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BERN PUNKT Ausgabe N° 12 SEITEN 4 — 6 DIGITALISIERUNG UND BILDUNG Was es braucht, damit unsere Kinder fit für den Arbeitsmarkt sind. SEITEN 12 | 13 NACHFOLGEREGELUNG So klappt Ihre KMU-Nachfolge. SEITEN 16 | 17 VEREIN EURESEARCH So kann Ihr Unternehmen zu Fördergeldern kommen. Magazin für Stadt und Region Bern Bildung der Zukunft. Was unsere Kinder lernen müssen.

Bildung der Zukunft. Was unsere Kinder lernen müssen. · 2016. 8. 31. · INHALT EDITORIAL 04 — 06 DIE BILDUNG DER ZUKUNFT Was unsere Kinder lernen müssen, um fit für den Arbeitsmarkt

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Page 1: Bildung der Zukunft. Was unsere Kinder lernen müssen. · 2016. 8. 31. · INHALT EDITORIAL 04 — 06 DIE BILDUNG DER ZUKUNFT Was unsere Kinder lernen müssen, um fit für den Arbeitsmarkt

HINTERGRUND STADT BERN LOREM IPSUM

BERNPUNKT

Ausg

abe

N° 12

SEITEN 4 — 6 DIGITALISIERUNG UND BILDUNG

Was es braucht, damit unsere Kinder fit für den Arbeits markt sind.

SEITEN 12 | 13 NACHFOLGEREGELUNG

So klappt Ihre KMU-Nachfolge.

SEITEN 16 | 17 VEREIN EURESEARCH

So kann Ihr Unternehmen zu Fördergeldern kommen.

Magazin für Stadt und Region Bern

Bildung der Zukunft.

Was unsere Kinder

lernen müssen.

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© UBS 2016. Alle Rechte vorbehalten.

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INHALT

EDITORIAL

04 — 06 DIE BILDUNG DER ZUKUNFT Was unsere Kinder lernen müssen, um fit für den Arbeitsmarkt zu sein.

08 DIE MONTESSORI-SCHULE Ein mögliches Zukunftsmodell unter der Lupe

09 DIE BERNER FACHHOCHSCHULE Hochschule und digitale Technologien – Chancen und Risiken.

10 ERZIEHUNGSDIREKTION DES K ANTONS BERN NIMMT STELLUNG Volksschule und digitale Technologien, was ist geplant?

11 DER GEWERKSCHAFTSBUND Damit die digitale Zukunft nicht auf Kosten der Arbeitnehmer geht.

12 — 13 NACHFOLGEREGELUNG So klappt Ihre KMU-Nachfolge

14 — 15 «EIN ZEICHEN FÜR EINE GERECHTERE WELT» Bern will Fair Trade Town werden

16 — 17 VEREIN EURESEARCH So erhält Ihr KMU Fördergelder

18 — 19 BERNPUNKT-GESPRÄCH MIT SARAH HUBER Mitbesitzerin des Kitchener über Bern, Webshops, faire Kleiderproduktion

Wird die Arbeitswelt komplexer, ist die Schule gefordert. Dieser Mecha-nismus lässt sich bereits an der Industrialisierung aufzeigen: Um 1800 kamen erste Dampfmaschinen auf den Markt. Noch arbeiteten die Menschen aber da-mals vorwiegend auf den Feldern. Die neuen Maschinen eröffneten ihnen neue Verdienstmöglichkeiten, zwangen die Menschen aber, sich neues Wissen und neue Fähigkeiten anzueignen. Studien zeigen: Exakt in den Ländern, in welchen die industrielle Produktion Fuss fasste, schnellte die Zahl der Einschulungen in die Höhe. Den Menschen wurde klar : Eigne ich mir nicht neues Wissen an, wer-de ich von der Technologie abgehängt.

Heute spüren wir : Die digitalen Technologien und die Globalisierung sind daran, unsere Wirtschaft erneut vom Kopf auf die Füsse zu stellen. Die digi-talen Technologien lassen Berufe verschwinden, gleichzeitig werden neue Jobs geschaffen. Allerdings stellt die «New World of Work» neue Anforderungen an die Menschen. Eine zeitgemässe Schule muss sich an solchen Veränderungen orientieren. Sie muss neue Inhalte und Fähigkeiten bei den Kindern fördern. Geschieht dies nicht, droht höhere Arbeitslosigkeit, weil die Menschen nicht mehr über die richtigen Qualifikationen verfügen. Stillstand wäre für unsere Pro-sperität fatal, das gilt besonders in unserer äusserst dynamischen Welt. Das ak-tuelle BERNpunkt fragt: Was müssen denn unsere Kinder lernen, damit sie in der Arbeitswelt von morgen bestehen können? Die Antwort finden Sie auf den fol-genden Seiten. Viel Spass bei der Lektüre.

Reto Nause, Gemeinderat Stadt Bern

Die Schule muss sich

an den Veränderungen

der Welt orientieren

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TITELSTORY

Was unsere Kinder lernen sollen

Die Digitalisierung wird unsere Berufswelt tief greifend verändern. Diese «New World of Work» wird an die Mitarbeiten­den neue Anforderungen stellen. Wie muss die Schule auf diese Entwicklung reagieren?

Die 17-jährige Schülerin Naina aus Köln liess im vergangenen Jahr über Twitter Luft ab: « Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.» Ihre Schulkritik sorgte in den sozialen Medien für viel Wirbel: Helfen unsere Schulen den Kindern und Jugendlichen, selbstständig zu werden? Die Thematik hat an Brisanz gewonnen: Steht doch unsere Wirtschaft vor tief greifenden Ver-änderungen. Nach der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert ist mit der Di-gitalisierung eine nächste Revolution unserer Wirtschaft im Gange. Bereits spre-chen Experten von der sich anbahnenden «New World of Work». Dass eine sol-che Entwicklung nicht spurlos an unseren Klassenzimmern vorbeiziehen darf, ist offensichtlich.

Veränderungsdruck für den Menschen geht in erster Linie von Robo-tern aus. In der industriellen Revolution haben die Maschinen die manuelle Ar-beit, also die Muskelkraft, übernommen. Jetzt aber eignen sie sich das logische Kombinieren, das Denken und die Intelligenz an. Die Fortschritte der Technik sind imposant und beängstigend zugleich. Die Maschinen werden laufend schlauer, kleiner und günstiger – die Roboter verfügen heute bereits über weit-reichende kognitive Fähigkeiten. Im vergangenen März besiegte das Computer-programm AlphaGo von Google den Weltmeister im Brettspiel GO, den Korea-ner Lee Sedol. Go ist um Welten komplizierter als Schach – unter anderem ver-langt es vom Spieler viel Intuition. Experten waren der Meinung: Das geht noch Jahre bis eine Maschine einen Go-Spieler schlägt. Die Niederlage des Koreaners ist ein Wendepunkt, denn erstmals schaffte es künstliche Intelligenz, aus frühe-ren Partien zu lernen. Wie ein Mensch eben. Intelligenz war lange Zeit das abso-lute Alleinstellungsmerkmal der Menschen – diese Zeit scheint vorbei zu sein.

«Die Fortschritte der Technik sind imposant und beängsti-gend zugleich.»

ROBOTER ERSETZEN ÄRZTE

Inzwischen ist klar: Die Maschinen werden den Menschen künftig Jobs wegnehmen, und zwar nicht nur Routinetätigkeiten, sondern anspruchsvolle Kopfarbeit. Die aktuelle Studie «Mensch und Maschine: Roboter auf dem Vor-marsch» des Wirtschaftsprüfers Deloitte kommt zum Schluss: 48 Prozent der Stellen in der Schweiz können durch Maschinen ersetzt werden. Computer for-mulieren teils schon heute bessere Krebsbehandlungen und Diagnosen als hoch-spezialisierte Ärzte, sie können Texte verstehen und Schlüsse ziehen. Bereits ar-beiten Versicherungen an Maschinen, die Rechtsberatungen durchführen sollen. Damit sind Berufsgruppen von den Maschinen bedroht, die jahrzehntelang als Garanten für gute Perspektiven und Verdienstmöglichkeiten standen.

Droht uns das Ende der Arbeit? Nein! Studien gehen davon aus, dass die Digitalisierung ähnliche Auswirkungen auf die Berufswelt haben wird wie die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Damals zerstörte der technische Fort-schritt nicht nur Jobs, er schuf gleichzeitig neue – es war ein Mix aus Zerstörung und Kreation. Die disruptive Kraft war im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine,

Von Reto Liniger

Wer künftig einen guten Job haben will, muss Dinge können, die der Roboter nicht so gut kann.

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heute sind es die digitalen Technologien und die Globalisierung. Wo und wie die Menschen in 20 Jahren arbeiten werden, ist schwer abzuschätzen. Sicher hinge-gen ist : Die «New World of Work» wird an die Menschen neue Anforderungen stellen. Andere Kompetenzen und anderes Wissen werden gefragt sein, zudem erfordert der rasende technische Fortschritt lebenslanges Lernen. Auf solche Entwicklungen muss eine zeitgemässe Schule reagieren und Inhalte und Metho-den anpassen. Also, was genau müssen denn unsere Kinder lernen, um fit für die Berufswelt von morgen zu sein? Die Frage geht an Beat Döbeli, er ist Profes-sor am Institut für Medien und Schule der Pädagogischen Hochschule Schwyz. Er hat mit seinem Buch «Mehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten Welt» ein Standardwerk zur Zukunft der Schule geschrieben. Seine Antwort ist kurz und einleuchtend: «Wenn der Computer Tätigkeiten automatisiert, dann muss sich die Schule auf die Vermittlung von Kompetenzen konzentrieren, die nicht auto-matisierbar sind», sagt Döbeli.

