBeachtung des Selbstbestimmungsrechts der Profession durch medizinische Fach-personen, jene der Professorinnen und Professoren durch Personen mit professora-lem Status etc. Diese Entwicklung ist bisher im Falle der Außenpolitik (noch) nichtzu beobachten.

(5) Impulse der Europäischen Union zur Etablierung von Evaluationsfunktionenfehlen in der Außenpolitik.

In Kontinentaleuropa spielt die Europäische Union in einigen Feldern der Innen-politik (wie etwa in der Agrar-, Regional- oder Strukturpolitik; vgl. die Beiträge inWidmer et al. 2008) eine zentrale Rolle als Impulsgeber zur Etablierung einer Eva-luationspraxis. In verschiedenen Programmen der Europäischen Kommission istEvaluation zwingend vorgeschrieben. Die Außenpolitiken der EU-Mitgliedsländer(und anderer europäischer Länder) sind zwar von der Zusammenarbeit auf europäi-scher Ebene geprägt, die Europäische Union tritt jedoch in diesem Fall als internati-onaler Partner und nicht als Programminstanz auf und ist deswegen nicht als Impuls-geber für nationale Evaluationsaktivitäten geeignet. Die nationalen Außenpolitikender EU-Mitgliedsländer sind weiterhin Teil der sorgsam gehüteten nationalen Sou-veränität und demzufolge wenig empfänglich für entsprechende Impulse der Euro-päischen Union.

(6) Außenpolitische Aktivitäten sind mehrheitlich bi- und multilateral strukturiertund selten unilateral. Dies hat zur Folge, dass Evaluationen schwieriger zu realisie-ren sind, weil sie ebenfalls dieser Struktur zu folgen hätten.

Die Struktur vieler außenpolitischer Gegenstände ist bilateral oder multilateralausgerichtet (wie Staatsverträge, Mitgliedschaft in Organisationen etc.), und nichtunilateral (wie Sanktionen, Krieg etc.). Diese Struktur würde bedingen, dass Evalu-ation durch zwei Staaten oder durch multilaterale Organisationen veranlasst wird.Letzteres geschieht (siehe oben), ersteres ist hingegen kaum zu beobachten. Wäh-rend in der Entwicklungszusammenarbeit vermehrt so genannte joint evaluationsrealisiert werden, bei denen zwei oder mehr Geberländer zusammen ein gemeinsa-mes Programm evaluieren (lassen), ist dies in anderen Feldern der Außenpolitik bis-her nicht zu beobachten. Hier ist aber auch die strukturelle Ausgangslage eineandere, weil es ja nicht – wie bei der Entwicklungszusammenarbeit – darum geht,gemeinsam Verbesserungen in einem Drittland zu erreichen, sondern in Konkurrenzin möglichst optimaler Weise die eigenen Interessen durchzusetzen. Außerhalb der

Thomas Widmer: Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

133ZIB 1/2008

Entwicklungszusammenarbeit (und zuweilen auch innerhalb) ist die Außenpolitikvon Interessenpolitik geprägt. Die internationalen Partner stehen in der Regel inKonkurrenz zueinander und ein bilateraler Staatsvertrag stellt eine Artikulierungeines Verhandlungsergebnisses zwischen den Partnern dar. Der Vertrag entziehtsich damit der Gestaltung durch eine der Parteien, Änderungen bedürfen derZustimmung beider Parteien. Demzufolge sind die Anreize für die Vertragspartnergering, einseitig eine systematische und transparente Evaluation eines solchen Ver-trages vorzunehmen, besonders wenn der zugehörige Bericht veröffentlicht würdeund so dem Vertragspartner eine verbesserte Verhandlungsposition eröffnen würdeoder gar die Weiterexistenz des Verhandlungsergebnisses in Frage stellt.

(7) Aufgrund der oft erforderlichen Geheimhaltungsvorgaben sind viele außenpo-litische Prozesse (etwa internationale Verhandlungen) einem empirischen Ansatzkaum zugänglich.

