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Literaturwissenschaftliche DRV-Sommerschule Beziehungsweise(n) Relationen und Relationalität in den Literaturen und Kulturen der Romania

Beziehungsweise(n) - uni-rostock.de...esthétique“ vorgeschlagen, mit dem er ästhetische Erfahrung in einem relationalen Zwi-schenraum verortet. Die Relationalität des Ästhetischen

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  • Literaturwissenschaftliche DRV-Sommerschule

    Beziehungsweise(n)Relationen und Relationalität in den Literaturen und Kulturen der Romania

  • Keynotes | 3

    Mirjam SCHAUB (Berlin/Halle)Affektökonomie im digitalen Zeitalter – aus alt mach’ neu?

    Neue Medien – hier: das Aufkommen der sogenannten social media – werden gerne zum An-lass genommen, die durch sie offenbar hervorgerufenen Ausdrucks- und Kommunikations-formen für unvorhersehbar oder exorbitant anders als die alten, schon bekannten zu halten. Das Unvertraute im Umgang nährt die Hoffnung, auf (noch) korrigierbare Fehlentwicklungen hinzuweisen. Demgegenüber möchte ich in meinen Vortrag versuchen, das buchstäblich „Ur-alte“ der digitalen Welteroberung in Erinnerung zu rufen. Dabei begreife ich die sog. „so-zialen Medien“ als die Institutionalisierung einsinniger Kommunikationsformen, die sich im Schutz von Anonymität, Körpervergessenheit und Schriftbasiertheit vorzüglich eignen, um eigene wie fremde Affekte gleichermaßen zu schüren, abzureagieren und zu kultivieren – all dies mit dem Ziel, durch einen Klick Beifall zu finden, den eine Versammlung aus körperlich Anwesenden, Streitenden, Liebenden nie zu zollen bereit wäre. Der Vortrag beschäftigt sich also mit „Beziehungen“, die aufgrund ihrer medialen Konstitutionsbedingungen besonders geeignet sind, unter dem Verdacht der Manipulation, der Komplizenschaft, der Stimmungs-mache, der Affektregulierung mit unlauteren Mitteln zu fallen. Dabei werden Autoren wie Friedrich Nietzsche, Roland Barthes, Michel Foucault, Gilles Deleuze eine Rolle spielen.

  • 4 | Keynotes

    Philipp WÜSCHNER (Berlin)Intimität, Privatheit, Diskretion – Relationale Affektivität und ob ihr zu entkommen sei.

    Entgegen dem psychologischen Paradigma individueller Gefühle hat sich in den letzten Jahren im Anschluss an Spinoza, Gilbert Simondon und Gilles Deleuze eine relationale Les-art von Affekten durchgesetzt. Ihr zufolge sind Affekte – immer als gleichzeitiges Affizieren und Affiziert-Werden verstanden – die unvermeidlichen Spuren davon, dass wir gar nicht anders können, als in Beziehungen zu stehen. Ich möchte in einem ersten Teil diesen rela-tionalen Affektbegriff anhand einiger pop- und medienkultureller Phänomene entwickeln und ihn vor allem in Bezug zur Renaissance der Unmittelbarkeit (z.B. bei Diedrich Diederichsen) diskutieren. Gleichzeitig kann nicht geleugnet werden, dass dieses relationale Weltbild zu-sehends auf eine Stimmung stößt, die sich vom In-Beziehungen-sein erschöpft, überfordert und mitunter auch angeekelt zeigt. Das wirft eine nicht ganz harmlose Frage auf: Gibt es ein Entkommen aus den Beziehungen, jenseits der Abschottung, des Nationalismus und des Ressentiments?

  • Keynotes | 5

    Tanja SCHWAN (Leipzig)Beziehungsweise Brief – Brief/Literatur in der Romania

    ... denn vernichten müßte man es sofort, was über Heute geschrieben wird, wie man die wirklichen Briefe zerreißt, zerknüllt, nicht beendet, nicht abschickt, weil sie von heute sind und weil sie in keinem Heute mehr ankommen werden. Ingeborg Bachmann: Malina (1971)