«Bei der Ideenbildung und der Kreativität stossen die Maschinen an ihre Grenzen.»Beat Döbeli

KOLLEGE COMPUTER K ANN VIEL, IST ABER NICHT KREATIV

Anders ausgedrückt: Wer künftig einen guten Job haben will, muss sich Dinge aneignen, die der Computer nicht so gut kann. Wo, bitte, hat denn der Computer seine Schwächen? «Bei der Ideenbildung und der Kreativität stossen die Maschinen an ihre Grenzen», sagt Döbeli. Die Maschinen sind unschlagbar im Rechnen, heisst, im Kombinieren von bestehenden Daten. Kollege Computer ist jedoch unfähig, noch nie Gedachtes und Geprobtes auszutesten und zu den-ken – innovative Maschinen gibt es nicht. «Wir haben noch nie einen kreativen Computer gesehen», schreiben auch die beiden viel beachteten Ökonomen An-drew McAfee und Erik Brynjolfsson der US-Eliteschule MIT in ihrem ebenfalls viel beachteten Buch «The Second Machine Age». Und Kreativität und Ideenbil-dung ist in jedem Beruf gefragt: Der Journalist wittert eine neue Geschichte, der Küchenchef ergänzt seine Speisekarte mit einem neuen Gericht oder ein Wis-senschaftler stellt eine neue Hypothese auf. Wer also mutig ist, quer und wild denkt, besitzt entscheidende Fähigkeiten für die Zukunft. Es sind weitere typisch menschliche Fähigkeiten nicht automatisierbar: «Digitalisierung, Globa-lisierung und Migration erhöhen die Notwendigkeit, in heterogenen, multikultu-rellen Teams arbeiten zu können. Da müssen unterschiedliche Perspektiven ver-standen, vermittelt und ausgehandelt werden. Mehr denn je werden künftig Teamfähigkeit, Sozial- und Kommunikationskompetenzen gefragt sein», sagt Döbeli.

Werden heute in unseren Klassenzimmern diese Kompetenzen geför-dert? Die Pauschalkritik lautet: Eher steht Auswendiglernen von Fakten, Frontal-unterricht, Einzelprüfungen und Ordnung im Vordergrund. Diese Methoden ste-hen in dringendem Verdacht, kreatives Denken eher abzuwürgen als zu fördern. Wer Kreativität fördern will, muss Freiräume für Experimente schaffen, Origina-lität zulassen und den Schülern die Angst vor dem Scheitern nehmen. Viele Wis-senschaftler sind der Meinung: Kreativ und entschlossen werden Schüler nur dadurch, dass sie Fehler machen. Erfolg ist untrennbar mit Misserfolg verbun-den. Ob wir in unserem notenbasierten Konkurrenzdenken eine gesunde Fehler-kultur haben, ist mindestens fraglich. Der renommierte Professor James Kwak hat gesagt: «Der typische Harvard-Student ist mehr von der Angst getrieben, nicht erfolgreich zu sein, als von dem wirklichen Verlangen, etwas Bestimmtes zu tun.»

ES BRAUCHT DIDAKTISCHE GROSSOFFENSIVE

Einzig bei der Fehlerkultur anzusetzen, reicht kaum. Damit unsere Kinder fit für die Zukunft sind, braucht es eine didaktische Grossoffensive. Die MIT-Öko-nomen Andrew McAfee und Erik Brynjolfsson schreiben: Es sieht so aus, als ver-mittle das selbst organisierte Lernen (SOL) den Kindern genau die Fertigkeiten, die ihnen Vorteile gegenüber Maschinen verschafften. Bekannt ist diese Methode seit Längerem: Maria Montessori entwickelte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Grundschulsystem, das ihren Namen trägt. Es betont selbstständiges Lernen, Eigeninteresse, praktische Beschäftigung und unstrukturierten Schulalltag. Der Grundgedanke der Montessori-Pädagogik: «Hilf mir, es selbst zu tun.» Die Humanisti-sche Psychologie von Carl Rogers zeigt: Aus Kindern werden kreative Erwachsene, wenn bei ihnen Neugier, Erforschungen und Eigeninteresse gefördert werden. SOL vermittelt aber den Kindern nicht nur entscheidende Fähigkeiten, es ist zudem eine perfekte Trockenübung für die Zukunft: «Die Berufswelt wird an die Schüler ähnliche Ansprüche stellen wie das selbst organisierte Lernen», sagt Döbeli.

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TITELSTORY

WEITERFÜHRENDE LITERATUR

The Second Machine Age von Erik Brynjolfsson und Andrew McAfeeMehr als 0 und 1. Schule in einer digitalisierten Welt von Beat Döbeli HoneggerDigitale Kompetenz von Werner Hartmann und Alois Hundertpfund

«Künftig wird der Mitarbeitende weniger in Strukturen gebettet sein, er muss selber Schwerpunkte setzen und seine Zeit selbstständig einteilen können – genau diese Fähigkeiten fördert SOL.» Es scheint kein Zufall zu sein, dass Microsoft-Gründer Bill Gates, Amazon-Gründer Jeff Bezos, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg oder die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin alle eine Montessori-Schule besucht haben.

«Die Berufswelt wird an die Schüler ähnliche Ansprüche stellen, wie das selbst organi-sierte Lernen.» Beat Döbeli

Die Zeichen der Wirtschaft sind bereits eindeutig: Bei Arbeitgebern werden Kreativität und kritisches Denken zu entscheidenden Qualifikationen in der Zukunft. «Wir stehen an der Schwelle zu einem Zeitalter, in dem Ökonomie und wirtschaftliches Wachstum primär auf Wissen und Kreativität basieren», schreibt das deutsche Zukunftsinstitut. Chefs von Unternehmen setzten bereits verstärkt auf Menschen mit dem Soft Skill Kreativität. Bei einer IBM-Studie 2010 mit mehr als 1500 Firmenchefs aus 60 Ländern und 33 Branchen kam heraus: Kreativität ist der wichtigste Faktor für zukünftigen Erfolg. Kreativität kann nicht nur neue Geschäftsfelder erschliessen, sie wirkt auch ansteckend. Die Untersu-chungen des US-Ökonomen Richard Florida kommen zum Schluss: Das Wirt-schaftswachstum einer Region oder Stadt ist davon abhängig, wie viele kreative Menschen dort leben. Anschauungsunterricht in dieser Sache bietet heute das Silicon Valley.

BILDUNG, BILDUNG, BILDUNG …

Die Wissenschaft ist sich einig: Die beste Reaktion auf den raschen technologischen Fortschritt ist und bleibt Bildung. Prescht die Technologie vor, muss die Bildung nachziehen, sonst werden die Menschen von der Technologie überholt und abgehängt. Stillstand wäre für die Prosperität fatal. Diese Binsen-wahrheit trifft in besonderem Masse auf die Schweiz zu. Die Schweiz verfügt über keine Bodenschätze, unser Reichtum ist in erster Linie auf die hohen Inves-

titionen in das Humankapital zurückzuführen – Geist und Geld haben unser Land reich gemacht. Noch im 20. Jahrhundert verfügte die Schweiz über eines der besten Bildungssysteme der Welt. Heute braucht unser Bildungssystem ei-nen Modernisierungsschub. Die Bereitschaft für diesen Anpassungsprozess ist nicht nur für den Einzelnen, sondern für das gesamte Land ein Schlüssel für künftigen wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb heisst das Rezept der beiden MIT-Ökonomen: «Mit den Maschinen rennen, nicht gegen sie.» Für den britischen Naturforscher Charles Darwin ist nichts beständiger als der Wandel. Diese auf die Evolution gemünzte Feststellung kann problemlos auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen bezogen werden. Wandel verlangt aber ständige Anpassung und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Darwin schreibt, es sei nicht die stärkste Spezies die überlebe, sondern diejenige, die sich am ehes-ten dem Wandel anpassen könne.

Teamfähigkeit und Sozialkompetenzen werden künftig wichtiger.

«AUS JUNGEN MENSCHEN MÜNDIGE BÜRGER MACHEN»

Herr Döbeli, wir haben davon gesprochen, was die Schule vermitteln muss, damit Kinder vorbereitet sind für den Arbeitsmarkt. Die Schule hat noch einen anderen Auftrag?Die Volksschule hat nicht nur den Auftrag, die Schüler auf die Berufs-welt vorzubereiten, sondern auch aus jungen Menschen mündige Bürger zu machen. Damit sie sich selbstbestimmt und kritisch in einer digitalisierten Welt bewegen können. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?Beispielsweise müssen die Schüler wissen, womit Google Geld verdient, damit sie ihren Medienkonsum kritisch beurteilen können. Sie müssen die Bedeutung von sozialen Netzwerken kennen. Sie müssen auch lernen, die Antworten von Google kritisch zu beurteilen. Es gibt Unter - suchungen, die zeigen: Facebook kann Wahlen beeinflussen. Auf diese veränderten Gegebenheiten müssen wir unsere Kinder vorbereiten.Das ist die gesellschaftliche Ebene …Ja, man kann aber auch die persönliche Ebene nehmen. Die Schüler sind auf einem Klassenausflug: Welche Foto dürfen sie ins Netz stellen? Juristisch gesehen, ethisch gesehen? Wie sieht es aus mit Cyber-Mobbing? Das sind ganz konkrete Fragen des Zusammenlebens, die sich verändern. Darauf müssen unsere Kinder vorbereitet werden.

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Mit der Digitalisierung verändern sich die Berufe – und die Anfor­derungen an die Mitarbeitenden. Gefragt sind künftig vermehrt soziale und kreative Fähigkeiten sowie Selbstständigkeit und Enga­gement. Genau auf diese Kompetenzen fokussieren Montessori­Schulen seit über 100 Jahren. Auch jene in Bern.

Bill Gates, Mark Zuckerberg und Wikipedia-Gründer Jimmy Wales ha-ben eines gemeinsam: Sie alle haben eine Montessori-Schule besucht – wie vie-le weitere erfolgreiche Firmengründer im Silicon Valley auch. Wie Wirt-schaftsprofessor Erik Brynjolfsson von der US-Eliteuniversität MIT in Boston im «Bund» sagte, ist dies kein Zufall. Die Montessori-Methode ermutige Kinder, spielerisch zu erkunden, was wichtig sei – und genau solche «kreativen Problem-löser » brauche die Wirtschaft künftig, sagte er im Interview. Kreativität, Sozial-kompetenz, Leadership – das sind die gefragten Kompetenzen von morgen. Denn diese Fähigkeiten wird auch in Zukunft weder ein Computer noch ein Ro-boter übernehmen. Brynjolfsson plädiert deshalb darauf, die Bildungssysteme neu zu «erfinden». Mit dem Lehrplan 21 macht die Schweiz einen Schritt in diese Richtung: Statt reines Wissen sollen den Schülern künftig vermehrt Kompeten-zen vermittelt werden. In den Montessori-Schulen ist dies eine Selbstverständ-lichkeit – seit über 100 Jahren. Doch was macht diese Schulen so erfolgreich? Wir haben einen Blick in die Schulzimmer der Montessori Schule Bern geworfen.