In der Literatur wird vor allem auf methodische Herausforderungen der Evalua-tion von Außenpolitik hingewiesen, die zwar durchaus eine Hürde darstellen kön-nen, aber grundsätzlich überwindbar sind. Hierzu gehören etwa Aspekte wie diffuseund multiple Ziele, die Operationalisierung dieser Ziele, die Attributionsproblema-tik, die Etablierung kontrafaktischer Vergleichsgrundlagen oder die Generalisierbar-keit von Befunden (Raymond 1987: 99-103; Baldwin 2000: 173-174; Rudolf 2007:325-327). Diese Problempunkte treten jedoch nicht singulär in der Außenpolitik auf,sondern sind auch in anderen Politikfeldern allgegenwärtig und »at least theoreti-cally solvable« (Rosenau 1980: 96). Die Außenpolitik zeichnet sich jedoch in einerbesonderen Art und Weise dadurch aus, dass sie sich auf dem Hintergrund vonGeheimhaltungserfordernissen einem empirischen Zugriff weitgehend verschließt.Häufig ist weder eine empirische Analyse aufgrund bestehender Dokumente mög-lich, noch zeigen sich die beteiligten Akteure geneigt, für Interviews oder Befragun-gen zur Verfügung zu stehen (für eine Illustration siehe Widmer/Hirschi 2005: 46-49).

(8) Außenpolitik wird in ihren Kernbereichen durch die öffentlichen Institutionenrealisiert und kaum an Dritte delegiert, wodurch der Anstoß fehlt, Evaluationen zurKontrolle der externen Träger einzusetzen.12

Die Kernbereiche der Außenpolitik werden im Gegensatz zu anderen Politikfel-dern und gewissen Teilbereichen der Außenpolitik (wie die Entwicklungszusam-menarbeit, die Außenhandelsförderung oder die auswärtige Kultur- und Bildungspo-litik) weitgehend direkt durch Stellen innerhalb der Außenministerien (bzw. desDepartements für Auswärtige Angelegenheiten für die Schweiz) gestaltet und umge-setzt. In vielen Feldern, in denen Evaluationen stärker verbreitet sind, erfolgt eineDelegation namentlich der Umsetzung an außen stehende Instanzen, seien dies zivil-gesellschaftliche oder auch öffentliche Trägerorganisationen oder (vornehmlich inföderalistisch-strukturierten Staaten) auch die subnationale Ebene, also die Bundes-länder respektive die Kantone. In verschiedenen Politikfeldern hat sich im Zuge der

12 Die Idee zu dieser These habe ich einem der anonymen Gutachten entnommen. Ichmöchte mich an dieser Stelle speziell für diesen wertvollen Hinweis bedanken.

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zunehmenden Delegation staatlicher Aufgaben an mehr oder weniger autonomeDurchführungsorganisationen die Nachfrage nach Evaluationen erhöht (vgl. auchVerhoest et al. 2007; Widmer 2008: 268-270). Die externen Stellen verfügen übereinen gewissen Grad an Handlungsautonomie, welche den Prinzipal veranlasst, dieAktivitäten des Agenten zu überwachen. Da die Ausführung bei den klassischenaußenpolitischen Aktivitäten innerhalb der ministerialen Hierarchie erfolgt und des-halb kein Bedarf nach einer Kontrolle Dritter besteht, fehlt ein zentraler Impuls fürdie Entwicklung von Evaluationsaktivitäten in Kernbereichen der Außenpolitik.Auch Informationsasymmetrien treten unter diesen Umständen weniger auf als diesbei einer delegierten Aufgabenerfüllung der Fall ist. Schließlich ist auch davon aus-zugehen, dass Interessendivergenzen bei einer internen Realisierung geringer ausfal-len.