    Die Beziehungsweise Brief/Literatur ist so paradoxal wie prekär. Tauchen Briefe in einer literarischen Umgebung auf, so fungieren sie als Medien – beziehungsweise im ganz wört-lichen Sinn als ‚Mittler‘: Zwischen dem brieflich verbürgerten Anspruch auf Authentizität und den Fallstricken der Fiktion entfalten sie ihr sowohl destabilisierendes als auch restabilisie-rendes Potenzial. Eben noch der sincérité verpflichtet, verschreiben sie sich alsbald der simulation. Zwischen dem Gefühlserkunden und -bekunden im Medium des Briefs klafft eine Lücke: Setzt das Briefschreiben zunächst Affekte frei, werden sie doch zeitversetzt über-tragen; kaum in Umlauf gebracht, sind sie schon ‚Geschichte‘. Epistoläre Texte oszillieren zwischen explikativer Funktion und performativer Inszenierung, zwischen mimetischem und diegetischem Modus, narrativer und dramatischer Verfasstheit. Briefe – literarisch inszenier-te zumal – stehen für kulturelle Praktiken der Tradierung wie auch des Vergessens; sie sind zugleich Instanzen der Vernetzung und Agenten der Dissoziation. Als materielle Geheimnis-träger tauschen sie ihre Besitzer, werden von Hand zu Hand gereicht, überkreuzen sich, ge-ben zwischen den Zeilen zu lesen, werden gar nicht erst abgeschickt, bleiben unbeantwortet oder gehen verloren. Der Vortrag möchte sich von der Denkfigur der Beziehungsweise(n) dazu anleiten lassen, unterschiedlichen Relationen und Relationalitäten von Brief/Literatur in Literatur- und Mediengeschichte der Romania nachzuspüren. Am Beispiel unter anderem des multiperspektivischen und vielfach verfilmten epistolären Romans Les liaisons dange-reuses (1782) von Choderlos de Laclos, der Zirkulation von Briefen und Objekten in Mozart/Da Pontes Le nozze di Figaro (1786) und des quasi-monologischen Briefkapitels in Benito Pérez Galdós’ Tristana (1892) gilt es zu beobachten, wie sich die beiden Pole ‚Brief‘ und ‚Literatur‘ jeweils zueinander in Beziehung setzen lassen und in welcher Weise der fragile Status des Briefs und sein vermeintlich verbriefter Wahrheitsgehalt aufeinander verwiesen sind.

  • 6 | Keynotes

    Hermann DOETSCH (München)Kinematographische Individuierungsprozesse. Der lateinamerikanische Film und die Biopolitik

    Kapitalismus, Nationalstaat, Biopolitik und Massenmedien bilden den gemeinsamen Rah-men, in welchem sich die Moderne entwickelt. Wie in wenigen Filmkulturen lässt sich diese Entwicklung am lateinamerikanischen Kino und dessen Verflechtungen mit staatlicher und wirtschaftlicher Biopolitik ablesen. Lateinamerikanische Melodramen, Horrorfilme, realis-tische Sozialdramen und Dokumentaressays stellen immer auch Interventionen und Ex-plorationen biopolitischer Reformen und Maßnahmen dar. Für Carlos Monsiváis war das klassische Kino die Institution, die ihn erst zu einem Mitglied der modernen mexikanischen Gesellschaft erzogen hat, eine wahre „school-in-the-dark“. Das Kino spielt offensichtlich eine zentrale Rolle dabei „structures of feelings“ (Williams) auszubilden, welche das Verhalten der neuen Individuen regulieren. Wer lateinamerikanisches Kino verstehen will, kommt nicht daran vorbei sich mit biopolitischen Mechanismen auseinandersetzen — und umgekehrt.

    Biopolitische Maßnahmen bestehen darin, Körper zu mobilisieren, Individuierungsprozesse zu steuern und zu kontrollieren. Um biopolitische Regulierungen verstehen zu können, ist deshalb eine elaborierte Theorie von Affekten und Individuierungsprozessen, im Sinne von Gilles Deleuze — mit Spinoza — und Gilbert Simondon erforderlich. Die Vielschichtigkeit von Simondons Konzept, das nicht nur Individualität als singuläre, ereignishafte Konstel-lation zwischen präindividuellem Feld und transindividueller Struktur begreift, sondern da-rüber hinaus anorganische, physiologische, psychische, technische und soziale Prozesse von Ontogenese erfasst, erlaubt es dabei, in differenzierter Art und Weise die komplexen Prozesse moderner Individuation in aller ihrer Intensität und Vielbezüglichkeit in den Blick zu nehmen. Isabelle Stengers’ Konzept einer Ökologie der Praxis versucht des Weiteren, derartige Interventionen in die Wirklichkeit, wie die operative Steuerung von Handlungen, jenseits traditioneller Repräsentationskonzepte zu fassen und nicht mehr universelle Struk-turen und Ordnungen zu beschreiben, sondern sich ständig verändernde Singularitäten, deren Ereignishaftigkeit sowie deren Potenzial sich zu bestimmten Konstellationen zu ver-binden und diese auch wieder zu lösen. Einen wichtigen Fokus dieser Untersuchung der Genese von Seinsweisen („modes d’existence“; Latour, Stengers) bilden deshalb die Tech-niken und Infrastrukturen, welche die materiellen Grundlagen dieser Operationen von Indivi-duierung und Regulierung darstellen, sowie deren spezifische Topologie.