KINDER LERNEN, WAS SIE WOLLEN

Keine Pulte, keine Wandtafel, kein Stundenplan. Das Schulzimmer der Viert- bis Sechstklässler der Montessori Schule Bern hat so gar nichts mit einem normalen Schulzimmer gemein. An einem langgezogenen Tisch lösen ein paar Sechtsklässlerinnen Rechenaufgaben, ein Mädchen liest auf einem Sitzsack sei-nen Bericht über das selbst gewählte Semesterthema. Am Boden ordnet eine Gruppe Schüler eifrig geometrische Objekte und Lernkarten – es geht um Flä-chen und Inhalte –, ein paar Buben beobachten ihre Seidenraupen, andere lesen das «Spick». Und ein Junge ist in der Küche nebenan am Kochen, weil er einen Vortrag über Quinoa halten will. Simone Meier, ausgebildete Montessori-Päda-gogin und Schulleiterin, beantwortet Fragen, gibt Inputs und rügt jene, die nur am Schwatzen sind. « Ich weiss nicht, was ich tun soll», fragt ein Schüler. Worauf er denn Lust habe, fragt ihn Meier. «Hmm. Rechnen vielleicht.» – «Dann hol dir doch den Rechenkasten.» Und schon ist er wieder weg.

So läuft jeder Morgen in der Montessori Schule Bern ab: Die 61 Kinder, die hier vom Kindergarten bis zur Mittelstufe zur Schule gehen, bestimmen selbst, was sie lernen wollen. «Prozessorientiertes Lernen mit Schwerpunkt Frei-arbeit» wird dieses schülerzentrierte Schulsystem auf der Website der Schule umschrieben. Sie sei auch nach bald 30 Jahren immer wieder begeistert, wie er-folgreich die Kinder lernten, sagt Meier. Obwohl keinerlei Druck ausgeübt werde, beschäftige sich jedes Kind aus freien Stücken mit allen Themenbereichen – auch mit Mathematik. «Die Montessori-Pädagogik geht davon aus, dass jedes Kind lernen will, neugierig ist und sich für viele Dinge interessiert», sagt Meier. Je-des Kleinkind lerne von sich aus laufen, sprechen und zeichnen – und auch jedes Schulkind lerne ohne Anleitung lesen, schreiben und rechnen, die einen früher, die anderen später. Ihre Aufgabe als Lehrerin sei daher nicht, den Kindern Wis-sen zu vermitteln. Sie unterstütze sie lediglich dabei, sich das Wissen selbst an-zueignen. Ganz nach Maria Montessoris berühmter pädagogischer Grundlage «Hilf mir, es selbst zu tun». «Kinder lernen, indem sie ausprobieren und spielen – wenn man ihnen den nötigen Rahmen gibt, damit sie sich über längere Zeit un-gestört konzentrieren können», sagt Meier. Sie beobachte immer wieder, wie zu-frieden die Kinder seien, wenn sie sich in eine Arbeit vertiefen konnten: «Lernen wird dann zum positiven Erlebnis.»

AUCH NACH 100 JAHREN AKTUELL

Und genau dies war Maria Montessoris Anliegen, als sie 1907 in Rom ihr erstes Kinderhaus eröffnete. Sie wollte eine Umgebung schaffen, in der die Kin-der dem Wie und Warum nachgehen konnten. Die Ärztin und Pädagogin hatte die Methode und ihre Lernmaterialien ursprünglich für geistig behinderte Kinder entwickelt, erkannte dann aber, dass auch normal begabte Kinder besser lern-ten, wenn sie dies spielerisch und selbstbestimmt tun konnten. Montessoris Ziel war, dass die Kinder lernten, eigenständig und vernetzt zu denken. Sie sollten über die grossen Zusammenhänge der Welt nachdenken. «Montessori ist daher auch nach über 100 Jahren noch aktuell», sagt Meier. Den Beweis, dass Kinder in-tuitiv das Richtige lernen, erhält die Schulleiterin jeweils, wenn die Montessori-Schüler nach der sechsten Klasse in die öffentliche Schule oder in eine Privat-schule übertreten: «Sie sind oft weiter als die anderen Kinder.» Vor allem aber seien sie selbstständiger, sozialer, kreativer. Sie haben also genau jene Fähigkei-ten, die in der heutigen Gesellschaft und Arbeitswelt immer wichtiger werden.

Von Manuela Ryter

Montessori-Pädagogik: Jedes Kind will lernen, ist neugierig und interessiert sich für viele Dinge.

Selbstbestimmung

als Schulfach

TITELSTORY

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Neue Technologien, Konzepte und Megatrends verändern beste­hende Gesellschaften und Wirtschaftssysteme. Auch Hochschulen unterliegen in diesem Prozess dem Wandel. Sie sollten diesen Wandel als unternehmerische Gelegenheit sehen. Wie wandelt sich die Lehre an Hochschulen? Und was und wie sollte ausgebil­det werden?

An Hochschulen wird aktuell bereits oft die Systematisierung der Aus-bildung von Fach-, Methoden-, Selbst- und Sozialkompetenzen verfolgt. Lernbe-reiten Menschen steht heute offline wie online ein breites Repertoire an Mög-lichkeiten des Wissenszugangs zur Verfügung. So ist Bildung im Sinne von Wis-sen dabei kein elitäres Gut mehr. Ein Instrument des Online-Lernens ist das der sogenannten Massive Open Online Courses (MOOCs). Diese kostenlosen On-line-Kurse – u. a. Videos, Lehrmaterialien, Tests – versprechen eine Demokrati-sierung der Bildung.

PROBLEME BEI DER UMSETZUNG

Denn sie bieten einer breiten Masse von Menschen den Zugang zu Bil-dung. Aktuell hat sich der Hype um die MOOCs allerdings ein wenig gelegt. Denn dem hehren Grundprinzip der freien Bildung stehen in der operativen Umset-zung oftmals Probleme der didaktischen Umsetzung und Aufbereitung der In-formationen für ein Lernen über die Distanz und in der Masse gegenüber. MOOCs funktionieren primär dann, wenn sie über ein begleitendes Lehr- und Lernkonzept verfügen. Neben der Nutzung von MOOCs können sich Studieren-de und interessierte Menschen darüber hinaus auf öffentlich zugänglichen Inter-netplattformen Vorlesungen, Kurse oder Erklärvideos anschauen. Wissen ist da-bei allzeit verfügbar und kann sich (vermeintlich) selbst beigebracht werden. Dies führt dazu, dass medial immer wieder von einer Entwertung von Wissen und Wissensträgern zu lesen ist. Ein Mensch muss nur wissen, wo es steht und wie darauf zugegriffen werden kann. Gleichwohl muss das Wissen aber korrekt und zielführend ausgewählt und angewendet werden. Damit ist dies auch eine Kompetenz, die es auszubilden gilt.

PERSÖNLICHE INTERAKTION BLEIBT ZENTRAL

Studierende, aber auch Kinder und Schüler, sollten deshalb zur Anwen-dung von Sprache, zur Analyse- und Synthesefähigkeit, zu Lern- und Arbeitsstra-tegien und zur Nutzung von Wissen und Information angeleitet und ausgebildet werden. Dieser bedeutende Bereich der Methodenkompetenzen lässt sich nicht ganz einfach über die Distanz vermitteln. Vorteilhaft ist deshalb oftmals eine persönliche Interaktion mit Menschen und somit anderen Studierenden, um diese Methodenkompetenzen zu vermitteln. Der Kontaktunterricht und der phy-sische Austausch von Informationen zwischen Menschen hat an Hochschulen immer noch eine hohe Bedeutung im Rahmen der Ausbildung. Dies gilt auch für den Bereich der Selbst- und Sozialkompetenzen. Die Selbstkompetenzen bilden die Dimensionen der Selbstreflexion, des Selbstmanagements sowie der Werte und Ethik ab. Die Sozialkompetenzen sind dabei u. a. die Reflexions- und die Konfliktfähigkeit. In der Summe die Möglichkeit, sich auf Neues einzustellen und diesem begegnen zu können.

Und genau an den Schnittstellen der Methoden-, Selbst- und Sozial-kompetenz mit den Fachkompetenzen zeigt sich eine zukunftsgerichtete Hoch-schulausbildung. Die Hochschule verbindet alle vier Bereiche zu einem Ganzen und liefert einen wichtigen Beitrag zur Ausbildung und Persönlichkeitsentwick-lung ihrer Studierenden. Die Rolle der Hochschulen sollte dabei sein, kritisch- reflexiv und kreativ denkende Menschen auszubilden und dafür Lehre und For-schung zu einem Anwendungsbezug zu vereinen. Denn über die Forschung kön-nen die wichtigsten Zukunftstrends in die Lehre zugleich frühzeitig und fundiert nachhaltig integriert werden.

Am BFH-Zentrum Digital Society, welches durch das Institut Unterneh-mensentwicklung mitgetragen wird, ist die Digitalisierung im Ausbildungsbe-reich ein wichtiges Thema. Aus den USA kommen neben MOOCs noch weitere Trends, zum Beispiel Zertifikatsplattformen und Big Data auf Prüfungsdaten. In der EU gibt es innovative Projekte zum Teilen von Inhalten. Die Frage ist auch hier, was sich in der Praxis bewährt und wie die neuen Technologien für eine zu-kunftsgerichtete, ganzheitliche und praxisbezogene Lehre auf Hochschulniveau genutzt werden können.

Online-Kurse bieten Chancen, können aber die Hochschule nicht ersetzen.

Lehre vor dem Hintergrund

der Digitalisierung

Von Prof. Dr. Kim Oliver Tokarski vom Institut Unter-

nehmensentwicklung, Fachbereich Wirtschaft der BFH,

und Prof. Dr. Reinhard Riedl, Wissenschaftlicher Leiter,

Fachbereich Wirtschaft der BFH

TITELSTORY

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Volksschule in

der digitalisierten Welt

Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft erleben zurzeit einen äusserst dynamischen Wandel. Traditionelle Formen der Kommu­nikation werden abgelöst durch neue Medien, die Text, Ton und Bild kombinieren und Informationen in Sekundenbruchteilen weltweit verbreiten. Neue Arbeitsmodelle und ­formen entstehen, die von den Menschen neue und ganz andere Kenntnisse und Kompetenzen verlangen. Neue digitale Technologien, die in im­mer kürzeren Abständen entwickelt werden, treiben diesen Wan­del an. Arbeitswelt und Familien sind gleichermassen betroffen und herausgefordert.

Von Heinz Röthlisberger,

Projektleiter Medien und Informatik

der kantonalen Erziehungsdirektion

Die Schule ist Teil der Gesellschaft und mit dieser in vielfältiger Weise vernetzt. Deshalb betrifft der digitale Wandel sie in mehreren Aspekten. Die Aus-bildungsziele der Volksschule sind im Lehrplan 21 definiert, welcher im Kanton Bern auf Beginn des Schuljahres 2018 / 19 eingeführt werden soll. Der Bereich Me-dien und Informatik ist dabei erstmals als separates Modul enthalten. Schülerin-nen und Schüler sollen mit den neuen digitalen Medien kompetent und sicher umgehen können.