4. Schluss

Wie in den vorstehenden Ausführungen dargelegt, besteht im Bereich der Außenpo-litik jenseits der Entwicklungszusammenarbeit im Vergleich mit anderen Politik-feldern ein erheblicher Nachholbedarf bezüglich systematischer und transparenterEvaluation. Diese Differenz hat sich in den letzten Jahren besonders in Kontinental-europa akzentuiert, weil in anderen Politikfeldern umfangreiche Evaluationsaktivi-täten initiiert wurden. Wie weit sich die Außenpolitik dieser Entwicklung ebenfallsunterziehen wird oder entziehen kann, bleibt offen.

Der vorliegende Beitrag präsentiert acht Thesen zur Erklärung der bisher schwa-chen Entwicklung der Evaluationsfunktion im Bereich der Außenpolitik. Verschie-dene der vorgelegten Erklärungen für die durch Rudolf (2007) und im vorliegendenBeitrag aufgezeigte Evaluationslücke in der Außenpolitik beziehen sich auf struktu-relle Merkmale dieses Politikfelds, die sich als äußerst stabil erwiesen haben. Folg-lich muss davon ausgegangen werden, dass die Evaluation in vielen Bereichen derAußenpolitik auch in Zukunft einen schweren Stand haben wird. Diese Einschät-zung wird auch dadurch bestärkt, dass das Postulat der Evaluation in der Außenpoli-tik bereits seit mehr als dreißig Jahren in der wissenschaftlichen Literatur artikuliertwird, ohne dass sich die Situation wesentlich verändert hätte. Die strukturellenBedingungen in den klassischen Außenbeziehungen, wie sie etwa bei diplomati-schen Verhandlungen ausgeprägt vorliegen, werden sich wohl auch in Zukunftgegenüber jeglichen Evaluationsbemühungen verschließen. In anderen Teilberei-chen der Außenpolitik hingegen, etwa bei den konsularischen Diensten, wäre eineverstärkte Evaluationstätigkeit durchaus denkbar und – angemessen konzipiert –wohl auch sinnvoll.

Gerade im deutschsprachigen Raum und namentlich in der Schweiz wäre die Aus-gangslage zur Etablierung einer Evaluationspraxis auch in dafür geeigneten, aberbisher vernachlässigten Feldern der Außenpolitik momentan sehr günstig. Nebender Dynamik in anderen Politikfeldern könnten auch die bestehenden oder neu zuschaffenden rechtlichen Grundlagen (Bussmann 2007; Widmer 2007) dazu einen

Thomas Widmer: Evaluation in der Außenpolitik: Gründe für eine Evaluationslücke

135ZIB 1/2008

Beitrag leisten. Dass eine rechtlich erzwungene Etablierung der Evaluation aberauch zielführend ist, kann nicht a priori vorausgesetzt werden. Auf einer Meta-Ebene wäre hier dem Desiderat von Rudolf (2007: 321) zu folgen, indem nach denEffekten eines zunehmenden Einsatzes der Evaluation in der Außenpolitik zu fragenwäre. Erfahrungen aus anderen Politikfeldern zeigen auf, dass die Evaluation kon-zeptionell durchdacht, selektiv und zielangemessen einzusetzen ist, um angestrebteEffekte zu erzielen und unerwünschte Effekte zu vermeiden (Widmer 2008).

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138

139Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 139-141

Neuerscheinungen

Die Redaktion der Zeitschrift für Internationale Beziehungen bittet vor Erscheineneines jeden Heftes die Mitglieder des Review-Panels der ZIB, einige wenige, ausihrer Sicht besonders wichtige und interessante Neuerscheinungen aus ihren jeweili-gen Fachgebieten zu empfehlen. Aus diesen Literaturempfehlungen ergibt sich fol-gende Liste (Redaktionsschluss: 17.3.2008):

1. Theorien der Internationalen Beziehungen / Allgemeine Publikationen

Caplan, Bryan: The Myth of the Rational Voter: Why Democracies Choose Bad Policies, Prin-ceton, NJ: Princeton University Press 2007.