    In diesem Sinne gilt es Kino erstens als eine machtvolle Institution zu sehen, die Individuie-rungsprozesse kontrolliert, es als Umwelt zu verstehen, welche die Zirkulation von Affekten und Perzepten reguliert und so virtuelle Tendenzen in Strukturen und Ereignisse überführt. Weiterhin bilden Filme materielle Manifestationen komplexer Prozesse der Individuierung. In diesem Sinne gilt es die filmische Produktion und Rezeption selbst als Individuierungs-prozesse zu sehen und die je spezifischen technischen Gestaltungsmöglichkeit dieser Prozesse zu untersuchen, von der Variation melodramatischer Verfahren bis hin zu einer differenzierten neuartigen filmischen „Poiesis“ von Intensität.

  • Keynotes | 7

    Nanette RIßLER-PIPKA (Karlsruhe/Siegen)Eine Frage der Ehre: Besitz und Geschlecht in der spanischen Literaturgeschichte

    Der Begriff der „Ehre“ deutet auf viele unterschiedliche Beziehungsweisen hin: Ehre defi-niert sich gerade über die Beziehung zu einem anderen Menschen, aber auch zu sich selbst oder zu einer moralischen Instanz (Gott o.ä.). Diese Beziehung wiederum ist stark von einer Dialektik des Besitzes geprägt: Ehre kann man haben und verlieren, sie kann einem genom-men, gestohlen werden oder sie wird bewusst aufs Spiel gesetzt. Ehre kann verletzt und wiederhergestellt werden, sie kann aber auch gegeben werden bzw. aufgegeben werden. Wenn wir den juristischen Aspekt der Ehre und des Ehrenworts beiseitelassen (der auch eine Beziehung des Besitzes verbirgt), dann bleibt vor allem die Ehre in der Beziehung der Geschlechter übrig. Diese Beziehung betrachten wir an einigen wenigen bekannten Beispielen aus der spanischen Literaturgeschichte, die unmittelbar in die romanische und europäische Literaturgeschichte verweist – denkt man an den Don Juan-Stoff, aber auch das Vorurteil über ein zurückgebliebenes Spanien, das sich noch in den Bauerndramen Lorcas im 20. Jahrhundert spiegelt, die auf das Ehrendrama des Siglo de Oro verweisen.

    Neben diesem Rahmen aus Primärtexten, liegt der theoretische Schwerpunkt auf Derridas Konzept des „Gebens“ aus Donner le temps / La fausse monnaie (1991) (mit einem Seiten-blick auf Mauss, Serres, Baudelaire, Poe, Molière) sowie Foucaults Ehre- und Ehebegriff aus Histoire de la Sexualité / Le Souci de soi (1984). Sofern Interesse besteht, paaren wir die Lektüre der Klassiker französischer Philosophie mit einem Experiment aus der quanti-tativen Textanalyse, um in einem Ausblick die Frage aufzuwerfen, ob Beziehungsweisen und äußerst schwer beschreibbare, wandelbare Begriffe wie Ehre und Geschlecht (weniger der Besitz) nicht auch sehr pragmatisch auf Grundlage der Primärtexte betrachtet werden können.

  • 8 | Vorträge

    Christoph BEHRENS (Rostock)

    Architekturen des Begehrens: Die Balkonszene als affective arrangement

    Ein berühmter Kupferstich von 1759, der die Darsteller*innen Barry Spranger (Romeo) und Mary Isabella Nossiter (Juliet) bei den Proben zu Shakespeares Romeo and Juliet im Co-vent Garden Theatre zeigt, führt eine Szene vor, die emblematischer nicht in der westlichen Liebeskultur verankert sein könnte: die Balkonszene. Obwohl die allseits bekannte zweite Szene des zweiten Aktes der Tragödie der star-crossed lovers von 1597 den Balkon nicht erwähnt – denn dieses Lexem ist erst ab 1618 in der englischen Sprache nachgewiesen – so scheint die Balkonszene ohne Balkon dennoch paradigmatisch für jene Architektur und Dramatik der Liebeszene zu stehen, wie sie, scheinbar natürlich, in der Literatur- und Kultur-geschichte verankert worden ist. Im Vortrag gilt es, nicht nur die Verschränkung von Architektur, Medium und Begehren in der Liebeszene am Balkon theoretisch zu erfassen und dann anhand einer Beispielanalyse von Johanna Schopenhauers quasi metafiktionaler Novelle Der Balkon (1830) darzulegen, son-dern auch aus Sicht einer queer-feministisch geprägten Literatur- und Kulturwissenschaft die räumlich-geschlechtlich-affektive Verwiesenheit der Liebeszene am Balkon offenzule-gen. Dabei soll das von Jan Slaby et al. (2017) auf Deleuzes agencement und Foucaults Konzeption des Dispositivs aufbauende Konzept des affective arrangements als relationale Affektpraxis in situ Anwendung finden: einerseits zur Beschreibung poet(olog)ischer und soziokultureller Normierungsprozesse; andererseits sollen literaturwissenschaftliche ever-greens wie die Warburg’sche Pathosformel, der Curtianische Topos, das Motiv im Sinne Frenzels, u.a. hinterfragt werden.