LEHRPERSONEN ALS SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Die Schulen im Kanton Bern arbeiten bereits heute mit vielen digitalen Lerninhalten. Die rasante Entwicklung der Informatik- und Kommunikations-technologie stellt sie den gleichen Herausforderungen gegenüber, wie viele Un-ternehmungen, private und öffentliche Non-Profit-Organisationen und auch die öffentlichen Verwaltungen. Digitale Anwendungen sind jedoch immer mehr über das Internet oder die digitale Telefonie verfügbar. In Zukunft werden ein sehr leistungsfähiger Zugang zum Internet und ein darauf abgestimmtes inter-nes Schulnetzwerk die Grundlage für die Umsetzung des Lehrplans bilden. Noch entscheidender für den Erfolg sind aber kompetente und engagierte Lehrperso-nen, die die neuen Inhalte vermitteln. Dabei müssen nicht alle Lehrerinnen und Lehrer über die gleichen Kompetenzen verfügen. Auch in der digitalen Zukunft können und müssen viele Lerninhalte mit traditionellen Methoden vermittelt werden. Naturbeobachtungen finden in der Natur und nicht am Laptop statt. Eine gute Mischung aus digitalen und analogen Elementen im Unterricht kann diesen aber interessant und aktuell gestalten.

Schülerinnen und Schüler wachsen heute in einem Umfeld auf, in dem sie vielen Informationen ausgesetzt sind, die über elektronische Medien beina-he beliebig erreichbar sind. Damit sie sich in diesem Umfeld orientieren und zurechtfinden können, ist eine Umsetzung der neuen Inhalte zu Medien und In-formatik im Lehrplan notwendig. Dazu sind nicht nur Investitionen in die Weiter-bildung der Lehrerinnen und Lehrer und die Anpassung der Infrastruktur not-

wendig. Die bestehenden Lehrmittel müssen ebenfalls mit digitalen Inhalten er-gänzt oder sogar ganz in dieser Form bereitgestellt werden. Diese teilweise Neu-ausrichtung des Unterrichtes in der Volksschule bedingt beträchtliche finanziel-le Anstrengungen von Gemeinden und Kanton.

EMPFEHLUNGEN ZUM THEMA

Die Erziehungsdirektion hat in enger Zusammenarbeit mit den Gemein-den und der Pädagogischen Hochschule Bern (PHBern) soeben Empfehlungen zum Thema «Medien und Informatik in der Volksschule» herausgegeben (www.erz.be.ch/ict). Die Empfehlungen sollen die Gemeinden und Schulen un-terstützen, mit welchen pädagogischen Konzepten und mit welcher dazugehö-renden Infrastruktur sie die Zielsetzungen des Lehrplans 21 umsetzen könnten. Als Projektleiter freue ich mich darüber, dass wir im Rahmen der Erarbeitung die-ser Empfehlungen mit den Beteiligten einen Konsens gefunden haben. Noch mehr freue ich mich darüber, dass der Bereich Medien und Informatik in der Volksschule seinen gebührenden Platz erhalten darf. Dies im Interesse unserer Jugendlichen, der Wirtschaft und damit auch unserer Gesellschaft.

Internetzugang ist eine Grundlage für die Umsetzung des Lehrplans.

WEITERE INFOS DAZU

www.erz.be.ch / ict

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Starke Sozialpartnerschaft

für den digitalen Aufbruch

Die digitalen Technologien dringen in jeden Winkel unserer Wirtschaft. Damit dieser Wandel nicht auf Kosten der Beschäftigten geht, braucht es einvernehmliche Lösungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Immer mehr Lebensbereiche werden digitalisiert – Industrie 4.0 lautet das Stichwort. Heute werden nicht mehr bloss Maschinenteile von Robotern ge-fertigt. Auch im Dienstleistungssektor und im Verkauf ersetzt die digitale Welt Büroarbeiten und Geschäfte – und Arbeitsplätze. Amazon ist ein solches Symbol der digitalisierten und globalisierten Wirtschaft. Wie eine Krake dringt der US-Konzern in jeden Winkel des Detailhandels – verkauft Bücher, Kaffeemaschinen, Plüschtiere ... Er profitiert von seiner Marktmacht und verdrängt Konkurrenten unzimperlich aus dem Geschäft. Unzimperlich ist Amazon auch als Arbeitgeber: schlechte Löhne bei ebenso schlechten Arbeitsbedingungen. Wenn das die an-gekündigte Digitalisierung der Wirtschaft ist, dann wird es schwer für Beschäf-tigte und Gewerkschaften.

Trotzdem wehren sich die Gewerkschaften nicht grundsätzlich gegen die digitale Zukunft. Sie kann eine Chance sein für den Werkplatz Schweiz. Wir müssen jedoch sicherstellen, dass sie nicht auf Kosten der Beschäftigten geht. Es gibt allerdings genug Anlass, skeptisch zu sein.

Erstens verschwimmt die Grenze zwischen Lohnarbeit und Selbststän-digkeit. Für Plattformkonzerne wie Uber (Personenbeförderung) ist das ein gu-tes Geschäft. Es generiert Erträge, ohne dass das Unternehmen Verantwortung für Angestellte übernehmen muss. Menschen, die im Auftrag von Uber unter-wegs sind, tun dies auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. Die Selbstaus-beutung ist gross und die soziale Absicherung ist miserabel.

Zweitens verschwimmt die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Heute sind Menschen in fast allen Berufen fast immer verfügbar. Immer weiter drängt sich die Arbeitszeit in die Zeit der Erholung und der Entspannung. Ständig verfügbare Menschen stehen unter Dauerspannung – eine E-Mail oder SMS kann auch am Sonntagabend eintrudeln. Langfristig gesehen, ist das gesundheits-schädigend.

Drittens trägt diese Entwicklung zur Vereinsamung vieler Arbeiter/ -innen bei. Viele konzentrieren sich immer mehr auf die eigene Arbeit und sich selbst. Trotz aller Vernetzung wird gemeinsames Handeln – wie im Industriezeit-alter – zunehmend schwieriger. Es ist ein grosser Unterschied, ob man sich im World Wide Web kurz «begegnet» oder ob man Tag für Tag mit den gleichen Menschen am Arbeitsplatz ist.

Will die Gesellschaft in diesem neuen Arbeitsumfeld nicht scheitern, muss sie Kräfte stärken, die gemeinsame Lösungen suchen. Sie muss die Sozial-partnerschaft stärken. Diese ist, wie auch Arbeitgeberverbände immer wieder betonen, ein wichtiges Instrument für den sozialen Ausgleich. Es braucht einver-nehmliche Lösungen bei der Arbeitszeit und der Scheinselbstständigkeit, um die Arbeitswelt nicht vollkommen zu entgrenzen. Wenn das nicht geschieht, werden die sozialen Spannungen steigen. Die Gewerkschaften wollen gemeinsam aus-gehandelte Lösungen – keine populistischen Antworten die bloss Scheinlösungen bieten.

Zusammenhalt heisst auch Stärkung des Service Public. Allerdings be-dingt dies einen Paradigmenwechsel im bürgerlichen Lager: Eine ausgeglichene Rechnung ist kein zukunftsfähiges politisches Programm. Was wir brauchen, sind zum Beispiel massive Investitionen in die Bildung – ohne Bildung schaffen die Jugendlichen den Eintritt in die immer anspruchsvoller werdende Arbeitswelt nicht. Es gibt immer weniger unqualifizierte Arbeitsplätze, die Menschen mit ei-nem tiefen Bildungsniveau ein Einkommen verschaffen, das zum Leben reicht. Wir brauchen nicht nur Supercracks an der Spitze, sondern Kompetenzen in einer Breite, wie sie früher nicht vorstellbar war. Und die Gesellschaft muss bereit sein, für alle diejenigen Lösungen bereitzustellen, die wegen intellektueller oder kör-perlicher Einschränkungen nie derart komplexe Arbeiten ausüben können.

Mit der schweizerischen Tradition der gelebten Sozialpartnerschaft, gu-ter Bildung für alle, der Umsetzung familienfreundlicher Arbeitszeitmodelle und der Integration von Menschen mit Einschränkungen können wir den Schritt in die digitale Arbeitswelt schaffen. Die Gewerkschaften sind dabei!

Digitales Zeitalter: Gefahr der Selbstausbeutung ist gross.

Von Béatrice Stucki, VPOD-Sekretärin,

Präsidentin des Gewerk schaftsbundes

Stadt Bern und Umgebung, SP-Grossrätin

TITELSTORY

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KMU-NACHFOLGE

Wie und wo finden Sie potenzielle Übernehmer einer Firma?Häufig glaubt man uns nicht, dass wir einen Käufer finden. Doch wir

wissen dank unseres grossen Beziehungsnetzes und unserer sehr gut dotierten Datei, wo Erfolg versprechende Kandidaten sind.

«Man darf nicht vergessen: Der Verkäufer übergibt sein Lebenswerk, eigentlich sein Leben!»

Wie vermeiden Sie, dass sich Verkaufsabsichten herumsprechen?Wenn wir Firmen anschreiben – natürlich auch wenn wir Inserate schal-

ten –, ist absolute Vertraulichkeit oberstes Gebot. Niemand erfährt in dieser Pha-se, um welche Firma es sich handelt. Das Profil der Firma ist anonym, sodass kei-ne Rückschlüsse auf unseren Auftraggeber möglich sind.

Wie filtern Sie die er folgversprechendsten Kandidaten aus den Interessenten heraus?Um die interessierten Unternehmen zu qualifizieren, werden sie be-

sucht, und es werden strukturierte Interviews geführt. Ein Konzentrat der erfolg-versprechendsten Interviews erhält der Verkäufer der Firma zur Beurteilung. Es kommt zu Erstgesprächen zwischen dem Verkäufer und je einem Interessenten.

Was ist der Zweck des ersten Gesprächs?Es geht darum, herauszufinden, ob die Chemie stimmt. Eine wichtige

Aufgabe von uns ist es auch, die Emotionen herunterzubringen. Man darf nicht vergessen: Der Verkäufer übergibt sein Lebenswerk, eigentlich sein Leben! In diesem Gespräch lassen wir alles, was mit Zahlen zu tun hat, noch weg. Erst den-jenigen, die es in die zweite Verhandlungsrunde schaffen, werden die Kennzah-len der zu übergebenden Firma offengelegt.