Dixon, Martin: Textbook on International Law, 7. Auflage, Oxford: Oxford University Press 2007.Little, Richard: The Balance of Power in International Relations: Metaphors, Myths and

Models, Cambridge: Cambridge University Press 2007.Neves, Marcelo/Voigt, Rüdiger (Hrsg.): Die Staaten der Weltgesellschaft. Niklas Luhmanns

Staatsverständnis, Baden-Baden: Nomos 2007.Osiander, Andreas: Before the State: Systemic Political Change in the West from the Greeks to

the French Revolution, Oxford: Oxford University Press 2007.Patomäki, Heikki: The Political Economy of Global Security: War, Future Crises and Changes

in Global Governance, London: Routledge 2007.Schram Stokke, Olav: Qualitative Comparative Analysis, Shaming, and International Regime

Effectiveness, in: Journal of Business Research 60 (2007): 5, 501-511.Shaikh, Nermeen: The Present as History: Critical Perspectives on Global Power, New York,

NY: Columbia University Press 2007.

2. Außenpolitikanalyse / Deutsche Außenpolitik

Crawford, Beverly: Power and German Foreign Policy: Embedded Hegemony in Europe,Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007.

Hellmann, Gunther/Weber, Christian/Sauer, Frank/Schirmbeck, Sonja: »Selbstbewusst« und»stolz«. Das außenpolitische Vokabular der Berliner Republik als Fährte einer Neuorien-tierung, in: Politische Vierteljahresschrift 48 (2007): 4, 651-677.

Welch, David A.: Painful Choices: A Theory of Foreign Policy Change, Princeton, NJ: Prince-ton University Press 2005.

3. Internationale Institutionen

Hurd, Ian: After Anarchy: Legitimacy and Power in the United Nations Security Council,Princeton, NJ: Princeton University Press 2007.

Volger, Helmut (Hrsg.): Grundlagen und Strukturen der Vereinten Nationen, München: Olden-bourg 2007.

Walk, Heike: Partizipative Governance. Beteiligungsformen und Beteiligungsrechte im Mehre-benensystem der Klimapolitik, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2008.

Neuerscheinungen

140

4. Europäische Integration

Miskimmon, Alister: Germany and the Common Foreign and Security Policy of the EuropeanUnion, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2007.

Plümper, Thomas/Schneider, Christina: Discriminatory European Membership and the Redist-ribution of Enlargement Gains, in: Journal of Conflict Resolution 51 (2007): 4, 568-587.

5. Sicherheit und Frieden

Booth, Ken/Wheeler, Nicholas: The Security Dilemma: Fear, Cooperation, and Trust in WorldPolitics, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2008.

Deudney, Daniel H.: Bounding Power: Republican Security Theory from the Polis to the Glo-bal Village, Princeton, NJ: Princeton University Press 2006.

Doty, Roxanne Lynn: States of Exception on the Mexico-U.S. Border: Security, »Decisions«,and Civilian Border Controls, in: International Political Sociology 1 (2007): 2, 113-137.

Friedrichs, Jörg: Fighting Terrorism and Drugs: Europe and International Police Cooperation,London: Routledge 2007.

Gelpi, Christopher F./Grieco, Joseph M.: Democracy, Interdependence and the Sources of theLiberal Peace, in: Journal of Peace Research 45 (2008): 1, 17-36.

Gromes, Thorsten: Demokratisierung nach Bürgerkriegen. Das Beispiel Bosnien und Herzego-wina, Frankfurt a. M.: Campus 2007.

Helmig, Jan/Schörnig, Niklas (Hrsg.): Die Transformation der Streitkräfte im 21. Jahrhundert.Militärische und politische Dimensionen, Frankfurt a. M.: Campus 2007.

McCormack, Tara: Power and Agency in the Human Security Framework, in: CambridgeReview of International Affairs 21 (2008): 1, 113-128.