  • Vorträge | 9

    Christoph GROSS (Rostock)

    Relation esthétique und immersive Erfahrung am Beispiel von Diderot und Mallarmé

    Nach Jean-Marie Schaeffer wird ästhetische Erfahrung als besondere Form einer Erschlie-ßung emotionaler Erlebnisqualitäten verstanden, die einerseits einem der hēdonē (bzw. dem Lustprinzip) zugeordneten Bewertungssystem unterliegt, andererseits mit einer spezi-fischen Bündelung und Steuerung von Aufmerksamkeit einhergeht. Dabei erweisen sich ästhetische Emotionen als konstitutiv relationale Phänomene, die sich weder ausschließlich dem Bereich des Subjekts noch des Objekts zuordnen lassen, sondern sich aus der Emer-genz einer Relation ergeben. Genette hat für dieses Phänomen den Begriff der „relation esthétique“ vorgeschlagen, mit dem er ästhetische Erfahrung in einem relationalen Zwi-schenraum verortet. Die Relationalität des Ästhetischen impliziert in diesem Sinne einen Prozess des ständigen Sich-Selbst-Vergewisserns der subjektiven Erlebnisqualität mittels der formalen Eigenschaften des Wahrnehmungsgegenstandes. Eine besondere Form die-ses relationalen „Zusammenfallens“ von Rezipient und Kunstgegenstand innerhalb der äs-thetischen Erfahrung sowie der Dispositionierung eines ganzheitlichen, intensiv erlebten Erfahrungsraumes wird mit dem Begriff der Immersion beschrieben. Ausgehend von diesen Überlegungen und anhand von beispielhaften Lektüren Diderots und Mallarmés soll in dem Vortrag herausgearbeitet werden, wie diese beiden Autoren das Grundmodell relationaler Ästhetik in Poetiken inkorporieren, die die besondere Affektqualität immersiver Erfahrung wirkungsvoll in Szene setzt.

  • 10 | Vorträge

    Gabriele HASSLER (Innsbruck)

    Zur Performativität und Inszenierung von Autor*figuren im Spannungsfeld sozialer Netzwerke, Alltagsdiskurse und Literaturkritik

    Die Autor*figur oder Posture littéraire entsteht nach J. Meizoz als eine Ko-Konstruktion in interaktiven Prozessen inner- und außerhalb von literarischen Texten, bei dem neben Au-tor*in auch Instanzen des Literaturbetriebs (Medien, journalistische Diskurse, Publikum etc.) beteiligt sind. Das Autor*bild ist daher als Ergebnis diskursiver Praktiken einem konstanten Wandel unterworfen und konstituiert sich auf performative Weise ständig neu. Auch schon verstorbene Autor*innen unterliegen solchen Prozessen der Fremddarstellung: Sie werden vergessen oder neu entdeckt, neu gelesen, ihr Image als Autor*in, ihre Position im literari-schen Feld wird dabei auch ohne ihre eigene Interaktion neu ausgehandelt.Im Vortrag soll der Frage nachgegangen werden, wie mediale Entwicklungen bzw. konkret soziale Medien mit Rezeptionsprozessen und damit mit der ständigen Neukonstitution von Autor*bildern in Beziehung stehen. Die Netzstrukturen und Algorithmen sozialer Medien wie Facebook bringen Autor*figuren auf eine Weise hervor, die als charakteristisch für dieses Medium angesehen werden kann und einen wesentlichen qualitativen Unterschied zu tra-ditionellen Medien darstellt: Die User-Leser*innen teilen Fotos, Videos, (bestimmte) Text-fragmente und Zitate mit anderen in ihrem Netzwerk, sie werden Follower von Autor*innen, liken Nachrichten über sie, partizipieren also aktiv an Rezeptionsprozessen. Facebook u.a. können damit als Medium einer kollektiven (Re-)Lektüre von Texten und von Autor*bildern verstanden werden, in dessen Dynamiken traditionelle Instanzen des Literaturmarkts wie Verlage und Kritiker*innen an Bedeutung verlieren. Als Beispiel für diese Überlegungen kann die zuvor aus dem Kanon ausgeschlossene und von der Kritik vergessene Dichterin Gloria Fuertes im Jubiläumsjahr 2017 herangezogen werden: in sozialen Netzwerken wurde sie als Lyrikerin neu entdeck und unter den soziokul-turellen Vorzeichen eines starken Alltagsfeminismus in Spanien zu einer lesbisch-feministi-schen Ikone stilisiert. Die dabei zutage getretenen (emotional sehr aufgeladenen) Beziehun-gen zwischen Medien, zwischen Rezipient*innen und Medium sowie zwischen Literaturkritik und Leser*innen sollen bei der Analyse im Vordergrund stehen.