Herr Zimmermann, wer ist Ihr typischer Kunde?Unsere Kunden sind Gewerbebetriebe, also KMU mit bis zu etwa 50 

Beschäftigten. Das hat mit meinem Hintergrund zu tun: Ich habe selbst während 25 Jahren ein KMU geführt, bin Handwerker und Unternehmer und befinde mich auf demselben Level wie unsere Kunden. Es gibt einen weiteren Aspekt: Zu uns kommt, wer Geld sparen will und mit einem WIR-Anteil bezahlen möchte. Ausserdem arbeiten wir nach Aufwand und nicht nur auf Erfolgsbasis. Ein Er-folgsversprechen geben wir aber trotzdem: Wir garantieren, innerhalb von zwei Jahren einen Nachfolger zu finden oder die Firma liquidiert zu haben.

Auch Banken bieten Nachfolgeregelungen an …Ich glaube nicht, dass Banken über unsere Kompetenzen verfügen.

Bankmitarbeiter fokussieren sich auf die Finanzfragen. Ausserdem kommt es schnell zu Interessenkonflikten: Eine Bank versucht, einen Ausfall der Hypothek zu vermeiden. Unsere Meinung ist : Der Unternehmer hat sich einen angemesse-nen dritten Lebensabschnitt verdient und soll für seine Firma einen anständigen Preis erhalten. Auch ein Treuhänder ist übrigens nicht immer neutral. Womög-lich hat er 30 Jahre lang die Firma des Seniors begleitet und hat Mühe, sich in den Nachfolger hineinzudenken, der die Firma übernehmen möchte. Wir sind neut-ral und haben keine Interessenkonflikte.

Was spricht dagegen, selbst nach einem Nachfolger zu suchen?Grundsätzlich natürlich nichts. Häufig ist der Firmeninhaber aber nicht

beim ersten Anlauf erfolgreich. Dann geht das Tagesgeschäft wieder vor, und schnell sind ein paar Jahre vergangen. Unsere Lösungen kosten weniger Geld, Zeit und Nerven.

«Wir stellen den Menschen

in den Vordergrund.»

In den nächsten fünf bis zehn Jahren stehen in der Schweiz nicht weniger als 70 000 KMU vor der Firmenübergabe. Seit zehn Jahren berät Karl Zimmermann, Gründer des Nachfolgezentrums, Firmen bei der Nachfolgeregelung. Im Interview erklärt Zimmermann, wie er eine KMU­Nachfolge konkret anpackt.

Von Daniel Flury

Karl Zimmermann: «Wir wissen, wo Erfolg versprechende Kandidaten sind.»

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Gibt es Branchen, die schwerer vermittelbar sind als andere?Das würde ich nicht sagen. Aber es gibt Fälle, die wir ablehnen. Wenn

der Firmeninhaber über 70 Jahre alt ist und die Angestellten auch nicht viel jün-ger sind, wird es schwierig. Einer solchen Firma fehlt es dann häufig an Substanz. Gelegentlich täuscht aber der erste Eindruck.

Sind Sie in der ganzen Schweiz tätig?Wir haben unsere Büros natürlich nicht zufällig in Bern und in Schwyz:

Dort sind wir am besten vernetzt. Grundsätzlich decken wir aber die ganze Deutschschweiz ab, wobei wir uns überlegen, auch in die Ostschweiz zu expan-dieren oder in der Romandie Fuss zu fassen.

«Packen Sie das Thema Nachfolge gleich nach dem 55. Geburtstag an.»

Wie alt ist der typische Übernehmer einer Firma?Meist sind es Personen, die schon 45 bis 55 Jahre alt sind. Ideal wären

wohl 40- bis 45-Jährige, die über eine längere Zeitdauer eine Firma weiter auf-bauen und so eine noch bessere Rendite erzielen können.

Wie wichtig ist die Finanzkraft eines Übernehmers?Das ist ein wichtiger Punkt. Wer in die engere Wahl kommt, muss einen

Finanznachweis erbringen und uns seinen Business- und Finanzierungsplan vor-stellen. Eine reine Banklösung ist aber selten, häufiger handelt es sich um eine Kombination von Bankkredit und Verkäuferdarlehen.

Wie wird der Wert einer Firma ermittelt?Die verschiedenen Unternehmerverbände bieten Tools und Beratun-

gen zur Betriebsbewertung an. Dank unserer Erfahrung können wir beurteilen, welcher Preis am Markt gelöst werden kann.

Was ändert sich für den Verkäufer?Er muss aufpassen, dass er nicht in ein Loch fällt. Als Unternehmer wird

man immer wieder zu Events eingeladen oder auf die Firma angesprochen. Nach der Übergabe ist das nicht mehr der Fall, die Position in der Gesellschaft geht teilweise verloren.

Ihr Tipp an unsere Leser?Packen Sie das Thema Nachfolge gleich nach dem 55. Geburtstag an –

nehmen Sie sich Zeit für eine Standortbestimmung mit einer Perspektive von 10 Jahren.

KARL ZIMMERMANN

Karl Zimmermann (58) ist Geschäftsführer der 2006 gegründeten KMU-Nachfolgezentrum AG. Das KMU-Nachfolgezentrum berät Firmen bei der internen oder externen Nachfolgeregelung und engagiert sich in der Öffentlichkeit für das Thema Nachfolge. Das KMU-Nachfolgezent-rum bringt auch Verkäufer und Käufer von Firmen zusammen und publiziert entsprechende Mandate auf seiner Website. Weitere Infos unter: www.kmu-nachfolgezentrum.ch

Nachfolgeregelung aus Sicht der Bank: je früher, desto besserWer mit Leib und Seele Unternehmer ist, ist auch an einer optimalen Lösung seiner Nachfolge interessiert. Durch frühzeitige Planung kann der Grundstein für die Weiterführung des Lebenswerks und damit die Sicherung der Arbeitsplätze gelegt werden.

Die Unternehmung auf die Nachfolge vorbereitenDas Unternehmen sollte so ausgerichtet werden, dass es sich optimal übertragen lässt. Für Vermögenswerte, die nicht der Firmentätigkeit dienen und für einen potenziellen Nachfolger nicht interessant sind, ist eine Entnahme aus der Firma prüfenswert. Zudem ist es ratsam, sich vor der Weitergabe mit den Werttreibern des Unternehmens aus -einanderzusetzen, da diese massgeblichen Einfluss auf den reali sier-baren Kaufpreis haben.

Struktur, Finanzierung und steuerliche AuswirkungenDie Unternehmensübergabe kann je nach Ausgestaltung und Struktur für Verkäufer und Käufer weitreichende steuerliche Belastungen mit sich bringen. Auch hier sind bei Bedarf Fachpersonen beizuziehen. Die Struktur darf nicht nur kurzfristigen steuerlichen Überlegungen folgen, sondern soll auch die langfristigen Interessen des Verkäufers, des Käufers und der Unternehmung angemessen berücksichtigen.

Oft ist der Kaufinteressent nicht in der Lage, den Kaufpreis aus eigenen Mitteln zu entrichten. Für eine entsprechende Fremdfinanzierung empfiehlt es sich, die Spezialisten der Bank frühzeitig an Bord zu holen. Gemeinsam können Struktur, Finanzierung und steuerliche Aspekte der Nachfolge optimal aufeinander abgestimmt werden, um so die Basis für eine erfolgreiche Fortführung der unternehmerischen Tätigkeit zu legen.

Daniel Durand, UBS Switzerland AG, Nachfolgespezialist Region Bern

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FAIR TRADE

«Zeichen setzen für eine gerechte Welt»

Bern möchte Fair­Trade­Stadt werden. Eine städtische Arbeitsgruppe unter der Leitung von Katharina Stampfli vom Wirtschaftsraum Bern ist momentan daran, die notwendigen Schritte einzuleiten und umzusetzen.

Von Artur K. Vogel

Wieso sollte irgendjemand Garstang kennen, einen kleinen, pittoresken Ort mit kaum mehr als 4000 Einwohnern in der Grafschaft Lancashire im Nor-den Englands? Dass hier schon vor rund 700 Jahren Märkte abgehalten wurden, ist für Berner bestimmt von zweitrangiger Bedeutung, ebenso dass das Städt-chen bei Kriegen zwischen Schotten und Engländern mehrmals zerstört wurde. Und doch bahnt sich in der Bundesstadt etwas an, was in diesem weit entfernten Ort seinen Anfang genommen hat: Im Jahr 2000 gründeten Leute, die dem Hilfs-werkverbund Oxfam nahestehen, in Garstang die Kampagne Fair Trade Town. Diese Idee ist nun, 15 Jahre später, in der Schweiz und in Bern angekommen.

Die Initiative zur Förderung von zertifizierten Waren aus fairem Handel war in England erfolgreich: Die dafür gegründete Stiftung formulierte einen Leit-faden für das Label und verlieh zwischen 2001 und 2006 insgesamt 209 briti-schen Städten und Ortschaften den Fair-Trade-Status. Im Oktober 2009 kamen weitere 760 Städte hinzu, davon 312 ausserhalb Grossbritanniens. Heute gibt es weltweit mehr als 1600 Fair-Trade-Städte in 26 Ländern.

ZWEISIMMEN ALS PIONIER

Erst vorletztes Jahr ist die Kampagne auch in der Schweiz angelaufen. Eine Pionierrolle spielte dabei Zweisimmen im Berner Oberland: Es wurde im vergangenen April nach Glarus Nord zweite Fair Trade Town der Schweiz. Die In-itiative hatte der lokale «claro»-Weltladen ergriffen. Nachdem der Gemeinderat im Herbst 2015 den notwendigen politischen Entschluss gefasst hatte, arbeite-ten «claro»-Mitarbeiterin Ursula Spycher und Gemeinderätin Claudia Gautschi (SP) Hand in Hand, um die fünf erforderlichen Kriterien zu erfüllen (siehe Box).

Ihre Arbeitsgruppe leistete intensive Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung, bei Institutionen und lokalen Unternehmen.