Oberschall, Anthony: Conflict and Peace Building in Divided Societies: Responses to EthnicViolence, London: Routledge 2007.

Paris, Roland: Wenn die Waffen schweigen. Friedenskonsolidierungen nach innerstaatlichenGewaltkonflikten, Hamburg: Hamburger Edition 2007.

Podhoretz, Norman: World War IV: The Long Struggle Against Islamofascism, New York,NY: Doubleday 2007.

Pratten, David/Sen, Atryee (Hrsg.): Global Vigilantes, New York, NY: Columbia UniversityPress 2007.

Semelin, Jacques: Purify and Destroy: The Political Uses of Massacre and Genocide, NewYork, NY: Columbia University Press 2007.

6. Internationale Politische Ökonomie

Eichengreen, Barry: The European Economy Since 1945: Coordinated Capitalism and Bey-ond, Princeton, NJ: Princeton University Press 2006.

Morton, Adam David: Unravelling Gramsci: Hegemony and Passive Revolution in the GlobalEconomy, London: Pluto Press 2007.

7. Nord-Süd-Beziehungen / Entwicklungspolitik

Bourguignon, Francois/Sundberg, Mark: Aid Effectiveness – Opening the Black Box, in:American Economic Review 97 (2007): 2, 316-321.

Hein, Wolfgang/Bartsch, Sonja/Kohlmorgen, Lars (Hrsg.): Global Health Governance and theFight Against HIV/AIDS, Houndmills: Palgrave Macmillan 2007.

Neuerscheinungen

141ZIB 1/2008

8. Internationales Problemfeld: Umwelt

Wagner, Lynn M.: North-South Divisions in Multilateral Environmental Agreements: Negotia-ting the Private Sector’s Role in Three Rio Agreements, in: International Negotiation 12(2007): 1, 83-109.

9. Internationales Problemfeld: Menschenrechte

Mutua, Makau: Standard Setting in Human Rights: Critique and Prognosis, in: Human RightsQuarterly 29 (2007): 3, 547-630.

Neuerscheinungen

142

143Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 143-145

Mitteilungen der Sektion

1. Achte Nachwuchstagung der Sektion in Arnoldshain

Vom 25. bis 27. April 2008 fand in der Evangelischen Akademie Arnoldshain dieAchte Tagung der Nachwuchsgruppe der Sektion Internationale Politik der DVPWstatt. Unter dem Thema »Sicherheit – Wirtschaft – Gesellschaft: Theorien und Prob-lemfelder internationaler Beziehungen« kamen dieses Mal rund 60 Nachwuchswis-senschaftlerInnen zusammen. Aus den über 60 eingesandten Vorschlägen warendurch ein anonymes Begutachtungsverfahren 18 Beiträge ausgewählt worden, dieauf der Tagung vorgestellt und diskutiert wurden. Wie schon in der Vergangenheitkonnten auch dieses Mal wieder ›etablierte‹ Fachvertreter und Fachvertreterinnengewonnen werden, um die Papiere zu kommentieren.

Während der Versammlung der Nachwuchsgruppe im Rahmen der Tagung wur-den Julian Eckl (Universität St. Gallen) und Melanie Zimmer (Hessische StiftungFriedens- und Konfliktforschung, Frankfurt a.M.) als neues Sprecherteam für dienächsten zwei Jahre gewählt. Sie treten die Nachfolge von Klaus Dingwerth undSilke Weinlich (beide Universität Bremen) an, denen die Nachwuchsgruppe herzlichfür Ihr Engagement dankt. Ferner wählte die Nachwuchsgruppe Alexander Kocks(Universität Bremen) und Judith Renner (Ludwig-Maximilians-Universität Mün-chen) als neue StellvertreterIn.