  • Vorträge | 11

    Anca-Mihaela MIHALACHE (Paris)

    Relationnalité et fiction de soi dans l’environnement numérique

    L’avènement des réseaux sociaux a indéniablement entraîné une reconfiguration des re-présentations collectives et de la performance de soi dans le cadre de ces représentations. Performer la subjectivité s’inscrit non plus dans une recherche d’authenticité – impératif que l’on peut suivre tout au long de la tradition philosophique occidentale–, mais dans une logique de fictionnalisation de soi. Le moi apparaît comme un objet intentionnel idéal que sa mise en récit se propose d’atteindre à travers les réseaux sociaux numériques.Mon travail prend comme étude de cas Facebook, en tant que médium du récit de soi. La thèse que je voudrais défendre c’est que le réseau permet, facilite et encourage une écri-ture de soi qui relève de l’autofiction. Deuxièmement, mon travail soutient l’argument selon lequel cette autofiction refuse la multiplicité du sujet au bénéfice d’une recherche de l’unité d’un sujet souverain qui ne serait affecté par la différance à l’œuvre dans toute identité du sujet, selon Derrida.L’étape préliminaire à l’interaction avec autrui dans l’environnement numérique est l’inter-action avec l’écran, miroir où le moi désiré se reflète, tout en étant un médium vers autrui. Entre le moi immanent, corporel, et autrui, l’écran agit comme une interface qui renvoie tout d’abord l’image projetée au sujet qui se met en scène. Dans l’environnement numérique, interagir avec autrui relève donc d’un acte narcissique, cristallisé par une mise en récit autobiographique. Nos arguments qui soutiennent la thèse que cette mise en récit est ficti-onnelle reposent sur une analyse structurale de Facebook. A travers ce réseau social, l’évé-nimentialité de la vie réelle se voit éliminée au profit d’une permanence de l’événement (le mur et son historique par exemple). L’éphémère se voit consigné et enregistré par l’archive personnelle. Les unités événementielles disparates de la vie vécue sont rassemblées dans une cohérence narrative et l’agent de cette cohérence est l’autobiographe ou l’auteur qui « publie » son histoire. Sur Facebook, le moi s’hypostasie en tant qu’auteur dans un vaste réseau de relations virtuelles, il est gardien de ses archives et de sa mémoire (à ce sujet, la possibilité qu’offre Facebook de publier des « mémoires » est particulièrement éloquente). La recherche d’une unité de l’histoire repose sur les impératifs des constructions narratives fictionnelles, comme a souligné Ricœur. Le contingent est éliminé au profit d’une construc-tion narrative médiée par l’écran, support de l’écriture soi, qui est, de par les conditions de son émergence, fictionnelle.

  • 12 | Vorträge

    Valerie KIENDL (Würzburg)

    (Neu)Konstruktion von Beziehungen und Familie bei Pedro Almodóvar

    Familiäre und zwischenmenschliche Beziehungen spielen bei Almodóvar eine große Rolle. Das narrative Potenzial eben dieser ist aber so mannigfaltig ausdifferenziert, dass man meinen möchte, Almodóvar sei auf der Suche nach einem Kaleidoskop von Gestaltungs-möglichkeiten. Ästhetischer Ausgangspunkt ist meist eine mediale Affizierung. Diese imi-tatorische Transposition schlägt für die poietische Formung in zwei Richtungen aus: Die Rezeption von ganz unterschiedlich gearteten Medien dient einerseits den Figuren zur Nachahmung, als Ideenlieferant, als Anstoß, selbst tatkräftig zu werden; das Sich-Verhal-ten und/oder aktive Handeln wird dann zu einem theatralen Rollen-Spielen, insofern ein Gestus übernommen wird. Sie dient weiterhin im Geflecht intermedialer und intertextueller Zitation dem Filmbild selbst dazu, eine bildliche Bedeutungsebene zu konstruieren, welche die narrative Linie unterstützt, illustrativ bebildert oder aber ihr diskrepant zuwiderläuft, sie gar unterlaufen kann und eine neue Interpretationsebene bereit hält. Zwischenmenschliche Beziehungen werden nicht nur in Bezug auf Liebe, Beziehung, Ehe, Familie gestaltet, die inszenatorische Grundhaltung wird vor allem dann interessant, wenn das Handeln der Figu-ren schließlich die Rezeption in moralische Fragestellungen lenkt.