Inzwischen haben sich in Zweisimmen schon 15 Betriebe der Kampagne angeschlossen. Die Mitarbeitenden der Verwaltung konsumieren in ihrer Pause Kaffee und Snacks aus fairem Handel. Die Schule, Alterszentren, Vereine, Kirch-gemeinden, einige Restaurants und Geschäfte haben ihr Angebot an Fair-Trade-Produkten erweitert. Die Gemeinde nennt als Beispiele einen Schreinerbetrieb, eine Zahnärztin oder den Frauenverein, bei denen Kaffee aus fairem Handel of-feriert wird. Gemeindepräsident Ueli Zeller (SVP) freut sich, dass Zweisimmen mit seinen rund 3000 Einwohnern «als eine der ersten Gemeinden der Schweiz dabei ist. Fairer Handel ist seit vielen Jahren ein Thema in Zweisimmen und war mit ein Grund, dass hier vor mehr als 25 Jahren ein ‹claro›-Weltladen gegründet wurde.»

BERN MACHT MIT

Im Sommer 2015 trat Swiss Fair Trade, der Dachverband der Fair-Trade-Organisationen der Schweiz, auch an die Stadt Bern heran. Für den Gemeinderat war relativ rasch klar, dass Bern mitmachen wollte, um sich «als Vorbild für an-dere Schweizer Städte zu positionieren», wie es in einer Mitteilung des Gemein-derates heisst. Das Label passe zur Strategie 2020 des Gemeinderates mit der «Vision einer wachsenden, kreativen, ökologischen, weltoffenen und sozialen Stadt». Zudem «bekennt sich der Gemeinderat zum fairen Handel», um «ein Zei-chen für eine gerechte Welt zu setzen».

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«Vision einer wachsenden, kreativen, ökologischen, welt-offenen und sozialen Stadt.»

Damit Bern als Fair Trade Town ausgezeichnet wird, muss die Stadt fünf Kriterien erfüllen. Die Stadtregierung muss sich zum Mitwirken bekennen und für die Koordination der Massnahmen eine Arbeitsgruppe einsetzen. Weiter muss eine gewisse Anzahl von Betrieben in der Stadt Bern Fair-Trade-Produkte anbieten, und Institutionen und Unternehmen müssen solche Produkte ver-wenden. Und schliesslich muss die Stadt Überzeugungs- und Öffentlichkeits-arbeit leisten.

DREI VON FÜNF KRITERIEN ERFÜLLT

Mit dem gemeinderätlichen Beschluss war das erste der fünf Aufnah-mekriterien bereits abgehakt. Dem zweiten entsprach die Stadtregierung, indem sie eine Arbeitsgruppe einsetzte. Sie wird von Katharina Stampfli geleitet, die im Wirtschaftsraum Bern (dem städtischen Wirtschaftsamt) für Wirtschaftspolitik zuständig ist. Auch das dritte Kriterium ist erfüllt : Schon mehr als ein Dutzend Detailhandelsläden machen mit: vom LoLa Lorraineladen über den Wyleregg-laden, vatter Royal oder Nordring Fair Fashion bis zum Hallerladen in der Läng-gasse. «Unser Ziel wäre es, auch die Grossverteiler Migros und Coop in Bern an Bord zu holen», meint Stampfli dazu. Zudem bieten mehr als 20 Betriebe der Gastronomie und Hotellerie Fair-Trade-Lebensmittel und -Getränke an, unter anderem viele Lokale, die von den ZF V-Unternehmungen und der SV Group ge-führt werden, aber auch Häuser wie Ibis, Novotel und die Sorell-Hotels Arabelle und Ador. «Wir arbeiten daran, die Zahl der Betriebe, welche ethische Ansprüche an ihr eigenes Handeln stellen, weiter zu erhöhen», hält Katharina Stampfli fest.

Die Arbeitsgruppe unter ihrer Leitung bemüht sich nun um die noch zu erledigenden Aspekte. «Wir arbeiten zurzeit am vierten Kriterium. Zu diesem Zweck sprechen wir Schulen, Kitas, Pflegeinstitutionen, Vereine sowie Unterneh-men an und ermuntern sie dazu, bei der Kampagne mitzumachen», erklärt Stampfli. Gezwungen wird niemand: «Wir informieren und versuchen, das Be-wusstsein für die Problematik Nord-Süd-Handel zu wecken. In der Stadtverwal-tung selber laufen Abklärungen. Denkbar ist zum Beispiel der Einsatz von Fair-Trade-Produkten in den städtischen Cafeterien, bei der Sanitätspolizei oder der Feuerwehr. Kaffee, Schokolade oder Früchte aus fairem Handel könnten das be-stehende Angebot sinnvoll ergänzen.»

«Wir arbeiten daran, die Zahl der Betriebe, welche ethische Ansprüche an ihr eigenes Handeln stellen, weiter zu erhöhen.» Katharina Stampfli, Wirtschaftsamt Stadt Bern

Das fünfte Kriterium ist die Öffentlichkeitsarbeit : «Wir wollen die viel-fältigen Fair-Trade-Aktivitäten stadtweit bekannt machen und vernetzen.» Ne-ben Beiträgen in den Medien ist noch dieses Jahr ein Fair-Trade-Markt in der Lor-raine geplant. «Auch die Quartierorganisationen in der Altstadt überlegen sich Aktivitäten», sagt Katharina Stampfli, die durch eine Standaktion am 13. Mai auf dem Kornhausplatz ermutigt worden ist : «Obwohl es an jenem Tag geregnet hat, war das Interesse an unseren Informationen gross.»

Illusionen gibt sie sich allerdings nicht hin: «Mit Fair Trade allein retten wir die Welt nicht.» Einen wertvollen Beitrag dazu könne hingegen jede und je-der leisten: «Wer Produkte aus fairem Handel konsumiert, ermöglicht Arbeite-rinnen und Arbeitern in den Herkunftsländern ein existenzsicherndes Einkom-men und damit eine menschenwürdige Existenz. Mit unserem Verhalten können wir dazu beitragen, dass sich auch in Entwicklungsländern jene partnerschaftli-chen, stabilen und langfristigen Handelsbeziehungen sowie soziale, zwangsfreie und nicht diskriminierende Arbeitsbedingungen etablieren, die in der Schweiz selbstverständlich sind.»

KOSTEN UND NUTZEN

Mit dem Projekt Fair-Trade-Stadt erhalte Bern «ein weiteres Argument bei der Standortpromotion», ist der Gemeinderat überzeugt, und zwar zu gerin-gen Kosten: Der Jahresbeitrag an die Kampagne richtet sich nach der Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner; für Bern bedeutet das eine jährliche Zahlung von 2500 Franken. «Man gibt sicher mehr Geld für Dümmeres aus», meint Ka-tharina Stampfli augenzwinkernd. Dazu komme der eher bescheidene zeitliche Aufwand der Arbeitsgruppe. Das Engagement der Betriebe und Geschäfte, die mitmachen, muss übrigens nicht selbstlos sein: «Fair-Trade-Produkte liegen im Trend», ist Stampfli überzeugt; «dieses Standbein könnte also für Berner Unter-nehmen durchaus zum Erfolgsfaktor werden.»

SO WIRD MAN FAIR TRADE TOWN

Die Auszeichnung «Fair-Trade-Stadt» ist eine Kampagne von Swiss Fair Trade, dem Dachverband der Organisationen für fairen Handel in der Schweiz. Diesem gehören Hilfswerke wie Heks, Helvetas, Fastenopfer und Brot für alle an, die entwicklungspolitische Nichtregierungsorga-nisation Erklärung von Bern, die sich soeben in Public Eye umgetauft hat, sowie diverse Firmen und Institutionen, die fairen Handel betreiben, etwa die Max Havelaar-Stiftung. Um Fair Trade Town zu werden, muss ein Ort laut Swiss Fair Trade folgende fünf Kriterien erfüllen:

• Die Stadt oder Gemeinde bekennt sich zum fairen Handel.• Eine Arbeitsgruppe koordiniert das Fair-Trade-Engagement.• Detailhandel, Gastronomie und Hotellerie bieten Fair-Trade-Produkte an.• Institutionen und Unternehmen verwenden Fair-Trade-Produkte.• Durch Öffentlichkeitsarbeit wird der faire Handel der Bevölkerung

nähergebracht.Bern erfüllt die ersten drei Kriterien bereits, das vierte und fünfte sind in Bearbeitung, sodass das Beitrittsgesuch spätestens Anfang 2017 gestellt werden kann.www.fairtradetown.chwww.swissfairtrade.ch

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EURESEARCH

Wie KMU zu Forschungsgeldern kommen

Der Verein Euresearch mit Hauptsitz in Bern verschafft Universi­täten, Fachhochschulen, Unternehmen und anderen Organisatio­nen Zugang zu europäischen Projektgruppen und Fördergeldern. Doch wie es nach Masseneinwanderungsinitiative und Brexit wei­tergeht, ist ungewiss.

Class4Laser Professionals AG – Slogan: «See the Light», «Sieh das Licht» – ist eine kleine Firma in einem unscheinbaren Fabrikgebäude in der Indus-triezone von Lyss. Die Französin Noémie Dury ist eine von 15, 16 Leuten, die hier arbeiten. Als «Head of Business Development» ist sie für die Entwicklung der Ge-schäftsfelder dieser vor fünf Jahren gegründeten, hoch spezialisierten Firma zuständig. Und sie vertritt Class4Laser in zwei Projekten von europäischen Konsortien, welche von der EU und der Eidgenossenschaft finanziell gefördert werden.

Das klingt nicht besonders aufregend, ist es aber. Dass Class4Laser an den europäischen Projekten RAZipol 1 und HIPERDIAS 2 mitmachen kann, sei nicht selbstverständlich, sagt Ingenieurin Dury. Denn zum einen ist es für KMU nicht einfach, an Fördergelder zu gelangen. Und zum anderen hat sich die Schweiz mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) am 9. Feb-ruar 2014 und mit der damit verbundenen Weigerung, die Personenfreizügigkeit auf Kroatien auszudehnen, in eine heikle Position manövriert. Seit der MEI-Ab-stimmung «lehnt die EU eine Vollassoziierung der Schweiz am gesamten Hori-zon-2020-Paket ab», heisst es dazu beim Staatssekretariat für Bildung, For-schung und Innovation (SBFI).

Horizon 2020 ist das achte Rahmenprogramm der EU für Forschung und technologische Entwicklung (FRP) und wird zwischen 2014 und 2020 insge-samt rund 80 Milliarden Euro ausschütten. Seit 2004 war die Schweiz voll asso-ziiertes Mitglied an den FRP; nach einem Übereinkommen von 2014 ist sie jetzt wenigstens wieder teilweise assoziiert, wobei das Geld für die Schweizer Projekt-anteile nicht aus Brüssel, sondern aus Bern kommt. Doch die Zeit drängt: Ratifi-ziert die Schweiz das Kroatien-Protokoll bis am 9. Februar 2017, kann sie wieder voll an Horizon 2020 teilnehmen. Wenn nicht, wird sie zurückgestuft auf den Sta-tus eines Drittstaates.