Zudem wurde im Rahmen einer Abendveranstaltung über die Situation des wis-senschaftlichen Nachwuchses diskutiert. Dabei ging es insbesondere um möglicheweitere Schritte zu dem Antrag, den die Nachwuchsgruppe auf dem DVPW-Kon-gress in Münster im September 2006 eingebracht hatte und zu dessen Thematik Vor-stand und Beirat der DVPW im Februar 2008 eine Stellungnahme beschlossenhaben (http://www.dvpw.de/index.php?id=92&backPID=92&tt_news=152). DieNachwuchsgruppe wird sich diesen Themen auch weiterhin annehmen. Außerdemwurde diskutiert, wie die Nachwuchsgruppe sich durch weitere Aktivitäten, wieWorkshops und eine mögliche Internetplattform, noch besser vernetzen kann. DieNachwuchssprecher(innen) nehmen gerne Ideen und Anregungen zu diesen undanderen Punkten entgegen. Außerdem steht die Mailingliste der Nachwuchsgruppenatürlich auch weiterhin für Diskussion und Informationsaustausch zur Verfügung(Anmeldung über [email protected]).

Die »alten« und »neuen« NachwuchssprecherInnen möchten im Namen der Nach-wuchsgruppe nochmals allen Teilnehmenden und insbesondere den Kommentato-rInnen herzlich für ihr Engagement danken. Die Neunte Tagung der Nachwuchs-gruppe der Sektion Internationale Politik der DVPW wird turnusgemäß in circa zweiJahren stattfinden.

Mitteilungen der Sektion

144

Die für den Bericht verantwortlichen NachwuchssprecherInnen stehen unter folgen-den Adressen zur Verfügung:

Julian EcklInstitut für Politische WissenschaftUniversität St. Gallen Dufourstr. 45CH-9000 St. GallenTel.: +41 71 224 2601Email: [email protected]

Melanie ZimmerHessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Leimenrode 2960322 Frankfurt a.M.Tel.: 0 69/95 91 04 47Email: [email protected]

2. Deutsch-Britische IB Tagung

Ebenfalls in der Evangelischen Akademie Arnoldshain fand vom 16.-18. Mai 2008die von der Sektion gemeinsam mit der British International Studies Association ver-anstaltete British-German IR Konferenz mit ca. 80 Teilnehmer/innen und knapp50 Präsentationen statt.

3. DVPW-Kongress in Kiel 2009

Für die Gestaltung des Sektionsprogramms im Rahmen des DVPW-Kongresses imHerbst 2009 in Kiel wird die Sektion nach Bekanntwerden der genaueren Kongress-planungen im Laufe der nächsten Monate einen Call for Proposals veröffentlichen.

4. Erste Arbeitstagung des Arbeitskreises »Soziologie der internationalen Bezie-hungen« in Berlin

Der DVPW-Arbeitskreis ›Soziologie der internationalen Beziehungen‹ (SIB) hat am16./17. November 2007 seine erste Arbeitstagung an der FU Berlin durchgeführt.Rund 20 TeilnehmerInnen präsentierten ihre wissenschaftlichen Beiträge, beispiels-weise zum soziologischen Verständnis von Sicherheit in den internationalen Bezie-hungen, zu post-territorialer Politik und der sozialen Konstruktion von Räumen oderzur Frage, ob es sich bei Global Governance um ein soziologisches Konzept handelt.Ein ausführlicher Tagungsbericht ist auf der Homepage des AK SIB verfügbar(http://inef.uni-due.de/sib/).