    Anhand besonders deutliche Beispiele aus dem Werk Almodóvars sollen einerseits diese ästhetisch-poietischen Inszenierungsstrategien für die Konstruktion, Rekonstruktion und Neukonstruktionen eben dieser Beziehungs- und Familienformen aufgezeigt werden, und für den Kenner und Kennenlerner von Almodóvar einen Zugang und eine Übertragungs-möglichkeit auf weitere präsentierte Beziehungen bereit halten.

  • Vorträge | 13

    Lena SCHÖNWÄLDER (Frankfurt am Main)

    Les Liaisons dangereuses und Dangerous Tweets: Beziehungsgeflechte, Affektmo-dellierung und Selbstdarstellung zwischen Brief, Hashtag und Emoji

    Laclos’ skandalträchtiger Briefroman Les Liaisons dangereuses demonstriert auf ingeniö-se Art und Weis, wie Sprache (sowohl authentische als auch geheuchelte) Affekte bzw. Emotionen modellieren und kommunizieren kann. Die Figuren teilen sich gleichsam selbst mit, präsentieren sich als fühlende und denkende Subjekte. Die Besonderheit des Brief-romans besteht jedoch in der Tatsache, dass diese Form der Selbstdarstellung stets (auch) an einen Empfänger gerichtet ist. Die virtuose Sprache der Libertins verführt, überzeugt, blendet, manipuliert und entfaltet ihre Gewalt erst in Hinblick auf den Adressaten. Die Liai-sons dangereuses führen eindrucksvoll vor, dass Bedeutungs konstitution wesentlich vom Em pfänger abhängig ist: Die gleichen sprachlichen Zeichen codieren bisweilen unter schied-liche Affekte, die je nach ‚Exeget‘ auf divergierende Art und Weise interpretiert werden. Die Sprache, die von unterschiedlichen Diskursen wie Aufklärung und sensibilité zehrt, gerät zum wirkmächtigen Instrument der Manipulation. Die von Marc Olivier im Rahmen eines studen tischen Projekts kreierte Adaption der Liaisons dangereuses ‚übersetzt‘ den Roman in die Sprache des Netzwerks: Dangerous Tweets (2013). Die Briefe werden zwar auf die für Tweets übliche Anzahl von 140 Zeichen verkürzt, jedoch gleichwohl durch Internet-spe-zifische Codes angereichert: Die Briefeschreiber ‚twittern‘ ihre Gefühle, Handlungen und Autoportraits nun mithilfe von Hashtags und Emojis. Der durch diese Modernisierung erziel-te parodistische Effekt zielt, wie aufgezeigt werden soll, auf zweierlei: erstens auf die wort-reiche Verbal verführung des Ursprungstexts qua pointierter Verkürzung des Textsubstrats; zweitens auf eine Reflexion heutiger Ausdrucks- und Mitteilungsformen sowie Sprachcodes, die das nunmehr anachronistische Medium „Brief“ als Form des intimen Austausches ad absurdum führen.

  • 14 | Vorträge

    Sonia SOLTANA (Paris)

    Rencontre puis séparation puis mémoire

    „I have been to hell and back“ est un mouchoir brodé de Louise Bourgeois réalisé en 1996. L’artiste brode l’expression : „I have been to hell and back, and let me tell you, it was won-derful“ (J’ai été en enfer et je suis revenue et laisse-moi te dire, c’était magnifique). Ce mouchoir brodé est aussi important et délicat que la lettre volée dans Les Trois enquêtes du chevalier Dupin d’E. A. Poe. Il s’approprie le caractère dont D... a camouflé la lettre volée : saleté, état déplorable, fripé, déchiré. Mon texte a pour objet de repenser la lettre d’amour comme relation à l’autre. En effet, à travers la performance de Marina Abramovic réalisé en 2010 au Muséum of Modern Art (Moma), nous vivons pendant une minute les retrouvailles de l’artiste avec son ex-compagnon, l’artiste Ulay. Le couple s’est séparé lors d’une performance sur la Grande muraille de Chine en 1988. Ils se sont chacun rendus à une extrémité, ont marché deux mille cinq cent kilomètres pour se retrouver au milieu et se sont dit « au revoir ». Nous interrogeons l’esthétisme qui enveloppe cette performance en mettant en évidence la perception et l’expérience émotionnelle des spectateurs.

  • Vorträge | 15

    Messan TOSSA (Lomé)

    Kriminelle Relationalität im frankophonen Westafrika

    Die Expansion der Sozialnetzwerke in peripheren Gesellschaften hat die globale Veranke-rung des „digital turn“ konkretisiert. In Westafrika steigert der Missbrauch von Sozialnetzwer-ken in einem Kontext, wo die repressiven Instrumente gegen Internetsverbrechen abhanden sind. Dating-Plattformen schaffen eine virtuelle Promiskuität für potentielle Liebespartner, bieten aber jungen Westafrikanern technische Ressourcen, um westliche Matches in eine affektive Falle zu locken: sie geben sich als reizende personae aus, um europäische Lieb-haber zu erpressen, die auf der Suche nach der Liebe in der Ferne sind.In Westafrika entwickelt sich das Phänomen zu einer Subkutur, deren Konture in den lo-kalen Medien vergegenwärtigt werden. Lebensweisen und Methoden von Akteuren dieser Subkultur sind Gegenstand der ivorischen Filmserie „brouteurs.com“, die die Elemente die-ser Untergrundwirtschaft dokumentiert.