UNTERSTÜTZUNG FÜR KMU

Dass Class4Laser trotz Hindernissen an europäischen Projekten teil-nehmen kann, führt Noémie Dury auf drei Faktoren zurück: Erstens hat sich ihre Firma einen Namen gemacht als Lieferantin von massgeschneiderten Laser-Lö-sungen für die Medizintechnik, die Uhrenbranche, die Luftfahrt, die Automobil- und die Werkzeugindustrie. Zweitens pflegt sie enge Beziehungen zur Universi-tät Stuttgart, welche die Lysser Firma zur Teilnahme an RAZipol eingeladen hat. Und drittens kann Class4Laser auf die Unterstützung von Euresearch 3 zählen.

Euresearch ist ein vor 15 Jahren gegründeter, vom Bund finanzierter Ver-ein. Seine Ableger vermitteln Informationen und konkrete Hilfe für Interessen-ten, die sich an europäischen Forschungsprogrammen und -konsortien beteili-gen möchten. Der Hauptsitz ist an der Effingerstrasse in Bern; zehn regionale Bü-ros sind Universitäten und Eidgenössischen Hochschulen angegliedert. Zusätz-

lich unterhält Euresearch Kontaktstellen mit Dienstleistungsangeboten für Fach-hochschulen und KMU.

Als Anlaufstelle für KMU aus der Region Bern fungiert Lisanne Richle an der Berner Fachhochschule. Sie ermutigt KMU, sich «unbedingt für Projekte zu bewerben», weil Horizon 2020 besonderen Nachdruck auf die Beteiligung klei-ner und mittlerer Unternehmen lege, auf ihre Innovationskraft und die Möglich-keit, Arbeitsplätze zu schaffen. Euresearch verfügt nicht nur über ein dichtes eu-ropäisches Netzwerk, sondern kann auch das notwendige Fachwissen abrufen, um Interessierten den Zugang zu erleichtern. Denn «schon nur ein Kandidaten-dossier zu erstellen, ist extrem aufwendig», weiss Noémie Dury von Class4Laser. Sie war froh, dass sie sich auf die kostenlose Hilfe von Euresearch Bern und Li-sanne Richle abstützen konnte.

«Euresearch verfügt nicht nur über ein dichtes Netzwerk, sondern kann auch das notwendige Fachwissen ab rufen, um Interessierten den Zugang zu erleichtern.»

UNANGENEHME FOLGEN

Die Schweiz bekommt die Ungewissheit über die künftigen Beziehun-gen zur EU zu spüren. So hat das World Trade Institute der Universität Bern (W TI) vor Kurzem eine Ausschreibung des Europäischen Forschungsrates gewonnen. Das W TI soll Folgen des Klimawandels für Europas Sicherheit untersuchen, zum Beispiel den Ansturm an Europas Aussengrenzen von Migranten aus Drittwelt-ländern, die von klimatischen Veränderungen betroffen sind. Ziel des Projekts ist es, aufzuzeigen, wie rasch und effizient auf solche Katastrophen reagiert wer-den könnte. Das Projekt, mit knapp 2 Millionen Euro gefördert, ist im Juli gestar-tet. Beteiligt sind neben dem W TI in Bern Universitäten in Italien, England und Schweden.

Doch in Bern ist die Freude begrenzt. Zwar hat das W TI das gesamte Projekt fast allein aufgegleist ; geleitet wird es aber von Italienern. Man habe ih-

Von Artur K. Vogel

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Horizon 2020 ist für Schweizer KMU das wichtigste Fördergefäss – wegen Annahme der Masseneinwanderungsinitiative droht der Ausschluss.

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Wie KMU zu Forschungsgeldern kommen

nen die Projektkoordination «aus taktischen Gründen abgetreten», sagte Rosa Maria Losada vom W TI der «Berner Zeitung», «weil wir als Schweizer keine Er-folgschancen gehabt hätten.» «Es gibt keine EU-Vorschrift, welche es Schweizer Forschern verbietet, Projektleitungen zu übernehmen», sagt Peter Erni, der Eure-search-Direktor. «Doch wegen der aktuellen Lage werden Schweizer Partner im Ausland als Risiko angesehen und deshalb von Konsortien oft ausgeschlossen oder hinausgedrängt.» Das hat finanzielle Konsequenzen: Zwischen 2007 und 2013, im Rahmen des FRP 7, flossen rund 2,5 Milliarden Euro Fördergelder an 4300 Schweizer Projekte, davon rund 320 Millionen an KMU. Und Horizon 2020 wäre « für die Schweizer Universitäten nach dem Nationalfonds das zweitwich-tigste, für Schweizer KMU gar das wichtigste Fördergefäss», sagt Euresearch- Direktor Erni. In den zweieinhalb Jahren, seit das Stimmvolk die Masseneinwan-derungsinitiative angenommen hat, haben sich die Förderbeiträge laut Berech-nungen des Staatssekretariats für Bildung jedoch massiv reduziert.

«Wie die Wirtschaft sind auch Forschung, Entwicklung und Innovation längst global», sagt Peter Erni: «Wenn man aus politischen Gründen auf den mit Abstand wichtigsten Partner verzichten möchte, ist dies natürlich möglich, aber nicht ohne entsprechende Einbussen. Einen Ersatz für Horizon 2020 gibt es nicht. Alternativen gibt es sehr wohl, diese beinhalten aber substanzielle Nach-teile.» Zumal man Horizon 2020 nicht nur unter dem Aspekt des Geldes an-schauen dürfe. «Sehr wichtig ist auch, was aufgrund dieser Gelder erreicht wer-den kann: Patente, Publikationen, Diplome, Arbeitsplätze.» Er mache sich, sagt Erni, «Sorgen um eine Isolierung der Schweizer Forschenden und langfristig um einen Know-how-Verlust und einen verringerten Einfluss der Schweiz auf die europa- und weltweite Forschung».

WIE WEITER NACH DEM BREXIT ?

Auch die Auswirkungen des britischen Referendums zum Austritt aus der EU (Brexit) sind ungewiss: «Das Vereinigte Königreich wird immer noch als volles EU-Mitglied betrachtet (und damit vollständig an Horizon 2020 beteiligt), bis das UK die EU-Mitgliedschaft formell beendet», heisst es dazu bei Eure-search: «Dieser Prozess kann mehr als zwei Jahre dauern.»

Der berühmte Physiker Stephen Hawking spricht im Zusammenhang mit dem Brexit von einer «Katastrophe für die britische Wissenschaft und die Universitäten». Jo Johnson hingegen, der britische Staatsminister für Universitä-ten und Wissenschaft (und jüngerer Bruder des Brexit-Befürworters Boris John-son) versucht, Befürchtungen zu zerstreuen: «Der Ausgang des Referendums hat keinen unmittelbaren Effekt für jene, die sich für Horizon 2020 bewerben oder daran teilnehmen», schrieb er Ende Juni. Die zukünftigen Beziehungen Grossbritanniens zur EU und ihren Forschungsprogrammen müsse erst noch ausgehandelt werden.

«Aber dank den europäischen Programmen können wir Forschung betreiben, ohne dass sie in Zusammenhang mit einem Kundenauftrag steht.» Noémie Dury

Für Noémie Dury von Class4Laser sind die Vorgänge auf politischer Ebene nebensächlich. Ihre Firma zieht einen bescheidenen, aber direkten Nut-zen aus der Forschungsförderung: Die paar Hunderttausend Förderfranken sei-en zwar nicht entscheidend für das Überleben der kleinen Firma, die bereits einige interessante Kunden hat, sagt sie: «Aber dank den europäischen Pro-grammen können wir Forschung betreiben, ohne dass sie in direktem Zusam-menhang mit einem Kundenauftrag steht und durch diesen finanziert werden muss. Und wir können auf internationaler Ebene wissenschaftliche Erkenntnisse austauschen.»

1 RAZipol (Ultrafast Lasers with Radial and Azimuthal Polarizations for High- efficeny Micro-machining Applications) arbeitet an einem Programm für sehr leistungsstarke, hochpräzise Laser.

2 HIPERDIAS (High Throughput Laser Processing of Diamond and Silicon) entwi-ckelt ein Laser-Verfahren für die hochpräzise Bearbeitung von Silicon und Dia-manten sowie die Metallbearbeitung für Uhren und medizinische Geräte.

3 www.euresearch.ch. Für KMU: www.euresearch.ch/KMU

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BERNPUNKT-GESPRÄCH

Sarah Huber, die stellvertretende Geschäftsführerin und Mitbesit­zerin der Berner Ladenlegende Kitchener, über Berner Gelassenheit, Webshops, faire Kleiderproduktion und das Konfliktpotenzial in einem Familienbetrieb.

Sarah Huber, welches ist Ihre Lieblingsstadt?London fand ich schon immer spannend, dort tut sich ständig etwas,

nicht nur kulturell, auch kulinarisch, und das ist auch nicht zu vernachlässigen.

Und welche Beziehung haben Sie zu Bern? Ich würde sagen eine Liebe, obwohl das Gute an Bern manchmal auch

das Schlechte ist. Bern kann etwas träge und verschlafen sein – das finde ich wunderschön, aber manchmal ärgert es mich auch.

Und wie erleben Sie Bern als Geschäftsstandort?Nächstes Jahr sind es 50 Jahre, dass es uns gibt – das sagt eigentlich al-

les. Wir haben eine grosse, wachsende und treue Kundschaft. Das ist nicht selbstverständlich, und für mich hängt das zum Teil mit dem Naturell von Bern zusammen.

Kein schlechter Standort also für einen Laden wie den Kitchener ...Ja, definitiv. In der Mode dreht alles unheimlich schnell, aber in Bern

macht man nicht alles mit. Es gibt hier eine gewisse Gelassenheit und eine Wert-schätzung. Unsere Kunden sind mit uns gealtert – mein Vater ist über 70 Jahre alt, und so alt ist zum Teil auch unsere Kundschaft. Das finde ich etwas Schönes.

Kleiderläden stehen unter grossem Druck von Online-Modehändlern wie Zalando und global tätigen Ketten wie H&M. Wie kann sich Kitchener da überhaupt noch behaupten?Wo soll ich da bloss anfangen! Wir haben immer daran geglaubt, dass

es für Geschäfte wie uns Nischen gibt, denn es gibt ja die Kunden, für die nicht der Preis entscheidend ist, sondern das Einkaufserlebnis. Für diese Kundschaft zählen Dinge wie die Vorauswahl, die wir treffen, und die Stimmung im Laden. Wenn man anders genug ist, kann man schon überleben – das ist jedoch harte Arbeit.