Mitteilungen der Sektion

145ZIB 1/2008

Für Rückfragen stehen Sprecherin und Sprecher der Sektion unter folgendenAdressen zur Verfügung:

Prof. Dr. Frank SchimmelfennigCenter for Comparative and International StudiesETH Zürich SEI8092 ZürichE-Mail: [email protected](Geschäftsführung 2006/2007)

Prof. Dr. Mathias AlbertFakultät für SoziologieUniversität BielefeldPostfach 100 13133501 BielefeldE-Mail: [email protected](Geschäftsführung 2007/2008)

Prof. Dr. Nicole DeitelhoffInstitut für Interkulturelle und Internationale Studien Universität BremenLinzer Str. 4D-28359 BremenE-Mail: [email protected](Geschäftsführung 2008/2009)

Mitteilungen der Sektion

146

147Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 147-149

Abstracts

Reinhard WolfRespectA Neglected Factor in International RelationsZIB, Vol. 15, No.1, pp. 5-42

This article argues that states and other international actors do not only strive forsecurity, power, and wealth, but also for the social affirmation of their value andimportance – i.e. for the respect of their peers. Just like individuals, they partly do sobecause enjoying social respect enhances opportunities for pursuing material inter-ests. However, actors also do so because they see an intrinsic value in getting otheractors’ respect. This is most evident in symbolic struggles where expected materialbenefits hardly compensate for material costs. The article starts by defining respectin comparison to related concepts before proceeding with a discussion of analyticalproblems which research on respect must overcome. Following this, some hypo-theses on states’ propensity for respect seeking are offered and then illustrated withempirical examples of respect seeking behaviour. Should future plausibility probesconfirm the influence of the respect motive, further studies on respect might open upnew perspectives for IR research.

Thorsten Bonacker/Sina SchüsslerConsequences of DeborderingNGOs and the Sources of Political Power in World Society. The Example of International SanctionsZIB, Vol. 15, No. 1, pp. 43-72

This article is linked to the debate on the appearance of a transnational political orderrecently continued by Zürn et al. (2007). In contrast to governance oriented literaturewe argue from a more sociological point of view. We describe the changes withininternational relations as a debordering of the world of states. In this context it is ouraim to strengthen a research focus on the consequences arising out of such processesof debordering. Our key argument is, that debordering can be understood as a differ-entiation of autonomous sources of political power with a transitive and an intransi-tive dimension. This differentiation leads to new capabilities of influence for NGOs,but it also involves new dilemmas for political action and new conflicts of differentpolitical rationalities. Our thesis is illustrated by the role of NGOs in the process ofdemanding and implementing international sanctions.

Abstracts

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Marianne Beisheim/Achim BrunnengräberParliaments, Globalization and Global GovernanceResults and DesiderataZIB, Vol. 15, No. 1, pp. 73-100

Literature on both, Parliamentarism and International Relations, discusses the chang-ing role of parliamentary institutions in global governance. National Parliaments aredeemed under pressure: the double impact of globalization and internationalizationimpedes their traditional role of democratic legitimization, political steering, com-munication and representation. At the same time, it is maintained that so far regionalparliaments and inter-parliamentary organizations can hardly make up for the legiti-macy deficit in global politics. This article reviews the relevant literature and sug-gests questions for future research. Studies should investigate in particular the designof parliamentary institutions and their corresponding effects on the legitimacy ofdecision making in a system of multi-level governance.

Michael Zürn/Matthias Ecker-Ehrhardt/Martin BinderThe Involuntary Formation of Political OrderA Reply to our CriticsZIB, Vol. 15, No. 1, pp. 101-112

This article is in response to the critique of our earlier paper on the involuntary for-mation of political order. In that paper we argued that shifting governance and com-petencies to international institutions results unintentionally in the gradual supra-and transnationalization of politics and policies; our second claim was that theincreased scope and authority of trans- and supranational institutions will result intheir politicization. We now attempt to meet the objections raised by our critics. Wetry to show that the developments we describe neither unfold uniformly, nor do weneglect the role of actors and their strategic interests. Moreover, we attempt to showthat our hypotheses are not restricted to the realm of economy. Finally, to specifysome of our arguments, we focus particularly on the motives of politicization andour notion of a normatively exacting order beyond the nation state.