    In Anlehnung an die Filmserie « brouteurs.com » erkundet mein Beitrag, wie diese trügeri-sche Relationalität sich in ein postkoloniales Wahrnehmungspektrum der Weißen im franko-phonen Westafrika einbettet.

  • 16 | Vorträge

    Eva Sabine WAGNER (Köln)

    Widerstand gegen die Rezeption: Narrativität zwischen Text und Kontext

    In der Erzähltheorie ist das Konzept der ‹Narrativität›, das die definierenden und distinktiven Merkmale literarischen und außerliterarischen Erzählens theoretisch erfassen soll, höchst umstritten. Definitionen lokalisieren die narrative Qualität meist entweder in der Erzählung – etwa in der Erzählstimme (Diskursebene) oder in den sinnfälligen Begebenheiten der erzählten Welt (Geschichtsebene) – oder im Leser, der an spezifischen „narrativen“ Lektüre-operationen und – emotionen teilhat. Ein wesentliches Defizit derartiger Definitionsversuche besteht in der mangelhaften Berücksichtigung der vielfältigen, idiosynkratischen Prozesse und Relationen, die sich bei der narrativen Kohärenzherstellung und Bedeutungsbildung zwischen spezifischen Textdimensionen einzelner Erzählungen, dem kognitiv-affektiven System individueller Leser und partikularen Kontexten entspannen.In einem ersten Schritt möchte ich daher in Grundzügen ein im Zuge meiner Dissertation entwickeltes, pyramidales Narrativitätsmodell vorstellen, das auf der epistemologischen Folie von Deleuzes ‹Rhizom› diesen vielfältigen relationalen und dynamischen Qualitäten Rechnung trägt ohne dabei den Anspruch auf Systematik aufzugeben. In einem zweiten Schritt soll die im Modell veranschaulichte Relationalität insbesondere mit Blick auf die eher abstrakte Kategorie des Kontexts (in ihrer Relation zum Text) exemplarisch vertieft werden. Im Fokus der Analyse steht dabei einfranzösischer Romancier der Gegenwart, Éric Chevillard, in dessen Roman L’Auteur et moi (2012) sich Rezeptions- und Evaluierungskontexte des «literarischen Feldes» einschreiben. Indem Chevillard literaturwissenschaftliche Methoden, Diskurse und Deutungsstrategien ironisch-humoristisch anzitiert und negiert, lagert er akademische Rezeptionspraktiken in die Fiktion ein, annektiert und konterkariert sie. Chevillard bietet somit ein Beispiel dafür, wie sich die Relationalität von literaturwissenschaftlicher und literarischer Praxis in die Literatur selbst einschreibt und dabei ein Subversionspotential entfaltet, das Literaturwissenschaftler vor neue Herausforderungen stellt.

  • Vorträge | 17

    Katharina WILHELM (Stuttgart)

    Klick ins Glück – Stirbt der Flaneur aus?