Trotzdem: Wie stark setzt Ihnen dieser doppelte Druck zu?Es hat wahnsinnig gute Jahre gegeben im Detailhandel, da konnte man pri-

ma überleben, ohne sich gross anzustrengen. Wenn man die richtigen Produkte hatte, lief das wie von selbst. Das ist vorbei. Heute muss man immer auf Draht sein und es braucht viel, viel Innovation. Zurückliegen kann man definitiv nicht mehr.

Wo liegt der Schlüssel zum Erfolg? Wir müssen die Kunden immer wieder überraschen. Und wir haben

stark diversifiziert. Bei den Accessoires etwa ist es noch eher möglich, sich abzu-heben, als bei den Kleidern. Wir waren ein Concept Store, als es dieses Wort noch gar nicht gab. Ich sage immer, wir sind ein Warenhaus. Man muss versuchen, die Strömungen, die man spürt, umzusetzen und sich dabei treu zu bleiben.

Aber Kitchener betreibt auch einen Online-Shop ...Ja, denn wir sind der Ansicht, dass man diese Präsenz heute einfach

braucht. Doch das kostet viel Geld und Geduld, und ich habe keine Ahnung, ob das wirklich gut kommt.

Haben Sie schon lange einen E-Shop? Wir waren eigentlich wahnsinnig früh dran. Wir haben vor acht Jahren

angefangen und erste Erfahrungen gesammelt. Da gab es aber noch nicht wirk-lich gute Softwarelösungen, und deshalb machten wir den Webshop wieder zu. Nun haben wir im letzten Jahr neu angefangen, versuchen aber, das Ganze stär-ker von der Seite des Kundendienstes her anzuschauen.

Es geht Ihnen also nicht primär um Umsatz?Nicht nur. Umsatz zu generieren, das wissen wir von Amazon, braucht

einen langen Atem. Aber man kann den Kundinnen und Kunden mit einem Webshop Mehrnutzen bringen. Sie können sich beispielsweise das Sortiment – oder mindestens Teile davon – anschauen, wenn wir geschlossen haben, und sich Sachen schicken lassen. Das ist ein mächtiges Instrument, wenn man damit umzugehen weiss.

Sie haben vom Einkaufserlebnis in Ihren Läden ge-sprochen. Wollen das die Leute in Zeiten von Zalando überhaupt noch?Mehr denn je! All die Ketten, für die Lokalmieten keine Rolle spielen,

bringen ihre Riesenkonzepte in die Städte rein, und dann sieht es überall gleich aus. Das ist doch eine beängstigende Entwicklung, und da ist es schön, Detail-händler zu finden, die sich abheben, Läden, die einfach anders sind. Das höre ich von unseren Kundinnen und Kunden, und ich erlebe das auch selbst so.

Kitchener hat expandiert. Weshalb haben Sie 2010 einen Laden in Zürich eröf fnet?Wir hatten immer Lust, nach Zürich zu gehen, und wir hatten auch im-

mer die Ohren offen für ein mögliches Geschäftslokal, doch lange hat sich ein-fach nichts ergeben. Als dann dieses Projekt in den Bögen eines ehemaligen Eisenbahnviadukts kam, war für uns klar : Da passen wir hin. Und wir haben es nie bereut. Unser Geschäft macht auch in Zürich Spass, obwohl es dort wirklich

Von Kaspar Meuli

«In Bern macht man nicht alles mit, es gibt eine gewisse Gelassenheit und Wertschätzung.»

«In Zürich ist der Bern-Bonus gewaltig.»

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anders ist als in Bern. Manchmal denke ich, es ist erstaunlich, dass die beiden Städte ja nur eine Stunde voneinander entfernt und doch so unterschiedlich sind.

Ist Ihr Konzept in Zürich dasselbe wie in Bern?Ja, und das ist auch das, was die Zürcher schätzen. Der Bern-Bonus war

gewaltig; das hatten wir zuerst auch nicht gedacht, aber das ist wirklich wichtig.

Wie wichtig ist für Kitchener das eigene Kleider-Label?Sehr wesentlich, denn dort können wir definitiv etwas Eigenes machen.

Das macht uns unvergleichbar, und wir können Kleider anbieten, die wirklich auf die Bedürfnisse unserer Kunden abgestimmt sind. Wir wissen ziemlich genau, was sie wollen, und das versuchen wir mit unserem Label zu bieten. Diese Pro-dukte sind ein wichtiger Bestandteil unseres Sortiments geworden.

Wollen Ihre Kunden fair und nachhaltig produzierte Kleider?Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Früher wusste man

über die wirklich grässlichen Produktionsbedingungen nicht so Bescheid – oder man wollte es nicht so genau wissen. Dann aber begannen die Kunden zu fragen, und das finde ich toll, das freut mich. Gewissheit über die Arbeitsbedingungen hat man natürlich nie. Wir arbeiten mit Agenten zusammen, Leute, die zum Bei-spiel sechs Mal im Jahr nach Indien reisen – aber das ist keine Garantie dafür, dass eine Fabrik unsere Bestellungen nicht weitergibt und an einem anderen Ort herstellen lässt.

Wer macht sich denn Gedanken über die Herkunft der Produkte? Sind das vor allem Leute, die es sich auch leisten können?Es sind schon vor allem Kunden eines gewissen Alters. Aber wir haben

ja auch gar nicht mehr so viele junge Kunden ...

Wie? Kitchener steht doch für Jugendkultur schlechthin!Wir mussten einen Grossteil der jungen Kundschaft abgeben, denn mit

den Ketten können wir schlicht nicht mithalten. Die Mode ist für junge Leute zum Gebrauchsgegenstand geworden, und der muss günstig sein. Jugendliche kom-men vielleicht zu uns, wenn sie eine ganz bestimmte Tasche oder einen Ruck-

sack haben wollen. Unsere tatsächliche Kundschaft fängt vielleicht bei den 25-Jährigen an.

Wie schwierig ist es, eine nachhaltige Beschaf fung und Produktion aufzuziehen? Wir haben in unserem Sortiment auch Produkte, die gar keinem dieser

Kriterien genügen. Aber wenn etwas in Europa produziert wird, finden wir das schon mal gut, da die Transportwege kürzer sind. Die Produkte unseres eigenen Labels hingegen versuchen wir alle unter fairen Bedingungen herzustellen, und wenn es zusätzlich noch biologische Rohstoffe sind, umso besser. Aber das ist nicht einfach, denn die Mengen, die man als Label produzieren lassen muss, sind hoch, besonders in Europa.

War es für Sie eigentlich keine Frage, ins Familien-unternehmen einzusteigen?Doch, doch. Ich wurde zwar in dieses Geschäft hineingeboren, aber ur-

sprünglich sagte ich mir : Das mache ich nie! Und auch meine Eltern wollten das gar nicht.

Und wie verlief die Zusammenarbeit über Generationen hinweg?Da muss man sich nichts vormachen, wenn man 20 Jahre als Tochter

und Vater zusammenarbeitet, ist das sehr emotional. Und am Anfang war ja auch noch meine Mutter dabei, das bot natürlich auch Konfliktpotenzial. Aber ir-gendwie ging’s immer. Mein Vater ist ja nach wie vor sehr aktiv im Geschäft: Er ist der Geschäftsführer und Einkäufer für Kleider, ich für Accessoires.

Gibt es denn eine geregelte Nachfolgelösung?(Überlegt) Nein. Mein Vater möchte noch ein Weilchen weiterarbeiten,

was ich nachvollziehen kann, und deshalb ist das immer eine rollende Planung.

Ihr Laden ist ein Teil der Identität Berns. Von den Kitche-ner-Säckchen ist sogar in einem Züri-West-Song die Rede ...Es gibt drei Sachen, die mich etwas stolz machen ( lacht). Das mit Züri

West ist schön. Lo & Le Duc haben nachgedoppelt – sie singen, « I ga ga kitsche, du geisch i Kitchener » –, und wenn jemand im Zug sein Turnsäckchen liegen lässt, dann muss er auf dem Pull-down-Menü des SBB-Fundbüros den Punkt «Kitchener-Säckchen» anklicken. Ja, ich würde sagen, wir sind eine Berner Institu-tion. Und das fägt.

Geht Ihnen da manchmal durch den Kopf, dass Sie gewissermassen ein kulturelles Erbe verwalten?Kaum, wir machen einfach unser Ding. Und solange wir Spass daran ha-

ben, fahren wir weiter. Darum macht es auch mein Vater noch, und für mich ist es auch so. Was nachher ist? Was weiss man denn heutzutage? Es wäre be-stimmt schade für Bern, wenn es den Kitchener nicht mehr gäbe, aber noch trau-riger wäre, gäbe es die Reitschule nicht mehr.

Wie sehen Sie den Kitchener in 20 Jahren? Gibt es den Laden in der Aarbergergasse dann noch?Ich bin überzeugt, dass es den Detailhandel auch in Zukunft noch ge-

ben wird, fürchte aber, dass sich die Reihen lichten werden. Gerade im Bereich der Mode, wo das Angebot so wahnsinnig gross ist. Doch im Grunde genommen bin ich optimistisch: Die Menschen gehen einfach gerne lädelen, und zwar auch analog, nicht nur digital.

BIOBOX

Sarah Huber (44) ist stellvertretende Geschäftsführerin und Mitbesit-zerin der Modefirma Kitchener mit Läden in Bern und Zürich. Sie ist das einzige Kind von Eva und Jürg Huber, die den Shop 1967 zusam-men mit Subo Mischer gründeten. Die ausgebildete Primarlehrerin studierte ein paar Semester Philosophie und Biologie und stieg dann bei Kitchener ein. Sie ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt im Berner Länggassquartier.

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IMPRESSUM

Herausgeber: Wirtschaftsraum Bern Redaktion: Wirtschaftsraum Bern,

Reto LinigerAutoren/-in: Manuela Ryter, Daniel Flury,

Kaspar Meuli, Artur K. VogelGastautor/-in: Heinz Röthlisberger Béatrice StuckiLayout: Agentur 01, BernBilder: www.danielleliniger.com, unsplash.com, FotoliaDruck: Stämpfli AGAuflage: 12 000 Exemplare (deutsch)Postadresse: Wirtschaftsraum Bern,

Nägeligasse 2, Postfach CH-3001 Bern

Telefon: + 41 (0)31 321 77 00E-Mail : [email protected]: wirtschaftsraum.bern.ch

August 2016

Bernpunkt

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