Hanns W. MaullScientific Evaluation of Foreign Policy: An Oxymoron?A Reply to Peter RudolfZIB, Vol. 15, No. 1, pp. 113-123

The possibilities of »scientific evaluation of foreign policy« are constrained by twofundamental difficulties much more seriously than Peter Rudolf allows for: first, the»chaotic« or »turbulent« (in the mathematical sense) nature of international rela-tions, and second, the intrinsic (ontological and epistemological) limits of social sci-ence predictions. Scientific foreign policy evaluation can and should challenge spe-cific foreign policy strategies and policies, but it can produce recommendations for

Abstracts

149ZIB 1/2008

»better« foreign policies generally only for the organisation of foreign policy deci-sion-making and broad foreign policy guidelines. The evaluation of specific deci-sions and the formulation of policy recommendations based on an assessment of pol-icy effects, on the other hand, would require causal models which social sciences donot, and arguably cannot, possess. Foreign policy evaluation therefore is more artthan science. Still, it is not only desirable but also feasible if it is undertaken with aclear sense and a systematic reflection of its limitations. The best from of foreignpolicy evaluation is therefore in principle an evaluation undertaken jointly by socialscientists and practitioners through dialogue involving different perspectives.

Thomas WidmerEvaluation in Foreign Policy: Reasons for an Evaluation GapA Reply to Peter RudolfZIB, Vol. 15, No. 1, pp. 125-137

In his contribution on foreign policy evaluation Peter Rudolf discusses the neglectof evaluation in foreign policy analysis. This reply supports the basic claims as madeby Rudolf but adds some differentiations that are crucial from an evaluation perspec-tive. Furthermore, empirical evidence from Swiss foreign policy is presented inorder to illustrate the evaluation gap. In accordance with the arguments provided byRudolf, eight theses explaining the observed situation are proposed. The reply con-cludes, based on experiences from other policy fields, with some considerationsrelated to the feasibility and desirability of an expansion of evaluation in foreignpolicy.

Abstracts

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151Zeitschrift für Internationale Beziehungen15. Jg. (2008) Heft 1, S. 151–156

Autorinnen und Autoren dieses Heftes

Marianne Beisheim Dr., Wissenschaftliche Assistentin an der Freien Univer-sität Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Arbeitsstelle Transnationale Beziehungen, Außen- und Sicherheitspolitik, Ihnestr. 22, 14195 Berlin, E-Mail: [email protected]

Martin Binder M.A., Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung »Transnationale Konflikte und Internationale Institutionen« am Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin,E-Mail: [email protected]

Thorsten Bonacker Dr., Professor für Friedens- und Konfliktforschung am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg, Ketzerbach 11, 35032 Marburg,E-Mail: [email protected]

Achim Brunnengräber PD Dr., Gastprofessor an der Freien Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Ihnestr. 22, 14195 Berlin, E-Mail: [email protected]

Matthias Ecker-Ehrhardt Dr. phil., Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung »Transnationale Konflikte und Internationale Institutionen« am Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin,E-Mail: [email protected]

Hanns W. Maull Dr., Vorsitzender des Forschungsbeirates der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Professor für Internationale Beziehungen und Außenpolitik an der Universität Trier, Fachbereich III, Politikwissenschaft, 54286 Trier,E-Mail: [email protected]

Sina Schüssler M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg, Ketzerbach 11, 35032 Marburg, E-Mail: [email protected]

Autoren

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Thomas Widmer PD Dr., Leiter des Forschungsbereichs Policy-Analyse und Evaluation am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, Seilergraben 53, 8001 Zürich,E-Mail: [email protected]

Reinhard Wolf Dr., Professor für Politikwissenschaft an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt a. M., Robert-Mayer-Straße 5, 60054 Frankfurt a. M., E-Mail: [email protected]

Michael Zürn Dr., Professor an und Dean der Hertie School of Governance sowie Direktor der Abteilung »Trans-nationale Konflikte und Internationale Institutionen« am Wissenschaftszentrum Berlin, Reichpietschufer 50, 10785 Berlin,E-Mail: [email protected]

Autorinnen und Autoren