    Eine Hommage an das Flüchtige ist Baudelaires Sonett À une passante, „le fugitif“ wird der Inbegriff des Pariser Großstadtlebens, kurz sind die Momente und Begeg- nungen, sogleich verschluckt von „la foule“. Was bleibt, ist die Erinnerung. Car j‘ignore où tu fuis, tu ne sais jamais où je vais / O toi que j‘eusse aimée. Das Schwärmen für eine Unbekannte und poten-tielle Geliebte findet seinen Ausgang in einem kreativen Schaffensprozess, im Privaten. Nur der Zufall könnte die beiden erneut zusammenführen, während heute High-Speed-Internet, Online-Plattformen und Smartphone-Apps aushelfen bei der öffentlichen Suche nach ihr, nach der nächsten Begegnung oder nach dem Lebenspartner. Den direkten Aufruf startet man auf „Spotted“-Seiten wie „brizzl“, denn „hier findet ihr euch wieder!“ Slogans verspre-chen auf persönlicher Ebene, triggernde Schlagwörter („Liebe“, „Single“) appellieren an die Sehnsüchte, wissenschaftlich fundiert anmutende Statistik-Angaben („Alle 11 Minuten ver-liebt sich ein Single“) signalisieren Seriosität und Vertrauenswürdigkeit – und, dass das Sin-gle-Dasein ein temporäres, ein zu änderndes ist. „Now that there are supposedly no more excuses to stay single, being single may be experienced as especially hard.“1,6 Billiarden Mal wird täglich auf tinder „geswiped“; damit etabliert sich nicht nur eine neue Geste, sondern auch ein neuartiges Flanieren in „la foule“ des www. Wie viel Aufmerk-samkeit wird dabei wirklich dem auf ein Profil(bild) reduzierten Individuum geschenkt? In Baudelaires Beobachter schwebt der Gedanke an die Unbekannte noch lange nach. Ist also der Flaneur vom Aussterben bedroht? Um die Angebetete wird nicht, wie im Mittelalter, ge-sungen oder ritterlich geworben. Es stehen sich in der virtuellen Welt der social media schier unendlich viele Frauen und Männer gegenüber, führen eine Beziehung, die durch gegen-seitiges „Ego-Pushing“ gekennzeichnet ist, ein unverbindliches Geben und Nehmen von „Likes“ und Bestäti- gung als Belohnung für Selbstoptimierung und Extraversion. Selbstre-flexion durch die Augen der Anderen ist ein selbstreferenzielles Agieren in dieser Abhängig-keitsbeziehung, die per Klick eingegangen wird. Sprachlich bewegen wir uns dabei zurück zu den Anfängen, wenn Selfies ohne Worte, Emojis Hieroglyphen-gleich ganze Gedichte, Liebesbrief- oder Liedtexte ersetzen.

  • 18 | Vorträge

    Amalia WITT (Graz)

    Genealogien des Wissens – Marie de Gournay und Montaigne

    Online-Karriere- und Forschungsnetzwerke wie Linkedin, Xing oder ResearchGate ermögli-chen berufliches matchmaking im Sinne eines Auf- und Ausbaus professioneller Netzwerke. Eine erfolgversprechende Präsentation der digitalen persona bemisst sich nicht zuletzt in der Anzahl hochkarätiger und einflussreicher businness-Kontake oder follower der eige-nen, aktuellen Forschungsprojekte. In der Frühen Neuzeit basierte „beruflicher“ Erfolg auf intellektuellen Allianzen und dem Eingehen literarischer Partnerschaften. Diese fungierten als soziale Praktiken des Netzwerkens und Vernetzens, und zwar im Rahmen fingierter verwandtschaftlicher Relationen. Auch die französische Barockautorin Marie de Gournay (1565-1645) und der Renaissancedenker Michel de Montaigne gingen eine solche Ver-wandtschaft außerhalb von Blutsbanden ein, die sich in der Betitelung fille d’alliance bzw. der Bezugnahme auf den père d’alliance äußerte. Noch zu Lebzeiten Montaignes avan-cierte Marie de Gournay zur klugen Annotiererin der Essais und wurde nach dessen Tod zur Erbin und Verwalterin seines intellektuellen Nachlasses, indem ihre Tätigkeit als Her-ausgeberin der posthumen Essais von der Witwe sowie der Tochter Montaignes anerkannt und unterstützt wurde. Auf diese wahlverwandtschaftliche, über das reziproke Verhältnis zu Montaigne hinausgehende Integration der Autorin in die Familie Montaigne(s), nahm Marie de Gournay auch literarisch Bezug. Die gesellschaftskritische, poetologische, narrative und lyrische Texte publizierende Autorin, trug das Muster dieser genealogischen Relationalität weiter und erwählte als fille d’alliance die junge Gelehrte Anna Maria van Schurman (1607-1688), die wiederum Marie du Moulin (1622-1699) zur sœur d’alliance auserkor.

    Mit meinem Dissertationsprojekt unternehme ich den Versuch einer Neuinterpretation des Verhältnisses zwischen Marie de Gournay und Montaigne: die von beiden etablierte und fingierte sowie posthum perpetuierte Genealogie kann als relationales Netzwerk frühneu-zeitlicher Wissens- und Bildungskommunikation gelesen werden, und zwar unter den As-pekten der weiblichen Bildung und Erziehung. Hierbei ist Verwandtschaft als Relationalität aufzufassen, in dem Erwerb, Ausbau und Vererbung symbolischen Kapitals mit dem Erwerb von Wissen sowie der Aneignung von Bildung korrelieren. Dabei sollen kulturgeschichtli-che Bedingungen und Wandlungsprozesse (geistiger) Adoption und Erbschafts-Praktiken aufgezeigt sowie genealogische Wahlverwandtschaften unter den Aspekten Freundschaft, Patronage und Macht beleuchtet werden. Ausgangspunkt für die literaturwissenschaftliche Untersuchung ist ein Textkorpus, der die für weibliche Bildung und Erziehung relevanten Kapitel der Essais ebenso umfasst wie ausgewählte Werke Marie de Gournays – darunter die wenig prominenten Erziehungsschriften der Autorin.